Disney. Twisted Tales: Der Weg zum Licht (Hercules) - Walt Disney - E-Book

Disney. Twisted Tales: Der Weg zum Licht (Hercules) E-Book

Walt Disney

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Beschreibung

Ein weiterer starker Titel in der Reihe der "Twisted Tales"! Nachdem Hercules bewiesen hat, dass er ein wahrer Held ist und seine Gottheit wiedererlangt hat, scheint alles in der Welt wieder in Ordnung zu sein. Zumindest so lange, bis Zeus Meg sagt, dass sie nicht mit Herkules zusammen sein kann, weil sie sterblich ist. Glücklicherweise hat Hera eine Lösung und bietet Meg die Möglichkeit an, einen Platz auf dem Olymp zu bekommen. Alles, was Meg tun muss, ist, eine mysteriöse Aufgabe zu erfüllen ...

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Prolog

Vor langer Zeit …

„Immer dieselben Ausflüchte! Ich kann es nicht mehr hören!“

„Es sind keine Ausflüchte, Thea, es ist die Wahrheit!“

„Die Wahrheit? Du denkst doch wohl nicht, dass ich glaube, dass du wirklich zur Arbeit gehst, wenn du das Haus verlässt, oder?“

Die fünfjährige Megara, die im Zimmer nebenan am Fenster saß, hörte die Stimmen laut und deutlich. Der Streit wurde heftiger, doch sie verzog keine Miene. Das Streiten ihrer Eltern war so alltäglich geworden wie der Sonnenaufgang am Morgen und das Leuchten des Mondes in der Nacht. Auch ihre Mutter schien es vorauszuahnen, denn sie brachte Megara stets in das andere Zimmer, bevor der Vater bei Einbruch der Dunkelheit nach Hause kam.

„Warte hier und spiel etwas“, sagte sie dann stets und klang dabei erschöpft, obwohl der Streit noch gar nicht angefangen hatte. „Sei ein braves Mädchen und verhalte dich still.“

Normalerweise gab ihre Mutter Megara den Kreisel, den ihr Vater ihr einst geschnitzt hatte, um sie zu beschäftigen. Er war Megaras leisestes Spielzeug – aber nicht ihr liebstes. Das war die Rassel, aber die war ihrem Vater zu laut, und die Murmelnrollten überallhin. Einmal war ihr Vater versehentlich auf eine der Murmeln getreten und hatte so laut aufgeschrien, dass die Wände gewackelt hatten. Am liebsten hätte sie mit einer Puppe mit beweglichen Armen und Beine gespielt, wie die anderen Mädchen sie hatten. Aber sie ahnte, dass es besser war, ihre Eltern nicht um etwas so Teures zu bitten. Normalerweise reichte das Geld, das ihre Mutter für ihre Flickarbeiten bekam, gerade so, um die Milch für Megara zu bezahlen.

„Wo ist das Geld geblieben, das du verdient hast, Leonnatos? Wir brauchen es, um die Miete zu bezahlen! Maya wird jede Minute hier sein, um sie einzukassieren.“

Megara drehte den Kreisel zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her.

„Ich kann wohl kein Verständnis von dir für mich erwarten, wenn du den ganzen Tag mit ihr hier rumsitzt und nichts tust.“

„Mit ihr? Meinst du damit deine Tochter? Das Kind, das dir wie aus dem Gesicht geschnitten ist? Und um das du dich einen Dreck kümmerst? Ich flicke und gehe putzen, um sie ernähren zu können, weil du kein Geld nach Hause bringst!“

Megara gab dem Kreisel Schwung, ließ ihn los und sah zu, wie er so schnell über das Fensterbrett sauste, dass seine Farben miteinander verschmolzen.

„Es ist schwer genug, nur eine Person satt zu bekommen. Erwartest du ernsthaft von mir, dass ich drei Mäuler stopfe, obwohl es in Athen keine Arbeit gibt?“

„Du meinst wohl keine Arbeit, auf die du Lust hast, Leonnatos. Wenn ich mit Megara einkaufen gehe, sehe ich dich doch mit den anderen Nichtsnutzen herumstehen und den Tag vergeuden. Während ich mich abrackere, um ihr Milch kaufen zu können.“

„Es reicht!“, schrie ihr Vater.

Megara sah mit angehaltenem Atem zur Tür und fragte sich, ob er hereinstürzen und sie anbrüllen würde, wie er es manchmal tat, obwohl sie gar nichts falsch gemacht hatte.

„Ich ertrage das nicht mehr, Thea. Ich habe so ein Leben nie gewollt.“

„Aber es ist das Leben, das du jetzt führst“, antwortete ihre Mutter bekümmert. „Die Miete ist heute fällig, es ist nichts mehr zu essen da, und im Zimmer nebenan ist ein Kind, das uns braucht.“

„Damit ist es jetzt vorbei.“ Seine Stimme brach. „Du kannst dich ab sofort allein um sie kümmern. Leb wohl, Thea.“

Megara sah zu, wie der Kreisel sich taumelnd dem Rand des Fensterbretts näherte. Wenn sie ihn nicht auffing, würde er zu Boden fallen.

„Wag es nicht, wegzugehen!“, rief Megaras Mutter. „Leonnatos?“

Im Nebenzimmer wurde eine Tür geöffnet und zugeknallt.

Megaras Mutter gab einen erstickten Schluchzer von sich, dann war es still.

Der Kreisel geriet ins Wanken, bevor er zu Boden fiel, durchs Zimmer kullerte und vor der Tür liegenblieb. Megara wollte ihn holen, doch die Tür öffnete sich und stieß den Kreisel an, der quer durchs Zimmer schlitterte und unter einem Stuhl verschwand.

