Die Zeit der Liebe - Freya Miles - E-Book
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Freya Miles

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Beschreibung

Ihr Herz war verloren, noch bevor sie hinter seine Mauern blicken konnte, um sein Geheimnis zu erkennen. Jeden Tag um kurz nach neun Uhr begegnen sich in New York zwei einsame Seelen, ohne sich wirklich zu kennen. Owen, der es nur wegen dieser morgendlichen Begrüßung schafft, pünktlich aus seinem Bett zu kommen, und Abby, für die seit der Trennung von ihrem treulosen Verlobten rauschende Feste ganz oben auf ihrer Wunschliste stehen. Keiner von ihnen möchte sich mit der ungewollten Einsamkeit auseinandersetzen, gerade jetzt, in der besinnlichen Vorweihnachtszeit – der Zeit der Liebe. Die zwei Fremden haben nie ein Wort miteinander gesprochen, bis zu jenem verheißungsvollen Tag kurz vor Weihnachten. Ein Tag, der für sie beide alles verändern soll, denn was Abby durch die Fensterscheibe ihres Blumenladens nie aufgefallen ist, sind Owens traurige Augen, die ein Geheimnis zu verbergen scheinen, das die junge Frau vielleicht lieber nicht erfahren möchte. Sie ahnt nicht, wie viel Schmerz und Leid hinter dem perfekten Mann mit dem hübschen Gesicht liegen. Ein romantisches Weihnachtsbuch voller Emotionen und garantiert mit einem Happy End.

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DIE ZEIT DER LIEBE

FREYA MILES

Copyright © Freya Miles 2021

Freya Miles c/o TEXTWERKSTATT

Sabrina Cremer, Körfken 80, 44227 Dortmund

[email protected]

Cover: Shutterstock

Lektorat: Martina König

Korrektorat: Nicole Bauer, Sabrina Grabowski

Umschlaggestaltung: NK Design (Nadine Kapp) Kontakt: [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Eine Vervielfältigung oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autoren gestattet. Sämtliche Handlungen und Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Orte, Markennamen und Lieder werden in einem fiktiven Zusammenhang verwendet. Örtliche Begebenheiten wurden teilweise dem Storyverlauf angepasst. Alle Markennamen und Warenzeichen, die in dieser Geschichte verwendet werden, sind Eigentum der jeweiligen Inhaber.

INHALT

Die Zeit der Liebe

1. Abby

2. Owen

3. Abby

4. Owen

5. Abby

6. Owen

7. Abby

8. Owen

9. Abby

10. Owen

11. Abby

12. Owen

13. Abby

14. Owen

15. Abby

16. Owen

17. Abby

Prolog

A Rocky Mountain Christmas Tale

Suche Weihnachtsstimmung für meine Familie

Über die Autorin

DIE ZEIT DER LIEBE

TRIGGERWARNUNG:

Dieses Buch enthält die Themen Trauer, Tod, Krankheit

Ihr Herz war verloren, noch bevor sie hinter seine Mauern blicken konnte, um sein Geheimnis zu erkennen.

Jeden Tag zur selben Zeit begegnen sich in New York zwei einsame Seelen.

Owen, der geheimnisvolle CEO, der niemanden hinter seine Fassade blicken lassen will, und Abby, für die seit der Trennung von ihrem treulosen Verlobten keine Party zu wild ist.

Die zwei Fremden haben nie ein Wort miteinander gesprochen, bis zu jenem verheißungsvollen Tag kurz vor Weihnachten, als Owen Abby eine Karte für den sagenumwobenen New York Christmas Ball schenkt. Der geheimnisvolle Fremde braucht eine Begleitung und Abby ist mehr als gewillt, den gutaussenden Mann auf den Ball der Reichen und Schönen zu begleiten.

Es ist eine Nacht, die für sie beide alles verändern soll, denn was Abby durch die Fensterscheibe ihres Blumenladens nie aufgefallen ist, sind Owens Augen, die ein Geheimnis zu verbergen scheinen, das die junge Frau vielleicht lieber nicht erfahren möchte.

ABBY

»All by myseeeeeeeeeeeeeelf! Don’t wanna be all by myseeeeeelf anymore!«

Die Weinflasche war mit Abstand der schönste Mikrofonersatz, den ich auf die Schnelle hatte finden können, als sie im Radio ausgerechnet dieses Lied spielten. Ein Song, der meine momentane Lebenssituation, mein Befinden, meine Gefühle, ja, einfach alles, besser beschreiben konnte, als ich selbst dazu in der Lage war.

Wie einst die großartige Bridget Jones kam ich mir vor, nur dass ich Idealmaße hatte, die mir allerdings reichlich wenig nutzten. Sie hatten meinen treulosen Verlobten nicht davon abgehalten, mit irgendeiner dahergelaufenen Frau zu schlafen. Auf seinem Junggesellenabschied, vier Wochen vor unserer Hochzeit.

Manchmal fragte ich mich, ob ich froh darüber sein sollte, dass alles so gekommen war. Besser vor der Hochzeit das wahre Gesicht dieses Menschen entdecken als dann, wenn es zu spät war. Das zumindest redete ich mir immer und immer und immer wieder ein. Auch wenn es Blödsinn war. Ich hätte gerne niemals erfahren, wie Scott wirklich war. Dann wäre ich jetzt eine glücklich verheiratete Frau und vielleicht wäre sogar schon ein Baby auf dem Weg.

Natürlich dachte ich jetzt wieder über Babys nach. Seit Scott mich verlassen hatte, tickte meine biologische Uhr so laut, dass mir davon schwindelig wurde. Alle Menschen um mich herum in meinem Alter schienen Babys zu haben oder gerade schwanger zu sein.

