Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 480 - Lore von Holten - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 480 E-Book

Lore von Holten

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Beschreibung

Für die Schwester geopfert
Zweiter Teil um das Schicksal der Gerwald-Töchter

Man sagt gern, dass die Zeit Schmerzen und Wunden heilt. Auch Uschi hält diese tiefe Hoffnung seit über einem Jahr aufrecht. Irgendwann wird sie Hans vergessen und ihren inneren Frieden wiederfinden.
Bis jetzt allerdings geht in einem fortwährenden Halbtraum durch die Welt. Sie tut zwar ihre Arbeit mit der altgewohnten Sauberkeit und Pünktlichkeit, doch ihr Herz ist nicht mehr dabei. Das Herz schweigt. Es sträubt sich, neue Eindrücke zu empfangen, wie es sich auch weigert, zu sprechen. Ein Schutz aus Schweigen und scheinbarer Empfindungslosigkeit liegt um das gequälte Innere des Mädchens ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Für die Schwester geopfert

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Kiselev Andrey Valerevich / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-8977-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Für die Schwester geopfert

Zweiter Teil um das Schicksal der Gerwald-Töchter

Man sagt gern, dass die Zeit Schmerzen und Wunden heilt. Auch Uschi hält diese tiefe Hoffnung seit über einem Jahr aufrecht. Irgendwann wird sie Hans vergessen und ihren inneren Frieden wiederfinden.

Bis jetzt allerdings geht sie in einem fortwährenden Halbtraum durch die Welt. Sie tut zwar ihre Arbeit mit der altgewohnten Sauberkeit und Pünktlichkeit, doch ihr Herz ist nicht mehr dabei. Das Herz schweigt. Es sträubt sich, neue Eindrücke zu empfangen, wie es sich auch weigert, zu sprechen. Ein Schutz aus Schweigen und scheinbarer Empfindungslosigkeit liegt um das gequälte Innere des Mädchens …

Uschi Gerwald lehnte sich weit aus dem Fenster. Der Wind griff in ihr dunkles Haar, kühlte die vor Erregung heiße Stirn.

Nur wenige Augenblicke noch, dann würde der Kirchturm von Albersdorf auftauchen, drüben, hinter dem großen Wald, den die Straße durchschnitt. In wenigen Minuten würde sie die Straße entlanggehen, und langsam, schrittweise, würde sich ihr die Heimat wieder erschließen.

Niemand erwartete sie. Niemand wusste, dass Uschi heute heimkehren wollte.

Der Zug legte sich in eine Kurve. Und da war auch schon der Kirchturm von Albersdorf!

Uschi atmete tief. Jetzt war die Würze des Waldes in der Luft, von den Feldern wehte der Duft der Erde. Sie schloss beseligt die Augen. Nun war die Heimat nahe, so nahe …

Die Bremsen griffen in die Räder. Die Wagenschlange polterte dahin, der Bahnsteig schob sich heran, das kleine Bahnhofshäuschen. Türen klapperten, der Stationsvorsteher ging nervös auf und ab und schlug hier und dort eine Wagentür zu. Dann gellte seine Pfeife, die Lokomotive fauchte, der Zug ruckte an.

„Frau von Bodner? Das ist aber eine Freude!“ Der Bahnhofsvorsteher tippte an den Mützenrand. „Ich wusste gar nicht, dass Sie fort waren. Eine gute Reise gehabt?“

Der Mann griff Uschis Koffer und schritt der Sperre zu.

Uschi war bei der Anrede zusammengezuckt und folgte ihm jetzt schweigend. Kaum hatte sie den Fuß auf den heimatlichen Boden gesetzt, da wurde sie wieder mit ihrer Schwester verwechselt.

„Auch ein tüchtiger Beamter kann nicht alles wissen“, entschloss sich Uschi schließlich zu einer Antwort. Sie dankte dem Mann für seine Hilfe, gab den Koffer am Gepäckschalter auf und schritt davon.

Ihre Füße fanden den Weg von selbst. Ihr war, als breite das Land beide Arme aus und heiße sie willkommen.

Ein tiefes Gefühl des Glücks durchströmte das Mädchen, als es in den Wald trat, den wohligen, kühlen Hauch auf ihrer Haut spürte, der ihr aus der Tiefe des Forstes entgegendrang. Nun war Wirklichkeit geworden, was es in langen Träumen ersehnt hatte.

