Dies ist keine Liebesgeschichte - José A. Pérez Ledo - E-Book

Dies ist keine Liebesgeschichte E-Book

José A. Pérez Ledo

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Beschreibung

Daniel Durán glaubt nicht an die Liebe. Der Mittdreißiger ist überzeugt, dass die großen Gefühle nichts weiter sind als ein gefaktes Produkt aus der Traummaschinerie Hollywood. Deshalb fällt er aus allen Wolken, als seine beste Freundin Sara ihn bittet, ihr Trauzeuge zu werden. Doch während der Hochzeitsvorbereitungen lernt der neurotische Daniel die quirlige, verrückte und ziemlich hübsche Kindergärtnerin Eva kennen und mit einem Mal ist er sich seiner Überzeugungen gar nicht mehr so sicher. Hollywood hin oder her – Eva will erobert werden. Und plötzlich erlebt Daniel seine ganz persönliche Liebesgeschichte ...

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Kapitel 1

Dies ist keine Liebesgeschichte.

Besser, Sie wissen es von vornherein – nicht, dass Sie mich am Ende noch für Ihren Frust verantwortlich machen. Das Leben birgt schon genug Enttäuschungen, es wäre einfach absurd, sich noch eine weitere aufzubürden – erst recht aus einem so dämlichen Grund. Falls Sie also eine dieser Personen sind, die von zärtlichen Blicken unter Sternenhimmeln träumen, ewiger Treue etc., sind Sie hier falsch. Was soll ich sagen – sorry.

Wenn Sie mich fragen – und glauben Sie mir, ich habe die Sache wirklich ziemlich gut durchdacht –, ist die romantische Liebe die größte kollektive Illusion der Geschichte; ein mehr oder minder geschickt eingefädelter Betrug, dem alle Menschen ohne Ausnahme unfreiwillig aufsitzen. Und ich rede hier nicht vom Pärchendasein. Ich meine das idealisierte Konzept der romantischen Liebe und das ganze Tamtam, das darum veranstaltet wird. Mann lernt Frau kennen (oder umgekehrt), Mann und Frau verlieben sich, streiten, trennen sich, versöhnen sich wieder, Kuss, Musik, Abspann. Man hat das tausendmal gesehen. Jeder von uns ist damit aufgewachsen.

Falls Sie nicht zufällig als Baby im Dschungel ausgesetzt wurden und zwischen Pavianen aufgewachsen sind, dann sind diese Bilder auch Teil Ihrer emotionalen Bildung. Und wissen Sie was? Es gibt nichts, das man tun könnte, um diese Bilder aus seinem Unterbewusstsein zu löschen. Sie sind da, so tief verwurzelt im Hippocampus wie das kleine Einmaleins oder der Name der französischen Hauptstadt.

Die Schuld daran, oder einen Großteil der Schuld, trägt diese Traumfabrik namens Hollywood. Obwohl das nicht immer so war. Ursprünglich beschränkte sich die Filmindustrie auf Geschichten, die so einfach gestrickt waren, dass sie beinahe als schwachsinnig durchgehen konnten: Gärtner, die sich mit ihren eigenen Gartenschläuchen nass spritzten, Arbeiter, die von ihren Baugerüsten stürzten … Doch dann kam der Ton. Von einem Tag auf den anderen sollten die Charaktere plötzlich sprechen, und das war wirklich eine Herausforderung, denn kein Mensch wusste, was sie zueinander sagen könnten.

»Hallo, Liebling, wie war dein Tag?«

»Ganz gut, und deiner?«

»Auch ganz gut, alles wie immer.«

»Schön.«

»Ja.«

Wer sollte für solchen Quatsch Geld bezahlen? Die Realität interessiert niemanden, davon haben wir selbst alle genug. Nein, die Leute im Film sollten Dinge sagen, die das Publikum nicht alltäglich zu hören bekommt, etwas Originelles – ungewöhnlich, aber nicht exzentrisch, auffällig und doch glaubwürdig. Etwas Wunderschönes sollten sie sagen.

Und so kam es zur Entstehung der Wortkombination, die der Unterhaltungsindustrie im 20. und 21. Jahrhundert den größten Umsatz einbringen sollte. Ein Satz, der zum meistzitierten der Filmgeschichte werden sollte, ja vielleicht sogar der Menschheitsgeschichte:

I love you.

Das war der Hammer. Die Leute drängten sich an den Toren der Filmstudios, um ihre Lieblingsschauspieler die magischen drei Worte sagen zu hören, in genau dieser Reihenfolge, ein ums andere Mal. Egal, wie oft sie es hörten, sie bekamen nie genug. Das Publikum in aller Welt war zu einer Armee Junkies mutiert, die an ihrer wöchentlichen Dosis Romantik hing.

Ungefähr zur selben Zeit wurde der Kuss neu erfunden. Bis dato beschränkten sich die Leute darauf, ihre Lippen zu vereinen und für ein paar Sekunden in dieser Position zu verharren. Die Mutigsten wagten die Mundhöhlenerforschung, Zunge an Zunge, abwechselnd oder gleichzeitig. Bis Hollywood beschloss, dass das nicht mehr ausreichte. Es war zu subtil, zu klein für die riesige Kinoleinwand. Dem Alltagskuss musste eine gute Prise Epik hinzugefügt werden, eine neue Kussdimension musste her. Der Kuss war in die Jahre gekommen und musste den Anforderungen der zeitgenössischen Konsumenten angepasst werden.

Also begannen die Schauspieler und Schauspielerinnen, sich auf eine absurd barocke Art und Weise zu küssen, fast choreografiert, die Hand im Nacken des Partners und den Kopf verdreht. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit kam diese unnatürliche Verrenkung beim Publikum äußerst gut an. Sie kam sogar so gut an, dass Jugendliche aller Herren Länder diese Kusstechnik noch immer nachahmen, ohne zu wissen, dass die menschliche Physiognomie einfach nicht darauf ausgelegt ist, eine solche Haltung einzunehmen – geschweige denn, sie zu genießen.

Jetzt stelle man sich noch eine Geige dazu vor, oder zwei, oder zweihundert, eine schummrige Kulisse und, warum nicht, ein bisschen Regen zum Höhepunkt. Alles verrühren und voilà: Schon hat man eine wunderschöne Liebesgeschichte, identisch mit allen anderen auf diesem Planeten.

In gewisser Weise ist es normal, dass wir davon träumen. Wie könnte man sich so etwas auch verwehren? Man steht um sieben Uhr in der Früh auf, es ist keine Milch im Haus, man entdeckt ein neues graues Haar, der Chef ist immer noch ein Idiot und das Zehnuhrmeeting war schon um neun. Wie sollte man da nicht von Geigen und Küssen in exotischen Gefilden träumen? Ist uns das der Kosmos nicht etwa schuldig? Nicht die Liebe bewegt die Welt, sondern unsere Illusion, die große Liebe wie eine Hollywoodfigur zu erfahren.

Das kann natürlich nur Enttäuschung erzeugen, aber wir leben schließlich in der westlichen Welt, wo ein jeder das Recht auf die Enttäuschung seiner Wahl hat. Alle wissen, dass diese Geschichten irreal sind, wir wissen es genau und ignorieren es zugleich, denn nur so kann das Placebo wirken. Wir wachsen und altern mit einer romantischen Fantasie als Fixpunkt, weil wir daran glauben müssen, dass es mehr gibt als Outlook und den nächsten Milchkaffee. Etwas Besseres und Schöneres als die langen, grauen Gesichter der Menschen, die man tagtäglich in der U-Bahn sieht, Monat für Monat, Jahr für Jahr, und die man nicht grüßt, weil sie einen auch nicht grüßen. Etwas Aufregenderes als das Brathähnchen mit Salat und die wöchentliche Pilatesstunde.

