Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 571 - Yvonne Uhl - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 571 E-Book

Yvonne Uhl

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Beschreibung

Mit gesenkten Köpfen knien Claudia Komtess Hauff und Julian Graf Thorbach vor dem Altar und geben einander ihr Jawort. Sie sind ein reizendes Brautpaar, die anmutige Claudia und der attraktive Julian. Jubelnd setzt die Orgel ein. Das Glück strahlt Claudia aus den Augen. Endlich ist sie Julians Frau! Sie liebt den Grafen mehr als ihr Leben. Nun schreitet sie an seinem Arm durch das Mittelschiff und hinaus ins Freie. Dort wartet die geschmückte weiße Hochzeitskutsche auf sie, vor die vier Schimmel gespannt sind. Kinder streuen Rosenblüten - als plötzlich eine fremde Frau aus der Menge tritt und den Bräutigam beschuldigt ...


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Inhalt

Cover

Tränen unterm weißen Schleier

Vorschau

Impressum

Tränen unterm weißen Schleier

Ihr Leid begann am Hochzeitstag

Mit gesenkten Köpfen knien Claudia Komtess Hauff und Julian Graf Thorbach vor dem Altar und geben einander ihr Jawort. Sie sind ein reizendes Brautpaar, die anmutige Claudia und der attraktive Julian. Jubelnd setzt die Orgel ein. Das Glück strahlt Claudia aus den Augen. Endlich ist sie Julians Frau! Sie liebt den Grafen mehr als ihr Leben. Nun schreitet sie an seinem Arm durch das Mittelschiff und hinaus ins Freie. Dort wartet die geschmückte weiße Hochzeitskutsche auf sie, vor die vier Schimmel gespannt sind. Kinder streuen Rosenblüten – als plötzlich eine fremde Frau aus der Menge tritt und den Bräutigam beschuldigt ...

Die Stimme des Geistlichen erfüllte das hohe Kirchengewölbe. Mit gesenkten Köpfen kniete das Brautpaar vor ihm.

Tränen traten Senta Gräfin Hauff in die Augen.

Ihre kleine, bezaubernde Claudia! War sie nicht noch ein Kind mit ihren großen blauen Augen und dem goldbraunen Haar? Ihre Anmut entwaffnete jeden. Und heute war ihre Hochzeit. Heute verliere ich sie, dachte die Gräfin.

Sanft legte Arne Graf Hauff seine Hand auf die zitternden Finger seiner Gemahlin.

Kopf hoch, Senta, bedeutete diese Geste. Alle Eltern müssen sich einmal damit abfinden, dass ein fremder Mann kommt und ihnen das Töchterchen fortnimmt.

Ich könnte mir doch keinen besseren Schwiegersohn wünschen als Julian!, dachte die Gräfin. Er geht so zärtlich mit Claudia um, als sei sie ein Kleinod.

Und doch ist es ein wenig zu früh, überlegte die Gräfin bestürzt. Sie hätten die Verlobungszeit noch eine Weile verlängern sollen.

Beinahe verpasste die Gräfin die feierliche Zeremonie. Die goldenen Ringe waren schon getauscht. Und gerade gaben sich Claudia und Julian ihr Jawort.

Mit voller männlicher Stimme der Bräutigam. Zaghaft und leise antwortete Claudia Komtess Hauff dem Pfarrer.

Der Geistliche segnete das Paar, sprach das Gebet, und dann setzte jubelnd die Orgel zum Choral ein.

Helle Kinderstimmen erklangen von der Empore.

»Arne, unsere kleine Claudia«, schluchzte die Gräfin. »Wie still wird es ohne sie sein!«

»Sie bleibt doch unsere Tochter, mein Herz«, sprach der Graf ruhig auf seine Gattin ein.

Das Brautpaar vor dem Altar drehte sich um, und den Hochzeitsgästen ging das Herz auf vor der jungenhaften Männlichkeit des frischgebackenen Ehemannes und der süßen Anmut der Braut.

Stolz führte Julian Graf Thorbach seine Claudia die drei Stufen hinunter zum Mittelschiff.

Helene Gräfin Thorbach trat zu ihnen, umarmte Claudia und Julian und sprach die ersten Segenswünsche für eine glückliche Ehe aus.

Auch die Brauteltern umarmten das junge Ehepaar.

Unter den Klängen der Orgel schritt Claudia am Arm ihres Mannes durch das Mittelschiff. Sie trug ein langes weißes Atlaskleid. Ein schmaler Myrtenkranz und ein Diadem hielten den Spitzenschleier. Das üppige braune Haar quoll unter dem weißen Hauch hervor. Ein Strahlen lag auf Claudias zartem Gesicht.

