Die Ziegenbock-Bande. Rätsel um das Pommesparadies - Meike Haberstock - E-Book

Die Ziegenbock-Bande. Rätsel um das Pommesparadies E-Book

Meike Haberstock

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Beschreibung

Kann einem etwas Schlimmeres passieren, als in den Ferien zu Hause zu bleiben und die gesamte Zeit mit seinem Zwilling zu verbringen? Samuel und Johanne, genannt Sammy und Jo, finden: NEIN! Doch dann begegnen sie Ottilie und Theodor Dreyfuss – den wohl besten, aber auch den wohl ältesten Detektiven der Welt. Und ihrem Assistenz-Ziegenbock Napoleon: freundlich, verfressen und hochbegabt. Den beiden Senioren kommen die Kinder gerade recht, denn ihren neuesten Fall können sie nicht allein bewältigen. Und schwups! sind Sammy und Jo Mitglieder der Ziegenbock-Bande – und die Sommerferien so spannend wie nie!

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Meike Haberstock

Die Ziegenbock-Bande. Rätsel um das Pommesparadies

Mit Illustrationen der Autorin

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Kann einem etwas Schlimmeres passieren, als in den Ferien zu Hause zu bleiben und die gesamte Zeit mit seinem Zwilling zu verbringen? Samuel und Johanne, genannt Sammy und Jo, finden: NEIN! Doch dann begegnen sie Ottilie und Theodor Dreyfuss – den wohl besten, aber auch den wohl ältesten Detektiven der Welt. Und ihrem Assistenz-Ziegenbock Napoleon: freundlich, verfressen und hochbegabt. Den beiden Senioren kommen die Kinder gerade recht, denn ihren neuesten Fall können sie nicht allein bewältigen. Und schwups! sind Sammy und Jo Mitglieder der Ziegenbock-Bande – und die Sommerferien so spannend wie nie!

 

Mit lllustrationen der Autorin

Über Meike Haberstock

Meike Haberstock, geboren 1976 in Münster, studierte Pädagogik und arbeitete viele Jahre in der Werbung, bevor sie wirklich ihren Traumjob fand: Kinderbücher schreiben, illustrieren und Lesungen in Schulen halten. Sie arbeitet für verschiedene deutsche Verlage. «Die Ziegenbock-Bande. Rätsel um das Pommesparadies» ist ihr erstes Buch für Rowohlt.

Sechs Wochen, das sind 42 Tage. 42 Tage, das sind 1008 Stunden. 1008 Stunden wiederum sind 60480 Minuten. Und 60480 Minuten … sind eine echt lange Zeit.

Kein normaler Mensch hat eine so lange Zeit am Stück frei – bis auf Schüler natürlich. Die haben einmal im Jahr so lange Sommerferien. Okay, Lehrer haben die auch, aber Lehrer kann man ja wohl kaum als normale Menschen bezeichnen – Lehrer zählen also nicht. Je nachdem, wie gut es das Leben mit einem meint, können diese sechs Wochen Sommerferien der Himmel oder die Hölle auf Erden sein.

In einer perfekten Welt könnte man in dieser Zeit vielleicht einmal um die Welt reisen oder zumindest das eine oder andere Land besuchen, in dem die Sonne verlässlich scheint. Wer mag, könnte auch seine Haare zählen, eine neue Sprache erfinden oder sich ein Schachspiel aus Möhren schnitzen. Kurz: Ganz egal, wozu man Lust hätte, man könnte auf jeden Fall eine Menge Spaß in den Sommerferien haben. Und wenn man Spaß hat, dann vergehen selbst sechs Wochen wie im Flug.

Wenn man allerdings weder zur Schule noch zum Sporttraining muss, wenn man nicht mal einen klitzekleinen Termin hat (noch nicht mal beim Zahnarzt oder Friseur) und wenn dann noch ALLE Freunde so weit weg sind, als hätte es sie nie gegeben, dann meint es das Leben so gar nicht gut mit einem. Und dann kann man diese sechs Wochen eigentlich nur noch als eines bezeichnen: FOLTER!