Es gibt keinen einzigen Menschen, der gegen diese Fantasie gefeit wäre. Aber die Zeit vergeht, die Haare werden grauer, das Fleisch wird schlaff, und früher oder später muss ein jeder sich die Frage stellen: Wie lange will ich noch auf das Geigenkonzert warten? Oder auch: Wie lange will ich noch an Märchen glauben, bevor ich mir eingestehe, dass das Leben sehr viel prosaischer und langweiliger ist als dieser romantische Quark, den ich seit meiner Kindheit serviert bekomme? Mit zwanzig denkst du, du hast das Leben noch vor dir. Mit dreißig kommen dir langsam Zweifel. Mit vierzig schluckst du Pillen gegen Schlafstörungen.

Du beginnst dich zu fragen, ob du vielleicht zu anspruchsvoll bist, ob du deine romantischen Vorstellungen etwas runterfahren solltest, ein bisschen realistischer sein. Du probierst mal so ein Onlineportal aus, verabredest dich mit ein paar Kandidaten, aber alle wirken entweder sehr traurig oder regelrecht psychopathisch, also löschst du die App wieder vom Smartphone. Und dann, eines Morgens, bleibt dein Blick an dieser Person aus dem Büro hängen, und du denkst: Mal sehen, vielleicht könnte ich mit diesem Menschen alt werden. Na ja, warum auch nicht? Es ertönen zwar keine Geigen, wenn du sie ansiehst, aber das Leben währt schließlich nicht ewig, und sie (oder er) ist nun wirklich nicht übel. Sie raucht nicht, und manchmal bringt sie dich zum Lachen. Vielleicht nur ein wenig, aber du suchst schließlich keinen Comedian, sondern etwas halbwegs Warmes zum Ankuscheln in der Nacht. Jemanden, der dich zum Arzt begleitet, wenn du die Ergebnisse der Routineuntersuchung bekommst, der dir sagt, dass es noch andere Arbeitsplätze gibt, wenn du deinen verlierst, der an dich glaubt oder zumindest glaubhaft vorgibt, es zu tun, wenn du selbst nicht mehr an dich glaubst.

Verglichen mit der Romantik Hollywoods sind Liebesgeschichten aus dem echten Leben in etwa die Hügel in der Skihalle verglichen mit dem Mount Everest. Natürlich würdest du gerne den höchsten Berg der Welt bezwingen, wer träumt nicht von so einer Erfahrung? Aber der Mount Everest ist echt weit weg, du hast viel zu tun, und, was soll’s, der Kunstschnee erfüllt seinen Zweck auch ganz gut. So groß wird der Unterschied schon nicht sein.

Oder?

Ich will nicht behaupten, dass Hollywood die Schuld an all den emotionalen Sorgen der Weltbevölkerung trägt. So naiv bin ich nun auch nicht. Aber man kann festhalten, dass das Kino eine Fantasie demokratisiert hat, die wir seit … keine Ahnung, schon immer mit uns herumschleppen, nehme ich an.

Wenn man mal einen Blick auf die Geschichte wirft, die Weltgeschichte, meine ich, stolpert man über einen Haufen Menschen, und darunter sehr schlaue, die gegen diese Mauer der Irrealität gestoßen sind. Beethoven zum Beispiel, den man doch wohl für eine ernsthafte Persönlichkeit halten kann, hat sein berühmtestes Stück, Für Elise, einer Frau gewidmet. Er hoffte vermutlich, wenn er ihr ein Meisterwerk widmet, lädt sie ihn vielleicht mal auf einen Kaffee oder ein Bier ein, oder was auch immer die Leute im Wien des 19. Jahrhunderts so tranken.

Da täuschte er sich natürlich. Sie hat ihn überhaupt nicht beachtet. Stellen Sie sich das mal vor: Sie komponieren eines der schönsten Stücke der Musikgeschichte, widmen es einer Dame, und was macht sie? Heiratet einen Staatsdiener.

»Aber Elise, ich habe dir die entzückendste Bagatelle für Klavier gewidmet, die je geschrieben wurde!«

»Mein Gott, Ludwig, wer hat dich schon darum gebeten?«

»Niemand, aber …«

»Eben, niemand. Also hör auf, dich lächerlich zu machen. Ich hab dir oft genug gesagt, dass du nicht mein Typ bist. Ich kann mit kreativen Genies echt nichts anfangen, ich steh mehr auf Beamte.«

Ich vermute, dass Elise eine gewisse Stabilität anstrebte, die sie an der Seite eines langhaarigen Musikers nicht erwarten konnte. In dieser Hinsicht sind wir heute auch nicht viel weiter.

Egal, ob man in der hohen oder der niederen Kultur sucht, in elitären oder in Massenmedien, wenn man nur ein bisschen gräbt, wird man einen ziemlichen Batzen triefenden und inkongruenten Romantizismus aufstöbern. Sogar in etwas so Profanem wie einem Computerspiel. Ich meine, ist es wirklich nötig, dass Super Mario mit allem, was er tut, die Rettung einer Prinzessin anstrebt? Braucht ein Klempner, der Mauern mit dem Kopf durchstoßen kann und gegen anthropomorphe Pilze kämpft, ernsthaft eine romantisch motivierte Daseinsberechtigung?

Wir sind umzingelt, und es gibt kein Entkommen. Gucken Sie sich nur mal die Bestsellerlisten an: eine Liebesgeschichte aus dem Zweiten Weltkrieg, eine Liebesgeschichte aus der Nachkriegszeit, eine Liebesgeschichte aus dem letzten Monat … Immer das gleiche Schema, ein ums andere Mal:

Mann lebt gewöhnliches Leben und träumt von der Liebe, ohne sie zu finden.

Mann lernt Frau kennen, als er es am wenigsten erwartet, und – verwirrt von all den romantischen Filmen und Liedern und Computerspielen, in denen ein Klempner Mauern mit dem Kopf einreißt, um eine Prinzessin zu retten – wirft sich ihr zu Füßen.

Küsse, Schmetterlinge etc.

Frau bemerkt, dass Mann ein Idiot ist, was wiederum zum scheinbar endgültigen Bruch führt, aber jeder weiß, dass das nicht sein kann, weil man erst bei der Hälfte des Romans angekommen ist.

Mann versinkt in Melancholie, als er feststellt, dass er nicht ohne die Frau leben kann, was ihn nach einer Phase schmerzhaften Selbstmitleids dazu bringt, für die Rückeroberung seiner Liebe zu kämpfen.

Frau verzeiht Mann, auch wenn er ein Vollidiot ist, vermutlich, weil es Schlimmeres gibt als Idiotie. Unnatürliche Nackenverrenkung, Violinencrescendo und Abspann.

Man vergleiche dieses Schema mit jedweder Liebesgeschichte, die man gesehen oder gelesen hat.

Und jetzt vergleichen Sie es mit Ihrem Leben.

