Disney – Dangerous Secrets 6: Das Dschungelbuch: Die Stärke des Wolfs ist das Rudel - Walt Disney - E-Book

Disney – Dangerous Secrets 6: Das Dschungelbuch: Die Stärke des Wolfs ist das Rudel E-Book

Walt Disney

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Beschreibung

"DAS IST DAS GESETZ DES DSCHUNGELS, SO ALT UND SO WAHR WIE DER HIMMEL ..." Mogli lebt im Dschungel, so lange er denken kann. Aufgezogen von einem edlen Wolfsrudel und angeleitet von dem weisen Panther Baghira, genießt Mogli die reiche, lebendige Welt der Tiere. Und obwohl er manchmal nicht so recht hineinpasst, kann er sich nicht vorstellen, sie zu verlassen. Doch als ein rachsüchtiger Tiger schwört, den Menschenjungen aus dem Dschungel zu vertreiben, wird Moglis Welt auf den Kopf gestellt. Mit Hilfe seines neuen Freundes Balu, dem Bären, begibt sich Mogli auf eine Reise, um seine Wolfsfamilie und sich selbst zu beschützen - eine Reise, die alles für immer verändern könnte. Wird es dem Menschenkind gelingen, seinen Platz im Dschungel zu finden?

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Wie die Schlingpflanze den Baum umrankt,windet und fließt das Gesetz wie ein Strudel.Die Stärke des Rudels ist der Wolf,und die Stärke des Wolfs ist das Rudel.

Für Catie und Zack.Von allen Dschungelgeschichten wird eure immer mein Favorit sein.– J. P.

 

Für meine Eltern, die immer an mich geglaubt haben.– S. P.

Prolog

DER TIGER KONNTE den Jungen schon schmecken.

Er bahnte sich seinen Weg durch den Dschungel. Sein helles Fell erleuchtete das Gestrüpp mit schwarzem und orangefarbenem Flackern, während er durch die Nacht schlich.

Es gab kein echtes Feuer, keinen Funken der Roten Blume des Menschen – noch nicht –, aber die Wut in seinem Bauch hätte die Welt zerstören können. Nur eine Sache konnte seinen Hunger stillen.

Der Tiger lief weiter, die Bäume hinauf und über sie hinweg, mit großen Pranken, deren Krallen sich in die kalte Erde gruben. Er sprang vorbei an Lianen, die sich wie Schlangen um seine Fersen wanden, und dachte mit unheimlichem Vergnügen an seine Beute. Er wollte eine starke Beute, die kämpfte. Leichte Beute wäre eine Beleidigung. Leicht war nicht nach Tiger-Art.

Tiger haben nur wenige Geschichten. Manche sagen, Tiger haben keine Zeit für Geschichten. Sie bewegen sich zu schnell, ihre Pfoten sind zu schwer und ihr Maul schon zu voll. Da bleibt kein Platz, um Geschichten zu erzählen. Aber jeder Tiger hat eine Geschichte: die Geschichte der Jagd. Die Jagd, die ein ganzes Leben andauert. Die Beute, die die Geschichte des Jägers mit Angst und Blut schreibt.

Der Tiger erzählte jetzt seine Geschichte. Mit jedem Sprung und dem Strecken seiner breiten Schultern erzählte er seine Geschichte. Er lächelte. Weiße Zähne, die wie Splitter des Mondlichts leuchteten, blitzten auf. Shir Khan jagte den Menschenjungen.

Die Jagd

DAS MENSCHENKIND RANNTE. Es flog förmlich über den Rücken des Dschungels, schnappte nach Ästen und Felsen, warf sich vorwärts und bewegte sich so schnell, dass es fast zu fallen drohte und sich gerade noch mit seinem nächsten Griff halten konnte.

Mogli beschleunigte sein Tempo, atmete kaum noch. Sein Körper war wie der Fluss – er bewegte sich, bog sich, drehte sich, brach aber niemals, er strömte zwischen Bäumen und über die Erde hinweg, eilte von einem Moment zum nächsten. Er trieb sich selbst an, schneller und schneller. Die Blätter peitschten ihm ins Gesicht und auf die Arme.

Der Junge war etwa zwölf, sein Körper schlank und muskulös, braun wie die Rinde des Banyanbaums und haarlos wie ein Krokodil, abgesehen von einem Büschel widerspenstiger schwarzer Haare auf dem Kopf. Er hatte sein ganzes Leben im Dschungel gelebt, was sich darin zeigte, dass er sich wie ein einheimisches Tier durch die Bäume bewegte.