Uschi nahm nicht den nächsten Weg durch das Dorf. Eine eigentümliche Scheu hielt sie davon ab, jetzt Bekannten zu begegnen, auf ihre Fragen antworten zu müssen. Nein, sie wollte allein sein mit sich und ihrer Heimat.

Jenseits einer kleinen Brücke setzte Uschi Gerwald ihren Fuß zum ersten Mal seit ihrer überstürzten Abreise auf den Boden, der dem Gerwald-Hof gehörte.

Sie blieb stehen, schloss die Augen und horchte in sich hinein. Aus ihrem Innern strömte ihr eine solche Fülle von Unfasslichem entgegen, dass sie verwirrt weiterging. Würde sie die Kraft haben, dem hervorbrechenden Ansturm widerstehen zu können?

Plötzlich wurde sie unsicher. Weshalb erschütterte sie diese Heimkehr so sehr? Ein Jahr und einige Monate lagen zwischen dem Jetzt und ihrem Fortgang. Gab es noch Regungen, die sie längst besänftigt glaubte? Kannte sie nicht einmal ihr eigenes Herz?

Uschi war so tief in Gedanken, dass sie fast erschrak, als sie den Hof vor sich gewahrte. Sie stand vor einem einfachen Holztor, das in den Obstgarten führte. Die zarte heiße Mädchenhand öffnete es und trat ein.

Langsam schritt sie zwischen den Bäumen hindurch. Sie war wie berauscht, gefangen in einem wahren Taumel der Freude, der Furcht, des Glücks, der Hoffnung, des Verzagens.

„Gisa, Liebes, da bin ich wieder!“

Jäh fuhr Uschi herum. Hans von Bodner stand am Zaun, lehnte sein Fahrrad gegen die Balken und schwang sich mit einem kraftvollen Satz in den Garten. Ungestüm eilte er herbei, und noch ehe Uschi sich rühren oder gar etwas sagen konnte, hatte der Mann sie in die Arme genommen. Sein Blick, voller Wärme und zärtlicher Liebe, traf ihre Augen und drang ihr tief ins Herz.

Dann verschloss sein Mund ihre roten Lippen.

Uschi wurde in einen Abgrund gerissen. Kaum wusste sie, was mit ihr geschah. Sie fühlte den brennenden Kuss, die starken Arme des Mannes, sie fühlte seine Nähe, das Feuer, das von ihm ausstrahlte, sie fühlte seine Liebe, seine Zärtlichkeit, seine Leidenschaft …

Und da ergab sie sich dem Augenblick. Ihre Lippen erwiderten seinen Kuss, ihr Herz jubelte, ihr Körper wurde schmiegsam. Zum zweiten Mal erlebte sie das Wunder der Liebe, und zum zweiten Mal …

Da plötzlich riss sie sich los, ihr Gesicht war flammend gerötet, sie schlug die Hände vor die Augen und floh hinüber zum Haus.

Hans lachte hinter ihr her.

„Gisa, du bist doch ein kleiner Racker!“, rief seine dunkle Stimme. „Na warte, ich kriege dich doch!“

Er kletterte wieder über den Zaun und nahm sein Fahrrad auf. Er hatte im Dorf noch einiges zu erledigen.

Uschi hastete währenddessen durch die Küche, in der zwei Mädchen hantierten. Sie stieß die Tür zur guten Stube auf und stand Gisa gegenüber.

Einen Augenblick blieb Uschi starr, ihre weit aufgerissenen Augen fragten, flehten und baten. Dann warf sie sich an die Brust der Schwester und weinte haltlos auf.

„O Gisa, es ist alles so entsetzlich.“

Gisa nickte stumm. In ihr war eine alles lähmende Traurigkeit. Sie hatte vom Fenster aus mit angesehen, was geschehen war. Sollte nun alles aus sein? Sollte Hans nun die Frau in seine Arme gerissen haben, die ihm die wahre Liebe bedeutete? Sollte ihn die Wiedersehensfreude hingerissen haben, etwas zu tun, was er sonst nicht gewagt hätte?

In diesem Augenblick vergaß Gisa die Ähnlichkeit, die sie und Uschi zu einer seltsamen Gemeinsamkeit verband.

Doch die bangen Fragen sollten rasch beantwortet werden. Kaum hatte Uschi den ersten Schmerz hinausgeweint, als sie auch schon ihre Schwester zum Sofa zog.