Die romantische Liebe ist und bleibt eine Form der Flucht. Ein Zeitvertreib, wie Fernsehshows oder Sudokus, nur viel komplexer und eben deshalb auch viel unterhaltsamer. Wir schlagen die Zeit tot, indem wir uns verlieben und trennen, im Liebeskummer versinken und neue Hoffnung schöpfen, nur um der enormen Menge an realen Problemen zu entkommen, die da draußen auf uns warten. Wir lieben einander, um uns nicht dem komplett Unbegreiflichen zu widmen, das uns sonst umgibt.

Beethoven ist übrigens in Altersarmut gestorben.

Und allein.

Kapitel 2

Ich heiße Daniel wie mein Vater und wie sein Vater vor ihm. Unschwer zu erkennen, dass ich aus einer Familie ohne Einfallsreichtum in der Namensgebung komme.

Ich bin fünfunddreißig Jahre und einen Monat alt: zu alt für kindliche Fantasien und zu jung, um sie aufzugeben. Außerdem bin ich Absolvent eines Journalismusstudiums, wobei ich zu meiner Verteidigung sagen kann, dass ich nie praktiziert habe.

Die vier Jahre meines Studiums habe ich schwarz gekleidet und mit einer Zigarette im Mundwinkel verbracht. Das schien mir der direkteste Weg, Schriftsteller zu werden, was meine kindliche Fantasie war und auch meine erwachsene geblieben ist. Wie alle Jugendlichen dachte ich, Schein ist der erste Schritt zum Sein. Zum Glück habe ich das mit der Zeit überwunden. Das kann nicht jeder von sich behaupten. Manch einer läuft mit vierzig noch als sein Wunschtraum verkleidet herum. Das ist wirklich armselig.

Seit ich denken kann, schreibe ich alles auf, was mir in den Sinn kommt. Alles: Gedanken, Gefühle, Eindrücke. Man könnte sagen, das hilft mir dabei, die Welt zu verstehen. Manche zeichnen, laufen ständig mit einem Notizbuch herum und skizzieren alles, was sie sehen. Ich mache das auch, nur mit Worten. Das ist meine spezielle Therapie, günstiger als ein Psychologe und genauso effektiv (ergo: völlig ineffektiv). Bis heute ist die einzig messbare Konsequenz dieser Praxis ein gutes Dutzend Notizbücher, die ich bei jedem Umzug mitschleppe, ohne zu wissen, warum oder wie lange noch.

Müsste ich einen Moment in meinem Leben benennen, der mich als die Person charakterisiert, die ich heute bin, würde ich zweifelsfrei den Tag wählen, an dem ich mein erstes blaues Hemd kaufte. Ein Hemd, das niemandem auffällt, die Art Kleidungsstück, die jeglicher Persönlichkeit entbehrt. Ein durch und durch gewöhnliches Hemd, von gewöhnlichem Schnitt, mit gewöhnlichem Kragen und völlig gewöhnlichen weißen Knöpfen.

Jemand, der den psychologischen Gehalt verkennt, welcher den Details unserer Existenz innewohnt, könnte das als nebensächlich abtun, als unwürdig, ein Menschenleben in seiner ganzen Komplexität abzubilden. Aber er irrte, natürlich. Für mich war der Kauf dieses Hemdes vor nunmehr gut zwei Jahren ein wirklich existenzieller Meilenstein. Die Spartaner ließen ihre Kinder eine Nacht lang allein unter freiem Himmel schlafen. Jene, die überlebten, kehrten als Erwachsene ins Dorf zurück. Ich verließ eines Tages das Haus in einem Shirt mit »Stay Cool«-Aufdruck und kehrte mit einem nichtssagenden blauen Hemd zurück.

Für einen Mann geht das Tragen eines solchen Hemdes mit dem Eingeständnis der eigenen Bedeutungslosigkeit einher, mit der Bekenntnis zur eigenen Irrelevanz unter den sieben Milliarden Menschen, die diesen Planeten bevölkern. Dieses vollkommen gewöhnliche Hemd, ununterscheidbar von anderen Hemden, ist das große Symbol der männlichen Selbstakzeptanz, eine Flagge, die in die Welt posaunt: »Ich bin nichts Besonderes, und weißt du was? Ich habe es akzeptiert.« Vertrauen Sie nie einem Mann über dreißig, der nicht wenigstens ein blaues Hemd im Schrank hat.

Am Anfang fühlte ich mich verkleidet. Sogar ein bisschen niedergeschlagen. Das ist ganz normal, niemand geht gerne mit seiner eigenen Nichtigkeit hausieren. Ich betrachtete mich im Spiegel und fragte mich, wer dieser traurige und ausdruckslose Typ war, dessen Antlitz mir entgegenblickte. Ich dachte: »Was für ein ungeeignetes Kleidungsstück für einen Schriftsteller, der doch ein Mensch mit gehaltvollem Inneren ist, ein komplexes Knäuel aus Gedanken und Ideen über die Welt, überaus eigensinnig, analytisch, brillant …« Heute besitze ich vier blaue Hemden und ziehe kaum noch etwas anderes an.

So sieht es aus: Das bin ich. Einer dieser Typen in blauen Hemden, die einem tagtäglich begegnen. Weder besonders gut aussehend noch besonders unansehnlich, Größe eins vierundachtzig, Haare dunkelbraunfastschwarz. Ein fünfunddreißgjähriger Typ im fortgeschrittenen Selbstakzeptanzstadium. Soll das heißen, dass ich die Vorstellung aufgegeben habe, meinen Namen auf ein Buch gedruckt und in den Händen von Literaturstudenten zu sehen? Natürlich nicht. Aber ich habe gelernt, die Dinge langsam anzugehen. Sie zu nehmen, wie sie kommen. Außerdem habe ich noch keine Geschichte aufgetan, die es wert wäre,

Mein erster Roman

(Arbeitstitel)

zu werden.

Für all die Schriftsteller, die eine traumatische Kindheit hinter sich haben oder einen Krieg oder eine Hungersnot, ist das natürlich wesentlich einfacher. Sie brauchen nur die Leere, die aufgrund des Erlebten in den Tiefen ihrer Seele schlummert, hervorzulocken und sie auf ein Punkt doc zu bannen. Ich bin leider nicht so gesegnet. Meine Kindheit war ziemlich glücklich. Na ja, auch nicht übermäßig. Gewöhnlich, nehme ich an. Als ich mir ein Fahrrad wünschte, kauften meine Eltern mir eines. Später wollte ich eine Gitarre und bekam eine (ich spielte darauf exakt eine Woche lang, wobei spielen als relativ maßloses Verb für die beschriebene Tätigkeit gelten kann). Ich wollte Karate machen und tat es, bis mein Vater verstand, dass er dafür bezahlte, dass die Jungs aus der sechsten Klasse seinen Sohn zweimal wöchentlich vermöbelten. Also wechselte ich zur Theater-AG, wo zumindest kein Blut floss. In der siebten Klasse spielte ich Hamlet, und meine Mutter fand mich sehr witzig. Ja, das sagte sie: »sehr witzig«. Was, zum Teufel, soll jemand wie ich schon schreiben?

Der aufregendste Moment meines Lebens lässt sich auf die Silvesternacht 2008 datieren, als ich bis fünf Uhr morgens sternhagelvoll bei mir zu Hause im Fahrstuhl feststeckte und mich schließlich unsere Nachbarin rettete. Nicht gerade Krieg und Frieden.

Aber ich gebe nicht auf. Ich glaube daran, dass ich eines Tages eine Geschichte entdecken werde, die es wert ist, mein Erstlingswerk zu werden. Dieses unerschütterliche Vertrauen in meine Zukunft vermag allerdings nicht meinen Vermieter zu überzeugen, weshalb ich einen provisorischen Plan B austüfteln musste. Und so kam es, dass ich meinen Lebensunterhalt mit Biografien bestreite.

