Disney: The Queen's Council 1: Rose und Rebell (Die Schöne und das Biest) - Walt Disney - E-Book

Disney: The Queen's Council 1: Rose und Rebell (Die Schöne und das Biest) E-Book

Walt Disney

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Beschreibung

Belle und "Der Rat der Königinnen" - Band 1 der neuen Reihe "The Queen's Council" In der neuen Reihe "The Queen's Council" berät der "Rat der Königinnen" die Disney-Prinzessinnen in ihren unterschiedlichen historischen Epochen. Belle ist hin- und hergerissen zwischen zwei Welten, zu denen sie nicht wirklich gehört ... Glücklich bis ans Ende ihrer Tage ist nur der Anfang, denn Belle übernimmt die Verantwortung, Königin zu werden, und lernt, Pflicht, Liebe und Aufopferung in Einklang zu bringen, während sie sich durch dunkle politische Intrigen - und einen Hauch von Magie - bewegt. Wir schreiben das Jahr 1789, und Frankreich steht am Rande einer Revolution. Belle hat den Fluch der Zauberin gebrochen, das Biest in seine menschliche Gestalt zurückverwandelt und das Leben in ihr Schloss im Fürstentum Aveyon zurückgebracht. Doch in Paris lodern die Feuer des Wandels, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Rebellion vor ihrer Haustür steht. Vor nicht allzu langer Zeit träumte Belle davon, ihr provinzielles Zuhause zu verlassen und ein Leben voller Abenteuer zu führen. Jetzt lebt sie in einem üppigen Palast, hin- und hergerissen zwischen ihrer Vergangenheit als Bürgerliche und ihrer Zukunft als Königin. Während Belle sich mit ihrer neuen Position auseinandersetzt, gibt es Menschen, die alles tun würden, um sie von der Macht fernzuhalten. Als sie auf einen magischen Spiegel stößt, der eine unheilvolle Warnung enthält, möchte Belle nichts lieber, als die geheimnisvolle Stimme zu ignorieren, die sie auffordert, eine Krone anzunehmen, die sie nie begehrt hat. Aber gewalttätige Fraktionen der Revolution könnten bereits in ihrem eigenen Schloss lauern, und nichts zu tun, würde alles gefährden, was ihr lieb und teuer ist. Da das Schicksal ihres Landes, ihrer Liebe und ihres Lebens auf dem Spiel steht, muss Belle entscheiden, ob sie bereit ist, sich ihrer eigenen Stärke zu stellen - und der Magie, die sie mit so vielen weiblichen Herrschern vor ihr verbindet -, um die Königin zu werden, die sie sein soll. Rebel Rose setzt die Geschichte von Disneys beliebtestem Klassiker "Die Schöne und das Biest" fort. Es ist der erste Teil der The-Queen's Council-Reihe, einer ermutigenden märchenhaften Neuinterpretation der Disney-Prinzessinnen - und der wahren Geschichte hinter ihren Geschichten, wie Sie sie noch nie zuvor gesehen haben.

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Für alle, die von Abenteuern in der großen weiten Welt träumen.

Vincit qui se vincit.Es siegt, wer sich selbst besiegt.

Orella war in die Haut einer alten Bettlerin gehüllt zum Schloss gekommen.

Sie hatte absichtlich eine jämmerliche Gestalt abgegeben – vermummt, in Lumpen gekleidet und durchnässt bis auf die Knochen von dem eisigen Regen, der wie spitze Nadeln vom tiefschwarzen Himmel fiel. Gesegnet mit der Gabe der Voraussicht hatte noch keine ihrer Visionen Orella so stark heimgesucht wie die, die sie gerade vor sich sah. Eine blutige Revolution rollte auf Frankreich zu, wie sie auch schon Amerika erfasst hatte und eines Tages das Russische Reich treffen würde. Der Tod war auf dem Vormarsch und würde sich etliche Tausend Menschen holen. Ihr blieb keine andere Wahl, als zu versuchen, das Volk von Aveyon vor diesem Schicksal zu bewahren.

Im Schloss tat der Prinz genau das, was sie vorhergesehen hatte. Er lehnte ihre Bitte um eine einfache Unterkunft im Austausch für eine blutrote Rose ab. Sie erkannte den Schmerz in ihm – den herben Verlust der Liebe seiner Mutter und die schmerzhafte Abwesenheit seines Vaters. Plötzlich Waise, war er ohne Halt zurückgelassen in einer Welt, die er kaum verstand, mit dem Gewicht eines ganzen Königreiches auf seinen unerfahrenen Schultern. Seine Grausamkeit war wie ein Schild, der um sein Herz gewachsen war und es in Stein verwandelt hatte. Manch einer mochte glauben, dass der Prinz aus dieser Lieblosigkeit herauswachsen würde, die in ihm wütete wie eine schwere Krankheit, aber Orella wusste es besser.

Ohne ihr Eingreifen würden Armeen von Menschen über verkohlten Boden marschieren und um die letzten Reste einer zerstörten Welt kämpfen. In Versailles hatte sie getan, was sie konnte, doch ohne Erfolg. Wenn sie in Aveyon ebenso scheiterte, würde das Königreich zum dunklen Mahnmal für den Rest Europas und darüber hinaus werden.

Sie wusste bereits, was geschehen würde, aber trotzdem brach ihr das Herz, als der Prinz sie ein zweites Mal abwies und so sein Schicksal besiegelte. Sie warf die Hülle ihrer Verkleidung ab und ließ ihre wahre Gestalt den Raum erfüllen. Orella war eine Flamme in der Dunkelheit, zugleich so alt wie die Erde selbst und so jung wie die ersten Knospen des Frühlings. Sie las die Furcht in seinen Augen und in dem Wort, das atemlos auf seinen Lippen lag. Zauberin.

Sie war keine Zauberin, aber es kam ihr gelegen, ihn in seinem Glauben zu belassen. In Wahrheit war sie mehr und weniger als eine Zauberin. Ihre Macht war weitaus größer, aber ihre Bestimmung enger gefasst. So wie jetzt vor einem Prinzen zu erscheinen, war etwas, von dem sie nie geglaubt hätte, es jemals tun zu müssen.

Der Prinz flehte um Vergebung, schwor, dass er sich ändern könnte, und erst in diesem Augenblick entdeckte sie einen Funken der Güte, die in ihm verborgen lag, eine Ahnung von dem König, zu dem er eines Tages werden könnte. Aber Versprechen, die aus Furcht geboren werden, haben nicht dasselbe Gewicht wie Versprechen, die aus Liebe erwachsen. Ein Schwung ihrer Finger verwandelte den Prinzen, fesselte ihn an eine monströse Gestalt, die ihn dazu zwingen würde, sich im Herzen zu ändern. Ein weiterer Schwung legte einen mächtigen Zauber auf das Schloss und all jene, die darin lebten, und tilgte sie aus den Erinnerungen der Menschen vor seinen Mauern. Dabei empfand Orella kein Vergnügen. Sie wollte ihm erklären, dass der Fluch einen Zweck verfolgte, wollte ihn vor der Feuersbrunst warnen, die sie auf Frankreich hatte zurollen sehen, und vor der Schreckensherrschaft, die darauf folgen würde. Aber sie hatte sich bereits zu sehr eingemischt.

Stattdessen überließ Orella ihm die einzigen Gaben, die ihr in den Sinn kamen: einen magischen Spiegel, um ihn an die Welt zu binden, die er zurückließ, und die Rose, die sie ihm angeboten hatte, nun verzaubert, um sicherzustellen, dass er keine Zeit verlor.

Als sie das Schloss verließ, hatte Orella plötzlich die flackernde Vision eines Mädchens in einem blauen Kleid mit weißer Musselinschürze, das eine Krone auf dem Kopf trug. In der einen Sekunde war der Körper des Mädchens verbrannt, in der nächsten unversehrt. Das Bild war zu undeutlich, als dass sie es hätte fassen können. Zu viel konnte sich noch verändern, bevor es Wirklichkeit wurde. Aber die Krone auf dem Kopf des Mädchens verriet Orella, dass sie zumindest das erreicht hatte, was sie mit ihrem Besuch im Schloss bezweckt hatte.

Sie hatte die beiden auf einen Pfad geschickt. Alles Weitere mussten Belle und der Prinz selbst schaffen.

Es war einmal vor langer Zeit, da verliebte sich ein verfluchter Prinz in ein eigensinniges Mädchen und gemeinsam retteten sie ein Königreich. Aber das lag in der Vergangenheit. Alles, woran Belle denken konnte, während ihre Kutsche über das unebene Pflaster des Pont Neuf rumpelte, war die Zukunft.

Paris war noch genau so, wie sie es in Erinnerung hatte – so voll, chaotisch und von dichtem Rauch verhangen, dass es ein Mädchen, das an weite Felder und offene Märkte gewohnt war, zu überwältigen drohte.