Klar, mit dreiunddreißig blieb einem nicht mehr so viel Zeit für diesen Schritt, doch ohne Mann auch kein Kind. Es sei denn, ich würde es so weit bringen und zu einer Samenbank gehen. Genau das hatte ich mir für meinen achtunddreißigsten Geburtstag vorgenommen, wenn bis dahin Mister Right noch nicht an meine Tür geklopft hatte.

Und damit rechnete ich fest, denn momentan konnte mir die Männerwelt wirklich gestohlen bleiben. Dank Scott, diesem rücksichtslosen, selbstverliebten Mistkerl. Ich hatte so viele böse Namen für diesen Mann in meinem Kopf, dass ich sie gar nicht alle aufzählen konnte.

Die gute Celine wurde durch Wham! abgelöst, was mich laut aufstöhnen ließ. Was dachten sich diese Menschen beim Radio eigentlich? Bringen wir erst all die armen alleinstehenden Loser zum Heulen und reiben ihnen dann noch fröhlich unter die Nase, dass bald Weihnachten ist. Das Fest der Liebe, der Geborgenheit, der Familienfeiern … Wunderbar!

Als wenn das Leben nicht schon schlimm genug wäre. Vielleicht sollte ich einen Brief an den Radiosender schreiben und mich beschweren.

Ha! Was für eine tolle Idee. Wahrscheinlich würden sie ihn dann laut im Radio vorlesen und ich hätte eine ganze Menge Menschen auf meiner Seite – und noch viele Menschen mehr, die mich bemitleidenswert und armselig finden würden.

Ich seufzte, stellte die leere Weinflasche, die mir nicht mehr länger als Mikrofon dienen musste, zur Seite und widmete mich wieder den Dingen, die ich mir für heute vorgenommen hatte.

Ich musste dieses kleine Ein-Zimmer-Appartement wieder auf Vordermann bringen, bevor ich mir vor lauter Stolperfallen auf dem Fußboden noch irgendwann das Genick brach. Was sagte es nur über mich aus, dass ich jetzt, mit dreiunddreißig, wo andere in der Blüte ihres Lebens standen, schlimmer hauste als jemals zuvor?

Statt der fünfundsiebzig Quadratmeter, die ich mit Scott bewohnt hatte, waren mir noch ganze fünfundzwanzig geblieben. In der kleinen ehemaligen Abstellkammer meines Blumenladens, dafür mitten in New York City.

Rose’s Garden hatte meine Oma Rose ihr Blumengeschäft schlicht und ergreifend nach sich selbst benannt. Seit fünfzig Jahren stand dieses kleine Häuschen mit dem großen Schaufenster nun schon an seinem Platz, während sich die Stadt drum herum immer weiterentwickelte und die Hochhäuser nur so aus dem Boden schossen.

Das war auch der Grund, warum seit mindestens zwanzig Jahren keine Sonnenstrahlen mehr in den Verkaufsraum gefallen waren, um ihn in dieses wunderbar goldene Licht zu tauchen, an das ich mich noch so gut erinnern konnte. Es hatte diesem Laden seine Magie verliehen, doch das war lange vor den Wolkenkratzern gewesen, die nun das Stadtbild säumten.

Die Leute brauchten Platz und da wir eine kleine Insel waren, mussten sie nach oben ausweichen. Surreal, aber wahr. Ich selbst hatte in einem dieser Wolkenkratzer gewohnt, Scott tat es noch heute. Im Gegensatz zu mir konnte er es sich leisten, diese Wohnung weiter zu finanzieren.

Der Blumenladen brachte mir genug Geld ein, um zu leben, aber nicht genug, um auf großem Fuß zu leben. Etwas, wonach ich allerdings auch nicht strebte. Ich war zufrieden mit dem, was ich hatte, auch wenn ich mich oft über meine fünfundzwanzig Quadratmeter beschwerte. Mit viel Mühe war es mir gelungen, den ehemaligen Abstellraum in der Etage über dem Blumenladen zu einem funktionellen, aber definitiv gemütlichen Raum einzurichten.

Mit einem abgetrennten Schlafbereich, einem kleinen Wohnzimmer, einer Küchenzeile mit Tisch und einem Mini-Badezimmer hatte er alles, was ich zum täglichen Leben brauchte. Noch dazu kostete es mich rein gar nichts, hier zu leben, da mir das kleine Häuschen von meiner Oma überschrieben worden war.

Schon früh, bevor sie krank wurde, hatte ich angefangen, ihr im Laden zu helfen, nachdem ich meine Floristikausbildung bei einem der renommiertesten Floristen New Yorks absolviert hatte.

CD Spencer, die wie in jedem Jahr auch in diesem den Manhattan Christmas Ball dekorieren durften. Dort arbeiteten zweihundertfünfzig Angestellte. Davon wurden fünfzig jedes Jahr für vier Monate abgestellt, nur um diesen Ball zu planen, zu organisieren und schlussendlich zu dekorieren.

Da konnte ich mit meinem Ein-Mann-Unternehmen wohl nichts ausrichten. Es gab in meinem Leben noch so viele Träume, die sich vermutlich niemals erfüllen würde. Während meiner Zeit bei CD Spencer hatte ich alles dafür gegeben, nur einmal in dieses Team aufgenommen zu werden, doch in dem Jahr, als es endlich so weit sein sollte, brauchte meine Großmutter mich dringender, sodass ich in den Laden zurückkehrte, statt bei CD zu bleiben. Somit war sie dahin, die einzige Chance, den berühmt-berüchtigten Weihnachtsball der Reichen und Schönen einmal aus nächster Nähe zu bestaunen.

