Die Welt mit anderen Augen - Angelina Jarc - E-Book

Die Welt mit anderen Augen E-Book

Angelina Jarc

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Beschreibung

Nur in den dunkelsten Nächten leuchten die hellsten Sterne. Das kann Ophelia Hilton bestätigen. Sie befindet sich zum Studium in Oklahoma City, fühlt sich jedoch mutterseelenallein und hat mit Panikattacken zu kämpfen. »1…2…3… atmen. 4…5…6… weitermachen.« Auch in ihren schwersten Stunden hilft Ophelia dieser Satz weiter. Mit jeder Woche die vergeht, wird ihr mehr klar, dass sie den Sinn des Lebens nicht kennt. Bis Micah, ein Junge aus ihren Kindheitsträumen sie auffängt. Die beiden lernen sich gegenseitig glücklich zu machen und begeben sich auf eine Reise, den Sinn des Lebens wiederzufinden. Allerdings lebt Ophelia ständig in der Angst, dass sie ihn wie damals verlieren wird. Dass er ohne sie geht und endgültig nicht wiederkehrt. Ein spannender Liebesroman, aus beiden Perspektiven.

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EPUB
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Seitenzahl: 149

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2024 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99146-820-2

ISBN e-book: 978-3-99146-821-9

Lektorat: Lektorat KL

Umschlagabbildung: Angelina Jarc

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Widmung

Für Frau H. Leithner

Danke, dass Sie immer an mich geglaubt haben!

Kapitel 1

Ophelia

»1… 2… 3… atmen. 4… 5… 6… weitermachen.«

Vor nicht einmal einer Minute war ganz Oklahoma auf der Suche nach Abkühlung. Eiscreme oder ins Freibad zu gehen, scheint an solch heißen Sommertagen angemessen. Doch nun suchen all jene ohne Regenschirm Unterschlupf. Die Wassertropfen haben die ganze Stadt in wenigen Sekunden abgekühlt. Sie fallen ohne Rücksicht auf uns herab. Prasseln auf die Dächer, versickern in der Erde.

Nur ich gehe in normalem Tempo über den Gehsteig, ohne meine Klamotten, welche immer mehr Nässe aufsaugen, zu beachten. Lediglich meine Kopfschmerzen scheinen relevant zu sein. Noch nie hatte mir ein solch unerwarteter Wetterumschwung Schmerzen erspart, dennoch wirken sie nach jedem Mal schlimmer als zuvor. Wie betäubt folge ich dem Verlauf der Straße, welcher direkt vor meiner kleinen Wohnung endet. Sie ist nichts Besonderes. Doch für eine Studentin ohne WG und großartig viel Geld ist sie mehr als nur ein guter Fang. Nach vier Versuchen schaffe ich es, mit meinen zittrigen Händen den Schlüssel in das Schlüsselloch einzuführen. Achtlos werfe ich meine Umhängetasche in die erste gelegene Ecke, um zu meinen Medikamenten zu kommen.Schnell. Aspirin, irgendeine Schmerztablette, bitte, sind die einzigen Worte, die in meinem Kopf herumschwirren. Nach meinem Fund drücke ich die Tablette durch die Alufolie und schlucke sie mit etwas Wasser hinunter. Jetzt heißt es warten. Noch immer dreht sich alles. Doch die einzelnen Konturen meiner Wohnung werden wieder erkennbar. Das eine große Zimmer bestehend aus Küche und Wohnzimmer, welches eher als Schlafzimmer dient. Die Türe zu dem anschließenden Badezimmer. Alles sehr, sehr klein, aber ein sehr, sehr schöner Ausblick. Eine riesige Fensterscheibe erstreckt sich direkt hinter dem Sofa. Und hinter dem Glas verbirgt sich das wunderschöne Oklahoma. Mehrere Hochhäuser, viele bunte Lichter, die das komplette Gegenteil von dem Ort an dem ich aufgewachsen bin, sind. Mein wirkliches Zuhause ist am Land. Als die nächtlichen Lichter nur der Mond und die Sterne waren. Ich allein in der Dunkelheit mit dem Universum. Und nun heißt es: Ich allein gegen den Rest der Welt. So fühlt es sich zumindest an. Als wäre niemand für mich da. Als wäre ich dazu bestimmt, allein zu bleiben. Die Leute sehen mich, sehen aber durch mich hindurch. Ich allein gegen diese Stadt. Die ganze Stadt gemeinsam gegen mich. Der einzige für mich bestimmte Ort ist diese Wohnung. Sie ist jetzt mein Zuhause. Schade, dass sie in einer Stadt ist, die nie mein Zuhause sein wird. Ebenfalls schade, dass diese Stadt nie mein Zuhause werden kann, weil sie in einem Leben existiert, das keinen Sinn mehr hat.Wir reden von zuhause, ohne zu wissen, was zuhause ist. Ist es die Umgebung? Das heimelige Gefühl? Denn dieses Gefühl hatte ich seit Ewigkeiten nicht mehr. Die Hoffnung, die mich hierbehält, ist die Hoffnung, einen Sinn zu finden. Vielleicht braucht es die richtigen Leute dafür. Leute, die mich verstehen und mir Wärme geben. Leute, die ich seit einem Jahr nicht gefunden habe. Vielleicht sind meine Ansichten aber kompletter Schwachsinn oder naiv. Möglicherweise ist Naivität auch gut, wenn sie mich am Leben hält.

