Disney Villains 7: Cruella, die Teufelin - Walt Disney - E-Book
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Disney Villains 7: Cruella, die Teufelin E-Book

Walt Disney

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Beschreibung

Selbst die grausamsten Bösewichter kennen wahre Freundschaft, große Liebe und wagemutige Träume. So auch Cruella, die nun an der Reihe ist, ihre Geschichte zu erzählen. Sie handelt von einer einsamen Kindheit, aufsehenerregenden Outfits, einem fatalen Autounfall und von einer Frau, deren Leben dem Untergang geweiht ist. Es ist eine Geschichte über das schwierige Band weiblicher Freundschaft, über Mütter und Töchter und über brennendes, zerstörerisches Verlangen. Die amerikanische Ausgabe stand im September 2020 auf der Bestseller-Liste der New-York-Times!

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Für meinen geliebten Hund Gozer

KAPITEL I

Cruella De Vil

Ich könnte meine Geschichte hier beginnen, in Hell Hall, wo all meine wundervollen Pläne in der Dunkelheit Gestalt angenommen haben. Aber ich würde viel lieber von Anfang an erzählen oder zumindest nahe genug daran, um euch zu vermitteln, was mich bewegt. Gewiss kennt ihr die Geschichte von diesen Welpen, diesen bösartigen Dalmatinern, und ihren Besitzern, Roger und Anita. Und mit Sicherheit habt ihr sie sogar insgeheim angefeuert, mir zu entkommen. Mir, dem Monster, der „Teufelin“ im Pelzmantel. Aber habe ich nicht auch eine Chance verdient, meine Version der Geschichte zu erzählen? Die wahre Geschichte. Und sie ist fabelhaft, letzten Endes. Also aufgepasst! Hier kommt die Geschichte von mir. Cruella De Vil!

Ticktack, Darlings, wir kehren in eine Zeit zurück, als ich noch ein junges Mädchen von elf Jahren war und auf dem Anwesen meiner Familie lebte. Also macht euch bereit, meine Süßen, das wird ein wilder Ritt.

Meine Mama, mein Papa und ich lebten in einem prachtvollen Haus am Belgrave Square. Es war groß, einschüchternd und atemberaubend, ein imposantes Anwesen mit vier massiven Säulen, auf denen ein Balkon thronte, von dem aus man auf den Platz hinunterschauen konnte. Unsereins lebte in sicherer Entfernung zu dem ordinären Londoner Pöbel auf der anderen Seite. Wir lebten auf der richtigen Seite, umgeben von blühenden Parkanlagen, die sich weit in die Ferne erstreckten und so eine Welt erschufen, die nur uns allein zu gehören schien.

Natürlich ließ es sich nicht vermeiden, dass man gelegentlich einen Diener zu Gesicht bekam, der auf einer Veranda das schmiedeeiserne Geländer polierte, oder eine Nanny, die mit ihrem kreischenden Schützling im Park spazieren ging. Und da waren die alten Frauen, die an den Straßenecken ihre Veilchen verkauften, und die kleinen Jungen, die Zeitungen anboten und Botengänge erledigten. Aber sie alle waren beinahe unsichtbar, wie Geister. Wenn ich einmal einen Gedanken an sie verschwendete, dann nicht als menschliche Wesen.

Ich nannte sie „Unmenschen“, und sie erschienen mir beinahe wie Gespenster.

Während meine eigenen Bediensteten selbstverständlich vollkommen lebendig waren, bewegten sich die meisten von ihnen wie stumme Schemen, nur dann sichtbar, wenn wir sie brauchten. Sie waren nicht real. Oder zumindest kamen sie mir nicht so vor. Nicht wie Mama und Papa. Nicht wie ich. Einige meiner Bediensteten erschienen mir realer als andere. Diejenigen, die sich ständig in meinem Blickfeld aufhielten. Die Diener, die nicht gänzlich Diener zu sein schienen, sondern irgendetwas zwischen einem Bediensteten und einem Familienmitglied. Aber zu ihnen kommen wir noch früh genug.

Aber oh, wie sehr ich meine Eltern liebte und unser prächtiges Haus in Belgravia mit seinen kristallenen Kronleuchtern, den kunstvollen Tapeten, den glänzenden Holzböden, den exotischen Teppichen. Und auf gewisse Weise liebte ich sogar unsere geisterhaften Diener, wie sie sich still und zielsicher durch das Haus bewegten und sich um jede unserer Launen kümmerten. Immer zur Stelle. Niemals weiter als ein Läuten der Glocke entfernt, um meinen Befehlen zu gehorchen.

Das Bild unseres prächtigen Heims strahlt in meinen Erinnerungen wie ein Leuchtfeuer, das verzweifelt versucht, mich zurück nach Hause zu leiten. Wenn ich doch einmal mehr in der Sicherheit seiner Mauern stehen könnte. Einmal mehr meine Tage so glorreich verleben könnte wie damals, als ich noch ein Kind war und die Welt um mich herum eine einfache. Wir verbrachten so viele wundervolle Tage in diesem Haus. Sie wirbeln in meinen Erinnerungen umher, bis mir mitunter vor Heimweh ganz schwindelig wird.

