Disney. Twisted Tales: Der verzaubernde Magier (Tiana aus »Küss den Frosch«) - Walt Disney - E-Book

Disney. Twisted Tales: Der verzaubernde Magier (Tiana aus »Küss den Frosch«) E-Book

Walt Disney

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Beschreibung

Das Leben in New Orleans ist manchmal hart. Niemand weiß das besser als Tiana, obwohl sie auch daran glaubt, dass harte Arbeit einen langen Weg bedeuten kann. Doch als der berüchtigte Dr. Facilier sie in die Enge treibt, hat sie keine andere Wahl, als ein Angebot anzunehmen, das ihr Leben im Handumdrehen verändern wird. Schon bald findet sich Tiana in einer neuen Realität wieder, in der all ihre tiefsten Wünsche in Erfüllung gehen: Sie bekommt endlich ihr Restaurant, ihre Freunde sind in Sicherheit, und das größte Wunder ist, dass ihr geliebter Vater noch lebt. Sie hat alles, was sie sich jemals gewünscht hat ... Aber nach einer Weile wird ihre Heimatstadt immer unheimlicher, und neue Bedrohungen tauchen an ungewöhnlichen Orten auf. Auf ihrem Weg durch dieses seltsame neue New Orleans muss Tiana mit Naveen und Charlotte zusammenarbeiten, um die Dinge in Ordnung zu bringen - oder sie riskiert, alles zu verlieren, was ihr lieb und teuer ist.

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Für Jasmine Gabrielle,die mir von allen Freundinnen Tianas die liebste ist.Du wirst immer die beste aller Prinzessinnen sein.F. R.

Prolog

Tiana

New Orleans, 1912

„Daddy, Daddy!“ Die Kleine rannte, so schnell ihre fünfjährigen Beinchen sie tragen konnten. Ihre dunkelbraunen Augen strahlten vor unbändiger Freude. Ihre Rattenschwänzchen wippten fröhlich, die darumgebundenen Schleifen flatterten im Wind.

James kniete sich hin, breitete die Arme aus und wartete darauf, dass sich sein kleiner Sonnenschein hineinstürzte. „Komm, Schätzchen! Hab ich dich.“ Er hob sie hoch und wirbelte sie herum. Der Saum ihres grünen Kleids, das seine Frau Eudora für ihre Tochter Tiana genäht hatte, flatterte, als sie sich im Kreis drehten.

„Wollen wir tanzen?“, fragte er, setzte sie sich auf seine Hüfte und zwickte sie zärtlich in die Wange.

„Ja, Daddy, lass uns tanzen!“

James und seine Tochter wiegten sich zu den Trommelschlägen der Band, die auf dem Congo Square spielte.

Die Familie war hier, um an dem alljährlichen Nachbarschaftspicknick teilzunehmen, mit dem der bevorstehende Mardi Gras, das spektakulärste Fest und der wichtigste Feiertag ihrer Heimatstadt New Orleans, gefeiert wurde.

Decken aus den unterschiedlichsten Stoffen in allen Farben zierten den Platz. Jede von ihnen gehörte einer der Familien, die gekommen waren, um diesem beliebten Brauch huldigen. Es duftete nach kreolischen Gerichten, und die Gespräche der Anwohner, die sich mit alten Freunden unterhielten, machten der Musik der Brassband Konkurrenz.

„Nein, Daddy, ich möchte mit dir tanzen, wie du mit Mama tanzt“, sagte Tiana.

James warf den Kopf zurück und lachte. „Wie tanze ich denn mit Mama?“

„So!“ Sie rutschte an seinem Bein hinunter, stellte ich mit ihren kleinen Füßen auf seine viel größeren Füße und ergriff seine Hände. „Nimm meine Hände“, befahl sie.

Er tat wie geheißen. „So?“, fragte er.

„Ja“, sagte sie und nickte so nachdrücklich, dass ihre Rattenschwänzchen wippten. „Und jetzt müssen wir uns so bewegen.“

Sie wiegte die Hüften, sodass ihr Kleid wie eine Glocke schwang, und strahlte ihn zahnlückig an. Ihre beiden oberen Schneidezähne waren vor ein paar Tagen herausgefallen.

James versuchte, Eudora auf sich aufmerksam zu machen, damit sie ihre Tochter sehen konnte. Doch seine Frau war zu sehr damit beschäftigt, das Festmahl auszupacken, das er heute Morgen gekocht hatte, und sich um die Freunde und Verwandten zu kümmern, die vorbeikamen, um ihnen zu dem neuen Haus im Ninth Ward zu gratulieren, das sie vor Kurzem gekauft hatten.

Es war nichts Großartiges, aber unendlich viel besser als die Einzimmerwohnung, in der sie in den vergangenen fünf Jahren gelebt hatten. Es gab einen Garten und eine Veranda, und James freute sich sehr darauf, beide ausgiebig zu nutzen. Es war ein solides Eigenheim, und er war stolz darauf, mit seiner Familie darin zu wohnen.

Als er seine kleine Tochter anschaute und sich vorstellte, wie Eudora und er zusehen würden, wie sie in dem Haus aufwuchs, ging ihm das Herz über vor Glück.

„Was geht denn hier vor?“, fragte Eudora, die neben ihnen aufgetaucht war.

„Ich tanze mit Daddy, wie er mit dir tanzt“, antwortete Tiana strahlend.

„Ach ja?“

„Ja! Bin ich jetzt erwachsen?“

„Keine Sorge! Es dauert noch ein Weilchen, bis du erwachsen bist“, antwortete James lachend. „Und ich mag dich genau so, wie du jetzt bist.“

Tiana ließ seine Hände los, sprang von seinen Füßen und schob ihre Mutter in seine Richtung. „Jetzt ihr!“, befahl sie. „Los, Mama und Daddy, tanzt!“

James hielt seiner Frau eine Hand entgegen. „Du hast unsere Tochter gehört“, sagte er.

Kopfschüttelnd nahm Eudora seine Hand. Dann zog sie Tiana an sich, um sich mit ihr und ihrem Mann zu dritt im Takt der Musik zu bewegen.

Freude erfüllte James’ Herz und strömte von dort in jeden Winkel seines Körpers. Er hatte nie um ein perfektes Leben gebeten, aber es schien, als wäre er mit einem gesegnet worden.

New Orleans, 1917

Tiana riss ein Streichholz an der Tischkante an, um die zur Hälfte abgebrannten Kerzen zu entzünden, die sie in der Schublade der Küchenanrichte gefunden hatte. Sie hatte die Enden der Kerzen in Stanniolpapier gewickelt, um das heruntertropfende Wacks aufzufangen, war aber nicht überzeugt vom Resultat. Es war der romantischen Atmosphäre, die sie schaffen wollte, nicht gerade förderlich.

„Dürfen wir jetzt reinkommen?“, hörte sie ihre Mutter aus dem Schlafzimmer rufen.

„Noch nicht“, antwortete Tiana. „Ich brauche noch eine Minute.“ Sie sauste zum Herd, um die Beignets zu wenden, die sie vor ein paar Minuten aufs Feuer gestellt hatte. Dann stieg sie auf den Schemel und holte einen Teller aus dem Schrank. In ein paar Jahren würde sie den Hocker nicht mehr brauchen, um an die oberen Fächer heranzukommen. Wie ihr Vater immer witzelte, schoss sie in die Höhe wie das Unkraut in seinem Gemüsegarten.

