Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 525 - Helga Winter - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 525 E-Book

Helga Winter

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Als Donata von Sternhagen sich mit ihren Eltern überwirft, findet sie bei Karl Ibbecken ein neues Zuhause. Der sonderliche alte Mann nimmt in seiner Villa heimatlose Frauen auf, die von ihren Männern geschlagen oder verlassen wurden. Für sie und ihre Kinder wird dieser Ort zur letzten Zuflucht.
Doch das ist vielen ein Dorn im Auge. Besonders dem Bürgermeister des Kurortes gefällt das ganz und gar nicht. Die Stadt will nämlich Ibbenbecks herrliche Villa kaufen, um dort ein Kurzentrum zu errichten. Als der alte Mann aus guten Gründen ablehnt, lässt der Bürgermeister ihn kurzerhand entmündigen und in ein Sanatorium bringen ...


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 138

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Donatas letzte Zuflucht

Vorschau

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Galina Zhigalove / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0514-1

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Donatas letzte Zuflucht

Auf der Suche nach Liebe und Geborgenheit geriet sie an den Falschen

Als Donata von Sternhagen sich mit ihren Eltern überwirft, findet sie bei Karl Ibbecken ein neues Zuhause. Der sonderliche alte Mann nimmt in seiner Villa heimatlose Frauen auf, die Schutz und Zuflucht suchen.

Doch das ist vielen ein Dorn im Auge. Besonders dem Bürgermeister des Kurortes gefällt das ganz und gar nicht. Die Stadt will nämlich Ibbenbecks herrliche Villa kaufen, um dort ein Kurzentrum zu errichten. Als der alte Mann aus guten Gründen ablehnt, lässt der Bürgermeister ihn kurzerhand entmündigen und in ein Sanatorium bringen ...

»Wie viele sind noch da?«, fragte Dr. Willenberg seine Sprechstundenhilfe.

Lotta Cornelsen seufzte tief.

»Noch neunzehn, Herr Doktor Willenberg.«

Sie arbeiteten bereits mehr als zwei Stunden, und das Wartezimmer hatte sich immer noch nicht geleert.

»Dann müssen wir uns beeilen«, erwiderte Wolfried Willenberg. »Rufen Sie den Nächsten herein.«

»Es ist der alte Ibbecken. Dass der überhaupt noch lebt ... Ist ja eine Sünde und Schande, wie es bei dem zugeht. Man muss sich richtig dafür schämen.«

»Wieso?«, fragte Dr. Willenberg ziemlich gleichgültig. Klatsch interessierte ihn wenig, obwohl seine Sprechstundenhilfe ihn stets mit den letzten Neuigkeiten aus dem Kurort versorgte.

»Nach dem Tode seiner Frau fing alles an. Früher einmal hatte er eine ordentliche Pension, aber dann hatte er keine Lust mehr und war vielleicht auch schon zu alt. Eine große Rolle spielt natürlich auch die Frau, die er sich da ins Haus geholt hat, ein junges, freches Ding, soweit ganz hübsch, aber ...«

»Ach so, der Ibbecken.« Es war unmöglich, von diesem Mitbürger noch nichts gehört zu haben. »Er besitzt das große Grundstück am Hang, nicht wahr?«

»Das größte und schönste des ganzen Ortes, aber niemand kümmert sich darum. Früher hat ein Gärtner alles instand gehalten, aber jetzt ... Die Frauen, die dort wohnen, sind ja viel zu faul, irgendetwas anzufassen. Dass man so etwas dulden muss.«

»Wieso? Hat er ein Bordell?«, fragte Dr. Willenberg nun doch neugierig.

»So etwas Ähnliches. Er hat Frauen aufgenommen, die Kinder haben, aber keinen Mann, oder die ihren Ehemännern weggelaufen sind. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.«

»Schicken Sie ihn rein, bitte.« Der Arzt fand, dass er schon genug Zeit mit diesem Gespräch verschwendet hatte. Er stand auf, als der alte Rentner das Sprechzimmer betrat. Vierundachtzig?, fragte er sich verwundert. Der Mann sah sehr viel jünger aus, er hätte ihn auf Anfang siebzig geschätzt. Sein Händedruck war männlich herzhaft, stellte Dr. Willenberg fest.

»Was führt Sie zu mir?«, fragte er freundlich.

»Meine Frauen«, erwiderte Karl Ibbecken. »Die haben mich so lange bekniet, bis ich nachgegeben habe, um Ruhe zu finden. Dabei fehlt mir eigentlich gar nichts. Nur meine Verdauung ist nicht immer so, wie sie sein sollte, aber das kann man ja wohl nicht Krankheit nennen.«

»Wie viele Frauen haben Sie?«, fragte Wolfried humorvoll.

