Disney Villains 4: Das Geheimnis der Dunklen Fee - Walt Disney - E-Book
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Disney Villains 4: Das Geheimnis der Dunklen Fee E-Book

Walt Disney

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Beschreibung

Ein zeitloses Märchen aus einem ganz anderen Blickwinkel! Die Geschichte von Dornröschen wird erzählt, als handele es sich um einen bösen Traum: Die Prinzessin trifft ihren Prinzen im Wald. Sie findet heraus, dass sie von einer dunklen Fee verflucht wurde, sich ihren Finger an einer Spindel zu stechen und in einen ewigen Schlaf zu fallen. Ihre drei guten Feen können den Fluch nur mildern. Aber die Macht des Guten hält an und ihr Held erweckt die Prinzessin mit einem Kuss. Und doch ist dies nur die halbe Wahrheit. Was ist mit der dunklen Fee? Warum verflucht sie die unschuldige Prinzessin? Was führte dazu, dass sie so voller Bosheit, Wut und Hass steckt? Spannend neu erzählte Version des Dornröschen-Märchens.

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Im Gedenken an meine kleine Schwester Jesse. Meine eigene, wunderschöne dunkle Fee.—Serena Valentino

Prolog

Das Schloss der Dunklen Fee zeichnete sich als schwarzer Umriss gegen den stürmischen Himmel ab, den die weitläufigen Arme eines Wirbels aus grünem Nebel erhellten. Ein blendender Blitz aus grünem Licht schoss plötzlich aus dem höchsten Turm hervor und warnte jede Kreatur im Umkreis, dass Maleficent außer sich war vor Zorn. Das gesamte Schloss erbebte unter dem Ausmaß ihrer Wut, sodass Maleficents Handlanger erschauderten und selbst ihr geliebter Schwarm Krähen krächzend das Weite suchte. Beinahe sechzehn Jahre lang hatten ihre Untertanen nach Prinzessin Aurora gesucht. Doch vergeblich. Und jetzt war das Mädchen für seinen sechzehnten Geburtstag in König Stefans Schloss zurückgekehrt und bereitete sich darauf vor, seinen Platz am königlichen Hof einzunehmen. In ihren privaten Gemächern stürmte Maleficent erzürnt auf und ab. Weder mit ihren Raben noch mit ihren Krähen war es ihr gelungen, Kontakt zu den verdrehten Schwestern aufzunehmen.

„Warum haben sie auch nicht auf mich gehört?“, schnaubte sie aufgebracht. „Sie hätten Ursula niemals vertrauen dürfen!“

Maleficent brauchte die Schwestern jetzt mehr denn jemals zuvor und befürchtete, dass sie sich außerhalb ihrer Reichweite aufhielten. Sie stellte sich vor den verzauberten Spiegel, der an ihrer Wand hing. Die drei Schwestern hatten ihn ihr vor vielen Jahren geschenkt.

„Zeig mir Lucinda! Zeig mir Ruby! Zeig mir Martha!“, befahl sie. Leuchtend violettes Licht tanzte über die Oberfläche des Spiegels. Die Dunkle Fee hatte die Kunst der Spiegelmagie nie so vollständig gemeistert wie die verdrehten Schwestern, und sie machte nur selten von ihrem Geschenk Gebrauch. Trotzdem erschienen nach einem kurzen Augenblick die verschwommenen Abbilder der Schwestern hinter dem Glas. Sie irrten ziellos durch einen großen Raum voller Spiegel. Maleficent konnte ihre Worte nicht ausmachen, obwohl alle drei scheinbar unablässig denselben Namen riefen.

„Lucinda! Hörst du mich? Schwestern! Ich brauche euch!“, rief Maleficent. Für einen kurzen Moment glaubte sie, dass die Schwestern sie tatsächlich gehört hatten, denn alle drei blieben abrupt stehen.

„Schwestern! Wo seid ihr? Ich brauche eure Hilfe mit Aurora!“, schrie Maleficent.

Mit einem Mal war Lucindas Gesicht etwas deutlicher im Spiegel zu sehen. Ihre Umrisse flackerten in dem magischen Wirbel aus violettem Dunst, während sie der Dunklen Fee hastig Anweisungen zurief.