Tiana holte die Beignets aus dem Öl, bestäubte sie mit Puderzucker und stellte sie auf den Küchentisch. Sie füllte ein Einmachglas mit Wasser, stellte die Blumen hinein, die sie auf dem Weg von der Schule nach Hause gepflückt hatte, und platzierte es zwischen den beiden Kerzen. „Perfekt“, flüsterte sie und rief: „Okay, ihr könnt jetzt kommen.“ Sie konnte es kaum abwarten, die Gesichter ihrer Eltern zu sehen.

„Alles Gute zu eurem Hochzeitstag“, rief sie, als ihre Mama und ihr Daddy die Küche betraten.

„Schau dir das an! Hast du die Beignets gebacken, Schätzchen?“

„Na sicher“, antwortete Tiana stolz.

„Die sehen besser aus als alle, die ich je im French Quarter gegessen habe“, sagte ihr Vater. „Mit meinem Gumbo und Tianas Beignets könnten wir wirklich ein Restaurant aufmachen. Was meinst du, Eudora?“

„Ich meine, dass ich meine Beignets essen will, bevor sie kalt werden“, antwortete ihre Mutter.

So saßen sie alle am Tisch und aßen die quadratischen Krapfen restlos auf. Als sie fertig waren, lehnte ihr Vater sich zurück und rieb sich den flachen Bauch. „Das waren sehr leckere Beignets. Du hast wirklich Talent.“

„Danke, Daddy!“ Tiana strahlte so breit, dass ihre Wangen schmerzten.

James griff über den Tisch hinweg nach Eudoras Hand. „Wie wäre es mit einem Tanz zum Hochzeitstag?“

Sie standen von ihren Stühlen auf und gingen in die Mitte der Küche zwischen die Nähmaschine der Mutter und den Herd. Tianas Vater schloss ihre Mutter in die Arme, und Eudora lehnte ihren Kopf an seinen breiten Oberkörper, als sie begannen, sich hin und her zu bewegen.

„Wie wollt ihr denn ohne Musik tanzen?“, fragte Tiana, stützte den Ellenbogen auf den Tisch und ihr Kinn auf die Handfläche. „Wenn wir ein Grammophon hätten, würde ich Musik anmachen, zu der ihr tanzen könntet.“

„Wir brauchen kein teures Grammophon, um Musik zu hören“, erwiderte ihr Vater. „In dieser Familie machen wir unsere eigene Musik.“ Er summte eine Melodie, die ihre Mutter wie ein junges Mädchen erröten ließ. Tiana sah lächelnd zu, wie ihre Eltern mit geschlossenen Augen und leise singend weltvergessen durch die Küche tanzten.

New Orleans, 1921

„Tiana, bist du immer noch in der Küche?“

„Hmm … vielleicht“, rief Tiana über ihre Schulter. Sie pustete über den dampfenden Löffel mit Gumbo, den sie gerade aus dem Topf geschöpft hatte, und schlürfte daran. Sie verzog sie nachdenklich den Mund und versuchte, all die Geschmacksnoten einzuordnen, die sie wahrnahm. „Ich schmecke den Cayennepfeffer und die Mehlschwitze. Und das Aroma vom geräucherten Schweinenacken ist auch da. Aber da fehlt doch noch was …“, murmelte sie.

„Schätzchen!“

Tiana schreckte auf und drehte sich um.

Eudora kam mit einem Ballen Stoff in die Küche und legte ihn neben ihre Nähmaschine. Sie stemmte eine Hand in die Seite und sah ihre Tochter streng an. „Dieses Gumbo muss einfach nur noch ein Weilchen kochen“, sagte sie. „Geh und mach deine Hausaufgaben, damit du bis zum Abendessen fertig bist.“

„Das mache ich, Mama“, sagte Tiana. „Ich muss nur noch rausfinden, was hier fehlt. Ich hätte Daddy bitten sollen, seine Rezepte aufzuschreiben, bevor er in den Krieg gegangen ist. Sobald er wieder hier ist, muss er das sofort machen.“

„Ich glaube, dein Daddy wird erst mal genug anderes zu tun haben, wenn er endlich wieder hier ist“, antwortete ihre Mutter. „Außerdem schreibt er nie Rezepte auf. Er nimmt nur immer eine Prise hiervon und ein bisschen davon.“

Eudora kam zum Herd und wies auf den Löffel, den Tiana in der Hand hielt. „Lass mich mal probieren.“

Tiana nahm einen Löffel von der braunen Flüssigkeit und hielt ihn ihrer Mutter an die Lippen.

Eudora kostete und zeigte auf das Gewürzregal. „Gib ein bisschen von dem Filé-Pulver dazu“, sagte sie.

Tiana tat wie geheißen und rührte den Eintopf um. Dann kostete sie und strahlte ihre Mutter an.

„Dein Daddy ist nicht der einzige Mensch auf Erden, der kochen kann. Er kocht einfach nur lieber als ich.“ Eudora nahm Tiana den Löffel ab und stieß sie mit der Hüfte an. „Und nun geh und mach deine Hausaufgaben.“

Eine halbe Stunde später saßen Tiana und ihre Mutter an dem kleinen Küchentisch und aßen die Spezialität ihres Vaters. Obwohl Gumbo ein Sonntagsessen war, hatte Tiana entschieden, es an einem ganz normalen Dienstag zu kochen, um ihrem Daddy näher zu sein. Er war schon über fünf Monate weg, in einem Krieg an einem weit entfernten Ort, den Tiana nur aus den Schulbüchern kannte.

„Gut, dass ich so viel Gumbo gekocht habe“, sagte Tiana. „Ich könnte gut eine zweite Portion essen.“

„Wenn du eine zweite Portion isst, nehme ich auch noch eine“, sagte ihre Mutter lachend.

Gerade, als Tiana sich erhob, klopfte es an der Tür.

„Hol du das Gumbo, ich gehe zur Tür“, sagte Eudora.

Tiana ging mit ihren Schüsseln zum Herd und füllte beide mit einer zweiten Portion Gumbo. Mit einer Schüssel in jeder Hand wollte sie zum Tisch zurückkehren. Als sie sich zu ihrer Mutter umwandte, erstarrte sie.

Zwei Männer in Uniform standen mit ihren Baretts in der Hand und mit Grabesmiene vor der Tür. Eudora rang hörbar nach Luft, dann stieß sie einen markerschütternden Schrei aus und sackte zu Boden.

Die Schüsseln glitten Tiana aus den Händen und zerbrachen mit einem lauten Scheppern.

Kapitel 1

Tiana

Lafayette-Friedhof, New Orleans

1926

Mardi Gras

Ganz New Orleans war von den ausgelassenen Klängen des Mardi Gras erfüllt, während sich die farbenfrohen Festwagen auf den breiten Straßen der Stadt ihren Weg durch die tanzende Menge der Feiernden bahnten. Die Flammen von Fackeln erhellten den Nachthimmel.

In den düsteren, abgelegenen Winkeln des Lafayette-Friedhofs hingegen herrschte gespenstische Stille.

Tianas kleiner grüner Körper bebte, als sie einen schmalen, von bröckeligen Grabstätten gesäumten Weg entlangeilte. Mit jedem Zentimeter, den sie zurücklegte, hallte das Pochen ihres Herzens lauter in ihren Ohren wider. Sie hatte keine Ahnung, wo sie hinlief, sie wollte nur weg von den Schatten, die ihr auf den Fersen waren.