„Megara, pack deine Sachen.“ Ihre Mutter stürmte herein, griff nach Decken und Anziehsachen und stopfte sie in einen riesigen Sack. Ihr blasses Gesicht sah müde aus, und ihr braunes Haar hatte sie mit einer ihrer Nähnadeln hochgesteckt. „Wir müssen los, beeil dich!“

„Gehen wir auf den Markt?“, fragte Megara hoffnungsvoll. Ihr Magen knurrte, als wollte er sie daran erinnern, wie hungrig sie war. Gestern hatten sie nur ein einziges Brötchen zum Teilen gehabt. Das Geld, das ihre Mutter mit dem Flicken verdiente, reichte nie bis zum Ende der Woche. Mit viel Glück langte es am letzten Tag gerade noch für eine Mahlzeit. Als ihre Mutter heute Morgen in den Krug hineingeschaut hatte, in dem die Münzen aufbewahrt wurden, war er leer gewesen. „Vielleicht bringt dein Vater heute etwas von seinem Lohn nach Hause“, hatte sie gesagt, doch Megara hatte nicht darauf geantwortet. Ihr Vater brachte nie Geld nach Hause.

„Wir ziehen um“, antwortete ihre Mutter, ohne sie anzusehen. „Wir müssen hier weg, bevor Maya kommt, um die Miete einzukassieren. Wir können sie nicht bezahlen, weil …“ Sie atmete geräuschvoll aus. „Weil dein Vater uns nur Kummer macht.“

Megara verstand nicht. „Kummer? Ist er traurig?“

„Kann sein. Auf alle Fälle hat er uns satt“, murmelte ihre Mutter kaum hörbar und sah Megara an. Sie ließ den Sack fallen und kniete sich neben ihre Tochter. „Schau mich an, mein Kind“, sagte sie. „Dein Vater ist gegangen.“

„Und wohin ist er gegangen? Zur Arbeit?“

Ihre Mutter lachte bitter. „Nein.“ Sie sah ihrer Tochter in die Augen. Die beiden hatten die gleichen ungewöhnlichen violetten Augen. Ihre Augen waren so ungewöhnlich, dass kein Tag verging, ohne dass jemand sie darauf ansprach. „Nein. Dein Vater hat uns verlassen und wird nicht zurückkommen. Wir beide sind jetzt allein. Du musst stark sein.“

Verlassen. Megara blinzelte. Er würde nicht wiederkommen. Der Blick ihrer Mutter ließ ahnen, dass das ihr gesamtes gewohntes Leben auf den Kopf stellen würde. Tränen stiegen Megara in die Augen.

„Weine nicht, Liebes. Ohne ihn wird es uns bessergehen.“ Ihre Mutter strich Megara eine Strähne hinters rechte Ohr. „Lass dir das eine Lehre sein, mein Kind. Lass dich niemals von einem Mann kleinmachen. In dieser Welt kannst du dich auf niemand anders verlassen als auf dich selbst.“

Megara schniefte, sagte aber nichts.

Es klopfte an der Tür. „Thea? Leonnatos? Ich bin’s, Maya. Seid ihr da?“

Megara und ihre Mutter schauten einander an. Ihre Mutter legte einen Finger an die Lippen. „Nimm mit, so viel du tragen kannst, und geh zum Fenster“, flüsterte sie.

„Zum Fenster?“, wisperte Megara. Das Haus hatte nur ein Stockwerk, man brauchte also keine Angst zu haben, tief zu fallen, aber sie war noch nie aus dem Fenster geklettert. „Gehen wir nicht durch die Tür?“

„Nein.“ Ihre Mutter schob sie in Richtung Fenster und öffnete es. „Bei der Frau hilft kein Bitten und kein Flehen“, sagte sie und warf den Sack nach draußen. „Glaubst du, dass sie Mitleid mit uns hat, weil Leonnatos uns verlassen hat und wir die Miete nicht mehr zahlen können? Vergiss es. Das Einzige, was sie interessiert, sind die entgangenen Mieteinnahmen.“

„Thea? Ich weiß, dass du da drin bist!“

„Wir kommen schon irgendwo unter“, sagte Megaras Mutter, während das Klopfen lauter wurde. „Versprochen.“

Megara sah sich in dem kleinen Haus um. Sah die spärliche Einrichtung, die zerschlissene Decke auf dem Bett, in dem sie gemeinsam geschlafen hatten, den kleinen Tisch, an dem ihre Mutter genäht und geflickt hatte, die frischen Hortensien in der Vase. Diese Räume, in denen sie fünf Jahre lang gelebt hatte, waren etwas, von dem Megara ahnte, dass sie es nicht so schnell wiederfinden würde: ein echtes Zuhause.

Ihr Blick fiel auf den Kreisel unter dem Stuhl. Er war das einzige Geschenk, das ihr Vater ihr je gemacht hatte. Instinktiv lief sie hin, um ihn zu holen. In dem Moment, in dem sie den Kreisel nahm, spürte sie die Hand ihrer Mutter auf dem Rücken.

„Megara! Was machst du denn da?“, raunte Thea, nahm sie in die Arme, hob sie hoch und hievte sie aus dem Fenster.

Der Kreisel glitt Megara aus der Hand und landete im Zimmer, aber ihr war klar, dass sie ihre Mutter nicht bitten konnte, ihn wiederzuholen. Der Vater und der Kreisel waren weg. Es war sinnlos, ihnen nachzuweinen. Sie schaute auf und sah ihre Mutter nach draußen klettern.

Maya tauchte im Fenster auf. Sie sah wütend aus. „Du schuldest mir noch die Miete!“, rief sie.