Sie lehnte sich aus dem Fenster, um nach Tagen der eintönigen Landschaft die Stadt in sich aufzusaugen. Lumière schlief weiter ungestört zusammengekauert in seiner Ecke – in derselben Haltung, in der er schon den Großteil der Reise verbracht hatte. Hinter ihr hatte sich die Hand ihres Ehemannes in ihre Röcke gekrallt, wie um sie an sich zu binden, aber sie konnte sich einfach nicht von dem Anblick losreißen. Die Stadt dort draußen sprühte vor Leben. Auf der Brücke tummelten sich allerlei Menschen: Buchhändler mit ihren Karren voller alter Wälzer und Manuskripte, Quacksalber auf erhöhten Podesten, die ihre Tinkturen in kleinen Glasfläschchen feilboten, Gaukler, die ihr Bestes gaben, um die jungen Grisetten nach einem langen Arbeitstag auf dem Weg nach Hause zu beeindrucken. Belle beobachtete mit einer Mischung aus Faszination und Ekel, wie ein Barbier einer armen Seele einen Zahn aus dem Kiefer zog und sich dabei mit einem Fuß am Geländer der Brücke abstützte, um genügend Kraft aufzubringen. Und unter all dem glitzerte die trübe Seine immer noch im Licht der Nachmittagssonne, während die Pariser ihre Ufer bevölkerten, um sich an dem kühlen Strom von der Sommerhitze zu erholen.

Belle weidete sich an diesem Anblick, jetzt nicht weniger als vor langer Zeit, als sie all das zum ersten Mal vom Wagen ihres Vaters aus gesehen hatte, eingeklemmt auf der Ladefläche zwischen seinen Erfindungen. Jahrelang war sie bei dem Versuch gescheitert, sich einzureden, dass die Stadt überhaupt nicht so großartig war – und das Leben in Aveyon im Vergleich gar nicht so schrecklich schläfrig. Sie hatte sich bemüht, sich nur an den Schmutz und den Gestank von Paris zu erinnern, und beides war auch tatsächlich nicht zu leugnen, aber dahinter pulsierte eine moderne und aufgeklärte Stadt voller Menschen und Geschäfte, voller Dichter und Philosophen, Wissenschaftler und Gelehrter. Es war eine Stadt, die das Wissen schätzte, ganz gleich wo es herkam, anders als ihr eigenes verschlafenes Dörfchen Plesance, wo Belle dafür verspottet wurde, anders zu sein. In ihren Gedanken wurde Paris zu dem Ort, an den sie am liebsten geflohen wäre, bevor sie Lio traf und ihr Leben sich für immer veränderte.

Sie sog die Stadt in sich auf, kaum imstande das Gewusel vor dem Kutschenfenster zu überblicken. „Weißt du, es heißt, dass die Polizei weiß, dass ein Mann Paris verlassen hat, wenn sie ihn drei Tage lang nicht den Pont Neuf überqueren gesehen hat.“

„Oh.“ Lio war still und gedankenverloren, er zog es vor, sich zurückzulehnen und Paris an sich vorbeiziehen zu lassen.

Sie warf ihm einen Blick zu. „Du hast nicht gelogen, als du meintest, dass es keine Anziehungskraft auf dich ausübt.“

Er schenkte ihr ein skeptisches Grinsen. „Was?“

„Paris.“ Belle lehnte sich zu ihm hinüber. „Ich fühle mich, als könnte ich aus der Haut fahren, aber du …“

Er blickte hinaus auf die überfüllte Brücke und seufzte. „Paris ist der Schauplatz vieler meiner weniger glücklichen Erinnerungen.“ Er sah, wie ihr Lächeln verblasste, und streckte seine Hand nach ihrer aus, fuhr mit dem Daumen sanft über ihre Handfläche. „Ich freue mich, dass du glücklich bist, Belle. Vielleicht können wir beide hier neue Erinnerungen schaffen.“

Niemals hätte Belle gedacht, dass sie einmal heiraten würde, aber nachdem sie den Fluch, der den Mann band, den sie liebte, gebrochen und ein ganzes Königreich befreit hatte, erschien ihr die Ehe kaum noch wie eine Herausforderung. Ihre Zeit in dem verzauberten Schloss hatte sie verändert. Als Lio ihr in der Bibliothek, die er ihr geschenkt hatte, den Antrag machte, umgeben von ihrem Vater und der Familie, die sie sich geschaffen hatte, war es ihr wie das Natürlichste auf der ganzen Welt vorgekommen, Ja zu sagen.

Inzwischen lag der Fluch weit hinter ihnen, und obwohl Belle es nicht bereute, sich für Lio entschieden zu haben, so hatte sie doch nicht gänzlich mit den Konsequenzen dieser Entscheidung gerechnet. Sie hätte sich ein Leben in einem Schloss nie vorstellen können – oder die Verpflichtungen, die es mit sich brachte, einen Prinzen zu heiraten. Sie mussten sich ein gemeinsames Leben aufbauen, und Paris sollte der erste Stopp auf ihrer großen Tour durch Europa sein, von der Belle immer schon geträumt hatte. Cogsworth hatte sich natürlich über die Zeitverschwendung und die Ungehörigkeit eines Prinzen beschwert, der den Kontinent bereiste, aber Belle beharrte eisern darauf, so viel von der Welt zu sehen, wie sie konnte, bevor sich die Wände von Lios Schloss endgültig um sie herum schlossen. Sie brauchte ein letztes kleines Abenteuer, an dem sie sich festhalten konnte. Lumière hatte beschlossen, sie am Beginn ihrer Reise zu begleiten, ganz versessen darauf, die Küchen von Paris’ berühmtesten Restaurants zu besichtigen. Cogsworth hatte ihm das Versprechen abgenommen, sich zu benehmen, aber alle waren sich der Tatsache bewusst, dass das Lumière ziemlich viel abverlangte, der dem Vergnügen und dem Unfug ebenso zugetan war wie seinen Pflichten als Maître d’hôtel.

Lio schüttelte seine melancholische Stimmung ab und fragte: „Ist es so wie in deinen Erinnerungen?“

„Paris hat sich nicht verändert“, erwiderte Belle mit einem Seufzen. „Ich bin es, die sich verändert hat.“

„Eine Prinzessin, meinst du?“

Sie schlug spielerisch nach seinem Arm, als ihre Kutsche auf die Rue Dauphin einbog. „Keine Prinzessin.“

Belles Weigerung, den Titel anzunehmen, der ihr nach ihrer Heirat mit Lio zugestanden hätte, war ein heikles Thema zwischen den beiden.

Gnädigerweise ließ er das Thema fallen. „Aber gewiss auch nicht mehr das Mädchen, das du damals warst.“

Damit er nicht bemerkte, dass ihr Lächeln erloschen war, richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf die tapezierten Wände ihrer Kutsche und zeichnete die eingeprägten Blumen mit der Spitze ihres Fingers nach. Wie konnte sie ihm erklären, dass sie immer dieses Mädchen bleiben würde, dass kein Titel oder teure Kleider sie verändern würden? Sie selbst sah sich als eine verarmte Bäuerin aus der Provinz, die sich eine Stellung weit über ihrem Stand angemaßt hatte. Manchmal fürchtete sie, dass ihr Leben aus Illusionen bestand. In Lios Augen war sie ein Mädchen, das eines Prinzen und eines Königreiches würdig war, und sie selbst redete sich ein ein Mädchen zu sein, das seinen rastlosen Geist im Zaum halten und in der Stille glücklich werden konnte. Sie fragte sich, welche dieser Illusionen wohl als Erste zu Bruch gehen würde.

„Sollen wir alles noch einmal durchgehen?“, wechselte Lio das Thema.

Bella verzog das Gesicht. Den Hof von Versailles zu besuchen, war etwas, das sich beide nicht gewünscht hatten, aber leider war es unumgänglich. Aveyon war ein Fürstentum, und seine Regenten residierten auf Wunsch des Königs von Frankreich seit Jahrhunderten am Französischen Hof. Es war ein Arrangement, das beiden Seiten von Nutzen war und das Lio nun wiederherstellen wollte. Aber er hatte zehn lange Jahre durch seine Abwesenheit bei Hofe geglänzt, gebunden durch einen Fluch, der ihn aus den Erinnerungen all jener, die er einst gekannt hatte, verbannt hatte. Weder Lio noch Belle wussten, welches Ansehen er bei König Louis genoss – er könnte ihm mit unbändigem Zorn begegnen oder aber ihn vollkommen vergessen haben. Das Problem zu ignorieren, war jedoch auch keine Lösung. Eines Tages würden sie sich dem König von Frankreich stellen müssen.

Belle sah, wie nervös ihr Mann war, und bemühte sich um einen leichten Tonfall. „Für den Anfang: Wir sprechen niemanden von höherem Rang an, es sei denn, wir wurden zuerst angesprochen. Dabei fällt mir ein, wo genau steht ein Prince étranger in Bezug auf seinen Rang?“

„Weit unter einem Prince légitimé oder einem Prince du sang, aber über den meisten Adeligen“, antwortete Lio.