Dabei hielt sie das Amulett fest umklammert, das ihr Freund Ray ihr kurz zuvor in die Hand gedrückt hatte und das sie mit derselben Behutsamkeit behandelte wie das Verdienstkreuz, das ihr Vater von der Armee verliehen bekommen hatte.

Was würde er über all das denken? Wie würde sie ihm den Schlamassel erklären, in den sie geraten war, indem sie sich vom Abendstern ihr Restaurant gewünscht hatte und in eine ruchlose Sache verwickelt worden war. Sich in einen Prinzen verliebt hatte. Und Freundschaft mit einem Alligator und einem Glühwürmchen geschlossen hatte.

Und nun über den Friedhof rannte, als wäre der Leibhaftige hinter ihr her – auf der Flucht vor etwas, das sie selbst kaum verstand.

Ihr Gewissen riet ihr, dass sie umkehren sollte, um sich zu vergewissern, dass es ihrem Freund mit dem leuchtenden Hinterteil gut ging. Doch ihr Gefühl sagte ihr, dass das nicht möglich war. Noch nicht. Sie musste sich verstecken. Und sie musste verhindern, dass der Schattenmann das Amulett in die Finger bekam, solange sie nicht wusste, was es damit auf sich hatte.

Tiana sauste um eine Ecke und sprang auf eine bedrohlich aussehende steinerne Wand zu. Gerade als sie sie erreichte, erschien aus dem Nichts ein dämonischer Schatten.

Vor lauter Schreck konnte sie kaum noch denken und atmen.

Sie zitterte vor Angst, während das furchteinflößende Etwas über ihr schwebte und seine Spinnenfinger nach ihr ausstreckte.

Das war es dann wohl. Sie saß in der Falle.

Aber sie war niemand, der so schnell aufgab.

Sie hielt das Amulett so weit wie möglich weg, funkelte den Schatten an und warnte ihn: „Bleiben Sie weg! Oder ich zerbrech das Ding in tausend Stücke!“

„Tu das nicht!“

Tiana erstarrte. Sie kannte die Stimme.

Facilier.

Der Voodoo-Mann war bekannt dafür, durchs French Quarter zu streifen und dort aus der Hand zu lesen und Ahnungslosen das Geld mit Kartentricks aus der Tasche zu ziehen. In New Orleans nannten die Menschen ihn den Schattenmann, weil er sich mit Schwarzer Magie beschäftigte – und in andere dunkle Geschäfte verwickelt war.

„Wo sind Sie, Schattenmann?“

„Du hast etwas, das mir gehört“, antwortete Facilier, der aus der Finsternis auftauchte. „Und ich will es zurück.“

„Nein.“ Tiana drückte das Amulett fest an sich. „Ray hat mir gesagt, dass Sie es auf keinen Fall in die Finger kriegen dürfen. Das hat er bestimmt nicht ohne Grund getan.“ Sie straffte die Schultern und betete, dass ihre Stimme nicht zitterte. „Ich gebe Ihnen gar nichts.“

Facilier fletschte die Zähne, doch einen Moment später zog er ein gleichgültiges Gesicht, polierte seine Fingernägel an seinem Jackenaufschlag und musterte Tiana geringschätzig. „Letztlich bin ich ein Geschäftsmann. Ich weiß, wie’s geht.“ Er hob eine Braue. „Was würdest du zu einem Deal sagen?“

„Sie haben nichts, was ich haben wollte. Ich würde nicht …“

Unvermittelt wurde Tiana von einem Windstoß erfasst, der sie in eine pinkfarbene glitzernde Staubwolke hüllte. Dann jagte ihr ein sonderbares Gefühl wie ein Blitzschlag durch den Körper, das sie fast in die Knie gehen ließ. Sie blinzelte. „Was … was ist das?“

Sie reckte ihre Arme – Menschenarme – und bewegte ihre Finger. Sie war wieder ein Mensch!

Staunend sah sie an dem Traum aus weißer Seide hinab, in den ihr Körper gehüllt war. Das mit Strass und Perlen bestickte Kleid war so ganz anderes als alles, was sie je besessen hatte. Als sie wieder aufsah, stockte ihr der Atem. Verzaubert von der Pracht des Restaurants, von dem sie bisher nur geträumt hatte, drehte sie sich langsam um sich selbst.

Die alte Zuckermühle, die sie seit Jahren so gern kaufen wollte, war nicht mehr heruntergekommen und halb verfallen. Die Bodendielen glänzten so sehr, dass sie Tiana fast blendeten. Ein Kronleuchter hing hoch über ihrem Kopf und beleuchtete ein geräumiges, gut besuchtes Lokal. Männer in Anzügen und Frauen im Sonntagsstaat saßen an Tischen, die mit Tischtüchern, extravaganten Tafelaufsätzen und edlem Porzellan gedeckt waren. Offenbar amüsierten sich alle großartig, und es wurden appetitliche Speisen verzehrt, die so köstlich dufteten wie die Gerichte, die Tiana früher mit ihrem Vater gekocht hatte.

„Wo bin ich?“, flüsterte sie

„Du weißt genau, wo du bist. Du träumst seit Jahren von diesem Restaurant. Und das kann alles dir gehören, Tiana.“

„Aber … aber wie?“

„Gib mir meinen Talisman!“, verlangte Facilier. „Dann sage ich es dir.“

Verdutzt starrte sie ihre Hand an, die Facilier wie ferngesteuert das Amulett entgegenstreckte. Tiana riss sich aus der Trance und zog die Hand mit dem Amulett zurück.

„Nein“, sagte sie und schüttelte den Rest der seltsamen Benommenheit ab, in die Facilier sie versetzt hatte. Sie durfte nicht vergessen, in der Gegenwart dieses Kerls auf der Hut zu sein zu sein.

Sein begehrlicher Blick war weiterhin auf das Amulett geheftet, was die Alarmglocken in ihr noch lauter klingeln ließ. Sie hatte keine Ahnung, was es mit dem Ding auf sich hatte, aber der Schattenmann wollte es unbedingt haben. Und das bedeutete, dass er es auf keinen Fall bekommen durfte.

„Ich gebe Ihnen gar nichts“, wiederholte sie.

„Nicht einmal im Tausch gegen dein Restaurant?“

„Ich kann mein Restaurant auch so noch bekommen. Ich muss nur weiter dafür arbeiten.“

„Aber warum solltest du dich abrackern, wenn meine Freunde im Schattenreich dafür sorgen können, dass du das Restaurant einfach so bekommst?“ Er schnippte mit den Fingern. „Ich brauche sie nur zu bitten. Komm, Tiana. Du bist ganz nah dran. Schlag ein, und du bist sofort am Ziel.“

„Nein“, erwiderte sie nachdrücklich. Obwohl sie jetzt wieder ein Mensch war, überragte er sie noch immer, doch sie wollte sich nicht einschüchtern lassen. „Ich bin nicht auf die Unterstützung von jemandem wie Ihnen angewiesen, Schattenmann. Und ich will auch nicht, dass mir irgendwer mein Restaurant auf dem Silbertablett serviert. Ich will es mir verdienen, so wie mein Vater es mich gelehrt hat.“

Als sie ihren Vater erwähnte, leuchteten Faciliers Augen auf. Er öffnete seine Hand und blies eine weitere Wolke schillernden Staubs in ihr Gesicht.

