Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 586 - Yvonne Uhl - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 586 E-Book

Yvonne Uhl

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Beschreibung

Cordula Crantz wächst bei ihrer Stiefmutter in Klagenfurt auf und arbeitet als Schreibhilfe bei einem Rechtsanwalt. Um beruflich weiterzukommen, bewirbt sie sich auf eine Zeitungsannonce hin als Sekretärin auf Schloss Traven. Ihre Freude ist groß, als sie die Zusage in Händen hält. Zukünftig wird sie in einem richtigen Schloss arbeiten und wohnen!
Beglückt macht Cordula sich auf die Reise und ist zutiefst beeindruckt, als sie auf einer Anhöhe das prächtige Schloss Traven im Abendsonnenschein erblickt. Sie ahnt nicht, dass sie hinter den dicken Mauern eine bestens inszenierte Theateraufführung erwartet, die sie erst durchschaut, als sie in Lebensgefahr gerät ...


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Inhalt

Cover

Im Schloss der heimlichen Wünsche

Vorschau

Impressum

Im Schloss der heimlichen Wünsche

... erfüllte sich das Schicksal eines einsamen Mädchens

Cordula Crantz wächst bei ihrer Stiefmutter in Klagenfurt auf und arbeitet als Schreibhilfe bei einem Rechtsanwalt. Um beruflich weiterzukommen, bewirbt sie sich auf eine Zeitungsannonce hin als Sekretärin auf Schloss Traven. Ihre Freude ist groß, als sie die Zusage in Händen hält. Zukünftig wird sie in einem richtigen Schloss arbeiten und wohnen!

Beglückt macht Cordula sich auf die Reise und ist zutiefst beeindruckt, als sie auf einer Anhöhe das prächtige Schloss Traven im Abendsonnenschein erblickt. Sie ahnt nicht, dass sie hinter den dicken Mauern eine bestens inszenierte Theateraufführung erwartet, die sie erst durchschaut, als sie in Lebensgefahr gerät ...

Das Mädchen, das Cordula vom Bahnhof abgeholt hatte, schien stumm zu sein. Es verständigte sich mit ihr nur durch ein lebhaftes Mienenspiel und die Sprache der Hände.

Cordula hatte so viele Fragen auf den Lippen, als sie den Feldweg durch das wogende Kornfeld hindurchfuhren. Die beiden Zugtiere kannten den Weg zum Schloss Traven offenbar wie im Schlaf.

»Sag mal«, wandte sich Cordula an das Mädchen neben sich, das die Zügel mit lockerem Griff hielt, »ist es noch weit bis zum Schloss?«

Das Mädchen schüttelte den Kopf und spreizte alle fünf Finger einer Hand. Also fünf Minuten noch, nahm Cordula an.

Lächelnd lehnte sie sich zurück und ließ ihren Blick über das weite Land schweifen. Wie schön die Gegend hier war! Ganz dunkel erinnerte Cordula sich, dass sie als Kind auch in einer solchen Gegend gelebt hatte.

Einzelheiten aber wusste sie nicht mehr. Es war schon so lange her! Damals hatte ihre Mutter noch gelebt. Und sie, die kleine Cordula, war noch nicht einmal drei Jahre alt gewesen.

Nachdem sie das Kornfeld hinter sich gelassen hatten, näherten sie sich einem Wald.

Cordula schrie leise auf. Im Abendsonnenschein stand Schloss Traven auf einer Anhöhe. Was für ein Anblick! Wie eine trutzige Burg wirkte das Schloss, erhaben und einsam.

»Wie wunderschön«, sagte sie andächtig. »Und hier soll ich leben? In diesem Schloss?«

Das Mädchen wandte den Blick vom Feldweg, blickte Cordula aus großen braunen Augen an und nickte heftig.

»Du bist ein nettes Mädchen«, sagte Cordula. »Bald werde ich ja auch deinen Namen hören, nicht wahr?«

Ein scheues Lächeln verklärte das Gesicht des jungen Mädchens.

Cordula schätzte es nicht älter als sechzehn. Die Kleine trug ein grobes Leinenhemd und einen weiten Rock. Ihre Beine waren nackt. Die Füße steckten in Holzpantoffeln.

Trotzdem besaß das Mädchen etwas Rührendes, das Cordula ans Herz griff.

Munter, als ob sie wüssten, dass der heimatliche Stall nahe war, liefen die beiden Gäule die lange Allee zum Schloss hinauf. Die sanfte Steigung schien ihnen nichts auszumachen.

