Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 473 - Helga Winter - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 473 E-Book

Helga Winter

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Beschreibung

Liebe lässt sich nicht erklären
Ein Meisterwerk um große Gefühle

Schon früh hat Linda, die Tochter eines einfachen Handwerkers, erfahren müssen, dass die Herkunft für manche Menschen von entscheidender Bedeutung ist. Was das für sie heißt, ist klar: Sie ist nur dann gut genug, wenn man ihre Hilfe benötigt. Ansonsten steht sie außen vor! Nie wird sie zu einer Party eingeladen, nie bittet man sie um eine Verabredung.
Je älter sie wird, umso mehr wird ihr bewusst, wie ungerecht das Leben ist. Und so beschließt sie, jede Chance zu ergreifen, um einmal im Glanz zu stehen ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Liebe lässt sich nicht erklären

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Coy_Creek / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-8846-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Liebe lässt sich nicht erklären

Ein Meisterwerk um große Gefühle

Schon früh hat Linda, die Tochter eines einfachen Handwerkers, erfahren müssen, dass die Herkunft für manche Menschen von entscheidender Bedeutung ist. Was das für sie heißt, ist klar: Sie ist nur dann gut genug, wenn man ihre Hilfe benötigt. Ansonsten steht sie außen vor! Nie wird sie zu einer Party eingeladen, nie bittet man sie um eine Verabredung.

Je älter sie wird, umso mehr wird ihr bewusst, wie ungerecht das Leben ist. Und so beschließt sie, jede Chance zu ergreifen, um wenigstens einmal im Glanz zu stehen …

Als die Pausenklingel schrillte, atmeten alle in der Klasse auf. Die verhasste Lateinstunde war vorbei. Linda Bischoff drängte sich mit den anderen auf dem Flur.

„Ich hatte schon Angst, er würde eine Klassenarbeit schreiben lassen“, sagte ihre Banknachbarin Gisela Wildenhausen. „Das hätte mir gerade noch gefehlt. Wenn ich Latein nur nicht so nötig bräuchte!“ Sie seufzte abgrundtief.

„Soll ich dich bedauern?“, fragte Linda mit einem ironischen Lächeln.

„Du hast es gut, du bist die Beste in Latein. Dir macht das verdammte Vokabellernen nichts aus, aber wir armen geistigen Normalverbraucher. Wenn ich mir vorstelle, dass ich den Rest meines Lebens diese Sprache benötigen werde …“

Und darüber beklagt sie sich noch, dachte Linda. Giselas Vater war Arzt, und es war selbstverständlich, dass seine Tochter auch Medizin studieren und später einmal seine gut gehende Praxis übernehmen würde. Das war eine Aussicht, von der Linda geträumt hätte. Für Gisela dagegen schien sie nichts Verlockendes zu haben.

„Noch ein Vierteljahr, dann machen wir unser Abitur. Wenn ich es bestehe, dann gibt es bei uns drei Tage Tanz in allen Räumen“, sagte Gisela und versuchte zu lachen. Sie stand auf der Kippe, wie es im Schülerjargon hieß, es war keineswegs sicher, dass sie das Examen bestehen würde.

„Hallo.“ Ein schlaksiger junger Mann blieb vor den beiden Mädchen stehen, sein Gruß galt allerdings Gisela allein. „Ich gebe am Sonnabend eine große Party. Hast du Lust zu kommen? Meine Eltern sind nicht zu Hause, wir können machen, was wir wollen.“

„Ich habe sonst nichts vor, warum nicht? Wer kommt sonst noch?“

„Alle“, erklärte Thomas Mahrun. „So gegen acht. Wenn es geht, bringe was zu trinken mit. Möchte nicht die Weinvorräte meines alten Herrn gänzlich plündern.“ Er nickte Gisela lässig zu und schlenderte weiter.

Linda presste die Zähne tief in die Unterlippe. Alle würden kommen, hatte er gesagt – sie nicht. Sie gehörte nicht dazu. Sie ging zwar mit den anderen in eine Klasse, man schrieb auch gern von ihr die Hausaufgaben ab, aber ansonsten zog man es vor, unter sich zu sein.

„Eigentlich habe ich gar keine Lust hinzugehen“, sagte Gisela. „Immer derselbe Zinnober. Wenn die Jungen einen Schluck getrunken haben, dann glauben sie, sie könnten sich uns gegenüber alles herausnehmen.“

Linda lächelte verkrampft. Sie war noch nie auf einer richtigen Party gewesen und wusste daher nicht, wie es da zuging.