Tiana wurde in eine andere Traumwelt geworfen. Sie brauchte einen Moment, bis sie begriff, wo sie war. Sie stand in der Tür einer perfekt ausgestatteten Küche – einer Küche, wie sie sie aus Zeitschriften kannte. Der Duft, der den großen Kupfertöpfen entströmte, die auf dem Gasherd standen, ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Kellner in schnittigen Smokings eilten umher, nahmen Teller mit kunstvoll angerichtetem Essen entgegen und trugen sie aus der Küche.

Tiana machte einen zaghaften Schritt vorwärts. Sie begann, sich durch die Küche zu bewegen, doch sie ging nicht, sondern schwebte, als würde sie auf einer Wolke dahingleiten. Inmitten all der Köche und Kellner bemerkte Tiana jemanden, der ihr auf unheimliche Weise bekannt vorkam. Ein Mann stand an einem Herd am anderen Ende der Küche. Mit einem großen Kochlöffel rührte er in einem Gumbotopf, den sie sofort erkannte. Sie konnte das Gesicht des Mannes nicht sehen, aber die breiten Schultern und muskulösen Arme waren unverkennbar.

„Daddy?“, fragte sie ungläubig.

„Genau“, flüsterte der Schattenmann. „Es ist dein lieber alter Daddy.“

„Aber was … wie kann das …?“

Das konnte nicht wahr sein. Sicher bildete sie es sich nur ein.

Als der Mann sich umdrehte, atmete sie geräuschvoll aus. Er war es.

Sie platzte fast vor Glück und rannte mit ausgestreckten Armen in seine Richtung. Alle anderen Personen verschwanden. Es waren nur noch sie und ihr geliebter Vater da. Es war so unendlich lange her, dass sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte – außerhalb der zahllosen Träume, in denen er ihr in all den Jahren erschienen war.

Doch als sie sich ihn näherte, verschwand auch er.

„Daddy, nein!“, rief sie.

„Hahaha!“ Das widerliche Lachen des Schattenmanns riss sie aus der Trance.

Sie funkelte den Mann wütend an, der teuflisch grinsend vor ihr stand. Es war unfair von ihm, dass er so herzlos mit ihren Gefühlen spielte. Aber was konnte sie von einem nichtsnutzigen Gauner wie Facilier schon erwarten?

„Was sagst du jetzt zu meinem Vorschlag, Tiana? Du kannst dich weiter abrackern, rumknapsen und sparen – vielleicht bekommst du dann in fünfzig Jahren dein Restaurant. Aber du kannst deinen Vater nicht wieder lebendig machen. Dafür brauchst du mich.“ Der Schattenmann schüttelte den Kopf. „Tragisch, was ihm zugestoßen ist. James war ein guter Mensch. Er wollte seine Familie nicht auf diese Weise verlassen.“

„Wagen Sie nicht, seinen Namen in den Mund zu nehmen.“

Facilier zuckte mit den knochigen Schultern und inspizierte seine Fingernägel. „Wie du willst! Es ist eine Schande, dass du die Gelegenheit, deinen Daddy wiederzusehen, nicht beim Schopf packst. Da frage ich mich schon, ob du ihn überhaupt geliebt hast.“

„Wehe!“, schrie Tiana. „Er war alles für mich.“

„Warum nimmst du mein Angebot dann nicht an? Ich muss nur meine Freunde aus dem Schattenreich um Hilfe bitten, damit du wieder gemeinsam mit deinem Daddy Gumbo kochen kannst. Denk doch auch an deine Mama und daran, wie es für sie wäre, ihren geliebten Mann zurückzubekommen.“

Tiana schloss die Augen und stellte sich vor, wie ihre Mama und ihr Daddy in der Küche ihres kleinen gemütlichen Hauses im Ninth Ward miteinander tanzten. Die Liebe der beiden wärmte Tiana wie die Strahlen der Sommersonne. „Aber das … das ist unmöglich“, erwiderte sie. „Er ist tot.“

„Was dir unmöglich scheint, ist für meine Freunde aus dem Schattenreich ein Kinderspiel. Sie verfügen über Kräfte, die für dich unbegreiflich sind. Die Gefälligkeit hätte natürlich einen Preis, wie du dir sicher denken kannst. Aber es wird sich nur um eine Kleinigkeit handeln.“

Sie öffnete die Augen. „Ich glaube Ihnen nicht“, sagte sie. „Mein Daddy ist seit Jahren tot. Wie sollten sie ihn zurückbringen?“

„Zermartere dir nicht dein hübsches Köpfchen deswegen. Um die Details kümmern meine Freunde aus dem Schattenreich und ich uns. Vertrau mir, Tiana.“

Seine abwegige Aufforderung brachte sie vollends auf den Boden der Tatsachen zurück. Ihm vertrauen? Nach allem, was ihre Freunde und sie seinetwegen hatten durchmachen müssen?

„Sie sind der Letzte, dem ich vertrauen würde“, antwortete sie und hob den Talisman hoch über ihren Kopf, um ihn zu Boden zu schleudern.

Kapitel 2

Facilier

„Moment … warte, Tiana“, beschwor Facilier sie, als er sich gefasst hatte. „Sei vorsichtig damit. Es ist ein Erbstück!“ Er versuchte trotz der wilden Verzweiflung, die ihn gepackt hatte, gleichgültig zu wirken. Das Amulett war der Schlüssel zu allem. Solange es Blut von Prinz Naveen enthielt, konnte derjenige, der es trug, die Gestalt des Prinzen annehmen. Ohne den Talisman müsste Facilier seinen Plan aufgeben, sich das Vermögen Eli La Bouffs unter den Nagel zu reißen, indem er dessen liebeskranke Tochter mit Naveens Diener verheiratete.

Und, was noch gravierender war: Er könnte die Schulden bei seinen Freuden im Schattenreich nicht begleichen – und das würde ihn teuer zu stehen kommen.

Tiana hielt sein Leben in den Händen.

Facilier stemmte seine Fäuste in die Seiten. Zu gern hätte er diesem Versager Lawrence den Hals umgedreht. Sich mit Naveens unfähigem Diener zu verbünden, war nicht einfach nur eine Fehleinschätzung gewesen – es konnte sich als tödlicher Irrtum entpuppen.

Lawrence hatte er es zu verdanken, dass der wertvolle Talisman Tiana in die Hände gefallen war, wodurch er jetzt mit diesem schmächtigen Mädchen debattieren musste.

Ihm hätte klar sein müssen, dass Tiana nicht für eine einfache Lösung zu haben sein würde, wenn es um ihr Restaurant ging. Sie war nicht in der Lage, auf etwas stolz zu sein, das sie sich nicht verdient hatte. Leute wie sie litten unter der idiotischen Vorstellung, dass harte Arbeit sie zu besseren und verdienstvolleren Menschen machte als jene, die clever genug waren, die Abkürzungen zu nutzen, die sich ihnen boten.

Menschen wie er.

Auch wenn sie sein Angebot, ihr das Restaurant zu verschaffen, ausgeschlagen hatte, war Facilier überzeugt gewesen, dass die Aussicht, ihren Vater wiederzusehen, sie umstimmen würde. James ins Leben zurückzuholen, würde ihn ein ganz schönes Sümmchen kosten, wahrscheinlich mehr, als er seinen Freunden in der Schattenwelt je bezahlt hatte, aber er wäre dazu bereit. Er war zu allem bereit, was nötig war, um den Talisman zurückzubekommen.

Doch Tiana hatte sein Angebot rundweg ausgeschlagen.

Wenn er sie nicht auf die nette Art und Weise dazu bringen konnte, ihm sein Eigentum wiederzugeben, musste er es mit Drohen versuchen. Sie ließ ihm keine andere Wahl.