„Ich dachte, es wäre nun alles vorbei, und nun ist es schlimmer als zuvor“, stieß Uschi, von Tränen halb erstickt, hervor. „Eben hat Hans mich geküsst. Er glaubte, er stehe dir gegenüber. Oh, warum muss alles so furchtbar sein!“

Gisa nahm ihre Schwester in die Arme und streichelte ihr Haar. Im Stillen bat sie Hans und Uschi um Verzeihung, dass sie für einen Augenblick an ihnen gezweifelt hatte.

„Seit wann seid ihr verheiratet?“, fragte Uschi nach einem Moment der Stille.

Gisa drückte den Körper des Mädchens noch enger und zärtlicher an sich.

„Seit einem Dreivierteljahr, Uschi“, flüsterte sie mit bebender Stimme. „Und wir sind glücklich, sehr glücklich – wie du es gewollt hast.“

Wieder stiegen Uschi Tränen in die Augen. Und auch Gisa beweinte das Ungemach, das ihre Schwester getroffen hatte. In diesem Augenblick bereute sie bitter, dass sie nicht doch ihrem ersten Impuls gefolgt war, als Uschi den Hof verlassen hatte. Sie hätte ihr nachfahren sollen, sie hätte Uschi zwingen sollen zurückzugehen, während sie selbst in der Fremde geblieben wäre. Doch nun war es zu spät.

Lange saßen sie so. Und schließlich richtete Uschi sich auf. Ihre Augen brannten. Sie hatte keine Tränen mehr.

„Morgen fahre ich wieder fort, Gisa. So etwas wie heute darf nie, nie wieder geschehen. Ich habe auch nur ein Herz wie jeder andere Mensch. Ich glaubte, es sei vorüber. Doch jetzt weiß ich, dass meine Liebe noch so stark und unüberwindlich ist wie damals. Wenn es kein Unglück geben soll, muss ich wieder fort, ehe es zu spät ist.“

Gisa war tief bekümmert.

„Ich gäbe viel darum, wenn ich das alles von dir nehmen könnte. Ich wünschte, ich könnte mich an deine Stelle setzen. Nun, da ich weiß, wie groß deine Liebe ist, und da ich auch weiß, wie überwältigend es ist, zu lieben und geliebt zu werden, nun möchte ich dem Schicksal in die Zügel greifen, den Weg zurücklenken und neu und besser beginnen …“ Gisas Stimme erlosch.

Uschi schüttelte den Kopf.

„Nein, Gisa. Ich danke dir dafür, dass du mich noch liebst und mich nicht vergessen hast. Ich fahre morgen früh mit dem ersten Zug. Nur diesen einen Abend lasse mir. Ich möchte das Gefühl genießen, einmal wieder in der alten Heimat zu sein. Auch jetzt gehe ich nicht für immer. Ich werde dir meine Adresse hinterlassen, damit du mir schreiben kannst. Ich gehe, doch ich will nicht wieder ganz ohne dich sein. Du musst mir berichten, wie es euch geht und was hier geschieht. Versprichst du mir das?“

Gisa nickte unter Tränen. Die Ergebenheit der Schwester in das Unvermeidliche schnürte ihr die Kehle zu. Gisa kam sich klein und eigennützig neben ihrer Schwester vor.

„Hab keine Angst, dass ich dir je zürnen werde“, beteuerte Uschi. „Ich werde dich immer gernhaben. Ich hab’s so gewollt. Und es ist auch am besten so. Du siehst ja, was geschehen ist. Nein, Gisa, immer noch besser dieser nagende Schmerz als etwas viel Schlimmeres. Mein Herz wird sich schon beruhigen, glaub mir, es ist alles halb so schlimm. Ich brauche nur Zeit, viel Zeit …“

♥♥♥

Hans von Bodner erfuhr nie, dass er an jenem Tag Uschi anstatt seiner Frau in den Armen gehalten hatte. Uschi brachte es einfach nicht übers Herz, es ihm zu sagen. Und Gisa schwieg aus Mitleid und echtem Mitempfinden. Hans sollte von dem Schmerz, den die beiden Mädchen zu tragen hatten, nichts wissen. Er hatte auch so genug mit sich selbst zu tun.

Beide Mädchen sahen das auf den ersten Blick, als er eine Weile später Uschi und Gisa beieinander vorfand und nun wusste, dass Uschi heimgekehrt war. Sein Blick verdunkelte sich, seine Stimme klang belegt und gepresst, als er Uschi den Willkommensgruß entbot. Er schlug die Augen nieder.