»Im Augenblick acht, aber das wechselt. Und damit Sie gleich Bescheid wissen, Herr Doktor Willenberg, Tabletten schlucke ich nicht. Ich lebe gesund, und von diesem Giftzeug halte ich nichts. Wahrscheinlich fühle ich mich auch nur so rüstig, weil ich Ärzten bisher tunlichst aus dem Weg gegangen bin.«

Wolfried nahm ihm seine Offenheit nicht übel.

»Machen Sie Ihren Oberkörper bitte frei.« Der Arzt untersuchte ihn und fand Karl Ibbeckens Selbsteinschätzung bestätigt. »Sie sind noch tadellos in Ordnung«, stellte er fest. »Herz, Lunge, Kreislauf ... Ich wünschte, mehr Menschen würden so vernünftig leben wie Sie.«

»Dabei sagen alle, ich wäre verrückt«, erklärte Karl Ibbecken lachend, während er sein kariertes Hemd zuknöpfte.

»Wieso?«, fragte Dr. Willenberg freundlich.

»Weil ich nicht verkaufen will. Die sind ja alle ganz verrückt nach meinem Grundstück. Was haben die mir schon alles geboten. Zuletzt eineinhalb Millionen.«

»Donnerwetter!« Der Arzt war ehrlich beeindruckt.

»Sind immerhin sechzehneinhalbtausend Quadratmeter in bester Lage. Wie die auf mich eingeredet haben, wie auf einen kranken Gaul.«

»Haben Sie das Angebot nicht erwogen? Eineinhalb Millionen sind ein Batzen Geld.«

»Ich habe genug. Ich bekomme eine gute Rente. Gemüse bauen wir selbst an, dann haben wir noch ein paar Hühner, drei Schweine, und ginge es nach Donata, dann hätten wir auch eine Ziege.«

»Donata ist eine Ihrer Frauen?«

»Die Frau«, berichtigte Karl Ibbecken ihn. »Mit ihr fing eigentlich alles an. Meine Frau war lange Jahre tot, und ich war auf dem besten Wege, gründlich zu verludern. Und dann kam Donata. Sie zog zu mir und kümmerte sich um alles. Durch sie bin ich wieder jung geworden. Eine fabelhafte Frau. Wenn Sie mal eine suchen, dann sollten Sie zu uns raufkommen, Doktor Willenberg.«

»Werde ich mir notieren«, versicherte Wolfried grinsend. »Dann noch alles Gute, Herr Ibbecken.«

»Danke. Sie scheinen ein ungewöhnlich vernünftiger Mann zu sein, jedenfalls für einen Arzt. Die meisten stellen ja irgendwelche Krankheiten fest, die behandelt werden müssen, wenn man als Privatpatient kommt.«

»Ich muss eben noch lernen«, meinte Wolfried.

»Kommen Sie doch einfach mal so rauf«, lud ihn Karl Ibbecken ein. »Ich habe zwar seit ewigen Zeiten kein Lokal mehr, aber eine Flasche Bier kriegen Sie bei mir jederzeit. Anfangs war Donata dagegen, aber jetzt nicht mehr. Irgendein Laster muss der Mensch schließlich haben, und für Frauen bin ich schon ein paar Tage zu alt.«

»Gegen eine Flasche Bier ist nichts einzuwenden.«

»Sag ich doch. Dann vielleicht auf bald. Ich würde mich wirklich freuen.«

»Warum nicht? Ich gehe abends gern spazieren, und wenn mich mein Weg in Ihrer Nähe vorbeiführt, komme ich mal vorbei.«

»Sollte es nicht an Ihnen liegen, wohin Ihr Weg Sie führt?«, fragte Karl Ibbecken. »Sie haben ja keine Frau, die Ihnen vorschreibt, wohin Sie zu gehen haben. Also dann auf bald. Hat mich wirklich gefreut, Sie kennengelernt zu haben, Doktor Willenberg.«

»Die Freude ist ganz auf meiner Seite«, antwortete der Arzt, und das war mehr als eine Höflichkeitsfloskel. »Ein interessanter Mann«, sagte er zu Fräulein Cornelsen, als sie den Patienten hinausgeleitet hatte.