Den Großteil meiner Tage verbrachte ich im Schulzimmer mit Miss Pricket, meiner Gouvernante. Miss Pricket nahm sich meiner Ausbildung an, als ich alt genug war, um lesen zu lernen. Sie unterrichtete mich in Französisch, dem Malen mit Wasserfarben, Sticken, Lesen und Schreiben. In unseren gesellschaftlichen Kreisen erhielten die meisten Mädchen ihre Ausbildung von einer Gouvernante. Wäre ich als Junge zur Welt gekommen, hätte man mich auf ein Internat geschickt, wo man mich in allerlei Fächern wie der griechischen Mythologie, Geschichte und Mathematik unterrichtet hätte. Von Mädchen wurde erwartet, dass sie lernten, wie sie sich im Morgenzimmer zu benehmen hatten. Wie sich eine wahrhaftig junge Dame verhielt. Wie man atemberaubende Gesellschaften veranstaltete, ein mehrgängiges Menü plante und bei Tisch die Unterhaltung in die richtige Bahn lenkte. All das war ein Teil der Ausbildung, die Miss Pricket mir zukommen ließ. Aber sie wies mich auch nie zurecht, wenn ich mein Interesse für ein Thema bekundete, das nicht für junge Damen gedacht war. So förderte sie zum Beispiel meine Begeisterung für Geografie und ließ mich so viel über die Kulturen und Gepflogenheiten fremder Länder lernen, wie mein Herz begehrte. Sie wusste, dass ich mir inständig wünschte, die Welt zu bereisen, sobald ich alt genug wäre, um solch ein Abenteuer anzutreten. Ich habe so wundervolle Erinnerungen an diese Zeit. Aber der beste Teil eines jeden Tages war immer dann gekommen, wenn ich mit Miss Pricket hinunter ins Morgenzimmer ging, um eine glückselige Stunde mit meiner Mama zu verbringen.

Eine ganze Stunde jeden Tag, in der sie sich nur mir allein widmete.

Die Leidenschaft meiner Mutter für exquisite Kleidung war beispiellos. Ihre Garderobe war atemberaubend, stets hüllte sie sich in die neueste Mode. Niemand konnte ihr das Wasser reichen, nicht einmal ich. Und ihr wisst doch alle, wie umwerfend ich aussehe, nicht wahr, meine Süßen? Ihr habt mein Foto in den Zeitungen gesehen. Ihr wisst um meine Großtaten und meine unerbittliche Leidenschaft für Mode. Nun, meine Lieben, meine Mama war genauso. Sie führte ein aufregendes, glamouröses Leben, und nicht weniger hatte sie auch verdient. Sie war die schönste und betörendste Frau, die ich je getroffen habe. Eine echte Lady.

Sie hätte sich keine Zeit für mich nehmen müssen, beschäftigt, wie sie war, aber sie tat es dennoch, jeden Tag zur selben Zeit, gleich nach meinem Unterricht bei Miss Pricket. Während ich mich auf den Weg vom Schulzimmer zum Morgenzimmer machte und unsere imposante Treppe hinabstieg, hielt ich mir stets das Bild meiner Mama vor Augen. Ich musste mich dazu zwingen, die Stufen nicht hinunterzurennen, sondern mich wie eine richtige junge Dame zu benehmen und nicht vor Entzücken laut aufzuquietschen, weil ich so aufgeregt war, meine Mama zu sehen. Schließlich war mein Schulzimmer eine relativ neue Entwicklung. Es war erst vor Kurzem an die Stelle der Kinderstube getreten, was bedeutete, dass ich auf dem besten Wege war, mich in eine junge Dame zu verwandeln.

Miss Pricket war stets an meiner Seite und hielt meine Hand, um sicherzugehen, dass ich mich angemessen benahm. Nicht, dass ich ihrer Führung in dieser Sache bedurft hätte. Worin ich ihre Anleitung tatsächlich benötigte, war meine Garderobe. Denn noch hatte ich mir Mamas unglaubliches Talent, ein Outfit zusammenzustellen, nicht angeeignet. Jeden Tag, bevor wir das Schulzimmer verließen, um mich Mama zu präsentieren, stellte Miss Pricket sicher, dass ich auf das Sorgfältigste zurechtgemacht war. Ich bestand auf nicht weniger als Perfektion. Miss Pricket inspizierte mich und ging jedes Detail meiner Erscheinung der Reihe nach durch. Sie überprüfte, ob mein Haar, mein Kleid und jede Schleife genau an ihrem Platz saßen, denn sie wusste, dass ich zutiefst beschämt wäre, sollte meine Mutter einen Makel an mir entdecken. Es wäre mir nicht im Traum eingefallen, ins Morgenzimmer hinunterzugehen, ohne vorher eines meiner schöneren Kleider anzuziehen oder dafür zu sorgen, dass mein Haar in perfekten Locken auf meine Schultern fiel.