Thea kümmerte sich nicht um Maya und nahm Megara an der Hand. Sie rannten los.

„Thea!“

Megara hörte Maya noch rufen, als sie am Ende der Straße in einer Menschenmenge verschwanden.

Wenn es eins gab, das Megara in ihrem kurzen Leben bereits gelernt hatte, dann war es, dass Liebe nur Ärger brachte.

Dünne Luft

In der Gegenwart …

Was für eine spektakuläre Aussicht. Das war Megs erster Gedanke, als Hercules sie hochhob und sie von einer Wolke hoch über die Stadt Theben in die Lüfte getragen wurden.

Und der zweite? Auf keinen Fall nach unten gucken.

Sie würde sich den Augenblick nicht von ihrer Höhenangst kaputtmachen lassen.

Hercules war an ihrer Seite, und das Strahlen, das von seinem Körper ausging, hüllte ihn in einen goldenen Glanz. Es war unübersehbar, dass er seine Mission erfüllt hatte. Er war jetzt ein Gott, und sie war …

Ja, was war sie eigentlich?

War sie überhaupt noch am Leben?

In den vergangenen Jahren war Meg durch die Hölle gegangen – im wahrsten Sinne des Wortes. Sie hatte ihre Seele an den Gott der Unterwelt verkauft und ihre Tage und Nächte damit verbracht, Hades zu Diensten zu stehen. Und auch wenn sie noch immer unter den Lebenden war, gehörte ihr Leben ihr längst nicht mehr.

Doch seit sie Hercules kannte, war irgendetwas anders. Sie wusste nicht genau, was es war, aber es musste bedeutsam sein. Sonst hätte sie sich wohl kaum vor eine umfallende Säule geworfen, um ihn zu retten – und dabei selbst ums Leben zu kommen. An jenen Augenblick und daran, wie Hercules sie anschließend gerettet hatte, erinnerte Meg sich nur verschwommen. Sie wusste nur, dass sie plötzlich wieder Luft bekommen hatte, bevor es geblitzt hatte und die Wolke aufgetaucht war, die sie und Hercules nun zum Olymp brachte.

Die Stadt thronte auf einem Bett aus Wolken, die von der Sonne angestrahlt wurden. Der prächtige Wohnort der Gottheiten ragte hoch in den Himmel hinein, und die Wolkengipfel trugen verschiedene Gebäude und Wasserfälle. Als ihre Wolke vor einer riesigen Treppe anhielt, die zu dem gleißenden Tor zum Olymp emporführte, ertönte Jubel. Sämtliche Götter und Göttinnen des Olymps standen rechts und links der Treppe Spalier, um Hercules zu gratulieren.

„Ein dreifaches Hoch auf den mächtigen Hercules“, riefen sie, während sie Blumen und Küsse in die Luft warfen.

In diesem Moment landete Pegasus mit Phil auf einer Wolke in der Nähe. Der Satyr fing eine gelbe Blume aus der Luft und verspeiste sie genüsslich.

„Du hast es geschafft, Kleiner!“

„Ist das nicht unglaublich?“, sagte Hercules zu Megara. „Sie jubeln meinetwegen!“

„Du hast es verdient“, antwortete sie – denn genau so war es. Doch plötzlich beschlich sie ein ungutes Gefühl.

Phils Anwesenheit hier war nicht weiter verwunderlich – er hatte Hercules auf der Erde trainiert und ihm geholfen, ein Held zu werden. Aber wie kam sie zu einem Logenplatz bei diesem Fest? Ihr Gehorsam Hades gegenüber hatte Hercules fast um diesen Augenblick gebracht. War den Olympischen klar, dass die Frau, die neben dem frischgebackenen Gott stand, beinahe dessen Träume vernichtet hätte?

„Meg?“

Sie schaute auf. Hercules streckte ihr seine Hand entgegen.

„Kommst du?“

Sie zögerte und sah zwischen ihm, seinen Bewunderern und den großen Stufen zum Olymp hin und her. Gedanken stürmten auf sie ein, und nicht alle waren erfreulich.

Gut möglich, dass Hercules sie bei sich haben wollte. Aber es war sonnenklar, dass Sterbliche unter den Göttern auf dem Olymp nichts zu suchen hatten. Hercules war jetzt ein Gott. Was bedeutete das für sie beide?

Wenn sie sich nicht täuschte, durften Sterbliche und Götter nicht miteinander ausgehen. Wäre dies ihr letztes Beisammensein? Wenn ja, dann verpatzte sie es gerade komplett, indem sie einfach nur dastand. Und nichts von alldem sagte, was sie ihm sagen wollte …

Wobei, was war das eigentlich?

Vielleicht, dass er sie gelehrt hatte, Dinge zu würdigen, die sie vorher gar nicht wahrgenommen hatte – duftende blühende Lilien oder das Lächeln eines Kindes auf dem Markt. Dass sein ansteckender Optimismus ihr ihre Energie wiedergegeben hatte. Und wie sehr sie die Treffen mit ihm genossen hatte, wenn er sich von seinem Training fortgeschlichen hatte – und sie sich von ihren furchtbaren Verabredungen mit Hades.

Sie hatten endlose Spaziergänge gemacht und sich dabei unterhalten. Ihre Gespräche hatten ihre Horizonte erweitert und ihre Weltsicht weit über den Olymp und die Unterwelt ausgedehnt. Und dann waren da diese kleinen Zärtlichkeiten gewesen. Hercules hatte ihr das Haar aus der Stirn gestrichen, und sie hatte ihn geneckt, weil sie es liebte, wenn seine Ohrenspitzen rot wurden. Diese Begegnungen hatten ihnen ganz allein gehört. Oder vielleicht doch nicht? Hatten die Olympischen gewusst, dass sie sich trafen? Und wenn ja – was dachten sie darüber?