„Und was ist mit der Frau eines Prince étranger?“

Er warf ihr einen Blick zu und hob eine Augenbraue. „Das hängt ganz davon ab, ob sie den Status einer Prinzessin angenommen hat, was ihr erheblich mehr Respekt einbringen würde, als den Titel abzulehnen.“

Sie weigerte sich, den Köder zu schlucken. „Also spreche ich am besten niemanden an.“ Lio verdrehte die Augen, aber Belle ließ nicht locker. „Bist du sicher, dass dein Cousin uns eine Einladung verschaffen kann?“ Der Hof von Versailles war ein wahres Ungetüm aus Protokoll und Etikette, und Belle war überzeugt, dass sie es nie vollkommen verstehen würde.

Lio winkte ab. „Er ist ein Duc, Belle.“

„Und du bist ein Prinz“, konterte sie tonlos.

„Er ist ein Duc, der sich seit vielen Jahren am Hof von Versailles beliebt gemacht hat. Er kennt sich dort aus. Wenn irgendjemand uns eine Audienz beim König verschaffen kann, dann er.“

Eine jüngere, naivere Version von Belle hätte angenommen, dass der Prinz von Aveyon keine Probleme haben würde, an den Hof eingeladen zu werden. Aber die ältere Version von Belle verstand, dass der Hof des Königs von Frankreich in unzählige Lagen aus Komplexität und Windungen verstrickt war, die nur dazu dienten, eben jene Adeligen in Schach zu halten, die den Hof ausmachten. Es bestand die Möglichkeit, dass sie selbst mit der Hilfe von Lios Cousin davon ausgeschlossen wurden. Die Regeln von Versailles waren von König Louis’ Großvater festgelegt worden und durften nicht gebrochen werden. Ihr Benehmen musste tadellos sein, wenn sie nicht für immer abgewiesen werden wollten.

Sie brachte ihre größte Sorge zur Sprache. „Sind wir auf die Fragen deines Cousins ausreichend vorbereitet?“

Nachdem Lio endlich seinen Fluch abgeschüttelt hatte, war sein Königreich in einer Welt aufgewacht, die seine Existenz vollkommen vergessen hatte. Lios Bedienstete hatten wieder ihre wahre Gestalt angenommen und waren zu ihren Familien zurückgekehrt, die außerhalb des Schlosses lebten und ihre Abwesenheit nicht einmal bemerkt hatten. Die meisten von ihnen kehrten in ihr altes Leben zurück, ohne allzu genau erklären zu müssen, wo sie all die Zeit gewesen waren. Es war, als hätte der Fluch Aveyon in einen Mantel des Vergessens gehüllt, und als der Bann gebrochen war, wurde ebendieser Mantel einfach gelüftet. Glücklicherweise schien die Welt außerhalb von Lios Schloss gewillt, sie ohne Fragen wieder in ihrer Mitte willkommen zu heißen.

Aber ungeachtet dessen, wie vergleichsweise einfach es gewesen war, eine Geschichte zu erfinden, die glaubhaft genug war, um ein ganzes Königreich zufriedenzustellen, befürchteten Belle und Lio, dass sein Cousin, der ihm einst so vertraut gewesen war wie ein Bruder, eine Ausnahme darstellen könnte.

Lio küsste ihren Handrücken mit einer Zuversicht, von der Belle nicht sicher war, ob er sie selbst verspürte. „Natürlich sind wir das, und sobald die Angelegenheit mit dem König geregelt ist, machen wir uns wieder auf den Weg.“

Belle betrachtete ihren Ehemann, studierte das Gesicht, das sie erst seit ein paar Monaten kannte. Sie legte ihren Kopf an seine Brust und lauschte dem Herzschlag, der ihr schon viel länger vertraut war. „Dann soll es unser erster Test sein.“

Wenn sie Bastien, den Duc de Vincennes, erfolgreich belügen konnten, bestand vielleicht die Hoffnung, dass ihnen das Gleiche auch beim König von Frankreich gelang.

Die Kutsche rollte in die reichste Enklave von Paris, und Belle stockte der Atem. Etwas Vergleichbares existierte in Aveyon nicht, wo die Herrenhäuser des Adels über das ganze Land verstreut lagen, kleine Inseln des Reichtums, abgeschieden und umgeben von bescheidenen Dörfern. Der französische Adel lebte größtenteils in Versailles. Der Versuch, abseits des königlichen Hofes zu leben oder ihn auch nur für kurze Zeit zu verlassen, bedeutete für den niederen Adel den Untergang. Allein die reichsten und mächtigsten Angehörigen des französischen Adels unterhielten Anwesen in der Stadt, wo sie nur gelegentlich verweilten. Eines war größer als das andere, wie kleine Schlösser quetschten sie sich in die verstopften Straßen von Paris.

„Ich dachte, die Anwesen in Saint-Germain würden mir kleiner vorkommen, jetzt, wo ich älter bin, aber seltsamerweise scheinen sie noch einschüchternder geworden zu sein“, stellte Belle fest.

Lio blickte hinaus auf die Reihe der Hôtels particuliers, die schemenhaft an ihnen vorbeizogen, und nickte. „So wie Bastien darüber spricht, könnte man meinen, er lebe in einer Hütte anstatt in einem Stadthaus.“

„War er schon immer so …“

„Verwöhnt? Arrogant?“ Lio rutschte unbehaglich auf seinem Platz herum. „Die Wahrheit ist, wir waren uns als Jungen sehr ähnlich. Gemeinsam aufzuwachsen hat uns zu Rivalen gemacht, und mein Onkel hat das nur noch bestärkt. Ich hoffe, wir haben das hinter uns gelassen.“ Ein Schatten fiel über sein Gesicht, als er sich an den grausamen Jungen erinnerte, der er früher gewesen war. Ganz gleich wie oft Belle ihn an den Wandel in seinem Herzen erinnerte, trug Lio die Jahre der lastenden Schuld weiter auf seinen Schultern wie Atlas das Himmelsgewölbe.

Belle versuchte, die Schatten der Vergangenheit zu durchbrechen. „Wie lange hast du im Haus deines Onkels gelebt?“

„Etwa fünf Jahre, seit ich sechs war.“

„Sechs ist ziemlich jung, um von seiner Familie getrennt zu werden.“ Belle konnte sich nicht vorstellen, jemals die Obhut ihres Vaters verlassen zu haben. Nach dem Tod ihrer Mutter hatten sie nur noch einander gehabt. Sie und Maurice hatten gezwungenermaßen gelernt, ohne sie weiterzuleben, und ihre Beziehung war dadurch stärker geworden.

Lio rückte seinen Kragen zurecht, ein aufwendig besticktes Teil. „Mein Vater bestand darauf, dass ich näher an Versailles großgezogen werde. Ich glaube, er war schon damals besorgt um die Beziehungen zwischen Aveyon und Frankreich. Er hat versucht, mich zu jemandem zu machen, der sich an König Louis’ Hof zu Hause fühlt, und nicht zu jemandem, der sich in Aveyon zu Hause fühlt. Und dann …“ Seine Stimme verlor sich, und Belle wusste, dass sie ihn nicht drängen durfte. „Und dann starb meine Mutter. Sie war fort, bevor ich überhaupt wusste, dass sie krank war. Ich kehrte zu ihrer Beerdigung nach Hause zurück, und als mein Vater danach versuchte, mich zurückzuschicken, weigerte ich mich. In Aveyon konnte ich zumindest durch die Korridore gehen, die wir gemeinsam durchschritten hatten, ich konnte auf ihre Gemächer gehen und meine Hand über ihre Kleider gleiten lassen. Ich legte den Namen ab, den mein Vater mir gegeben hatte, und weigerte mich, bei einem anderen Namen als Lio gerufen zu werden. Habe ich dir je erzählt, warum sie mich so genannt hat?“

Belle schüttelte den Kopf.

„Seit meiner Geburt nannte meine Mutter mich ihren petit lionceau, ihr kleines Löwenjunges.“ Der Ausdruck auf Lios Gesicht war halb Lächeln, halb schmerzhafte Grimasse. „Nur mein Vater hat mich bei meinem richtigen Namen genannt. Mit der Zeit wurde petit lionceau zu Lio verkürzt. Auf einen anderen Namen zu hören, fühlte sich so an, als würde ich ihr Andenken beschmutzen. Es scheint jetzt nicht mehr von Bedeutung, aber ich fühlte mich ihr nach ihrem Tod mehr verbunden als während meiner Zeit in Paris. Ich wusste, dass ich diese Verbindung verlieren würde, wenn ich zurück zu meinem Onkel ging. Mein Vater war furchtbar zornig, aber damals dachte ich, dass wir noch genügend Jahre miteinander haben würden, um unsere Beziehung in Ordnung zu bringen.“ Sein Blick wanderte wieder zu den Häusern, an denen sie vorbeifuhren. „Ich hätte nie gedacht, dass ich noch vor Ablauf eines Jahres zur Waise werden würde.“

Nicht zum ersten Mal musste Belle an die Zauberin denken, die Lio verflucht hatte. Sie spürte, wie der Zorn in ihr loderte. Er war noch ein Junge gewesen, allein gelassen in der Welt, verletzt und wütend, und die Zauberin hatte sich angemaßt, ihn dafür zu bestrafen. Aber da Belle und Lio sich angewöhnt hatten, um das Thema des Fluches herumzutänzeln, sagte sie nichts.