 

Sammy und Jo Egersbach, 10-jährige Zwillinge, lebten nicht in einer perfekten Welt. Die beiden lebten in der Mühlenstraße Nr. 1. Okay, das allein war nicht weiter schlimm. Grund für die Katastrophe, die den beiden bevorstand, waren ihre beiden Mitbewohner. Denn Sammys und Jos Mitbewohner waren Eltern. Zu allem Überfluss auch noch ihre eigenen. Und mit Eltern ist das ja wie mit Lehrern … bis man da mal welche trifft, die was taugen …

Eltern, das wissen die meisten von uns nur zu gut, sind die uneingeschränkten Herrscher im Land der Langeweile. Dabei haben sie selbst nie welche! Oder hast du jemals deine Mutter auf der obersten Treppenstufe sitzen sehen und brüllen hören: «Mir ist sooo langweilig!»? Hat dein Vater jemals die Worte «Ich weiß nicht, was ich machen soll! Keiner spielt mit mir» gesagt und dann herzerweichend geseufzt? NEIN!

Stattdessen räumen Eltern den ganzen Tag auf, wenn sie nicht gerade arbeiten. Sie machen Steuererklärungen oder den Abfluss frei, und wenn man sie tatsächlich mal still auf dem Sofa erwischen sollte, dann haben sie keine Langeweile, sondern erholen sich von dem, was sie Stress nennen.

Tja, so sind sie, die Eltern. Haben keinen blassen Schimmer, wie quälend langweilig sechs Wochen Sommerferien ohne Programm sein können – und dann lassen sie einen genau damit allein …

«Sammy, Jo, wir müssen euch was sagen.»

Mama seufzte, bevor sie weitersprach: «Der Spanien-Urlaub fällt leider ins Wasser, Frau Mergel hat sich beide Arme bei einem Fahrradsturz gebrochen. Sie kann nicht arbeiten kommen, und Papa und ich müssen im Laden die Stellung halten!»

Um 39 Wörter zu sprechen, braucht man ungefähr 15 Sekunden. Zum Vergleich: 15 Sekunden reichen auch aus, um einmal Zähne zu putzen, ein Spaghetti-Eis zu verschlingen oder auch um sein Zimmer aufzuräumen, wenn man es geschickt anstellt und einen großen Schrank hat, dessen Türen gut schließen. (Alles natürlich nur, wenn keiner zuguckt.)

15 Sekunden genügen ebenfalls, um zwei junge, vielversprechende Leben komplett zu zerstören.

«WAS?», kreischte Sammy und verschluckte sich an seinem Müsli.

«Wie bitte, heißt das, Samuel», sagte Mama streng.

«Nein, es heißt SCHEISSE!», polterte Jo und sprang so wütend von ihrem Stuhl auf, dass er umkippte. RUMMMS!

«Johanne, nicht in diesem Ton!», sagte ihr Vater. «Heb bitte deinen Stuhl auf und setz dich wieder hin. Wir haben ja einen Plan B für euch.»

Jo setzte sich widerwillig hin und starrte fuchsteufelswild die Menschen an, die sich ihre Familie nannten. Ihr Bruder Sammy trug zwar keine Schuld an dieser Katastrophe, aber das war Jo gerade egal. Er war einfach von Natur aus schuld – an allem!

Mama seufzte wieder. «Wir wissen, dass ihr euch sehr auf den Urlaub in Spanien gefreut habt. Aber stattdessen könntet ihr doch ins Kindercamp gehen. So wie im letzten Jahr. Hm, was meint ihr?»

Jo fühlte sich wie ein Frosch, der mit den Beinen schon im Hals eines gierigen Storches steckte, aber Aufgeben kam für sie nicht in Frage. Sie atmete tief ein und machte ihrem Ärger Luft: «Klar, Ferien in fernen Ländern, Sonne, Strand und ganze Tage im Pool … Wer braucht das schon? Da gehe ich doch lieber ins stinklangweilige Feriencamp. Ist ja auch viel praktischer – man spart sich die Sonnencreme, weil es hier sowieso nur REGNEN wird!» Die letzten Worte hatte sie regelrecht ausgespuckt.

Ihr Bruder Sammy hatte sich von seinem Hustenanfall wieder erholt, wirkte allerdings ziemlich blass. Sogar noch blasser, als er eh schon war. Wie Jo hatte auch er von Sonne, Strand und Tagen am Pool geträumt – allerdings nicht für sich, sondern für sie. Während Jo sich in die Fluten stürzte, hätte er endlich genug Zeit und Ruhe gehabt, um im Schatten irgendeiner Palme seine neuesten Bücher zu lesen: Mathe-Knobeleien (Teil 1–4), Physik für Fortgeschrittene und Technische Erfindungen der Raumfahrt.