Ich warf einen Blick auf die Uhr. In zehn Minuten musste ich den Laden aufmachen. Gut, dass mein Arbeitsweg unter einer Minute betrug und ich mir meinen eigenen Coffee to go in meiner alten Filterkaffeemaschine zubereiten konnte. Das sparte Geld und bewahrte mich davor, die Kunden morgens vor einer geschlossenen Ladentür stehen zu lassen. Mit Pünktlichkeit hatte ich es leider nicht so.

Gedankenverloren blickte ich auf die schwarze Flüssigkeit, die langsam in die Kanne tröpfelte. Ich hätte den Kaffee definitiv früher anstellen sollen, aber wenigstens hatte ich es geschafft, aufzuräumen.

So sah meine kleine Behausung wieder gemütlich aus – mit Abstand der Tatsache, dass meine Weihnachtsdeko fehlte. Unten im Laden glitzerte, funkelte und blinkte alles, so wie in jedem Jahr zu dieser Zeit, doch in meiner Wohnung fehlte der Glanz der besinnlichen Tage. Hier erinnerte nichts an das Fest der Liebe, auf das ich sonst das gesamte Jahr hin gefiebert hatte.

Ich war schon immer ein Weihnachtsjunkie gewesen, ein Familienmensch durch und durch, selbst wenn ich bei meiner eigenen Familie weder die Liebe noch die Geborgenheit bekommen hatte, die ich mir wünschte. Einzig meine Oma hatte Weihnachten immer mit mir zusammen gefeiert und nach ihrem Tod war ich bei Scotts Familie willkommen gewesen.

Meine Mutter, mit der ich dieses Jahr wohl Weihnachten verbringen würde, hatte nicht viel für Familie übrig, was auch die Tatsache zeigte, dass ich bei meiner Oma aufgewachsen war. Mom liebte es, mit immer wechselnden Männern durch die Welt zu reisen. Hauptsache, sie hatten Geld und finanzierten ihr all ihre Trips. Aus diesem Grund kannte ich auch meinen Vater nicht.

Bei ihrem Männerverschleiß war es ihr scheinbar schlichtweg unmöglich gewesen, meinen biologischen Erzeuger ausfindig zu machen, obwohl sie es mir zuliebe tatsächlich versucht hatte. Doch alle vier Vaterschaftstest waren negativ ausgefallen, weshalb ich wohl das Produkt einer Filmrissnacht in irgendeinem Hollywood-Nachtclub war.

Wenn das mein Leben nicht wunderbar beschrieb …

All by myself summend schritt ich durch den kleinen Blumenladen und drehte den Schlüssel um Punkt neun Uhr im Schloss um. Nichts auf der Welt würde je den Geruch beschreiben, den dieser wunderbare und besondere Raum ausstrahlte, mit all den frischen Blumen, der feuchten Erde und der Liebe, die in jedem Detail steckte.

Es erfüllte mich jedes Mal mit Glück und auch mit ein wenig Stolz, dieses kleine Paradies mein Eigen nennen zu können. Selbst wenn es mich niemals reich machen würde, so machte es mich wenigstens glücklich – und was konnte man vom Leben mehr erhoffen als Gesundheit und Glück?

Ich nahm meinen Kaffeebecher zur Hand und stellte mich hinter den Tresen, wie an jedem Morgen um diese Uhrzeit. Mit der Arbeit begann ich erst um 9.15 Uhr, wenn Vincent am Schaufenster vorbeigegangen war und mich gegrüßt hatte. Es war ein festes Ritual, oder besser gesagt war es für mich irgendwann zu diesem festen Ritual geworden.

Vincent war ein Mann, dessen Namen ich eigentlich gar nicht kannte. Ich hatte ihn irgendwann einmal so getauft, denn ich dachte mittlerweile oft über ihn nach. Mindestens zwei Mal am Tag zumindest.

Wenn ich den Laden aufschloss und wenn ich ihn schlussendlich sah. Er war in etwa in meinem Alter, wobei er auch ein bisschen älter sein konnte. Durch die Entfernung war es schwer zu sagen. Seit einem Jahr kam er jeden Morgen um dieselbe Uhrzeit am Laden vorbei. Betrachtete kurz das Schaufenster und die Blumen, nickte mir mit einem sanften Lächeln auf den Lippen zu und ging dann weiter. Wir hatten noch nie ein Wort miteinander gesprochen, geschweige denn hatte ich eine Ahnung davon, wer dieser Mann war oder wohin er ging.

Doch wie sollte ich das auch herausfinden, wenn wir uns Tag für Tag nur durch das Schaufenster sahen?

Meine beste Freundin Chrissy hatte mir schon so oft gesagt, ich solle doch einfach mal um diese Uhrzeit vor dem Laden stehen oder ihn grüßen, doch dafür war ich zu feige, um ganz ehrlich zu sein. Vincent, wie er immer mit erhabenen Schritten über die Straßen von New York ging, in seinem maßgeschneiderten Anzug …

Er war der Kerl meiner Träume, wenn ich wieder mal nicht schlafen konnte. An ihn dachte ich, wenn ich mir den perfekten Mann vorstellte, auch wenn ich keine Ahnung davon hatte, wer er eigentlich war.

Wahrscheinlich steckte hinter ihm ein herrischer, böser Superboss oder Ähnliches. Doch das alles verriet mir sein Aussehen nicht. Die dichten schwarzen Haare, die Augen, deren Farbe ich auf die Entfernung nicht erkennen konnte, das markante Kinn. Er war der Inbegriff eines unglaublich gut aussehenden Kerls. Nicht mehr und nicht weniger.

Und er trug den Namen Vincent, auch wenn er vermutlich ganz anders hieß.