Stille breitete sich zwischen ihnen aus, bis sie vor dem größten Hôtel particulier zum Stehen kamen, das Belle bisher gesehen hatte. Man könnte meinen, sie hätten Paris hinter sich gelassen und wären auf einem üppigen Landsitz gelandet. Als sie das Tor passiert hatten, fanden sie sich in einem weitläufigen Innenhof wieder, gepflastert mit glatten, rosa Steinen. Kunstvoll gestutzte Hecken und kleine Bäume waren überall verstreut und vermischten sich mit den griechischen Statuen, die das Gelände säumten, und den mächtigen römischen Säulen, auf denen das Haus selbst thronte. Es war geradezu absurd protzig, selbst in dieser Straße voll prächtiger Häuser. Aber Belle konnte solche Extravaganz wohl kaum verurteilen, jetzt, da sie selbst in einem Schloss lebte.

Lio rüttelte Lumière sanft wach. Der Maître d’hôtel verschluckte sich an einem Schnarchen, das in ein Gähnen überging. „Sind wir schon da?“

„Das kommt davon, wenn man die ganze Reise verschläft, mein Freund.“

„Ah, aber Schlaf war meine einzige Zuflucht vor den ständigen Erklärungen unsterblicher Liebe.“ Lumière zwinkerte ihnen verschmitzt zu und hüpfte dann aus der Kutsche, um sich ihres Gepäcks anzunehmen. Dieser Aufgabe hatte er sich seit Beginn ihrer Reise angenommen, ungeachtet ihrer Einwände, dass sie wunderbar allein zurechtkämen.

Belle stieg die Stufen der Kutsche hinunter, trat in die drückende Hitze der Sonne und war überrascht, wie viel wärmer die Sommer in Paris waren. Die Wälder und Berge von Aveyon bescherten ihrem Königreich zu jeder Jahreszeit relativ milde Temperaturen. In diesem Teil Frankreichs dagegen konnten die Jahreszeiten stark voneinander abweichen. Das Königreich hatte gerade erst einen harten Winter erlebt, und die Dürre des Vorjahres hatte Frankreichs Bauern mit vernichteten Ernten und knurrenden Mägen zurückgelassen.

Zwischen den Säulen standen livrierte Männer Wache, die in ihren dicken Uniformen unter der brennenden Sonne schwitzten.

„Ist dieses Maß an Schutz wirklich notwendig für einen Duc, der so sehr in der Sicherheit von Saint-Germain eingebettet ist?“

Lio warf den Wachen einen Blick zu und seufzte. „Zweifellos benutzt Bastien sie dazu, seine Stellung zu demonstrieren.“

„Ich muss schon sagen, er klingt herzallerliebst“, entgegnete Belle trocken.

Lio musste grinsen. „Wenn du die Arroganz und das hochnäsige Gehabe ignorierst, ist er eigentlich ganz charmant.“ Er zog sie näher zu sich heran. „Vergiss nicht, ich war früher genauso verdorben wie mein lieber Cousin, und du hast es trotzdem geschafft, dich in mich zu verlieben.“

„Pass lieber auf, sonst versuche ich noch meine Chancen mit dem Duc.“

„Viel Glück damit“, murmelte Lio und deutete mit dem Kinn leicht auf den Eingang der Stadtvilla. Belle folgte seinem Blick. Aus dem Inneren trat ein Mann, der nur der Duc de Vincennes sein konnte. Er gab ein prächtiges Bild ab: Seine Perücke war kunstvoll gelockt und mit demselben matten weißen Puder bedeckt wie seine Haut, Aufschläge aus gerüschter Spitze lugten aus seinem samtenen, lachsfarbenen Mantel hervor, ein aufwendig bestickter Kragen reichte ihm bis ans Kinn, und seine grauen Knickerbocker gingen in cremefarbene Strümpfe über, die in Lederstiefeln mit hohem Absatz endeten. Er stolzierte die Treppe hinunter, um sie zu begrüßen, in der Hand einen Gehstock mit einem Griff aus geschnitztem Elfenbein, seine juwelenbesetzten Ringe glitzerten in der Sonne.

„Geliebter Cousin“, rief er Lio entgegen und zog sich den spitzen Hut vom Kopf. „Willkommen in meinem bescheidenen Heim. Es ist bereits eine ganze Weile her, dass wir mit der Anwesenheit eines Prinzen beehrt wurden.“ Sein Tonfall war gerade sarkastisch genug, um den Verdacht zu schüren, dass er Lios Titel für einen köstlichen Witz hielt. „Und das muss deine Braut sein. Ich muss sagen, ihr Name wird ihr kaum gerecht.“ Er ergriff Belles Hand und brachte sie an die Lippen.

Sie widerstand dem Bedürfnis, ihm ihre Hand rasch wieder zu entziehen. „Es ist eine Freude, dich kennenzulernen, Bastien.“

Für den Bruchteil einer Sekunde gefror das Lächeln auf seinen Lippen, bevor er sich wieder im Griff hatte und sich den Hut mit Schwung zurück auf den Kopf setzte. „Und dich, Belle.“

Die Abwesenheit des Titels, den er benutzt hätte, wenn sie ihn nicht auf diese Art angesprochen hätte, hing überdeutlich in der Luft. Der Duc mochte es für eine Beleidigung halten, so formlos mit ihr zu sprechen, aber sie zog diese Art vor.

Nun deutete er mit seinem Gehstock auf Lumière und ihren Kutscher und runzelte leicht die Stirn. „Wie merkwürdig, dass du ganz ohne Gefolgschaft angereist bist, Cousin. Wir hatten eine Entourage erwartet.“ Er zupfte leicht an seinem Kragen und blinzelte hinauf in die Sonne. „Wie dem auch sei … wollen wir aus der Hitze gehen und vielleicht ein Glas Champagner zu uns nehmen, um uns abzukühlen?“

„Dürfen wir dasselbe auch für unsere Gefährten erbitten?“, fragte Belle.

Bastien hielt inne, als verstünde er die Frage nicht. Er blickte zu Lio, der seinen Blick mit einem Lächeln erwiderte. „Wenn ihr darauf besteht“, erwiderte er schließlich.

Belle war überrascht, aber sie begriff, dass die Art, wie sie Dinge in Aveyon angingen, nicht unbedingt die Art war, wie sie in Paris gehandhabt wurden. Rasch sah sie zu Lumière, der kaum merklich den Kopf schüttelte, wie um ihr zu verstehen zu geben, dass sie es gut sein lassen sollte. Aber sie hatte nicht vor, von ihrer Überzeugung abzuweichen, dass jeder in ihrem Gefolge den ihm gebührenden Respekt verdiente.

Der Duc gab einem seiner Bediensteten ein Zeichen, Lumière mit ihrem Gepäck zu helfen. Der Maître d’hôtel wandte sich ihnen zu und sank in eine formvollendete tiefe, fließende und anmutige Verbeugung.

„Falls Ihr meine Dienste nicht länger benötigt, auf mich wartet eine ganze Stadt voller Gerichte, die es zu kosten gilt“, sagte er mit seiner vertrauten übertriebenen Geste und einem verschmitzten Zwinkern.

„Viel Spaß, Lumière“, wünschte ihm Belle.

Bastien beobachtete sie irritiert, als versuche er, die seltsame Dynamik zwischen ihnen zu verstehen, bevor er es schließlich aufgab. Er führte Lio und Belle in seine palastartige Stadtvilla, und Belle war augenblicklich überwältigt von ihrem Inneren. Sie hatte Geschichten über das sagenhafte Versailles gehört. Gemessen an dem, was sie hier sah, schien es, als würde Bastien sein Bestes geben, um Frankreichs Monument in Extravaganz in nichts nachzustehen. Die Wände waren mit Spiegeln und Gemälden und Wandbehängen aus reich besticktem Brokat bedeckt, und an jeder Türschwelle stand ein livrierter Diener, bereit, die Tür zu öffnen und in eine Verbeugung zu versinken. Jeder Raum war prächtiger als der vorherige, und während sie durch sein labyrinthartiges Heim schritten, erklärte Bastien, welche Tische seine Mutter bei Madame de Pompadour erstanden hatte, erläuterte den Unterschied zwischen Mobiliar in griechischem und Rocaille-Stil und hielt nur inne, um sie auf die Girlanden aus vergoldeten Lorbeerblättern hinzuweisen, die von etwas herunterhingen, das er als ein original Riesener-Kabinett bezeichnete.

„Er ist Marie Antoinettes bevorzugter Kunsttischler“, dozierte er und legte eine Kunstpause ein, damit sie angemessen zum Ausdruck bringen konnten, wie beeindruckt sie waren. Angesichts ihrer mangelnden Begeisterung schnalzte er missbilligend mit der Zunge. „Seine Stücke sind berühmt für ihre Rarität. Dieses hat mich ein hübsches Sümmchen mehr gekostet, als ich zuzugeben bereit bin“, fügte er als Erklärung hinzu.