„Willst du hingehen?“, fragte Gisela.

„Nein. Er hat mich nicht eingeladen.“

„Nicht direkt“, pflichtete Gisela ihr bei, „aber es ist doch selbstverständlich, dass …“ Sie brach ab und krauste die Stirn. „Mach dir nichts draus“, tröstete sie Linda dann freundlich. „Es wird bestimmt wieder schrecklich langweilig.“

„Ich wäre sowieso nicht hingegangen“, log Linda Bischoff.

„Hast du dich geärgert?“, wollte Gisela wissen. „Eingebildetes Pack. Nur weil dein Vater Maler ist …“

„Anstreicher“, verbesserte Linda sie verbissen. „Und noch nicht einmal Meister. Aber ich werde es ihnen schon zeigen, das sage ich dir. Was die können, das kann ich schon lange.“

„Ärgere dich doch nicht“, murmelte Gisela. „Du wirst jedenfalls von uns allen das beste Abitur machen.“

„Und dann in irgendein Büro gehen“, fuhr Linda wütend fort. „Dafür würde auch ein mittelmäßiges Abitur reichen.“

„Warum studierst du nicht?“

„Weil mein Vater nicht so viel verdient. Es ist für meine Eltern schon ein Opfer, mich zum Gymnasium zu schicken. Noch länger möchte ich ihnen nicht auf der Tasche liegen. Ich werde einmal als Sekretärin arbeiten und das tun, was ein anderer mir sagt, weil ich zu dumm bin, selbst Entscheidungen zu treffen. Vielleicht darf ich einmal Briefe selbstständig beantworten, nachdem der hohe Herr mir gesagt hat, was drinstehen soll.“

„Ein Jammer, dass du nicht studieren willst. Du würdest die Medizin leicht schaffen. Ich wünschte, ich hätte dein Gedächtnis. Was man da alles pauken muss.“

Wie gern würde ich es tun, dachte Linda.

„Hast du nicht schon einmal daran gedacht, dich um ein Stipendium zu bewerben?“

„Natürlich. Aber das Geld reicht nicht. Ich würde meinen Eltern immer noch auf der Tasche liegen. Wenn ich im Büro arbeite, kann ich ihnen etwas abgeben.“

„Hast du die Matheaufgaben verstanden?“, wechselte Gisela das Thema.

„Es ist ganz einfach, wenn man es erst verstanden hat.“

„Für dich ist alles einfach“, seufzte Gisela. „Die Pause ist schon rum. Merkwürdig, eine Viertelstunde Pause ist kurz, eine Viertelstunde Latein eine Ewigkeit. Da sage mir jemand, die Zeit würde objektiv gemessen.“

♥♥♥

Als die Schüler wieder in der Klasse saßen, war Mahruns Party Gesprächsthema Nummer eins. Die Mädchen diskutierten, was sie anziehen wollten, die Jungen unterhielten sich über die Schallplatten. Linda hörte zu und fühlte sich wieder einmal entsetzlich ausgeschlossen.

Sie hatte keine richtige Freundin in der Klasse, auch Gisela Wilderhausen nicht. Gisela war allerdings netter zu ihr als die anderen Mädchen, für die sie nur die Handwerker-Tochter war.

Wie boshaft man sie immer wieder daran erinnerte, dass ihr Vater kein Akademiker war. Die Schule lag in einem teuren Villenvorort. Wer hier wohnte, hatte es zu etwas gebracht und besaß Geld.

Die Bischoffs bewohnten eine ehemalige Hausmeisterwohnung in einer herrschaftlichen Villa. Es waren ganz hübsche Räume, sie lagen nur etwas tief. Für das Personal waren sie gut genug gewesen und für die Bischoffs auch. Dafür bezahlten die Leute ja auch nicht viel Miete, nicht wahr?

Und der Mann war geschickt und willig. Wenn irgendetwas im Hause zu machen war, dann erledigte er es gern. Und man gab ihm auch stets ein gutes Trinkgeld.

„Mahrun“, rief der Mathematiklehrer den Jungen an die Tafel. „Nun zeigen Sie uns einmal, dass Sie diese Aufgabe verstanden haben.“

Thomas trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen, während er hilflos auf die Gleichung schaute, die an der Tafel stand. Er hatte keine Ahnung, wie man sie lösen musste.

