Disney Villains 9: Niemals Nimmerland - Walt Disney - E-Book
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Disney Villains 9: Niemals Nimmerland E-Book

Walt Disney

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Beschreibung

James Bartholomew wurde aus Nimmerland zurückgeholt – einen Tag, bevor er ein »verlorener Junge« geworden wäre. Er hasst alles, was mit dem Erwachsenwerden zu tun hat und möchte kein Gentleman sein. Daher wird er stattdessen Pirat und Halsabschneider. Als Kapitän seines eigenen Schiffes ist James mit Hilfe der Verdrehten Schwestern und ein bisschen Magie entschlossen, nach Nimmerland zurückzukehren. Doch alles hat seinen Preis – und jetzt, wo er erwachsen ist, scheint die ganze Welt seinen Untergang herbeizusehnen ... 

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Gewidmet meinen wundervollen Leser*innen für ihre unerschütterliche Liebe, Unterstützung und Begeisterung für diese Reihe. Ich liebe euch und weiß euch mehr zu schätzen, als ihr es euch jemals vorstellen könnt. Danke.

PROLOG

Aus dem Buch der Märchen

Captain James Hook

Captain James Hook möchte verlautbaren lassen, dass er der mutigste Mann ist, der je eine Piratenflagge gehisst hat. Doch wir kennen die Wahrheit. Wir können in die wankelmütigen Herzen der Männer sehen, und wir schreiben ihre Geschichten. Wir sind die Verdrehten Schwestern, mächtige Hexen, Schöpferinnen der Schicksale und die Autorinnen dieses Buches der Märchen. Wenn ihr diese Geschichten in der Reihenfolge lest, die wir vorherbestimmt haben, werdet ihr euch daran erinnern, dass wir uns in der Zwischenwelt befinden – dem Ort zwischen dem Reich der Lebenden und den Landen hinter dem Schleier. Obwohl viel Zeit vergangen ist, seit unsere Tochter Circe sich selbst geopfert hat, um die Vielen Königreiche zu retten, verweilen wir weiterhin als Gefangene an diesem Ort, mit nur einem einzigen unserer magischen Spiegel, um zu sehen, was in der Welt dort draußen vor sich geht. Nicht, dass wir ihn brauchen – diese Geschichten haben sich in unsere Seelen gebrannt, denn wir haben sie geschrieben, und wir haben Mittel und Wege gefunden, unseren Einfluss in den Vielen Königreichen spürbar zu machen – und in den Ländern darüber hinaus. Aber vorerst genug von unserer eigenen Geschichte. Dies ist die Geschichte von Captain James Hook.

James war nicht immer der Mann, der er heute ist, immerzu ausgetrickst von den Verlorenen Jungs, reingelegt von ihrem schelmischen Anführer Peter Pan oder verfolgt von einer tiefen und unbändigen Angst vor einem bösartigen Krokodil mit einer tickenden Uhr im Bauch. So schwierig es sich auch vorzustellen sein mag, es gab eine Zeit, da war James eine äußerst tapfere Seele und einer der gefürchtetsten und angesehensten Piraten, die je die sieben Weltmeere befahren haben. Doch diese Geschichten wurden von seinen Missgeschicken in Nimmerland überschattet, von seinem Ruf, ein feiger „Erwachsener“ zu sein. Unsere Geschichte konzentriert sich auf die Zeit, bevor James den Weg nach Nimmerland gefunden hat, denn ihr wisst bereits, was geschah, sobald er dort auftauchte. Die Abenteuer von Peter Pan und seinem Erzfeind Captain Hook sind überall bekannt. Was ihr aber nicht wisst, ist, wie James zu Captain Hook wurde und wie er sich diesen Namen verdient hat.

James wurde das Leben eines Piraten nicht in die Wiege gelegt. Er wuchs in London auf, einem recht gewöhnlichen, nicht-magischen Reich, wo er als Sohn eines großen Lords und einer Lady auf die Welt kam, lange vor Lady Tremaine und Cruella de Vil, aber nicht allzu verschieden von deren Erziehung. Ihr werdet bemerken, dass sich die letzten drei Einträge in diesem Buch der Märchen in der Zeit zurückbewegen anstatt nach vorn. Aber wie ihr schon bald feststellen werdet, ist Zeit in den magischen Reichen nicht von Bedeutung, und weniger noch für jene, die über die Ländereien herrschen, in denen die Magie so dicht ist wie im Wald der Toten in den Vielen Königreichen.