Lio stieß einen leisen Pfiff aus, in dem Belle den Versuch erkannte, Bastien zu beschwichtigen. Sie unterdrückte ein Lachen, als sie den nächsten Flur entlangschritten.

Schon bald blieb Belle hinter den Männern zurück, während sie die Deckenmalereien, die verschlungenen Kristallleuchter und die zahllosen Marmorstatuen bewunderte. Sie hatte Lios Schloss in Aveyon immer für den Höhepunkt an Reichtum gehalten, selbst als es noch heruntergekommen gewesen war. Aber es übertrumpfte Bastiens Heim allein in seiner Größe; in allen anderen Aspekten gewann das Anwesen des Ducs den Vergleich.

Sie nahm ein paar falsche Abzweigungen, bevor sie Lio und Bastien wiederfand. Inzwischen waren sie in einer Art Salon gelandet, vielleicht auch einem Büro, obwohl der Duc ihr nicht wie jemand erschien, der seiner Arbeit passioniert nachging. Bastien stand bei einem Servierwagen, der vor Glaskaraffen geradezu überquoll, und goss Champagner in schlanke Flöten. Als Belle sich zu ihnen gesellte, bot er ihr eine davon an, und sie nahm sie entgegen, wie es die Höflichkeit gebot. Er wandte sich wieder von ihr ab, um Lio ein Glas einzuschenken.

„Weißt du, Cousin, jedes Mal wenn ich versucht habe, deinem entzückenden Fürstentum einen Besuch abzustatten, ist irgendetwas fürchterlich schiefgelaufen“, erzählte er, wandte sich ihnen wieder zu und reichte Lio seine Flöte. „Kutschen verloren Räder, ein Unglück jagte das nächste, eine Jungfrau in Nöten musste gerettet werden. Es war, als hätte das Schicksal sich gegen mich verschworen.“

Lio nahm den Champagner entgegen und legte sich eine Hand an die Brust. „Und was für ein Glück, Bastien, denn ich war schwer erkrankt.“

Belle bemühte sich um höchste Unauffälligkeit, während sie der Lüge lauschte, die sie sich ausgedacht hatten, nachdem sie begriffen hatten, dass Lio durch den Fluch für alle außerhalb des Schlosses schlichtweg seit zehn Jahren in Vergessenheit geraten war.

Kaum war der Bann gebrochen, da fluteten überall im Königreich und darüber hinaus die Erinnerungen zurück, Erinnerungen an den verwöhnten Waisenprinzen, die zehn Jahre lang tief im Inneren der Menschen geschwärt hatten. Das bedeutete, dass sie sich einer Vielzahl Fragen stellen mussten, aber es war ja nicht so, als ob sie irgendjemandem die Wahrheit erzählen konnten. Eine Krankheit schien ihnen so nah an den Tatsachen, wie es nur eben ging, ohne jeden davon in Kenntnis zu setzen, dass Aveyon über ein Jahrzehnt von einem zurückgezogenen Biest regiert worden war.

Bastien zog eine Augenbraue hoch. „Meine Briefe blieben unbeantwortet.“

Das ist unser erster Test, rief Belle sich in Erinnerung, um nicht in Panik zu geraten. Wenn alles gut lief, konnten sie den Rest ihres Plans in die Realität umsetzen.

„Bedeutsame Korrespondenz lag außerhalb meiner Möglichkeiten, Bastien. Ich war …“

„Krank, ich weiß.“ Der Duc leerte seinen Champagner. „Gott und dem König sei Dank für deine letztendliche Genesung, Lio. Ich möchte meinen, dass sich nicht viele von einer zehnjährigen Krankheit erholen.“ Er taxierte sie beide, womöglich auf der Suche nach einem Riss in ihrer Fassade. Belle schenkte ihm das lieblichste Lächeln, zu dem sie imstande war, und etwas schien sich in der Miene des Ducs zu verändern. Er hob sein leeres Glas. „Auf gute Ärzte.“

Die Anspannung wich aus Lios Schultern, aber Belle bezweifelte, dass Bastien es bemerkte. Er erwiderte Bastiens Geste mit seinem vollen Glas. „Und auf die Familie.“

„Alte wie neue“, fügte Bastien hinzu, erhob sich und ging zu dem Servierwagen. „Ich muss alles über eure stürmische Romanze erfahren, Cousin, aber das kann warten. Zuerst musst du mir berichten, welches Interesse du an Versailles hast. Schließlich hast du in den vergangenen zehn Jahren nicht den leisesten Hauch davon bekundet.“

„Ich möchte den König meiner Gefolgschaft versichern. Das bin ich ihm nach meiner langen Abwesenheit vom Hofe schuldig“, antwortete Lio.

Bastien warf ihnen über die Schulter einen Blick zu. „Versailles ist nicht mehr so, wie du es in Erinnerung hast, Cousin.“

Lio nickte. „Es überrascht mich nicht, das zu hören, da ich nicht mehr im Palast gewesen bin, seit ich ein Junge war.“

Bastien schenkte sich Champagner nach. „Aller Wahrscheinlichkeit nach ist König Louis dein bescheidenes Fürstentum vollkommen entfallen. So vieles ist seit deinem letzten Besuch geschehen. Bist du dir sicher, dass du den schlafenden Bären wecken möchtest, im übertragenen Sinne?“

„Ich erinnere mich an Louis als einen vernünftigen Mann, Bastien.“

Darauf machte Bastien theatralisch auf dem Absatz kehrt. „Die Staatskassen sind leer, Cousin. Frankreich ertrinkt in Schulden, nachdem es diese verdammte Amerikanische Revolution unterstützt hat. Sicher hast du bereits von den Unruhen des Dritten Standes gehört?“

Es war erst wenige Monate her, dass Lio, Belle und Aveyon aus dem Fluch erwacht waren, und Diplomatie hatte in ihrem Königreich für lange Zeit nicht an oberster Stelle auf der Tagesordnung gestanden. Sie hatten vereinzelte Gerüchte darüber gehört, worauf Bastien anspielte – dass der Dritte Stand, Frankreichs Bauernklasse, schwere Not litt –, aber diesem Gemunkel keine große Beachtung geschenkt. Belle kam sich schrecklich töricht vor, und Bastien stieß angesichts ihrer Unwissenheit einen schweren Seufzer aus, während er sich niederließ.

„Louis braucht dringend Geld, und er hat versucht, es auf die gleiche Weise zu beschaffen wie schon zuvor – durch Steuern. Aber dieses Mal wollte er, dass der Adel und der Klerus einen Anteil zahlen. Selbstverständlich haben sie sich geweigert.“ Er legte die Füße auf den Tisch vor sich und verschränkte die Arme vor der Brust. „In seiner Verzweiflung hat er zum ersten Mal seit fast zweihundert Jahren die Generalstände einberufen. Unnötig zu sagen, dass das nicht gut ging.“ Er wedelte mit der Hand. „Es wurde als der Versuch gesehen, Einfluss auf das Ergebnis nehmen zu wollen, und infolgedessen bezeichnet sich der Dritte Stand seitdem als die Nationalversammlung und behauptet, nicht die Stände Frankreichs zu vertreten, sondern das Volk. Sie verlangen die Ausarbeitung einer Verfassung.“ Er gluckste leise und verdrehte die Augen. „Wie schrecklich amerikanisch.“

„Wie schlimm ist es, Bastien?“, erkundigte sich Lio angespannt.

Bastien setzte das verschlagene Lächeln eines Mannes auf, der reich genug ist, um überzeugt zu sein, dass nichts und niemand ihm etwas anhaben kann. „Nun, es ist sicherlich nicht gut, Cousin. Wir stecken mitten in einer finanziellen Krise. König Louis hat gerade erst Jacques Necker entlassen, seinen getreuen Finanzminister, sodass jetzt alle erzürnt sind: reich, arm, adelig, bürgerlich. Es war nicht gerade der geschickteste Spielzug, wenn du mich fragst.“

„Vielleicht sollten wir unseren Besuch in Versailles verschieben“, schlug Belle vor.