Er sprang mit gekrümmtem Körper und hüpfte auf einen hohen Ast. Hörte eine plötzliche Bewegung hinter sich. Instinktiv machte er einen Satz von der Kante eines großen dicken Asts vom Baldachin in den Dschungel hinab.

Mogli landete inmitten eines Rudels junger Wölfe und bewegte sich wie diese auf allen vieren. Sie schnappten nach ihm, als sie zusammen vorwärtsstürmten, dann formierten sie sich um Mogli herum, rannten im Rudel weiter, atmeten synchron. Jeder Schritt war Teil eines Rhythmus auf der Erde – die Musik der Jagd, das Lied des Dschungels.

Einen Augenblick lang waren sie wie ein einziges Tier. Von hinten kam der Schatten ihres Verfolgers näher, und die Wölfe stürmten vorwärts, drängten sich vor das Menschenkind. Die Katze hinter ihnen zögerte nie, wurde nie langsamer. Ihr großer muskulöser Körper war für die Jagd gebaut.

Mogli wurde entschlossener, setzte mehr Kraft und Energie in jede Bewegung, jeden Ausfallschritt, aber die Wölfe ließen ihn nach und nach hinter sich. Sie waren schneller und ihre kürzeren Beine kräftiger als Moglis.

Das Wesen, das ihn verfolgte, schloss die Lücke. Mogli konnte nicht zurückblicken. Er wusste, seine einzige Hoffnung war, anders zu denken. Er konnte einer so großen Katze niemals entkommen, aber vielleicht konnte er sie überlisten. Oder, besser noch, sie beim Klettern austricksen.

Mogli streckte sich und griff nach Lianen, als er an einem dickbäuchigen Baum vorbeirannte. Sein Schwung brachte ihn hoch genug, um auf die obersten Äste des Baums zu klettern. Mogli zögerte nicht einen Moment. Er bewegte sich auf dem Baum entlang, als wäre er dazu geboren, und entging mit einem einfachen Dreh auf Zehenspitzen oder einem Ducken seines Kopfs nur knapp einer Katastrophe.

Gleich darauf flog er wieder, mit den Füßen voran, und gehörte weder der Erde noch dem Himmel, bevor er auf dem nächsten ausgestreckten Ast landete, der mit einem schrecklichen Knack! aufschrie. Der Ast unter ihm riss vom Baum ab und fiel hinunter. Und Mogli mit ihm.

Die Erde versetzte Mogli einen Schlag, und der Aufprall seiner Landung hallte durch seine Glieder. Er hörte, wie das Raubtier durchs Laub brach. Er versuchte zu rennen, aber es war zu spät. Die Katze stürzte sich auf ihn, war im Nu über dem Menschenkind und drückte es auf den kalten dunklen Boden. Ihr Gesicht war so nah, dass Mogli ihren Atem riechen konnte.

„Du bist der allerschlimmste Wolf, den ich jemals gesehen habe.“

Mogli stieß den Panther von sich und war irritiert, dass Baghira ihn wieder einmal erwischt hatte.

„Ja, aber wenn der Ast nicht gebrochen wäre, hätte ich es geschafft“, protestierte er.

Baghira krallte sich in den Stamm des Baums und streckte sich. Dann setzte er sich auf seine Hinterbeine und klopfte sich das Fell an den Stellen aus, die bei der Übung zerzaust worden waren. Die große Katze bestand nur aus Muskeln und Reflexen, war schwarz wie die Nacht und flink wie jede Kreatur des Dschungels. Wen sie nach Einbruch der Dunkelheit verfolgte, der sah nur ihre leuchtend gelben Augen – wenn er überhaupt etwas von ihr sah.

„Wölfe verstecken sich nicht in Bäumen“, erklärte Baghira. „Wenn du mit den Wölfen leben willst, musst du auch auf ihre Art leben.“

Plötzlich heulte der Dschungel auf. Jaulen und Rufe kamen auf sie zu, als die jungen Wölfe zu Mogli und Baghira zurückkehrten. Mogli strahlte, als er sich zu seiner Familie gesellte, deren Mitglieder sich liebkosten und einander mit geöffneten Mäulern spielerisch anknurrten.