Wie bei so vielen Kindern in aristokratischen Haushalten lag James’ tägliche Betreuung in den Händen einer Amme, einer Nanny, die sich jeglicher Bedürfnisse des Kindes annahm. Bei einem ihrer täglichen Spaziergänge durch den Park wurde die Aufmerksamkeit von James’ Amme abgelenkt. Als sie wieder zu ihrem Schützling sah, musste sie feststellen, dass James aus seinem Buggy – oder auch Kinderwagen, je nachdem, wo auf der Welt ihr diese Geschichte lest – verschwunden war.

Wie ihr euch vorstellen könnt, säte James’ Verschwinden Verzweiflung in die Herzen seiner Familie. Der kleine James wurde sechs Tage lang vermisst. Für seine Eltern waren es sechs herzzerreißende Tage. Aber nach allem, was man so hört, waren es die sechs glorreichsten Tage in James’ gesamtem Leben … und sind es noch bis zum heutigen Tag.

In all der Zeit, die wir nun schon Märchen in diesem Buch niederschreiben, ist eines der entzückendsten Dinge, die wir über London gelernt haben, die Tatsache, dass es für ein nicht-magisches Reich erstaunlich häufig von der Magie anderer Welten berührt wird. Wenn zum Beispiel in London ein Junge aus seinem Kinderwagen fällt, wird er an einen Ort namens Nimmerland gebracht. Und sollten seine Eltern ihn nicht innerhalb von sieben Tagen zurückfordern, wird er dort bleiben und fortan als ein Verlorener Junge gelten.

Wie wir finden, eine durchaus sinnreiche Lösung, denn wer sonst sollte sich um kleine Jungen kümmern? Mit Sicherheit nicht die edlen Feen des Feenreiches, deren Aufmerksamkeit beinahe vollständig von jungen Mädchen in Beschlag genommen wird – bis auf die Blaue Fee, aber sie ist in mehr Fällen als nur diesem die Ausnahme –, und wir Hexen haben keine Zeit, uns mit schmuddeligen kleinen Jungs herumzuärgern. Wir vermuten, dass der Feenrat aus diesem Grund eine widerspenstige kleine Tinkerfee mit Namen Tinkerbell geschickt hat, um sich um die Jungen im Nimmerland zu kümmern. Zwei Fliegen mit einer Klappe, wie es so schön heißt: Der Feenrat hat jemanden, der sich um die kleinen Rabauken kümmert, die sich einfach weigern, erwachsen zu werden, und sich eine Fee vom Hals geschafft, die die Gute Fee und ihre drei Lieblinge missbilligen. Das ist nicht ungewöhnlich für das Feenreich, wie ihr vielleicht bereits gelesen habt oder in diesem Wälzer noch lesen werdet, solltet ihr euch entschließen, ihn genauer unter die Lupe zu nehmen. Aber wir wollen an dieser Stelle nicht noch mehr Zeit mit der Guten Fee und ihresgleichen verschwenden. Stattdessen werden wir uns ganz auf James konzentrieren und auf sein erklärtes Ziel, Nimmerland zu finden.

Für uns war Nimmerland ein unbedeutender Ort, voller übellauniger und törichter kleiner Jungs, die niemals erwachsen werden wollen – und das irgendwie auch niemals tun. Das schien das gesamte Ausmaß der Magie dort zu sein, soweit wir wussten, mit Ausnahme von Tinkerbells magischem Feenstaub. Daher machte es uns nicht viel aus, dass es uns vom Feenrat verboten war, dorthinzureisen. Aber als James begann, unsere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, wandte sich unser Blick gen Himmel, zum zweiten Stern rechts und dann geradeaus bis zum Morgen.

Wie ihr euch vorstellen könnt, übte ein Ort wie Nimmerland einen gewissen Reiz auf den jungen James aus.

Als er in London aus seinem Kinderwagen fiel, verbrachte er sechs Tage im Nimmerland. Es war ein Ort voller Abenteuer, wo er in Tierhäuten herumlief und mit den Verlorenen Jungs allerlei Unfug trieb. Es war weitaus reizvoller als sein Leben in London mit seiner steifen Amme. Liebend gern hätte er den Rest seiner Tage dort verbracht, aber unglücklicherweise wurde er von seinem Eltern gefunden, am sechsten Tag, und zurück nach Hause gebracht. Wenn er nur einen einzigen weiteren Tag verschwunden geblieben wäre, hätte Nimmerland ihn für sich beansprucht, und er wäre für immer ein Verlorener Junge geblieben. Aber sein Schicksal war es, erwachsen zu werden.