Ich nenne sie Biografien, weil das ernsthaft und respektabel klingt, aber ehrlicher wäre es, sie Firmengeschenke zu nennen. Es handelt sich um einen dieser albernen Trends »made in USA«, so wie Halloween, Muffins oder die Atombombe. Man denke sich eine große Firma, deren zu gleichen Teilen geliebter wie gefürchteter Big Boss in Rente geht. Der Vorstand versammelt sich, denn dazu ist der Vorstand da, und beschließt einstimmig, dass der Big Boss zum Zeichen der Anerkennung für seine selbstlosen Verdienste ein Geschenk erhalten soll. In alten Zeiten hätte die Sekretärin eine goldene Armbanduhr mit Gravur besorgt und fertig. Doch eines Tages dachte sich ein US-Amerikaner: »Hey, wie wär’s, wenn wir einen Journalisten bitten, eine Biografie des großen Mannes zu schreiben? Das wäre doch ein fantastisches Geschenk! Und so viel persönlicher als eine goldene Rolex! Bestimmt auch wesentlich günstiger!«

Es handelt sich jedoch aus einem triftigen Grund nicht um authentische Biografien. Die Wahrheit hat immer ein hässliches Gesicht, und dieses Gesicht will niemand sehen. Schon gar nicht der Beschenkte. Demzufolge ist es das alleinige Ziel, es dem vorgeblich Biografierten zu ermöglichen, sich zwei oder drei Tage lang in seiner vermeintlichen Größe zu baden, während er sich auf dem Sonnendeck seiner Jacht aalt und sich allmählich mit seinem neuen, beschäftigungslosen Lebensabschnitt vertraut macht.

All das habe ich vor ungefähr vier Jahren entdeckt, in einem Blog für gescheiterte Schriftsteller, den ich regelmäßig lese. Zu jener Zeit lebte ich mehr schlecht als recht davon, Werbemüll zu produzieren, also schien mir die Prostitution meiner Feder im Dienste großer Unternehmen eine exzellente Möglichkeit zu sein, meinem Konto ein wenig Luft zum Atmen zu verschaffen, während ich auf den schriftstellerischen Geistesblitz wartete. Ich erstellte ein Dossier, um meine Dienste mit einigen Schriftproben anzubieten, ließ es binden und klapperte die Presseabteilungen von fünf Dutzend Unternehmen ab. Zu meiner Überraschung schrieb ich bereits einen Monat später Leben und Wundertaten des Besitzers einer Juwelierkette nieder.

Ob das ein toller Job ist? Ganz sicher nicht. Es ist langweilig, undankbar und kreativitätskastrierend, aber immerhin habe ich keine Vorgesetzten (zumindest nicht im herkömmlichen Sinn des Wortes) und bin Herr meiner Zeit. Im Klartext heißt das: Ich kann mehr Stunden im Pyjama als in Jeans verbringen und muss niemandem Rechenschaft ablegen, wenn ich Lust habe, ausgerechnet an einem Mittwochvormittag spazieren zu gehen.

Der Arbeitsprozess ist immer der gleiche. Das Unternehmen lässt mir Informationen über seinen Chef zukommen: Interviews, Briefe, Fotos – alles, was sie haben. Dem füge ich Details hinzu, die ich im Internet finde, sowie fünf oder sechs Interviews, die ich selbst mit Mitarbeitern, Geschäftspartnern, Freunden und Verwandten des Porträtierten führe. Die Interviews sind wichtig, weil sie mir ermöglichen, sechzig Prozent des Buches mit copy and paste zu füllen. Sobald ich das Material beisammenhabe, schließe ich mich eine Woche lang mit ein paar Kilo Kaffee und zwei Dutzend Tütensuppen in meiner Wohnung ein. Der gesamte Dokumentations- und Redaktionsprozess nimmt in der Regel zwei bis drei Monate in Anspruch, wobei ich vorgebe, sechs zu brauchen, um mein Honorar zu rechtfertigen. Ich schätze, wenn ich wirklich ambitioniert wäre, könnte ich den Arbeitsprozess noch straffen und eine Pseudobiografie pro Woche schreiben (wobei natürlich zu bezweifeln ist, dass irgendjemand sehr lange von Kaffee und Tütensuppe allein leben kann).

Lope de Vega, einer der großen spanischen Dichter und Dramaturgen des Goldenen Zeitalters, schrieb sieben Romane, neun Heldengedichte, dreitausend Sonette und, Achtung, eintausendachthundert Theaterstücke. Das klingt ja so schon sehr beeindruckend, aber noch beeindruckender wird es, wenn man seine Produktivität berechnet. Lope hat dreiundsiebzig Jahre lang gelebt. Nehmen wir einmal an, er habe mit zwanzig zu schreiben begonnen und mit siebzig aufgehört. Macht fünfzig Jahre literarischer Produktion, was bedeutet, dass der Mann sechsunddreißig Theaterstücke im Jahr schrieb. Also fast ein Stück pro Woche. Und noch immer blieb ihm genug Zeit, zwischendrin ein paar Heldengedichte, Romane und Sonette aus dem Ärmel zu schütteln. Wenn meine Kunden das wüssten, würden sie mir eine Woche geben und die Biografien in Versform verlangen.

Glücklicherweise interessiert sich der prototypische PR-Manager eines großen Unternehmens nicht im Geringsten für Lope de Vega. Das Einzige, was diese Leute wollen, ist, dass ihr beinahe Exchef als der große Mann porträtiert wird, der er glaubt zu sein. Das ist natürlich nicht immer einfach. Manchmal muss man sich wirkliche Korkenziehersätze aus den Rippen schneiden, um über diese oder jene Episode hinwegzukommen. Wenn zum Beispiel der Porträtierte in den Neunzigerjahren die Hälfte der Belegschaft entlassen hat (seinerzeit durchaus üblich), schreibe ich, dass er »sich gezwungen sah, Umstrukturierungen vorzunehmen, um die Firma wettbewerbsfähig zu halten«. Nichts, was Journalisten nicht genauso täten, um es uns tagtäglich als Information zu verhökern. Der Unterschied ist, dass in meinem Fall der einzig Betrogene der Protagonist selbst ist. Es gefällt mir zu denken, dass ich ein neues literarisches Genre erschaffen habe, eine personalisierte Form des Ratgebers. Ich nenne es Selbstbetrugsliteratur.

Diese Geschichte beginnt ausgerechnet in der Empfangshalle eines solchen Unternehmens: Immobilien Monteis mit Sitz in der Gran Vía in der Madrider Innenstadt. An einem Montag um fünf nach acht sitze ich hier und blättere eine Zeitschrift mit dem Titel Zement und Glas durch, als eine Sekretärin zwischen fünfzig und hundertzwanzig Jahren mich bittet, ihr ins Büro des Herrn Portabella zu folgen.

»Wenn Sie so freundlich wären«, sagt sie, und ich bin so freundlich, selbstredend.

Mit dem Herrn Portabella, dessen Vorname Albert ist, habe ich bisher zweimal telefoniert und sechs E-Mails ausgetauscht. Er ist der PR-Manager der Firma, und das Treffen heute ist reine Formsache, davon gehe ich jedenfalls aus. Ein paar Details klären, Vertrag unterschreiben, Händedruck, fertig.

