Die zwölf schlafenden Jungfrauen - Eine Geistergeschichte - Christian Heinrich Spieß - E-Book

Die zwölf schlafenden Jungfrauen - Eine Geistergeschichte E-Book

Christian Heinrich Spieß

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Beschreibung

Durch die List des Teufels schlafen zwölf schöne Jungfrauen schon jahrhundertelang in ihrer Burg; doch es wurde ihnen und ihrem gottlosen Vater, der dies alles verschuldete, auch Erlösung durch ihren Schutzheiligen vorhergesagt, die ihnen durch die Geburt eines unter seltsamen Umständen gezeugten jungen Ritters zuteil werden soll. Als dieser junge Ritter von seiner Bestimmung erfährt, macht er sich auf, die Verwunschenen zu erlösen Er ahnt jedoch nicht, auf welche lange und gefahrvolle Odyssee er sich begibt, denn der Satan will sich seine Beute nicht so einfach rauben lassen... Ein Klassiker der Schauerromantik!

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Seitenzahl: 649

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhaltsverzeichnis

Erster Teil

Zweiter Teil

Dritter Teil

Die zwölf schlafenden Jungfrauen —

Erster Teil

ALS noch die austrasischen Könige den größten Teil Helvetiens beherrschten, und das große Thurgau unter der Könige Kammer stand, lebte am Fuß der hohen Appenzeller Gebirge ein edler, freier Mann, der sich Hundweil nannte. Er hatte vorher zu Metz am königlichen Hof gedient, war des Wohllebens von Jugend auf gewohnt, und erhielt endlich zum Lohn seiner Dienste in Helvetien ein Stück ödes Land, das er für sich und seine Nachkommen urbar machen sollte. Er tat anfangs, was er vermocht, sammelte Knechte und Leibeigene um sich her, baute eine kleine Feste und bepflanzte das Land; aber seine Mühe schien fruchtlos zu schwinden, die Knechte verließen ihn bald besserer Dienste wegen, die Erde lohnte einen Fleiß sehr karg, er konnte kaum sich und sein Weib kümmerlich ernähren, indes die übrigen Edlen ringsumher auf Festen und Gelagen schwelgten, in Hülle und Fülle ihre frohen Tage durchsausten. Dieser unverdiente Unterschied tat dem fleißigen Hundweil sehr weh, er zankte deswegen oft weidlich mit dem Schicksal; als dies aber unerbittlich blieb, ihn vielmehr stärker als je drängte, so ward er mißmutig, und beschloß jedes Mittel zu versuchen, um auf irgendeine Art sein Habe und Reichtum zu vergrößern. Er hatte schon oft gehört, daß auf einem der benachbarten hohen Felsen, auf welchem zur Zeit der Alemannen die Heiden geopfert hatten, der leidige Satan noch immer sein Wesen treibe, die Menschen zwar ins ewige Verderben locke, sie aber mit dem größten Reichtum und Haufen Goldes beschenke, wenn sie sich freiwillig seinem Dienst widmeten.

Höchst unzufrieden mit dem Gegenwärtigen, ans Zukünftige nicht denkend, erstieg er einst an einem schönen Morgen den Felsen, mit dem festen Vorsatz, sich ganz des Satans Dienst zu ergeben, wenn er dagegen alle seine Wünsche zu erfüllen verspräche. Er stand nicht lange auf des Felsens Spitze, und blickte eben mit neidischen Blicken in die reizende Welt hinab, als sich ihm ein alter Mann nahte. Sein Bart war grau, sein Gesicht ehrwürdig, er hüllte sich in ein Ziegenfell, und trug in seiner Rechten ein Stück Holz, das einem Pfahl mehr als einem Stock ähnlich sah. Hundweil hielt ihn anfangs für einen Hirten und achtete seiner nicht; aber bald ward’s ihm schauerlich ums Herz, er gedachte seines Vorsatzes und meinte, daß die Gestalt wohl ebensogut dem Satan, als einem Hirten gleiche.

Hundweil (ängstlich.): „Wer bist du?“

Die Gestalt: „Du kamst mich zu besuchen, und ich lasse mich von jedem Notleidenden so gern finden. Folge mir in meine Höhle, der Gang soll dich nicht reuen.“

Hundweil: „Nein, nein! Was ich mit dir zu reden habe, läßt sich besser im Freien beschließen. Ich irre, mich doch nicht, wenn ich …“ (Er stockte.)

Die Gestalt: „Du irrst dich nicht! Ich bin einer der obersten Teufel der Hölle, aber deswegen nicht so böse, als mich die Pfaffen deines Glaubens schildern. Ich habe auch gelebt, auch Menschenelend geduldet, und weiß, wie weh es tut, wenn immerwährende Not unverdient auf einen losstürmt, und mit jedem neuen Morgen auch neues Leiden erwacht.“

Hundweil: „Du kennst das menschliche Leben trefflich!“

Die Gestalt: „Eben weil ich’s kenne, hat jeder Mensch Anspruch auf mein Mitleid. Freilich sagt man, daß ich heimtückisch, hinterlistig und trugvoll sei, nach Menschenblut dürste, nach ihren Seelen hungere, aber man betrügt euch. Mein großes Reich füllt sich von selbst, täglich vermehrt es sich zu Tausenden. Warum sollte ich also nach einzelnen umherhaschen, jahrelang arbeiten, um einen zu gewinnen, den mein Falkenauge unter den Millionen meiner Untertanen nicht einmal bemerken kann? – Wenn ich dann und wann auf Erden umherwandle, so geschieht’s wahrlich aus anderer Absicht.“

Hundweil: „Und diese wäre?“

Die Gestalt: „Ob ich gleich verdammt bin und ewig keine Erlösung zu hoffen habe, so ist mir Drang nach Vollkommenheit doch geblieben; auch weiß ich, was gute Handlungen vermögen, ich fühle einige Augenblicke Ruhe und Freude, wenn ich sie üben kann. Eines meiner angenehmsten und liebsten Geschäfte ist es, daß ich die verborgenen Schätze der Erde sammle und sie an Notleidende ausspende, die der Hilfe am meisten bedürfen. Ihre Freude, ihr Jubel, ihr Dank ist mir dann Labsal in meinen Qualen, ich fordere nie anderen Lohn, und bin mit diesem vollkommen zufrieden.“

Hundweil: „Wenn du wahr sprächest …!“

Die Gestalt: „Du zweifelst? Schade, daß du mir nicht in meine Höhle folgen willst, und ich eben nur eine Kleinigkeit bei mir trage. Doch sei dies zur Probe hinlänglich! (Er gibt ihm einen Beutel.) Da nimm, ich grub ihn eben unter einem Felsen hervor, wo er schon 100 Jahre unbenutzt ruhte. Benutze du ihn besser, komm wieder, wenn dir mehr mangelt.“ (Er will gehen.)

Hundweil: „Nein, verkannter und doch so guter Geist, höre erst meinen Dank, den …“

Die Gestalt: „Dein Gesicht, deine frohe Miene verkündigt mir ihn deutlicher, als deine Worte es vermögen. Ich bin schon reichlich belohnt. Geh in Frieden!“

Ehe Hundweil danken und sprechen konnte, war die Gestalt schon verschwunden; er stieg mit großer Freude vom Felsen herab, öffnete den Beutel und fand darin 50 Goldstücke von großem Wert. Sie reichten hinlänglich zu, um die nötigsten Bedürfnisse, welche ihm mangelten, zu kaufen; er konnte sogar durch ihre Hilfe seine kleine Feste vollends aufbauen, und nun unter ihrem Dach sicher wohnen; aber an den Besuch der Feste und Gelage, welche seine Nachbarn immer noch wechselweise feierten, konnte er nicht denken, weil er sie nicht zu erwidern vermochte, und doch waren seine Sinne so lüstern danach. Er besuchte daher den Felsen bald wieder, fand den Satan noch freigebiger, und brachte 100 Goldstücke heim. Nun trat er sogleich in den Zirkel der Fröhlichen, zechte mit ihnen, und lud sie auch nach seiner Feste; aber bald fand er, daß diese für Gäste viel zu wenig Raum enthalte, er beschloß, eine größere zu bauen, und holte zu dieser Absicht neues Gold vom Felsen. „Auch diesmal“, sprach der Satan, „will ich dir noch beistehen, und dir geben, was ich besitze, solltest du aber mehr bedürfen, so muß ich’s aus dem öffentlichen Höllenschatz holen, an welchen ich eigentlich alles, was ich finde, abliefern soll, und dann stehe ich nicht dafür, daß die Wächter derselben nicht eine Bedingung fordern, die dir schreckbar scheinen könnte. Sei daher sparsamer und wirtschafte besser!“ Hundweil beschloß zwar den guten Rat des mitleidigen Teufels zu achten, da er aber diesmal 200 Goldstücke erhalten hatte und dieses ihm eine unerschöpfliche Summe schien, so fuhr er fort, Gelage zu besuchen, selbst zu geben, und die neue Feste aufs prächtigste zu erbauen. Noch war diese nicht vollendet, als er einst in den Beutel griff und voll Erstaunen die leere Hand wieder herauszog. Alle seine Nachbarn lobpreisten den herrlichen Bau der Feste, freuten sich schon innig auf die Einweihung derselben, weil Hundweil ihnen an diesem Tag ein Fest versprochen hatte, wie noch keines war gefeiert worden. Er wußte dies alles, erinnerte sich seines gegebenen Wortes, und sollte nun mit einmal den Bau einstellen, das Werk nicht vollenden, und in der ganzen Gegend zum Gespött, zur Märe werden. Dies war mehr, als sein Stolz zu tragen vermochte; fest entschlossen, alles zu wagen, warf er den leeren Beutel in einen Winkel, und begann eine neue Reise nach dem Felsen. Wie er oben anlangte, sah er seinen Wohltäter traurig am Eingang der Höhle sitzen, er mußte nahe zu ihm treten, ehe er bemerkt wurde.