So hatte sie sich ihre Hochzeit vorgestellt! Sie wandte den Kopf, um Julian anzublicken. Als er ihren Arm an sich drückte, spürte sie, wie sehr er ihre Liebe erwiderte. Am liebsten wäre sie ihm jetzt – ungeachtet der vielen Hochzeitsgäste – um den Hals gefallen.

Jetzt bin ich Gräfin Thorbach, dachte Claudia. Ich bin Julians Frau.

♥♥♥

Als sie ins Freie traten, brach lauter Jubel los. Die Freunde des Ehemannes umringten das Paar.

»Vivat!«, schrien sie. »Es lebe das junge Paar!«

Alle drängten sich zu Claudia und Julian. Alle wollten gratulieren. Die Untergebenen von Schloss Thorbach, die Angestellten der Hauffschen Spielzeugwerke, viele Freunde und Verwandte.

Der alte Graf Hauff, ein Großonkel von Claudia, drängte sich vor und zog seine Großnichte an sich.

»Alles Gute!«, rief er dröhnend und hielt Claudia ein Stück von sich ab.

Die Mittagssonne spielte mit ihrem Haar.

»Glücklich die Braut, die vom Sonnenlicht beschienen wird!«, sagte der alte Herr begeistert. »Was für ein gutes Omen für die Zukunft!«

Viele Leute klatschten in die Hände.

Niemand beachtete die junge Frau mit dem schulterlangen Haar, die neben der Hochzeitskutsche stand. In ihren Armen hielt sie ein etwa dreijähriges Mädchen. Sie presste die Kleine an sich.

»Oh mein Liebling«, murmelte sie in das Haar der Kleinen.

»So viele Menschen, Mami«, stammelte das Kind erschrocken und schmiegte sich in die Arme der Mutter.

Als Julian und Claudia auf die weiße Hochzeitskutsche zuschritten, umtänzelt von den weiß gekleideten Kindern, die kleine Rosenblüten vor die Schuhe der Brautleute streuten, erstarrte die junge Frau.

Mit ein paar Schritten verstellte sie dem jungen Paar den Weg.

»Nun?«, fragte sie kalt und fasste Julian fest ins Auge. »Darf dir deine Tochter auch viel Glück wünschen?«

Es war, als sei plötzlich ein Schatten über die eben noch so zauberhafte Szene gefallen.

»Cornelia, was fällt dir ein?«, schrie eine Stimme. »Bist du von Sinnen?«

Julian hörte es kaum, und doch prägten sich diese Worte in sein Gedächtnis. Er blickte die junge Frau zornig an.

»Gehen Sie mir aus dem Weg. Ich kenne Sie nicht!«, fuhr er die Fremde an.

Das kleine Mädchen begann zu schluchzen.

Claudia erwachte aus ihrer Erstarrung. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals so entsetzliche Sekunden durchlebt zu haben wie jetzt, so kurz nach ihrer kirchlichen Trauung mit dem Mann, den sie von ganzem Herzen liebte.

Aber dies war kein Albtraum, aus dem sie bald erwachen würde. Es war die Wirklichkeit. Eine Frau behauptete, dass Julian der Vater ihres Kindes sei.

Sie trat hastig zur Seite, sodass Julians Hand sich aus ihrem Arm löste. Die flamingoroten Rosen fielen zu Boden.

»Steigen wir ein, Claudia! Das ist eine Verrückte!«, beschwor Julian seine junge Frau.

Er wollte Claudia auf die weiße Kutsche zuführen, die über und über mit roten und weißen Rosen geschmückt war, und war fassungslos, als Claudia wie gebannt stehen blieb.

»Fahre allein«, sagte sie zu Julian und starrte ihn trotzig an. »Du glaubst doch nicht, dass mir jetzt nach einer Feier zumute ist?«

Ihre blauen Augen füllten sich mit Tränen. Sie drehte sich um und warf sich schluchzend an die Brust ihres Vaters.

»Papa, ich bin ja so unglücklich!«

In der Unruhe, die nun einsetzte, verschwand die junge Fremde mit ihrem Kind.

Der Skandal war perfekt. In Windeseile sprach sich das Ereignis herum. Die tollsten Gerüchte kursierten.

Weinend ließ sich die Braut von ihren Eltern zu der eleganten schwarzen Limousine führen.