James sollte nie darüber hinwegkommen, Nimmerland hinter sich lassen zu müssen. Visionen von dem Leben und den Abenteuern, die er hätte haben können, verfolgten ihn bis zur Besessenheit und bis ins Erwachsenenalter hinein. Er machte es sich zur Lebensaufgabe, nach Nimmerland zurückzukehren, und er gab seine Suche niemals auf.

Als James älter wurde, setzte er es sich zum Ziel, alles nur Erdenkliche über Nimmerland und darüber, wie er es wiederfinden könnte, herauszufinden. Aber die Geheimnisse von Nimmerland sollten immer außer Reichweite bleiben. Er fand nichts als Gerüchte, die verdächtig nach Ammenmärchen klangen und sich um die Abenteuer von Peter Pan drehten. Abenteuer, die, wie James fand, seine eigenen hätten sein sollen und die man ihm ungerechterweise gestohlen hatte, als man ihn fand und zurück nach Hause brachte. Gerade, als er schon die Hoffnung aufgeben wollte, Nimmerland jemals wiederzufinden, entdeckte James wie durch Magie Geschichten über Piraten in den Regalen der Bibliothek seines Vaters. Er war wie gebannt von diesen ruchlosen Piraten, denen man nachsagte, mysteriöse und magische Lande anzusteuern. Er war begeistert von den Geschichten über die tapferen Männer und Frauen, die auf hoher See nach Schätzen suchten und Abenteuer erlebten, in seiner Welt und darüber hinaus.

Für James’ Eltern, die ihn zu einem anständigen jungen Gentleman erzogen, war das natürlich undenkbar. Er wurde auf die besten Schulen geschickt, erst nach Eton und dann auf das Balliol College in Oxford, und nach seinem Abschluss wurde von ihm erwartet, dass er sich eine wohlhabende junge Frau suchte, um sie zu heiraten. Wie so viele betitelte Familien waren auch James’ Eltern mit dem Unterhalt eines großen Anwesens mit den entsprechenden Ländereien belastet – ohne über die finanziellen Mittel zu verfügen, dies zu stemmen. Selbstverständlich würden sie sich nie dazu herablassen, zu arbeiten, und so blieb ihnen einzig die Option, die Tochter einer reichen Familie als Ehefrau für ihren Sohn zu finden, um ihren Familiensitz zu retten. Aber James hatte andere Pläne. Er wollte Pirat werden.

James las jedes Buch über Piraten und ihre Schiffe, das er in die Finger bekommen konnte, und verfolgte eisern sein Ziel, auch den erfahrensten Piraten mit seiner Kenntnis der Kartographie, Navigation, Schiffstakelage, Artillerie und Rangordnung der Crew beeindrucken zu können. Und natürlich machte er sich durch die Erzählungen ihrer Heldentaten und Abenteuer mit ihren hinterhältigen und heimtückischen Methoden vertraut. Seine Zeit in Eton und auf dem Balliol College stellte sich als äußerst nützlich für seine Recherche heraus. Bereits in jungen Jahren hatte er alles in der Bibliothek seines Vaters gelesen. Nun stellte er erfreut fest, dass ihm während seiner Zeit in der Schule in den riesigen und umfangreichen Bibliotheken eine völlig neue Welt der Bücher zur Verfügung stand. Aber seine Bildung und seine zuweilen obsessive Liebe zu Büchern brachte James noch einen weiteren Nutzen, den er nicht erwartet hatte. Er wurde zu einem exzellenten Geschichtenerzähler und stellte fest, dass er über beinahe jedes Thema mit einer gewissen Autorität sprechen konnte, da er seine Meinung stets mit den Fakten untermauern konnte, die ihm wie von selbst aus einem der zahlreichen Bücher im Gedächtnis geblieben waren, die er im Laufe der Jahre verschlungen hatte. Mit anderen Worten, er war ein guter Redner, woraus er größten Stolz zog. Je mehr James über Piraten las, desto mehr war er davon überzeugt: Wenn irgendjemand ihm dabei helfen konnte, Nimmerland zu finden, dann nur ein Pirat. Ihm fiel niemand anders ein, der mehr von der Welt gesehen oder interessantere Menschen getroffen hatte. Was James nicht erwartet hatte, war, dass ihn seine Abenteuers schließlich in die Vielen Königreiche führen würden, einen wahrhaftig magischen Ort, der seinesgleichen suchte. Aber wir greifen zu weit vor.

James’ eigentliches Abenteuer begann am Abend seines Abschlusses von Balliol College. Für seine Familie hätte es eigentlich keine Überraschung sein dürfen, als ihr Butler ihnen an diesem Abend den Abschiedsbrief überreichte, den James ihnen neben einem Stapel Piratenbücher hinterlassen hatte. Nichtsdestotrotz waren sie gleichermaßen schockiert wie entsetzt. Wer hingegen nicht im Mindesten überrascht war, war besagter Butler, denn er war es, der wahrhaftig gewusst hatte, wofür James’ Herz schlug, seit er ein Junge gewesen war.