Also, es gab einiges, das sie ihm gern gesagt hätte. Außerdem hatte Meg keine Ahnung, was der frisch gebackene Gott vor ihr über all das dachte. Und sie wollte es zu gern wissen. Aber wie sollte sie ihn fragen, in diesem Moment, auf den er so hart hingearbeitet hatte … und während sämtliche Götter des Olymps zusahen?

Auf einmal ging ein Raunen durch die Menge. Meg folgte den Blicken der anderen und sah die zwei Gestalten, die oben auf der Treppe erschienen waren. Zeus und Hera sahen respekteinflößend aus. Zeus war ein Kraftpaket mit langem weißem Bart, wallendem Haar und Muskeln, die aussahen, als würden sie mehreren Männern gehören, und Hera eine pink gewandete Schönheit mit lockigem Haar und glitzerndem Kleid.

Hercules wandte sich ihr noch einmal zu, bevor er die Treppe hinauflief. Meg sagte nichts und starrte auf seine muskulösen Waden, während er die Stufen im Flug nahm. Und sie konnte nur eines denken: Hätte ich doch nur seine Hand genommen!

Super, Meg! Hercules will, dass du ihn begleitest, und du stehst hier rum wie eine Statue. Warum hatte sie nicht mit ihm gesprochen? Ihm nicht gesagt: Wunderknabe, ich möchte, dass du bei mir bleibst. Bitte werde kein Gott. Wahrscheinlich, weil das egoistisch geklungen hätte. Und welches Recht hatte sie schon, solche Ansprüche an ihn zu stellen, nachdem sie beinahe alles vereitelt hätte? Vielleicht sollte sie ihm einfach die Wahrheit sagen. Aber wie, wenn sie doch gar nicht so genau wusste, was sie für ihn empfand?

Als Meg ihn oben am Tor ankommen sah, zog sich ihr Herz zusammen. „Geh nicht“, flüsterte sie.

Er war zu weit weg, um sie zu hören.

„Hercules“, sagte seine Mutter und schloss ihn in die Arme. „Wir sind so stolz auf dich.“

„Hervorragend, mein Sohn.“ Zeus knuffte ihn freundschaftlich in den Arm. Seine Augen, die ebenso blau waren wie die von Hercules, strahlten vor Stolz. „Du hast es geschafft! Du bist ein wahrer Held.“

Auf einmal spürte Megara Heras Blick auf sich. Und auch alle anderen anwesenden Götter wandten sich ihr zu, der einzigen Sterblichen hier oben in den Wolken. Meg wand sich. Die plötzliche Aufmerksamkeit der Unsterblichen war ihr unangenehm.

„Du warst bereit, dein Leben zu opfern, um diese junge Frau zu retten“, sagte Hera anerkennend.

Megara konnte selbst kaum glauben, dass Hercules sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um ausgerechnet sie zu retten. Doch nun waren sie beide hier.

Geh nicht. Geh nicht.

„Ein wahrer Held wird nicht an der Größe seiner Kraft gemessen, sondern an der Kraft seines Herzens“, sagte Zeus und legte seinem Sohn einen Arm um die Schultern. „Und nun, mein Sohn, darfst du endlich nach Hause kommen.“

Das Tor zum Olymp öffnete sich und gab den Blick auf eine Welt frei, für die Meg keine Worte hatte. Es war einfach nur himmlisch. Eine Welt, in der Sterbliche wie sie nichts zu suchen hatten.

Beim Anblick all dessen stockte ihr Herz, an dessen Klopfen sie sich doch gerade erst wieder gewöhnt hatte. Hercules würde jede Sekunde durch dieses Tor gehen und nie wieder zurückkommen. Sie konnte es ihm nicht verübeln. Zeus bot ihm, wovon Hercules immer geträumt hatte: Unsterblichkeit, eine Familie und ein Zuhause.

Ein Zuhause. Davon träumte wohl jeder. Sie hatte nie ein echtes Zuhause gehabt. Jahrelang war sie immer wieder umgezogen und nie lange genug irgendwo geblieben, dass es sich gelohnt hätte, etwas an die Wand zu hängen. Noch nie hatte sie an einem Ort gelebt, an den sie sich zurückgesehnt hätte. Noch nie hatte sie sich irgendwo geliebt und geborgen gefühlt.

Obwohl, eine kurze Zeit lang hatte sie sich zuletzt natürlich so gefühlt. Aber sie sah ja, was dabei herausgekommen war.

Die übrigen Götter versammelten sich um Hercules und ließen den verlorenen und wiedergefundenen Jungen hochleben. Als Meg einen lauten Schluchzer hörte, blickte sie sich suchend nach der weinenden Person um. Aphrodite, die Göttin der Liebe, eine in Purpur gekleidete Schönheit, wurde von einer grünen Göttin mit einer Kopfbedeckung aus Blättern getröstet. Meg wusste nicht, wer sie war.

„Unglaublich, dass wir unseren Hercules endlich zurückhaben!“

Aphrodite wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Ich freue mich so für seine Eltern! Hera hat so lange darauf gewartet, ihren Sohn wiederzusehen.“

„Na ja, sie hätte ihn viel früher wiedersehen können, aber du kennst ja Zeus. Der ist eher pragmatisch. Ich will bei einem so erfreulichen Ereignis keine schlechte Stimmung verbreiten. Ist ja nur ein Gerücht …“

Aphrodite näherte sich der anderen Göttin. „Ach. Was denn für ein Gerücht, Demeter?“

Demeter war die Göttin der Ernte – zu ihr hatte Megs erster Freund immer gebetet, wenn er die Saat für das kommende Jahr ausgebracht hatte. Megara lauschte gebannt, um nichts von dem zu verpassen, was die dralle grüne Göttin mit den knallrosa Lippen sagte.