Das Morgenzimmer war Mamas bevorzugtes Domizil. Es war ihr Reich, und sie hatte es mit einer exquisiten Einrichtung ausgestattet. Es war nicht der größte Raum im Haus. Als einer der Räume im Erdgeschoss, die der Familie vorbehalten waren, war er ein wenig kleiner, aber auch gemütlicher und von atemberaubender Eleganz. In die hintere Wand waren zahlreiche Fenster eingelassen, mit einer stattlichen Doppeltür in ihrer Mitte, die sich auf die Terrasse öffnete, von der aus man den gesamten Belgrave Square überblicken konnte. Vor den Fenstern stand ein riesiger hölzerner Tisch, an dem meine Mutter ihre Korrespondenz pflegte und sich um die täglichen Angelegenheiten kümmerte, die es mit sich brachte, ein so stattliches Haus zu führen. An der Wand zu ihrer Rechten erhob sich der Kamin. Auf seinem Sims waren all die Schätze, die meine Eltern auf ihren zahlreichen Reisen um die Erde gesammelt hatten, zu einem kunstvollen Ensemble zusammengestellt worden: ein Paar Tigerstatuen aus Jade, eine kleine goldene Uhr und eine Statue aus schwarzem Onyx von Anubis, dem ägyptischen Gott und Beschützer antiker Grabmäler. Anubis zeigte sich in der Gestalt eines Hundes, und ich hatte lange geglaubt, er wäre der Beschützer der Hunde, bis mein Vater mich über meinen Irrtum aufklärte. Und natürlich standen auf dem Kaminsims die Einladungskarten zu den Essen und Partys, die die Kaminsimse in allen Haushalten zierten, die etwas auf sich hielten. Mama hatte dort in jeder Woche mindestens drei solcher Einladungen stehen.

Über den Kamin war ein halbkreisförmiges Kunstwerk im Art-déco-Stil gemalt, das sich mir ins Gedächtnis eingebrannt hat. Wenn ich meine Augen schließe und an das Haus in Belgravia zurückdenke, dann sehe ich dieses Muster. Ich wünschte bloß, ich könnte es genauer beschreiben, denn es ist nicht so sehr das Muster, das ich beschreiben will, als vielmehr das Gefühl, das die Erinnerung daran in mir hervorruft. Eine Ahnung von Geborgenheit. Wie beschreibt man so etwas?

Das Gefühl von Heimat.

Weit zur Rechten des Kamins reihten sich mehrere Regale voller Bücher, flankiert von zwei riesigen Palmen, ein kleines Stück davor stand ein Servierwagen mit verschiedenen Karaffen voller Spirituosen, Cocktailgläsern und einem kunstvollen Siphon für Sodawasser. Vor dem Kamin gruppierten sich ein Ledersofa und zwei passende Sessel um einen kleinen runden Tisch. Die Wände waren in einem matten Pflaumenblau gestrichen und mit Ölgemälden in reich verzierten goldenen Rahmen versehen, allesamt Portraits streng dreinblickender Damen und Herren. Wahrscheinlich waren sie Vorfahren meines Vaters, deren Namen in Vergessenheit geraten sind.

Ein jeder Besuch bei meiner Mutter im Morgenzimmer glich dem anderen, aber mir stockte jedes Mal der Atem, wenn ich sie dort auf dem Ledersofa sitzen und auf mich warten sah. Sie war so bemerkenswert, meine Mama. Ihre Garderobe richtete sich stets danach, welche Pläne sie im Anschluss an unser Treffen im Morgenzimmer hatte. Für gewöhnlich verbrachte sie ihre Nachmittage in Gesellschaft von Freundinnen, mit denen sie Tee trank und einkaufen ging. In einer meiner Erinnerungen trägt sie ein wundervolles wadenlanges Kleid mit einer tief sitzenden Schärpe um die Hüften, wie es damals Mode war. Ihr Lippenstift ist von einem dunklen Rosé, passend zu ihrem Kleid, ein atemberaubender Kontrast zu ihrem langen, glänzend schwarzen Haar, das sie hochgesteckt trägt. Wenn sie des Abends ausging, trug sie roten Lippenstift auf, aber niemals tagsüber. Roter Lippenstift ist für den Abend, pflegte sie stets zu sagen. Manchmal kann ich ihre Ratschläge noch ganz klar in meinen Gedanken hören. Dann fühle ich mich wieder wie ein kleines Mädchen.

Ein besonderer Nachmittag ist mir im Gedächtnis geblieben. Um ehrlich zu sein, kann ich nicht genau sagen, ob es die Erinnerung an einen einzelnen Tag ist oder an viele, die sich in meinen Gedanken zusammengefügt haben. Dennoch strahlt diese Erinnerung hell wie keine andere. Meine Mutter saß lässig auf dem braunen Ledersofa, das ein üppiger roter Überwurf zierte. Kaum, dass ich einen Blick auf sie geworfen hatte, wollte ich ihr in die Arme stürzen, aber Miss Pricket drückte meine Hand, eine sanfte Ermahnung, mich wie eine junge Dame zu benehmen. Also blieb ich stattdessen geduldig stehen und wartete darauf, dass Mama ihre Aufmerksamkeit von dem Stapel Briefe und Karten abwandte, den sie gerade durchsah. Als sie endlich zu mir aufblickte, schenkte ich ihr mein bezauberndstes Lächeln.