„Bevor du mein Angebot ablehnst, sollten wir noch kurz über deinen kleinen Froschprinzen sprechen“, sagte er.

„Über Naveen?“ Ihre Pupillen weiteten sich.

Auf genau diese Reaktion hatte Facilier gehofft. Er hatte das Gefühl, dass sie sich in den Prinzen verliebt hatte. Das würde sie zum Einknicken bringen.

„Wo ist er?“, fragte sie. „Wo ist Naveen?“

„Mach dir mal keine Sorgen darüber, wo er ist. Überleg lieber, was er ist. Wenn du deine eigenen Träume einfach aufgeben willst, schön und gut, aber was ist mit seinen Träumen? Wenn du möchtest, dass dein toller Naveen jemals wieder ein Mensch wird, solltest du mir mein Eigentum wiedergeben!“

„Sie lügen. Das Einzige, was Naveen tun muss, um wieder ein Mensch zu werden, ist, eine Prinzessin zu küssen. Charlotte La Bouff ist eine Prinzessin, weil ihr Vater der König des Mardi Gras ist.“

„Komm schon, Tiana“, antwortete Facilier genervt. „So blöd bist du nicht. Du weißt genau, dass Miss La Bouff keine echte Prinzessin ist. Genauso wenig wie du. Wenn Naveen bis Mitternacht keine echte Prinzessin küsst, bleibt er für immer ein Frosch.“

„Nein!“, protestierte Tiana.

„Doch!“ Facilier spürte, dass sie zu schwanken begann, und setzte erneut zum Angriff an. „Aber du kannst ihn retten. Du kannst alles haben, was du dir je gewünscht hast. Du und dein Prinz, ihr könnt …“ Er hielt inne.

War er denn von allen guten Geistern verlassen?

Naveen war sein Mittel, um an Eli La Bouff heranzukommen, den mächtigsten Mann in New Orleans. Jetzt, wo der Plan mit Lawrence als vermeintlichem Prinzen nicht mehr aufging, musste der echte Naveen La Bouffs Tochter den Hof machen. Eine Ehe zwischen den beiden war noch immer die beste Möglichkeit, an La Bouffs Vermögen zu kommen.

Er hätte sich von Anfang an auf den Prinzen konzentrieren sollen, anstatt sich mit diesem rückgratlosen Lawrence zusammenzutun. Durch seine sorglose Art war Naveen leicht zu manipulieren. Solange Facilier ihm ab und zu ein bisschen Blut abzapfen konnte, hatte er ihn unter Kontrolle.

Aber wenn Naveen und Tiana ein Paar wären, wäre das nicht möglich.

„Fast alles, was du dir je gewünscht hast, um genau zu sein“, korrigierte sich Facilier. „Hier kommt mein Angebot: Du gibst mir diesen Talisman, und im Gegenzug hole ich deinen Daddy zurück ins Leben und gebe deinem Prinzchen seine menschliche Gestalt wieder.“ Er hob einen Finger. „Aber eins musst du wissen. Sobald der Zauber gelöst ist, wird sich Naveen an nichts von all dem erinnern, was passiert ist. Und wenn du willst, dass er ein Mensch bleibt, ist eine Fortführung eurer kleinen Liebelei nicht möglich.“

„Wollen Sie damit sagen …“

„Ich will damit sagen, dass du auf die Liebe deines süßen Prinzen verzichten musst, wenn du willst, dass er wieder zum Menschen wird.“

„Aber … aber das ist nicht fair!“

„Das Leben ist nun mal nicht fair“, versetzte Facilier.

Was an dem, was ihm bevorstand, war fair? Er würde einen weiteren Handel mit seinen Freunden aus dem Schattenreich abschließen müssen, um sein Versprechen ihr gegenüber einzuhalten. Der Preis dafür wäre zweifelsohne sehr hoch, wodurch er noch tiefer bei ihnen in der Kreide stehen würde.

Und was opferte sie? Ihre kleine Schwärmerei für einen unterbelichteten Prinzen? Eigentlich tat er ihr sogar einen Gefallen. Laut Lawrence war Naveen ein Nichtsnutz. Pleite, faul und eine Last für seine Eltern.

Naveen wäre Tiana ohnehin nur hinderlich. Ohne ihn und mit der Hilfe ihres Vaters, wenn Facilier den erst einmal zurückgeholt hätte, würde sie im Handumdrehen ihr Restaurant bekommen.

Und was hätte er selbst von dem Deal? Nichts!

Aber … Moment. Vielleicht war doch noch was für ihn drin.

Facilier fiel die kleine Phiole in der Innentasche seiner Jacke wieder ein. Sie war mit einer Tinktur gefüllt, die er für den stureren Teil seiner Kundschaft brauchte. Der Trank machte diejenigen, die ihn einnahmen, für ein Weilchen leichter beeinflussbar. Wenn er Tiana dazu bringen könnte, ein wenig davon in ihr Gumbo zu geben, könnte er alle, die davon äßen, dazu bringen, ihm ihre sämtlichen Wertsachen zu überlassen.

Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Tiana und Charlotte, La Bouffs Tochter, waren dicke Freundinnen. Es lag also nah, dass Eli La Bouff Stammgast in Tianas Restaurant werden würde. Und wenn La Bouff höchstpersönlich auch nur einen Tropfen der Tinktur zu sich nähme … wäre das eine weitere Möglichkeit für Facilier, an den Zuckerbaron heranzukommen, falls der Plan mit Naveen in die Binsen ging. Und eine bombensichere noch dazu.

Nicht auszudenken, was für Perspektiven ihm das eröffnete!

Aber zuerst musste er Tiana überzeugen. „Bevor wir fortfahren, muss ich mit meinen Freunden im Schattenreich sprechen“, sagte er. „Das verstehst du sicher.“

Er schloss die Augen bis auf einen schmalen Spalt, sodass er Tiana im Blick behalten konnte. Dann fing er an, Kauderwelsch vor sich hinzubrabbeln und wie ein Baby zu wimmern. Er würde den Deal mit seinen Freunden im Schattenreich erst abschließen, wenn er wieder in seinem Laden wäre, aber Tiana musste glauben, dass er die Sache mit ihrem Vater hier und jetzt regelte. Seine Show war bühnenreif, davon war er überzeugt.

„Ah. Aha, ja“, sagte er.

„Was sagen sie?“ fragte Tiana.

Er hob einen Finger, um sie zum Schweigen anzuhalten. „Mhm. Ja. Verstehe. Ja, ja, das ist nachvollziehbar“, murmelte er. „Nein, das sollte kein Problem sein.“ Zum Schluss brabbelte er wieder etwas Unverständliches, bevor er so tat, als würde er sich aus der Trance lösen. Sein Auftritt war wahrhaft bühnenreif!

Facilier sah Tiana an. „Meine Freunde aus dem Schattenreich haben ihren Preis genannt. Du hast Glück, Tiana. Sie wollen so gut wie nichts dafür.“

Er zog die Phiole aus seiner Jackentasche.