„Ich habe gehört, dass Hera so untröstlich darüber war, dass Hercules gestohlen worden war, dass Zeus sich aufgemacht hatte, ihn zu finden – was ihm auch geglückt ist. Aber als er merkte, dass der Junge ein Sterblicher war, entschied er, ihn nicht mitzunehmen. Die Moiren hatten vorhergesagt, dass Zeus’ Sohn der Einzige sei, der die Titanen stoppen könnte – und zwar in seinem achtzehnten Lebensjahr. Darum beschloss Zeus, erst einmal abzuwarten. Jetzt hat er den Jungen voll ausgebildet und stark genug für zukünftige Schlachten zurück.“

„Nein! Er hat das Kind einfach auf der Erde zurückgelassen? Es würde Hera das Herz brechen, wenn sie das wüsste“, erwiderte Aphrodite ungläubig.

Heiliger Zeus! Megara fragte sich, ob das tatsächlich wahr sein konnte.

Demeter zuckte nur mit den Schultern und schwenkte halbherzig einen Palmwedel durch die Luft, um zur Feier beizutragen. „Na ja, es ist nur ein Gerücht. Aber ich sage dir, ich hätte meine Tochter gar nicht erst in einer Wiege allein gelassen. Und ganz sicher würde ich sie nicht allein auf der Erde zurücklassen. Wenn ich nur wüsste, wo sie ist, würde ich vor nichts zurückschrecken, um sie zurückzuholen. Wirklich vor nichts.“

Aphrodite tätschelte Demeter den Rücken. „Wir finden Persephone schon wieder! Mach dir keine Sorgen. Ich bin sicher, dein Mädchen streicht wieder nur irgendwo durch die Wiesen und Felder, wie sie es so gerne tut.“

„Kann sein. Aber bald muss sie sich auf der Erde um die Ernte kümmern“, sagte Demeter und sah zu, wie Zeus sich für seinen Sohn feiern ließ. „Egal, ich werde jedenfalls nicht ruhen, bis ich sie gefunden habe.“

Phil sauste grußlos zwischen Meg und den Göttinnen hindurch und rannte die Treppe hinauf, so schnell ihn seine kleinen Hufe trugen. Megara sah ihm geistesabwesend hinterher. Ihr ging nicht aus dem Kopf, was Demeter gesagt hatte. Ob Hercules wusste, dass sein Vater ihn ausfindig gemacht und die ganze Zeit gewusst hatte, wo er war, ihn aber nicht heimgeholt hatte?

Die Vorstellung ließ sie frösteln. Sie versuchte, nicht an das Gerücht zu denken, es nicht an sich herankommen zu lassen. Sie hatte genügend andere Sorgen. Zum Beispiel, dass sie in diesem für Hercules so bedeutenden Moment Abschied von ihm nehmen musste. Durch ihn hatte sie ein ganz neues Leben kennengelernt – eines, in dem es honoriert wurde, wenn man Opfer brachte, in dem die Menschen gut waren und in dem Helden die Welt retteten. Doch nun würde sie allein auf die Erde zurückkehren. Keiner wartete in Theben auf sie. Das war vorbei.

Sie konnte die Schuld für ihr Unglück niemand anders zuschieben. Wie hatte ihre Mutter immer gesagt? Verlass dich auf niemanden als auf dich selbst. Und sie hatte recht gehabt. Nachdem ihr Vater abgehauen war, hatte sie erst ihre Mutter und dann ihren ersten Freund verloren. Wann würde sie endlich lernen, dass die Liebe ein gefährliches Spiel war? Was wunderte sie sich da noch, dass sie nun auch Hercules verlieren würde?

Meg spürte, dass ihr Tränen in die Augen steigen wollten, doch sie ließ es nicht zu. Sie hatte keine Ahnung, was sie danach tun sollte, aber zuerst einmal wollte sie auf dieser Wolke stehen und Hercules ansehen, bis er hinter dem Tor zum Olymp verschwand. Er war zu Hause angekommen, und sie freute sich wirklich für ihn – auch wenn sie immer noch den unwiderstehlichen Drang verspürte, zu schreien: Geh nicht!

„Meinen Glückwunsch, Wunderknabe“, sagte sie stattdessen leise und sah ein letztes Mal zu ihm, bevor sie sich umdrehte und ging. „Du wirst bestimmt ein toller Gott.“

Sie hatte erst wenige Schritte gemacht, als jemand ihre Hand ergriff.

Überrascht drehte sie sich um. Hercules stand neben ihr.

„Vater, von diesem Augenblick habe ich mein Leben lang geträumt“, hörte sie Hercules sagen, „aber ein Leben ohne Meg, besonders ein unsterbliches Leben, würde so leer sein.“ Er zog sie an sich und schaute ihr in die Augen. „Ich will mit ihr auf der Erde bleiben.“

Hatte sie richtig gehört? „Wie bitte? Bist du sicher?“, flüsterte Meg.

„Ja, endlich weiß ich, wo ich hingehöre …“, sagte er. „Zu dir.“ Er nahm sie in die Arme und küsste sie.

Meg hörte die Götter jubeln. Und dieses Mal feierten sie nicht nur Hercules, sondern sie beide und ihre so unwahrscheinliche Liebe.