Die Gestalt (ihn anstarrend.): „Was bringst du mir?“

Hundweil: „Ich komme, dich wieder einmal zu besuchen, und hoffe, du wirst nicht zürnen.“

Die Gestalt. „Wahrlich nicht mit dir, aber mit meinem verdammten Schicksal, das mich mitten unter den Abschaum böser Geister warf, die nun wie Geier an mir nagen, mir jede Freude verbittern, jedes Vergnügen vergällen. Es tat mir so wohl, es machte mich so munter, wenn ich irgendeinem Notleidenden Hilfe leisten konnte. Sie sahen meine Freude, neideten sie und spürten ihrer Quelle nach; bald entdeckten sie solche, und ich bin nun unfähig, je mehr diese seltene Freude zu genießen.“

Hundweil (erschrocken.): „Wieso? Wie ist’s möglich, da du der Oberste der Teufel bist?“

Die Gestalt: „Was nützt’s? Auch die Hölle hat ihre Gesetze, die niemand ändern kann, denen ich als Monarch untergeordnet bin. Ich kann sie wohl verschärfen, aber ich darf sie nie lindern; dies Gebot macht mein Reich allein zur Hölle! – Ich hatte für dich wieder einige hundert Goldstücke gesammelt, freute mich so herzlich, dich unverhofft damit zu überraschen, gestern mußte ich alles in unsere Schatzkammer liefern.“

Hundweil: „So kannst du mir diesmal mit gar nichts helfen?“

Die Gestalt: „Jetzt und nie mehr!“

Hundweil: „Das ist hart, habe Hilfe so nötig …“

Die Gestalt: „Bei mir suchst du sie vergebens.“

Hundweil: „Wohin soll ich mich nun wenden?“

Die Gestalt: „Ich kann dir nicht raten, denn du dauerst mich.“

Hundweil: „Du sprachst ehe schon von einer Schatzkammer der Hölle, in welcher Gold in Menge aufgehäuft ruht – kann ich die Verwalter derselben nicht sprechen?“

Die Gestalt: „Du kannst’s!“

Hundweil: „Würden sie mir wohl eine kleine Summe zur Vollendung meiner Feste darleihen?“

Die Gestalt: „Willig und gerne.“

Hundweil: „So eile, mich mit ihnen bekanntzumachen.“

Die Gestalt: „Tor! Willst du die Zinsen zahlen, welche sie fordern?“

Hundweil: „Mit vielen Freuden, wenn sie nur mäßig und billig sind.“

Die Gestalt: „O äußerst billig, äußerst mäßig! (Lacht bitter.) Du wirst darüber erstaunen. – Gehe heim und zerstöre deine Feste.“

Hundweil: „Das will, das kann ich nicht.“

Die Gestalt: „So tue denn, was du nicht lassen kannst. Borge dir Gold aus unserer Schatzkammer, verschreibe dagegen deine Seele zum unwiderruflichen Zins, lebe einige Jahre in Freude und Wonne, in Saus und Braus, und fahre dann mit Leib und Seele zur Hölle.“

Hundweil: „Schrecklich! Schrecklich! Lebe wohl, ich danke dir für deine Warnung!“

Er ging erschrocken fort, und beschloß, lieber arm und dürftig, als einst in ewigen Qualen zu leben; wie er aber seiner neuen Feste näher kam, wie die weiß übertünchte Mauer so schön und herrlich ins Tal hinab glänzte, und ringsumher Reichtum und Größe verkündigte, da ward ihm ängstlich ums Herz, er gedachte überdies, daß bei seiner Abreise die Arbeiter ihres Lohnes harrten, er schämte sich des Geständnisses, daß er ihn nicht mehr zahlen könne, den Bau unvollendet lassen müsse, er hörte das frohlockende Gelächter seiner Nachbarn, und kehrte wieder nach dem Felsen zurück. Der Satan saß noch immer am Eingang der Höhle.

Der Satan: „Ich dachte es gleich, daß du den Fallstricken meiner Brüder nicht entgehen würdest, und harrte hier deiner absichtlich, um dir wenigstens die besten Bedingungen zu gewähren. – Bist du entschlossen?“

Hundweil (schaudernd.): „Ich bin’s!“

Der Satan: „So höre und fasse: Wir borgen, so viel, so oft du fordert; aber nicht länger als höchstens zehn Jahre lang.“

Hundweil: „Eine kurze Zeit, die sich noch weit mächtiger engt, wenn man sie in Freude und Vergnügen durchlebt! Gewähre mir 20 Jahre!“

Der Satan: „Nicht einen Tag, nicht eine Stunde länger. Du mußt meine Geduld und mit ihr meine Großmut nicht durch unnütze Forderungen ermüden. Hätte ich dich der Willkür meiner Brüder überlassen, sie würden dir nicht die Hälfte dieser Zeit zugestanden haben.“

Hundweil: „Zehn Jahre kann ich also unbedingt fordern? Kann ungehindert verschwenden und verprassen so viel ich will?“

Der Satan: „Kannst unsere ganze Schatzkammer leeren, kannst fordern, daß wir sie dir aufs neue füllen. Wir werden’s tun und die Bedingung treu erfüllen, doch mußt auch du am Ende die Zinsen richtig und ohne Weigerung zahlen.“

Hundweil: „Und diese sind?“

Der Satan: „Dein Körper, deine Seele! Im letzten Augenblick des letzten der zehn Jahre komme ich, dich abzuholen, vernichte deinen Körper und führe deine Seele zur Hölle, aus welcher sie niemand erretten kann. Freilich ist’s mehr als wahrscheinlich, daß du auch ohne den Bund, welchen du mit mir schließen willst, einst ein Mitglied der höllischen Gesellschaft werden kannst, dein Drang nach Größe, deine Begierde nach Reichtum wird dich zu Lastern reizen, die ähnliche Strafe hinter sich schleppen; aber es ist nicht ausgemacht, nicht gewiß; nur wahrscheinlich und leicht. – Fördere deinen Entschluß, denn einige Tausende, welche heute an der Höllenpforte anlangten, harren ihrer Bestimmung und ich darf sie nicht länger weilen lassen.“

Hundweil: „Du hast Recht, wenn täglich viele Tausende in deinem Reich anlangen, so wird mir’s äußerst schwer werden, unter den wenigen zu wandeln, die euren Fallstricken entgehen, ich will daher dem fast unvermeidlichen Schicksal nicht länger widerstehen, und hier die Wonne und Freude zu genießen suchen, die dort so schwer zu erreichen und überdies äußerst ungewiß ist.“

Der Satan: „Du sprichst gut und herrlich. Ich freue mich im voraus deiner Ankunft und hoffe dich einst wohl brauchen zu können! Komm und unterzeichne!“

Hundweil: „Gib mir erst Gold, so viel ich fordere.“

Der Satan: „Kannst’s in der Höhle beschauen, ob dir’s auf einen Mond genügt.“ (Er führte ihn nach der Höhle, ein großer Haufe Gold glänzte im Innern derselben.)

Noch bewachen es unsichtbare Geister, wenn du aber unterzeichnet, so weichen sie.“

Hundweil: „Ich kann den Griffel nicht führen.“

Der Satan: „Will dich ihn schon führen lehren! (Zieht eine Pergamentrolle aus seinem Busen und setzt sich auf einen hohen Stein.) Wie nennst du dich?“

Hundweil (seufzend.): „Georg, Edler von Hundweil.“

Der Satan (schreibend, für sich.): „Georg? Ich schreibe den Namen so ungern, immer schmerzt mich die Wunde noch, die er mir so tapfer durch den Rücken des Lindwurms versetzte. Es freut mich herzlich, daß ich wieder einmal einen seiner Namensträger in die Hölle locken kann, es gibt noch sehr wenige in meinem Gebiet, immer sucht er sie meinen Klauen zu entreißen. (Noch schreibend.) Diesen will ich vorzüglich fest binden. (Laut.) Binnen zehn Jahren folgst du mir freiwillig?“

Hundweil (schaudernd.): „Wenn’s nicht länger dauern kann!“

Der Satan: „Nein, längere Frist kann, ich nicht gewähren. Werden so weidlich mit mir murren, mich mitleidig schelten, wenn sie’s registrieren müssen. Ritze dich mit diesem Griffel in den Zeigefinger deiner rechten Hand und unterzeichne mit deinem Blut.“

Hundweil (zitternd.): „Ich vermag’s nicht!“

Der Satan: „Soll ich dir beistehen?“

Hundweil: „Tu’s, damit ich der Angst entledigt werde.“

Der Satan (ritzt Hundweils Finger, drückt den Griffel in sein Blut und führt ihm die Hand zur Unterschrift, mit großer Schadenfreude.): „Nun ist’s vollendet!“

Hundweil (sich den Angstschweiß von der Stirn wischend.): „Aber noch nicht überstanden!“

Der Satan: „Gedenke des Endes nie, und sei froh und lustig! Genieße das Gegenwärtige, die Zukunft folgt von selbst. Wohin befiehlst du, daß ich das Gold tragen soll?“

Hundweil (es mit gierigen Auge betrachtend.): „Nach meinem Schlafgemach!“

Der Satan: „Wenn du dort anlangt, wirst du es finden.“

Hundweil: „Wie erhalte ich mehr, wenn ich’s fordere?“

Der Satan: „Jeden Tag werde ich die Lücken füllen, welche deine Hände im Haufen verursacht haben. Noch im letzten Augenblick der vollendeten zehn Jahre wird’s dir freistehen, den vollen Haufen zu verschenken. Bist du zufrieden?“