Cordula staunte und konnte keinen Blick von dem Schloss wenden.

»Wohnt die Familie Traven schon lange hier?«, fragte sie. Dann wurde ihr klar, dass das Mädchen ihr ja nicht antworten konnte.

Die Travens mussten sehr reich sein. Cordula ahnte, dass der Unterhalt eines so großen Schlosses sehr teuer sein musste.

Und jetzt durfte sie hier wohnen! Ob es ein Gesindehaus gab? Würde sie als Schlosssekretärin dort wohnen oder im Hauptgebäude?

Nun erkannte sie das prächtige Portal, das aus drei Türflügeln aus ziseliertem Messing und geschliffenem Glas bestand.

Das stumme Mädchen riss an den Zügeln. Dicht vor dem Portal blieben die Gäule stehen.

Das Mädchen sprang vom Kutschbock und streckte Cordula die Hand entgegen, aber Cordula lachte und sprang ohne Hilfe hinunter.

Als sie den Blick hob, erstarrte sie. Einer der Türflügel war geöffnet worden. Eine alte Dame mit schwarzem Spitzenschal trat heraus, gefolgt von einem hochgewachsenen dunkelhaarigen Herrn.

Cordula trat langsam auf die beiden zu und neigte den Kopf.

»Ich heiße Cordula Crantz und bin gekommen, um meine Stellung als Sekretärin anzutreten!«, sagte sie.

»Mein Kind ...« Die alte Dame reichte ihr die Hand. »Ich bin Hermine Gräfin Traven, die Schlossherrin. Und das ist mein Sohn Raimund. Da er noch unverheiratet ist, muss ich noch die Stellung der Herrin von Schloss Traven einnehmen.«

Cordula starrte die alte Gräfin an. Sie hatte ein schwammiges Gesicht und müde, faltige Lider. Ihre Hand war dicklich, wie geschwollen.

Raimund Graf Traven aber schien bis in die Fingerspitzen nobel und außergewöhnlich zu sein. Wie edel seine Züge waren, wie elegant seine ganze Erscheinung. Er hatte ein schmales gebräuntes Gesicht und sehr dunkle Augen. Er wirkte fast wie ein Südländer.

»Ich freue mich sehr, Fräulein Crantz, dass Sie meinem Ruf Folge geleistet haben. Sie gefallen mir. Wenn Sie nun auch noch gut Schreibmaschine und Stenografie beherrschen, werde ich zufrieden sein.«

»Kommen Sie, Sie werden müde von der Reise sein«, sagte Gräfin Traven mit erschöpftem Lächeln. »Die Hitze setzt mir heute sehr zu. Wir leben hier sehr einsam. Umso höher ist es Ihnen anzurechnen, dass Sie, so jung, wie Sie sind, die Stellung hier angenommen haben.«

»Ich habe Ihnen ja in meinem Anstellungsschreiben mitgeteilt, wie einsam die Gegend hier ist«, warf Graf Traven ein. »Wir sind weit ab von jedem Dorf und jeder Stadt.«

»Das Dorf, in dem Sie mit dem Zug ankamen, ist das nächste«, erklärte Gräfin Traven.

»Ich liebe die Natur«, schwärmte Cordula. »Und ich mache mir gar nichts aus den Vergnügungen in der Stadt. Wenn Sie auch noch Tiere hier haben, wird mein Glück vollkommen sein.«

»Tiere haben wir viele.« Der junge Graf lachte und führte Cordula in die hohe düstere Schlosshalle, die ihr spärliches Licht von drei schlanken gotischen Fenstern und einer Glaskuppel erhielt. Eine gewundene Treppe führte ins Obergeschoss. Staunend betrachtete Cordula den Gobelin an der Wand, der eine Kampfszene darstellte.

»Ich war noch nie in einem Schloss«, sagte sie beeindruckt. »Und ich finde es wunderbar, in so einem historischen Gebäude zu leben.«

»Sie sind ja eine kleine Schwärmerin«, erwiderte die Gräfin. »Raimund, mein Liebster, würdest du als Schlossherr die Aufgabe übernehmen, Fräulein Crantz ihr Zimmer zu zeigen? Sie müssen entschuldigen, meine Liebe«, wandte sie sich an Cordula. »Meine Migräne setzt mir heute so zu. Im Sommer geht es mir immer schlecht. Ich habe einen zu hohen Blutdruck.«

»Ja, ich kümmere mich um alles, Mama!«, versprach der junge Graf.