Sie lachte und fürchtete gleichzeitig, jeden Moment vor Glück zu weinen. Sie sah Hercules in die blauen Augen und wusste nicht, was sie sagen sollte. Aber das war nicht weiter schlimm. Es bestand keine Eile. Jetzt hatten sie Zeit. Viel Zeit. Wunderknabe würde mit ihr auf die Erde zurückkehren, wo sie ein ganzes Leben vor sich hätten. War in ihrem Leben endlich einmal etwas gut ausgegangen? Es schien unglaublich, doch dieser Kuss war der Beweis. Und die Götter waren einverstanden. Sie freuten sich für sie. Sie …

„Nein.“

Nein? Sie musste sich verhört haben. Doch Zeus’ versteinerte Miene verriet Meg, dass der Göttervater tatsächlich ihre Beziehung beendet hatte, bevor sie richtig begonnen hatte.

Ein Sinneswandel

Niemand sprach ein Wort. Alle starrten entweder Zeus oder dessen frisch gesalbten Sohn an. Der wiederum sah aus, als verstünde er gar nichts mehr.

„Vater?“, fragte Hercules, Meg immer noch fest in den Armen.

„Ich habe Nein gesagt, mein Junge“, wiederholte Zeus.

Die anderen Götter spürten wohl, dass Ärger in der Luft lag, und verkrümelten sich. Es war klar, dass niemand Zeus ins Gehege kommen wollte. Nur Hera blieb an seiner Seite und hörte ihrem Mann geduldig zu. Phil ging zurück zu Pegasus, stieg auf seinen Rücken und flog mit ihm davon, ohne sich zu verabschieden. Nun hatte Meg keine Möglichkeit mehr, hier wegzukommen.

„Wir haben eine halbe Ewigkeit darauf gewartet, dass du zurückkommst und an unserer Seite Platz nimmst“, erklärte Zeus. „Und nun, wo du endlich hier bist, willst du das alles aufgeben und ein Mensch bleiben?“

„Nein … nein, aber ich will mit Meg zusammen sein“, antwortete Hercules und fuhr sich mit der Hand durchs Haar, wie er es immer tat, wenn er nervös war. „Könnte sie nicht einfach hierbleiben, falls ich nicht zurückkann?“

„Nein“, donnerte Zeus. „Sterbliche haben auf dem Olymp nichts zu suchen.“

Das Wort Sterbliche spie er aus, als halte er diese für den letzten Abschaum. Wir sind doch diejenigen, die die Götter preisen, ihnen Opfer bringen und ihnen dienen. Aber sie sind sich zu fein für uns? Meg fühlte sich angegriffen, obwohl sie eben selbst noch gedacht hatte, dass sie hier nicht hingehörte.

„Zeus“, wollte Hera ihn unterbrechen, doch er ignorierte ihren Einwand.

„Sohn, als du meinen Tempel besucht hast, war ich so dankbar, dass du am Leben bist und es dir gut geht.“ Er nahm Heras Hand und lächelte. „Deine Mutter und ich haben immer gehofft und gebetet, dass du noch irgendwo da draußen bist und wir dich eines Tages finden. Nun hast du uns gefunden.“

Meg dachte an das, was Demeter gesagt hatte, und bekam eine Gänsehaut. Er lügt, dachte sie.

„Dazu musstest du dich als Held erweisen“, fuhr Zeus fort. „Du hast jedes Ungeheuer besiegt, das dir geschickt wurde! Du hast dich als selbstloser Kämpfer erwiesen. Du verdienst es, wieder zum Gott zu werden. Und Götter gehören, wie du weißt, hierher. Du hast deine Zeit auf der Erde mit den Sterblichen verbracht, und es freut mich für dich, dass du dich dort mit der da vergnügt hast.“ Zeus warf einen despektierlichen Seitenblick auf Meg. „Aber ab sofort ist dein Platz hier an unserer Seite.“

Hercules ließ Meg los. „Aber Vater …“

Ihr wurde eiskalt. Es freut mich für dich, dass du dich dort mit der da vergnügt hast? Meinte Zeus das ernst? Wie kam er dazu, über ihre Beziehung zu urteilen und Hercules’ Liebe zu ihr einfach so abzutun? Obwohl – eigentlich war das nicht weiter verwunderlich. Als ihr erster Freund im Sterben gelegen hatte, war es nicht Zeus gewesen, der ihn gerettet hatte, sondern Hades.

Megara spürte, wie ihre Wut entflammte. Außerdem – wenn das, was Demeter gesagt hatte, wahr war, hätte Zeus Hercules schon viel früher zu sich zurückholen können. Wenn Hercules wirklich hierbliebe, musste er wissen, was sein Vater getan hatte.

„Warte! Hercules, ich muss dir etwas sagen!“, rief Meg atemlos. Ihr war ein wenig schwindelig. Die Höhenluft fing an, ihr zuzusetzen. „Zeus hat dich auf der Erde zurückgelassen, bis du erwachsen warst, weil er dich braucht, um die Titanen zu besiegen.“

„Was?“, flüsterte Hercules und sah so verletzt aus, dass sich Megs Herz zusammenzog.

„Zeus, ist das wahr?“, fragte Hera, deren Miene ebenso schmerzvoll war wie die ihres Sohnes.

Zeus wich ihrem Blick aus. Zornesröte stieg ihm ins Gesicht.

„Woher willst du das wissen?“, fragte Hercules.

„Ich habe zufällig gehört, wie jemand davon erzählt hat“, antwortete Meg. Demeters Namen ließ sie geflissentlich aus – es reichte, wenn eine Gottheit wütend auf sie war. „Er hätte dich schon viel früher zu sich holen können“, fuhr sie fort und spürte, wie ihr bei dem Gedanken, dass Hercules für seinen eigenen Vater nur eine Schachfigur gewesen war, ganz heiß wurde. „Und jetzt will er dich nur bei sich behalten, damit du für ihn in den Kampf ziehst.“

Hercules ließ die breiten Schultern hängen.