„Guten Tag, Cruella, meine Liebe“, sagte sie und neigte leicht den Kopf, damit ich sie auf die Wange küssen konnte. „Wie ich sehe, trägst du schon wieder dieses rote Kleid.“

Ich war entsetzt. Mama wirkte enttäuscht, und bei der Vorstellung zog sich mein Magen zusammen.

„Ich dachte, Ihnen gefällt dieses Kleid, Mama. Gerade neulich erst haben Sie das gesagt. Sie sagten, dass ich darin hübsch aussehe.“ Meine Mutter seufzte und legte die Briefe beiseite, die sie durchgeblättert hatte.

„Genau das ist der Punkt, meine Liebe. Ich habe dich dieses Kleid erst vor ein paar Tagen tragen sehen, und trotzdem bestehst du darauf, es erneut anzuziehen, obwohl ich weiß, dass dein Schrank zum Bersten gefüllt ist mit neuen Kleidern. Eine Dame darf niemals dabei gesehen werden, wie sie dasselbe Kleid zweimal trägt, Cruella.“ Ich war außer mir vor Wut auf Miss Pricket. Wie hatte sie das zulassen können? Wie hatte sie zulassen können, dass ich dasselbe Kleid zweimal trug?

„Miss Pricket, würden Sie bitte nach dem Tee läuten? Und dann setzt euch, bitte, alle beide. Ihr macht mich ganz nervös, wenn ihr wie ein Vogelschwarm um mich kreist.“

„Selbstverständlich, Eure Ladyschaft.“ Miss Pricket zog an der Kordel, die links neben dem Kaminsims hing, und ließ sich dann in einem der Ledersessel gegenüber der Couch nieder, auf der Mama und ich für gewöhnlich saßen. Während wir auf den Tee warteten, stellte Mama mir stets dieselben Fragen in derselben Reihenfolge. Jedes einzelne Mal. Nie zögerte sie auch nur eine Sekunde, meine Mama.

„Hörst du auf Miss Pricket, meine Liebe?“

„Oh ja, Mama.“

„Braves Mädchen. Und kommst du mit deinem Unterricht gut voran?“

„Ja, Mama. Sehr gut. Gerade lese ich ein Buch über eine tapfere junge Prinzessin, die mit Bäumen sprechen kann.“

„Humbug und Firlefanz. Mit Bäumen sprechen, also wirklich. Miss Pricket, was ist das für ein Unsinn, den Sie meine Tochter da lesen lassen?“

„Es handelt sich um eine von Cruellas Abenteuergeschichten, Mylady, aus dem Buch, das Lord De Vil ihr mitgebracht hat.“

„Ah, ja. Nun, es geht nicht an, dass sie sich die Augen damit ruiniert, zu später Stunde noch zu lesen.“

„Nein, Mylady. Am Abend lese ich ihr die Geschichten vor.“

„Nun gut. Oh, seht. Da ist Jackson mit dem Tee.“ Und das war er, dicht gefolgt von Jean und Pauline, zwei jungen Dienstmädchen in schwarzen Uniformen mit weißen Hauben und Schürzen. An der Farbe der Uniform der Dienstmädchen erkannte ich immer, welche Tageszeit gerade war. Am Morgen und bis zum frühen Nachmittag waren sie in Pink gekleidet, am späten Nachmittag und Abend trugen sie Schwarz.

Jackson brachte ein Tablett mit der Teekanne, Teetassen, Untertassen, kleinen Tellern, Zucker und Sahne. Es war mein liebstes Teeservice, das mit den winzigen roten Rosen. Jean servierte Sandwiches, ­Scones und kleine weiße Törtchen mit hübschen pinken Blümchen, alles kunstvoll auf einer mehrstöckigen Etagere drapiert, die sie neben Mama abstellte. Pauline, die Mama stets Paulie nannte, trug eine riesige Himbeergelee-Süßspeise, die auf einer silbernen Platte ruhte. Sie wackelte leicht, als sie sie auf dem Tisch abstellte. „Und was ist das, Paulie?“, fragte Mama. „Eine besondere Leckerei von Mrs. Baddeley?“

Paulie warf mir ein verschwörerisches Lächeln zu, als sie meiner Mama antwortete: „Ja, Mylady, extra für Miss Cruella.“

„Nun, nach dem Tee solltest du hinunter in die Küche gehen und dich bei Mrs. Baddeley bedanken, Cruella. Es war sehr aufmerksam von ihr, dir ein Gelee zu bringen. Aber das nächste Mal, Paulie, soll sie es auf die Kinderstube schicken. Ich dulde keine klebrigen Süßigkeiten im Morgenzimmer.“

„Es ist jetzt das Schulzimmer, Mama“, sagte ich leise.