„Wie haben wir uns geschlagen, Baghira?“, wollte einer der Jüngsten wissen.

„Nun …“, begann Baghira, aber die Jungen hatten bereits das Interesse verloren.

„Lasst uns gehen!“, bellte ein anderer. Dann rannten plötzlich alle los, und Mogli folgte ihnen so schnell, wie er konnte. Er konnte mithalten, aber für wie lange?

Der große Panther seufzte und sah zu, wie das Menschenkind im Dschungel verschwand.

Was für ein Märchen, dachte Baghira. Die seltsame Geschichte eines Menschenkinds namens Mogli. Diese Sorgen begleiteten Baghira, als er seinem Schützling hinterherlief und laut mit dem Wald um sich herum sprach: „Wenn das Rudel der Wölfe das Menschenkind nur so sehr bräuchte, wie es sie braucht.“

Auf dem Heimweg

BAGHIRA verfolgte die Wölfe.

Er hielt ein gemächliches Tempo ein und blieb dabei immer aufmerksam. Katzen können mit sehr wenig Aufwand wachsam sein. Es liegt ihnen im Blut und in den Augen und in den zuckenden Schnurrhaaren. Baghiras Ohren streckten sich nach hinten, schwenkten dann wieder nach vorn und lauschten.

Etwa drei Banyanbaumlängen entfernt raschelte es im Gebüsch, aber an dem Kichern, das die Bewegung begleitete, wusste er, dass es nur Bisamratten waren. Hinter ihm grasten Nashörner. Ihr typisches Schniefen, Schnaufen und Niesen erhob sich in der Mittagsluft. Zu seiner Linken hörte er Vögel Nester bauen, was ein weiteres positives Zeichen war. Vögel wussten noch vor den Großkatzen, wenn der Wind sich drehte und Gefahr lauerte. Daher beruhigten die Geräusche ihrer normalen Routine Baghira.

Einige Schritte vor ihm hüpfte Mogli voller jugendlicher Energie und Kraft durch den Dschungel nach Hause. Der Menschenjunge liebte den Dschungel, das hatte er immer schon getan. Baghira hatte gute Erinnerungen an Moglis frühe Kindheit, als der kühne junge Menschenjunge furchtlos herumgetobt war und der Panther das wilde Kind oft hatte festhalten müssen, um es vor sich selbst zu schützen. Heute war es für Baghira viel schwieriger, ihn in Schach zu halten. Sie werden so schnell groß, dachte der Panther.

„Wölfe verstecken sich nicht in Bäumen“, wiederholte Baghira und bemerkte, dass die Beine des Jungen immer größer wurden und seine Knie sich schneller bewegten. Sogar seine Schritte wurden größer. Eine innere Stimme erinnerte die Katze daran, dass der Menschenjunge eines Tages Schnelligkeit brauchen würde.

„Ich habe mich nicht versteckt“, sagte Mogli. „Ich bin ausgewichen.“

Baghira lachte. „Du bist auf einen Baum geklettert, um einem Panther zu entkommen.“

Er stieß gegen Mogli und warf ihn dabei fast um. Selbst auf allen vieren war der Panther fast so groß wie der Junge und wog ein Vielfaches von ihm.

„Es hätte fast geklappt, Baghira!“

„Es war ein toter Baum.“

„Woher hätte ich das wissen sollen?“ Mogli hob einen Samen auf und warf ihn weg.

Baghira blieb stehen. „Er hatte eine Feigenranke. Jeder Baum, um den sich eine Schlingpflanze windet, ist entweder tot oder kurz davor.“

Auch Mogli blieb stehen, stemmte die Hände in die Hüften und wandte sich dem Panther zu. „Du kannst einfach nichts Nettes sagen, nicht wahr, alte Katze?“, schnaufte er.

Baghira schüttelte den Kopf und ging an Mogli vorbei, dessen Geduld nun erschöpft war. „Wir haben diese Unterhaltung schon so oft geführt, dass ich das Gefühl habe, mit mir selbst zu reden, Menschenkind! Du musst begreifen, dass du niemals ihrem Rat beitreten kannst, solange du dich nicht bewiesen hast.“

„Ja, aber wenn der Ast nicht abgebrochen wäre, hätte ich mich ihnen anschließen können“, erwiderte Mogli und lächelte.

Baghira sprang auf Mogli zu und nahm den Kopf des Menschenkinds in sein Maul.