„Oh, dafür ist es zu spät, denn zweifellos hat sich die Nachricht von eurer Ankunft in Paris bereits wie die Pocken am Hof verbreitet. Ein Prince étranger, zurückgekehrt von den Toten!“ Bastien zog sich einen Smaragdring mit einem Juwel von der Größe eines Wachteleis vom Finger und ließ ihn auf dem Tisch kreiseln. „Du wirst das Gesprächsthema in Versailles sein. Es würde mich überraschen, wenn nicht bereits ein Bote mit einer Einladung von Louis auf dem Weg hierher ist. Er wird dich persönlich in Augenschein nehmen wollen.“

Lio warf Belle einen raschen Blick zu, die sich allergrößte Mühe gab, nicht unter Bastiens Worten zusammenzusinken. Der Duc schien ihr Unbehagen zu spüren. „Ich kann dich begleiten, Cousin. Louis hat eine Schwäche für mich, von der Königin ganz zu schweigen.“ Diese anzügliche Andeutung begleitete er mit einem Zwinkern. Belle unterdrückte das Bedürfnis, sich zu übergeben. „Ich kann dir helfen, den Schlag deiner verlängerten Abwesenheit ein wenig abzufedern. Aber wenn ich diese Mühen auf mich nehme, musst du versprechen zumindest zu versuchen, dich bei Hofe anzupassen. Für den Anfang wirst du eine neue Ausstattung benötigen, wenn du auch nur durch die Tore des Palastes gelangen möchtest, und eine ordentliche Menge Puder für deine Haare, wenn du die Höflinge nicht zutiefst beleidigen möchtest.“

Lios Haltung versteifte sich. „Vielleicht kann ich mir etwas von dir borgen, Bastien.“

Bastien taxierte ihn. „Vielleicht.“ Sein Blick wanderte zu Belle. „Gehe ich recht in der Annahme, dass du noch bis vor Kurzem eine gemeine Bürgerliche warst?“

Belle rutschte unangenehm berührt in ihrem Kleid umher, einer Robe à l’anglaise, die ihr so vornehm erschienen war, als Madame de Garderobe sie ihr präsentiert hatte. Das Kleid war aus gestreifter blauer und cremefarbener Seide, die feinste Spitze lugte aus ihrem Mieder hervor und bedeckte ihr Dekolleté. Die Ärmel lagen eng an und reichten bis gerade über ihre Ellenbogen. Bastien senkte leicht den Kopf, um ihren Blick aufzufangen, und lächelte verständnisvoll. „Es ist nicht nur das Kleid, Belle. Du trägst deinen früheren Status wie ein Brandzeichen.“

„Wie kannst du es wagen …“, fuhr Lio ihn an.

In gespielter Unschuld hob Bastien die Hände in die Luft. „Das ist keine Beleidigung ihres Charakters, Cousin. Aber du würdest sie in Versailles den Wölfen zum Fraß vorwerfen.“ Er bedachte sie mit einem beinahe zärtlichen Blick. „Ich will dir nicht zu nahe treten, Belle, aber du gehörst nicht an König Louis’ Hof. Die Höflinge würden deine Schwäche wittern und sie ausnutzen, noch bevor du auch nur die Gelegenheit hattest, in einen Hofknicks zu versinken.“

Während Belle nickte, war Lio außer sich. „Belle kann tun und lassen, was ihr gefällt. Wenn jemand ein Problem damit hat, wird er sich vor mir verantworten müssen.“

Sie war sich sicher, dass sonst niemandem auffiel, wie sich im Zorn immer noch eine Art Knurren in seine Stimme schlich. Aber Belle hatte länger mit dem Biest zusammengelebt als mit Lio. Sie erkannte die Teile des Fluchs, die noch in seinem Wesen nachklangen, aber sie würde ihm nie davon erzählen.

„Und was ist mit dem König, Cousin? Oder hast du vergessen, dass es als Prince étranger deine Pflicht war, aus politischem Kalkül zu heiraten und nicht aus Liebe? Warst du nicht von Geburt an so gut wie mit einer unbedeutenden Habsburgerin verlobt?“ Bastiens Hand flatterte affektiert an seinen eigenen Kragen. „Ich denke, vielleicht wäre es das Beste, die Neuigkeiten über deine Vermählung wie eine erfreuliche Überraschung zu präsentieren, nachdem du wieder in der Gunst des Königs stehst, meinst du nicht?“

Lio öffnete den Mund, um sich ihretwegen weiter zu streiten, aber Belle legte ihm besänftigend eine Hand auf den Arm. „Bitte, Lio. Ich möchte überhaupt nicht mitkommen.“

Sein Ärger verpuffte auf der Stelle. Er wandte sich ihr zu und sah ihr in die Augen. „Bist du sicher?“

„Ja, mir hat schon den ganzen Weg über davor gegraust. Ich bin dankbar für jeden Grund, um nicht mitzumüssen. Außerdem würde ich meine Zeit viel lieber damit verbringen, Paris zu Fuß zu erkunden und all die Orte zu besuchen, zu denen mein Vater mich damals mitgenommen hat, und neue zu entdecken.“

„Bastien hat uns gerade erst berichtet, dass sich Paris in Aufruhr befindet“, wandte Lio ein.

„Oh, mon petit lionceau, du bist so provinziell.“ Bastien verdrehte die Augen. „Der Dritte Stand ist ein Nichts. Bloße Aufrührer, die nichts Besseres zu tun haben. Das Einzige, was sie erreicht haben, ist die gewaltsame Besetzung der Pariser Zollhäuser. Solange Belle nicht plant, eine Ladung steuerpflichtiger Waren in die Stadt zu bringen, bezweifle ich, dass sie ihre Anwesenheit überhaupt bemerken wird.“ Er stieß ein hartes Lachen aus. „König Louis hat alles unter Kontrolle. Die Stadt ist vollkommen sicher, das verspreche ich dir.“

Belle beobachtete, wie das Lächeln des Ducs verschwand, kaum dass Lio seinen Blick abgewandt hatte. Das war die Art von Sonderbarkeit, auf die ihre Gedanken sich augenblicklich gestürzt hätten, wenn sie nicht so erschöpft von ihrer Reise und wie versessen darauf gewesen wäre, die Orte in Paris wiederzusehen, an die sie sich von den Besuchen mit ihrem Vater erinnerte – ganz zu schweigen davon, neue Orte zu erkunden.

Und so vergrub sie den seltsamen Gesichtsausdruck des Duc tief in ihrem Inneren und schwor sich darauf zurückzukommen, wenn nicht gerade eine ganze Stadt voller Vergnügungen auf sie wartete.

Lio folgte Bastien auf seine Gemächer auf der Suche nach etwas zum Anziehen, das einer Audienz beim König angemessen war. Ein Diener geleitete Belle auf ihre Räumlichkeiten, wo sie endlich einen Moment allein mit sich genoss.

Das Schlafgemach war nicht weniger opulent als der Rest von Bastiens Heim. Belles Füße sanken tief in den plüschigen Teppich ein, der den Großteil des Bodens bedeckte und so aufwendig gewebt war wie der kostbarste Wandbehang. In Gedanken verloren schlenderte sie zu dem lebensgroßen Spiegel hinüber, der an der Wand hing, um ihr Kleid zu betrachten. Das Kleid, das Bastien beleidigt hatte. In ihren Augen war es das edelste Stück, das sie je gesehen hatte, noch schöner sogar als das Kleid, das sie getragen hatte, als sie Lio in jenen atemlosen Tagen noch dem Ende des Fluches geheiratet hatte. Sie hatte es heute Morgen in der Herberge angezogen, in der sie Rast gemacht hatten, und es sich extra für ihre Ankunft in Paris zurechtgelegt. Bei ihrem Anblick hatte Lio nicht verbergen können, wie glücklich es ihn machte, sie so kostbar gekleidet zu sehen. Für ihn bedeutete es einen weiteren Schritt in Richtung ihrer neuen Rolle. Für sie dagegen war es eine Rüstung, ein Hinweis an den Rest der Welt, dass sie sich anpassen konnte.

Jetzt erkannte sie, dass es sich dabei nur um eine weitere Illusion gehandelt hatte – und nicht einmal eine besonders geschickte, da Bastien sie sofort durchschaut hatte. Die Welt des französischen Hofes war nicht die ihre. Sie würde dort nie dazugehören.

Belle riss sich das Kleid beinahe vom Körper, wollte diese Verkleidung nicht länger sehen. Sie wühlte durch ihre Koffer, bis sie das einfachste Kleid fand, das sie eingepackt hatte, ganz am Boden begraben. Schon während sie es sich über den Kopf zog, genoss sie das vertraute Gefühl. Es war blau, wie das Kleid, das sie abgelegt hatte, aber aus einfachem Musselin und bedeckt mit einer dicken weißen Schürze, die sie sich um die Taille band. In Paris, das wusste Belle, war dieser Kleidungsstil sogar in Mode. Er nannte sich Chemise à la reine, so benannt nach Marie Antoinettes Vorliebe für das ländliche Leben. Nur hatte Belle in ihrem Kleid tatsächlich Hühner gefüttert und Wäsche gewaschen. Sie strich über den hartnäckigen Fleck, den sie nie herausbekommen hatte, nachdem Gaston ihr nach seinem unglücklichen Heiratsantrag die Röcke mit Schlamm bespritzt hatte.

Lios Stimme ließ sie zusammenzucken. „Sei mir nicht böse, aber ich glaube, so bist du mir lieber.“

Sie blickte auf und sah ihn in der Ecke des Spiegels hinter sich im Türrahmen stehen, bereits gekleidet für Versailles.

„Nur wenn du mir nicht böse bist, wenn ich sage, dass du lächerlich aussiehst.“

Eine gelockte weiße Perücke verdeckte sein wundervolles, kastanienbraunes Haar, seine warme Haut war mit einer Schicht dickem, weißem Puder überzogen, und seine Kleidung stand der von Bastien in Extravaganz und Qualität in nichts nach. Er war nicht mehr ihr Lio – dieser Lio gehörte nach Versailles.