„Wie war das, Liebes? Sprich deutlich. Führ dich nicht wie ein schüchternes Mäuschen auf“, erwiderte sie und beäugte dabei misstrauisch das Gelee, als könnte es jeden Augenblick vom Tisch springen und den edlen Teppich ruinieren.

„Es ist jetzt das Schulzimmer, nicht mehr die Kinderstube“, sagte ich mit leicht erhobener Stimme.

„Ja, natürlich, Liebes, aber dieses winzige Detail ist es wohl kaum wert, dass du mich unterbrichst. Also dann, du solltest Mrs. Baddeley nicht warten lassen. Bist du mit deinem Tee fertig?“

Miss Pricket nahm mit der einen Hand meinen Teller, auf dem sich kleine Sandwiches und Törtchen türmten, mit der anderen griff sie nach meiner Teetasse mit der Untertasse und platzierte alles auf dem silbernen Tablett. „Jean wird das für sie hinunter in die Küche bringen, nicht wahr, Jean? Dann kann Miss Cruella dort zu Ende essen.“

„Was für eine wundervolle Idee, Miss Pricket. Findest du nicht auch, Cruella? Ich muss mich ohnehin sputen, meine Liebe. Ich darf nicht zu spät zu meiner Verabredung mit Lady Slaptton kommen. Ansonsten wird sie von nichts anderem mehr reden, bis etwas anderes ihre Aufmerksamkeit erregt.“ Damit wandte Mama sich an unseren Butler. „Jackson, meinen Mantel.“

„Ja, Eure Ladyschaft.“ Und er rauschte hinaus, Jean und Pauline folgten ihm mit dem Teegeschirr.

„Geben Sie Ihrer Mutter einen Kuss zum Abschied, Miss Cruella“, sagte Miss Pricket, als ob man mich dazu überreden müsste. In Wahrheit ließ ich mir absichtlich Zeit. Ich wollte Mama in ihrem Pelzmantel sehen.

„Du kannst mir in die Diele folgen, wenn du möchtest, Cruella, und mich dort verabschieden, bevor du hinunter in die Küche gehst.“

Miss Pricket nahm mich bei der Hand und trat vom Morgenzimmer in die Diele, die Eingangshalle. Sie war der zentrale Knotenpunkt unseres Heims. Man könnte sagen, sie war das Herz des Hauses. In der Mitte stand ein runder Tisch mit einer wundervollen Vase voller Blumen, die täglich ausgewechselt wurden. Wenn mein Vater durch die Tür kam, legte er seinen Hut häufig auf diesem Tisch ab. Er wurde dann natürlich rasch von seinem Diener entfernt, um ihn zu reinigen, bevor er auf sein Zimmer zurückgebracht wurde, wo mein Vater ihn am nächsten Tag finden würde. Zur Rechten der Eingangshalle lag unser eindrucksvoller Speisesaal, und zu ihrer Linken erhob sich die ausladende Treppe, die nach oben zu einem Salon und einem Ballsaal führte. Noch ein Stockwerk höher lagen unsere Schlafgemächer. Von dort führte eine schma­le Treppe hinauf zum Quartier der Bediensteten, gleich unter dem Dach. Am Fuß der großen Treppe lag der Gang, der hinunter in den Keller führte, wo die Küche war und die Dienerschaft ihrer Arbeit nachging. Und genau gegenüber der Eingangstür lag das Morgenzimmer, die Seele des Hauses.

Jackson und Jean standen neben der Tür und warteten auf uns. Jackson hielt Mamas Pelzmantel bereit, und Jean trug die Handtasche meiner Mutter, die im Licht der frühen Abendsonne glitzerte. Nachdem Jackson meiner Mutter in den Mantel geholfen hatte, tätschelte sie mir den Kopf.

„Jetzt sei ein braves Mädchen, Cruella. Und stopf dich nicht mit Süßigkeiten voll, ganz gleich, wie sehr Mrs. Baddeley auch darauf bestehen mag. Auf Wiedersehen, mein Liebling. Ich werde zum Abendessen nicht zu Hause sein.“ Sie warf mir eine Kusshand zu und rauschte zur Tür hinaus. Ihr langer Pelzmantel schwang dramatisch hinter ihr her. Meine Mutter eilte ständig davon, um ihre Freunde zu treffen, und kehrte manchmal nicht vor dem Abend zurück. Und wenn Vater nicht daheim war oder länger im Oberhaus blieb, kam sie manchmal erst spät nach dem Abendessen nach Hause, wenn ich bereits im Bett war.

So verliefen die meisten Tage.

Oh, aber wie sehr ich meine besondere Zeit mit Mama liebte. Eine Stunde täglich, jeden einzelnen Tag, solange ich mich erinnern kann. Eine ganze Stunde, nur für mich. Es war der Höhepunkt meines Tages. Eine Erinnerung, an die ich mich festklammere, hier in der Dunkelheit.

Meine Zeit mit Mama.