„Wieder mal geschlafen, Mahrun?“, fragte der Lehrer ironisch. „Linda, zeigen Sie ihm, wie einfach es ist, die Gleichung aufzulösen.“

Linda stand auf und trat an die Tafel. Es war keine einfache Aufgabe, aber ihr bereitete sie keine Schwierigkeiten.

„An Linda sollten Sie sich ein Beispiel nehmen, Mahrun. Setzen Sie sich.“

Die meisten grinsten hämisch, als Thomas zu seinem Platz trottete. Sie gönnten ihm die Blamage fast alle. Thomas bildete sich reichlich viel auf das Geld seiner Eltern ein. Er bekam mehr Taschengeld als irgendein anderer und besaß sogar schon ein eigenes Auto, ein Geschenk zu seinem achtzehnten Geburtstag.

„Idiotische Mathematik“, knurrte er, als er sich setzte.

Der Lehrer hatte seine Bemerkung gehört.

„Im Abitur könnten solche Aufgaben drankommen, lieber Mahrun. Ich weiß nicht, ob Sie sich eine Fünf in Mathematik erlauben können.“

Mahrun konnte es nicht, und sein Mathematiklehrer wusste es genau. Er bekam in verschiedenen Fächern Nachhilfeunterricht, denn er sollte unbedingt das Abitur machen und anschließend studieren.

Für die Mahruns galt nur ein Akademiker als Mensch. Dass ihr Junge nicht das Zeug dazu hatte, wollten sie nicht begreifen. Seit vielen Jahren schon bekam er Nachhilfeunterricht und war trotzdem einmal sitzen geblieben.

„Danke, Linda.“ Der Mathematiklehrer lächelte seiner Lieblingsschülerin zu. „Sie würden eine ausgezeichnete Mathematikerin werden“, meinte er, als sie zu ihrem Platz ging. „Überlegen Sie sich, ob Sie nicht vielleicht doch studieren wollen. Ich würde ein Stipendium sehr befürworten. Und nun kommen wir zur nächsten Aufgabe.“

Als die anderen mittags hastig die Schule verließen, schlenderte Linda hinter ihnen her, den Kopf gesenkt. Sie merkte nicht, dass Thomas Mahrun auf sie wartete. Erst als er sie anstieß, nahm sie ihn wahr.

Sie musste zu dem langen Kerl hochschauen. Da stand er nun neben seinem Auto und lächelte verkrampft.

„Steig ein“, brummte er mit einer Kopfbewegung zu seinem Auto hin. „Ich fahre dich nach Hause.“

Linda schüttelte unwillkürlich den Kopf. Wieso kam er dazu, ihr das anzubieten?

Thomas Mahrun grinste noch verlegener.

„Ich dachte, du könntest mir vielleicht bei der verdammten Matheaufgabe helfen. Mein Nachhilfelehrer kann heute nicht, und allein schaffe ich es nicht.“

„Tut mir leid, ich habe keine Zeit.“

Mahruns Grinsen wurde zur Grimasse.

„Stell dich doch nicht so an. Du machst die Aufgaben mit links. Der Kerl nimmt mich morgen bestimmt ran, das weiß ich. Sei kein Frosch, steig ein.“

Dafür bin ich ihm gut genug, dachte Linda, aber für seine Party nicht.

„Ich gehe lieber zu Fuß. Tschüss.“ Sie hob lässig die Hand und ging um ihn herum, denn Mahrun machte keine Anstalten, ihr den Weg freizugeben.

„Blöde Zicke“, rief er aufgebracht hinter ihr her. „Alte Streberin. Ich brauche dich nicht!“ Wütend setzte er sich in sein Auto.

Es wäre klüger gewesen, ich hätte ihm geholfen, dachte Linda. Vielleicht wäre er mir dankbar gewesen, vielleicht hätte er mich dann sogar zu seiner Party eingeladen.

♥♥♥

„Fein, dass du schon kommst“, freute sich Erna Bischoff, als Linda in die Küche trat. „Wie war es in der Schule?“

„Wie immer.“ Linda stellte ihre Büchertasche neben sich auf den Fußboden. „Und was gibt es bei euch Neues?“

„Keßler soll im Lotto gewonnen haben, erzählt man sich. Mehr als zehntausend Mark. Ob es stimmt?“ Frau Erna zuckte die Schultern. „Wundern würde ich mich nicht, hätten sie gewonnen. Wo Tauben sind, da fliegen Tauben zu. Zehntausend Mark sind für die nichts. Wir haben höchstens mal drei Richtige im Lotto.“

Linda hing ihren trüben Gedanken nach. Ein Gewinn von zehntausend Mark würde ihr vielleicht ein Studium ermöglichen.