Ich folge der Sekretärin durch die fünf Stockwerke des Firmengebäudes. Hier steckt viel Geld drin, und das soll man sehen. Auf dem Weg in die Chefetage kreuzen wir die niederen Ränge, wo die Mitarbeiter mit schlafverklebten Augen gerade ihre Computer hochfahren. Vielstimmig ertönt die Windows-Startmelodie, die Hymne unserer Zeit. Ein Gähnen, ein Telefonklingeln, Gesprächsfetzen zwischen Kollegen. Fast alle verfolgen mich mit Blicken. Sobald ich außer Sichtweite bin, werden sie sich gegenseitig fragen, wer wohl dieser Typ in dem ordinären blauen Hemd war und was er hier zu suchen hat zu dieser unchristlichen Uhrzeit.

Die Frau undefinierbaren Alters öffnet eine Tür und verkündet: »Albert, der Herr Durán ist hier.«

Der Herr Durán bin natürlich ich, und ich gebe mich zu erkennen, indem ich ihm die Hand entgegenstrecke und »Guten Morgen, sehr erfreut« sage, was er mit exakt denselben Worten beantwortet. Dann schickt er ein Lächeln hinterher, das eine blitzblank polierte Zahnreihe zum Vorschein bringt. Es ist nicht das erste Mal, dass ich ein derart weißes Gebiss zu Gesicht bekomme, und jedes Mal frage ich mich, wie diese Leute solche Makellosigkeit zustande bringen. Die Sekretärin schließt die Tür hinter sich und lässt mich mit dem PR-Manager allein.

Portabellas Büro ist einer dieser kühlen und hässlichen Räume, wo jegliche Persönlichkeit, die man ihm unterjubeln will, nichts ausrichten kann, er wird immer kühl und hässlich bleiben. Mit schnellem Blick erfasse ich: eine Kinderzeichnung von Mama und Papa, ein paar Pokale und eine Reihe Zeitschriften, vermutlich die gesammelten Ausgaben von Zement und Glas. Auf dem beinahe leeren Schreibtisch: ein Bildschirm, ein Blatt Papier (richtig: eines!), ein paar Briefumschläge und eine Antistresskugel, die ziemlich unbenutzt aussieht. Portabella ist entweder ein sehr relaxter Typ, oder er hat andere Sublimierungstechniken.

»Schönes Büro!«, lüge ich.

»Finden Sie? Ich kann es nicht ausstehen«, sagt er. »Früher saßen wir in Serrano, in einem spektakulären Palais aus dem 19. Jahrhundert. Dann kam die Krise und – na ja, das Übliche.«

Ich bestätige, ja, sicher, das Übliche.

»Also dann«, sagt Portabella, »ans Werk.« Er klopft einmal kurz auf den Tisch. »Wir sind uns einig über Honorar und Abgabetermin, nicht wahr?«

»Absolut, ja.«

»Sechs Monate reichen?«

»Ja, das ist kein Problem«, sage ich und denke an Lope de Vega. »Vielleicht geht es auch schneller, aber …«

»Nein«, unterbricht er mich, »sechs Monate sind in Ordnung. Im Januar also. Eduardo … also, Herr Monteis geht im März in Rente, aber wir hätten das Buch gerne mit etwas Puffer. In so einem großen Unternehmen will ja jeder seinen Senf dazugeben, und wenn es nur ist, um zu sagen, man hätte auch seinen Senf dazugegeben.«

Ich grinse, weil ich verstanden habe, dass das ein Witz sein sollte. Dann nimmt Portabella das Blatt Papier vom Tisch und betrachtet es ein paar Sekunden lang mit verlorenem Blick, als würde er über etwas sehr Tiefgründiges nachdenken, den Kosmos, die Unendlichkeit, Gott, so etwas. Als er aus der Trance erwacht, reicht er mir das Blatt.

»Die Liste der Interviewpartner. Es sind fünf, nicht sechs – Sie wollten sechs, oder?«

»Richtig.«

»Nun, es sind nur fünf geworden. Mehr habe ich nicht aufgetan. Ich habe Ihnen die Namen, Durchwahl und Mail-Adressen aufgeschrieben. Alle wissen Bescheid.«

Ich werfe einen Blick auf die Liste, die außerdem noch die Posten der Bezeichneten im Unternehmen vermerkt, etwa »Leiterin des Departments für Internationalisierung« oder »Mitglied der Aktionärsversammlung«. Sieht aus, als hätte dieser Monteis außerhalb der eigenen Firma nicht besonders viele Freunde.

»Gut«, sage ich, denn Kritik sollte man immer mit einer positiven Bemerkung einleiten. »Aber ich müsste auch mit jemandem aus der Familie sprechen. Und nach Möglichkeit auch mit einem Freund.«

»Ja, das sagten Sie schon, aber das ist wirklich alles, was ich erreichen konnte. Und das war nicht gerade leicht. Damit werden Sie auskommen müssen. Ist das ein Problem?«

»Nein, es wird schon reichen. Aber die Familie bringt einfach immer eine andere Perspektive mit rein. Persönliche Anekdoten, Ferienerlebnisse, solche Sachen.«

»Verstehe«, sagt er und setzt dieses Gesicht auf, das viele Leute haben, wenn sie sehr stark nachdenken: die Unterlippe zwischen die (wirklich übertrieben weißen) Zähne geklemmt, die Augen zusammengezogen. Ich warte ein paar Sekunden ab, dann entschließe ich, ihm zur Hilfe zu kommen, bevor ihm die große Denkanstrengung noch die Gefäße verstopft.

»Hat der Herr Monteis denn keine Familie?«

»Nein. Seine Frau ist schon vor Jahren gestorben. Er hat eine Tochter, Eva, aber sie haben keinen Kontakt.«

»Oh.«

Pause. Er sieht ins Leere, ich warte.

»Na ja«, sagt er, »ich könnte es versuchen … Ist es sehr wichtig?«

»Es wäre nicht schlecht«, sage ich und präzisiere umgehend: »Es ist sehr wichtig, ja.«

Vor allem für mich. Ich weiß aus Erfahrung, dass die Familie immer das meiste und das beste Material liefert. Die Partner, Mitarbeiter und Untergebenen beschränken sich auf das Herunterleiern von Gemeinplätzen, wenig Verwertbares, was mich dann zwingt, die Löcher zu stopfen (ergo, mehr Arbeit). Aber gib mir nur ein Familienmitglied, und ich fülle im Handumdrehen zwanzig Seiten.

»Um ehrlich zu sein, habe ich sie nicht mal angerufen«, sagt Portabella. »Ich bin von vornherein davon ausgegangen, dass sie Nein sagen würde, aber … Na ja, das Thema Tochter ist ein ziemliches Tabu für Monteis. Ich kann Ihnen nichts versprechen. Wie lang würde dieses Interview dauern?«

»Eine Stunde.«

»So lang?« Er sieht mich verzweifelt an.

»Halbe Stunde. Vierzig Minuten«, lenke ich ein, obwohl ich nicht wirklich verstehe, warum ich mit diesem Typen verhandele, es könnte ihm herzlich egal sein.