„Maleficent, du musst in dieses Schloss hineingelangen! Geh mit Feuer! Geh mit Rauch! Geh mit Reim! Geh, auf welche Art auch immer, aber geh! Wenn es sein muss, erschaffe das irdische Mittel zu ihrem Verhängnis selbst und schicke sie ins Reich der Träume. Wir werden dort auf sie warten. Aber du musst einen Weg finden, um sicherzustellen, dass sie niemals erwacht! Unsere Kräfte sind an diesem Ort nicht dieselben. Es liegt nun allein bei dir! Geh jetzt!“

Und so schnell, wie sie erschienen war, war Lucinda auch wieder verschwunden. Maleficent sah nur noch das Spiegelbild ihres eigenen grünen Gesichts hinter dem Glas. So oft sie auch nach Lucinda und ihren Schwestern rief, es gelang ihr einfach nicht, sie ein weiteres Mal heraufzubeschwören. In ihrem Zorn zerschlug sie den Spiegel mit ihrem Stab in unzählige Stücke und verfluchte die verdrehten Schwestern einmal mehr für ihren Leichtsinn.

Immer noch wütend wandte Maleficent sich an ihren geliebten Raben Diablo, der sich auf ihrer Schulter niedergelassen hatte.

„Die verdrehten Schwestern haben sich anscheinend im Reich der Träume verloren. Ich hatte sie gewarnt, dass so etwas geschehen würde, wenn sie Ursula helfen! Aber die Närrinnen wollten ja nicht auf mich hören!“

Maleficent verstärkte den Griff um ihren Stab, bis der grüne Kreis an seinem Ende zu leuchten begann.

„Ich werde Feuer, Rauch und Reim verwenden! Diese lästigen Feen dachten, dass sie ihre geliebte Rose vor mir verborgen halten könnten. Sie dachten, dass sie sie beschützen könnten. Aber ich weiß, dass der König und die Königin ihre kostbare Prinzessin in diesem Augenblick bei sich im Schloss haben!“

Maleficent stürmte zu ihrem Kamin hinüber. „Ich werde das Feuer nutzen!“, rief sie und ließ ihren Stab schwungvoll auf den steinernen Boden aufschlagen. Ein Donnerschlag grollte durch das Schloss, als eine große Stichflamme in Maleficents Kamin aufloderte, gefolgt von einem ganz ähnlichen Flackern in Prinzessin Auroras Gemach. Durch die Flammen hindurch sah Maleficent Aurora weinen.

„Das arme Ding weiß nicht, dass es mit seiner großen Liebe verlobt ist! Nun, umso besser. Jetzt werde ich mir den Reim zunutze machen“, murmelte Maleficent und ließ die Flammen erlöschen. Sie schloss die Augen, während die Worte ihres dunklen Zaubers in ihren Gedanken widerhallten.

Bring mich zu der Rose zart,

erfüll das Schicksal, das ihr harrt.

Durch Rauch, durch Feuer und durch Nacht

berühr die Spindel, die ich erdacht.

Schlaf überkommt die Ros’ im Nu,

hält sie gefangen wie Totenruh.

Ein winziges Rauchfähnchen kringelte sich unheilverkündend aus Auroras Kamin in die Höhe. Maleficents gelbe Augen glühten aus der Dunkelheit der Feuerstelle, als sie in König Stefans Schloss Gestalt annahm.

Bezaubre die Rose mit hellstem Licht,

schür Angst, Schrecken und auch Sorge nicht.

Lock sie fort, ganz ohne Hast,

geleit sie sanft zur ew’gen Rast.

Eine abscheuliche grüne Kugel erschien plötzlich im Gemach der Prinzessin und warf einen überirdischen grünlichen Schein auf das blasse Gesicht des Mädchens, das sich langsam von seinem Waschtisch erhob. Die leuchtende Kugel tanzte vor ihren Augen und lockte sie in einen verzauberten Korridor, den Maleficent hinter dem Kamin heraufbeschworen hatte. Wie gebannt folgte die Prinzessin dem schwebenden Rund eine kalte dunkle Wendeltreppe hinauf, deren steinerne Bögen auf unheimliche Weise den Umrissen von Grabsteinen glichen. Maleficent hörte, wie die lästigen guten Feen in der Ferne den Namen ihrer geliebten Rose riefen. Mit einem beiläufigen Wink ihrer Hand versiegelte sie den Durchgang zum Korridor und ließ die guten Feen zurück.

Höher und immer höher stieg Aurora, bis sie schließlich den höchsten Turm des Schlosses erreichte. Dort verwandelte die Dunkle Fee die heimtückisch leuchtende Kugel in ein Spinnrad. Endlich würde ihr Fluch vollendet sein.