Hundweil: „Ich bin’s!“

Der Satan: „Nur keine Kirche kannst du bauen, nichts vergeben an Klöster und milde Stiftungen, sonst schwindet der Haufe, und ich kann ihn nicht mehr erneuern.“

Hundweil: „Sorge dich nicht, solch ein Werk kam mir noch nie in den Sinn.“

Der Satan: „Könnte doch geschehen, drum warne ich dich freundschaftlich. Übrigens kannst du leben, wie dir’s behagt, kannst buhlen, rauben, morden, nach Wohlgefallen. Niemand wird’s ahnden, denn ich stehe dir bei. Freilich wird’s einst dort geahndet; aber was kümmert dich die Zukunft, wenn du die Gegenwart ungestört genießen kannst.“

Hundweil (traurig.): „Zehn Jahre fließen schnell vorüber.“

Der Satan: „Aber im seligsten, vollsten Genuß des irdischen Vergnügens!“

Hundweil: „Wenn mein Gewissen sich nur nicht regte.“

Der Satan: „Sei ruhig, es ringt eben mit dem Tode, zappelt jetzt um so stärker, bald wird’s enden und dir Friede gewähren.“

Hundweil: „Ich wünsche es vom Herzen, denn wenn’s mich immer so ängstigt, so werde ich meines Lebens nicht froh werden. Leb wohl!“

Der Satan: „Wenn du meiner Hilfe bedarfst, so rufe mich, ich bin stets bereit, dir zu dienen.“

Hundweils Gewissen sprach auf der Reise vom Felsen herab noch stark und laut, als er aber in seiner Feste anlangte und den großen Haufen Gold im Schlafgemach fand, da mußte es der Freude weichen. Hundweil sandte nach seinen Nachbarn und Zechbrüdern, ward bald in ihrer Mitte des Weines voll, und gedachte der Zukunft nicht mehr. Der Bau seiner Feste ward bald vollendet, er weihte sie mit täglichen, immer erneuerten Gelagen ein, sein redliches Weib, das die Quelle des großen Reichtums vielleicht ahnte, machte ihm bittere Vorwürfe darüber, forderte Rechenschaft und ward von dem Trunkenen jämmerlich mißhandelt. Am anderen Tag jagte er sie von der Feste, sie ging nach einem Kloster und starb bald nachher an innerem Gram und Kummer. Hundweil führte sogleich Buhldirnen in sein eheliches Bett, er raubte die schönen Töchter der entfernteren Edlen, und verwahrte sie zum schändlichen Genuß auf seiner Feste. Die beraubten Väter und Mütter jammerten hilflos, denn Hundweils Reichtum machte ihn in der ganzen Gegend furchtbar und verschaffte ihm großen Anhang. Keiner wagte es, ihn anzugreifen, und wenn er’s wagte, so wurde er schimpflich in die Flucht geschlagen. Da er mehr als 50 der unglücklichen Dirnen auf seiner Feste bewachte und jede Nacht bei einer anderen schwelgte, so war’s leicht möglich, daß ihm in einem Jahr zwölf schöne Mädchen geboren wurden. Sein Weib hatte ihm nie ein Kind geboren, seine Freude darüber war daher sehr groß, und wenn er nüchtern war, – was freilich selten geschah, – so versammelte er immer diese Kleinen in seinem Gemach, und genoß in ihrer Mitte manche Vaterfreude. Er kleidete sie stets prächtig und zog sie immer, als sie größer wurden, an seine Tafel. Ihr Lallen, ihr unschuldiges Flehen verhinderte oft ruchlose Taten, welche er im Rausch üben wollte. Wenn sie vereint niedersanken und alle ihre kleinen Hände zu ihm emporstreckten, so konnte er nicht widerstehen, und gewährte stets, was sie flehten. Die übrigen Jahre seines Lebens ward ihm kein Kind mehr geboren, sein Hang zur Wollust endete, er entließ die meisten der Dirnen mit reichlichen Geschenken, nur die Mütter der zwölf Mädchen blieben freiwillig auf der Feste, weil auch sie ihre Kinder zärtlich liebten und sich nicht von ihnen trennen wollten. Trunk und Tafel ward jetzt die Lieblingsleidenschaft des Alten, jeden Tag ward ein neues Fest gegeben, jede Nacht endigte sich mit einem vollen Gelage. Er ließ Wein und Speise aus den entferntesten Ländern herbeibringen, auf seiner Tafel fand man täglich, was selten, oft nie auf der königlichen Tafel stand. Er war äußerst gastfrei, und jeder Fremde fand Herberge auf seiner Feste, so lange er sie forderte, oft beschenkte er sogar sie mit reichlicher Wegzehrung. Einst herbergte auch bei ihm ein alter Ritter, der nicht fähig war, mit den übrigen zu zechen, daher gern weitergezogen wäre, wenn nicht seine äußerste Armut ihn daran gehindert hätte. Er hörte, daß die Kinder des reichen Burgherrn alles über sein Herz vermochten, und wandte sich mit seiner Bitte an diese. Sie versprachen ihm Beistand und traten aus dieser Absicht ans Lager des erwachten Vaters; er hatte eben durch ruhigen Schlaf einen Rausch geendet, welcher ununterbrochen mehrere Tage gedauert hatte.

Hundweil (sie anstarrend.): „Was bringt ihr mir? Wachst ja mit jedem Tage größer! (Zur Ältesten.) Wie alt bist du?“

Die Älteste: „Ich zähle eben volle neun Jahre.“

Hundweil (erschrocken.): „Neun Jahre? Und ehe du geboren wurdest, verflossen mehr als neun Monde. Meine Zeit kürzt sich mächtig, ich muß rechnen und sie besser nützen. (Aufspringend.) Geht und laßt mich allein! (Die Kinder wollten sprechen, mit ernstem Blick.) Geht, ich will euch nachher wieder rufen!“

Die erschreckten Kinder flohen und der Alte trat zitternd und bebend an das Fenster, er durchlief mit forschendem Blick die Zeit, seit welcher er den Bund mit dem Satan geschlossen hatte, fand nach genauer Übersicht, daß eben der letzte Mond beginne, und mit diesem das zehnte Jahr sich enden werde. Sein Gewissen erwachte fürchterlich, seine Seele fühlte schon die nahen Qualen der Hölle, er hob zum ersten Mal wieder seine Hände zum Himmel empor, klagte seinem Schöpfer die dringende Not, und weinte bittere Tränen der Reue. Sein Herz ward mit Wehmut erfüllt, es zagte und schmachtete nach Rettung, er winkte den Knechten, welche im Vorhof seines Befehls harrten, er befahl ihnen, die Jagd abzusagen, welche er auf heute bestimmt hatte, und am Abend mit einem Saufgelage enden wollte. Es war ihm unmöglich, länger allein zu bleiben, er rief seine Kinder zurück, gewährte mit Freuden ihre Bitte und ließ sie nicht mehr von sich. Sie mußten durch unschuldige Spiele seine Traurigkeit zu zerstreuen, seine bange Ahnung zu verjagen suchen, es gelang den Unschuldigen oft, er fühlte wenigstens, wie glücklich ein Vater sein könne, welcher mitten unter seinen Kindern lebt! Als der Abend nahte, bereitete er selbst in seinem Gemach ein Lager für die Kleinen; sie mußten an seiner Seite ruhen, er hoffte durch sie die fürchterlichen Gespenster zu verjagen, welche seine erschreckte Einbildungskraft selbst schuf, und ihm immer vors Auge stellte. Am anderen Tage teilte er seinen Goldhaufen, der noch immer gleich groß war, in zwölf Teile und befahl die zwölf Dirnen zu rufen, mit welchen er seine Kinder erzeugt hatte. Lange schon waren sie nicht vor seinem Angesicht erschienen, hatten im Gebet ihre Tage durchlebt und nicht Anteil genommen an den sündlichen Gelagen, die täglich auf der Feste gefeiert wurden. Sie traten zitternd in sein Gemach, staunten sehr, als er ihnen mit Tränen im Auge entgegeneilte und gutherzig ihre Hände drückte. „Ihr habt mich“, sprach er, „zum Vater dieser Kleinen gemacht, ich bin euch noch Dank schuldig und will ihn jetzt tilgen. Kommt und nehmt jede euren bestimmten Teil.“(Er führte sie zu dem Goldhaufen.)