Liebste Mama, liebster Papa,

heute folge ich meiner wahren Berufung. Zu dem Zeitpunkt, da Ihr diese Zeilen lest, hoffe ich bereits auf bestem Wege zu sein, meinen Traum zu erfüllen, meinen Mut gegen tückische Wasser und noch gefährlichere Feinde zu beweisen, auf meiner Suche nach dem stets so flüchtigen Nimmerland, dem Ort, von dem ich überzeugt bin, dass ich dorthingehöre. Ich trage einen erbitterten Kampf in meinem Herzen aus, der mich davon abhält, es Euch zum Vorwurf zu machen, dass Ihr Anspruch auf mich erhoben habt, bevor ich zu einem Verlorenen Jungen werden konnte. Ich rufe mir ins Gedächtnis, dass Ihr dies nur aus Liebe zu mir getan habt, aber ich kann es nicht über mich bringen, das Leben zu führen, das Ihr für mich vorgesehen habt. Bitte seid gewiss, dass ich Euch nicht aufgegeben habe, und ich entziehe mich auch nicht meinen Pflichten gegenüber unserer Familie. Ich habe einen Weg gefunden, das Leben zu führen, das ich mir ersehne, und zugleich meinen Pflichten nachzukommen. Ich werde ein Pirat sein. Seid versichert, dass ich Euch meine Beute zukommen lassen werde, während ich die Ozeane bereise in dem Bestreben, Nimmerland ausfindig zu machen.

Getreulich der Eure,

James

KAPITEL I

Die Krustige Kröte

James hätte wohl kaum mehr fehl am Platz wirken können, als er die Krustige Kröte betrat, ein berüchtigtes Etablissement im schlimmsten Teil von London, in dem bekanntermaßen Piraten verkehrten. Es war eine schmuddelige Spelunke mit dreckigen, ölverschmierten Holzdielen und -tischen, spärlich beleuchtet und gefüllt mit den ungehobeltsten Kerlen, die James je zu Gesicht bekommen hatte. All seine Bücher hätten ihn nicht auf die Art von Männern vorbereiten können, die er an diesem Abend traf. Sie hatten ihn jedoch darauf vorbereitet, wie er sich in der Gesellschaft von Piraten zu kleiden und wie er zu reden hatte, und er war recht zufrieden mit sich, dass er sich die Mühe gemacht hatte, sich angemessen auszustatten und mit ihrem Jargon vertraut zu machen. Er hatte recherchiert, welche Livree für den Dienst an Bord eines Piratenschiffes die richtige war, und sie in einem kleinen Laden am Eaton Square erworben, in dem es allerlei faszinierende Gegenstände mit interessanten Geschichten gab, darunter auch den verwegenen schwarzen Piratenmantel, den er an diesem Abend trug. Die versammelten Männer waren alle von recht derbem Äußeren, mit Kleidung, die von langem Tragen und Schlachten verschlissen war. James hatte das Gefühl, dass er in seiner brandneuen Livree aus der Menge hervorstach, und obwohl er sich große Mühe gegeben hatte, nicht den auffälligsten Mantel zu kaufen, war er trotzdem um Längen besser gekleidet als die anderen Männer vor Ort. Besonders zwei der Piraten wirkten noch wettergegerbter und garstiger als der Rest, und sie beäugten James mit unverhohlenem Interesse, als er die Krustige Kröte betrat – ein Pirat mit buschigem Bart und dunklem Haar und ein rothaariger Gauner mit einer frischen, schrecklich anzusehenden Wunde quer über dem Gesicht. James ließ seinen Blick nicht zu lange auf diesen ruchlosen Männern verweilen, aus Angst, sie zu kränken. Er holte tief Luft, als er an den Piraten vorbeiging und seine Schritte von johlendem Gelächter begleitet wurden, höchstwahrscheinlich hervorgerufen von seinem makellosen und nagelneuen weißen Piratenhemd, dem langen schwarzen Gehrock mit Gürtel und strahlenden Silberknöpfen und den glänzenden schwarzen Piratenstiefeln, die er schon früher in dieser Woche besorgt hatte.