»Finden Sie? Den haben die doch nur für Sie herausgeputzt, oder glauben Sie, der liefe immer so sauber herum?«

»Wie läuft Herr Ibbecken denn sonst rum?«

»Unmöglich! Er hat immer uralte Hosen an, karierte Hemden und ausgelatschte Sandalen. Und dabei könnte er vielfacher Millionär sein und sich alles leisten, wenn er nur wollte. Die Frauenzimmer, die bei ihm wohnen, liegen ihm auf der Tasche. Uneheliche Kinder haben sie, womöglich noch von verschiedenen Vätern. Immerhin zeigen sie sich nur selten in der Öffentlichkeit.«

»Sie machen mich wirklich neugierig«, versicherte Dr. Willenberg.

»Gehen Sie da bloß nicht hin. Der Bote vom Lebensmittelgeschäft hat mal einen Blick in die Küche geworfen. Unglaublich, wie es da aussah. Na ja, was kann man von solchen Frauen schon anderes erwarten.«

»Kochen Sie uns eine Tasse Kaffee, Fräulein Cornelsen?«

»Bin schon dabei.« Das Wasser kochte gerade, und Lotta goss das Wasser in den Filter, in den sie schon Kaffee gefüllt hatte. »Wenn er verkaufen würde, dann könnte man dort oben eine kleine Siedlung bauen, ein paar schöne Bungalows oder, noch besser, vielleicht ein großes Hotel. Der Blick von dort ist einmalig. Ich finde, es ist eine Sünde und Schande, dass so einer tun und lassen darf, was er will.«

»Ja, eine Diktatur müsste man haben«, meinte Dr. Willenberg mit todernstem Gesicht. »Dann könnte so etwas nicht passieren.«

Lotta Cornelsen warf ihm einen schiefen Blick zu.

»Sie sind noch nicht lange hier, sonst würden Sie uns besser verstehen. Solch ein Haus ist ein Ärgernis für den Ort. Hätte er seine Pension weitergeführt wie früher, dann hätte kein Mensch etwas dagegen gehabt. Waren ja mal ordentliche Leute, die Ibbeckens, aber jetzt, wo er all diese Frauen mit den unehelichen Kindern dort beherbergt.«

»Also alles Frauen, die nichts taugen«, hakte Dr. Willenberg in ironischem Ton nach. »Das meinen Sie doch, nicht wahr?«

»Ganz recht, Herr Doktor. Ein anständiges Mädchen bekommt kein uneheliches Kind.«

Lotta Cornelsen schwärmte einerseits für den jungen Doktor, andererseits war sie mit ihm oftmals gar nicht einverstanden. Mitunter hatte er Ansichten, die sie absolut nicht billigen konnte. Schließlich musste man wissen, was sich schickte.

Sie goss ihm die Kaffeetasse voll und wunderte sich nicht, dass ihm so ein Sonderling wie der alte Ibbecken sympathisch war.

♥♥♥

»Was hat der Arzt gesagt?« Donata, Karl Ibbeckens »Lieblingsfrau«, erwartete den alten Herrn an der Gartenpforte.

Karl schnitt eine Grimasse.

»Ich werde mich wohl bald nach einem Platz auf dem Friedhof umschauen müssen«, erwiderte er.

»Nein!« Entsetzt packte Donata seinen Arm. Sie war sehr blass geworden.

»War doch nur ein Scherz, Mädchen. Er sagt, ich hätte ein Herz wie ein junger Mann, und um meinen Kreislauf könnten die meisten mich nur beneiden. So schnell werdet ihr mich nicht los.«

»Du hast mir einen schönen Schreck eingejagt. Stimmt das auch wirklich?«

»Ja, es stimmt. Vielleicht hast du bald Gelegenheit, den Arzt selbst zu fragen. Ich habe ihn nämlich eingeladen, mal ein Bierchen mit mir zu trinken.«

»Und du darfst weiterhin Bier trinken?«

»Ja, er hat nichts dagegen. Ein wirklich vernünftiger Mann, der Doktor. Den solltest du für dich vormerken.«

»Onkel Karl!«

»Also das eben war kein Scherz, das habe ich ernst gemeint. Du brauchst einen Mann. Du bist ein rundherum nettes und patentes Mädchen, das hier oben hoffnungslos versauert. Wie willst du jemals einen Mann kennenlernen, wenn du hier kaum einmal rauskommst?«

»Du machst dir völlig unnötige Gedanken. Mir gefällt mein Leben, und mir fehlt nichts zu meinem Glück. Am allerwenigsten ein Mann. Was ich von Männern halte, weißt du ja.«

»Du hast schlechte Erfahrungen gemacht, aber die darfst du nicht verallgemeinern.«

»Und Petra, Gisela, Ellen und die anderen? Was für Erfahrungen haben die gemacht?«

»Ich habe auch meine Erfahrungen gemacht, ich war sogar verheiratet. Und ich habe keinen Tag meiner Ehe bereut. Sie war ein Prachtmädel, meine Karoline. Mit der hättest du dich bestimmt auch gut verstanden.«

»Hat der Arzt deine Einladung angenommen?«, wollte Donata wissen, ohne auf seine Bemerkungen über seine verstorbene Frau einzugehen.