„Dafür, dass sie deinen Froschprinzen wieder zu einem Menschen machen und deinen Vater zurück ins Leben holen, musst du nur ein Tröpfchen von dieser Flüssigkeit an dein Gumbo geben, wenn du dein Restaurant hast. Was ganz sicher bald der Fall sein wird, weil du so hart dafür gearbeitet hast.“

Tiana musterte das Fläschchen misstrauisch. „Was ist da drin?“

„Also …“ Jetzt musste er sich schnell etwas überlegen. „Also … du weißt ja, dass Gumbo die Spezialität deines Vaters war. Ich habe es selbst ein oder zwei Mal gegessen.“ Er rieb sich den Bauch. „Köstlich!“

„Was hat das mit dem Inhalt dieses Fläschchens zu tun?“

„Dieses Fläschchen enthält den Zauber, der deinen Daddy am Leben erhalten wird. Und wie sollte man ihm den besser verabreichen als mit Gumbo? So gehen meine Freunde aus dem Schattenreich die Dinge an. Irgendwie poetisch, oder?“

„Woher soll ich wissen, ob Sie wirklich gerade mit diesen Freunden gesprochen haben?“, fragte sie. „Warum sollte ich Ihnen überhaupt glauben, Schattenmann?“

Das war genau der Grund, aus dem er sie von Naveen fernhalten musste. Sie war zu clever. „Weil wir in dieser Angelegenheit beide profitieren werden, Tiana. Du hast etwas, das ich haben will, und ich kann dir etwas geben, das du dir wünschst.“

„Und woher soll ich wissen, dass der Inhalt der Flasche diejenigen, die ihn trinken, nicht tötet?

Facilier lachte. „Wenn meine Freunde darauf aus wären, dann hätten sie das schon längst tun können.“ Er setzte das Fläschchen an die Lippen und tat, als würde er daran nippen. „Der Trank ist harmlos“, erklärte er.

„Und was genau bewirkt er?“

Facilier hob die Hände. „Ich belästige meine Freunde nicht mit Fragen, und du solltest das auch nicht tun. Ihr Zauber ist tausendmal wirksamer als meiner. Wenn sie sagen, dass ein winziges Tröpfchen davon in deinem Gumbo deinen Vater am Leben halten wird, dann solltest du ihnen vertrauen.“ Weil er spürte, dass sie noch immer unsicher war, fügte er hinzu: „Und denk auch an Naveen. Du rettest auch ihn – und alle anderen Menschen, die du liebst. Du kannst dafür sorgen, dass niemand von ihnen zu Schaden kommt.“

Sie riss erschrocken die Augen auf. „Was wollen Sie damit sagen? Warum sollten die Menschen, die ich liebe, zu Schaden kommen?“

„Es geschehen ständig Unfälle“, antwortete Facilier schulterzuckend.

„Drohen Sie mir etwa?“, fragte sie mit fester Stimme. Noch hatte sie den Widerstand nicht aufgegeben.

„Nein, aber ich warne dich“, erwiderte er. „Das hier kann ganz schnell sehr, sehr unschön werden, wenn du mein großzügiges Angebot ablehnst.“ Facilier spürte, dass sie zu schwanken begann. Er fuhr mit der Hand durch die Luft, und es erschienen nacheinander phantomartige Abbilder von Tianas Lieben: von ihrer Mutter, ihrem nervtötenden Prinzchen, der La-Bouff-Göre und Menschen aus ihrem Viertel. All diese Gestalten fielen eine nach der anderen in sich zusammen und blieben leblos am Boden liegen. Tiana atmete erschrocken ein, als sie sich in Luft auflösten.

Facilier machte einen Schritt auf sie zu. „Und? Kommen wir ins Geschäft?“

„Sie lassen mir ja kaum eine Wahl. Entweder schlage ich ein, oder unschuldige Menschen kommen zu Schaden.“

„Wir haben alle unsere Entscheidungen zu treffen. Die Frage ist, ob wir bereit sind, die Konsequenzen dafür zu tragen.“ Noch sträubte sie sich, doch Facilier erkannte, dass er langsam die Oberhand gewann. Zwar lag sein Leben sprichwörtlich in ihrer Hand, aber das wusste sie nicht. Zu seinem großen Glück wusste Tiana nicht, welche Macht dem Talisman innewohnte. „Und, Tiana?“

Sie funkelte ihn wütend an, doch Facilier wusste, dass sie in der Zwickmühle saß.

„Wenn ich Naveen aufgeben muss, möchte ich dafür ein paar Dinge im Gegenzug“, erklärte sie.

Trotz ihrer ausweglosen Situation verhandelte sie knallhart. Das musste er ihr lassen.

Zu dumm, dass sie ein solcher Gutmensch war! Mit ihrer Hartnäckigkeit hätte sie ihm bei der Eroberung der Stadt eine große Hilfe sein können.

„Und zwar?“, fragte er.

„Sie müssen versprechen, dass meiner Familie nichts passiert.“ Sie zögerte einen Moment. „Und Sie müssen meinen Freunden Louis und Ray helfen. Louis wäre gern ein Mensch, damit er in einer Jazzband hier in der New Orleans auftreten kann. Wenn Ihre Freunde das nicht hinkriegen, kommen wir nicht ins Geschäft. Und was Ray betrifft … es wäre mir lieb, ihn in meiner Nähe zu wissen, damit ich auf ihn aufpassen kann und weiß, dass er in Sicherheit –“

„Ich fürchte, dafür ist es schon zu spät“, unterbrach Facilier sie. Fast hatte er Mitleid mit Tiana, die ihn verständnislos ansah. Aber nur fast.

„Wie meinen Sie das?“, fragte sie.

„Weißt du noch, was ich über die Konsequenzen unserer Entscheidungen gesagt habe?“ Er hob eine Braue. „Na ja, dein kleiner Leuchtkäfer hat sein Schicksal besiegelt, als er meinen Talisman geklaut hat.“

Als sie begriff, was er meinte, schlug sie die Hände vors Gesicht. „O Ray“, schluchzte sie.

„Aber was den Alligator betrifft, kann ich mit meinen Freunden reden“, fuhr Facilier fort. „Das bekommen sie sicher hin.“

„Und Sie garantieren mir, dass das, was in dem Fläschchen ist, niemandem Schaden zufügt? Dass es einfach nur der Zauber ist, der meinen Vater am Leben erhält, und dafür sorgt, dass meiner Familie nichts zustößt?“

„Einfach ist an diesem Zauber gar nichts, abgesehen von deiner Rolle in der Angelegenheit. Du musst die Flüssigkeit nur in dein Gumbo mischen, und niemandem stößt etwas zu. Und du kannst wieder gemeinsam mit deinem Vater kochen.“

Facilier platzte fast vor Freude darüber, dass er sie fast so weit hatte. „Also, Tiana – kommen wir ins Geschäft?“

Sie kniff die Lippen zusammen.

„Für deinen lieben alten Dad?“

Als er ihren widerstrebenden Blick sah, fuhr ihm ein Schreck in die Glieder.

Doch dann streckte sie ihm die Hand mit dem Talisman entgegen. „Also gut.“

Kapitel 3

Tiana

Ninth Ward, New Orleans

Ein Donnerstag im Februar 1927

Fünf Tage vor Mardi Gras

Es war einfach herrlich, vom Duft salzigen gebratenen Schinkenspecks geweckt zu werden. Tiana atmete tief ein und wohlig seufzend wieder aus.

Der Gedanke an ein herzhaftes Frühstück mit buttriger Maisgrütze, fluffigem Rührei und knusprigem Bacon war verlockend, doch sie blieb mit geschlossenen Augen im Bett liegen und genoss die Wärme der Sonne, die durchs Fenster direkt in ihr Gesicht schien. Die Blauhäher, die draußen herumflatterten, sangen fröhlich – der passende Soundtrack für einen Tag, der großartig zu werden versprach.