Verlegen kam er auf sie zu und gesellte sich zu ihr vor den Spiegel. „Ich erkenne mich selbst nicht wieder.“

Trotz ihrer Bedenken konnte Belle nicht bestreiten, wie fürstlich er aussah, wie leicht es ihm fallen würde, von den Höflingen in Versailles akzeptiert zu werden, und wie sehr sie beide sich in Wahrheit voneinander unterschieden, Seite an Seite im Spiegel.

Lio schien ihr die innere Zerrissenheit vom Gesicht ablesen zu können. „Das ist nur vorübergehend, Belle.“ Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und deutete mit der anderen an sich herunter. „Sobald ich wieder in König Louis’ Gunst stehe, wird all das hier verschwinden, das schwöre ich dir.“

„Es passt so gut, mon cœur“, bemerkte sie.

Er zupfte an den Aufschlägen seines waldgrünen Gehrocks. „Wir sind anscheinend sehr ähnlich gebaut, Bastien und ich.“

„Nein, ich meine die ganze Aufmachung. Du siehst aus wie ein Prinz.“

Er bedachte sie mit einem eindringlichen Blick. „Ich war schon ein Prinz, bevor ich mir eine Perücke aufgesetzt und das Gesicht gepudert habe.“

„Ja, natürlich.“ Aber sie konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass Lio mit jedem Tag mehr zu der Person wurde, die zu sein ihm vorherbestimmt war, während sie sich immer weiter von ihrem wahren Selbst entfernte.

„Freust du dich darauf, Paris zu erkunden?“, wechselte er das Thema.

Sie versuchte, ihre Sorgen abzuschütteln. „Sehr.“

„Und du bist sicher, dass du nicht doch mit uns nach Versailles kommen möchtest? Mir ist es nämlich egal, was Bastien denkt. Wenn du mitkommen möchtest, dann …“

„Nein, das möchte ich nicht. Versprochen.“ Sie griff nach seiner Hand. „Es ist besser so.“

Jetzt musste Lio sich nicht für seine bürgerliche, provinzielle Frau schämen, und Belle musste nicht so tun, als überhörte sie die getuschelten Beleidigungen, die ihr auf Schritt und Tritt folgen würden. Sie würde sich in den Straßen, Plätzen und Gärten von Paris tausendmal wohler fühlen.

Bastien erschien in der Tür mit frisch gepudertem Gesicht und einem auffälligen Schönheitsfleck auf der Wange. „Die Kutsche ist bereit.“ Sein Ton war unheilschwanger, und Belle konnte nicht anders, als angesichts seiner ernsten Miene zu lachen.

Bastien warf ihr einen fragenden Blick zu, und sie holte tief Luft, um ihr Gelächter zu unterdrücken. „Ach, jetzt komm schon. Es ist Versailles, kein Gefängnis.“

„Der Hof des Königs ist seine ganz eigene Art von Gefängnis, Belle.“ Gemeinsam schritten sie die ausladende Treppe hinab. „Der französische Adel liegt in Ketten, Madame. Sie mögen vergoldet sein, aber Ketten sind es nichtsdestotrotz.“

Belle war ziemlich sicher, dass ein Großteil der französischen Arbeiterklasse sich mit Freuden von den goldenen Ketten des Adels hätte fesseln lassen, aber sie hielt ihre Zunge im Zaum, als sie durch die Haustür traten.

Bastien verschwand augenblicklich im Inneren der wartenden Kutsche, während Lio kurz innehielt, um Belles Hände in seine zu nehmen.

„Wir sollten nicht allzu lange fort sein. König Louis hat gewiss wichtigere Angelegenheiten, denen er seine Aufmerksamkeit widmen muss, als einen in Vergessenheit geratenen Prince étranger.“

Aus der Kutsche ertönte Bastiens kaltes Lachen. „Sei dir da lieber nicht so sicher, Cousin. Womöglich wirst du feststellen, dass Louis noch Pläne für dich hat.“

Lio verdrehte die Augen und zog Belle noch näher zu sich heran. „Zum Teufel mit dem König und seinen Plänen“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Wir haben unsere eigenen Pläne.“

Bastien streckte seinen Kopf aus dem Fenster der Kutsche. „Können wir dich irgendwo absetzen, Belle?“

Die Vorstellung, Zeit mit dem Duc in einem engen und verschlossenen Raum zu verbringen, war, gelinde gesagt, nicht gerade verlockend. „Nein, vielen Dank, Bastien. Ich bin gerne zu Fuß unterwegs.“

Er musterte sie von Kopf bis Fuß. „Ja, das kann ich mir vorstellen.“

Belle warf ihm einen bösen Blick nach, als er wieder in der Kutsche verschwand. Lio drückte ihre Hand, die er noch immer nicht losgelassen hatte.

„Im Ernst, Lio. Ich komme zurecht. Siehst du?“ Sie zog ein Buch aus der Tiefe einer Tasche in ihrem Kleid. „Wenn ich einen Garten und ein Plätzchen im Schatten finde, ist mein Tag gerettet.“

Lio küsste sie auf die Stirn. „Wünsch mir Glück mit Louis.“

Sie öffnete den Mund, um ihm zu sagen, dass er das nicht nötig hatte, zögerte dann aber. Die Wahrheit war, dass Lio eine gehörige Portion Glück brauchen würde, um Versailles heil zu überstehen.

„Viel Glück“, flüsterte sie und meinte es ernst.

Lio schenkte ihr ein Lächeln, aber sie erkannte die Sorge, die er dahinter zu verstecken versuchte. Er stieg in Bastiens Kutsche, und ein Diener schloss die Tür hinter ihm. Die Pferde trabten an, und schon bald schlängelte die Kutsche sich die Auffahrt entlang.

Belles Herz schlug heftig, während sie zusah, wie die Kutsche immer kleiner wurde. Den Fluch zu brechen, hatte sie in einer Art an Lio gebunden, die sie noch nicht ganz verstand. Als sie mit ansehen musste, wie das Biest gestorben war, besiegt von Gastons Dolch und seinem Hass auf etwas, das er nicht begreifen konnte, da war ein Teil von ihr mit ihm gestorben. Und als sie über seinem Körper geweint hatte, da hatte sie ihm die Wahrheit ins Ohr geflüstert, die sie bis zu diesem Augenblick vor sich selbst geleugnet hatte. Er war als Lio zu ihr zurückgekehrt, sein Körper unversehrt und sein Geist geheilt, und der Teil von ihr, den sie verloren hatte, wurde gleichermaßen wiederhergestellt. Sie fügten sich gegenseitig wieder zusammen, und fortan waren sie eins.

Bei dem Gedanken, dass er sich den Schwierigkeiten von Versailles nun allein stellen musste, wurde ihr übel. Nicht allein, dachte sie. Sein Cousin ist an seiner Seite.

Aber Belle wusste noch nicht so recht, was sie von dem Duc de Vincennes hielt. Sie konnte nicht sagen, ob er sich als Lios Verbündeter erweisen würde oder seine eigenen Ziele verfolgte. Wahrscheinlich wäre es am klügsten, davon auszugehen, dass jeder an Louis Hof Letzteres tat. Sie hatte mit Sicherheit nicht vor, sich mit irgendwelchen Adeligen anzufreunden, nur weil sie einen geheiratet hatte.

Die Kutsche verschwand aus ihrem Sichtfeld, und Belle versuchte, die Sorge zu verdrängen, die in ihr schwelte. Sie war in Paris, einer Stadt, die in ihrem Herzen weiterlebte, seit sie sie vor Jahren verlassen hatte, an dem Ort, von dem sie geträumt hatte, als sie die Zwänge ihres provinziellen Lebens am stärksten gespürt hatte.

Und es gab nichts, was sie im Augenblick für Lio tun konnte.

Kaum dass sie durch Bastiens Tor auf die Straße getreten war, spürte Belle, wie eine Last von ihren Schultern fiel. Es war, als hätte sie eine andere Welt betreten. Der Innenhof war so abgeschottet, dass der Lärm von Paris ihn nicht erreichte, was ihm ein trügerisches Gefühl der Ruhe inmitten der hektischen Stadt verlieh. Sie hoffte, dass Lumière seine freie Zeit genoss. Insgeheim hegte sie den Verdacht, dass er mehr als nur eine verflossene Liebschaft zu besuchen hatte.

Obwohl der Schmutz der Straßen ihre Stiefel und den Saum ihres Kleides ruinierte, fühlte Belle sich so sehr wie sie selbst wie schon seit Wochen nicht. In ihrer Heimat war sie zu etwas geworden, das größer war als Belle. Die Menschen von Aveyon sahen in Belle ihre Retterin, ob sie nun wussten, dass sie den Fluch gebrochen hatte, oder nicht. Manch einer dachte, sie hätte sie vor einem unaufmerksamen, zurückgezogenen Prinzen bewahrt. Nur wenige wussten, dass sie einen Fluch gebrochen hatte, der das Königreich seit einem Jahrzehnt fest im Griff gehalten hatte. Aber ein jeder wünschte sich, dass sie zu ihrer Prinzessin wurde und ihre neue Rolle bis ins kleinste Detail erfüllte.

Doch sie brachte es nicht übers Herz, genau das zu tun, zumindest noch nicht.