Verstört stieg Julian allein in die Kutsche. Seine Mutter, Helene Gräfin Thorbach, setzte sich ihm gegenüber. Ihr Gesicht war undurchdringlich, wie aus Stein gemeißelt.

»Befiehl dem Kutscher endlich loszufahren!«, fuhr sie ihren Sohn an.

Julian, noch völlig benommen, gehorchte. Der Kutscher knallte mit der Peitsche. Die vier Schimmel – ebenfalls prächtig für den großen Tag geschmückt – setzten sich in Bewegung.

Die Brautjungfern, Freunde, Hochzeitsgäste und Kirchgänger blieben in Gruppen zurück.

Ratlos fragte man sich, wer die junge Frau mit dem Kind wohl gewesen sein mochte.

♥♥♥

»Das ist die Höhe, Julian«, sagte indessen Gräfin Thorbach zu ihrem Sohn. »Heute glaubte ich, einen Schlussstrich unter alle Kümmernisse der letzten Jahre ziehen zu können. Und was präsentierst du mir an deinem Hochzeitstag? Eine Frau mit einem unehelichen Kind von dir! Wundervoll! Ich bin hingerissen von deinem Sinn für Affekte.«

»Mama!«, rief Julian schmerzlich aus. »Ich schwöre dir, dass ich diese Frau noch nie gesehen habe! Das ist nicht mein Kind! Wo mag Claudia hingefahren sein?«

»Das fragst du noch?«, höhnte die Gräfin. »Deine Ehe existiert nicht mehr. Darüber kommt Claudia nicht hinweg! Diese Blamage vor allen Leuten. Und ich kann es ihr nicht einmal verübeln, wenn sie heute noch die Scheidung einleitet.«

Julian starrte seine Mutter entsetzt an.

»Mama, wie kannst du das nur sagen?«, fragte er bestürzt. »Was hat dich nur so hart gemacht, Mama?«

Helene Gräfin Thorbach gab ihrem Sohn keine Antwort. Die Hoffnung, dass endlich Glück in ihr Leben einziehen würde, war zerbrochen.

Sie würde weiterhin isoliert leben müssen. Nie hatte sie es verstanden, von den Leuten dieser Gegend anerkannt zu werden.

»Ich bin fertig mit dir«, sagte sie. »Es wäre besser, du würdest Schloss Thorbach heute noch verlassen und nie mehr zurückkehren.«

»Du schickst mich auch fort – genau wie Ulrich?«, stieß Julian hervor. »Warum machst du dir die ganze Welt zum Feind?«

»Das fragst du mich?« spottete die Gräfin. »Ausgerechnet du, der du mir so viel Schmach angetan hast?«

Julian schwieg. Sein Schmerz um Claudia war grenzenlos. Er wollte so gerne in Ruhe überlegen, und stattdessen machte ihm seine Mutter eine solche Szene.

»Ich werde Schloss Thorbach nicht verlassen«, sagte er leise. »Du vergisst, dass ich Erbe des Thorbach-Vermögens bin und ein Recht habe, im Schloss zu wohnen.«

»Noch bin ich nicht tot«, warnte die Gräfin ihn. »Ich kann deine Anwesenheit nicht mehr ertragen, Julian.«

»Mama, ich bin dein Sohn. Du hast nur noch mich auf der Welt!« Betroffen sah der junge Mann sie an.

»Ich brauche niemanden. Meine ganze Familie hat mich zutiefst enttäuscht!« Sehr scharf klang die Stimme der Gräfin.

»Ich werde, wenn du mich nicht mehr ertragen kannst, ins Jagdhaus im Wald übersiedeln und den Diener Marksen zu meiner Betreuung mitnehmen«, gab Julian seiner Mutter zu verstehen. Dann versank er in tiefes Schweigen.

Wie konnte er mit Claudia in Kontakt kommen? Und was ging jetzt in dem schönen, kleinen Barockschlösschen vor sich, wo über sechzig Hochzeitsgäste geladen waren?

»Kutscher!«, rief er. »Kehren Sie um. Fahren Sie zu den Hauffs!«

»Nein!« Die Gräfin starrte ihn hasserfüllt an. »Hast du denn gar keinen Stolz? Willst du dich den Hauffs aufdrängen?«

»Ich bin der Ansicht, Mama, dass ein Ehemann am Hochzeitstag an die Seite seiner Frau gehört!«, erwiderte Julian. »Ich hatte noch keine Gelegenheit, Claudia zu erklären, dass es sich um einen Irrtum handelt und dass ich diese Frau noch nie gesehen habe.«

»Du lügst! Und deine Frau wird sofort wissen, dass du die Unwahrheit sagst.«

»Du hast meine erste Verwirrung ausgenutzt und mich überredet, nach Hause zu fahren. Dein Rat war falsch.«

Der Kutscher wendete, als sich eine Gelegenheit dazu ergab, und ließ die Kutsche in die andere Richtung rollen.