»Nicht direkt. Wenn es sich ergibt, will er mal reinschauen. Du brauchst dich deshalb nicht extra hübsch zu machen. Was du zu bieten hast, reicht allemal. Wäre ich ein paar Monate jünger, ich glaube, ich käme noch auf dumme Gedanken.«

»Vielleicht kommt er gar nicht.«

»Doch, ich glaube schon. Doktor Willenberg ist wirklich ein netter Kerl, und für einen Arzt hat er sehr vernünftige Ansichten. Er hält auch nicht viel von Tabletten und Spritzen bei kleinen Wehwehchen. Wenn ich mal wirklich was habe, musst du ihn rufen und keinen anderen.«

»Hoffentlich ist das nie der Fall.«

»Das wünsche ich mir auch. Was gibt es denn heute zu essen?«

»Erbsensuppe. Petra kocht.«

»Na ja, vielleicht hat sie inzwischen etwas dazugelernt. In eine gute Erbsensuppe gehört viel Porree. Und der darf nicht zu weich gekocht werden.«

Donata lächelte über den alten Herrn, der noch so viel Freude am Essen hatte.

Karl verstand natürlich, was sie dachte, und tätschelte ihr liebevoll den Arm.

»Wenn man alt wird, dann bleibt einem nicht mehr viel, Kindchen. Und wenn man noch Freude am Essen hat, dann muss man dem Schicksal dankbar sein. Wie riecht denn das? Doch nicht nach Erbsensuppe.«

Sie hatten inzwischen die riesige, altmodische Villa erreicht, die er vor vielen Jahrzehnten einmal zu einer Pension hatte umbauen lassen. Der alte Ibbecken schüttelte den Kopf, als er den Duft identifiziert hatte.

»Pfannkuchen«, stieß er verächtlich hervor.

»Sie haben Angst, dass ihnen die Erbsensuppe auf die Hüften geht«, entschuldigte Donata die Frauen, die Karl Ibbeckens Leibgericht verschmähten.

»Genau wie Karoline. Die hat sich auch immer was anderes gekocht, wenn ich Erbsensuppe haben wollte.«

Karl blieb stehen und betrachtete das Haus mit den vielen Erkern und Türmchen, als sähe er es zum ersten Mal.

»Und das wollen sie abreißen«, knurrte er. »Solange ich lebe ...« Er brach ab und schüttelte den Kopf über das, was ihm plötzlich eingefallen war.

»Was hast du, Onkel Karl?«

»Ich habe gerade darüber nachgedacht, was wird, wenn ich nicht mehr lebe. Und was wird aus euch, wenn ich mir mal die Radieschen von unten anschaue?«

»Das wird noch lange hin sein. Mach dir darüber keine Gedanken, Onkel Karl.« Schon seit Langem gebrauchte sie die Anrede Onkel, obwohl sie keineswegs verwandt waren.

»In meinem Alter kann so etwas plötzlich kommen. Ein kleiner Schnupfen kann mich schon umwerfen.« Karl Ibbecken rieb sich mit der flachen Hand sein Kinn, während er unverwandt auf das Haus schaute, das er wirklich liebte.

Hier war er geboren worden, und die schönsten Erinnerungen seines Lebens knüpften sich an dieses Haus. Hier hatte er mit Karoline gelebt, und nach seinem Tode würde irgendjemand, den er überhaupt nicht kannte, das hier erben und sicherlich verkaufen. Dann bauten sie bestimmt einen dieser grässlichen Betonklötze hierhin.

Beim Nachdenken kaute Karl Ibbecken auf seiner Unterlippe. Er trug eine Verantwortung für die Frauen, die hier für längere oder kürzere Zeit eine Art Heim gefunden hatten. Und vor allem fühlte er sich für Donata verantwortlich, dieses Mädchen, das ihm ans Herz gewachsen war wie eine Tochter.

Auch Donata mochte ihn sehr, den alten, bärbeißigen Kerl, der sonst keine Freunde mehr hatte. Sie waren inzwischen alle vor ihm weggestorben, und neue Freunde hatte er nicht gefunden.