„Ich glaube, das macht es für uns beide leichter“, sagte der Panther, seine Worte waren gedämpft. „Es wird uns beide von unserem Elend befreien und wenigstens einer von uns wird einen vollen Magen haben. Das Gesetz des Dschungels und so weiter.“

„Hör auf damit!“ Mogli kicherte. „Du bringst meine Haare durcheinander.“

Baghira gab ihn frei, und Mogli trottete davon.

„Das kannst du nicht mehr machen“, rief Mogli ihm über die Schulter zu. „Ich bin kein Kleinkind mehr.“

Baghira sah ihm hinterher. Er wusste, dass er hart zu dem Menschenkind war, aber der Dschungel war auch hart, und er würde noch härter werden. Das Einzige, was sich nicht geändert hatte, seit Mogli in Ba­ghiras Obhut gekommen war, war sein Grundbedürfnis zu überleben. Und dafür brauchte Mogli einen Menschen. Ein Volk, das ihn beschützte.

Der Rat

MOGLI GLAUBTE NICHT, dass er jemanden brauchte.

Er konnte die Dinge selbst in die Hand nehmen. Nun, das stimmte nicht ganz. Trotzdem kam es Mogli so vor, als ob alle streng mit ihm waren und ihn nie das tun ließen, was er wollte. Alle sorgten sich immer nur um ihn – allen voran Baghira, Moglis Schatten.

Solange Mogli denken konnte, war Baghira immer da gewesen, hatte ihn beobachtet, gezügelt und geschubst wie eine Vogelmutter, die sich um ihr kleines Küken kümmert. Und er tat es immer noch.

Mogli kletterte über den Hügel und machte sich auf den Weg zur Wolfshöhle. Er war zu Hause! Er spürte die Wärme des Orts auf sich wirken, atmete die vertrauten Gerüche ein, nahm die Geräusche der Wölfe auf. Sein Zuhause war wie ein Mantel, in den er schlüpfen konnte, unsichtbar, aber immer da, um ihn zu trösten.

Mogli ging zu den Wölfen auf der unteren Ebene. Die Behausungen für die einzelnen Familien bestanden aus Höhlen und Felsspalten, die alle um eine große Fläche gruppiert waren, die wie ein Spielplatz für die jungen Wölfe aussah. Zu Moglis Linken erklommen die erwachsenen Wölfe den Hügel zum Ratsfelsen, einem großen steinernen Podest, das sich aus der Erde hervorhob und das Zentrum aller Wolfsgeschäfte bildete. Auf der Spitze des Felsens saß Akela, der Anführer des Wolfsrudels.

Akela führte mit Taten und nicht mit Worten. Er hatte für seine Position als Rudelführer gekämpft und würde Anführer bleiben, bis er nicht mehr kämpfen konnte. Er war für einen Wolf besonders groß. Sein dickes graues Fell war makellos, bis auf die weißen Büschel an den Enden seiner Pfoten.

Mogli kannte Akela als entfernte Vaterfigur mit strengen Augen und spitzen Zähnen. Der Menschenjunge wusste nicht, ob Akela deshalb ein guter Anführer war, aber die Wölfe hörten auf ihn, also hörte auch Mogli auf ihn – meistens. Akela war nie mit Moglis „Erfindungen“ einverstanden gewesen, den kleinen Dingen, die das Menschenkind aus Zweigen, Blättern und Lianen bastelte, um damit zu spielen und Wasser aus dem Fluss zu holen. Mogli wusste, er sollte nicht ungehorsam sein, aber er konnte sich einfach nicht zurückhalten. Er hielt seine Erfindungen für schlau, aber Akela machte ihm klar, dass sie das genaue Gegenteil und gefährlich waren – und sicher nicht die Art und Weise, wie der Wolf Dinge zu tun pflegte.

Der Junge beobachtete Akela und den Rat von der unteren Ebene aus und stand in der Nähe von Raschka, seiner Mutterwölfin und Ami, die ein Junges säugte. Allein ihre Nähe beruhigte Mogli.

Raschka war für Mogli ein Zuhause – mehr als der Felsen oder der Dschungel oder sogar die alte Katze.