Diese Reise sollte eine Atempause werden. Hier war sie unbekannt, einfach jemand, der seinem täglichen Leben nachging. Ihr einfaches Kleid machte sie unsichtbar. Sie konnte Paris so genießen, wie sie es sich immer vorgestellt hatte, bevor sie in ihr neues Leben zurückkehren musste, das hoffentlich besser zu ihr passte, nachdem sie ein wenig Abstand von ihm bekommen hatte.

Sie bog auf die Rue de l’Université ein und erhaschte zwischen den Gebäuden hindurch einen Blick auf die Seine. Zielstrebig steuerte sie auf das Palais Royal zu, bewaffnet mit dem bruchstückhaften Wissen, das sie von Reisenden zusammengeklaubt hatte, die durch Aveyon gekommen waren und ihr berichtet hatten, dass Philippe, der Duc d’Orléans, seine Gärten vor einigen Jahren für das Volk geöffnet hatte. Belle hatte Gerüchte über den Austausch revolutionärer Ideen gehört, der dort stattfinden sollte, und über die Buchläden und Cafés in den überdachten Arkaden rund um die Gärten. Viele Nächte hatte sie damit verbracht, sich auszumalen, wie es wohl wäre, dort zu sein, Salons zu besuchen und an lebhaften Debatten mit einem aufgeschlosseneren Publikum teilzunehmen, als es in Aveyon zu finden war. Jeder ihrer Schritte trug sie gleichermaßen durch die Erinnerung wie durch einen Traum.

„Madame …“ Eine Frau stellte sich ihr in den Weg, eine Hand vor sich ausgestreckt. „Könnt Ihr einen Sou erübrigen? Meine Kinder leiden Hunger.“ Ihre Haut war von einer kränklichen Farbe, und die dunklen Ringe der Erschöpfung unter ihren Augen reichten tief.

Zwei Kinder versteckten sich hinter ihren Röcken, ihre kleinen Gestalten waren vom Hunger geschrumpft. Belle bestürmten Erinnerungen an ihre eigene Kindheit. Auch sie hatte das unerbittliche Knurren eines leeren Magens gekannt. Als ihre Mutter krank wurde, hatte Maurice jedes bisschen Geld, das er auftreiben konnte, für Ärzte und Stärkungsmittel ausgegeben – leider ohne Erfolg, denn die Krankheit hatte sie trotzdem dahingerafft. Belle und ihr Vater hatten eine Zeit der mageren Nächte durchlebt und sich manchmal nur einen Kanten Brot und etwas verwässerte Brühe geteilt. Doch beide spürten den Schmerz über den Verlust von Belles Mutter stärker als ihre Hungerkrämpfe. Der Frühling kam, und endlich gelang es Maurice, eine seiner Erfindungen zu einem nahen Jahrmarkt zu bringen und zu verkaufen, für die Hälfte ihres Wertes. Aber sie hatten ihre Mägen wieder füllen können.

Ohne zu zögern, griff Belle nach ihrem Geldbeutel und reichte der Frau eine Zwölf-Livre-Münze, genug, um sich und ihre Kinder in den kommenden Tagen zu ernähren.

Die Augen der Frau weiteten sich ungläubig, aber sie nahm die Münze rasch an sich. „Mon dieu, danke, Madame, danke.“

Belle wollte noch etwas sagen, aber die Frau und ihre Kinder waren bereits in der Menge verschwunden wie Rauchfahnen im Wind, und zum ersten Mal, seit sie Bastiens Anwesen verlassen hatte, stand Belle einfach nur still da. Um sie herum waberte weiterhin das Chaos von Paris, aber darunter, an seinen Rändern, sah sie ein Elend wie nie zuvor. Erschöpfte Mütter und kreischende Babys, ausgemergelte Männer, verwaiste Kinder, alles drängte sich in den Gassen und den Rissen der Stadt. Jeder von ihnen trug seine Not offen zur Schau – in den Rippen, die sich unter dünnen Hemden abzeichneten, in den schattigen Hautfalten, die sich zu eng an die Schlüsselbeine schmiegten, in den tief in die Schädel eingefallenen Wangen.

Ohne darüber nachzudenken, eilte Belle in die nächstgelegene Gasse und begann, Münzen aus ihrer Börse auszuteilen. Sie versuchte, sich mit jeder Person zu unterhalten, die sie traf, aber schon bald wurde sie von Kindern mit flehentlich ausgestreckten Händen umschwärmt. Sie war froh, eine Münze hineindrücken zu können, wünschte aber, sie könnte mehr tun. Geld war nur eine vorübergehende Lösung. Diese Menschen brauchten langfristige Hilfe: Arbeit, Obdach. Dinge, die sie ihnen nicht so einfach geben konnte. Schuldgefühle nagten an ihr. Sie war mit einem Prinzen verheiratet, und trotzdem lag es nicht in ihrer Macht, das Leid der Menschen zu beenden.

Ein Ruf hallte durch die Gasse, und die Kinder stoben davon. Belle drehte sich um und entdeckte eine Gruppe Soldaten, bewaffnet mit mannshohen Musketen. Ihre blauen Mäntel, roten Kragen und Manschetten mit aufgestickten weißen Borten wiesen sie als Gardes françaises aus.

Einer von ihnen näherte sich ihr. „Alles in Ordnung, Madame?“

„Warum denn nicht?“, schnaubte sie.

Er bedachte sie mit einem mitleidigen Blick. „Man kann bei diesen gierigen Bauern nicht vorsichtig genug sein.“

Erst da begriff sie, dass er sie nicht als eine von ihnen sah. Sie hatte ihr ganzes Leben als Bürgerliche verbracht, aber seit ihrer Heirat mit Lio hob irgendetwas sie von der Masse ab. Belle konnte nicht sagen, ob es der Glanz ihrer Haare oder die Fülle ihrer Wangen war, aber genau so, wie Bastien sofort erkannt hatte, dass sie keine Adelige war, sahen andere auf der Stelle, dass sie nicht zum gemeinen Volk gehörte. Sie war zwischen zwei Welten gestrandet, von denen sie zu keiner wahrhaftig gehörte.

Ein plötzliches Anschwellen lauter Stimmen lenkte die Aufmerksamkeit der Soldaten wieder auf die Straße hinter ihnen. Belle reckte den Hals, um zu sehen, was den Aufruhr ausgelöst hatte. Eine große Gruppe Männer marschierte durch die Straßen auf den Palais Royal zu, bewaffnet mit nichts als ihren Stimmen. Sie verstand nicht, was genau sie riefen, aber was ihnen an Verständlichkeit fehlte, machten sie mit Leidenschaft wett.

Neugierig folgte Belle den Soldaten aus der Gasse und fand sich inmitten der Menge wieder. Sie blickte von einer Gestalt zur nächsten, konnte aber keine Gemeinsamkeiten zwischen ihnen feststellen. Sie trugen nicht etwa alle eine bestimmte Art von Kleidung, die ihr Handwerk oder ihren Stand gekennzeichnet hätte. Soweit sie das beurteilen konnte, stammten sie aus jeder Schicht der Pariser Gesellschaft.

Das Menschenmeer überquerte den Pont Royal und ergoss sich mit einer überraschenden Geschwindigkeit in die Palastgärten auf der anderen Seite. Die Soldaten, die ihnen gefolgt waren, wurden an den Toren von rotberockten Gardes suisses gestoppt, die sie brüsk abwiesen. Belle schlüpfte an ihnen vorbei, genauso ein Teil der Menge wie alle anderen, und fand sich an einem Ort wieder, den sie jahrelang nur in ihrer Vorstellung besucht hatte.

Im Garten wimmelte es von Menschen. Große und kleine Gruppen hatten sich um Tische versammelt, brüllten übereinander hinweg, um sich Gehör zu verschaffen. Zu ihrer Linken stand ein Mann auf einer behelfsmäßigen Kanzel, umgeben von gespannten Zuhörern. Er trug den kurzen Mantel und die langen Hosen eines Arbeiters, aber er genoss die Aufmerksamkeit Hunderter Menschen, die sich um ihn versammelt hatten. Vielleicht gehört er zur Bourgeoisie, dachte Belle, und ist eines der wohlhabenderen Mitglieder des Dritten Standes. Sie kämpfte sich durch die Menge nach vorn und versuchte zu hören, was der Mann zu sagen hatte.

„König Louis verkriecht sich in Versailles und schert sich nicht um unsere hungernden Kinder, und dann besitzt er auch noch die Frechheit, noch mehr von uns zu verlangen. Er versammelt die Stände Frankreichs in seinem Palast und tut so, als bekäme der Dritte Stand eine gleichwertige Stimme, aber wir waren noch niemals gleich! Nicht einmal auf den fremden Schlachtfeldern, wo Frankreichs arme Söhne für Freiheiten kämpfen, bluten und sterben, die sie selbst nie erfahren werden.“ Er legte eine Pause ein und wartete, bis die Menge sich wieder beruhigt hatte. „Wir müssen vereint sein in unserer Opposition. Wir dürfen uns nicht entzweien, bis Frankreich eine Verfassung hat!“