Meine wunderschöne Mama in ihren Pelzmänteln, glitzernden Juwelen und ausgefallenen Kleidern. Meine wunderschöne Mama, die zu aufregenden Orten davoneilte. Sie war groß, schlank und zierlich, mit atemberaubendem schwarzem Haar und Augen von einem so dunklen Braun, dass auch sie beinahe schwarz wirkten. Sie hatte hohe Wangenknochen, für die jedes Model und jede Schauspielerin sterben würde. Sie war immerzu reich geschmückt mit Diamanten und in glitzernde Kleider gewandet, und dann – natürlich – ihre Pelzmäntel. Wenn ich jetzt meine Augen schließe, sehe ich sie vor mir. Leuchtend in der Dunkelheit wie ein strahlender Stern.

Nach meiner glückseligen Stunde im Morgenzimmer mit Mama geleitete Miss Pricket mich hinunter in die Küche, damit ich mich bei Mrs. Baddeley, unserer Köchin, für das Gelee bedankte. Sie schickte nicht jeden Tag ein Gelee nach oben, aber wenn sie es tat, bestand Mama darauf, dass ich mich erkenntlich zeigte.

Ich muss ehrlich sein: Mrs. Baddeley war unerträglich. Sie war eine gedrungene Frau mit rotem Kopf und Augen, die ständig zu lächeln schienen. Oft war sie mehlbestäubt, und Haarsträhnen fielen ihr aus dem Dutt, den sie hoch auf dem Kopf trug. Jedes Mal, wenn sie sich die Haare aus dem Gesicht wischte, schmierte sie sich nur noch mehr Mehl in die Strähnen. Sie liebte es, mit mir zu reden, als wäre ich noch immer ein kleines Mädchen und keine junge Dame, und stellte mir Fragen über Dinge, die sie ehrlich gesagt überhaupt nichts angingen. Was interessierte es sie, welche Fächer ich in der Schule belegte? Mama fragte mich doch auch nicht darüber aus, welche Themen ich gerade behandelte. Warum also sollte unsere Köchin das tun?

Auf dem Weg die Treppe hinunter kniff ich die Augen fest zusammen, ermahnte mich, freundlich zu ihr zu sein, und wappnete mich mental gegen die gequietschte Litanei an Fragen, mit der sie mich gleich bestürmen würde.

„Oh, Cruella! Wie geht es meinem Mädchen denn heute?“, fragte sie, kaum dass sie das Klicken meiner Absätze auf der Treppe gehört hatte. Für eine ältliche Frau hatte sie ein beachtliches Gehör.

„Es geht mir sehr gut, Mrs. Baddeley“, sagte ich meinen Text auf. „Vielen Dank für das Gelee, es war wunderschön.“ Ihr Gelächter war ein wenig heiser, ungeniert und laut. Es passte perfekt zu ihrem Äußeren.

„Oh, meine Süße, es schmeckt sogar noch besser, als es aussieht! Hier, bitte sehr“, sagte sie, häufte eine riesige Portion auf einen Teller und stellte ihn sich gegenüber auf die Kücheninsel, wo sie gerade Teig ausrollte. „Setz dich, meine Liebe. Ich weiß doch, dass du Gelee am liebsten hast.“

In Wahrheit hasste ich Gelees, aber irgendwie hatte sie sich in den Kopf gesetzt, dass ich sie liebte. Daher machte es ganz den Anschein, als ob ich für den Rest meiner Kindheit mit Mrs. Baddeleys Gelees überhäuft werden würde.

Ich setzte mich auf den Stuhl ihr gegenüber, zwang das Gelee in mich hinein und sah zu, wie sie mit einem nervtötenden Lächeln auf den Lippen ihren Teig ausrollte und mich mit ihren geistlosen Fragen löcherte.

„Möchtest du vielleicht ein paar Freunde zum Tee einladen? Was ist mit diesem lieben Mädchen, Anita? Wir könnten eine kleine Party veranstalten! Ich mache dir all deine Lieblingsspeisen. Hat Anita nicht eine Schwäche für Zitronentörtchen?“

„Das hat sie, danke“, erwiderte ich zwischen winzigen Bissen. Mama hatte mich schließlich ermahnt, nicht zu viel zu essen.

„Ich kann es einfach nicht fassen, wie groß du geworden bist. Meine Güte, bald wirst du schon zwölf, Miss Cruella! Ich werde dir etwas ganz Besonderes zum Geburtstag machen, da kannst du dir sicher sein.“ Ganz ehrlich, die Frau hörte einfach nicht auf zu reden. „Dann dauert es jetzt auch nicht mehr lange, bis du schon aufs Mädchenpensionat gehst. Nur noch ein paar kurze Jahre. Bist du schon aufgeregt? Nervös? Oh, Cruella, du wirst die Schule lieben, all die neuen Freunde und die Abenteuer …“