Er führte Cordula zur Treppe.

»Ich hoffe, es ist Ihnen recht, wenn wir Sie ganz wie zur Familie gehörig betrachten. Eine Sekretärin ist eine Vertrauensperson. Und als solche werden Sie natürlich mit uns gemeinsam die Mahlzeiten einnehmen und mit uns leben wie eine Verwandte.«

Während sie die Stufen hinaufgingen, fuhr der Graf fort.

»Ich habe kürzlich eine Reise nach Indien und Burma unternommen und möchte Ihnen meine Reiseaufzeichnungen diktieren. Ich habe Tagebuch geführt, und vielleicht macht es Ihnen auch Spaß, so eine Reise nachzuempfinden?«

»Gewiss, Herr Graf«, rief Cordula begeistert. »Ich dachte, Sie wollten mir trockene Briefe diktieren! Reisen interessieren mich brennend.« Sie blieb stehen. »Da fällt mir ein, ich habe unten am Wald ein kleines Haus gesehen, das bewohnt zu sein schien. Wer wohnt dort?«

»Dort hat früher die Frau vom alten Köhler gewohnt. Jetzt hat sich dort ein Student eingenistet, der an seiner Abschlussarbeit schreibt. Das alte Haus gehört zum Forstgebiet und wird hin und wieder den Sommer über vermietet.«

Im ersten Stockwerk stieß der junge Graf eine Tür auf.

»Hier werden Sie wohnen«, erklärte er. »Gefällt es Ihnen?«

Staunend sah sich Cordula um.

»Das ist ja viel zu schön für mich«, flüsterte sie und trat andächtig in den großen Raum.

Er war von Wand zu Wand mit einem Perserteppich belegt. Schwere dunkle Mahagonimöbel und eine Bettnische mit Brokatvorhang entzückten sie. Am Fenster stand ein Biedermeiertisch mit einem zierlichen Stuhl.

»Herr Graf, danke. Ich ahnte nicht, dass ich wie eine Fürstin leben soll«, stammelte sie.

»Ihre Bescheidenheit ehrt Sie«, sagte der Graf. »Ich freue mich, dass wir das Glück hatten, gerade Sie als Sekretärin zu bekommen. Ich hatte Angst, wir könnten einander nicht sympathisch sein!« Er schloss die Tür und durchquerte den Raum. »Mein Vater, der alte Graf Traven, starb vor einem halben Jahr. Seitdem ist alles noch einsamer geworden. Meine Mutter ist sehr kontaktarm. Sie hat an allen Leuten etwas auszusetzen. Und meine anderen Verwandten ...«

»Wer wohnt denn noch im Schloss?«, fragte Cordula wissbegierig.

Der Graf lächelte. Und der Blick, den er ihr zuwarf, machte sie verlegen. Daheim die Mädchen würden sich die Hälse nach einem Mann wie Graf Traven ausrenken. Cordula hatte bis jetzt bei ihrer Stiefmutter in Klagenfurt gelebt, wo sie auch zur Schule gegangen war und zuletzt bei einem Rechtsanwalt als Schreibhilfe gearbeitet hatte.

»Da wäre zunächst einmal Dagobert, mein Cousin«, berichtete Raimund. »Vor ihm müssen Sie sich in Acht nehmen, Fräulein Crantz. Er ist ein Schwerenöter. Leider hat er beruflich einen Misserfolg nach dem anderen, sodass wir ihn wieder einmal durchfüttern müssen. Wir sind nicht geizig, Fräulein Crantz, aber ich verstehe mich mit Dagobert nicht allzu gut.«

Cordula nahm sich vor, vor diesem Dagobert auf der Hut zu sein.

»Dann ist da noch Tante Ida, die Schwester von Mama«, erfuhr sie nun. »Sie ist eine redselige alte Dame, unverheiratet, schrullig, und sie spielt leidenschaftlich gern Canasta. Auch Komtess Esther, meine holde Schwester, lebt hier auf dem Schloss. Mit ihr gibt es ständig Ärger. Sie ist schon Anfang dreißig und erlebt in der Liebe eine Enttäuschung nach der anderen. Esther ist eine Schönheit, aber ihr kratzbürstiges Wesen treibt alle Freier in die Flucht.«

Seufzend blickte der Graf ihr tief in die Augen.

»Wir haben beide nicht viel Glück in der Liebe. Meine Verlobung platzte vor zwei Jahren. Seitdem habe ich mich vom schönen Geschlecht bewusst zurückgezogen, um in Ruhe neues Vertrauen zu ihm zu fassen.«

Verlegen lauschte Cordula. Sie wusste nicht, ob sie sich über seine Redseligkeit freuen sollte oder nicht.