»Halt, Kutscher! Halten Sie an!«, rief die Gräfin zornig.

»Wieso? Was hast du jetzt vor?«, fragte Julian.

»Ich steige aus und gehe zu Fuß zum Schloss. Du glaubst doch nicht, dass ich mich an diesem Spießrutenlaufen auf Schloss Hauff beteiligen werde?«

»Gut. Kutscher, lassen Sie bitte die Gräfin aussteigen.«

Der Mann folgte dem Befehl. Julian sprang aus der Kutsche und reichte seiner Mutter hilfsbereit die Hand, doch Helene Gräfin Thorbach übersah sie.

»Fahren Sie jetzt zum Schloss Hauff!«, befahl Graf Julian, als er wieder eingestiegen war.

Er sah sich nicht um nach der schmalen Gestalt im grauen Spitzenkleid, die bewegungslos auf der Straße stehen blieb und der weißen Kutsche nachblickte.

♥♥♥

»Trockne dir endlich die Tränen! Du musst nach unten kommen und deinen Gatten entschuldigen«, verlangte Arne Graf Hauff von seiner Tochter.

Mit tränenfeuchtem Gesicht wandte sich Claudia, die in den Armen ihrer Mutter lag, ihm zu.

»Papa«, stammelte sie, »das kann doch nicht dein Ernst sein! Ich kann nicht Gästen gegenübertreten, die hergekommen sind, um mein Glück zu feiern!«

Von Neuem bekam sie einen Weinkrampf. Haltlos schluchzend schmiegte sie sich an Senta Gräfin Hauff.

»Mama, hilf mir doch!«

Die Gräfin strich ihrer Tochter über die Schulter.

»Keiner kann von dir verlangen, deine Blamage vor aller Welt zuzugeben!«, erklärte sie.

Graf Hauff stöhnte auf. Wenn seine Gemahlin und seine einzige verwöhnte Tochter sich miteinander verschworen, dann hatte er keine Macht mehr.

»Und wie soll es eurer Meinung nach weitergehen? Die Szene auf dem Kirchplatz war schon peinlich genug. Sollen wir vielleicht die Gäste alle wieder fortschicken? Sollen die vielen Speisen, die die Köchin mit großer Liebe angerichtet hat, verderben?«

»Das ist mir egal, Papa!«, wimmerte Claudia. Sie taumelte zu einem Sessel und ließ sich dort niedersinken.

Natürlich tat seine Tochter ihm leid. Aber dennoch verlangte Graf Hauff Disziplin.

»Entweder du bist ein verzogenes, unreifes Kind, das sich ganz seinem Kummer hingibt und sich selbst leid tut«, fuhr er seine Tochter scharf an, »oder du bist erwachsen. Als verheiratete Frau und Gräfin Thorbach müsstest du wissen, dass du dein Gesicht wahren musst, Claudia!«

Arne Graf Hauff wagte nicht, zu seiner Frau hinüberzublicken. Sicher sah sie ihn jetzt vorwurfsvoll an und hielt ihn für kalt und gefühllos.

»Wir haben das Schloss voller Gäste«, fuhr er schwer atmend fort. »Ich habe auch ein Gesicht zu wahren. Ich bin Geschäftsmann. Freunde, Bekannte und sogar der Bürgermeister von Hainhausen sind gekommen. Wir müssen uns um sie kümmern. Claudia, ich fordere dich noch einmal auf, dir die Tränen zu trocknen und dein Gesicht in Ordnung zu bringen.«

»Ich kann nicht, Papa. Ich schäme mich so schrecklich.«

»Dazu ist kein Grund vorhanden«, fuhr der Schlossherr sie an. »Und was Julian betrifft ...«

»Sprich diesen Namen nicht aus!«, schrie Claudia. »Ich will nichts mehr von ihm wissen! Ich hätte mir denken müssen, dass er bisher nicht wie ein Mönch gelebt hat. Er hat sich bestimmt ausgetobt auf seinen vielen Reisen und in jeder Stadt eine Geliebte!« Wieder schluchzte sie auf.