So ging es noch eine gefühlte Ewigkeit weiter. Wie unverfroren. Als ob sie eine Ahnung davon hätte, was mir gefallen würde und was nicht. Ständig heuchelte sie Interesse an mir vor, diese Mrs. Baddeley. Es trieb mich in den Wahnsinn. Nicht einmal meine Mutter stellte mir diese Fragen. Wie kam eine Köchin dazu zu glauben, dass es ihr zustand? Aber ist das nicht immer so mit den Köchinnen, dass sie sich mit den Kindern des Hauses anfreunden? Mama hat mir Geschichten über die Köchinnen ihrer Familie erzählt, wie sie ihr Süßigkeiten zugesteckt und unangemessene Unterhaltungen angefangen haben. Ich weiß, dass Anita die Köchin ihres Vormundes vergötterte. Sie sah in ihr so etwas wie eine zweite Mutter. Aber das war etwas, was ich nie verstanden hatte. Ich hatte eine Mutter. Eine wundervolle Mutter. Was sollte ich also mit einer mehlbestäubten Frau, die ständig um mich herumwuselte? Selbstverständlich war ich höflich zu ihr. Ich beantwortete ihre Fragen. Und ich war süß dabei. Nicht ganz so süß wie Mrs. Baddeleys ungesunde Gelees, aber trotzdem noch süß genug. Von einer jungen Dame wird erwartet, dass sie sich in solchen Situationen zu benehmen weiß, und so setzte ich stets ein Lächeln auf, wenn ich hinunterging, um meine Pflicht zu erfüllen und mich bei dieser nervtötenden Frau zu bedanken.

Hin und wieder ging sogar meine Mutter hinunter und sprach mit der Köchin, um sich über ein beachtenswertes Gericht zu äußern oder ihr dafür zu danken, dass sie gewisse Gäste beeindruckt hatte. Ich glaube, dass Mama das nur tat, weil sie befürchtete, dass wir unsere Köchin an einen anderen Haushalt verlieren könnten, wenn wir nicht von Zeit zu Zeit ein wenig Aufheben um sie betrieben. So viele unserer Gäste zeigten sich beeindruckt von Mrs. Baddeleys Kochkünsten, dass meine Mutter sicher war, dass jemand versuchen würde, sie uns wegzuschnappen. „Es ist nicht mehr wie in früheren Zeiten“, pflegte Mama zu sagen, „als die Dienerschaft noch ihr ganzes Leben lang an einen einzigen Haushalt gebunden war. Heutzutage haben sie andere Möglichkeiten. Manche von ihnen können sogar lesen und schreiben. Wir müssen unseren Teil dazu beitragen, dass sie loyal bleiben.“ Und so stieg sie in ihren glitzernden Kleidern die Treppe hinab, wo sie vollkommen fehl am Platze wirkte, um Mrs. Baddeley ein dankbares Lächeln zu schenken und sie zu loben. Das tat sie auf eine Art und Weise, wie man sonst nur mit einem treudoofen Welpen spricht.

Ah, Welpen. Aber zu dem Teil der Geschichte kommen wir noch früh genug.

Also nahm ich mir meine Mutter zum Vorbild und ging hinunter in die Küche, um mich bei Mrs. Baddeley zu bedanken, wenn sie mir wieder einmal ein Gelee gemacht hatte. Ich achtete sorgfältig darauf zu betonen, dass ich Himbeere am liebsten mochte. Ich fragte, ob ich die Form sehen dürfe, in der sie es zubereitet hatte, weil es so schön aussehe. All das entlockte Mrs. Baddeley ein entzücktes Kichern. Sie schwabbelte und wackelte durch die Küche, dass sie selbst wie ein Gelee aussah. Sie holte die Form von dem hohen Schrank herunter und zeigte sie mir. Ich heuchelte Faszination.

„Danke, Mrs. Baddeley. Könnten Sie das nächste Mal vielleicht die runde Gugelhupfform verwenden? Die mit den kleinen Bäumen. Die liebe ich einfach.“

Ehrlich gesagt hätte es mir nicht gleichgültiger sein können, in welcher Form mein Gelee kam. Welche Form auch immer, ich würde es so oder so hinunterwürgen müssen. Aber die Bitte brachte sie zum Lachen und schien ihr einfaches kleines Herz mit Freude zu füllen, und sie glaubte mir, Närrin, die sie war. „Das werde ich, Miss Cruella! Und es wird auf jeden Fall wieder Himbeere sein!“

„Danke schön, Mrs. Baddeley“, sagte ich.

So eine Idiotin, dachte ich.

„Und wie war dein Besuch bei deiner Mutter heute?“, fragte sie und wirkte dabei beinahe traurig. Aus irgendeinem Grund sah sie dabei zu Miss Pricket hinüber, als erwartete sie die Antwort von ihr.

„Sie war wunderschön, wie immer“, sagte ich ein wenig lauter als unbedingt nötig, damit sie verstand, dass die Antwort von mir gekommen war und nicht von meiner Gouvernante.

„Ich bin sicher, dass sie mehr Zeit mit dir verbringen würde, wenn sie könnte, Miss Cruella“, sagte sie, die Hände mit Mehl beschmiert, während sie den Teig für eine herzhafte Pastete ausrollte, die sie für das Abendessen der Dienerschaft zubereitete. Sie legte Wert darauf, mir zu berichten, dass Jackson Kaninchenpastete am liebsten aß. Ich gab mir Mühe, nicht angewidert die Nase zu rümpfen. Als ich das letzte Mal hier unten gewesen war, hatte sie etwas zubereitet, das sie Cottage Pie nannte. Ich nahm an, dass die unteren Klassen Pasteten liebten.