Gerade als ich über ihn nachdachte, erklang das kleine Piepen auf meiner Uhr. Es war meine Erinnerung, aufzusehen, um ihn nicht zu verpassen, selbst wenn ich Kundschaft hatte. Meist war er minutengenau, so auch heute.

Er trug den dunkelblauen Anzug, den ich im Sommer besonders gerne an ihm mochte, da er ihn immer mit einem weißen Hemd und einer schlichten dunkelblauen Krawatte kombinierte. Davon konnte ich heute allerdings nichts erkennen.

Es war kalt draußen, wie immer zu dieser Jahreszeit, weshalb Vincent sich wieder in den dicken Mantel gehüllt hatte, mit passendem Schal und Handschuhen.

Er trug nie eine Mütze, wahrscheinlich um seine adäquat zurechtgemachten Haare nicht zu zerstören. Entweder lagen sie morgens wirklich immer so, wie aus dem Ei gepellt, oder aber er brauchte Stunden im Badezimmer. Ich würde ihm beides zutrauen.

Das Grinsen kehrte in sein Gesicht zurück, als er mich erblickte und mir kurz zulächelte, wie jeden Morgen. Wenn er wüsste, wie in mir jedes Mal die Hitze aufstieg, wenn er das tat. Vermutlich war er sich darüber vollkommen im Klaren.

Solche Männer wussten doch eigentlich immer über ihre Wirkung auf Frauen Bescheid. Warum sollte es bei ihm anders sein? Vielleicht machte er sich auch einen Spaß daraus oder genoss es, wie die Frauen in den Läden darauf warteten, dass er vorbeischritt. Ich machte mir keine Illusionen und glaubte nicht daran, die Einzige auf seiner Route zu sein.

Mit Chrissy hatte ich schon oft darüber gewitzelt, wie er von der Bäckerei bis zur Schneiderei alle Damen anlächelte und ihnen damit den Tag versüßte. Chrissy nannte es immer seinen Akt der Barmherzigkeit.

Ich hatte mich dumm gefühlt, am nächsten Morgen, nachdem wir unsere Theorie aufgestellt hatten, wollte ich nicht eine von vielen sein, die auf ihn warteten. Und doch war ich nicht von meinem Platz aufgestanden, bevor ich nicht dieses Lächeln gesehen hatte. Armselig, doch genau so war mein Leben nun mal.

Santa Claus is coming to town im Radio erinnerte mich wieder einmal daran, dass vermutlich auch heute in meinem Laden die Hölle los sein würde. Und ich sollte recht behalten. Wenigstens bekam ich so richtig gute Tageseinnahmen und der Tag neigte sich schnell dem Ende zu.

Momentan konnte ich es nie erwarten, bis ich den Schlüssel umdrehte, um mich mit Chrissy ins Nachtleben von Manhattan zu stürzen. Etwas, das ich erst durch sie in den letzten Monaten für mich entdeckt hatte. Früher war ich nie ausgegangen. Vielleicht mal zum Essen mit Scott, aber definitiv nie auf Partys. Das war nie mein Ding gewesen, bis mich meine armselige Einsamkeit fast erdrückt hatte. Jetzt gehörte es zu einem festen Bestandteil meines Lebens. Party mit Chrissy und einigen von ihren Mädels.

Wobei Mädels bei ihr etwas vollkommen anderes bedeutete, als man es vielleicht annahm, denn Chrissy war lesbisch und lebte ihre Homosexualität bemerkenswert offen aus. Etwas, wofür ich sie liebte, denn es zeigte ihre ganz besondere Persönlichkeit auf wirklich einzigartige Art und Weise.

Heute Abend waren wir im La Coquette verabredet, einer Lesbenbar nur zwei Häuserblocks von meinem kleinen Häuschen entfernt. Es war nett, mit den Mädels zusammen zu sein, und so kam jede von uns auf ihre Kosten. Chrissy, die flirten, fummeln und feiern konnte, während ich einfach meine Ruhe hatte.

Ich war nämlich rein gar nicht auf der Suche nach einem Mann. Für meine feuchten Träume in der Nacht reichte es mir voll und ganz, Vincent jeden Tag zu sehen.

Die Stunden mit den Mädels halfen mir dabei, abzuschalten, mich nicht alleine zu fühlen und vor allem nicht an Weihnachten und daran zu denken, wie sehr ich dieses Fest eigentlich liebte. Momentan lief ich mit Scheuklappen durch die Stadt, die so wunderschön glänzte, glitzerte und funkelte.

Wie sehr ich diese Dekoration immer geliebt hatte. Stundenlang war ich einfach nur so durch die Straßen geschlendert und hatte mir alles angesehen. Von den prunkvollen öffentlichen Dekorationen bis zu den privaten, die Bewohner in ihren Häusern und Wohnungen anbrachten.

Dieses Jahr vermied ich es, so gut es ging, einen Fuß in das weihnachtliche Treiben zu setzen. In den Bars und Clubs, die Chrissy immer für uns aussuchte, bekam ich Gott sei Dank nichts mit vom Weihnachtskitsch, während ich im Geschäft natürlich nicht drum herumkam.

»Abby!«, hörte ich meinen Namen sofort, als ich die Bar betrat. Draußen hatte es zu allem Überfluss auch noch zu schneien begonnen, was meine Anti-Weihnachtsstimmung nur noch verstärkte, denn mindestens genauso wie Weihnachten liebte ich weiße Weihnachten oder Schnee im Allgemeinen.

Es half dieser Stadt, ein wenig zur Ruhe zu kommen und ein Stück Besinnlichkeit zurückzuerlangen. Besinnlichkeit, mit der ich in diesem Jahr nichts anfangen konnte.