Aber daraus wurde jetzt wohl nichts, und zur Abwechslung waren sich die beiden Geschwister einmal einig: Das betreute Kindercamp der Gemeinde war so spannend, wie einer Scheibe Brot beim Schimmeln zuzugucken. Das wussten sie noch aus den letzten Sommerferien. Da hatten sie drei von sechs Wochen jeden Tag von acht bis vier Uhr auf der eingezäunten Fläche hinter dem städtischen Sportplatz verbringen müssen.

WILLKOMMEN IM KINDERCAMP stand auf dem Eingangsschild – aber irgendwer hatte schließlich heimlich WILLKOMMEN IM KINDERKNAST darübergepinselt. Irgendwer, der genauso eine Handschrift hatte wie Jo …

Das Kindercamp war kein Plan B, so wie es ihr Vater gerade eben freundlich umschrieben hatte, sondern Folter!

Wie auf einen geheimen Befehl hin gaben Sammy und Jo ihrer Mutter gleichzeitig eine Antwort: «Kinderknast? Nur über meine Leiche!», motzten sie im Chor.

Überrascht starrten sich die beiden Kinder quer über den Tisch an. Keiner sagte ein weiteres Wort. Man hätte einen Hamster husten hören können, wenn denn zufällig ein Hamster anwesend gewesen wäre. Fünf lange Sekunden vergingen, dann reichte es Jo mit dieser ungewohnten Einigkeit.

«Dahin gehe ICH auf gar keinen Fall wieder. Aber BB hier, den könnte ihr da ja hinschicken!»

«BB?», fragte ihre Mutter irritiert.

«Na, BB – Bleicher Bruder! Du kannst ihn auch KMG nennen, Kalkweißes Mathe-Genie! Wie auch immer, ICH bin alt genug, ich bleibe zu Hause!»

Während Jo sprach, arbeitete Sammys Megahirn schon an einer passenden Antwort – allerdings war seine Zunge nicht so schnell wie sein Hirn. Besonders dann nicht, wenn er sich aufregte.

«W-wwenn du a-alt genug bist, wwwas bin i-ich denn da-nn bb-itte? Ich bin ssscchhließlich der Ä-ltere von uns b-beiden! I-ich b-leibe a-auch zu Hause.»

Was dann folgte, würden manche Menschen als Streit, unflätige Bemerkungen oder Schimpfworte bezeichnen. Zwischen Sammy und Jo war es normale Kommunikation. Sie motzten und pöbelten, was das Zeug hielt, bis Papa Egersbach so feste mit der Faust auf den Tisch haute, dass die Brötchenkrümel hoch in die Luft geschleudert wurden.

«SCHLUSS! AUS! ENDE! EUER GESCHWISTERKRIEG GEHT MIR AUF DIE NERVEN!»

Sammy, Jo und Mama Egersbach starrten ihn mit großen Augen an. Normalerweise wurde er nie laut – zumindest nie vor dem Mittagessen. Luise streckte die Hand aus und streichelte ihrem wutschnaubenden Ehemann den Arm.

«Stefanchen …», sagte sie beruhigend.

«Stefanchen wird euch sagen, was jetzt passiert!», erklärte Papa Egersbach mit funkelnden Augen. Sammy und Jo glotzten ihren Vater an, als hätte er gerade verkündet, von nun an nur noch im Taucheranzug vor die Tür zu gehen.

«Samuel, Johanne – ihr geht nicht ins Feriencamp. Ihr bleibt sechs Wochen lang zu Hause!» Mamas Augen wurden so groß wie Spiegeleier, doch Papa fuhr unbeirrt fort: «Alles, was ich von euch höre, ist ICH, ICH, ICH! In den nächsten Wochen lernt ihr mal das WIR! Ihr werdet gemeinsam in dieser Wohnung eure Zeit verbringen, ihr werdet gemeinsam essen, und wenn ihr nach draußen wollt, werdet ihr gemeinsam gehen. Ihr passt aufeinander auf, und ihr helft einander.»