Noch einmal dachte James zurück an den kleinen Laden am Eaton Square mit all den Kuriositäten, die sein Interesse geweckt hatten. Er war dort gewesen, um eine richtige Piratengarderobe zu erstehen, und zufrieden mit seiner Anschaffung. Beinahe hätte er einen roten Gehrock mit goldenen Aufschlägen gekauft, hatte dann aber der Versuchung widerstanden, ihn anzuprobieren, denn er wusste, dass er ihn kaufen würde, wenn er sich einmal in dem Teil gesehen hatte, und er wusste auch auf den ersten Blick, dass dies ein Mantel für einen Captain war. Vielleicht würde er eines Tages, wenn er sich die Ränge hochgearbeitet hatte und zum Captain befördert worden war, zurückkehren und den Gehrock kaufen, aber in der Zwischenzeit begnügte er sich mit den Sachen, die er trug. Er war sogar stolz darauf – zumindest war er das gewesen, bis die Piraten in der Krustigen Kröte ihn ansahen, als wäre er ein Eindringling oder eine Art Betrüger. Achte nicht darauf, dachte er. Vielleicht sind sie einfach nur neidisch, dass ich mich so vortrefflich ausgestattet habe.

James nahm in einer dunklen Ecke Platz, legte seinen kleinen Beutel mit Habseligkeiten neben sich auf der hölzernen Bank ab und zog ein Buch daraus hervor, um es zu lesen. Er zögerte, bevor er es ablegte, da er selbst in dem trüben Kerzenlicht sehen konnte, dass der grobe Holztisch von einer schmierigen Fettschicht überzogen war. Also zog er sein Taschentuch hervor und breitete es auf dem Tisch aus, damit der Schmutz sein geliebtes Buch nicht besudelte. Gerade als er sein Buch aufschlagen wollte, näherte sich ihm eine ältere Frau mit langem, ungebändigtem grauen Haar. Sie trug ein eng geschnürtes blaues Kleid mit einem grünen Mieder, fleckig und voller Dreck, da sie keine Schürze umgelegt hatte.

„Was darf’s denn sein, Gov’nah?“, krächzte sie, und James fragte sich, ob dies die Namensgeberin des Etablissements war, denn für ihn klang und wirkte sie wie eine krustige Kröte.

„Was können Sie empfehlen?“, fragte er, woraufhin das krächzende Gelächter der alten Frau den Raum erfüllte.

„Na, Sie sind mir ein Herzchen, was, Süßer? Sind Sie sicher, dass Sie hier richtig sind?“, fragte sie, augenscheinlich erheitert, und warf einen Blick über die Schulter auf die Piraten, die miteinander lachten und immer wieder in James’ Richtung sahen.

„Ich bin mir vollkommen sicher“, erwiderte er mit einem verschmitzten Grinsen und hoffte, dass die Piraten ihn gehört hatten.

„Männer wie diese hier können es nicht gut leiden, wenn man sich über sie lustig macht, und am wenigsten bei Leuten, die sich für was Besseres halten“, sagte sie und lehnte sich dabei etwas zu weit zu ihm herüber, was James höchst unangenehm war. Er versuchte, vor ihr zurückzuweichen, und fiel dabei beinahe von seiner Bank, was die Frau mit den widerspenstigen Haaren und die Piraten mit neuerlichem Gelächter quittierten. Das Geräusch ihres rauen, heiseren Gelächters jagte ihm einen Schauer über den Rücken, aber er richtete sich auf und verlieh seiner Stimme den Klang von Autorität.

„Ich versichere Ihnen, gute Frau, dass ich nichts dergleichen im Sinn habe.“ Er rutschte zurück auf seinen Platz auf der Bank. „Ich bin wie jeder andere Mann hier auch“, sagte er, zupfte sich die Ärmelaufschläge zurecht und bemerkte, dass es ihm nicht im Ansatz gelungen war, die alte Frau davon zu überzeugen, dass er hierhergehörte.

„Okay, Liebster. Sie können nicht behaupten, ich hätte Sie nicht gewarnt. Also, was kann ich Ihnen bringen?“, fragte sie kopfschüttelnd.

James sah ihr an, dass sie ihn für vollkommen fehl am Platze hielt, und in ihm stieg die Sorge auf, dass die anderen Piraten im Raum wahrscheinlich ganz ähnlich empfanden.

Mehrere kleine Tische standen wahllos im Raum verteilt, mit einem großen in der Mitte, um den ein Großteil der Kundschaft beieinandersaß. Es war eine recht bunt zusammengewürfelte Truppe von Piraten, und während viele von ihnen lachten und Geschichten austauschten, gab es auch ein paar, die bedrohlich zu James herübersahen. Einer, der rothaarige Pirat mit dem tiefen Schnitt im Gesicht, schien ein besonderes Interesse an ihm zu haben. James tat sein Bestes, dem Mann nicht mehr als einen weiteren flüchtigen Blick zuzuwerfen, und konzentrierte sich stattdessen auf die krächzende Bedienung.