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Hoffnung und Naivität? Ähnliche Wörter wären Zuversicht und Optimismus. Beide Wörter würde ich in die Spalte naiv geben. Hoffnung erklärt sich in meinem Kopf mit Anzeichen. Es wird Zeichen geben, wenn Hoffnung existiert. Und das wiederum bringt mich dazu, es als naiv zu sehen. Ich weiß nicht, was ich denken, fühlen, glauben oder tun soll. Das Studium beenden? Klar. Ich fürchte nur, ich werde es nicht beenden können, wenn ich keine Kraft mehr habe.

Noch ist Spätsommer. Denn wer weiß, wie schnell es geht, bis der Winter sich über diese Stadt gelegt hat. Bis die bunten Felder am Land zu einem einheitlichen Weiß mit der restlichen Landschaft werden, was uns alle in eine trübe Stimmung versetzt. Nicht nur einmal hatte der Winter den Herbst übergangen. Mehr Kälte und weniger Wärme. Wobei Wärme das Einzige ist, was mir Kraft geben kann.

Damals hatte ich diese Stimme in meinem Kopf. Sie flüsterte mir aufmunternde Geschichten ins Ohr und machte mein gesamtes Leben einfacher. Falls mir mal die Luft ausging, brauchte er nur »1… 2… 3… atmen. 4… 5… 6… weitermachen« sagen und schon konnte ich weitermachen. Eine geheimnisvolle Stimme, die als Illusion erschien und es mit diesem rauen Ton geschafft hat, dass ich mich fallen lasse mit der Zuversicht, dass sie mich immer wieder auffangen wird. Ein Vertrauen zu einer Stimme ohne Gesicht. Vertrauen zu einer Illusion. Dann wurde ich erwachsen und ein ewiger Schauer der Traurigkeit legte sich über meine Welt. Sicherlich gibt es auch schöne Momente, die mir ein Lächeln entlocken. Positive Gedanken, die mir Mut zusprechen, dass ich es so weit geschafft habe. Doch das sind nur einzelne Funken, die niemals ausreichend Wärme erzeugen.