»Sie wundern sich, dass ich über meine Familie herziehe?«, fragte er plötzlich, als ob er ihre Gedanken erraten hätte. »Aber Sie müssen die Zusammenhänge kennen, Fräulein Crantz.«

»Und wie viel Personal haben Sie?«, fragte Cordula rasch.

»Oh, nicht viel. Im Grunde gibt es nur zehn Zimmer im Schloss, sechs hier im Obergeschoss und vier im Erdgeschoss. Die Dienerschaft wohnt im Souterrain. Die fünf Familienmitglieder bewohnen jeweils ein Zimmer hier oben und Sie nun das sechste. Unten sind das Speisezimmer, das Spiel- und Musikzimmer und zwei Wohnräume. Das Badezimmer ist am Ende des Ganges.« Er ging zur Tür. »Elsie wird Ihnen sicher gleich Ihr Gepäck heraufbringen.«

»Ist Elsie das Mädchen, das mich vom Bahnhof abgeholt hat?«

»Ja, unser Mädchen für alles. Sie hilft auch im Stall und kann gut mit Pferden umgehen. Sie putzt hier im Schloss und hilft aus, wo es etwas zu tun gibt. Als zweites Hausmädchen haben wir Lisa, eine unzufriedene Person mit mürrischem Gesicht. Und dann ist da nur noch Mamsell Thekla. Sie dient den Travens schon seit über dreißig Jahren und leitet die beiden Mädchen an. Sie kocht, kümmert sich um die Wäsche und ist schon fast siebzig.«

Der Graf legte seine Hand auf die Türklinke.

»Mehr Personal haben wir nicht. Es ist schwer, Leute zu bekommen. Mein Cousin Dagobert und ich kümmern uns um die Pferde und die Ställe, die Damen um die Gärten.«

Raimund Graf Traven öffnete die Tür.

»Ah, da kommt ja schon Elsie mit Ihren Koffern. Wir dinieren in einer knappen Stunde, Fräulein Crantz. Dann werden Sie auch die übrige Familie kennenlernen«, fügte er noch hinzu und ging dann davon.

♥♥♥

Nun betrat das Mädchen Elsie das Zimmer.

»Jetzt weiß ich schon deinen Namen«, sagte Cordula freundlich und nahm Elsie einen der beiden Koffer ab. »Du bist aber stark. Hast du wirklich beide Koffer getragen?«

Elsie nickte heftig. Sie war ein untersetztes, urwüchsiges Mädchen mit dem Charme eines gesunden Bauernmädchens. Was für ein Jammer, dass sie nicht sprechen konnte! Sie tat Cordula von ganzem Herzen leid.

»Graf Traven hat mir erzählt, wie fleißig du bist«, fuhr Cordula fort. »Glaubst du, dass ich auch einmal reiten darf?«

Elsie nickte wieder heftig.

»Jetzt zeig mir noch das Badezimmer, damit ich mich etwas frisch machen kann«, bat Cordula. Sie holte ein Handtuch aus dem Koffer und folgte Elsie bis zum Ende des Ganges.

Staunend stand Cordula im Badezimmer, als Elsie die Tür von außen geschlossen hatte.

Tiefroter Marmor bildete den Fußbelag. Die Badewanne war in den Boden eingelassen und war groß genug für einige Schwimmstöße. Über wenige Stufen konnte man hineingelangen. Cordula betrachtete das Badezimmer und fühlte sich auf einmal unbehaglich.

Sie hatte das Gefühl, als wäre sie schon einmal hier gewesen und als hätte sie in einem ganz ähnlichen Badezimmer gebadet. Dort, der gebrochene Messingknauf über der Badewanne ...

Cordula lauschte in sich hinein. Ich bin ja verrückt, dachte sie. Ich war noch nie in einem Schloss, geschweige denn in so einem altertümlichen, luxuriösen Badezimmer. Ich muss einmal ein Bild von so einem Antikbad gesehen haben, oder war es in einem Kinofilm?

Beruhigt schlüpfte Cordula aus der Bluse und wusch sich gründlich mit warmem Wasser an einem der beiden Waschbecken. Schneeweiße Fliesen bedeckten die Wände bis zur Decke hinauf. Sie schienen neueren Datums zu sein.

Doch mit magischer Kraft wurde Cordulas Blick wieder angezogen von den Steintreppen, die in die riesige Badewanne hinabführten.