„Bringen Sie mir die Spezialität des Hauses und eine Runde Erfrischungen für alle hier“, sagte James mit erhobener Stimme, damit die Piraten ihn hören konnten, was ihm jedoch kaum mehr als ein paar hochgezogene Augenbrauen und skeptische Blicke von den Piraten an dem großen Tisch einbrachte.

„Sicher doch, Gov’nah“, sagte sie und schlurfte davon, während sie etwas vor sich hinmurmelte, das James über das Krächzen ihrer Stimme und das grölende Gelächter von der Gruppe Piraten nicht verstehen konnte.

Alles in allem, dachte James, habe ich einen guten Start hingelegt. Es war ihm gelungen, sich eine angemessene Piratenausstattung zuzulegen, und er hatte den Ort gefunden, an dem sie zwischen ihren Beutezügen Rast machten. Alles, was er jetzt noch tun musste, war, sich eine Position auf einem ihrer Schiffe zu sichern. Die Dinge liefen genau so, wie er es geplant hatte, und er war außerordentlich froh mit sich.

In dem Moment kam jemand durch die hölzernen Doppeltüren des Etablissements gestürzt und brüllte wieder und wieder James’ Namen. Jedes Augenpaar im Raum richtete sich auf den untersetzten kleinen Mann mit dem grauen Haar in seiner Butlergarderobe.

„Master James, Master James, sind Sie hier?“, rief der korpulente kleine Mann, während er sich hektisch im Raum umsah.

James schämte sich in Grund und Boden. Sein Magen verkrampfte sich, als es im Raum still wurde. James sank auf seinem Platz in sich zusammen, während sich sämtliche Blicke der versammelten Piraten auf ihn richteten. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Er hatte vorgehabt, ein paar der Männer in ein Gespräch zu verwickeln, sobald die Bedienung mit ihren Getränken zurückkehrte.

„Was spielen Sie hier für ein Spiel, Master James?“, fragte der kleine Mann, das Gesicht puterrot und die Stirn nass vor Schweiß. „Warum in aller Welt sind Sie ausgerechnet hier?“

„Ja, Master James, was für ein Spiel spielen Sie hier?“, fragte einer der Piraten an dem großen runden Tisch. Er wirkte nicht wie die Sorte Mann, der James auf die Zehen treten wollte, deswegen reagierte er nicht. Allmählich bereute er es, überhaupt hergekommen zu sein.

„Also hat der junge Master beschlossen, ein bisschen Pirat zu spielen?“, fragte ein anderer Pirat lachend und schlug einem seiner Kameraden kräftig auf den Rücken, sodass dieser etwas von dem Getränk verschüttete, das er gerade an die Lippen gesetzt hatte.

„Sieht ganz so aus, als hätte er das hier mit ’ner schicken Kostümparty verwechselt!“, mischte sich ein weiterer Mann am Tisch ein.

James fühlte sich schrecklich gedemütigt. Das war nicht die Art und Weise, wie sein Abenteuer hatte beginnen sollen – oder der Eindruck, den er hinterlassen wollte. Alles war fürchterlich schiefgegangen, und er wusste nicht, wie er es wieder in Ordnung bringen sollte.

Glücklicherweise erschien die krächzende alte Frau genau im richtigen Augenblick mit einem Tablett voller Erfrischungen. Sie stellte es vor den Piraten auf dem Tisch ab und sagte: „Mit besten Grüßen von Master James.“ Die Piraten hoben ihre Humpen und ließen sie mit Schwung zusammenkrachen.

„Auf den gefürchteten Piraten Master James!“, johlten sie.

James spürte, wie sein Gesicht heiß wurde. Diese Männer lachten über ihn, aber wahrscheinlich war das immer noch besser, als kurzerhand hinausgeworfen zu werden, bevor sein Abenteuer überhaupt begonnen hatte.

„Auf Sie, Gentlemen!“, erwiderte er, hob sein Glas und setzte es dann mit einem Krachen wieder auf dem Tisch ab, bevor er den Butler mit einem zornigen Blick bedachte. „Setzen Sie sich, Mr. Smee, Sie haben schon genug Aufmerksamkeit auf mich gelenkt“, sagte er und verdrehte dabei die Augen. „Was haben Sie hier verloren?“ Sein Blick huschte kurz zu dem großen Tisch hinüber, um zu sehen, ob die Piraten ihm immer noch Beachtung schenkten.