***

Ich finde mich auf meiner Couch eingehüllt in einer kuscheligen Decke wieder. Daumen und Zeigefinger lege ich an meinen Nasenrücken, um ihn zu massieren. Immer noch prasselt der Regen auf das Dach. Mit geschlossenen Augen nehme ich all die Geräusche um mich herum noch deutlicher wahr als sonst. Der Regen über mir, die Autos unter mir. Selbst die beschädigte Waschmaschine aus dem Keller dringt in fast unmerklichen Tönen in den sechsten Stock. Das Gelächter des Besuchs meines Nachbarn. Das Weinen des Kindes unter mir. Die lauten Gespräche des älteren Paars direkt neben dem Kind. Alle Töne vermischen sich zu eins und machen Platz für den Donner, der alle zum Schweigen bringt. Bis auf das Plätschern, wenn die Autos durch die Pfützen fahren, ist alles still für einen Moment. Gleich darauf widmen sich die Leute in diesem Gebäude wieder sich gegenseitig. Ich konzentriere mich auf das Brummen der Waschmaschine, den Streit des Paares, die Verabschiedung des Besuchs, auf das mittlerweile nur noch unregelmäßige Schluchzen des Kindes und auch auf das Zählen der Abstände zwischen Blitz und Donner. Das Gewitter ist noch ziemlich weit weg. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird es Oklahoma nur streifen. Wenn überhaupt. So ist es bisher immer gewesen. Seit geraumer Zeit wüten keine Tornados mehr in dieser Stadt.

Die Straße vor meiner Wohnung ist ungewöhnlich leise. Nur eine Person in schwarzer regengetränkter Jacke lungert auf dem Gehsteig herum, als wäre strahlender Sonnenschein. Er sieht in den Himmel, als würde er dort etwas suchen. Eine Viertelstunde steht er da, sieht in die Gegend und dann wieder in die Wolken.

»Wer bist du?«, huscht es mir über die Lippen. Als hätte er es gehört, blickt er direkt zu mir hinauf. Vermutlich sieht er von diesem Winkel nichts als Schwarz, dennoch lasse ich mich erschrocken auf die Couch zurückfallen und lande dabei auf der Kante, sodass es mich auf den Boden schmeißt. Ich stöhne wehleidig auf und reibe mir über die angeschlagene Stelle auf der Schulter, um erneut hastig aufzustehen. Zu gern hätte ich sein Gesicht gesehen. Doch aus der Ferne erkennt man gerade noch so die groben Umrisse von Jacke, Kopf und Beine. Kleine Details sind nur unerkennbare Flecken. Selbst wenn ich den Mut gehabt hätte, mit ihm zu reden, wäre nur unverständliches Gestotter herausgekommen. Ich blicke bis zum nächsten Donner auf dieselbe Stelle, an der er gestanden hat. Und wieder frage ich mich:Wer bist du?Niemand, der hier in dieser Stadt aufgewachsen ist, nimmt sich die Zeit, um in den Himmel zu sehen. Niemand hier ist so nachdenklich, dass er oder sie im Regen auf der Straße stehen bleibt.Wer bist du? Was ist deine Geschichte?

Kapitel 2

Ophelia

6:00 Uhr

Schlaftrunken wandere ich durch die Stadt mit einem Teebecher in der Hand, um mir die Finger zu wärmen. Der Regen hat nun offiziell die Hitzewelle beendet. Willkommen inoffizieller Herbst. Wenn die Blätter sich verfärben und die Erntezeit da ist. Wenn die Tage sich verkürzen und die Kälte zurückkehrt. Gähnend betrete ich den kleinen Coffeeshop zwei Ecken weiter von meiner Wohnung entfernt, in welchem ich seit 6 Monaten arbeite. Für gewöhnlich hole ich mir hier meine morgendliche heiße Schokolade. Da ich heute jedoch mehr Lust auf eine Früchte–Kräutertee–Mischung habe und wir diesen nicht verkaufen, muss ich ihn mir eben selber machen. Der Duft nach Kakaobohnen und frischem Cappuccino strömt mir entgegen, sobald die kleine Glocke oberhalb der Eingangstür auf mein Erscheinen aufmerksam macht. Nur einzelne Leute, die sich vor der Arbeit noch einen Kaffee abholen, sind um diese Uhrzeit hier. Es gibt nicht allzu viele Frühaufsteher in dieser Stadt. Den letzten Schluck von dem warmen Tee und schon verschwinde ich hinter der Theke, um die Frühaufsteher zu bedienen.