«Das ist …», begann Mama, doch Papa schnitt ihr das Wort ab: «Genial, ich weiß, meine Liebe!»

Zufrieden lehnte er sich zurück und lächelte in die Runde. Die anderen drei Egersbacher am Tisch starrten sich abwechselnd an, als hätte Papa dem Taucheranzug nun noch ein Paar rosafarbene Feen-Flügel hinzugefügt.

Während sich Millionen Kinder auf die Sommerferien freuten, lagen vor den Zwillingen nun sechs GEMEINSAME Wochen, in denen sie aufeinander aufpassen sollten. 42 Tage ohne Schule, ohne Eltern und ohne Plan, wie man das aushalten sollte. 1008 Stunden mit einem Klotz am Bein. 60480 Minuten voller drohender Langeweile …

«AUFEINANDER aufpassen. Dass ich nicht lache. ICH passe ja wohl auf DICH auf, Körner-Heini! Schließlich bin ich sieben Zentimeter größer als du.»

«Größe ist kein Zeichen von Vernunft!», antwortete Sammy, ohne von seinem Müsli aufzusehen.

Der dritte Tag der Sommerferien hatte gerade begonnen, und schon wieder drohte ein Streit zwischen den Geschwistern.

An den ersten beiden Ferientagen hatten die Zwillinge sich entweder gelangweilt oder aber gestritten, und mittlerweile war selbst das Streiten langweilig geworden. Das WIR-Gefühl, das Papa Egersbach sich für die beiden gewünscht hatte, schien so wahrscheinlich wie eine Bushaltestelle auf dem Mond.

Heute, am Mittwoch, hatten Mama und Papa morgens die Wohnung verlassen und nach den katastrophalen letzten beiden Tagen auf dem Küchentisch einen ellenlangen Regelkatalog für ihre Kinder hinterlassen. Neben Alles gemeinsam machen und Freundlich zueinander sein war die wichtigste Regel, sich jede Stunde per Handy zu melden, damit die Eltern Egersbach sicher sein konnten, dass alles in Ordnung war. Außerdem sollten die Zwillinge aufeinander aufpassen. Sammy bekam den Auftrag, dafür zu sorgen, dass Jo nicht zu viel Unordnung im Haus anrichtete, und Jo wurde angewiesen, besonders auf Sammys körperliche Reaktionen zu achten. «Er hat doch so viele Allergien!», hatte Mama immer wieder betont.

Was mit meinen Allergien ist, interessiert niemanden in dieser Familie, dachte Jo. Typisch!

Heute früh hatte sie zum Beispiel akute Unlust verspürt, überhaupt aufzustehen. Das war ein klarer Fall von Bruder-Allergie! Als sie sich endlich aus dem Bett gequält hatte, hatte Sammy natürlich schon gewaschen und gekämmt am Frühstückstisch gesessen.

«Und außerdem», fuhr er nun fort, «passe ich ja schließlich auch auf DICH auf. Schon vergessen? Du bist zwar größer, aber ich bin älter. Ganze sieben Minuten. Wir sind also quitt.»

Sammy stand auf und räumte seine Hälfte des Tisches auf. So wie jeden Morgen. Er wischte die Tischplatte ab und rückte seinen Stuhl ordentlich an die Tischkante. Auch wie jeden Morgen. Er blickte zu Jo, die sich mittlerweile ihr drittes Brötchen schmierte. An ihrem Platz sah es aus, als hätte eine Horde tollwütiger Eichhörnchen ein Picknick veranstaltet und wäre dann Hals über Kopf vor der Nachbarskatze geflüchtet. Krümel-Chaos pur!

Sammy rollte mit den Augen und schüttelte den Kopf, meckerte allerdings nicht. Stattdessen zückte er sein Handy und machte ein Foto von Jo am Frühstückstisch. Dann raste er in sein Zimmer und konnte gerade noch so seine Tür verschließen, bevor Jo von außen dagegenhämmerte.

«Das schickst du NICHT an Mama!», brüllte sie.

«Wieso nicht, es entspricht doch der Wahrheit!», rief Sammy von drinnen.

«Es reicht doch, wenn Mama nur die halbe Wahrheit kennen würde. Also DEINE Seite vom Frühstückstisch!», bettelte Jo.