„Tiana, Spätzchen. Komm frühstücken.“

Tiana öffnete die Augen und strahlte. „Ich bin gleich da, Daddy!“, rief sie.

Es war inzwischen fast ein Jahr her, dass er Schattenmann sein Versprechen, ihren Vater zurückzubringen, eingelöst hatte. Noch immer wurde ihr wohlig zumute vor Dankbarkeit, wenn sie James’ Stimme durchs Haus hallen hörte.

Sie setzte sich im Bett auf und warf die zerschlissene Steppdecke zurück. Dann reckte und streckte sie sich, um ihre Verspannungen zu lösen. Vielleicht sollte sie bei ihrem nächsten Besuch im Warenhaus Krauss neue Kopfkissen auf den Einkaufszettel setzen. Vielleicht aber auch nicht. Diese Kopfkissen leisteten seit Jahren gute Dienste.

Und mit dem, was das kleine Restaurant abwarf, das ihr Vater und sie vor drei Monaten eröffnet hatten, hatte sie Besseres vor. Sie sparte jeden Cent, den sie verdiente. Irgendwann hätte sie genug, um ein Gebäude zu kaufen, in dem das große Restaurant Platz hätte, von dem sie schon so lange träumte.

Nicht, dass sie nicht stolz auf ihren Supper Club gewesen wäre. Es war ein guter Anfang. Und es war wirklich eine Leistung, dass sie das gemütliche kleine Lokal so schnell hatten eröffnen können. Aber Tiana hatte etwas Größeres im Sinn, und sie würde sich durch nichts und niemanden davon abhalten lassen.

Beflügelt von ihren Zukunftsvisionen sprang sie aus dem Bett und lief zu ihrer Kommode. Sie nahm ein gelbweiß kariertes Kleid und ein dazu passendes Band für ihren Pferdeschwanz heraus. Nachdem sie sich angezogen hatte, ging sie in die Küche.

„Wen haben wir denn da? Guten Morgen“, sagte ihre Mutter, die an ihrer Nähmaschine saß.

„Guten Morgen, Mama.“ Tiana stellte sich hinter ihre Mutter und legte ihr die Hände auf die Schultern. Dann beugte sie sich vor und gab ihr einen lauten Schmatzer auf die Wange. „Ist noch etwas zum Frühstücken da? Bitte sag Ja!“

Eudora nickte in Richtung Herd, wo ein mit Stanniol bedeckter Teller neben dem zerbeulten Kupferteekessel stand, der nun, wo der Gumbotopf ihres Vaters im Restaurant war, dauerhaft Quartier auf dem Herd bezogen hatte. Tiana ging hin, hob das Stanniolpapier hoch und stibitzte sich ein Stück Bacon.

„Wo ist Daddy?“, fragte sie.

„Im Garten.“

„Ach, Scheibenkleister. Das habe ich ja ganz vergessen!“, rief Tiana, nahm sich noch ein Stück Bacon und deckte den Teller wieder zu.

„Willst du dich nicht setzen und frühstücken?“, fragte ihre Mutter.

„Das geht nicht. Ich habe Daddy versprochen, dass ich ihm helfe, Paprika und Tomaten für heute Abend zu ernten. Ich arbeite gerade an einem neuen Rezept für meine Jambalaya, und ich wollte eine Testportion kochen, bevor wir abends aufmachen.“ Sie sah ihre Mutter fragend an. „Möchtest du nachher das Versuchskaninchen spielen?“

„Mache ich das nicht immer?“, antwortete Eudora lachend. „Versprich mir, noch etwas Vernünftiges zu essen. Du bist zu dünn.“

„Versprochen!“, rief Tiana, nahm ihren schwarzen Glockenhut von der Hutablage, setzte ihn auf und seufzte leise. Die Versprechen, die sie in letzter Zeit gegeben hatte, waren so angenehm unkompliziert. Ab und zu beschlichen sie leise Zweifel, ob sie dem Frieden wirklich trauen konnte.

Sie schüttelte den Gedanken ab, trat auf die Veranda und schirmte ihre Augen aus alter Gewohnheit gegen die Sonne ab. Als sie merkte, dass das nicht nötig war, ließ sie die Hand sinken.

Die Sonne schien noch immer, aber ihr Licht wurde von einem dichten Dunst gedämpft. Das war ziemlich merkwürdig. So nah am Fluss war es nicht außergewöhnlich, dass es morgens diesig war, aber der Nebel verzog sich in der Regel schnell wieder.

Tiana sah zum Himmel auf und fragte sich, ob womöglich ein Unwetter nahte.

Sie schnappte sich einen der Körbe, die neben dem Schaukelstuhl ihres Vaters standen, und ging die Verandatreppe hinunter in den Garten.

Als sie sich ihrem Vater näherte, der über das Beet gebeugt dastand, hielt sie kurz inne.

Die Mischung aus Dankbarkeit, Staunen und inniger Liebe, die sie empfand, war überwältigend. Sie konnte noch immer nicht glauben, dass ihr Vater wieder da war.

Auch wenn sie zunächst skeptisch gewesen war, hatte sich gezeigt, dass sie Dr. Facilier trauen konnte – zumindest, was die Einhaltung seines Teil der Abmachung betraf. Letztes Jahr war ihr Vater am Tag nach Mardi Gras zur Haustür hereinspaziert, als würde er nach einem ganz normalen Arbeitstag nach Hause kommen. Ihre Mutter hatte ihn wie üblich mit einer Umarmung und einem Kuss auf die Wange begrüßt.

Tiana musste lächeln, als sie daran dachte, wie sie auf ihn zugerannt und ihm um den Hals gefallen war und vor unbändiger Freude zu weinen begonnen hatte. Sowohl ihre Mutter als auch ihr Vater hatten sie angesehen, als hätte sie den Verstand verloren. Doch dann hatten sie alle zu lachen angefangen, und alles war in bester Ordnung gewesen. Ihre Familie war wieder vollzählig.

In dem Moment hatte Tiana beschlossen, nicht mehr darüber nachzudenken, was für obskure Mächte Facilier angerufen hatte, um die Rückkehr ihres Vaters zu erwirken. James war wieder da, und sie war froh darüber. Und nie wieder würde sie die Zeit, die sie mit ihm zusammen sein konnte, für etwas Selbstverständliches halten.

„Wie geht es dir, Daddy?“, begrüßte sie ihn, als sie sich zu ihm gesellte.

Er wandte sich zu ihr um und begrüßte sie mit einem strahlenden Lächeln. „Guten Morgen, mein Spätzchen. Hast du schon gefrühstückt?“

„Ja, ich habe einen kleinen Happen gegessen. Ich wollte dich nicht mit dem Ernten alleine lassen.“

Er öffnete die Hand, in der ein paar Samen lagen. „Ich wollte diese Limabohnen pflanzen. Die müssen in die Erde, bevor die große Sommerhitze da ist. Das dauert nicht mehr lange!“

„Gut, dann kümmere du dich mal um deine Limabohnen. Ich fange an, Paprika und Tomaten für meine neue Jambalaya zu pflücken. Ich glaube, mein Rezept ist jetzt so, wie ich es haben will. Es wird ein Knaller.“

„Alles, was du in der Küche zauberst, ist grandios. Aber verbring nicht zu viel Zeit dort, Tiana. Amüsier dich auch mal ein bisschen. Geh mit deinen Freundinnen aus. Wirst du auf eine Mardi-Gras-Party gehen?“

Tiana versuchte, sich ihre Genervtheit nicht anmerken zu lassen. Sie verstand nicht, warum ihre Eltern so erpicht darauf waren, dass sie mit ihren Freundinnen durch die Stadt zog. Als könnte sie es sich leisten, ihre Zeit mit etwas so Unwichtigem zu verschwenden! Wenn das vergangene Jahr sie eines gelehrt hatte, dann war es, dass man nie wusste, wann sich die Dinge änderten. Darum war es das Beste, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die sie im Griff hatte, und auf die Menschen, die sie am meisten liebte.