Es dreht das Rad, es läuft die Zeit,

unaufhaltsam, dem Ende geweiht.

So spinnt es für meinen Zauber die Fäden

und lässt sie auf ewig im Traumreich leben.

Die Prinzessin streckte eine Hand nach der Spindel aus, zögerte dann aber. Tief in ihrem Inneren kämpfte eine ungekannte Macht gegen Maleficents bösen Zauber an.

„Berühr die Spindel. Ich befehle es dir!“, fauchte Maleficent. Endlich gewann ihre dunkle Magie die Oberhand über die arme Prinzessin, die daraufhin ganz leicht die Spitze der Spindel berührte. Die scharfe Nadel durchstach Auroras Haut, und ein Übelkeit erregendes Gefühl breitete sich augenblicklich in ihrem ganzen Körper aus. Als die Welt um sie herum schwarz wurde, spürte sie, wie das Leben langsam aus ihren Gliedern wich. Die Prinzessin stürzte vor Maleficents Füßen zu Boden, und sogleich verdeckten die langen Gewänder der Dunklen Fee ihren Körper.

In diesem Moment stürzten die drei guten Feen in den Raum, die kleinen Gesichter gezeichnet von Angst und Sorge.

Maleficent bedachte das Trio mit einem süffisanten Grinsen. „Ihr dummen armseligen Närrinnen! Ihr glaubt, ihr könnt mich überlisten? Mich! Die Herrin des Bösen!“

Zu guter Letzt hatte sie Aurora doch noch gefunden.

Nach all den Jahren hatte ihr Fluch ihre geliebte Prinzessin in Schlaf versetzt, genau, wie sie es prophezeit hatte. Alle Versuche, Aurora zu beschützen, waren gescheitert. Mit einer fließenden Bewegung warf Maleficent ihren Umhang zur Seite.

„Hier liegt euer süßes Prinzesschen“, fügte sie unter triumphierendem Gelächter hinzu.

Den drei guten Feen verschlug es den Atem angesichts der grauenhaften Szene, die sich ihnen bot. Auf dem kalten Steinboden lag der leblose Körper ihrer wunderschönen Rose. Ihr Diadem lag neben ihr – wie ein Omen dafür, dass sie niemals Königin werden sollte.

KAPITEL I

Die Dunkle Fee

Schwarze Krähen kreisten über ihrem Kopf und folgten der Dunklen Fee auf ihrem Weg durch das Dickicht des Waldes. Mit jedem ihrer Schritte wuchsen die Bäume um sie herum dichter zusammen. Der Wald war ein lebendiges atmendes Wesen und ständig in Bewegung. Seine Ranken wanden sich um alles, was auf ihrem Weg lag. Sie schlangen sich um die Baumkronen, verdeckten den Himmel und erzeugten so ohne jede Absicht eine tiefe undurchdringliche Finsternis. In diesen Schatten gelang es der Dunklen Fee, sich die feindseligen Äste und Ranken vom Leib zu halten. Und obwohl sie diesen Aspekt ihrer Magie nie ganz verstanden hatte, nutzte Maleficent ihn zu ihrem Vorteil. Entgegen den Legenden, die man sich über die Dunkle Fee erzählte, waren die Ranken nämlich nicht vollständig ihrem Willen unterworfen. Sie hatte Geschichten darüber gehört, dass sie die Natur kontrollieren könne. Wie sie grausame Wälder lenken konnte, um ihre Feinde zu vernichten. Angesichts der Wahrheit entbehrten diese Geschichten nicht einer gewissen Ironie. Denn die Natur hatte sie für ihre vergangenen Verfehlungen verflucht. Die Natur war ihr Feind, und dieser Wald stellte keine Ausnahme dar.

Obwohl Maleficent den Wald in Schach halten konnte, solange sie sich in den Schatten aufhielt, war sie doch nicht sicher, was geschehen würde, wenn sie den Schutz des Laubdaches und seiner Dunkelheit verließ.

Für den Augenblick befriedigte es sie zutiefst zu sehen, wie das leuchtend grüne Geflecht verdorrte und sich vor der Hitze zurückzog, die ihr Stab ausstrahlte. Die Bäume von den nahen Klippen hatten sich dem Dickicht angeschlossen. Das Blattwerk verschmolz miteinander und stellte sich wie eine Armee gegen sie.

Nichts fürchtet ein Wald so sehr wie ein drohendes Feuer.