Mr. Smee schnaubte. „Was ich hier verloren habe? Was haben Sie hier verloren, Sir? Ihre Mutter ist außer sich vor Kummer und Sorge. Es ist, als wäre sie in die Zeit zurückgereist, als Sie noch ein kleiner Junge waren, verschwunden für diese schrecklichen sechs Tage.“ James sah, dass der Mann sich ernsthaft um ihn sorgte, aber er bezweifelte, dass seine Eltern sich um irgendetwas anderes Gedanken machten als den Skandal, der über die Familie hereinbrechen würde, wenn herauskam, dass er sich aus dem Staub gemacht hatte, um Pirat zu werden.

„Und ich nehme an, sie haben Sie geschickt, um mich ausfindig zu machen? Was rede ich da, natürlich haben sie das getan. Sie würden es nicht wagen, ihr großes Haus in Verruf zu bringen. Was würden ihre Freunde denken, wenn sie davon wüssten?“ James stieß ein bitteres Lachen aus.

Smee erwiderte nichts, er bedachte James nur mit einem Blick, der diesem allzu vertraut war und den er James schon als kleines Kind zugeworfen hatte. Eine Mischung aus Mitleid und Sorge.

„Was hat Papa gesagt, als er den Brief gelesen hat?“, fragte James mit einem teuflischen Funkeln in den Augen. „Nein, warten Sie, lassen Sie mich raten, etwas in der Art von ‚Ein Pirat? Was ist das nun wieder für ein Humbug?’ Habe ich recht?“ James ließ ein herzhaftes Lachen hören, aber Smee wirkte nicht amüsiert.

„Wenn ich mir die Frage erlauben darf, Sir, wie genau gedenken sie überhaupt ein Pirat zu werden? Ich nehme an, Sie sitzen einfach hier und warten darauf, dass man Sie dingsdaheit – oder wie auch immer man das nennt“, erwiderte Smee, die Augenbrauen über seinem roten Gesicht zusammengezogen. Der arme Mann schwitzte, als wäre er den gesamten Weg über gerannt.

„Es heißt schanghait, Smee“, sagte James leise, in der Hoffnung, dass die Piraten an dem großen Tisch das Interesse verlieren würden, wenn sie ihre Unterhaltung nicht länger mitanhören konnten. „Smee, mein guter Mann, warum befinden Sie sich in diesem Zustand?“, wechselte James rasch das Thema.

„Ich war auf der Suche nach Ihnen, Master James. Ich bin durch ganz London gelaufen und habe Sie gesucht.“

„Und vertrauen auf meine Eltern, Sie mitten in der Nacht loszuschicken, noch dazu zu Fuß. Sie hätten Ihnen zumindest eine Kutsche zur Verfügung stellen können“, sagte James mit einem Kopfschütteln. Aber Smees Konzentration galt nach wie vor James.

„Wie sieht also der Plan aus, wollen Sie sich schanghaien lassen?“, fragte er lautstark, woraufhin die große Gruppe Piraten in neuerliches Gelächter ausbrach.

„Selbstverständlich nicht, machen Sie sich nicht lächerlich“, zischte James, der sich in diesem Moment nichts sehnlicher wünschte als die Fähigkeit, sich in Luft aufzulösen. Er hasste es, dass Smees Gebaren die falsche Art von Aufmerksamkeit von eben jenen Männern auf sie zog, die er beeindrucken wollte. Er hatte sich diese Nacht im Laufe der Jahre so viele Male ausgemalt, und das hier verlief nicht einmal ansatzweise so, wie er es sich vorgestellt hatte. Er hatte seine Reise noch nicht einmal angetreten, und schon war sie zum Scheitern verurteilt.

Der rothaarige Pirat am anderen Ende des Raumes legte ein besonderes Interesse an seiner Unterhaltung mit Smee an den Tag. Schon seit James’ Ankunft schnitt er Grimassen und machte abfällige Gesten in seine Richtung. „Lord Nobelgamaschen hier will Pirat werden!“, tönte der Mann und tat dabei so, als wäre er ein edler Lord und kein kampferprobter Pirat. Er hatte einen langen roten Bart und kleine, durchdringende schwarze Knopfaugen. Die klaffende Wunde, die ihm quer über das Gesicht lief, sah aus, als hätte jemand versucht, ihm den Schädel glatt in zwei Teile zu spalten. „Viel Glück, einen Captain zu finden, der jemanden von deinesgleichen auf sein Schiff lässt. Ich würde den Sohn eines Keksfressers nicht mal mein Deck schrubben lassen!“, verkündete er und brachte damit die anderen Männer an seinem Tisch so heftig zum Lachen, dass einige von ihnen ihre Getränke ausspuckten.