»Wir haben lange auf dich gewartet«, riss ihn Donatas Stimme aus seinen Gedanken.

»Es war sehr voll beim Doktor. Der Willenberg hat einen tollen Betrieb. Die Praxis vom alten Bellmann, die er gekauft hat, lief ja zum Schluss überhaupt nicht mehr. Wer geht auch schon zu einem Arzt, der selbst krank ist und sich nicht helfen kann? Der neue Arzt hat eine hübsche Sprechstundenhilfe, die Tochter von den Cornelsens. Alteingesessene Familie, ziemlich eingebildet.«

»Ach ja?«

»Ja, die geben sich nicht mit jedem ab. Ich glaube, die Lotta spielt da nur die Sprechstundenhilfe, weil sie das Abitur nicht geschafft hat. Ach, egal. Sollen sie machen, was sie wollen, solange sie uns in Ruhe lassen. Und du, Donata. Willst du nicht wieder zurück?«

»Nein!« Das klang kurz und hart, völlig unerwartet aus dem Munde dieses wunderschönen Mädchens.

Ihr kurz geschnittenes blondes Haar glänzte in der Sonne. Sie trug ein Dirndlkleid, darüber eine praktische Schürze, die keineswegs nur Zierde war.

»Ich glaube, deine Suppe ist jetzt fertig, Onkel Karl. Lass uns reingehen.«

»Wer kommt denn da?«, rief Karl. Er beugte sich nieder und hob das Mädelchen einen Moment hoch, das auf ihn zugelaufen kam. »Ist das nicht die Melanie?«

»Hast du uns was mitgebracht, Onkel Karl?«, fragte die Kleine zappelig.

»Melanie!«, wies Donata sie zurecht, während der alte Herr nur behäbig lachte.

»Ja. Aber das bekommst du nicht vor dem Essen. Und du brauchst es deiner Mutti nicht unbedingt zu zeigen, verstehst du?«

»Schokolade? Hast du uns Schokolade mitgebracht?«

»Hör mal weg, Tante Donata«, wandte sich Karl an das Mädchen. »Ja, hab ich, für jeden eine Tafel. Aber verratet mich nicht, sonst werde ich ausgeschimpft.«

»Mensch, Onkel Karl, du bist wirklich prima«, rief Melanie.

Karl machte den Kindern gern eine Freude, denn sie waren alle so nett.

♥♥♥

»Ich mag aber lieber gebratenes Fleisch als diese olle Suppe«, verkündete Jürgen Diekmann an der großen Tafel im Esszimmer. »Immer Suppen.«

»Halt den Mund!«, wies ihn seine Mutter zurecht und warf einen um Entschuldigung bittenden Blick auf ihren Wohltäter. »Die Suppe schmeckt sehr gut.«

»Fleisch schmeckt viel besser«, widersprach Jürgen eigensinnig.

Wortlos legte ihm Karl ein großes Stück Kassler aus der Suppe auf seinen Teller.

»Du musst ja noch wachsen und groß und stark werden«, erklärte er dabei.

»Wenn ich groß und stark bin, dann verhaue ich den Siegfried.«

»Ihr sollt euch vertragen«, mahnte Karl. »Und nun iss schön. Übermorgen gibt es wieder Fleisch. Oder reicht das Geld nicht mehr, Donata?«, wandte er sich an das Mädchen, das praktisch dem Haushalt vorstand.

»Ich werde einmal sehen ... vielleicht ...«

»Dass wir auch so wenig Geld von der Fürsorge bekommen«, knurrte Ellen Becker, Mutter von Zwillingen, die rechts und links neben ihr saßen, gerade alt genug, um allein essen zu können.

Die anderen Frauen am Tisch bekundeten nickend ihre Zustimmung.

»Beklagt euch nicht, wir kommen hier doch gut zurecht«, meinte Karl Ibbecken.

»Wenn du wenigstens einen Teil deines Grundstücks verkaufen würdest.« Ellen Becker hatte ein hübsches Gesicht, das aber meistens einen missmutigen Ausdruck trug. Sie haderte mit ihrem Schicksal, denn sie hatte immer nur Pech gehabt.

»Ausgeschlossen!«

»Es braucht ja nicht viel zu sein. Nur tausend Quadratmeter, das würde schon genügen. Dann hätten wir endlich etwas Geld in den Händen. Ich mag mich draußen in meinen unmodernen Sachen gar nicht mehr sehen lassen. Und hier liegt das Geld sozusagen herum.«