Eine derselben: „Es ist mehr, als wir fordern konnten, aber doch genügt’s uns nicht. Wir lieben unsere Kinder, ohne sie wird Reichtum nur Jammer für uns sein.“

Hundweil (sehr gerührt.): „Sie sollen euch werden, sobald ich sterbe, aber bis zum Tode müßt ihr sie dem Vater gönnen, er wird nur zu bald, ach zu früh enden! Nehmt indes euer Erbteil, flucht mir nicht, betet für mich! Verzeiht mir, was ich freventlich an euch übte; klagt mich einst dort nicht an.“

Alle Dirnen: „Wir vergeben, wir werden dich nicht anklagen.“

Hundweil: „Verlaßt meine Feste noch heute, zieht nach einem Kloster, weiht euch Gott, und bittet ihn um Vergebung meiner Sünden.“

Eine derselben: „Das war schon längst der sehnlichste unserer Wünsche, deine Freigebigkeit fordert ihn mächtig, wir würden der heiligen Magdalene zu Ehren ein Kloster stiften, ewig in dessen Zellen für dein Wohl beten, wenn nicht unser Herz für die Kleinen zagte und wir überzeugt wären, daß sie uns einst folgen dürften.“

Hundweil: „Sie sollen’s, ich schwör’s, sie sollen’s, nur eine unter ihnen soll mein Andenken unter den Menschen fortpflanzen und meine Habe erben, die übrigen werden euch ins Kloster folgen und sich mit euch dem Herrn weihen. Traut meinen Worten, sie sind echt, zieht bald aus, und fördert euch, daß euer Werk noch vor Mondesfrist beginne.“

Alle: „Wir wollen’s nach Kräften fördern. Segne dich Gott dafür, und stehe dir einst in deinen Todesängsten bei!“

Hundweil (ernst gen Himmel blickend.): „O höre den Wunsch der Frommen, und richte mich nach deiner Barmherzigkeit.“

Es kostete den guten Müttern viele, den lieben Kleinen noch mehrere Tränen, ehe sie ganz schieden; nur der Gedanke, daß sie ein gottgefälliges Werk unternahmen, stärkte die ersteren beim Abschied, und stillte die Tränen der letzteren, als ihr Vater ihnen heilig versprach, daß er sie ihren Müttern bald nachsenden wolle. Erst einige Tage nach der Mütter Abreise nahm der Alte wahr, daß sein großer Haufe Gold durch die Teilung ganz geschwunden war und sich nicht wie gewöhnlich wieder mehrte. Er achtete es nicht, nahm’s für ein gutes Zeichen, und lebte nun ganz in der Gesellschaft seiner Kinder, kein Gelage wurde mehr auf der Feste gefeiert, das Tor derselben niemandem geöffnet; die Burg, auf welcher sonst nur Freude und Vergnügen thronte, glich zur Verwunderung der ganzen Nachbarschaft einem Kloster. Wahrscheinlich glaubte der Alte, daß der Satan keine Macht über ihn haben werde, wenn er mitten unter unschuldigen Kindern wohne, noch wahrscheinlicher hoffte er, daß ihr Gebet, ihr Flehen zu Gott ihn aus seinen Klauen retten könne. Deswegen verließ er sie nie, deswegen ermahnte er sie oft, für ihren Vater zu beten. Es war selbst für seine ruchlosen Knechte ein rührender Anblick, wenn am frühen Morgen, am späten Abend die zwölf holden Mädchen um ihren Vater knieten, er in ihrer Mitte seine Hände emporhob und nachstammelte, was die Kleinen laut beteten. Oft zog Hundweil auch mit diesen Kindern nach einer nahegelegenen Kirche und betete dort stundenlang mit ihnen.

Unter diesen und ähnlichen Beschäftigungen verfloß der letzte Mond, mit ihm endlich auch der letzte Tag des zehnten Jahres. Hundweil schauderte, als die Sonne sich hinter den hohen Gebirgen versteckte und die nahende Nacht ihre Flügel über die Erde ausbreitete. „Ich werde die Sonne nicht wiedersehen“, seufzte er jämmerlich, „ich werde diese Nacht nicht überleben!“ rief er verzweiflungsvoll, und wütete in seinem Haar und Bart. „Betet, Kinder, betet, daß euer Vater glücklich ende!“ rief er abermals aus, und die Kleinen beteten sehr eifrig, weil sie ihres Vaters Angst sahen, und ihn jetzt innig liebten. Er flehte, daß sie mit ihm die Nacht durchwachen sollten, und sie rieben sich ihre schlaftrunkenen Äugelein wund, um nur sein Gebot zu erfüllen. Als die Mitternachtsstunde sich nahte, zogen schwere Gewitterwolken am Gebirge herauf, es blitzte fürchterlich, so oft der Blitz leuchtete, sprang Hundweil vom Sitz empor, auf welchen ihn seine Angst geworfen hatte. Es donnerte und stürmte bald schrecklicher, die Kinder zitterten, der Vater bebte. Im fernen Sankt Gallen-Kloster gingen die Mönche zum Chor, der Sturm führte den Ton des rufenden Glöckleins bis zur Feste herauf, es tönte kläglich in sein fürchterliches Geheul. Das Gewitter kam immer näher, Eulen und Uhu, welche die Gewalt des Sturmes wild umhertrieb, flatterten am Fenster und krächzten jämmerlich. Ein schrecklicher Blitz erleuchtete jetzt die ganze Gegend; die Fenster klirrten, die dunkle Leuchte loderte im Gemach hell empor und Satan stand in der Mitte desselben. Sein Bart war rot, sein Gesicht schwarzbraun, aus jeder Miene desselben leuchtete Spott und Schadenfreude hervor, ein Ziegenfell deckte seinen Körper, feurige Schlangen krochen im Haar desselben umher und grinsten mit fürchterlichen Köpfen aus diesem hervor; in seiner Rechten trug er eine Pergamentrolle, in seiner Linken schwere Ketten. Hundweil sprang bei seinem Anblick schnell auf, die Kinder krochen zitternd in einen Winkel, ihr Vater folgte und hob eines derselben hoch empor, um damit sein Gesicht vor der schrecklichen Gestalt zu schützen.

Der Satan: „Georg! Die Stunden, Tage, Monde und Jahre sind verflossen! Sprich, habe ich meinen Bund redlich erfüllt?“

Hundweil: „Ach, für mich Unglücklichen nur allzu redlich!“

Der Satan: „So darf’s dich auch nicht wundern, wenn ich gleiche Billigkeit von dir fordere.“

Die Kinder (untereinander.): „Ach, Vater, Vater, schützt uns vor dem schrecklichen Mann!“

Hundweil: „Betet, Kinder, betet, daß er mich euch nicht entreiße.“

Der Satan: „Zu was soll dieser Widerstand nützen? Oder glaubst du, daß Kindergewimmer mich schrecken wird?“

Hundweil: „O Gott, erbarme du dich meiner!“

Der Satan: „So rufen die Verdammten unaufhörlich, aber auch ebenso vergebens wie du! Der Ewige hört das Flehen der Verworfenen nicht, er ist gerecht, sie verließen ihn, und nun verläßt er sie.“

Hundweil: „Weh mir, weh, weh! So muß ich verzweifeln!“

Der Satan: „Ja, dies ist dein Los! Ewig wird Verzweiflung an deinem Herzen nagen, ewig dich quälen und martern, ewig wirst du sterben wollen, ewig Todesangst fühlen, und doch nicht sterben können!“

Hundweil: „O, es ist schrecklich! Hört ihr’s, Kinder, hört ihr’s? O bittet, fleht, daß er sich eures armen Vaters erbarme!“

Die Kinder (kniend und weinend.): „Laß uns den Vater! Er ist jetzt so gut; nimm ihn nicht!“

Eins derselben: „Ich will für ihn sterben!“

Alle (einzeln nacheinander.): „Ich auch, ich auch!“

Der Satan (mit gierigem Auge.): „O könnte ich die wimmernde Brut erwürgen, könnte ich ihre blutenden Herzen küssen, ich würde volles Entzücken fühlen; aber dann förderte ich Seligkeit, und mehrte die Zahl meiner Feinde selbst. Packt euch von hinnen, ich habe mit euch nichts zu schaffen!“

Die Kinder: „Wir geben dir unseren Vater nicht! (Umringen und halten sich fest an ihn.) Nein, nein, wir lassen ihn nicht!“

Hundweil: „Rührt dich dies nicht?“

Der Satan: „Nein, mich rührt kein Klageton, mich bewegt keine Bitte, mich versöhnt nur Blut!“

Die Kinder (drängen sich hervor.): „Wir, wir wollen für unseren Vater sterben!“

Der Satan (nachdenkend.): „Hm! Könnte doch Rat werden! (Zu Hundweil.) Noch ist ein Mittel zu deiner Rettung möglich, gehst du, gehen sie es freiwillig ein, so kannst du länger noch leben, länger noch die Freuden der Erde genießen.“

Hundweil (mit banger Ungeduld.): „O sprich’s, sprich’s aus, dies Erlösungsmittel! Ich bin zu allem bereit, sie lieben mich, und werden’s auch sein!“

Der Satan (sich in die Gestalt eines ehrwürdigen Greises umwandelnd.): „Kommt, ihr guten Kinder, kommt her! Euer Flehen hat mein Herz gerührt, ich will euren Vater nicht töten, ich will mich seiner erbarmen, wenn ihr gehorsam sein wollt.“

Die Kinder (untereinander.): „Wir wollen’s vom ganzen Herzen! – Seht nur, seht, wie er so freundlich ist! Die schrecklichen Schlangen sind verschwunden, jetzt fürchten wir uns nicht mehr!“

Der Satan: „Habt’s auch nicht Ursache! (Zu Hundweil.) Du bist der Vater dieser Kinder, dir wurden sie geboren und anvertraut, du mußt dort einst Rechenschaft über ihre Handlungen leisten. Wenn du mir gelobt, daß du sie zu Untertanen meines Reiches erziehen, ihre Begierden wecken, ihre Sinne reizen, sie von Stufe zu Stufe dem Laster näherführen, sie ganz in seine Arme liefern willst, so will ich den Bund mit dir erneuern, dir längere Frist gönnen.“

Hundweil: „Schrecklich, schrecklich!“

Der Satan: „Zögere nicht, sonst hat meine Großmut geendet.“

Hundweil: „Und wie lange würde mir dann Aufschub?“

Der Satan (nachdenkend.): „Die Verführung bedarf Zeit, auch müssen sie zu dieser erst reifen. Ich will billig mit dir handeln; du hast zwölf Kinder, ich gewähre dir für jedes derselben ein Jahr.“

Hundweil (tief atmend.): „Folglich zwölf Jahre?“

Der Satan: „Ja, volle zwölf Jahre; länger, als du dem natürlichen Lauf der Sterblichkeit gemäß zu leben hoffen könntest.“