Es gab keinen Zweifel. Der Anblick löste eine ungute Erinnerung in ihr aus, die aber nicht an die Oberfläche kommen wollte. In ihren Ohren hörte sie das Wimmern eines Kindes.

Cordula schüttelte sich, trocknete sich gründlich ab, zog die Bluse wieder an und knipste das Licht aus.

Sie fühlte sich augenblicklich besser, als sie das Badezimmer wieder verlassen hatte und zu ihrem Zimmer zurückkehrte.

Auf dem Korridor entdeckte sie ein Ölgemälde, das sie vorhin nicht bemerkt hatte. Wieder klang eine Glocke in ihrer Erinnerung an, ohne dass sie wusste, warum.

Das Gemälde stellte einen jüngeren Mann mit blondem Oberlippenbart dar, der stolz und selbstbewusst aus dem Goldrahmen blickte. Ein unmerkliches Lächeln lag um seine schmalen Lippen.

Cordula wusste genau, dass sie dieses Bild schon einmal irgendwo gesehen hatte. Sie trat zurück und erfasste noch einmal das Antlitz des jungen Mannes. Wer mag er sein?, fragte sie sich, und warum hängt das Gemälde hier?

»Was für ein schön geschwungener Nacken«, hörte sie in diesem Moment eine lachende Männerstimme hinter sich sagen.

Sie fuhr herum und starrte in lustige graue Augen.

»Verzeihung«, stammelte sie. »Ich ...«

Hinter dem Fremden stand eine Zimmertür offen. Sie erkannte einen Eichenschrank, dessen Tür weit geöffnet war. Im Schrank herrschte heillose Unordnung. Schuhe und Kleidungsstücke lagen ungeordnet durcheinander.

»Ich weiß, wer Sie sind! Meines Cousins neue Sekretärin.« Der Fremde verneigte sich tief. »Gestatten: Dagobert Graf Traven. Ich bin nur der geduldete Cousin, der die Brosamen vom Tisch des reichen Vetters nascht.«

Das also war der Pechvogel Dagobert, mit dem sich der Schlossherr nicht verstand. Cordula streckte ihm die Hand hin.

»Ich bin Cordula Crantz«, sagte sie. »Sie wohnen mir offenbar direkt gegenüber.«

»Stimmt auffällig!« Dagobert Graf Traven lachte und zog die Tür seines Zimmers zu. »Wenn also nachts die dicke alte Eule an Ihrem Fenster sitzt und Sie ängstigt, brauchen Sie bloß an meine Tür zu pochen und um Hilfe zu rufen.«

»Gibt es hier dicke alte Eulen?«, erkundigte Cordula sich lachend.

»Und ob. Sie nisten im Dach vom Stall oder oben unter der Kuppel. Sie wissen doch, dass die Augen der Eulen nachts wie Phosphor leuchten?«

Cordula nickte. Sie konnte nicht behaupten, dass Graf Dagobert ihr sympathisch war. Seine Stimme war schleimig und aufdringlich, und der Blick, mit dem er sie musterte, war berechnend und abschätzend. Sie wurde rot.

»Ich will mich jetzt umkleiden«, sagte sie hastig. »Denn ich will zum Essen nicht zu spät kommen.«

Graf Dagobert hob lässig die Hand.

»Sie haben recht. Meine Tante Hermine kann sehr ungemütlich werden, wenn jemand zu spät zu Tisch erscheint. Sie ist heute wieder unerträglich, weil sie Migräne hat.« Er nickte ihr zu und ging in sein Zimmer.

Cordula eilte aufatmend in ihr Zimmer und schloss die Tür hinter sich.

Jetzt kannte sie schon drei Personen der Familie Traven. Ihr fehlte nur noch Ida, die Schwester der Schlossherrin, und Komtess Esther.

Raimund Graf Traven aber war mit Abstand am sympathischsten. Cordula hatte weder zur Schlossherrin noch zu dem aufdringlichen Grafen Dagobert rechtes Zutrauen fassen können.

Mit Sorge dachte sie an Tante Ida und die Komtess Esther, über die ihr eigener Bruder nicht sehr freundlich gesprochen hatte. Ihre Begeisterung, die sie beim Betreten des Schlosses beseelt hatte, war etwas gedämpft worden.

Doch gottlob hatte Cordula es ja in erster Linie mit dem Schlossherrn zu tun. Sie war seine Sekretärin. Und darauf freute sie sich.