„Ich habe keine Zeit für Partys und Mardi-Gras-Bälle, Daddy. Ich muss mich um mein Restaurant kümmern. Apropos, es wird Zeit, dass wir uns auf unsere eigenen Festlichkeiten vorbereiten.“

Er wandte sich wieder zu ihr um. „Du weißt schon, wofür das J in T&J’s Supper Club steht, oder? Du musst dich nicht allein um alles kümmern.“

„Ich weiß.“ Sie waren echte Geschäftspartner, genau, wie sie es sich immer erträumt hatte. „Aber was für eine Miteigentümerin würde einfach ihre Pflichten vernachlässigen, um sich in New Orleans zu amüsieren?“ Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte sie sanft. „Mit dem Restaurant haben wir uns unseren Traum erfüllt, also müssen wir uns auch zusammen darum kümmern!“

Ihr Vater tätschelte ihre Hand. Seine schwieligen Finger zeugten davon, dass er sein Leben lang hart gearbeitet hatte.

„Ab und zu bekomme ich das schon allein hin, Schätzchen. Vor allem, wenn es dir die Möglichkeit gibt, mal mit deinen Freundinnen die Stadt unsicher zu machen. Versprich mir, dass du wenigstens darüber nachdenkst.“

„Ich denke darüber nach“, versprach Tiana. „Aber jetzt muss ich Tomaten pflücken.“

Sie balancierte den Korb auf ihrer Hüfte und ging an den in Reih und Glied gepflanzten Tomaten entlang. Während sie abschätzte, welche am reifsten waren, schweiften ihre Gedanken in eine Richtung ab, die sie nur selten nahmen: Sie dachte an die die wenigen Feste, die sie mit ihren Freundinnen besucht hatte.

Ein echtes Partygirl war sie allerdings nie gewesen. Das letzte Fest, das sie besucht hatte, war der Mardi-Gras-Ball ihrer besten Freundin Charlotte La Bouff im vergangenen Jahr gewesen. Und selbst dort war sie nur gewesen, um den Gästen ihre berühmten Beignets zu servieren. Es war der Ball gewesen, auf dem sie Naveen kennengelernt hatte …

Nicht, ermahnte Tiana sich. Es war besser, nicht an ihn zu denken. Im vergangenen Jahr war sie ihm so weit wie möglich aus dem Weg gegangen. Leider war das neuerdings schwieriger geworden. Er hatte sich angewöhnt, Charlotte in den Supper Club zu begleiten, weshalb Tiana sich in letzter Zeit noch lieber in die Küche verzog, da sie fürchtete, ihm zu begegnen, wenn sie sich im Gastraum mit der Kundschaft unterhielt.

Sie seufzte. Ihr war von Anfang an klar gewesen, dass Naveen aufzugeben das Schwierigste an dem Deal sein würde, den sie mit dem Schattenmann geschlossen hatte. Doch seit der Prinz regelmäßig ihr Restaurant besuchte, war es kaum auszuhalten, dass sie ihren Gefühlen für ihn für immer hatte abschwören müssen. Das Einzige, was das Ganze ein wenig erträglicher machte, war, dass Charlotte nicht länger hinter ihm her war. Sie und der Prinz pflegten jetzt eine Freundschaft, die Tiana reizend gefunden hätte, wenn sie in der Lage gewesen wäre, über ihren eigenen Kummer hinwegzusehen.

Sie schluckte gegen den Kloß an, der in ihrer Kehle saß.

Es war ja zu Naveens Bestem – sein Leben hing davon ab. Und sie würde lernen, sich damit abzufinden, dass sie nicht zusammen sein konnten.

Hoffentlich.

Sie verbannte Naveen aus ihren Gedanken und wandte sich wieder der Arbeit zu. Als sie genügend Tomaten hatte, pflückte sie einige der leuchtend grünen Paprika und legte sie ebenfalls in den Korb.

Dann ging sie zu James, der sich gerade um die Gurken kümmerte. „Ich mache mich auf den Weg ins Restaurant und lege schon mal los.“ Sie beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange. „Wir sehen uns dort, Daddy.“ Sie wollte losgehen, doch ihr Vater griff nach ihrer Hand. Sie erschrak über den eigenartigen Blick, mit dem er sie ansah. „Stimmt etwas nicht? Ist alles in Ordnung mit dir?“

Er lächelte. „Es ist alles in Ordnung, Spätzchen. Alles bestens. Ich wollte dir nur sagen, dass dich stolz auf dich bin – und darauf, wie du das mit dem Supper Club hinbekommen hast. Du hast meinen Traum wahr gemacht, Tiana.“

Eine Mischung aus Dankbarkeit, Liebe und Glück breitete sich in Tiana aus. Sie stellte den Korb auf den Boden und fiel ihrem Vater um den Hals. „Danke, Daddy. Es ist auch mein Traum. Und es gibt niemanden, mit dem ich ihn lieber leben würde.“ Sie hielt ihren Vater noch ein Weilchen fest umschlungen, bevor sie sich schließlich losriss. „Also gut“, sagte sie. „Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit für solche Sentimentalitäten.“

„Das stimmt“, gab James zu. „Geh du ins Restaurant und koch deine Jambalaya. Ich komme nach, sobald ich mich fertiggemacht habe.“

Tiana nahm ihren Korb und ging los, doch dann kehrte sie noch einmal um und fiel ihrem Vater abermals um den Hals.

„Womit habe ich das denn verdient?“, fragte James.

„Ich bin einfach nur so froh, dass es dich gibt.“

Kapitel 4

Tiana

Die Stimmung, die in der diesigen Luft lag, belebte Tiana, die auf dem kopfsteingepflasterten Gehweg zur Straßenbahnstation St. Claude Avenue ging. Es war unverkennbar die Stimmung des Mardi Gras, die um diese Jahreszeit die gesamte Stadt erfüllte. Obwohl es bis zum großen Fest noch einige Tage hin war, hatten die Feierlichkeiten, die dem Faschingsdienstag vorausgingen, bereits begonnen. Jeden Abend fanden in den schicken Hotels in der Innenstadt prunkvolle Bälle mit Männern in Smokings und Frauen in prächtigen Ballkleidern statt. Diejenigen, die sich die Bälle nicht leisten konnten, trafen sich zu privaten Feiern oder bei Partys in Musikclubs. Am Samstag würde das alljährliche Picknick auf dem Congo Square in der Nähe ihres Restaurants stattfinden und am Montag die Shrove-Monday-Umzüge.

So verlockend es war, sich von der Feierlaune anstecken zu lassen, Tiana war es wichtiger, den Höhepunkt der Karnevalszeit zu nutzen, um T&J’s Supper Club bekannter zu machen.

Heute stand ein Abend mit Livemusik und einem speziellen Menü auf dem Programm, und morgen sollte der Auftritt eines ganz besonderen Gasts zusätzliche Besucher anlocken.

Sie konnte es kaum abwarten, bis es so weit war!