Verwirrt eilte er hinaus. Was war das nur? Er liebte Gisa mit der ganzen Kraft seines Herzens, und nun, da Uschi neben seiner geliebten Frau saß, nun standen Zweifel in ihm auf.

War es richtig, Gisa gewählt zu haben? Durfte er Uschi den großen Schmerz zufügen, da er doch ganz genau wusste, dass nicht nur Gisa, sondern auch sie eine große Liebe zu ihm im Herzen trug? Hatte er recht gehandelt? Hätte er nicht lieber fortgehen und keine von den beiden Mädchen an sich binden sollen?

Hans fand keine Antwort. Er wusste nur, dass er, die beiden so völlig gleichen Mädchen nebeneinander sehend, aus der ruhigen Bahn geworfen war.

Da saßen zwei Menschenkinder, beides wunderschöne, blühende Mädchen, geschaffen, zu lieben und geliebt zu werden. Und das Unüberwindliche: Beide Frauen schienen wie eine. Sie waren wie ein Mensch, den ein Wunder geteilt hatte und der nun in zwei völlig gleichen Körpern fortlebte.

Der Mann bezwang seine Unruhe. Sie saßen beieinander in der guten Stube. Das Gespräch drehte sich mühsam um die Mühle und den Hof. Beide hatten großen Aufschwung genommen. Hans war der geborene Landwirt und Müller, der dem alten Gerwald in nichts nachstand. Was seine Hände berührten, gedieh. Wohin sein Blick fiel, wuchsen neue Pläne aus dem Boden.

Uschi berichtete in knappen Worten von ihrem neuen Leben. Sie versuchte alles so zu schildern, dass die anderen glauben mussten, sie sei völlig mit sich und der Welt zufrieden.

Doch Hans und Gisa fühlten nur zu deutlich die Wahrheit aus den Worten heraus.

Um die zehnte Stunde wurde die Spannung unerträglich. Hans stampfte hinaus in seine frühere Kammer. Gisa schlief heute mit Uschi im Schlafzimmer. Nun lagen die beiden Mädchen nebeneinander in den kühlen Kissen. Ihre Hände umschlossen sich, Worte wisperten hin und her. Als die Uhr der Kirche die Mitternacht kündete, sanken die Mädchen in schweren, traumlosen Schlaf.

Noch bevor der neue Tag begann, bevor die Sonne sich emporschob und die webenden Nebelschleier löste, fuhren Gisa und Uschi zum Bahnhof. Sie nahmen stummen, innigen Abschied. Sie wussten nicht, ob sie recht handelten. Sie wussten nur, dass ihr Schmerz noch nicht zu Ende war.

Während Gisa langsam ins Dorf zurückfuhr, sangen die Räder des Zuges der Stadt entgegen. Sie trugen ein Mädchen, das zusammengesunken auf ihrem Platz saß und den Jammer ihres Lebens beweinte.

♥♥♥

Der Besuch auf dem Gerwald-Hof, von dem Uschi gehofft hatte, dass er ihr innere Ruhe bescheren würde, hatte sie tiefer als je zuvor aufgewühlt und ihr Herz verbrannt.

Es dauerte lange Wochen, bis sie zu sich selbst zurückfand. Sie stürzte sich mit dem Ungestüm der Ertrinkenden in die Arbeit und suchte so Vergessen. Doch wenn sie abends in ihrem Zimmer saß, dann krochen die Gedanken wieder auf sie zu. Dann weinte Uschi ohne Ende. Dann verdammte sie ihre Liebe und den Tag, an dem Hans von Bodner zu ihnen gekommen war; dann wünschte sie, der Hof wäre besser zugrunde gegangen.

Uschi haderte mit Gott, sie bäumte sich auf gegen ihr Schicksal, und wenn sie plötzlich innehielt, weil sie merkte, dass sie sich versündigte, dann brach sie zusammen. Dann weinte sie haltlos, stundenlang, die ganze Nacht hindurch.

Man sagt, dass die Zeit Schmerzen und Wunden heilt. Uschi kämpfte sich hindurch. Schließlich geriet sie in eine Art Ruhezustand, der ihr wenigstens äußeren Frieden schenkte. Sie tat ihre Arbeit mit der altgewohnten Sauberkeit und Pünktlichkeit, doch ihr Herz war nicht mehr dabei.