»Guten Morgen, Jerry. Einen Latte macchiato mit laktosefreier Milch?«, frage ich während der Zubereitung. Sein zustimmendes Nicken nehme ich erst wahr, als der Latte bereits fertig ist.

»Danke, Ophelia!«, lächelt er mir wie jeden Tag zu, als er mir ein paar Scheine zu viel Trinkgeld hinterlässt. Stammkunden, Touristen, Arbeiter und Feinschmecker, die jeden Kaffee in der Stadt probieren, bediene ich meistens so bis um 8:00 Uhr. Danach muss ich nur noch Bestellungen aufnehmen und kassieren. Zu Mittag ist dann eher weniger los, sodass ich mir schnell etwas zu essen holen kann, bevor ich in die Universität muss. Erst abends verwandelt sich der gemütliche Coffeeshop mit dem warmen Licht und den gemütlichen Holzfarben in eine Disko. Der obere Teil wird abgesperrt, dafür werden Bühne und Bar im Keller eröffnet. Gemütliche Sessel, Barhocker und eine Tanzfläche befinden sich dort. Außerdem noch Billardtische und Weiteres häufen sich unten im Keller. Nicht zu vergessen die riesigen Lautsprecher, die ich einmal in der Woche ertragen muss.

»Bis am Abend, Cherry! Ich gehe jetzt in die Universität!«, verabschiede ich mich von meiner Chefin.

»Danke für die Hilfe!«

Schon hänge ich meine Schürze auf den Haken, schnappe meine Tasche, den mittlerweile kalten Tee und mache mich auf den Weg zur Straßenbahn.

Bevor ich den Saal zu der Vorlesung betrete, muss ich wie immer noch einmal tief durchatmen, um nicht wieder kehrtzumachen. Jedes Mal wenn ich vor dieser Tür stehe, sehe ich, wie ich hineingehe und alle Blicke nur auf mir liegen. Meine Füße scheinen bei jedem Schritt nur ein Hindernis darzustellen, doch wenn ich wirklich reingehe, ist nichts davon der Fall. Der Dozent bereitet sich noch vor, während der Rest vertieft ins Handy starrt. Der Hörsaal wirkt nicht recht voll. Vorsichtig setzte ich mich in die 7. Reihe von unten. Erst in den letzten Minuten strömen die Massen an. Die meisten Reihen sind voll, andere komplett leer. Ich sitze immer noch allein in einer Reihe. Zwischenzeitlich haben die anderen einzelne Grüppchen gebildet. Dass dieser Schwachsinn mit den Gruppen immer noch kein Ende genommen hat! Die beliebte Gruppe, die kindliche Gruppe und die Einzelgängerin. Oder auch Außenseiterin. In diesem Fall bin das dann wohl ich. Diese Tatsache nimmt mich so mit, dass ich noch nicht einmal den Beginn der Stunde bemerke. Erst als alle sich von ihren Plätzen erheben und in einem Schwall durch die große Tür hinausgehen, erwache ich aus meiner Trance. Der Dozent sowie die meisten Studenten sind bereits verschwunden. Nur ein Mädchen sitzt auf einem der Stühle und tippt ihre letzten Mitschriften auf ihren Laptop, bevor sie mich überholt und zu ihren Freuden eilt. Ich blicke ein letztes Mal in den Raum, bevor ich die Tür schließe. Vier kahle Wände, welche in diesem grellen Licht blenden. Bei dieser Beschreibung belasse ich es.