Hundweil (mit frohem Mut.): „Ich gehe es ein, ich gelobe, was du forderst, nur mußt du mir’s nicht zurechnen, wenn die Absicht doch mißlingen sollte.“

Der Satan: „Tue deine Schuldigkeit, mehr fordere ich nicht. Nur eins bedinge ich mir: Die Dirnen müssen diese zwölf Jahre hindurch auf deiner Feste wohnen, müssen immer an deiner Tafel speisen, bei deinen Trinkgelagen kredenzen.“

Hundweil: „Ich gelobe alles!“

Der Satan: „Wenn eine derselben mit deinem Willen sich entfernte, wenn sie nicht an deiner Tafel erschiene, und du es nicht ahndest, so endet unser Bund, und ich komme, dich abzuholen.“

Hundweil: „Auch diese Bedingung gehe ich ein.“

Der Satan: „Auch ein Kind hat seinen Willen, und der Wille des Menschen ist frei; auch ein Kind kann fehlen, und durch Fehler meines Reiches würdig werden. Ich habe nicht Macht über diese Kleinen, (Zu Hundweil.) aber dir ward Macht über sie gegeben, sprich mit ihnen, sie müssen freiwillig den Bund unterzeichnen, müssen ungezwungen geloben, daß sie in zwölf Jahren dir und mir folgen wollen.“

Hundweil (ängstlich.): „Wie werde ich dies vermögen?“

Der Satan: „Versuch’s, es geschieht zu deinem Besten! Nur mit dieser Bedingung wird der Bund erneuert.“

Hundweil (zu den Kindern.): „Habt ihr die Forderung des Alten verstanden?“

Einige: „Nein, wir verstehen sie nicht!“

Hundweil: „Er wollte mich ermorden!“

Die Kinder: „Das hörten und sahen wir.“

Hundweil: „Jetzt will er mich noch volle zwölf Jahre leben lassen, wenn ihr ihm freiwillig versprecht, alsdann mit mir zu sterben.“

Einige: „In zwölf Jahren?“

Andere: „Das ist eine lange … lange Zeit!“

Wieder andere: „Wir wären jetzt mit dir gestorben!“

Alle: „Wir versprechen es!“

Der Satan (zu Hundweil.): „Du erfüllst deinen Auftrag schlecht. Du mußt ihnen erzählen, wer ich bin und wohin ich sie einst führen werde.“

Hundweil (angstvoll.): „Dann werden sie zurückweichen …“

Der Satan: „Und ich die schleunige Erfüllung unseres Bundes fordern.“

Hundweil (zu den Kindern.): „Kennt ihr diesen Fremden?“

Einige: „Nein, wir kennen ihn nicht.“

Eins: „Vorhin sah er dem Teufel sehr ähnlich!“

Hundweil: „Er ist’s!“

Die Kinder (zurückweichend.): „Er ist’s? Gott sei bei uns! Er ist’s?“

Hundweil: „Aber lange nicht so böse, als ihr glaubt. All mein Gold und Reichtum hat er mir geschenkt, will mir noch mehr geben, will mich noch zwölf Jahre leben lassen, wenn ihr versprecht, daß ihr alsdann mit mir in … in … in die …“

Der Satan: „Sprich’s nur aus, und fördere dich!“

Hundweil: „In die Hölle wandern wollt.“

Eins der Kinder: „In die Hölle? Da gehe ich nicht hin!“

Ein anderes: „Dort brennt ewiges Feuer!“

Ein anderes: „Dorthin kommen nur die gottlosen Menschen, welche fluchen, schwören und nicht beten.“

Viele: „Dorthin gehen wir nicht!“

Der Satan: „Wie’s euch beliebt! Dann muß aber auch euer Vater noch heute sterben und mit mir zur Hölle wandern.“

Alle Kinder: „O lieber, guter Alter! Wir flehen, wir bitten!“

Der Satan: „Beides kann nichts nützen! Komm, Alter, komm! Deine Kinder wollen dich nicht retten, du mußt mir folgen!“

Hundweil: „Kinder, wollt ihr denn euren Vater nicht retten? Ach, erbarmt euch meiner!“

Die Kinder: „Ach, wir wollen, wir wollen!“

Eins: „Das Feuer wird zwar brennen, aber es wird nicht wehtun, da es aus Liebe zum Vater geschah!“

Alle: „Ja, ja! Aus Liebe zum Vater.“

Der Satan (hat indes die Pergamentrolle geöffnet und darauf geschrieben.): „In zwölf Jahren komme ich wieder und hole euch alle! Kommt, unterzeichnet!“

Der hartherzige Vater, der nur sein ruchloses Leben zu fristen suchte, nur aus Furcht vor der nahen Zukunft Buße tat, sie jetzt schon vergaß, unterzeichnete mit Freuden; seine Kinder, welche er auf so schreckliche Art verkaufte, folgten zitternd. Es war äußerst rührend zu hören, wie sie sich untereinander selbst Mut zusprachen, wie sie dem heillosen Vater versicherten, daß sie ihm einst auch in der Hölle noch dienen, und, wenn das Feuer ihn allzusehr brenne, Wasser zu einer Labung herbeitragen wollten. Als die schreckliche Szene geendet hatte, rollte der Satan die Pergamentrolle zusammen und überblickte mit höllischem Vergnügen ein vollendetes Bubenstück. „Ich weiß zwar nicht“, sprach er zu sich selbst, „ob’s der Allzugerechte mit Langmut krönen wird, aber ich gewinne doch allemal mehr, als ich verlieren kann. Hätte ich dem Vater nicht neue Frist zugestanden, so würden die Töchter in einem Kloster meiner Verführung Trotz geboten, ich nicht eine derselben geraubt haben. Jetzt sind sie der Verführung bloßgestellt, meiner Macht überlassen, es soll mir daher nicht schwer werden, des Lasters Samen in ihre Herzen zu streuen, er soll herrlich gedeihen und Früchte in Menge tragen!“

Hundweil (voll Freude.): „Mein Goldhaufe wird sich doch wieder mehren?“

Der Satan: „Schon ist er wieder gefüllt und zwölfmal größer, als er früher war. Deine Kinder haben gleiches Recht auf ihn, ihnen muß der Zutritt zu ihm offenstehen, sie müssen nehmen können, so oft, so viel ihnen beliebt.“

Hundweil: „Wirst du aber auch die Lücken wieder füllen?“

Der Satan: „Ich werde es.“

Hundweil: „Dann kümmert’s mich wenig, dann will ich morgen noch die Schlüssel dazu unter sie verteilen.“

Der Satan: „Merke dir aber die Bedingungen nochmals wohl: Die Dirnen müssen stets auf deiner Feste wohnen, müssen bei jedem deiner Gelage und an deiner Tafel erscheinen, sonst – du kennst mich nun – sonst ende ich früher! (Zu den Kindern.) Ihr müßt sorgfältig die Begebenheiten dieser Nacht verschweigen, sie keinem atmenden Menschen entdecken. Versprecht ihr’s?“

Die Kinder: „Wir versprechen’s!“

Der Satan: „Derjenigen, welche nur ein Wort davon erzählt, wird in der folgenden Nacht das Todeslos, sie muß sterben! Habt ihr mich verstanden?“

Die Kinder (zitternd.): „Wir haben’s!“

Der Satan: „So richtet euch danach! In zwölf Jahren sehen wir uns wieder.“

Er verschwand, und die von Furcht und Angst gequälten Kinder sanken auf ihr Lager, und schliefen bald sanft. Nur ihr Rabenvater konnte diese Ruhe nicht genießen, die Freude über die unverhoffte Rettung und sein noch immer waches Gewissen kämpften fürchterlich miteinander. All die angenehmen Bilder, welche die erstere unermüdet vor sein Auge stellte, wurden durch die letztere zerstört, immer erschien im Hintergrund dieser reizenden Gemälde die Hölle mit offenem Rachen, oder er sah – was ihm noch schrecklicher dünkte – des Ewigen Richterstuhl, und sollte Rechenschaft über seine zwölf Kinder geben. Er war äußerst froh, als die Morgenröte den werdenden Tag verkündigte, und er nun sein qualvolles Lager verlassen konnte. Sein erster Befehl war, daß die Tore der Feste wieder geöffnet werden, und die Knechte ringsumher Gäste laden sollten. Alle staunten über diese schnelle Veränderung, aber alle freuten sich auch darüber, weil sie der traurigen Stille nicht gewohnt waren, und schon heimlich Abschied nehmen wollten.