Die Dunkle Fee lachte, als sie einen Blitz aus grünem Licht in das Geäst schickte und zusah, wie es vor der Hitze zurückschreckte. Sie wünschte, der Wald würde ihr einen Grund liefern, ihn in Brand zu stecken. Aber sie zügelte ihr Verlangen nach Zerstörung und rief sich ihr Vorhaben und ihr Ziel in Erinnerung.

Es ärgerte Maleficent, dass sie gezwungen war, zu dieser Zeit zu verreisen. Sie hasste es, so weit von Dornröschen und dem verliebten Prinzen entfernt zu sein, während Letzterer ihre Pläne gefährdete. Erst wenige Tage zuvor hatte die Prinzessin ihren Finger an einer Spindel gestochen, genau wie Maleficents Fluch es vorhergesagt hatte. Maleficent hatte ihren Handlangern befohlen, Prinz Phillip zu entführen und in ihre Kerker zu bringen, wo er in sicherer Entfernung zu der schlafenden Prinzessin war. Sie konnte nicht zulassen, dass er ihren perfekten Plan gefährdete. Aber selbst wenn das gelang, brauchte die Dunkle Fee Hilfe. Sie brauchte Hexen – mächtige Hexen, die ihr halfen, den Fluch so zu festigen, dass die Prinzessin nie mehr erwachte. Wenn sie Dornröschen schon nicht töten konnte, wollte Maleficent zumindest dafür sorgen, dass Aurora für immer im Reich der Träume verweilte. Und so wagte sich die Dunkle Fee ins Königreich Morningstar.

Sie wünschte, sie könnte auf ihre bevorzugte Art reisen, durch die Flammen. Aber sie wollte die Hexen auf Schloss Morningstar wissen lassen, dass sie sich ihnen näherte. Sie wollte ihnen vor ihrer Ankunft genügend Zeit geben, um den Verlust der Seehexe und der verdrehten Schwestern zu betrauern. Maleficent wusste, dass der Grund für ihren Besuch von Angst überschattet werden würde, wenn sie ohne Vorwarnung dort auftauchte. Also ließ sie sich Zeit und ging zu Fuß zum Königreich Morningstar, gefolgt von ihren geliebten Krähen. Das Blätterdach über ihr war so dicht, dass sie ihre Vögel nicht mehr ausmachen konnte. Aber ihre Magie war stark und erlaubte ihr, den Pfad, der vor ihnen lag, durch ihre Augen zu sehen. Diesen Teil ihrer Magie liebte sie mehr als jeden anderen. Er gab ihr das Gefühl, mit ihren Vögeln durch die Lüfte zu fliegen, vollkommen losgelöst von der Welt. Aber Maleficent brauchte keine Magie, um ihren Weg zu finden. Die Herzen der Hexen zogen sie an; sie strahlten wie ein Leuchtfeuer inmitten der Überreste einiger der größten Hexen ihrer Zeit.

Maleficent hatte Diablo nach Schloss Morningstar vorausgeschickt. Während er das Schloss umkreiste, sah sie das Ausmaß des Gemetzels und der Zerstörung, das Ursula hinterlassen hatte. Umgeben von den Überresten der Seehexe schien die alte Festung geradezu vor Hass zu pulsieren. Maleficent verspürte keine Zuneigung zu Ursula und betrauerte ihren Verlust nicht. Tatsächlich glaubte sie, dass die vielen Königreiche an Land und unter dem Meer ohne eine so machthungrige und törichte Hexe besser dran waren. Ursula hatte ihrer aller Leben in Gefahr gebracht, als sie einen Zauber erschaffen hatte, der so gefährlich war, dass die verdrehten Schwestern nun den Preis dafür zahlten.

Maleficent konnte nicht in die Zukunft sehen wie einige andere Hexen oder Feen, aber sie hatte ein gutes Gespür für das Wesen einer Person. Sie hatte das Ausmaß der Macht gespürt, die Ursula gehortet hatte, und sie war sicher gewesen, dass die Seehexe die Schwestern hintergehen würde. Sie wünschte nur, dass die verdrehten Schwestern auf ihre Warnung gehört hätten. Es hatte eine Zeit gegeben, zu der Maleficent den Schwestern tiefe Liebe entgegengebracht hatte, doch seit einer Weile waren sie eher wie entfernte Verwandte, die sie gerade so ertrug und denen sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit aus dem Weg ging. Es fiel ihr schwer, sich zu erinnern, wie die Schwestern früher gewesen waren, daran, wie sie die drei geliebt hatte. Dieses Gefühl – Liebe – war nur noch eine blasse Erinnerung.