„Volker war lange nicht mehr hier. Ob er wohl krank ist?“

„Vielleicht war er da und ist nur nicht runtergekommen“, meinte Linda. „Allmählich wird er ja erwachsen und weiß, wo er hingehört.“

„Das kann ich mir bei Volker nicht vorstellen“, protestierte Frau Erna. „Eingebildet ist er nicht, überhaupt nicht. Und worauf sollte er sich auch etwas einbilden?“

„Wer sich etwas einbilden will, findet immer etwas“, gab Linda zurück. „Es zieht ihn wohl nichts mehr hierher.“

„Eine Zeit lang habe ich geglaubt, dass er hauptsächlich deinetwegen gekommen ist.“ Erna Bischoff schaute Linda lächelnd an. „Er war bestimmt ein bisschen verliebt in dich.“

„Was du alles so gesehen haben willst.“

„Auf meine Menschenkenntnis kann ich mich verlassen, Linda. Er war nur zu schüchtern. Ein netter Mensch, ich mag ihn schrecklich gem. Und dass er zurückhaltend ist, gefällt mir besonders. Ich finde so etwas besser als diese Draufgänger, die es bei jedem hübschen Mädchen versuchen. Dabei hätte Volker durchaus Chancen. Er sieht gut aus.“

„So, findest du?“

„Du etwa nicht? Manchmal verstehe ich dich nicht, Linda. Einerseits bin ich natürlich froh, dass du dir nichts aus Jungen machst, andererseits wundert es mich. Als ich so alt war wie du, da war ich schrecklich verliebt. Und wenn ich zurückdenke, dann verstehe ich mich selbst nicht mehr. Was habe ich damals bloß an dem Jungen gefunden? Er war ganz nett, sicherlich …“

„Thomas Mahrun gibt eine Party. Seine Eltern verreisen, und das nutzt er aus. Aber ich bin nicht eingeladen.“

„Ach. Warum nicht?“, fragte Frau Erna fast böse. „Hast du dich mit ihm gestritten?“

„Nein. Ich werde ja sowieso nicht eingeladen.“

„Kränke dich nicht, Linda.“ Frau Erna legte ihrer Tochter die Rechte einen Moment tröstend auf das blonde Haar. „Wir haben diese Leute nicht nötig.“

„Sie wollen nichts mit uns zu tun haben. Nur wenn sie uns brauchen, rufen sie uns. Ich bin manchmal so sauer. Aber das sage ich dir, Mutti, für mich wird das nicht so bleiben. Ich will hier raus!“

„Wo raus?“, fragte ihre Mutter verständnislos.

„Raus aus allem! Aus dieser Souterrainwohnung. Aus der Küche. Aus der ewigen Geldknappheit.“

„Wir geben dir so viel Taschengeld, wie wir können“, verteidigte sich Frau Erna gegen den vermeintlichen Vorwurf.

„Das weiß ich ja. Ihr tut alles für mich. Und ich habe mir vorgenommen, es zu schaffen. Irgendwie. Jeder Mensch bekommt einmal im Leben seine Chance, und ich werde meine packen und festhalten. Bin ich denn schlechter als die anderen?“

„Wer hat das gesagt?“

„Niemand. Sie sagen es nicht, sie zeigen es mir. Ich gehöre einfach nicht dazu. Manchmal wünschte ich, wir wohnten nicht hier.“

„Na hör mal, was für einen Unsinn redest du da! Wir haben eine wunderschöne Wohnung, und dann die Gegend, so herrlich ruhig, in der Nähe des Parks. Du bist undankbar, Linda.“

„Wenn wir dort wohnten, wo wir hingehörten, dann hätte ich auch eine Freundin. Denn dort würde man nicht auf mich herabschauen. Ich wäre wie sie alle. Aber hier sind die Väter Ärzte, Rechtsanwälte und Steuerberater. Und was ist mein Vater?“