Plötzlich war Mogli von wimmelnden Wolfsjungen umgeben. Sie stürzten sich auf ihn, waren überall mit ihren stumpfen Pfoten und rauen Zungen. Mogli konnte nicht anders, als zu lachen. Er hatte sich immer gewünscht, ein Wolf zu sein, so stark und so schnell wie seine Brüder. Aber obwohl er schon in einer Weise anders war als der Rest, gab ihm der Jüngste des Rudels nie dieses Gefühl. Er wusste nicht viel darüber, woher er gekommen war, bevor Raschka und Akela ihn mit in ihren Bau genommen hatten, aber er konnte sich ein Leben ohne sie dort im Dschungel nicht vorstellen. Sie waren sein Herz.

Der kleinste Wolf, ein Zwerg namens Gray, sprang hoch und schlug mit den Pfoten nach Moglis Haaren.

„Mogli, heb uns ganz hoch!“, bat er. Und Mogli konnte nicht widerstehen, den kleinen Welpen zu verwöhnen. Grays unbändige Energie und Begeisterung waren ansteckend, auch wenn er manchmal zu impulsiv handelte. Spielerisch kratzte der Menschenjunge den Welpen hinter seinen dunklen Ohren, dem einzigen Teil an ihm, der nicht die namensgebende graue Farbe trug.

Mogli schaute auf den Felsen und beobachtete, wie die älteren Wölfe sich ohne ihn versammelten. Er wusste, dass er dort nicht willkommen war. Noch nicht. Gray knabberte an seinen Fingern, um seine Aufmerksamkeit zurückzubekommen.

„Wie ist es gelaufen?“, fragte Raschka.

„Er hat mich wieder erwischt“, antwortete Mogli schnell und ließ den Kopf hängen.

Raschka ging auf Mogli zu, während die Wolfsjungen an ihren Fersen klebten. Sie stieß ihren Kopf sanft gegen seinen.

Er stieß sie sanft zurück.

„Wenn es so sein soll, dann wird es so sein“, sagte Raschka, und er fühlte sich ein wenig besser.

Hoch über ihnen stand Akela stolz da, ein Riese im Dschungel, umgeben vom Rat der Wölfe. Mogli wusste nicht, was Rat wirklich bedeutete. Er wusste nur, dass die älteren Wölfe viel redeten, Entscheidungen trafen und den anderen Wölfen sagten, was sie zu tun hatten und wohin sie gehen sollten. Sie sahen oft finster drein, und Falten überzogen ihre Gesichter. Vielleicht bedeutete Rat „niemals lächeln“.

„Lasst mich das Gesetz hören“, forderte Akela.

Die Wölfe sprachen gemeinsam und wiederholten das Gesetz:

„Dies ist das Gesetz des Dschungels,so alt und so wahr wie das Himmelsgebot.Dem Wolf, der ihm folgt, schenkt es Leben,dem Wolf, der es bricht, bringt es den Tod.“

Mogli saß da, fummelte am kargen Gestrüpp zu seinen Füßen und murmelte das Gesetz vor sich hin.

„Wie die Schlingpflanze den Baum umrankt,windet und fließt das Gesetz wie ein Strudel.Die Stärke des Rudels ist der Wolf,und die Stärke des Wolfs ist das Rudel.“

Einige Teile des Gesetzes verstand Mogli nicht und dachte, er würde es vielleicht nie tun. Aber wenn er es aussprach, fühlte er sich dem Rudel näher, dem er sich so verzweifelt anschließen wollte.

Nach der Rezitation des Gesetzes reckte jeder Wolf im Seoni-Tal seine Schnauze gen Himmel und heulte lange und laut. Auch Mogli versuchte zu heulen, aber es kam nur schwach und angestrengt aus ihm heraus. Wie immer war es mehr ein Quietschen als ein Brüllen.

Neben ihm seufzte Raschka mit ihrem ganzen Körper, drehte sich um und trieb die Jungen zurück in die Höhle.

Mogli sah Raschka an und dachte zurück an seinen Spaziergang mit Baghira.

Um mich herum seufzen immer alle, dachte er. Warum entlocke ich allen so einen tiefen Atemzug? Raschka und der Panther taten ihr Bestes, um ihn aufzuziehen, aber manchmal konnte er in ihren Augen sehen, wie anders er war.

Mogli krümmte seine Zehen, legte sich auf den Rücken und schaute hinauf zu den großen Ästen der Bäume über ihm und zum Himmel dahinter.