Wahrscheinlich war es besser so. Die Schwestern waren zu einem unliebsamen Ärgernis geworden, seit ihr geistiger Zustand sich über die Jahre hinweg mehr und mehr verschlechtert hatte. Maleficent konnte die verdrehten Schwestern nicht länger in der Welt – oder ihrem eigenen Herzen – wahrnehmen und verspürte plötzlich einen Anflug von Verbundenheit, den sie schon seit geraumer Zeit nicht mehr für die drei empfunden hatte. Sie versuchte, sich daran zu erinnern, wie es sich angefühlt hatte, ihnen nahezustehen – oder überhaupt jemandem. Doch es gelang ihr nicht. Und nun waren die Schwestern für sie verloren. Sie waren zu weit fort, als dass Maleficents Magie sie noch hätte erreichen können. Der Gedanke daran machte sie beinahe traurig.

Trauer. Dieses Gefühl hatte sich ihr so lange entzogen, dass ihr die Erinnerung daran nun wie ein verschwommener Traum vorkam. Und genau dort hielten sich die Schwestern auf: in einem Traum, der wachenden Welt für immer versperrt.

Verirrt im Traum. Allein.

Die Dunkle Fee wollte sich nicht vorstellen, wovon die Schwestern träumten oder wie ihre Traumlandschaft wohl aussehen mochte. In der Traumwelt zu leben, bedeutete, die tiefsten und dunkelsten Abgründe des eigenen Verstandes zu bewohnen. Sie wollte sich nicht ausmalen, welche Geheimnisse in dieser neuen Realität für die Schwestern zum Leben erwachten. Die Vorstellung, dass das Reich der Träume nun von den Albträumen der drei Schwestern heimgesucht wurde, ließ Maleficent erschaudern, und sie fragte sich plötzlich, ob sie die schlafende Rose wohl in ihrem Winkel der Traumlandschaft finden würden.

Zur Hölle mit diesen Schwestern, ihren Spiegeln, ihren Reimen und ihrem Wahnsinn! Sie mussten ja unbedingt ihre ach so wertvolle kleine Schwester retten!

Aber die alte Königin im Spiegel sollte recht behalten.

„Wie so viele von uns waren auch diese hassenswerten Schwestern einfach nicht in der Lage, klar zu denken, als ihre Familie in Gefahr war, Maleficent.“

Maleficent hatte die alte Königin ausgelacht, die sie unter dem Namen Grimhilde kannte. Dass ausgerechnet sie vor Maleficent über die Sorge für die Familie sprach … aber sie hatte ihre Worte heruntergeschluckt wie spitze Steine. Sie war nicht gewillt, mit der alten Königin über ihre Tochter zu reden, über Schneewittchen, die als Königin über ihr eigenes Reich aufgeblüht war.

Der Gedanke bereitete Maleficent Übelkeit.

Wie musste es sich anfühlen, ein so verzaubertes Leben zu führen? Fern von den Streitigkeiten, die so viele Königreiche auseinanderrissen? Aber das waren die Machenschaften der alten Königin, oder nicht? Irgendwie war ihre Magie jetzt noch stärker als zu ihren Lebzeiten. Grimhilde war es gelungen, den Schleier des Todes beiseitezuschieben, um ihre Tochter und deren Familie zu beschützen. Vielleicht war dies Grimhildes Strafe für den Versuch, das junge Schneewittchen zu töten. Grimhilde hatte den Platz ihres eigenen Vaters im Zauberspiegel eingenommen. Sie würde für immer Schneewittchens Sklavin sein, genau wie Grimhildes Vater einst ihr Sklave gewesen war. Sie war verflucht, Schneewittchens Beschützerin zu sein – verflucht, niemals Ruhe zu finden. Stets wachte sie über Schneewittchens Schlaf und würde deren Kinder und Kindeskinder noch bis ans Ende ihrer Tage beschützen. Bis in alle Ewigkeit würde sie das Glück dieser verwöhnten Göre und ihrer Brut gewährleisten.