„Dein Vater hat einen sehr ordentlichen und geachteten Beruf, mein liebes Kind!“ Bekräftigend schlug Erna Bischoff mit der flachen Hand auf den Tisch. „Du hast keinen Grund, dich für den Beruf deines Vaters zu schämen. Sein Chef hält viel von ihm. Wenn es darauf ankommt, dass besonders gut gearbeitet werden muss, wen schickt er dann? Deinen Vater. Und du dummes Ding glaubst, dich für ihn schämen zu müssen. Schäm dich selbst!“

„Du verstehst gar nicht, was ich meine“, murmelte Linda. „Ich weiß genau, wie fleißig und tüchtig Vater ist.“

„Dann sag auch nichts gegen ihn. Die Haustür hat geklappt. Wer mag da gekommen sein?“

„Niemand für uns“, knirschte Linda Bischoff. „Zu uns kommt man durch den Hintereingang, fünf Stufen hinab und nicht drei hinauf.“

„Was ist heute bloß mit dir los?“ Die Stimme ihrer Mutter klang aufgebracht. „So kenne ich dich ja gar nicht, Linda. Hast du in der Schule eine Arbeit verpatzt?“

„Nein. Auch das nehmen sie mir übel. Ich bin nicht so dumm und faul wie sie, was für eine Herausforderung! Eine wie ich gehört sowieso nicht auf die Oberschule. Aber wenn ihre verblendeten Eltern sie hinschicken, dann muss sie wenigstens dumm sein, gerade immer so mitkommen.“

„Kümmere dich nicht um die anderen, du brauchst sie nicht. Du wirst einmal ein schönes Stück Geld verdienen. Eine Sekretärin mit zwei Fremdsprachen, die hübsch aussieht und sich benehmen kann, kommt vorwärts. Du wirst einmal mehr verdienen als dein Vater.“

„Was für eine Zukunft!“

„Sei nicht so unzufrieden. Ohne Abitur würdest du ein Büromädchen sein müssen, jetzt steht dir der Weg nach oben offen.“

Linda sah zur Küchentür, als sie das Klopfen hörte.

„Herein“, rief ihre Mutter und wischte sich eifrig die Hände an der Schürze ab. Wahrscheinlich war es Frau Petereit, der das Haus gehörte. Sie lieh sich ab und zu mal etwas, was sie vergessen hatte einzukaufen. Frau Ernas freundliches Lächeln wurde zum Strahlen, als sie den jungen Mann erkannte.

„Gerade eben haben wir noch von dir gesprochen.“ Sie streckte Volker Gehrken die Hand entgegen. „Dann warst du es also, als ich die Tür klappen hörte.“

„Ja, ich bin gerade gekommen, Tante Erna.“ Volker Gehrken war bei der Anrede aus seiner Kinderzeit geblieben, genau wie Frau Bischoff ihn auf seinen Wunsch hin noch immer bei seinem Vornamen nannte.

Volker schaute auf Linda, und sein schüchternes Lächeln rührte eine ganz eigene Saite im Herzen des Mädchens an. Ich gefalle ihm, dachte sie.

„Wie geht es denn?“, fragte Volker, als er Lindas Hand drückte. „Wir haben uns lange nicht gesehen.“

„Das lag nicht an mir.“

„Hatte zu Hause wahnsinnig viel zu tun. Musste bei meinem Vater im Geschäft mithelfen. Und dann noch die Schule … Aber jetzt ist Mutter wieder ganz gesund.“

„Ich wusste gar nicht, dass deine Mutter krank war. Was hat ihr denn gefehlt?“, fragte Frau Erna voller Anteilnahme.

„Eine Grippe oder so was. Hat sie jedenfalls ziemlich umgehauen. Und danach haben wir sie zur Kur fortgeschickt. Sie wollte ja nicht, aber Vater hat nicht lockergelassen.“

„Die Hauptsache ist, dass es ihr jetzt wieder gut geht. Was macht die Schule?“

„Läuft alles gut.“ Offensichtlich war Volker Gehrken an einem Gespräch über die Schule nicht interessiert.

„Nun setz dich schon“, lud Frau Erna ihn ein.

„Ich wollte nicht stören. Bin eigentlich nur gekommen, um Guten Tag zu sagen.“

„Wenn du willst, dann komm doch zum Kaffee runter. Natürlich nur, wenn deine Tante nichts dagegen hat. Ich backe ein paar Waffeln.“

„Wenn ich kommen darf?“ Volker schaute fragend auf Linda, aber das Mädchen gab durch nichts zu verstehen, wie es zu der Einladung der Mutter stand.

„Dann will ich nicht länger stören. Bis nachher dann, und guten Appetit.“