„Wir hatten eine herrliche Stunde miteinander“, sagte ich mit einem gezwungenen Lächeln. Mrs. Baddeley und Miss Pricket tauschten einen weiteren Blick.

Es war so seltsam, wie sie immer Blicke austauschten, wenn wir über Mama sprachen. Sie mussten eifersüchtig sein. Ich meine, wie hätten sie das auch nicht sein können? Warum sonst sollten sie so merkwürdige Blicke austauschen? Meine Mutter war eine Lady, und die beiden waren schließlich nur Personal.

Und dann, als befürchtete sie, dass ich etwas Derartiges laut aussprechen könnte (was ich niemals getan hätte, da es nicht ansatzweise damenhaft gewesen wäre), nahm Miss Pricket mich bei der Hand und gab mir somit das Signal, dass es an der Zeit war, wieder nach oben zu gehen. Gott sei Dank, denn wie sich herausstellte, waren wir stundenlang dort unten gewesen.

„Na, kommen Sie, Miss Cruella. Sollen wir nach oben gehen und Miss Anita anrufen, um sie für morgen zum Tee einzuladen?“

„Das wäre wundervoll“, erwiderte ich, rutschte von meinem Stuhl und nahm Miss Prickets Hand.

Als ich an Miss Prickets Hand die Stufen hinaufstieg und Mrs. Baddeley lächelnd zum Abschied winkte, fühlte sich mein Herz plötzlich leichter an. Ich stieg aus der Dunkelheit des Küchenkerkers empor in eine Welt, die real war und in hellem Glanz erstrahlte.

Hier oben gab es Licht und Schönheit und nicht einen einzigen Flecken Mehl.

Ich verabscheute meine Besuche im Keller. Dort unten war es dunkel und stickig, und die Bediensteten wirkten in dem dämmrigen Licht wie bleiche Gespenster. Aber was konnten sie auch groß dagegen tun? Den ganzen Tag über im Keller beschäftigt, wie sie es waren, blieb ihnen keine Zeit, hinaus in die Sonne zu gehen. Ich glaube, das war einer der Gründe, aus denen sie mir nicht real erschienen.

Miss Pricket war beinahe real, nehme ich an. Genau genommen war sie keine Bedienstete, aber sie war auch kein Teil der Familie. Sie nahm ihre Mahlzeiten nicht mit der restlichen Dienerschaft ein. Und sie wohnte auch nicht im Quartier bei den anderen Bediensteten, lebte nicht versteckt unter dem Dach wie alle anderen. Sie nahm ihre Mahlzeiten entweder mit mir ein, wenn meine Familie den Abend außer Haus verbrachte, oder sie aß von einem Tablett in ihrem Zimmer, das gleich gegenüber von meinem eigenen lag. Miss Pricket hätte beinahe als Dame durchgehen können, wenn sie sich nur wie eine gekleidet hätte. Hübsch genug war sie nämlich unter ihrer strengen Gouvernantentracht. Ihre Uniform ließ sie um einiges älter wirken, als sie es tatsächlich war. Als ich noch klein war, hatte mich das verwirrt, weil Mama sie stets als alte Jungfer bezeichnete. Erst als ich älter wurde, habe ich begriffen, dass sie in Wahrheit noch ziemlich jung war. Sie hatte hellgrüne Augen, rotblondes Haar, sommersprossige Wangen und eine schlanke Figur. Sie war zierlich und elegant wie eine Dame. Aber sie war keine Dame.

Sie war ein Zwischen-Mensch.

Als Miss Pricket und ich endlich den Weg aus der Küche hinter uns gebracht und die Diele erreicht hatten, sah ich, wie unser Butler Jackson auf die Tür zuging, um jemanden hereinzulassen. Jackson war groß, grauhaarig und vollkommen unbewegt. Er strahlte eine gewisse Würde aus, seine Haltung war stets tadellos. Jackson führte den Haushalt wie ein General seine Armeen, nur ohne das Geschrei. Er schrie niemals. Zumindest schrie er nie die Treppe hinauf.

Jackson öffnete die Tür. Zu meiner Überraschung war es Mama! Mein Herz machte vor Freude einen Satz, und mir entschlüpfte ein begeistertes Quietschen. Ich hatte sie nicht so bald zurückerwartet.

„Cruella, bitte! Benehmen Sie sich wie eine Dame!“, wies Miss Pricket mich zurecht und drückte meine Hand.

Mama kam in die Diele gerauscht wie ein Filmstar. Ihr Pelzmantel wallte dramatisch um ihre schlanke Gestalt. Mehrere Lakaien folgten ihr, die alle mit ihren vielen Schachteln beladen waren.

„Hallo, Mama!“, sagte ich und streckte ihr in der Hoffnung auf einen Kuss die Wange hin.