Bald, nur zu bald mußte Hundweils Gewissen dem rauschenden Sturm der Völlerei und Üppigkeit weichen, seine warnende Stimme war zu schwach, um gehört zu werden. Es erging wieder wie ehedem auf der Feste, ein Rausch folgte dem anderen, ein Fest jagte das andere; nie mangelte es an Zerstreuung, nie an Gelegenheit, die kostbare Zeit mutwillig zu töten. Schon am anderen Tag, der auf die schreckliche Nacht folgte, stellte Hundweil seine treuesten Knechte zu Wächtern über seine Kinder, sie mußten solche überall begleiten und mit ihrem Leben für sie stehen. Sie waren sich übrigens ganz überlassen, niemand nahm teil an ihrer Bildung und Erziehung, nur mußten sie täglich an des Vaters Tafel erscheinen und bei allen Trinkgelagen kredenzen. Sie sammelten sich dann traulich in einem Winkel, achteten nicht der schändlichen Dinge, die oft vor ihren Augen vollendet wurden, und erschienen nur, wenn ihres Vaters Stimme sie rief. Die büßenden, gottesfürchtigen Mütter hatten von früher Jugend an die Kleinen zum Gebet angehalten, sie beobachteten dies Gebot noch immer treulich, sie standen nie vom Lager auf, suchten es nicht eher wieder, als bis sie dem Schöpfer innig gedankt und sich aufs neue seinem allmächtigen Schutz empfohlen hatten. Ihr Herz war noch unverdorben und gut, blieb es auch in der Folge, obgleich Verführung und Reiz mächtig auf sie loszustürmen begann; sie wurden täglich versucht, aber nie unterlagen sie. Ihre Mütter, welche emsig das Kloster bauten, und es bald vollendet hatten, forderten die Töchter oft vom Vater, aber immer verweigerte er sie streng und drohte endlich ihr Kloster zu zerstören, wenn sie je wieder eine ähnliche Forderung an ihn wagen würden. Sie konnten nun nur fürs Heil ihrer Kinder beten und sandten ihnen kurz nachher einen alten Mönch, der als ein armer Diener auf der Feste Dienst suchte, und ihn auch wirklich bei den Dirnen fand, welchen seine Treue und redliche Miene sehr behagte. Er wurde bald in den frühen Stunden des Morgens ihr Lehrer, er ermahnte sie zur Gottesfurcht und Tugend, er lehrte sie die Fallstricke des Lasters kennen und reichte ihnen Mittel, sich dagegen zu sichern. Mehr als dieses wirkte die Erinnerung der schrecklichen Nacht; mit den Jahren reifte auch die Vernunft, sie sahen nach und nach die Gefahr ein, in welche sie sich aus Kindesliebe gestürzt hatten und bebten vor dieser zurück. Sie wagten es nicht, den alten Diener zum Vertrauten ihres Kummers zu machen, aber sie erzählten ihm ähnliche Fälle und forschten begierig nach Mitteln der Rettung. Alles, was er als gut und heilsam dagegen anpries, ward von ihnen streng befolgt, sie übten ihr Herz immer mehr und mehr in echter Gottesfurcht, lebten keusch und rein, vollendeten gute Werke in Menge, und wallfahrteten sehr oft nach einer Kirche, die der Verehrung des heiligen Gallus geweiht war. Sie empfahlen sich seinem Schutz und flehten in der schrecklichen Stunde um eine Hilfe.

Sie waren alle schön, wie der lieblichste Tag des jungen Mais, sie blühten gleich der Rose, die sich eben zu öffnen beginnt. Wenn sie in den Trinksaal traten, so schwieg selbst der trunkenste Ritter, und wagte es nicht, sie zu beleidigen. Wenn sie lustwandelten oder im glühenden Gefühl der Andacht nach der Kirche wallfahrteten, da blieb jeder starr vor Verwunderung stehen, und pries den Vater glücklich, welcher solche Kinder hatte. Hundweils ruchlose Taten, die er jetzt wieder aufs neue und in Menge übte, hatten ihn in der ganzen Gegend furchtbar und verhaßt gemacht, jeder floh sein Angesicht und kroch hinter eine Hecke, wenn er mit seiner heillosen Rotte vorüberzog; aber weit und breit eilte man herbei, wenn seine zwölf Töchter auszogen, jeder empfing dann immer aus ihrer milden Hand ein Geschenk, und segnete die Holden. Als sie in die Jahre der wünschenden Jungfrau traten, da sammelten sich die Freier in Menge, aber das schrekkende Gebot des Vaters, daß er keine derselben verehelichen wolle, schreckte die Redlichen bald zurück, gab sie aber der Versuchung der Ruchlosen preis, welche alles anwandten, um die Unschuldigen zu locken und zu verführen. Wahrscheinlich würden die Tugendhaften der täglichen Verführung unterlegen sein – denn sie waren Menschen, und fühlten wie diese – wenn nicht eben mit den Jahren, in welchen die Versuchung zur Riesengröße emporwuchs, sich auch das furchtbare Ende der zwölf Jahre immer mehr genaht hätte; sie dachten stets mit Angst und Schrecken an dieses, ihr zagendes Herz verschloß hartnäckig der Freude, dem Vergnügen den Eingang. Sie ahnten immer Gefahr, fühlten nie Ruhe, und entrannen so der Gefahr glücklich. Die Tugend, wenn sie echt und rein ist, erregt auch in dem Herzen des Bösewichts Ehrfurcht, er scheut ihren Blick, er fürchtet ihre Worte, daher kam’s, daß auch der roheste Trunkenbold, in deren Gesellschaft sie doch oft halbe Nächte durchwachen mußten, nicht gewaltsam forderte, was er freiwillig nicht zu erhalten hoffte.

Jedes Vergnügen, jede Freude hat ihre Grenzen, die sich nie erweitern lassen, die man nie ungestraft übertreten darf. Überdies folgt dem reichlichen Genuß dieser menschlichen Labsale bald Sättigung, welche am Ende gar Ekel erregt. So erging es auch dem Ritter Hundweil, welcher lange schon, nur um sein reges Gewissen einzuschläfern, im Saus und Braus umherschwelgte, die Kräfte seiner Natur ganz erschöpfte, und endlich nicht mehr schwelgen konnte. Zehn Jahre hatte er bereits aufs neue im wollüstigen Wohlleben verschwendet, als sein Körper zu siechen begann und er viele Monde auf dem Krankenlager durchwachen mußte. Die tugendsamen Töchter waren in diesen Stunden seine treuesten Wärterinnen, er sah ihren tadellosen Wandel, hörte ihr tägliches inbrünstiges Gebet, und beschloß ihr Nachahmer zu werden. Ob sein Entschluß abermals aus Furcht der nahenden Gefahr entsprang, ob Notreue ihn nur zu guten Taten, die er am Ende so zahlreich übte, verleitete und zwang, will ich jetzt nicht entscheiden. Genug, daß er die letzten zwei Jahre sich ganz der Leitung seiner Töchter überließ, nur in ihrer Gesellschaft lebte, mit ihnen seine Hände zum Schöpfer emporhob, und oft anhaltend und inbrünstig betete. Auf ihren Rat baute er auf einem nahen Hügel eine für die damaligen Zeiten äußerst prächtige Kirche. Meister aus dem Welsch- und Frankenland arbeiteten daran, die Statue des heiligen Gallus ward auf den Hochaltar gestellt, der Heilige breitete über den alten Vater, der mit seinen zwölf Kindern sehr zierlich zu seinen Füßen in geschnitzter Arbeit kniete, seinen weiten Mantel aus, und blickte mit huldvoller Versicherung seines Schutzes auf sie herab. Da dem alten Ritter alles daran gelegen war, den Bau noch vor dem Ausgang des schrecklichen zwölften Jahres zu vollenden, so verschwendete er die Hälfte der Goldhaufen aus dieser Absicht, und erreichte sie glücklich. Die ganze Nachbarschaft, welche jetzt so liebevoll von ihm behandelt wurde, vergaß seinen vorigen Lebenswandel bald ganz, man nahte sich ihm jetzt ohne Furcht, und nannte ihn den Vater der Armen, der Witwen und Waisen. Schon einige Monde zuvor, ehe sein unglückliches Ende nahen sollte, hatte er mit seinen Töchtern verabredet, daß er mit ihnen die schreckliche Nacht des letzten Tages in der erbauten Kirche durchwachen wollte. Alle hofften, daß die Macht des Teufels durch diese heiligen Mauern nicht dringen, und dieser die Erfüllung des Bundes nicht werde fordern können. Als aber der letzte Mond begann, ergriff den alten Vater eine schreckliche und äußerst schmerzhafte Krankheit, er konnte kein Glied seines Körpers ohne die größten Schmerzen bewegen, die geringste Erschütterung seines Lagers war ihm unausstehlich, er konnte solche nicht dulden, nicht aushalten, und da sich die Krankheit jeden Tag mehrte, und bis zum letzten des Mondes fortdauerte, so war an eine Übertragung nach der Kirche nicht zu denken, er mußte unter der schrecklichsten Angst und Qual sein furchtbares Ende im Schlafgemach erwarten.

Anfangs bat er seine Töchter dringend, daß sie wenigstens in der Kirche die Nacht im Gebet durchwachen sollten, wie aber der Tag sich zu Ende neigte, so sandte er Boten nach ihnen, und bat sie noch dringender, ihrem alten Vater im Todeskampf beizustehen, ihn nicht zu verlassen. Die Edlen, welche schon als Kinder Leben und Seligkeit willig für ihren Vater opferten, verweigerten ihm auch jetzt ihren Beistand nicht, und hofften, daß der Allmächtige, den sie nur einmal mit Vorsatz beleidigt hatten, sie auch hier schützen und erhalten könne. Sie traten mit diesem Wunsch, der sich bald in ein andächtiges Gebet auflöste, ans Fenster des Gemaches. Die Sonne ging eben schön und heiter unter, den ganzen, weiten Horizont trübte kein Wölkchen, er war so makellos, wie ihre Herzen, die zwar die nahe Todesangst schon fühlten, aber noch immer fähig waren, die sanften Eindrücke der Natur zu empfinden. Die letzten Strahlen der Sonne vergoldeten jetzt die Mauern der Kirche, welche links auf dem Hügel stand, ihr Auge folgte diesem wunderbaren Schauspiel, ihr Herz versank in Andacht. Eben wollten sie sich ihr ganz hingeben, als sie deutlich sahen, daß die Tür der Kirche, welche sie doch kurz vorher verschlossen hatten, sich von innen öffnete. Ein ehrwürdiger Greis, dessen Gesicht wundervoll glänzte, trat heraus, er hüllte sich in seinen langen, braunen Mantel, überblickte die ganze Gegend mit Wonne, und stieg endlich langsam vom Hügel herab. Das Herz der Jungfrauen klopfte heftig und voll Erwartung, wie der wunderbare Greis sich der Feste nahte, und jetzt wirklich mit seinem Knotenstock am verschlossenen Tor anklopfte. Sie eilten selbst zu seinem Empfang hinab, sie wagten es nicht, nach der Ursache seines Besuches zu forschen, und führten ihn mit Ehrfurcht nach dem Schlafgemach des Alten. Unterwegs wuchs ihre Hoffnung stark, weil der fremde Greis so ganz der Statue des heiligen Gallus ähnlich sah und sie eine Erscheinung ahnten. Wie dieser, noch immer stillschweigend, ins Gemach des Kranken trat, blickte er mit ernstvollem Blick nach diesem hin, sein ganzer Körper schien von schauderhaftem Entsetzen durchbebt zu werden, er trat näher ans Lager und schauderte aufs neue. „Du bist“, sprach er zu Hundweil, „ein ruchloser, ein schrecklicher Sünder, in 100 Jahren wird kaum einer, dir ähnlich, geboren! Gottes Langmut, seine unendliche Barmherzigkeit müßte bald enden, wenn mehrere deines Gelichters Sünde und Laster auf Erden verbreiteten, und die Luft verpesteten, die Gott so rein erschuf.“