»Okay, folgender Vorschlag.« Er zieht einen USB-Stick aus seiner Hemdtasche. »Nehmen Sie das mit. Ich hab Ihnen alle Interviews mit Monteis draufgezogen, die ich finden konnte, plus ein paar Reportagen aus dem Archiv. Das Material geht bis in die Neunziger zurück, da sollten Sie genug Stoff haben.« Das würde ich lieber selbst beurteilen, aber ich halte den Mund. »Ich kümmere mich um seine Tochter und melde mich so bald wie möglich bei Ihnen.«

Dann unterschreibe ich einen dreiseitigen Vertrag, dessen Vertraulichkeitsklausel allein eineinhalb Seiten umfasst, und stecke mein Exemplar ein.

»Gut«, sagt Portabella und erhebt sich, »das wär’s dann.«

Er besteht darauf, mich zum Fahrstuhl zu geleiten, obwohl ich ihm sage, dass das nicht nötig sei. Auf dem Weg kommentiert er die angenehmen Temperaturen; besser als der letzte Sommer, in dem es so furchtbar heiß war. Ich: »ja«, er: »uff«. Und die Leute, die mich auf dem Hinweg angestarrt haben, starren jetzt wieder.

Am Fahrstuhl angekommen, reicht Portabella mir die Hand, und ich ergreife sie mit dem hoffentlich letzten forcierten Lächeln des Tages.

»Das wird bestimmt ein großartiges Buch«, sagt er.

»Ja«, sage ich.

Lope de Vega, ich komme!

Kapitel 3

Lassen Sie mich über Frauen sprechen.

Ich habe keine Schwestern. Natürlich habe ich eine Mutter, aber Mütter sind, wie jeder weiß, keine Frauen.

Ich bin auf eine katholische Schule gegangen, die von Koedukation nichts hielt, sodass das Mysterium Weiblichkeit für mich weit über meine Jugend hinaus ein Mysterium blieb. Als ich mit neunzehn an die Uni kam, hielt ich Frauen für beinahe mythische Wesen, wie Einhörner oder den Minotaurus. Es dürfte also für jedermann nachvollziehbar sein, dass ich im ersten Jahr an der Uni eine regelrechte hormonelle Odyssee erlebte.

Ich freundete mich mit ein paar Frauen an, meine ersten Freundinnen, die allerdings alle aufhörten, es zu sein, sobald meine sexuellen Impulse sich bemerkbar machten. Heute weiß ich, dass das nicht an mir lag, sondern an der primitiven Natur, die in jedem postadoleszenten männlichen Wesen schlummert, dem jahrelang die Koedukation vorenthalten wurde. Ich brauchte Monate, um zu verstehen, dass Freundschaft die schlechteste Flirtstrategie überhaupt ist. Und genau dann traf ich Sara.

Ich wollte Schriftsteller werden, und sie wollte Steuerfahnderin werden. Was für ein Typ Mensch, werden Sie sich fragen, will sein Leben der detaillierten Rechnungsprüfung widmen? Ein sehr spezieller, das steht fest. Für mich war Buchführung eine der langweiligsten Tätigkeiten, die ich mir vorstellen konnte, in dieser Hinsicht halte ich mich für ziemlich gewöhnlich, aber Sara war fasziniert davon. Es war Berufung, reine Liebe. Mit vierzehn machte sie zum ersten Mal die Steuererklärung ihrer Eltern und leckte Blut. Als wir uns kennenlernten, kümmerte sie sich bereits um die Buchführung ihrer gesamten Familie.

Wir machten das, was im Jahr 2000 alle jungen Leute diesseits des Äquators machten: spazieren gehen, einen Film ausleihen, uns auf offener Straße betrinken, auf Konzerte gehen und, ab und zu, auch ins Kino. Wir hatten beide keinen Nebenjob, weshalb wir unsere Freizeitaktivitäten gut auf die knapp bemessenen Unterhaltszahlungen unserer Eltern abstimmen mussten. Wobei das Beste gratis war: im Park auf einer Wiese zu liegen und uns die Zukunft auszumalen. Wir waren auf eine Art und Weise befreundet, die nur in diesem Alter möglich ist. Wir erzählten uns alles, wir lachten über alles, mit oder ohne Grund, und, wie könnte es anders sein, eines Tages landeten wir gemeinsam im Bett. Es war für uns beide das erste Mal, somit kann man sich die Dimension des Desasters wohl vorstellen. Ich war so nervös, dass ich mich nicht mal daran erinnern kann. Das passiert manchmal bei sehr stressigen Erlebnissen, die Psychologen nennen das Dissoziation. Das Gehirn hält den Druck nicht aus und vernichtet – Bang! – die Erinnerung. Ich weiß noch, dass es in ihrem Bett geschah, bei ihren Eltern zu Hause, an einem Samstagnachmittag. Und ich weiß, dass im Fernsehen Big lief, der Film mit Tom Hanks. Bis heute denke ich immer, wenn ich ihn in einem Film sehe: Dieser Typ war die Hintergrundstimme zu meinem ersten Orgasmus.

Das Erlebnis mutierte uns zu so etwas wie einem Pärchen, obwohl wir das nie aussprachen. Wir waren nur Freunde, die manchmal … Sie wissen schon. Das Arrangement behielten wir eineinhalb Jahre lang bei, eineinhalb ganz prächtige Jahre, bis Sara eines Abends Fito Ramírez abschleppte.

Ramírez war ein Vollidiot, Filmstudent im achten Semester, der rumlief wie Jean-Luc Godard und sich mit seinen »intensiven Schwarz-Weiß-Kurzfilmen« brüstete. Ich erinnere mich insbesondere an einen ziemlich grottigen, der sich als tiefgründig in dem Sinne verstand, wie ein postadoleszenter Junge aus gutem Hause die Tiefgründigkeit definiert. Er hieß Die unablässige Suche des jungen Niemand. Ich meine, wie albern ist das denn?

Das Ganze hat mich übel mitgenommen. Was bescheuert war, denn wir waren uns ja einig, dass wir uns weder Treue noch sonst etwas schuldeten. So war der Deal. Was ich aber echt daneben fand, war, dass sie es mir nicht erzählte. Ich musste es durch Dritte erfahren! Also fuhr ich folgendes Geschütz auf:

»Ich kann nicht fassen, dass du auf diesen Volltrottel hereinfällst.«

Dämliche Idee, ich weiß. Wir stritten zwei Stunden lang, nie wieder habe ich so lange mit jemandem gestritten. In zwei Stunden kann man ziemlich viele Sachen sagen, die man später bereuen kann. Wir warfen uns Dinge an den Kopf, über die wir uns noch am Tag zuvor totgelacht hätten. Sie weinte zum ersten Mal in meiner Gegenwart, was mich ein bisschen entwaffnete, aber ich gab nicht nach, und die Sache endete mit den Worten:

»Besser, wir sehen uns nicht mehr.«

Ich war es, der den Satz aussprach, aber sie war einverstanden.

Gesagt, getan, wir sahen uns nicht mehr und telefonierten auch nicht. Und dann? Na ja, ich beendete mein Studium, ging mit anderen Frauen aus, verknallte mich in ein paar von ihnen, und ab und zu dachte ich an Sara und fragte mich, was wohl aus ihr geworden war. Ob sie ihren Traumberuf als Steuerfahnderin tatsächlich ergriffen hatte? Ob sie das glücklich machte?