Doch darüber würde ich mir heute Abend keine Gedanken machen müssen. Die Bässe dröhnten bereits, obwohl es sich nur um eine normale Bar handelte. Genau so hatte ich mir den Abend vorgestellt.

Neben Chrissy waren noch vier weitere Mädels da, die ich allesamt schon von anderen Abenden kannte.

Mit drei von den vieren verband Chrissy deutlich mehr als nur eine Bekanntschaft und insgeheim war ich schon gespannt darauf, mit welchem der Mädels sie heute Nacht nach Hause gehen würde. Im Endeffekt hasste Chrissy die Einsamkeit genauso sehr wie ich, nur dass sie eine ganz andere Art hatte, damit umzugehen.

Ich kannte Chrissy bereits seit zwanzig Jahren. Wir waren zusammen zur Schule und in den Folgejahren durch dick und dünn gegangen, bis zu dem Zeitpunkt, als Chrissy endlich ihr Outing hatte. Mir war es schon Jahre vorher bewusst gewesen, doch es hatte sie viel Zeit gekostet, es sich selbst einzugestehen und dann auch an die Öffentlichkeit zu gehen.

Schlussendlich hatte es Chrissy nicht nur ihre Eltern, sondern auch den Kontakt zu ihrer Schwester gekostet. Sie kam aus einer absolut konservativen Familie und ihren Eltern sowie ihrer Schwester war ihr Ruf deutlich wichtiger als der Kontakt zu diesem wunderbaren Menschen. Ich würde das niemals verstehen können.

Umso schöner fand ich es, dass sie mit all den Mädels wirklich viele liebe Menschen um sich herum hatte, auch wenn der Zickenterror zwischenzeitlich nicht ausblieb.

Als ich in mein kleines Ein-Raum-Wunder zurückkehrte, war es bereits halb zwei, doch ich brauchte nicht viel Schlaf. Schließlich musste ich keine schwierigen Rechenaufgaben lösen oder mir irgendetwas merken.

Ich spielte mit meiner Kreativität und tat das, was ich liebte. Das konnte ich zur Not auch ohne Schlaf, wie ich es in den letzten Wochen schon unter Beweis gestellt hatte.

Hauptsache, ich war wach und orientiert, um Vincent nicht zu verpassen – und das war mir wirklich noch nie passiert.

Doch mein gewöhnlicher Tagesablauf wurde zunichtegemacht, da bereits eine Frau vor der Tür wartete, die sofort in meinen Laden stürmte, als ich die Tür am nächsten Morgen aufschloss.

Vielleicht sollte ich wirklich ein Schild an die Tür hängen: »Keine Kundschaft vor 9.20 Uhr«, aber das wäre vermutlich doch etwas auffällig.

Die Kundin hatte im Schaufenster einen Blumenstrauß entdeckt, den ich gestern Abend mit viel Liebe hergerichtet hatte, und erzählte mir bei der Bezahlung ausladend, wie sie die Weihnachtstage verbringen würde.

Dies waren für mich die schlimmsten Momente, besonders wenn diese schillernden Erzählungen voller Harmonie und Liebe mit der Frage »Und wie sehen Ihre Pläne aus?« kombiniert wurden. In diesen Momenten wusste ich nie, was ich antworten sollte, denn ich wollte die Menschen nicht anlügen.

Seit ein paar Tagen antwortete ich einfach, dass ich ganz ruhig feiern würde. Genau genommen hatte ich keine Ahnung, wie es war, die Feiertage mit meiner Mom zu verbringen. Eine traurige Gewissheit für eine Frau in meinem Alter.

»Wenn man vom Teufel spricht«, murmelte ich, als das Handy hinter der Ladentheke vibrierte und ich schnell erkennen konnte, dass meine Mutter anrief.

Ich verabschiedete die Kundin und nahm das Telefongespräch wenig enthusiastisch entgegen. Vermutlich, weil ich schon auf diesen Anruf gewartet hatte. Mir war bereits klar, dass sie nicht anrief, um mich zu fragen, wann ich vorbeikäme oder gar, was sie zu essen kochen sollte. Dieser Anruf konnte nur eins bedeuten.

»Huhu, Schätzchen!«, rief sie in ihrer komplett oberflächlichen Art, die ich so sehr an ihr hasste. Ich hatte noch nie ein ernsthaftes, gar tiefgründiges Gespräch mit ihr geführt. »Schätzchen, warum ich anrufe:

Ich habe mir diese ganze Sache mit Weihnachten noch mal durch den Kopf gehen lassen. Du weißt, wie ich bin, und ich finde, dass du jetzt in einem Alter bist, wo ich nicht mehr Rücksicht darauf nehmen muss, was deine Pläne sind, verstehst du?«

»Mom, du hast noch nie Rücksicht auf mich oder auf meine Pläne, Wünsche oder Bedürfnisse genommen.«

»Nun ja, gut, aber Grandma hat das ja auch alles immer nur allzu gerne übernommen. Jedenfalls finde ich, dass du alt genug bist, um an Weihnachten nicht bei mir sein zu müssen. Genau genommen bin ich auch gar nicht zu Hause. Ich halte das nicht aus, in dieser kalten Stadt zu sein.«

»Bist du denn überhaupt schon in New York?«

»Ich bin heute Morgen hier gelandet, aber Schätzchen, sei mir nicht böse, es hat geschneit. Das war alles, was ich brauchte, um mich in meiner Entscheidung bekräftigt zu fühlen. Ich nehme morgen früh mit Burt den ersten Flieger ins Warme. Ich bin mir sicher, dass du trotzdem schöne Weihnachtstage hier haben wirst, nicht wahr? Bis bald, Liebes. Bussi.«

Und das war’s. Sie hatte einfach aufgelegt und meine Weihnachtspläne zunichtegemacht. In der typischen Art, die meine Mutter nun mal hatte. Jetzt stand ich also wirklich alleine da.