„Es tut mir leid. Aber ich fand, du solltest wissen, worauf du dich einlässt“, sagte Meg

„Vater?“ Hercules sah zu Zeus auf.

Der Herrscher des Olymps stierte Meg an. „Wem willst du Glauben schenken, mein Sohn? Mir oder dieser Sterblichen?“

Meg funkelte den Gott an. „Ich bin nicht diejenige, die eingeschlafen ist und sich ihr eigenes Kind hat stehlen lassen.“

Kaum hatte sie das ausgesprochen, wusste sie, dass es ein Fehler gewesen war.

Zeus’ Gesicht nahm einen puterroten Ton an. Gleichzeitig schien er auf das Dreifache seiner Größe anzuwachsen. Hinter ihm verdüsterte sich der Himmel. Blitze zuckten. Hercules stellte sich schützend vor Megara und legte ihr eine Hand auf den Arm, doch Meg entwand sich seinem Griff. Sie hatte jahrelang bei Hades in der Unterwelt gelebt und keine Angst davor, Zeus die Stirn zu bieten.

„Du wagst es, meine Entscheidungen in Frage zu stellen, Megara?“, donnerte Zeus. Die Gewitterwolken kamen näher, und die Blitze schlugen bedrohlich unweit von der Stelle ein, an der Meg und Hercules standen. „Die Frau, die alles darangesetzt hat, meinen Sohn daran zu hindern, seine Mission zu vollenden?“

Vielleicht war es doch besser, ein bisschen Angst vor Zeus zu haben. Zumal er offenbar genau wusste, was sie getan hatte.

„O ja, ich weiß alles über dich, Megara“, fuhr er fort. „Ich nehme an, ich weiß mehr über dich als mein Sohn.“

Meg spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Es stimmte – sie hatte Hercules nicht alles gesagt.

„Du hast im Auftrag meines Bruders versucht, Hercules mit Hinterlist davon abzuhalten, seinen rechtmäßigen Platz an meiner Seite einzunehmen. Und du willst, dass ich ihn mit dir auf die Erde zurückkehren lassen?“

„Ich …“, setzte Meg an, sich zu erklären, aber Zeus war nicht zu stoppen.

„Glaubst du etwa, dass du meinen Sohn an deiner Seite halten kannst, indem du ihn gegen mich aufbringst?“, zürnte er. „Du hast die Liebe eines Gottes nicht verdient!“

„Vater, sie hat mir das Leben gerettet“, rief Hercules.

Es hörte auf zu blitzen.

„Mag sein“, sagte Zeus und schrumpfte wieder auf seine normale Größe. „Und es ist wahr, dass ich dich früher hätte holen können, mein Sohn“, fuhr er mit reuiger Stimme und einem Seitenblick auf seine Frau fort. „Aber ich sah keinen Grund, deine Kindheit zu zerstören, wenn dich so gute Menschen wie Amphitryon und Alkmene beschützten und deine Identität geheim hielten, bis du alt genug warst, um für dein Recht, wieder ein Gott zu werden, zu kämpfen. Denn das war wirklich notwendig. Nur ein Gott kann den Olymp sein Zuhause nennen, und du musstest erst einmal in deine Rolle hineinwachsen. Es wäre dumm und egoistisch gewesen, dich zu drängen.“ Er sah Meg an. „Darum habe ich auf die Zeit mit dir verzichtet, mein Sohn – nicht, weil ich dich nicht gewollt hätte.“

Megs Wangen glühten. Sie wandte den Blick ab.

„Ich wollte dich beschützen“, fügte Zeus hinzu. „Kannst du bezüglich Hercules’ Zeit auf der Erde das Gleiche von dir sagen, Megara?“

Meg schaute zu Boden. Sie kannte die Antwort so gut wie er.

„Es tut mir leid, aber diese Sterbliche hat deine Liebe nicht verdient“, sagte Zeus. „Meine Entscheidung ist endgültig. Du bleibst hier, und sie verschwindet auf der Stelle.“

„Nein!“ schrie Hercules.

Hera kniff die Augen zusammen.

„Hermes!“, brüllte Zeus, und sein treuer Bote mit dem geflügelten Hut kam schnurstracks herbeigeflogen.

„Du hast mich gerufen?“ Vor dem Gott schwebend wischte Hermes seine beschlagenen Brillengläser ab, um die Anwesenden besser zu sehen.

„Ja. Bring Megara zurück auf die Erde.“ Zeus’ Miene entspannte sich ein wenig, als er sich seinem Sohn zuwandte. „Ich gewähre dir etwas Zeit, um dich zu verabschieden“, sagte er, bevor er die Stufen zum Tor emporglitt und die Unwetterwolken begannen, sich aufzulösen.

Hercules sah zwischen Zeus und Meg hin und her. „Ich … du … Geh nicht weg. Ich rede mit ihm.“ Er rannte Zeus hinterher. „Vater!“

Hermes flog zu Meg. „Alle Achtung, du weißt, wie man den Chef zur Weißglut bringt. Bist du bereit zur Abreise?“

„Gibst du uns ein Minütchen, Hermes?“, fragte Hera, die nun ebenfalls vor Meg aufgetaucht war.