Und dann, an irgendeinem gewöhnlichen Mittwoch, lief ich ihr irgendwo in Madrid über den Weg. Sie war so hübsch und strahlend wie immer. Nur der Rollstuhl war neu. Ich lud sie auf einen Kaffee ein, und sie erzählte mir von ihrem Unfall. Bei der Rückfahrt von einem Vorstellungsgespräch in Barcelona hatte sich ihr Wagen zweimal überschlagen. Sie überlebte wie durch ein Wunder, verbrachte allerdings fast drei Jahre in der Reha. Und ebenda, in der Reha, lernte sie einen gut aussehenden und sympathischen Zahnarzt namens Germán kennen, in den sie sich verliebte. Und ja, sie war Steuerfahnderin geworden.

Wir lachten gemeinsam über den Idioten, der sich in seiner wilden Jugend als Godard verkleidet hatte. Sara hatte ihn ein paar Jahre zuvor getroffen. Er war jetzt Kameramann bei Big Brother und hatte eine Tochter. Er verkleidete sich nicht mehr, und das freute mich zu hören.

Es war nichts Bewusstes, nicht dass ich gedacht hätte: Ich will die Freundschaft mit dieser Frau wieder aufleben lassen. Jeder weiß, dass das Leben so nicht funktioniert, aber tatsächlich ist Sara heute meine beste Freundin. Meine einzige Freundin, um ehrlich zu sein. Das Leben ist einfach ein wundersamer Ort.

»Im Ernst«, sage ich zu Sara, »das waren die weißesten Zähne, die ich je bei einem PR-Menschen gesehen habe. Ich konnte einfach nicht aufhören, diese Zähne anzustarren. Ich frage mich, wie er das macht.«

»Vielleicht schmiert er sich jeden Morgen Tipp-Ex drauf«, sagt Sara.

Wenn wir zusammen spazieren gehen, und das machen wir fast täglich, dann lässt sie den elektrischen Rollstuhl zu Hause und nimmt den manuellen. Aus pragmatischen Gründen. Madrid ist generell keine einfache Stadt, aber noch viel weniger für jemanden, der nicht laufen kann.

»Und«, fragt Sara, »wie ist das Meeting abgesehen von den weißen Zähnen gelaufen?«

»Gut. Na ja, ganz o. k. Die Interviewpartner-Liste ist ein Trauerspiel. Dieser Typ, der ausscheidende Chef, hat keinen einzigen Freund. Stell dir das mal vor, mit einem Imperium in Rente zu gehen und nicht einen einzigen Freund an deiner Seite.«

»Und die Familie?«

»Er ist Witwer.«

»Oje.«

»Der PR-Mann hat gesagt, er hat eine Tochter, aber sie reden nicht miteinander.«

»Was für ein Scheißleben. Übrigens. Wir müssen über die Sitzordnung sprechen.«

»Welche Sitzordnung?«

»Die der Hochzeit natürlich.«

Sara und Germán heiraten in einem halben Jahr. Ungefähr zu dem Zeitpunkt, wenn das Buch fertig sein muss. Und jetzt raten Sie mal, wer der Trauzeuge ist.

Heutzutage zu heiraten scheint mir ein heroischer Akt – im dämlichen Sinne des Ausdrucks. Ich meine dieses idiotische Heldentum, das die Leute dazu verleitet, einen Arm in den Löwenkäfig zu stecken oder mit Haien zu schwimmen. Dieses leere Heldentum ohne Sinn und Zweck. Einmal habe ich ein YouTube-Video von einem Typen gesehen, der sich einfach so angezündet hat, grundlos, eine bessere Metapher für das Heiraten will mir nicht einfallen. Sara und Germán haben nicht mal familiären Druck, was ich noch als Grund durchgehen lassen würde. Aber als ich Sara gefragt habe, warum sie heiraten, war ihre Antwort:

»Aus Liebe, du Depp, weshalb denn sonst?«

Ich hab nicht noch mal gefragt.

»Was ist das Problem mit der Sitzordnung?«, frage ich jetzt.

»Germán und ich haben sie gestern gemacht und haben keine Ahnung, wo wir dich hinsetzen sollen. Vielleicht machen wir einen Singletisch.«

»Bitte nicht.«

»Wieso, das ist super! Du sitzt neben Loreto, erinnerst du dich an Loreto?«

»Die Verrückte mit der Katze?«

»Sie ist nicht verrückt, sie liebt ihre Katze nur sehr.«

»Willst du mich verarschen? Ich will nicht neben ihr sitzen.«

»Warum nicht?«

»Weil sie verrückt ist, darum nicht. Ich habe sie dreimal gesehen, und jedes Mal hat sie mir von der Operation ihrer Katze erzählt, wobei die Versionen nicht einmal übereinstimmten.«

»Das hat sie sehr mitgenommen.«

»Ernsthaft, ich will nicht neben ihr sitzen, bitte nicht.«

»Vielleicht müsst ihr euch einfach besser kennenlernen. Wir können doch mal zu viert essen gehen.«

Das verdient eine Erklärung. Es ist so, dass es seit ein paar Jahren Saras entschiedenes Ziel ist, eine Freundin für mich zu finden. Sie verfolgt es mit Eifer, um nicht zu sagen, mit erdrückender Beharrlichkeit. Sicher, als gute Freundin, die sie ist, will sie nur, dass ich glücklich bin. Sie fürchtet, ich könnte mich in einen dieser verbitterten Typen verwandeln, die alles scheiße finden, nur weil sie seit zehn Jahren nicht mehr neben einer anderen Person aufgewacht sind. Jeder kennt solche Leute, aber an dem Punkt bin ich noch nicht. Glaube ich zumindest. Das würde ich doch merken, oder?

Und außerdem, ich wache sehr wohl hin und wieder neben jemand anderem auf. Dass ich nie über diese Phase hinauskomme, steht auf einem anderen Blatt. Aber Sara hat schon allen Grund, sich zu sorgen. Eine aktive Sexualität zu wahren ist so wichtig wie tägliches Zähneputzen. Sonst kann man zum Einsiedler werden, so ein Typ wie Mr Scrooge, der mit missmutigen Blicken für jedermann durchs Leben wandelt. Ich hab mal jemanden kennengelernt, der alle Filme, alle Romane und alle Musikalben hasste. Er fand alles seit ungefähr der Renaissance komplett scheiße. Eine Zeit lang hielt ich ihn für ein Genie, einen Menschen mit überwältigender Kritikfähigkeit, jemanden mit so hohen intellektuellen Ansprüchen, dass er unmöglich zufriedenzustellen war. Dann erfuhr ich, dass er mit einunddreißig Jahren noch Jungfrau war.

Als Germán um exakt zwanzig Uhr aus der Praxis nach Hause kommt, diskutieren Sara und ich noch immer meinen Sitzplatz auf der Hochzeitsgesellschaft.

»Was ist denn mit euch los?«, fragt er. »Man hört euer Geschrei bis in den ersten Stock.«

»Deine zukünftige Exfrau will mich mit Loreto verkuppeln.«

»Die Verrückte mit der Katze?«

»Siehst du!?«

Obwohl er Zahnarzt ist, ist Germán ein großartiger Kerl, eine jener seltenen Personen, die von jedermann gemocht werden. Als würde das nicht genügen, ist er auch noch gut aussehend und muskulös. Wenn er im alten Rom gelebt hätte, hätten sich die Bildhauer um ihn geprügelt. Außerdem hat er diesen Haarschnitt, den außer ihm nur noch englische Schauspieler tragen, lässig mit einer Hand locker nach hinten gekämmt, und alles sitzt perfekt – bis auf eine einzelne rebellische Strähne, die ihm verwegen in die Stirn fällt.