«Ich hab ‹GEMEINSAMES Frühstück!› druntergeschrieben», antwortete Sammy grinsend und ließ sich auf den Boden gleiten, während Jo gegen die Tür hämmerte.

 

Eine gute Stunde später blickte Sammy von seinem Buch auf. Was war denn das für ein nerviges Geräusch?

Krrsch, krrsch, krrsch … Unter seiner Zimmertür tauchte ein Zettel auf. Sammy faltete ihn auseinander und las. Das war unverkennbar Jos Handschrift:

 

Frieden? Lass uns an die frische Luft gehen! BITTE!

 

Sammy zögerte und versuchte, zwischen den Zeilen zu lesen. Das war kein Friedensangebot, das war eine Falle! Jo wollte sich ganz sicher für das Frühstückstischfoto rächen. Ihm fiel auf, dass es in den letzten 60 Minuten verdächtig still gewesen war. Und Jo war normalerweise NIE still. Sobald er die Tür öffnen würde, so überlegte Sammy, aktivierte sich bestimmt ein Seilzugmechanismus an der Klinke. Dann würde ein Eimer, den Jo über seiner Tür befestigt hatte, umkippen und literweise kaltes Wasser über ihm ausgießen. Und er würde einen Kälteschock erleiden!

Ein paar Minuten lang lauschte er an der Innenseite seiner Zimmertür, und zwei Zentimeter weiter lauschte seine Schwester auf der Außenseite.

Was geht da vor?, dachten beide.

 

Jo hatte vor einer Stunde Sammys Zimmertür von der Flurseite aus mit ihren Beinen verbarrikadiert und gewartet, dass ihre Blödbirne von Bruder irgendwann mal aufs Klo musste. Sie war sooo wütend gewesen. Als sich allerdings nichts in Sammys Zimmer geregt hatte, hatte sie enttäuscht aufgegeben und tatsächlich die Küche aufgeräumt. So konnte sie heute Abend immer noch behaupten, dass sie das Foto nur «gestellt» hätten – wie eine Filmszene oder so.

Das Thermometer am Küchenfenster draußen zeigte 22 °C, und die Vögel zwitscherten so laut, als ginge es um ihr Leben.

Lebensbedrohlich war auch die Langweile, die Jo verspürte. Sie musste raus – aber das ging nur gemeinsam mit ihrem Bruder. Deshalb hatte sie sich für das Friedensangebot entschieden – obwohl so etwas gar nicht ihre Art war. Aber in Anbetracht des drohenden Langeweiletodes machten Menschen wohl seltsame Sachen. Und so stand sie nun wieder hier im Flur, als es plötzlich raschelte und Sammys Antwort auf einem Zettel unter der Zimmertür durchgeschoben wurde:

 

Frieden? Nur, wenn du für meine körperliche Unversehrtheit garantierst.

 

Jo verstand nicht ganz. «Körperliche Un-ver-sehrt-heit … was soll das denn wieder heißen?», rief sie durchs Schlüsselloch.

«Na, du darfst mir nichts tun», antwortete Sammy hinter der Tür.

«Mann, sag das doch gleich. Warum musst du immer so kompliziert rumreden? Außerdem schlag ich doch keine Kleineren», rief Jo.

«Schwöre!», kam es aus Sammys Zimmer zurück.

Jo hob die rechte Hand und legte die linke Hand auf ihr Herz. Ob Sammy durchs Schlüsselloch guckte? «Dir passiert nichts. Ich schwöre hoch und heilig und bei allem, was mir wichtig ist. Pommes zum Beispiel! Wir könnten doch zum Beispiel zum Pommesparadies gehen!»

War ja klar!, dachte Sammy, als er die Zimmertür vorsichtig ein Stück weit öffnete. Die hat schon wieder Hunger! Er streckte seine rechte Hand durch den Spalt in den Flur und fotografierte mit dem Handy erst in Richtung Zimmerdecke und dann die äußere Türklinke. Die Möglichkeit, dass Jo trotz Schwur den Eimer Wasser über der Tür montiert hatte, musste überprüft werden.

«Was machst du da?», fragte Jo verwirrt.

Die Hand mit dem Handy verschwand für einen Moment wieder im Zimmer, und kurz darauf kam ein zögernder Sammy heraus. «Ach, nichts. Ich habe nur etwas überprüft.»