Hundweil: „Wer du auch bist, ehrwürdiger, unbekannter Greis, so macht mich doch deine Wahrheitsliebe unfähig, dir zu widersprechen. Ich bekenne es offen und frei, gestehe es am Rande meines schreckbaren Grabes, daß ich eines der ruchlosesten, verworfensten Geschöpfe auf Erden bin, daß ich nicht auf Gottes Gnade Anspruch machen darf, wenn sie auch ebenso unermeßlich wie seine Allmacht wäre.“

Der Fremde: „Sie ist’s! Seine Barmherzigkeit kennt keine Grenzen, seine Langmut ist unendlich. Er hört das Flehen des Sünders ebenso, wie das Rufen der Unschuld.“

Hundweil (bitter weinend.): „O, du mußt ein Bote desselben sein, deine Stimme dringt in mein Herz und weckt Hoffnung.“

Der Fremde: „Genieße ihre Früchte nicht zu früh, denn Gott ist auch gerecht.“

Hundweil: „Wehe mir, wenn er nur gerecht ist, dann ist Verdammung mein Los!“

Der Fremde: „Keine Sünde beleidigt Gott schrecklicher, tut seinem Vaterherzen weher, als Verzweiflung an seiner Barmherzigkeit. Fürchte und hoffe!“

Hundweil: „Vater und Schöpfer des Trostes, nur meiner unschuldigen Kinder, welche mir aus kindlicher Liebe das schrecklichste Opfer brachten, nur dieser erbarme dich, und ich werde Linderung in meinen Qualen fühlen.“

Der Fremde: „Hoffe und fürchte!“

Hundweil: „Ihre Seelen sind rein und unschuldig, sie wandelten tugendhaft und keusch vor den Augen des Herrn! O, er muß, er wird sich ihrer erbarmen!“

Der Fremde: „Fürchte und hoffe!“

Eine der zwölf Jungfrauen: „Wenn du ein Geliebter des Allmächtigen bist, wenn sein Ohr sich gnädig zu deiner Fürbitte herab neigt, so höre unser Flehen und erbarme dich unseres Vaters; sieh, wie er jetzt schon leidet.“

Alle: „Erbarme dich, rette ihn!“

Der Fremde: „Gute Kinder, er war nicht würdig euer Vater zu sein, er … Doch, ich will tun, was ich vermag! (Er geht zu seinem Lager.) Steh auf und wandle! Genieße die wenigen Stunden deines Lebens noch in Ruhe, wenn dein Herz anders noch fähig ist, diesen wohltätigen Balsam zu empfinden.“

Hundweil (steht vom Lager auf und sinkt zu den Füßen des fremden Greises nieder.): „O Gott! Wenn auch dies die einzige Wohltat war, die seine grundlose Barmherzigkeit mir noch erzeigen konnte, so danke ich ihm doch herzlich für diese unendliche Güte! Mich quälen jetzt nicht mehr Schmerzen des Körpers, ich kann’s nun wagen, meinen Geist mit voller Kraft zu ihm zu erheben, ich kann nun um Milderung der allzugroßen Strafe flehen!“

Der Fremde: „Ja, bete! Dein Körper ist zur Verwesung reif, noch heute mußt du dein Leben enden!“

Hundweil: „Ich weiß es, erbarmender Gott, ich weiß es! Nur strafe gnädig, nur lindere die schreckliche Strafe!“

Der Fremde: „Hoffe und fürchte!“

Hundweil (mit wehmütigem Blick auf seine Kinder zeigend.): „Und diese?“

Der Fremde: „Gott ist gerecht, aber er ist auch barmherzig! Ich sah, daß schon Verzweiflung in deinem Herzen wütete, daß sie sich auch dem Herzen deiner Kinder nahte; ich flehte und er winkte mir Beifall. Hoffet und fürchtet! Laßt in den bangen Stunden der harten Prüfung nicht Verzweiflung eure Hoffnung vernichten, nur derjenige stirbt hoffnungslos, welcher verzweifelnd stirbt! Wenn sich die Mitternachtsstunde und mit dieser die Entscheidung eures Schicksals naht, so komme ich wieder zu euch. Forscht jetzt nicht weiter, mir ward zu sagen nicht mehr erlaubt! (Zu den Jungfrauen.) Gott stärke euch in eurem Kampf! (Zu Hundweil.) Gott gebe dir Kraft zur Vollendung!“

Er verschwand jetzt plötzlich, lange starrten ihm alle voll Erstaunen nach, endlich sanken sie vereint auf ihre Knie und beteten inbrünstig. Sie sprachen kein Wort mehr miteinander, sie beschäftigten sich bloß mit Gedanken der nahen Ewigkeit. Ihre Augen blickten oft ängstlich nach der Tür der Kirche, welche der Vollmond blaß und lieblich beleuchtete; sie blieb verschlossen, öde Stille herrschte in der ganzen Gegend, nur dann und wann rauschte der Wind leise im Laub der hohen Linden, und schreckte die Horchenden aus dem Gebet empor. Tief waren sie eben darin versunken, als die Mönche im entfernten Kloster abermals zu Chore gingen und der Ruf ihres Glöckleins helltönend bis zur Feste heraufdrang. „Die Mitternachtsstunde kommt, sie naht!“ rief Hundweil und sank auf sein Angesicht. Er sah und hörte es nicht, daß mit ihr aufs neue der wohltätige Greis sich nahe. Dieser öffnete in diesem Augenblick leise die Tür und stellte sich stillschweigend in ihre Mitte. Die Jungfrauen hoben ihren alten Vater empor und umfaßten vereint mit ihm die Knie des Trösters; er blickte sanft auf sie herab und wandte sich mit seinem Angesicht nach der Tür. Die Erde begann jetzt zu beben, der Boden zitterte, wilder Sturm durchsauste die Ohren der Geängstigten, die Tür sprang aus ihren Angeln, und Satan trat feuersprühend herein. Der Greis blieb standhaft stehen, die Knienden schlossen sich enger an ihn. Satan schauderte zurück, sein stolzer Tritt verwandelte sich in Demut, das Feuer verlosch, er wankte nach der Tür und blieb an dieser stehen.

Der Satan: „Furchtbarer, ich hoffe nicht, daß du die Verdammten deines Schutzes würdigst!“

Der Greis (schlägt seinen weiten Mantel um die Knienden.): „So stellten sie mein Bild zur Verehrung auf den Altar, so schütze ich sie!“

Der Satan: „Sie ergaben sich mir freiwillig, sie verschrieben mir ihre Seelen zum Eigentum, ich fordere sie jetzt, sie sind verdammt.“

Der Greis: „Noch leben, noch atmen sie! Noch hat der Schöpfer nicht das Urteil über sie gesprochen, noch stehen sie in seiner Hand, er kann enden nach seiner Barmherzigkeit.“

Der Satan: „Er ist gerecht, ich fordere sie!“

Der Greis: „Er ist barmherzig, ich weigere sie!“

Der Satan: „Er gab dem Menschen einen freien Willen, zu wandeln, wie’s ihm gut dünkte, er versprach, sie zu richten nach ihren Werken. – Ich fordere sie!“

Der Greis: „Er versprach dem Büßenden Vergebung, dem Reuenden Verzeihung! Ich weigere sie!“

Der Satan: „Ihre Buße ist unecht, ihre Reue nur Folge des nahenden Todes.“

Der Greis: „Wardst du zum Richter über sie bestimmt?“

Der Satan: „Ich bin nicht ihr Richter, aber ihr Ankläger!“

Der Greis: „So klage, ich kann’s nicht hindern, der Ewige wird’s hören und richten!“

Der Satan: „Du darfst nicht ihr Verteidiger werden.“

Der Greis: „Seine Barmherzigkeit erlaubte es mir.“

Der Satan: „Dann ist’s um meinen Lohn geschehen! Ich will billiger als du handeln; wähle dir die Hälfte derjenigen, welche du so unverdient in deinen Schutz nahmst, ich will mich mit den übrigen begnügen, und künftig vorsichtiger handeln.“

Der Greis: „Klage, ich will sie alle verteidigen!“

Der Satan: „Nimm die zwölf Jungfrauen, die dir von jeher so eifrig dienten, mich oft zur ohnmächtigen Wut und dich zu ihrem Schutz reizten. Nimm sie, und gib mir den Alten, welcher stärker als je ein Sterblicher zur Verdammung reifte.“