Er träumte mit offenen Augen und dachte an den Tag, an dem er ein Teil des Rudels sein könnte oder – noch besser – sein eigenes Rudel sein würde. Keiner würde ihn mehr Menschenkind nennen oder ihm sagen, was er zu tun hatte. Er würde sein eigener Herr sein, und der Dschungel würde zu ihm aufschauen. Vielleicht würden sie ihn so fürchten, wie sie Akela fürchteten.

Mogli schüttelte diese Idee aus seinem Kopf. Das wollte er nicht.

Er drehte sich um und spielte mit den Ameisen, die vorbeizogen, und fühlte sich groß in ihrer kleinen Welt. Gewärmt von der Sonne auf seinem Rücken und beruhigt von von dem Kribbeln und Krabbeln der Ameisen auf seinen Fingern, schlief Mogli in den Armen des Dschungels ein.

Die Trockenzeit

DER REGEN HATTE aufgehört.

Überall veränderte sich der Dschungel, Farbe und Temperatur wechselten die Stimmungen wie ein heißblütiges Nashorn. Jede Kreatur im Dschungel spürte, dass das Wasser sie zurückließ, sich in den Himmel erhob und in die Erde grub.

Das übliche bunte Fell und die leuchtende Kutte des Dschungels verfärbten sich erst gelb, dann braun und schließlich schwarz. Entlang des mächtigen Flusses versiegte das Wasser zu einem Rinnsal, und die Blüten ringsherum schlossen sich und verwelkten. Die vielblättrigen Augen des Dschungels schlossen sich für einen jahreszeitlichen Schlaf, die meisten von ihnen würden nie wieder erwachen.

Dampf stieg aus dem Fluss auf, das Wasser zog sich zurück, der Atem des Dschungels wurde schal. Der Gesang der Aaskäfer wurde lauter, als die Musik in den Kehlen der Vögel erstarb, die keine Stimme mehr zum Singen hatten. Münder trockneten aus, und die Tiere, die das Bassin besuchten, fanden es zu einem dünnen, seichten Teich geschrumpft.

In der Mitte des Beckens stand etwas, das die meisten in ihrem Leben noch nie gesehen hatten: der Friedensfelsen – ein langer, schlanker Grat aus blauem Stein, den das zurückweichende Wasser enthüllt hatte. Für die Tiere war er ein Zeichen.

Am Ufer des Beckens bekam das Stachelschwein Ikki den Friedensfelsen als Erster zu sehen, obwohl es zu beschäftigt war, um ihn sofort zu bemerken.

Die schwarz-weiß gestreiften Stacheln auf seinem Rücken glitzerten im Licht, während es sich akribisch um die Sammlung von Kleinkram kümmerte, die die Trockenzeit freigelegt hatte, als sich das Wasser zurückgezogen hatte.

Mit Sorgfalt sortierte Ikki jedes Objekt, das er fand, an den Platz, der ihm angemessen dafür erschien.

„Mein Kieselstein. Mein Blatt“, sagte Ikki, und seine rosa Nase zuckte heftig. „Niemand darf es anfassen, niemand darf es berühren. Mein Stein. Zwei Felsen. Drei Steine …“

Ikki folgte der Spur von Steinen und zählte jeden einzelnen, bis ihn etwas auf seinem Pfad stoppte. Er brüllte auf.

„Der Friedensstein! Es ist der Friedensstein!“

Auf der anderen Seite des Beckens versammelten sich die Aasfresser und sahen herüber. Ihre Bäuche waren leer, aber ihre Münder voller Meinungen.

Ein Riesenhörnchen zupfte untätig an seinem leuchtend roten Bauchfell und kaute an den Innenseiten seiner Wangen. Es zeigte auf den Friedensfelsen.Ein Schuppentier, ein Pygmäenschwein und ein Nashornvogel folgten seinem Blick zu dem Stein, der aus dem abfließenden Fluss herausragte.

„Wir werden alle sterben“, prophezeite das Riesenhörnchen.

Das Schuppentier leckte sich mit seiner langen, trockenen Zunge über den gepanzerten Rücken, kratzte sich dann am dünnen Kinn und blinzelte mit seinen winzigen Augen. „Es ist nur ein Stein“, erklärte es. „Man sieht Steine den ganzen Tag, jeden Tag. Du stehst gerade auf einem. Ich lebe unter einem. Ich sehe aus wie einer. Es ist nur ein Felsen.”