Jo wunderte sich nicht. Sie wusste, dass ihr Bruder einen massiven Dachschaden hatte – Mama nannte das allerdings Hochbegabung! Na ja, wie auch immer – Jo brauchte ihn, um die Wohnung zu verlassen, und schrieb Mama eine SMS:

 

Ich geh mal eben mit dem Bruder raus!

 

Dahinter setzte sie einen zwinkernden Smiley.

«SchmeckendiePommesheuteanders?», fragte Jo ihren Bruder und stopfte sich eine weitere ketchupüberzogene Fritte in den Mund.

Sammy seufzte. Wann würde seine Schwester endlich Manieren lernen? Er biss ein Stück von seinem trockenen Pommesstäbchen ab. Jo hatte schon recht, irgendwie war der Geschmack merkwürdig. Was war das für ein Gewürz? Und überhaupt, was war hier im Pommesparadies eigentlich los? Normalerweise stand hinter der Theke des weißen Frittenmobils der dicke Fritz in seiner leicht verschmierten Schürze und winkte Sammy und Jo schon von weitem zu.

Die beiden Kinder waren mindestens zweimal pro Woche hier, sonst bekam Jo Entzugserscheinungen. Aber das war nur ein anderes Wort für schlechte Laune. Bei jedem Besuch schauten die Zwillinge dem dicken Fritz über die Schulter und beobachteten dabei jeden seiner Handgriffe. «Eigentlich könnt ihr euch doch selber die Pommes machen, hm?», lachte er dann und stellte ihnen zwei Portionen Fritten auf die Theke. Dazu schenkte er ihnen immer mit den Worten «Die gehen aufs Haus!» zwei Dosen Limonade. Drei Euro kostete ein Besuch im Pommesparadies – und dieses Geld war immer gut investiert. Selbst Jo, die einen Magen in der Größe eines Kleinwagens haben musste, war nach ihrer Portion immer mindestens zwei Stunden lang satt.

Aber heute war alles anders. Der Schriftzug POMMESPARADIES war durch drei goldene Sterne ergänzt worden, und unten drunter war nun zu lesen: Chez Frédéric – haute cuisine mobile. Alles blinkte und blitzte und war picobello sauber – sonst wirkte das Pommesparadies eher etwas schmuddelig.

«Hä?», hatte Jo schon aus der Ferne verwirrt gefragt. «Wer ist Chez? Und was machen Frédéric und seine mobile Cousine hier?»

Sammy war stehen geblieben und hatte die Worte in die Übersetzungs-App seines Handys eingegeben. Französisch war ausnahmsweise mal nicht seine Stärke. «Bei Frederik – feinste mobile Küche», las er vor.

«Aber hinter dem Tresen steht doch der alte Fritz, oder?» Sammy zuckte mit den Schultern.

Der Mann hinter dem blank geputzten Tresen erinnerte nur noch wenig an den dicken Koch, der sie sonst mit einem Lachen und zwei Portionen Fritten begrüßte. Dieser Mann hier war zwar auch so groß und dick wie Fritz, aber alles andere an ihm war verändert. Keine verschmierte Schürze, keine Glatze, kein breites Grinsen. Dieser Mann hier trug eine blütenweiße Kochjacke mit glänzenden Knöpfen, sein Kopf verschwand unter einer riesigen Kochmütze, und unter seiner hochgereckten Nase wuchs ein pommesgabeldünner, gezwirbelter Oberlippenbart. Der Mann hatte sie mit folgenden Worten begrüßt:

«Bonjour Mademoiselle et Monsieur! Was kann isch für Sie tün?» Und dabei hörte sich jedes Wort so an, als käme es aus seiner Nase und nicht aus seinem Mund.

Sammy und Jo hatten sich verwirrt angesehen und dann das Pommesparadies nach Kameras abgesucht. Spielte ihnen hier jemand einen Streich? Wurde hier ein Film fürs Fernsehen gedreht? Versteckte Kamera oder so?

«Einmal wie immer!», hatte Sammy schließlich geantwortet, und als Fritz, Frédéric oder wie immer er auch hieß, nur seine linke Augenbraue hob, ergänzte Jo: «Eine Portion Pommes mit dreifach Ketchup, eine ohne alles und zwei Limos. Bitte.»