Mit der Straßenbahn fahre ich zurück zu der Haltestelle vor dem Café, um von dort aus nach Hause zu gehen und meine erste Pause zu machen. Eine Packung Fertignudeln sollte als Mittagessen genügen. Der heiße Duft von einer Tomaten-Mozzarella-Sauce quillt mir entgegen. Gemeinsam mit dem Essen mache ich es mir auf der Couch bequem. Eine Decke um meinen Schultern und die warme Nudelverpackung in meinen Händen halten mich fürs Erste warm. Allerdings muss ich in einer halben Stunde bereits wieder im Coffeeshop sein. Um genau 17:00 Uhr wird das Café geschlossen. Dafür werden im Keller die Stühle von den Tischen genommen und die Bar hergerichtet. Wenn es nach mir ginge, würde ich lediglich bis 20:00 Uhr bleiben,, doch genau hier braucht Cherry mich. Wenn die ersten Betrunkenen ihren Verstand verloren haben. Zu dem Zeitpunkt, wenn der Bass der Lautsprecher mein Gehirn um 180 Grad dreht. Und das immer und immer wieder, bis es weh tut. Ich streife mir die Arbeitsuniform über, welche nicht mehr als ein kurzes schwarzes Kleid ist, an welches ein durchsichtiger ebenfalls schwarzer Stoff drangenäht wurde. Für meinen Geschmack ist es als Arbeitsklamotte mehr als übertrieben. Über das Kleid ziehe ich meine lange Pufferjacke. Vorgegebenermaßen muss ich dazu die schwarzen High Heels anziehen. Ich war schon immer eines dieser Mädchen, die nur mit Boots und geschlossener Weste herumgegangen sind. Absätze sind für mich ein Tabu. Dennoch stehe ich hier, um in einer Bar mit High Heels und engem Kleid zu arbeiten.

Bevor ich hinuntergehe, lasse ich noch eine Blisterpackung Schmerztabletten, in die eine Jackentasche gleiten. In die andere folgen Handy sowie meine Schlüssel. Den ganzen Weg lang reibe ich mit meiner Fingerkuppe nervös an der Kante der Blister. Die andere Hand klimpert in der Tasche mit den Schlüsseln.

Ungefähr um 18:00 Uhr kommen die ersten Gäste. Anfangs macht es sogar Spaß, Drinks zu mischen und diese mit kleinen Schirmchen zu servieren. Es ist alles locker. Nur ein paar Grüppchen, die abends etwas trinken wollen. Ganz gemütlich. Doch dann setzt dieser nervige Bass ein. Schon wird die Atmosphäre von „Ich lasse gemütlich meinen Abend ausklingen“ zu „Ich feier, bis ich tot umfalle“. Anscheinend ist das genau das, was die Leute wollen. Mit der Zeit versammeln sich immer mehr Menschenmengen hier unten. In dem bunten Licht schreien, tanzen und lachen die Leute. Sie gehen mit ihren Drinks auf die Tanzfläche, um sie dort zu verschütten und sich gleich darauf neue zu holen. Es ist immer wieder erschreckend, dass der Alkohol Menschen zu unzivilisierten Monstern mutieren lässt. Wobei es so scheint, als würde der Alkohol lediglich unsere wahre Identität hervorlocken. Denn ein kleines Monster steckt irgendwie in uns allen. Obwohl es mir in diesem Szenario eher so vorkommt, als würde ich von diesen Bestien besiegt werden, anstatt ein Teil ihrer Spezies zu sein. Sie brauchen mich nicht einmal anzusehen. Allein ihre Anwesenheit, und ein „Achtung“, wenn ich im Weg stehe, reicht, um mich einerseits bedrängt zu fühlen. Gleichzeitig aber auch so, als würde ich keinen Platz finden und allen nur im Weg stehen. Ich merke nur noch, wie langsam alles ineinander verschwimmt, die Gespräche werden immer lauter und doch übertönt mein Atem alles. Meine Hand schiebt das Glas den Tresen hinunter zu dem Gast. Ich höre nur noch ein»Ist alles in Ordnung?«. Seltsamerweise bin ich in bester Verfassung zu antworten.»Ja, aber sicher. Mir geht es gut.«Dennoch kämpfe ich mit den Tränen, dem Atmen, der Umgebung. Mit mir selbst. Nach dieser Bestellung entscheide ich mich, mich bei Cherry zu entschuldigen und um einen Moment Pause zu bitten. Glücklicherweise wird meine Bitte erfüllt. Durch die Lichter und das ganze Gewirr aus Männern und jungen Studentinnen und Studenten führt der einzige Durchgang zu den Toiletten. Einen Pausenraum gibt es bei uns nicht. Somit taste ich mich trotz klarer Sicht hindurch. Wie gesagt, meine Sicht war klar, doch als ich die Tür zu den Toiletten aufschlage, merke ich nur noch diesen scheußlichen Geruch, sehen tue ich nichts als schwarz. Als hätte sich ein Vorhang über meine Augen gelegt. Und irgendwann (ich kann nicht sagen, wie lang ich ohnmächtig war) wache ich auf ohne jegliches Zeitgefühl. Es war alles wie davor. Schnelle Atmung und zitternde Hände. Ohne die Macht, das Leiden zu beenden. Doch diese eine Stimme hatte sie.