Der Greis: „Klage, ich will die Barmherzigkeit des Ewigen über ihn erflehen.“

Der Satan: „Ich weiche nicht!“

Der Greis: „Ich lasse ihn nicht!“

Donner, anfangs kaum hörbar, bald stärker, als die Kräfte der eingeschränkten Natur ihn erregen konnten, rollte jetzt von Osten herauf und verbreitete seine schrecklichen Blitze über den ganzen Himmel. Satan bebte, und sank endlich sich krümmend zur Erde nieder, der Greis stand ehrfurchtsvoll und hob seine Hände flehend zum Himmel empor. Eine furchtbare Stimme tönte ins Gemach herab, die Knienden sanken ohnmächtig zu Boden. „Und ich will richten“, sprach die furchtbare Stimme, „ich habe das Flehen des Strafbaren gehört, ich habe mein Ohr der Fürbitte meines Heiligen geöffnet, ich will mit Barmherzigkeit richten.“

Der Greis (mit aufgehobenen Händen.): „Lob und Preis sei dir, Allmächtiger! Himmel und Erde verkündigen deine Werke, groß und unerreichbar sind sie, noch größer und unerreichbarer ist deine Barmherzigkeit, die du an dem Sünder übst.“

Der Satan (sich am Boden windend.): „O daß ich dies hören muß und nicht widersprechen darf.“

Die Stimme: „Groß war der Frevel des Missetäters, unzählbar wie des Meeres Sand sind seine Verbrechen, groß sollte seine Strafe, unermeßlich auch seine Qual sein! (Satan richtet sich lächelnd auf.) Aber ich will tilgen das Andenken derselben, will nur sammeln den Samen des Guten, welchen er einzeln ausstreute, will erwägen die Fallstricke der Verführung, den mächtigen Reiz seiner Sinne, die süße Lockstimme des Verworfenen, (Satan sinkt zähneknirschend nieder.) und will nun richten mit schonender Gerechtigkeit. Er ist des Todes würdig, er sterbe! (Hundweil ringt mit dem Tode und vollendet.) Sein Andenken weile auf der Erde, dringe warnend von Ohr zu Ohr der Sterblichen, und schrecke die Frevler von gleichen Taten zurück.“

Der Greis: „Aber sein Geist, Barmherziger, sein Geist?“

Die Stimme: „Darf, mit so schweren Sünden belastet, nicht vor meinem Angesicht erscheinen.“

Der Greis: „Er bereute, er flehte um Gnade!“

Die Stimme: „Aber er versöhnte nicht, er muß büßen!“

Der Greis: „Nur nicht ewig!“

Die Stimme: „Treuer Diener meines Wortes, du forderst viel, doch um eines Gerechten willen habe ich oft des Sünders geschont, ich will’s auch jetzt tun. Er soll büßen schrecklich und qualvoll, aber nicht ewig! Er soll Erlösung hoffen, sie soll möglich, aber schwer sein!“

Der Greis: „Und diese?“(Auf die Jungfrauen zeigend.)

Die Stimme: „Sie sündigten schrecklich, da sie sich in die Arme des Verführers warfen, und nicht Zuflucht bei mir suchten; aber sie waren Kinder, sie wurden von der List des Verworfenen gedrängt, sie taten’s aus Liebe zum unnatürlichen Vater, sie lebten mitten unter den Sündern rein und tugendsam, ich will der Blüte ihres Lebens schonen, sie sollen nicht sterben.“

Der Greis: „Dank, barmherziger Vater, Dank!“

Die Stimme: „Aber um der Lebenden willen muß ihrem Frevel Strafe folgen. Sie sollen leben, und doch nicht leben, sie sollen nicht altern, bis die Zeit ihrer Erlösung naht, die ich nur einem unter allen Sterblichen gewähre. Sie vertrauten sich kühn und frevelvoll der Macht des verworfensten meiner Geister, ich will diese Macht schwächen, aber zur Warnung und Strafe nicht ganz tilgen. Er soll Gewalt haben, die Bedingung ihrer Erlösung zu bestimmen. (Zum Greis.) Du warst Fürbitter und Versöhner, du suchtest die Gefallenen zu retten, dein sei diese Pflicht noch länger, dir liege es ob, die List des Feindes zu schwächen, und ihre Rettung möglich zu machen. Wenn der geprüfte Erlöser erscheint und die Jungfrauen aufs neue zu leben beginnen, will ich mich auch des Leidenden erbarmen, erscheint der Retter nie, so müssen er und sie harren, bis zu jenem Tag, an welchem ich das ganze Menschengeschlecht richte!“

Der Donner rollte aufs neue mit gleicher Stärke, und schwand endlich wieder nach Osten hinab. Der alte Hundweil lag tot auf der Erde, die Jungfrauen erwachten aus ihrer Ohnmacht und weinten über dem Leichnam ihres Vaters.

Der Greis (zum Satan.): „Hast du den Willen des furchtbaren und doch gütigen Richters vernommen?“

Der Satan (sich emporhebend, aber immer noch tief gebückt.): „Ich hab’s und muß ihn verehren.“

Der Greis: „Erlösung, sprach er, soll möglich, aber schwer sein! Ihre Seelen sind nicht mehr dein Eigentum, gib heraus das Versprechen, welches sie dir leisteten und frevelhaft mit ihrem Blut unterzeichneten.“

Der Satan: „Es fällt mir schwer, den Lohn meiner Mühe und Arbeit schwinden zu sehen, aber er gebot, und ich muß gehorchen.“(Er überreicht ihm bebend die Pergamentrolle.) Der Greis (zerreißt sie.): „So vernichte ich dein höllisches Bubenstück, so will ich mich ferner mühen, alle Fallstricke zu vernichten, die du zum Verderben der Menschen auf Erden ausbreitest. – Dir ward Macht gelassen, die Erlösung der Büßenden zu bestimmen, ich will die Bedingung hören.“

Der Satan: „Noch ist’s Zeit, noch haben sie die Strafe nicht gefühlt, in einigen hundert Jahren will ich dir’s wieder sagen, wann ich sie bestimmen will.“

Der Greis: „Trugvoller Geist, so entkommst du mir nicht, du übst deine List an mir vergebens. Jetzt mußt du bestimmen, oder ich werde aufs neue dein Ankläger.“

Der Satan: „Wohl denn, ich will sehen, was ich vermag! O, wenn ich dir, du Gewaltiger, den Sieg entreißen, wenn ich dir Trotz bieten könnte, dann wollte ich laut frohlocken, laut jubeln, daß die ehernen Pforten meines Reiches widerhallten und es allen Verdammten verkündigten, daß ich Sieger eines Verklärten ward.“

Der Greis: „Frohlocke nicht zu früh! Ich traue, ich hoffe auf ihn!“

Der Satan (mit verbissenem Grimm.): „Sollte denn dies Vertrauen, diese Hoffnung nie trügen können? – Nur ein Sterblicher kann sie erlösen!“

Der Greis: „So sprach derjenige, der nie Unwahrheit sprechen kann.“

Der Satan: „Ihre Erlösung soll schwer, aber möglich sein, ich will sie mit allen meinen Kräften erschweren.“

Der Greis: „Kühner Geist, was vermögen deine Kräfte gegen den Allmächtigen, der dich und mich erschuf?“

Der Satan: „Ich kämpfe nicht gegen ihn, nur gegen dich. Du wardst erschaffen wie ich, der Kampf ist gleich.“

Der Greis (lächelnd.): „So beginne ihn.“

Der Satan: „Der Allesvermögende gebot, daß die Dirnen leben und doch nicht leben, daß sie schlafen sollen, bis an den Tag ihrer Erlösung. Warum widerstrebst du seinem Gebot? Warum läßt du sie auf dem Leichnam des Vaters noch lebend jammern?“

Der Greis: „Der Wille des Ewigen geschehe! (Die Jungfrauen sinken zu Boden und schlafen sanft.) Damit aber auch die Lebenden des Frevels Strafe sehen, so soll

die Zeit ihres Harrens immer eine der Zwölfen auf den Mauern der Feste still und traurig umherwandeln. Wenn der Mond sich füllt, soll sie ihre Wanderung beginnen, wenn er wieder sich füllt, sie enden, und dann die zweite die Reihe treffen.“

Der Satan: „Ich kann’s nicht hindern, da es des Unerforschlichen Wille war.“

Der Greis: „Damit aber kein Sterblicher sich den Schlafenden nahe, will ich die Bewohner der Feste entfernen, ihre Mauern erhöhen, ihre Tore verschließen, nur ihr Erlöser soll sie öffnen, und wagt’s dieser nicht, nur der Trompetenruf des nahen Weltgerichts sie zusammenstürzen. – Jetzt zögere nicht länger und mache mich mit den Eigenschaften desjenigen bekannt, der sie erlösen soll.“

Der Satan (nachdenkend.): „Ihr Erlöser muß von zwei Eheleuten, welche einander nie sahen, nie kannten, im ehelichen Bett ohne Sünde und doch mit Sünde, mit erwiesenem Ehebruch und doch ohne Ehebruch gezeugt werden.“

Der Greis: „Du forderst Widersprüche!“

Der Satan: „Laß mich enden, der Unerforschliche gebot’s. Er muß in einem Nonnenkloster geboren werden, seine Mutter muß weinen und zurückschaudern, wenn sie die Frucht ihres Leibes erblickt. Sein Vater muß der Stunde seiner Geburt fluchen und erblassen, wenn ihm gemeldet wird, daß ihm ein Sohn geboren ward.“

Der Greis: „Du forderst unnatürliche, unmögliche Dinge.“