Ich ließ das Handy zurück auf die Ladentheke sinken, während ich mich selbst auf den Barhocker setzte.

War das gerade wirklich geschehen?

Wie konnte diese Frau mich eigentlich noch überraschen?

Ich wusste, wie herzlos sie war, doch diese Aktion setzte der Krone ihre Dornen auf. Gott, ich ärgerte mich so sehr, denn eigentlich sollte mich ihr rücksichtsloses Verhalten nicht mehr überraschen oder mich gar so treffen, wie es jetzt der Fall war.

Ich konnte die Tränen nicht zurückhalten, die ich nicht mehr weinen wollte. Jetzt, genau in diesem Moment, wäre Celine mit All by myself wirklich angebracht, denn einsamer und verlassener als in diesem Moment würde ich mich wahrscheinlich nie wieder fühlen. Doch, an allen beiden Weihnachtstagen und dem Heiligen Abend, wenn ich mich in meiner kleinen Ein-Zimmer-Behausung besinnungslos trank.

Wenn ich Chrissy von meiner Misere erzählte, würde sie mich bestimmt sofort zu ihren Mädels mitnehmen, doch es war ihre Tradition und ich wollte nicht stören, da ich nicht dorthin gehörte und auch nicht dorthin passte.

Sie nutzten diese Feiertage für gewisse Orgien, also war dort definitiv kein Platz für mich – und nur wegen mir sollte meine beste Freundin nicht auf den Spaß ihres Lebens verzichten, so nannte sie es zumindest immer. Ich war eine erwachsene, mordsmäßig einsame Frau, aber ich würde schon klarkommen.

Wütend wischte ich mir die Tränen ab, doch neue folgten postwendend. Verdammt, verdammt, verdammt! Ich wollte jetzt nicht hier sitzen und Trübsal blasen. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, um über all das zu weinen, was in diesem Jahr in meinem Leben schiefgelaufen war.

Dafür gab es doch Silvester! Der nächste Tag, der einsame Loser wie mich an den Rand eines Nervenzusammenbruchs treiben würde.

»Ist alles in Ordnung?«, erklang eine Stimme und ließ mich aufblicken. Ich hatte nicht gehört, dass jemand den Laden betreten hatte, doch beim Anblick der Person, die sich nach meinem Wohlergehen erkundigte, stockte mir abrupt der Atem. Was zum Teufel.

Vor mir stand Vincent, der eine noch viel tiefere und männlichere Stimme hatte als in meinen feuchten … in meinen Träumen … in meinen Vorstellungen.

Ich hatte ihn verpasst! Durch all mein Elend und dem Bad in meiner Wanne voller Selbstmitleid hatte ich Vincent verpasst, oder auch irgendwie nicht. Er stand in der Ladentür und blickte mich mit diesen unfassbar hübschen Augen an, die erst jetzt, bei genauerer Betrachtung, ganz anders wirkten.

Er wirkte traurig, traurig und müde. Ganz anders als der strahlende Sonnyboy in meinen … Vorstellungen.

»Ma’am?«, hakte er nach.

Oh verdammt! Ich starrte ihn an, wahrscheinlich mit Panda-Augen, da meine Mascara sich nach dieser filmreifen Heulattacke im gesamten Gesicht verteilt haben dürfte. Ich musste ihm antworten, doch was sollte ich bitte sagen? Ich war nicht gut genug in der Kunst des Lügens, um jetzt ein »Ja, alles in Ordnung« über die Lippen zu bringen.

Vincent ließ die Tür los und trat nun vollständig in den Laden ein. Oh Gott, er kam näher! Er kam auf mich zu.

Ich musste reden, ihm einfach antworten. Wortlos griff er in die Innentasche seines Mantels und reichte mir ein fein säuberlich gefaltetes Taschentuch, das ich mit zitternden Händen entgegennahm.

Seine Augen waren blau, nicht grün, wie ich es mir vorgestellt hatte. Sie waren sehr, sehr blau und sehr, sehr traurig. Was auch immer Vincent durchgemacht hatte, er war gezeichnet. Kein Sonnyboy, kein Strahlemann, kein fröhlicher Lebemann.

Jetzt kam mir sogar die Vorstellung, dass er durch die Straße ging und alle Frauen durch die Fensterscheibe grüßte, unrealistisch vor, denn so wirkte er nicht. Er wirkte ehrlich und traurig.

»Ich … Es …«

Wunderbar, ich bekam es nicht mal hin, einen zusammenhängenden Satz über meine Lippen zu bringen. Ungeniert schnäuzte ich meine Nase, hielt Vincent das Taschentuch hin und zog meine Hand dann doch wieder zurück.

Ich konnte ihm wohl schlecht ein vollgerotztes Taschentuch zurückgeben. Na ganz wunderbar. Er hatte es mir bestimmt gereicht, damit ich mir damit damenhaft die Tränen abtupfte. Wunderbar, Abby …

»Entschuldigung«, murmelte ich und erfreute mich an dem süffisanten Grinsen auf seinen Lippen. Gott, er sah so unglaublich hübsch aus. Diese feinen Gesichtszüge! Er wirkte wie gemalt. Nur die traurigen Augen, die rein gar keine Lebensfreude ausstrahlten, zerstörten das Bild gänzlich.

»Nichts ist in Ordnung«, gab ich nun kleinlaut zu, während er scheinbar erleichtert durchatmete. Meine Vermutung bestätigte sich mit seinen nächsten Worten.