»1… 2… 3… atmen. 4… 5… 6… weitermachen«. Sie erscheint so schnell und unerwartet, wie sie mich verlassen hat. Ich erkenne die Stimme (den rauen, dennoch irgendwie sanften Ton) und dennoch liegt mein Kopf weiterhin in meinen Händen. Ich möchte sein Gesicht sehen. Ich möchte wissen, wer er ist. Und da merke ich erst, als ich meinen Kopf erhoben habe, dass meine Panikattacke zu Ende war. Eine Hand streichelt sanft über meine Haare. Ich blicke neben mich. Zuerst die scheinbar neuen Sneaker. Danach eine blaue lockere Jeans. Zum Schluss diese strahlenden Augen mit einem Glanz voll Besorgnis. Das blonde Haar, fast schon so hell, als wäre es platin, mit blauen Spitzen. Die so weich aussehenden Lippen, welche sich langsam zu einem schelmischen Lächeln formen. Mit meinen Beinen schiebe ich meinen Körper ein wenig von ihm weg. Ich kenne seine Stimme. Aber ihn kenne ich nicht. »Wer sind Sie?«. Er sah verwirrt aus. »Oh, entschuldige, Ophelia … Micah … ähm … Freut mich, dass ich dich endlich wiedersehen kann.« Man erkannte, dass er nicht einmal ansatzweise eine Ahnung hat, wie er sich ausdrücken soll.

»Woher kennst du meinen Namen?«

Er lacht. »Oh Ophelia, wir wissen beide, dass du weißt, wer ich bin.«

»Ich kann’s nicht glauben. Ich halluziniere. Schon wieder. Du bist nichts als eine ausgedachte Stimme aus der Fantasie meines ehemaligen Kindes«, sage ich und versuche aufzustehen.

»Wenn ich korrigieren darf. Ich bin ein Erscheinungsbild. Irgendwie echt aber … na ja … anders. Anders als Geister bin ich ein Mensch. Ich bin wie du, nur können die anderen mich nicht in ihren Träumen sehen. Denke ich.«

»Heißt das, du bist so was wie mein Schutzengel?«, frage ich empört.

»Nein auch das nicht. Ich bin ein Erscheinungsbild. E-R-S-C-H-E-I-N-U-N-G-S-B-I-L-D.«

Verwirrt sehe ich in sein Gesicht. Das ergibt doch alles keinen Sinn.

»Okay, tut mir leid. Das sollte ein Scherz sein. Ich denke, ich werde dann mal wieder gehen.«