Hermes flog davon, und die beiden Frauen musterten einander. Hera war blendend schön und unendlich majestätisch mit ihrem pinkfarbenen, am Hinterkopf aufgetürmten Haar und dem glitzernden Kleid, das in der leichten Brise flatterte und dessen Ärmel von goldenen Ringen gehalten wurden. Anders als Zeus sah sie die Sterbliche, die vor ihr stand, mit offenem, fast schon neugierigem Blick an und streckte ihr eine Hand entgegen.

„Ich denke, wir sollten uns einmal unterhalten“, sagte die Göttin.

Meg holte tief Luft. „Also, das, was ich eben gesagt habe …“

„Das kläre ich später mit Zeus. Mit dir will ich über etwas anderes reden. Ich möchte gern wissen, warum du das Bedürfnis hattest, meinen Sohn über seinen Vater aufzuklären. Hast du gehofft, damit seine Gunst zu gewinnen?“

„Nein. Ich fand einfach nur, dass er es wissen sollte.“

„Weil …?“, hakte Hera nach.

„Weil niemand mit einer Lüge leben sollte“, antwortete Meg.

„Und?“

Hera wollte ihr offenbar etwas ganz Bestimmtes entlocken. Meg dachte nach. „Und … ich verdanke ihm sehr viel. Er hat mein Leben verändert.“

Hera kam näher. Jetzt, da Meg sich an das Licht gewöhnt hatte, das von der Göttin ausging, bemerkte sie, dass Hercules die großen Augen von ihr hatte. Die von Zeus hatten das gleiche leuchtende Blau, aber in Heras und Hercules’ Blick lag eine Güte, die beruhigend auf Meg wirkte. „Und wie hat er das gemacht?“

Meg schloss die Augen und dachte an Hercules. Dachte an ihr Rendezvous auf einer abgelegenen Wiese, an das Überraschungspicknick an einem Ufer – bei diesen Treffen war sie so glücklich gewesen wie lange nicht. Er hatte ihren Körper aus dem Styx und ihre Seele vor Hades gerettet, aber das war noch nicht alles. Wenn sie zusammen waren, fühlte sie sich federleicht. An seiner Seite hatte sie das Gefühl, dort zu sein, wo sie hingehörte.

Aber konnte sie all das seiner gerade erst wiedergefundenen Mutter sagen? Auf keinen Fall. Also sagte sie nur: „Er hat mir mein Leben zurückgegeben.“

„Verstehe. Ist das der einzige Grund dafür, dass du möchtest, dass mein Sohn mit dir auf die Erde zurückkehrt?“ Hera legte einen Finger an ihr Kinn. Sie sah nachdenklich aus. „Ich gehe mal davon aus, dass du möchtest, dass er auf die Erde zurückkehrt. Du hast jedenfalls nicht protestiert, als er es vorgeschlagen hat.“ Ein leises Lächeln umspielte ihre pinkfarbenen Lippen.

„Ich …“ Meg sah sich nach Hercules um, der wild gestikulierend mit seinem Vater diskutierte. „Ich würde natürlich gern noch mehr Zeit mit ihm verbringen, aber wenn er hierbleiben möchte …“ Sie spürte, wie ihr ein Kloß in die Kehle stieg, und schluckte. Auf keinen Fall würde sie vor Heras Augen weinen. „Ich möchte, dass er glücklich ist. Das hat er verdient.“

Hera nickte. „Und du hast du es nicht verdient, glücklich zu sein, Megara? Ich vermute, du machst ihn glücklich. Und wenn er hierbleibt und du zurückgehst, wird wohl keiner von euch glücklich sein.“

Sie sah zu ihrem Gatten und ihrem Sohn hinauf, die noch immer stritten. „Nein, das, was mein Mann sich in den Kopf gesetzt hat, geht definitiv nicht. Wir müssen uns etwas anderes überlegen.“

War das ein Friedensangebot? Von Hera? Meg atmete tief durch. Auf keinen Fall durfte sie jetzt etwas Falsches sagen. „Was schlagen Sie vor?“

Hera sah sie noch immer ernst an. „Das hängt davon ab. Liebst du meinen Sohn?“

„Ob ich ihn liebe?“ Meg wich einen Schritt zurück und dachte unvermittelt an etwas, das sie zu Hercules gesagt hatte, als sie in Theben im Sterben gelegen hatte. Schon verrückt, was Menschen alles tun, wenn sie verliebt sind.

Ist es das, was ich für ihn empfinde? Liebe?

Habe ich mich in einen Gott verliebt?

Nein.

Ja.

Vielleicht.

Woher sollte sie das wissen? Sie und Hercules kannten sich noch nicht lange. Natürlich waren sie einander vertrauter geworden, doch als sie ihm jene Worte gesagt hatte, war sie sicher gewesen, dass sie sterben würde. Und vor ihrer Zeit mit Hercules hatte sie die Liebe als etwas Kompliziertes und Schmerzhaftes kennengelernt. Mit dem Wunderknaben wäre es vielleicht anders geworden, wenn sie eine Chance miteinander gehabt hätten. Tja, wenn … Sie hatte keine Ahnung, was sie tun sollte, nachdem sie diese Wolke verlassen hätte, und erst recht nicht, wenn es Hercules in ihrer Welt nicht mehr geben würde.

Ob Hera ihr eine Chance anbot, das Schicksal noch einmal zu wenden?

Meg überlegte. Wenn sie und Hercules Zeit bekämen, um zu sehen, was sie füreinander waren, sofern sie sagte, dass sie ihn liebte … was konnte es dann schaden, es zu sagen?

„Selbstverständlich“, erwiderte sie mit fester Stimme.

Hera verschränkte die Hände und lächelte. „Wunderbar! Dann gibt es nur eine Lösung: Du musst eine Göttin werden.“

Meg traute ihren Ohren nicht. „Pardon. Wie bitte?“