»Ich bin froh, dass Sie mit mir reden. Für einen kleinen Moment war ich wirklich sehr besorgt.«

»Es tut mir leid, wenn ich Ihnen wie eine geistesgestörte Irre vorgekommen bin, aber hey, das gerade am Telefon war meine Mutter. Sie hat für Weihnachten abgesagt.

Tada, also stehe ich nun ganz alleine da. Aber ich werde gleich natürlich wieder mein Lächeln aufsetzen und all den verdammt fröhlichen und gut gelaunten Kunden mit ihrer grauenvollen Festtagsstimmung erzählen, dass ich mich auch sehr auf die Feiertage freue, obwohl es komplett gelogen ist und ich eigentlich nicht lüge.

Nie!

Weil ich so etwas hasse. Aber die Leute wollen die Wahrheit doch gar nicht wissen, oder liege ich da etwa falsch? Ich weiß, dass es Sie auch nicht interessiert, dass mein Verlobter mich betrogen und verlassen hat und ich jetzt alleine dastehe, statt die glückliche Ehefrau zu sein, die ich jetzt sein wollte.

Meine verdammte biologische Uhr tickt, denn ich bin keine fünfundzwanzig mehr und kann in der Stadt mit jedem Kerl rummachen, der mir optisch gefällt. Und dann besitzt diese Frau, die sich ihr ganzes Leben lang einen Scheiß um mich gekümmert hat, auch noch die Dreistigkeit, mich anzurufen und mir zu sagen, dass es ihr in der Stadt zu kalt ist und sie deshalb wegfliegen muss.

Weil das natürlich auch viel wichtiger ist, als die Feiertage mit mir zu verbringen. Und in wenigen Tagen lacht mir das Schicksal noch einmal ins Gesicht, wenn Leute, die wahrscheinlich nicht mal Lust dazu haben, zum Christmas Ball gehen, während ich einfach zu unbedeutend und klein bin, um auch nur einmal einen Blick auf dieses Event zu werfen. Die ganzen Zeitungen sind voll mit dem opulenten Blumenschmuck und …«

Ich verstummte, als ich mir darüber klar wurde, dass ich alles wirklich laut aussprach.

»Und …?«, fragte Vincent, doch ich schüttelte den Kopf.

»Entschuldigung. Ich weiß gar nicht … Sie halten mich für eine Wahnsinnige, oder? Ich bin normalerweise nicht so und erzähle irgendwem meine Lebensgeschichte, aber das gerade ist einfach ein schlechter Zeitpunkt und …«

»Und manchmal ist das Leben einfach ganz schön unfair. Ich kann Ihnen nur versichern, dass ich Sie nicht für eine Wahnsinnige halte.«

»Das erleichtert mich. Wirklich! Ich habe es mir anders vorgestellt, wenn wir uns mal Hallo sagen.«

Er grinste und ich biss mir auf die Lippen. Super, jetzt hatte ich seinem Ego mit Sicherheit eine Steilvorlage geliefert. Falls er also doch an den Schaufenstern vorbeistreunte, um den Frauen schöne Augen zu machen …

»Wenn ich jetzt schon mal hier bin, in diesem wunderbaren Blumenladen, den ich jeden Tag begutachte: Würden Sie mir ein edles Blumenbouquet zusammenstellen? Am besten sofort.«

»Ja, aber natürlich«, erwiderte ich und erhob mich von meinem Barhocker, auf dem ich die ganze Zeit gesessen hatte. Als ich stand, fiel mir erst auf, wie groß Vincent wirklich war. Er überragte mich locker um zwanzig Zentimeter, weshalb er mindestens eins achtzig groß sein musste, wenn nicht noch größer.

Wie hatte ich mich nur so gehen lassen können? Und das vor ihm? Vielleicht würde ich es jetzt schaffen, eine wundervolle Arbeit abzuliefern, um wenigstens zu beweisen, dass ich nicht vollkommen übergeschnappt war.

»Für welchen Anlass?«, fragte ich und schenkte ihm ein Lächeln.

Verdammt, bestimmt für seine Frau. Ob er überhaupt verheiratet war? Warum hatte ich mir nie vorher Gedanken darüber gemacht? Ein Mann wie er war mit Sicherheit nicht alleine.

Oder aber er war der Typ »nur One-Night-Stands«, wie man ihn aus Büchern oder TV-Serien kannte. Mit seinem tollen Aussehen war auch das durchaus vorstellbar.

Meine Gedanken! Ich musste jetzt dringend aufhören und mich auf das Wesentliche konzentrieren. Meine Arbeit.

»Kein besonderer Anlass. Einfach etwas, das Sie selbst wunderschön finden würden.«

»Preislimit?«, hakte ich nach, was er mit einem lässigen Schulterzucken abtat.

»Keins.«

Oh, das war so klar gewesen.

Vermutlich gehörte ihm halb New York City oder weit darüber hinaus. Hier liefen so viele reiche Menschen umher. Genau genommen waren einige von ihnen auch Kunden in meinem Blumenladen, doch meist erledigten die persönlichen Assistentinnen immer die Aufgabe, Blumen für die Frau, die Geliebte oder gleich für beide zu bestellen.

Ich fragte nicht nach, was ging es mich auch an? Stattdessen machte ich mich eifrig an die Arbeit, um ihm zu zeigen, was wirklich in mir steckte. Und zu sagen, dass seine Anwesenheit mir dabei vollkommen egal war, wäre natürlich nichts anderes als gelogen. Ich fühlte seine Präsenz, die den ganzen Raum zu füllen schien. Wie oft hatte ich mir ausgemalt, mit ihm zu reden, wie oft hatte ich mir noch ganz andere Dinge mit ihm ausgemalt, die mich jetzt bestimmt schon wieder rot werden ließen …

Mein Auftritt war so oder so schon megapeinlich. Schlimmer konnte es also gar nicht werden. Es sei denn, ich warf mich ihm gleich n die Arme und erzählte ihm, wie gerne ich ein Kind von ihm wollte.