»Sei nicht hysterisch«, ermahnte sie ihr Vater. »Dass dieses fremde Mädchen mit dem Kind deinen Mann wirklich kennt, ist doch sehr fraglich. Ich bitte dich, dein Mann war bisher Student, und in den Kreisen der Kommilitonen sind raue Scherze an der Tagesordnung. Ich glaube, dass sich die Studienfreunde von Julian einfach einen Spaß erlaubt haben, Claudia.«

»Du willst mich ja bloß beruhigen!«, flüsterte die junge Braut.

»Julian war doch wie vom Donner gerührt. Und er sah die Fremde an, als habe er sie noch nie gesehen! Du aber hast ihn nicht zu Wort kommen lassen, bist einfach weggelaufen und hast ihm keine Gelegenheit gegeben, sich zu rechtfertigen.«

»Die Schuld stand ihm ins Gesicht geschrieben«, flüsterte Claudia. »Nein, so einen Spaß würden sich Julians Freunde nie erlauben. Die Szene hat eingeschlagen wie eine Bombe. Ich kann keinem Menschen mehr in die Augen blicken.«

Arne Graf Hauff sah ein, dass er seine Tochter nicht bewegen konnte, zu den Gästen zu gehen.

»Komm, Senta, dann müssen wir uns um die Gäste kümmern.«

»Kann ich denn das Kind allein lassen?«, stammelte die Gräfin schmerzlich berührt.

»Senta, dieses Kind ist seit heute eine Ehefrau! Verwöhne sie nicht so. Claudia hätte noch nicht heiraten sollen. Sie ist ja gar nicht reif dazu, eine Ehe einzugehen, wenn schon der kleinste Sturm sie umwirft. Also komm, Senta.«

Ungeduldig wartete der Graf an der Tür. Als die Gräfin ihm entgegenkam, nahm er hastig ihren Arm und führte sie hinaus. Etwas unsanft fiel die hohe, kunstvoll geschnitzte Eichentür hinter ihnen ins Schloss.

»Ich beschwöre dich, Senta, Claudia nicht auch noch in ihrem Trotz zu unterstützen«, forderte er die Gräfin auf. »Es ist noch gar nicht eine Stunde her, dass der Pfarrer sie gefragt hat, ob sie Freud und Leid mit ihrem Gatten teilen wollte. Und sie hat darauf ihr Jawort gegeben.«

Die Gräfin schritt schweigend zur Treppe, die zur prächtig ausgeschmückten, großen Schlosshalle hinunterführte. Plötzlich blieb sie stehen.

»Was wirst du den Gästen sagen?«, fragte sie ihren Gatten mit zitternden Lippen.

»Die Wahrheit. Was sonst? Damit hoffe ich, alles Gerede ersticken zu können. Mit Lügen kommen wir nicht weiter. Außerdem haben ja alle miterlebt, was passiert ist.«

Er nahm den Arm seiner Gattin und führte sie weiter.

Das Gemurmel der Gäste, die in kleinen Gruppen in der Schlosshalle standen, verstummte, als das gräfliche Paar langsam die Treppe herunterschritt.

Robert Graf Hauff, der Onkel des Schlossherrn, brach das Schweigen.

»Na endlich!«, rief er dröhnend. »Wir vergehen beinahe vor Hunger, Arne! Geht es jetzt endlich los?«

Damit war der Bann gebrochen.

Arne Graf Hauff war seinem Onkel sehr dankbar. Er ging noch ein paar Stufen hinunter, wartete, bis seine Gattin neben ihm stand, und hob die Hand.

»Meine Damen und Herren, liebe Hochzeitsgäste!«, begann er mit lauter Stimme zu sprechen. »Sie alle haben erlebt, was sich auf dem Platz vor der Kirche abgespielt hat. Die Folge davon war, dass ein glückliches, soeben getrautes Paar auseinanderlief. Verstört, voller Schreck und Verwirrung.«

Der Graf zögerte einen kurzen Moment, ehe er weitersprach.

»Alles wird sich als Irrtum herausstellen, meine Damen und Herren! Lassen wir unserem lieben Brautpaar Zeit, sich auszusprechen und einander zu verzeihen.«

Er nahm Sentas Arm und führte sie die letzten Stufen hinunter.

»Sie sind jetzt in der sensationellen Lage, liebe Gäste, eine Hochzeitsfeier ohne das Brautpaar zu beginnen! Darf ich Sie bitten, in den Audienzsaal zu kommen und den Aperitif zu nehmen?«

Beifälliges Gemurmel wurde laut.