Fritz-Frédéric hatte sich umgedreht, an seinem Herd herumgewirbelt und ihnen schließlich zwei riesige Porzellanteller gebracht, auf denen jeweils ein paar verlorene frittenähnliche Gebilde und ein Kräuterblättchen lagen. Dann hatte er den Zwillingen Silberbesteck, weiße Stoffservietten und ein Silberkännchen mit Ketchup gereicht.

«Et voilà! Einemal frittierte Erdäpfelstäbschen mit fruchtige sauce de Sonnen-tomates und einemal frittierte Erdäpfelstäbchen mit ohne alles! Und dazu zwei limonade citron. Bon appétit! Macht acht Öro, s’il vous plaît!»

Jo war die Kinnlade runtergeklappt, Sammy hatte japsend nach Luft geschnappt. ACHT EURO für etwas, das sie nicht bestellt hatten! Die Geschwister bekamen pro Ferientag zehn Euro von ihren Eltern, die sie brüderlich teilen und für gesundes Essen einsetzen sollten. Pommes erfüllten die Anforderungen bestimmt auf ganzer Linie – schließlich wurden sie aus Kartoffeln hergestellt. Und Kartoffeln waren Gemüse. Und Gemüse war gesund.

Sammy hatte den Zehn-Euro-Schein aus seinem Brustbeutel herausgezogen und ihn widerwillig dem dicken Mann mit der Kochmütze gereicht, der seine Nase so weit nach oben gereckt hatte, dass man ihm in die Nasenlöcher gucken konnte, wenn man nicht schnell genug seinen Blick abwendete.

«Acht Euro für ein Mittagessen, das sonst drei kostet. Das macht eine Preissteigerung von über 100 %. Und unser Tagesbudget ist jetzt schon zu 80 % ausgeschöpft. Tolle Idee hattest du da!», hatte Sammy seine Schwester angezischt, die erbost erwiderte:

«Red mal lieber Klartext, du Geizkragen. Oder brauchst du dafür auch deine Übersetzungs-App? Sonst wasche ich dir deine Haare gleich mit dieser sauce de Sonnen-tomates!»

Der dicke Mann mit der Kochmütze hatte das Wechselgeld auf den Tresen gelegt und war leise schimpfend in seinem Hochglanz-Bus verschwunden: «Mince alors, ihr kleine crétins!»

«Was auch immer das heißt – freundlich klang es nicht», sagte Sammy. «Und jetzt die Übersetzung für alle Mathe-Verweigerer hier am Tisch: Unser Essen ist mehr als DOPPELT so teuer gewesen wie sonst! Für den Rest des Tages haben wir nur noch zwei Euro übrig.»

«Na, Mahlzeit!», hatte Jo geantwortet und sich die erste von den 22 Ketchup-triefenden Fritten in den Mund geschoben, die auf ihrem riesigen Teller lagen. Nach Fritte Nr. 10, also fünf Sekunden später, hatte sie mit vollen Backen «SchmeckendiePommesheuteanders?» gefragt, aber unbeirrt weitergegessen.

Sammy nickte – wenn auch widerwillig. Er hasste es, wenn er seiner Schwester zustimmen musste. Die Fritten, die sonst einfach nur nach Fett und Salz schmeckten, waren nun seltsam gewürzt. Paprika war es auf jeden Fall nicht. Seine Nase begann zu kitzeln, sein linkes Augenlid zuckte, seine Wangen kribbelten, und er schnappte nach Luft. Reagierte er gerade etwa allergisch auf etwas, von dem er noch nicht einmal wusste, was es war? Sammy hasste alles Neue – und dieser Geschmack hier war eindeutig neu!

Oje! Vor seinem inneren Auge sah er es schon: Atemnot, Schweißausbruch, Ohnmacht. Er würde kollabieren, aber bevor Jo den Krankenwagen riefe, würde sie ganz bestimmt erst noch in aller Ruhe seine Portion Pommes aufessen.

Sicherheitshalber wickelte Sammy eine Fritte in die riesige weiße Stoffserviette ein, die er dann in seine Hosentasche quetschte. Heute Abend würde er Mama fragen – vielleicht konnte sie die unbekannte Zutat herausschnuppern. Dann schob er seinen Teller weit von sich. Lieber wollte er hungern, als das Risiko einzugehen, hier gleich ohnmächtig im Staub zu liegen.