Da war sie wieder – meine beste Freundin, die biologische Uhr. Verdammter Mist!

Mit einem Lächeln über meine eigenen Gedanken zog ich ein paar pinkfarbene Rosen aus der Blumenvase.

Wie sehr ich diese Farbe liebte. Jose, mein Blumenlieferant, hatte sich selbst übertroffen. Auch zur Weihnachtszeit mussten es nicht immer nur die klassischen Rottöne sein.

Vincent bewegte sich im Raum umher und sah sich in Ruhe um, während jede seiner Bewegungen mein Herz noch ein wenig schneller schlagen ließ. Er sah so unglaublich gut aus!

Zehn Minuten später war ich fertig mit meiner Arbeit und betrachtete an meinem kleinen Tisch in der Ecke des Blumenladens voller Zufriedenheit mein rosé-weiß- farbenes Werk.

Mal sehen, ob Vincent es auch noch toll fand, wenn ich ihm dafür sechzig Dollar berechnete. Aber ich hatte nicht gegeizt.

»Das Ergebnis ist wundervoll!«, sagte er und lächelte mich an, wobei dieses Lächeln seine Augen definitiv nicht erreichte.

Wieso wirkte er nur so traurig?

»Es freut mich sehr, wenn es Ihnen gefällt.«

»Das tut es sehr wohl. Was bekommen Sie von mir?«

»Ich habe nur edle Blumen verwendet, weshalb sich der Preis auf sechzig Dollar beläuft.«

Vincent zuckte nicht mal mit der Wimper, natürlich nicht! Wie hatte ich auch daran zweifeln können.

Er zahlte in bar, was mich wunderte, war ich doch insgeheim schon auf die schwarze Amex vorbereitet gewesen. Nun gut, dann gerne auch in bar.

»Müssen Sie weit laufen? Dann würde ich die Blumen wärmer verpacken. Es scheint draußen eisig zu sein.«

»Das ist es in der Tat, aber Sie brauchen die Blumen nicht zu verpacken. Ich schenke sie Ihnen.«

»Sie … Was?«, fragte ich überfordert nach und riss die Augen auf. Nein, das hatte er gerade nicht getan.

»Sie waren so traurig und da Sie Blumen lieben, sich aber wahrscheinlich nie an Ihren besten Stücken bedienen, da sie den Kunden vorbestimmt sind, hielt ich es für eine gute Idee.«

Vincent traf den Nagel auf den Kopf. Ich nahm mir immer nur die Blumen mit nach oben, die ich im Verkauf nicht mehr gebrauchen konnte. Wie in einem Gnadenhof, bevor sie sofort in die Tonne wanderten.

»Das kann ich nicht annehmen.«

»Oh, das wäre schade und eine Verschwendung dieses wirklich wundervollen Werkes, das Sie gezaubert haben. Hoffentlich bereitet es Ihnen etwas Freude und holt Sie aus diesen trübsinnigen Gedanken, die Sie mit mir geteilt haben.«

»Ja, was das angeht … es tut mir wirklich leid. Sehr, sehr leid sogar. Es war nicht richtig, dass ich mich so verhalten habe, aber in diesem Moment …«

»Bitte entschuldigen Sie sich nicht und machen Sie sich um Gottes willen keine Vorwürfe. Es wäre so wertvoll, wenn wir Menschen unsere Gefühle auch in der Öffentlichkeit eigen dürften oder wenn wir wirklich aussprechen könnten, wie wir uns gerade fühlen.

Sie müssen hier den Traum einer Weihnachtswelt aufrechterhalten, und das, obwohl Sie so bitter enttäuscht wurden und Weihnachten dieses Jahr am liebsten verbannen würden. Auch wenn Sie es mir wahrscheinlich nicht glauben, aber ich verstehe Sie in diesem Punkt besser als jeder andere.«

Mittlerweile wusste ich gar nicht mehr, was ich mir noch vorstellen konnte und was nicht.

»Und Sie sind sich wirklich sicher, dass Sie die Blumen nicht verschenken wollen?«

»Absolut. Zu einhundert Prozent. Ich hoffe, ich habe Ihnen damit eine kleine Freude gemacht.«

»Ja! Ja, das haben Sie wirklich!«, bestätigte ich ihm überschwänglich.

»Dann ist doch alles gut. Das Lächeln steht Ihnen auch viel besser als die Tränen, die ich heute durch das Schaufenster gesehen habe. Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen.«

»Den wünsche ich Ihnen auch. Und vielen Dank!«

Mit einem Lächeln auf den Lippen drehte er sich um und verließ meinen Laden.

Jetzt brauchte ich den Barhocker hinter meiner Theke doch wieder. Meine Knie waren weich wie Wackelpudding, doch auf meinem Gesicht fand sich nun wahrscheinlich ein dümmliches Grinsen wieder statt der Tränen, die ich noch vor ein paar Minuten geweint hatte. War das alles hier gerade wirklich passiert?

Ich hatte nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, da die nächste Kundin den Laden betrat, doch heute Abend war definitiv ein Gespräch mit Chrissy fällig. Ich musste ihr alles über meine Begegnung mit Vincent erzählen.

Nach Ladenschluss nahm ich mein Blumenbouquet sowie das vollgerotzte Taschentuch von Vincent mit nach oben in meine Wohnung und schnappte mir direkt mein Telefon, um meine beste Freundin anzurufen, die sich recht schnell meldete.

---ENDE DER LESEPROBE---