Grimhildes Liebe zu ihrer Tochter lag Maleficent wie ein kalter Stein im Magen. Sie verursachte ein kribbelndes Gefühl und erinnerte sie daran, dass dies etwas war, das sie eigentlich selbst fühlen sollte. Eine Ahnung, dass diese Geschichte früher einmal ihr Herz berührt hätte. Aber sie begrub diese Anwandlung tief in ihrem Innern, zusammen mit all den anderen. Sie stellte sich vor, dass sie dort lagen wie die zerbrochenen Stücke eines Grabsteines. Manchmal fragte sie sich, wie all die Fragmente zusammenpassten und wie es überhaupt möglich war, dass jemand so Kleines so viel mit sich herumtrug. Hin und wieder dachte sie, dass sie unter dem Gewicht zerbrechen müsste, und doch tat sie es nie. Wahrscheinlich trug jeder seine Last dort mit sich herum. Es schien ihr der perfekte Ort dafür – nahe am Herzen, aber nicht nahe genug, als dass er ihr gefährlich werden konnte.

Die verdrehten Schwestern hatten Maleficent einmal erzählt, dass Grimhilde ihren Schmerz ebenfalls dort versteckt hielt. Die alte Königin hatte ihn wie gezackte Glasscherben empfunden, die ihr Innerstes zerschnitten. Maleficent fragte sich, was wohl schlimmer war: die Schwere ihrer eigenen Last oder Grimhildes Schmerz. Die verdrehten Schwestern hätten wohl geantwortet, dass beides in der Lage war, seinen Träger zu zerstören. Aber Maleficent hatte das Gefühl, dass das Gewicht ihrer Sorge sie mit der Erde verband und ihr Halt gab. Ohne ihren Schmerz wäre sie womöglich längst davongeschwebt.

Um Grimhilde nicht zu verärgern, hatten die verdrehten Schwestern bestimmt, dass die verzogene Königin und ihre Familie in Ruhe gelassen werden musste. Aber Schneewittchen war nicht vollständig außerhalb der Reichweite der verdrehten Schwestern. Die alte Königin Grimhilde besaß keine Macht über die Träume ihrer Tochter. Das war nicht ihre Bestimmung. Das war nicht ihr Gebiet.

Träume gehörten den guten Feen – und den Schwestern derer drei.

KAPITEL II

Totenmesse

Zwei Hexen, verschieden in Alter und Art ihrer Künste und einander im Herzen doch so ähnlich, standen auf den windgepeitschten Klippen nahe Schloss Morningstar. Unter ihnen brodelte die See als übel riechender schwarzer Schaum, während der Himmel über ihren Köpfen von einem dicken lilafarbenen Rauch erfüllt war, der das Tageslicht schluckte und das Königreich Morningstar in einen Schleier aus Dunkelheit hüllte.

Wohin Circe sich auch wendete, sah sie die Überreste von Ursulas Magie. Der Anblick war grauenhaft. Die Zerstörung hatte die Klippen geschwärzt und ließ den Hexen das Herz schwer werden. Circe würde von ihrer Magie Gebrauch machen müssen, um wieder Leben und Wachstum im Königreich einkehren zu lassen. Aber sie konnte sich nicht dazu durchringen, sich dieser Aufgabe zu stellen – zumindest noch nicht. Denn sie wusste, dass sie dadurch die letzten Spuren der Existenz ihrer alten Freundin Ursula auslöschen würde.

„Eine alte Freundin, die Eure Seele aus Eurem Körper gerissen und ihn in eine leere Hülle verwandelt hat. Euren Körper und den unzähliger anderer Seelen“, erinnerte Nanny sie leise, die ihre Gedanken gelesen hatte.

Circe schenkte ihr ein schwaches Lächeln, wohl wissend, dass Nanny recht hatte. Aber sie sah die Ursula, die sie verraten hatte, als eine vollkommen andere Person als die Ursula, die sie als Mädchen kennengelernt hatte. Ursula hatte ein wildes, charismatisches Wesen besessen. Sie war die beste Freundin von Circes Schwestern und für Circe wie eine Tante gewesen – eine mächtige Hexe, die Circe Haarspangen mitgebracht und ihr Geschichten von der See erzählt hatte. Diese Kreatur, dieses Ding, zu dem sie geworden war, hatte nichts mehr mit der Ursula gemein, die Circe geliebt hatte. Ursula hatte sich verändert und war zu jemandem geworden, der sich von Trauer, Zorn und dem Verlangen nach Macht hatte verzehren lassen. Eine Frau, die von ihrem hasserfüllten Bruder in tiefste Verzweiflung gestürzt worden war. Circe erinnerte sich, wie sie an jenem Tag zu Ursula gegangen war. Sie erinnerte sich an das Gefühl, dass jemand – nein, etwas – Fremdes sie aus Ursulas Augen heraus angesehen hatte. Die Erinnerung ließ sie erschauern.