Enger als zuvor schloss sich Uschi an die beiden Mädchen an, die im gleichen Betrieb arbeiteten und so etwas wie ihre Freundinnen waren. Sie sprach mit ihnen, unternahm in ihrer Gesellschaft hier und dort einen Ausflug, ließ sich in die Elternhäuser der Mädchen führen und verlebte dort ruhige, wehmütige Tage.

Doch nie nahm Uschi an den unschuldigen Vergnügungen der Mädchen teil. Es war unmöglich, die Gerwald-Tochter zu einem Tanz zu überreden. Ein paarmal gelang es den Mädchen, Uschi ins Kino zu bekommen. Doch das war auch alles.

Und so verging wieder ein Jahr. Auf einen früchtereichen goldenen Herbst folgte ein milder Winter mit viel Regen und dunklen Tagen. Dann lockten Blütenduft und Sonnenschein die Menschen aus ihren Häusern hervor, und nun prangte die Fülle des Jahres in voller Entfaltung.

Auf dem Gerwald-Hof war inzwischen wieder das Lachen eingekehrt. Wenn zwei Menschen ein Leid tragen, dann ist es nur ein halbes Leid. Sie können einander beistehen und einander helfen.

Selbstverständlich war das Lachen auf dem Gerwald-Hof nicht von heute auf morgen zurückgekehrt. Lange Zeit noch waren Hans und Gisa tief bedrückt geblieben. Sie hatten sich mit schweren Vorwürfen und Selbstanklagen geplagt. Auch sie hatte das Wiedersehen verwundet, doch die harte Arbeit, die Forderungen des vorwärtsstrebenden Lebens hatten ihnen allmählich über den Kummer hinweggeholfen.

Ganz verschwand der Kummer aber nie. Er nistete in den Herzen des Paares und ließ dann und wann eine wehmütige Träne quellen, doch das Leben hatte gesiegt.

Zwei Jahre lebten nun schon Gisa und Hans von Bodner miteinander und füreinander. Seit zwei Jahren taten sie ihre Pflicht, in ernsten Stunden und an heiteren Tagen. Seit zwei Jahren freuten sie sich am Gedeihen des Besitzes, sie empfanden stolze Befriedigung über den Segen, der ihrer zähen Arbeit zuteilwurde.

Seit einiger Zeit summte eine neue Mahlmaschine in einem neuen Mühlenhaus. Hans hatte den Landbesitz durch einige günstige Käufe erweitern und ergänzen können. Drei neue Lastwagen der Mühle fuhren weit ins Land hinaus. Der goldene Strom des Geldes kam heran und befruchtete neue Arbeit.

Gisa und Hans hätten also von ganzen Herzen glücklich und zufrieden sein können. Sie waren es auch. Doch neben dem Schmerz, der das Andenken Uschis ihnen war, mischte sich noch ein zweiter Wermutstropfen in den Kelch ihres Glückes. Sie spürten die Bitterkeit zunächst kaum, doch als Monat auf Monat dahinging und als die Nachbarn heimlich zu tuscheln begannen, da gestanden sie sich ihren großen Kummer ein.

Der Gerwald-Hof hatte noch keinen Erben.

♥♥♥

Es war in jener Zeit, als Hans von Bodner zum ersten Mal im Antlitz seiner Frau einen eigentümlichen Schmerzenszug gewahrte. Es schien, als mühte sie sich, ein Leid zu verheimlichen. Nur manchmal, wenn sie sich unbeobachtet wähnte, stand der gequälte Zug in ihrem Gesicht geschrieben. Die Augen wurden starr, sie bekamen einen unnatürlichen Glanz und zuckten. Der blühende Mund, den Hans so sehr liebte, wurde schmal.

Der Mann beobachtete seine junge Frau mit wachsender Besorgnis. Zunächst fand er scheinbare Erklärungen: Sie denkt an Uschi, beruhigte er sich. Doch bald hatte er heraus, dass es das nicht sein konnte. Dann glaubte er, aus dem Schmerz das Sehnen einer Frau nach dem Kind herauslesen zu können.

Er sprach mit Gisa. Sie zeigte sich gleich ihm betrübt, doch sie fand Trost in der Zuversicht auf kommende Jahre.

Hans stand vor einem Rätsel. Verbarg Gisa ihm etwas? Hatte sie einen heimlichen Kummer, den sie ihm nicht mitteilen wollte?