Sara und er passen zusammen. Ich kann gar nicht sagen, wieso. Es gibt einfach Leute, die zusammengehören, so wie Barbie und Ken oder Donald Duck und wie auch immer die Ente heißt, mit der er zusammen ist. Du kannst sie dir schlicht mit niemand anderem vorstellen.

»Verstehe«, sagt Germán zu mir. »Die Idee vom Singletisch hat dich also nicht überzeugt.«

»Ich finde sie beschissen, um genau zu sein.«

»Wenn es um die Frau mit der Katze geht …«

»Loreto«, wirft Sara ein.

»Wenn es um Loreto geht, mach dir keine Sorgen. Ihr seid ja zu acht am Tisch, du wirst nicht mit ihr allein sein.«

»Darum geht es doch überhaupt nicht.«

»Sondern?«

»Ich bin euer bester Freund. Mehr noch, ich bin euer Trauzeuge. Es wäre eine ziemliche Katastrophe, wenn ich mich am Tag eurer Hochzeit aus dem Fenster stürze. Ich meine, was würden die Leute sagen?«

»Aber wir machen das doch für dich!«, ruft Sara aus. »Du sagst doch ständig, dass du Leute kennenlernen musst.«

Das ist leicht übertrieben. Ich sage das nicht ständig. Ich sage es manchmal, o. k., aber das heißt ja nicht, dass ich irgendwen kennenlernen will. Ich will interessante Menschen kennenlernen, lustige, originelle. Und Loreto passt in keine einzige dieser Kategorien.

Wir vertiefen das Thema noch ein wenig und erörtern andere, noch weniger erbauliche Optionen, wie zum Beispiel die, mich inmitten einer Handvoll jüngerer Cousins und Cousinen zu platzieren. Ich versuche ihnen klarzumachen, wie erniedrigend das wäre. Worüber, bitte schön, soll ich mit Zwanzigjährigen reden? Ich weiß schon seit einer Dekade nicht mehr, was cool ist. Ich weiß noch nicht mal, ob man noch cool sagt oder ob das schon so ein Wort geworden ist, das einen als alten Knacker outet, wenn man mit jungen Leuten spricht.

Als ich Kind war, hat ein Onkel von mir ständig den Ausdruck endgeil benutzt. Soweit ich weiß, hat er ihn nur im Umgang mit mir benutzt, niemals hörte ich es, wenn andere Leute mit im Zimmer waren. Endgeiles Lied, endgeiles Auto … Ich spürte eine Mischung aus Angst und Mitleid und fragte mich, warum er nicht normal sprechen könne. Aus diesem Grund halte ich es für das Beste, zu vermeiden, dass ein halbes Dutzend Twens so etwas von mir denken könnte, und willige ergeben in die Platzierung am Singletisch ein. Was bleibt mir anderes übrig?

In der nächsten halben Stunde sprechen wir über Dinge, die meine Würde nicht tangieren: ein Video, das im Netz kursiert und das Sara und Germán sehr witzig finden (ich habe es nicht gesehen), und die beste Art, Käse zu lagern, damit er nicht schimmelt. Und dann reden wir über Urlaub. Sara und Germán fahren eigentlich immer für ein paar Wochen weg, aber dieses Jahr, so eröffnen sie mir, werden sie in Madrid bleiben. Sparen für die Hochzeit und für die Flitterwochen. Das freut mich zu hören, denn es bedeutet, dass jemand da sein wird, bei dem ich mich persönlich beklagen kann, wenn diese Stadt vor Hitze unerträglich wird.

Dann, als ich mein Pensum an sozialem Miteinander erfüllt habe (ich erwarte nicht allzu viel in dieser Hinsicht), schwöre ich Rache wegen der Sache mit der Sitzordnung und trolle mich heim.

Es ist nicht besonders heiß, was verwunderlich ist. Immerhin ist schon Juli, wir sollten alle bereits in Hass auf die Stadt entflammt sein, zumindest die Einheimischen. Die Touristen funktionieren umgekehrt: Je weniger Luft zum Atmen, desto mehr freuen sie sich. Da laufen sie schwitzend mit ihren Stadtplänen und Schirmmützen und Eisbechern und fragen nach dem Weg zum Prado oder zur Puerta del Sol und rempeln einen mit ihren Rucksäcken an, als wäre ganz Madrid ein einziger Vergnügungspark.

Dafür habe ich jetzt keinen Nerv und wähle den Weg durch Lavapiés, das normalerweise von Touristenscharen verschont bleibt. Fehler. Ausgerechnet heute ist das Viertel überschwemmt von Menschen. Ich versuche gerade, eine Gruppe von bestimmt vierzig Japanern zu überholen, als mein Telefon in der Tasche vibriert. Es ist Portabella.

»… von der Immobiliengesellschaft …«

»Monteis«, unterbreche ich ihn, »ich weiß schon.«

Die Japaner bleiben alle im selben Moment stehen, um einen Schinken in einem Schaufenster zu bewundern, was mich zwingt, ebenfalls mitten im Pulk stehen zu bleiben.

»Ich habe mit Eduardos Tochter gesprochen«, sagt er. »Fehlanzeige, wie ich befürchtet hatte.«

»Entschuldigung.«

»Wie bitte?«

»Nein, ich habe mit einem Japaner gesprochen.«

»Schlechter Moment zum Telefonieren?«

»Nein, geht schon.«

Die Japaner zücken ihre Smartphones und Tablets und beginnen, reihum mit dem Schinken zu posieren. Manche machen das Victoryzeichen, als wäre die Zusammenkunft mit einem mumifizierten Schweineschenkel der Höhepunkt einer schwierigen Heldentat.

»Sie will von dem Buch nichts wissen«, sagt Portabella. »Ich habe ihr alles erklärt; dass Sie nur einen Moment mit ihr sprechen wollen, aber nichts, mein Lieber, sie hat es strikt abgelehnt.«

Manchmal treffen wir alle Entscheidungen, von denen wir genau wissen, dass sie unser Leben ändern werden. In die Tschechische Republik ziehen. Ein Kind bekommen. Einsiedler werden. Du weißt genau, dass diese Entscheidung deine Existenz auf den Kopf stellen wird, aber du triffst sie trotzdem, weil das Leben schließlich nicht nur Vorwärtsgang und Internet und leichtes Essen sein kann.

Natürlich gibt es auch eine andere Sorte Entscheidungen. Die trivialen. Diese trifft man, ohne auch nur darüber nachzudenken, weil man nicht davon ausgeht, dass sie großartig Einfluss auf unsere Zukunft haben könnten. Die Telefongesellschaft wechseln. Eine neue Kaffeemaschine kaufen. Fragen:

»Wäre es Ihnen recht, wenn ich selbst noch mal versuche, sie zu überzeugen?«

Es kommt vor, dass die unwichtigen Entscheidungen sich als die wichtigsten herausstellen.

»Aber sicher«, sagt Portabella. »Ich habe ihre Telefonnummer und die berufliche Adresse. Schicke ich Ihnen beides später per Mail.«

Und plötzlich brechen die Japaner in begeisterten Applaus über den Schinken aus.

Kapitel 4

Ich bin in meinem Leben ein einziges Mal Auto gefahren, und eigentlich bin ich nicht mal richtig gefahren. Ich habe lediglich das Lenkrad bewegt. Ich war achtzehn Jahre alt, und meine Eltern hatten entschieden, einen traditionellen Initiationsritus zu vollziehen: Sie wollten die Fahrstunden ihres Sprösslings finanzieren.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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