Damals hatte Circe den Drang verspürt, vor Ursula zu flüchten, sich aber eingeredet, dass sie sich das alles nur einbildete. Sie hatte sich in Erinnerung gerufen, dass sie Ursula stets vertraut hatte. Sie hätte sich niemals vorstellen können, dass Ursula ihr schaden wollte. Aber wenn Circe vollkommen ehrlich zu sich war, musste sie sich eingestehen, dass die Kreatur, die von ihrer alten Freundin an jenem Tag Besitz ergriffen hatte, ihr unbestreitbar hatte schaden wollen. Circe hatte es damals nur nicht sehen wollen. Sie hatte ihre Angst verleugnet, hatte sie beiseitegeschoben und sich gezwungen, die Frau zu sehen, die sie liebte. Und so hatte sie zugelassen, dass die gefürchtete Seehexe sie gefangen nahm. Nur dadurch war Ursula in der Lage gewesen, sie als Unterpfand einzusetzen, um ihre Schwestern zu manipulieren.

Die Frau, die sie liebte, hatte sie verraten.

Nein, Ursula hat sich selbst verraten. Und jetzt war sie tot, zerflossen zu nichts weiter als Rauch, Schlamm und Asche. Sie war nun weit jenseits von Circes Hilfe. Trotzdem quälte Circe sich mit Fragen. Warum war Ursula nicht mit der Wahrheit zu ihr gekommen? Warum hatte sie Circe nicht die ganze Geschichte erzählt? Die Geschichte, die sie Circes Schwestern anvertraut hatte? Circe hätte Ursula geholfen, Triton zu vernichten, ohne seine jüngste Tochter darin zu verwickeln. Nichts von alldem ergab einen Sinn. Ursula musste gewusst haben, dass Circe über die Macht verfügte, Triton zu zerstören. Aber sie wusste auch, dass Circe niemals Arielles Leben in Gefahr bringen würde.

Verflucht sei Triton für den Schaden, den er seiner Schwester zugefügt hat! Möge Hades ihn für seine Taten in der Hölle schmoren lassen! Verflucht sei er dafür, Ursula gezwungen zu haben, ihr wahres Wesen zu verstecken! Verflucht sei er für die Taten, die sie in diese abscheuliche Kreatur verwandelt haben!

Es kostete Circe all ihre Kraft, Triton nicht auf der Stelle mit Flüchen zu belegen. Sie wollte ihm erzählen, dass sie alles gesehen hatte, was Ursula jemals erlebt hatte, als sie ihre Halskette berührt hatte – die Ursache für all ihren Zorn, ihren Kummer und ihren Schmerz. Circe hatte jedem garstigen Wort gelauscht und war Zeugin jeder einzelnen hasserfüllten Tat geworden, die Ursula durch ihren Bruder hatte ertragen müssen. Es hatte Circes Herz einen Stich versetzt, genau so, wie es auch Ursula verletzt haben musste. Vielleicht würde Circe Triton eines Tages seine eigenen Worte entgegenschleudern. Aber nicht heute. Nicht, während ihr Hass auf ihn so stark in ihrem Herzen brannte. Der Schmerz war noch zu frisch.

Ihr kam ein furchtbar trauriger Gedanke: Nur die Familie war imstande, so viel Schmerz zu verursachen. Familie war die Quelle jeglichen Kummers. Nur sie konnte einem das Herz brechen wie sonst keiner. Sie konnte den Lebenswillen einer Person vernichten und sie allein zurücklassen, gefangen in den Tiefen der Verzweiflung. Die Familie konnte jemanden zugrunde richten, mehr noch als ein Liebhaber und weitaus mehr, als selbst der beste Freund es vermochte. Nur die Familie besaß solche Macht.

Circe verstand nur zu gut, was es hieß, von der Familie verletzt zu werden. Sie hatte selbst schwierige Geschwister – die verdrehten Schwestern. Mit ihrer Raserei und ihren Wutanfällen konnten sie ganze Häuser zum Einsturz bringen. Aber Circes Schwestern liebten sie mit einer wilden Hingabe – viel zu sehr. Darum brauchte Circe sich nie zu sorgen. Sie wusste, dass ihr die Liebe der drei gehörte und sie sie niemals verlieren würde, komme, was wolle. Und jetzt waren ihre Schwestern in einem todesähnlichen Schlaf gefangen, nur weil Circe sie verlassen und sich von der Seehexe hatte hereinlegen lassen. All das, weil sie ihnen vorgeworfen hatte, sie zu sehr zu lieben. Die drei liebten ihre kleine Schwester so inbrünstig, dass sie jeden vernichtet und schlicht alles getan hätten, um sie zu beschützen. Und wie hatte sie es ihnen gedankt?

Sie hatte ihre Schwestern dafür verurteilt, dass sie das Biest quälten. Hatte sie angeschrien, weil sie Tulips Leben in Gefahr gebracht hatten. Sie waren für so viele Tode und grausame Schicksale verantwortlich. Circe war sicher, dass sie noch längst nicht von allen wusste. Aber nichts von alldem schien jetzt noch eine Rolle zu spielen. Nicht, während ihre Schwestern gebrochen und wie tot unter der gläsernen Kuppel des Wintergartens von Schloss Morningstar lagen und mit weit aufgerissenen Augen ins Leere starrten. Es war Circe nicht gelungen, ihre Augen zu schließen. Wussten ihre Schwestern, was ihnen zugestoßen war? Erinnerten sie sich daran, wie sie Ursulas Zauber bekämpft hatten, um ihre kleine Schwester zu retten? Daran, wie es sich angefühlt hatte, ihre eigene Magie zu bekämpfen – eine Magie, die so tief in Hass verwurzelt war, dass es sie all ihre Kraft gekostet hatte, sie zu durchbrechen? Sie wirkten gequält, wie sie ins Nichts starrten, und kein Zauber auf der Welt vermochte Circes Schwestern auch nur einen Anschein von Friedlichkeit zu verleihen. Selbst im Schlaf wurden sie anscheinend noch bestraft und bezahlten für jede böse Tat, die sie begangen hatten, einschließlich ihres Anteils an Ursulas Ableben. Circe fragte sich, ob ihre Schwestern sahen, was von Ursula übrig geblieben war und wie es die Glaskuppel beschmutzte und schwarz, dicht und faulig durch die Luft waberte. Konnten sie spüren, wie jede Oberfläche im Königreich noch immer Ursulas Hass verströmte? Verlängerte Circe die Tortur ihrer Schwestern, indem sie das Reich nicht säuberte? Es war an der Zeit, nach vorn zu sehen und das Schloss von Ursulas Überresten zu befreien. Aber wie? Und wohin würde Circes Magie die Überreste schicken? Wie lautete das Protokoll, wenn eine Hexe von Ursulas Kaliber starb? Welches waren die richtigen Worte? In Circes Kopf drehten sich die Fragen.

Wie erweist man einer Hexe, die einen verraten hat, die letzte Ehre?

„Wir schenken ihr Frieden“, sagte Nanny sanft und legte Circe einen Arm um die Schultern. „Und wir reinigen das Land. Kommt, meine Liebe, ich helfe Euch.“

KAPITEL III

Die große Königin der See

Der Leuchtturm der Götter erstrahlte in hellem Sonnenlicht, als die Hexen der Seehexe still die letzte Ehre erwiesen. Pinke, lilafarbene und goldene Blütenblätter regneten auf die Menge herab, die sich versammelt hatte, um das Ende einer großen und schrecklichen Königin zu betrauern. Nanny hatte Ursulas Überreste in ein Schiff aus filigran verflochtenem goldenem Stroh gebettet und es mit bunten Muscheln und glitzerndem weißem Sand geschmückt. Das Schiff leuchtete in der Sonne und spiegelte sich in den sanften Wellen. Das goldene Stroh vermischte sich mit den Blütenblättern und tauchte das Meer in ein überirdisches Funkeln. Circe gab dem Schiff einen sanften Stoß und schickte Ursula weiter hinaus aufs Meer.

„Leb wohl, du außergewöhnliche Hexe“, flüsterte sie leise.

Ursula wirkte friedlich, und Circe war Nanny unendlich dankbar, dass sie Ursulas Überreste zusammengefügt hatte, sodass sie ihr nun die letzte Ehre erweisen konnten. Es war ein Abschied, der der Königin der See würdig war. Circe wusste, dass Ursula noch am Leben wäre, wenn Triton ihr den rechtmäßigen Platz an seiner Seite zugestanden hätte. Und dieses Wissen schmerzte sie zutiefst.