James war in der gleichen Manier wie andere seines Standes dazu erzogen worden, niemals Emotionen zu zeigen und stets die Ruhe zu bewahren, ganz gleich, wie die Umstände auch sein mochten. Aber dieser Pirat hatte ihn in seiner Ehre verletzt, und dies jagte einen Stoß aus Zorn und Stolz durch seine Glieder, den er so nicht erwartet hatte. Er wusste, dass er ein besserer Pirat war als jeder einzelne dieser Männer. Obwohl er sein Wissen noch nie in die Tat umgesetzt hatte, war er ein Mann, der wusste, wovon er sprach.

„In der Tat, guter Mann!“, sagte James, der sich erhob, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. „Ein alter Seebär wie Sie hat mehr Verstand als das, denn ich bin keine einfache Decksratte!“ James hatte seine Stimme erhoben und begegnete ihren Blicken, aber die Piraten lachten bloß noch lauter.

Er fühlte, wie Smee an seinem Ärmel zupfte, um ihn dazu zu bewegen, sich wieder hinzusetzen, aber James war voller Wagemut, und er würde nicht zulassen, dass ihn irgendetwas daran hinderte, Nimmerland zu finden. Er hatte alles gelesen, was es über die Piraterie zu wissen gab, und er würde sich von diesen derben alten Männern nicht einschüchtern lassen. Sein ganzes Leben lang hatte er von diesem Moment geträumt. Dies war seine Gelegenheit, und er hatte nicht vor, sie zu verschwenden. Er musste diesen Männern beweisen, aus welchem Holz er geschnitzt war, und tun, was er am besten konnte. Reden.

„Sie sollten wissen, dass ich ein Meister der Kartographie bin und über umfassende und detaillierte Kenntnisse der Schiffsanatomie und Waffentechnik verfüge“, fuhr er fort und wich keinen Zentimeter zurück, obwohl er sich jetzt Auge in Auge mit dem rothaarigen Piraten wiederfand, der zu James’ Tisch gekommen war. Bei näherer Betrachtung erkannte James, dass die Wunde des Mannes noch immer dabei war, zu heilen. Sie eiterte und verströmte einen faulen Gestank, als er sich näher zu James herüberbeugte, um mit ihm zu sprechen. Es wirkte, als bestünde sein Gesicht aus zwei verschiedenen Einheiten, die versuchten, zusammenzuwachsen. James war angewidert, als der grobschlächtige alte Mann das Wort ergriff.

„Wisst ihr, was dieser Trottel redet? Er redet Unsinn“, sagte der Pirat mit erhobener Stimme, sodass die anderen ihn deutlich verstehen konnten, obwohl er James weiterhin direkt ins Gesicht sah.

Aber James ließ sich nicht so leicht einschüchtern. Er stand stolz da und erwiderte: „Da bin ich anderer Ansicht. Ich bin Absolvent des Balliol College, und ich rede keinen Unsinn, Sir. Im Gegenteil, ich versichere Ihnen, dass ich ganz genau weiß, wovon ich spreche“. Dabei hielt er die Stellung und weigerte sich, auch nur einen Zentimeter vor dem fauligen Atem des rothaarigen Piraten zurückzuweichen.

„Balliol College, sagst du? Na, das macht natürlich einen gewaltigen Unterschied! Was jedes Schiff braucht, ist einen Rektor“, meinte ein anderer Pirat mit einem langen braunen Bart, dessen Beschaffenheit an trockenes, moosbewachsenes Geäst erinnerte.

Die anderen Piraten grölten, als sie nun ebenfalls auf die Füße kamen und sich James’ Tisch näherten. Smee blickte zunehmend nervöser, aber James hielt weiter sein Plädoyer.

„Ich habe jedes Buch zum Thema Piraten und ihre Schiffe gelesen, das es gibt, und kann Ihnen versprechen, dass ich ein Gewinn für jede Crew wäre“, sagte er, den Kopf hoch erhoben und beinahe platzend vor Stolz.

Aber die Piraten lachten nur noch lauter.

„Da stimme ich zu!“, ertönte eine tiefe, heisere Stimme aus einer dunklen Ecke des Raumes, deren Klang das Gelächter der Männer im Keim erstickte und den rothaarigen Piraten voller Furcht vor dem geheimnisvollen Mann zurückweichen ließ.

„Aye, vielleicht haben Sie recht, Sir“, murmelte er und versetzte seinem Freund mit dem Bart einen auffordernden Stoß in die Rippen. James sah, dass auch die anderen Piraten im Raum sich vor diesem Mann fürchteten, und zwar so sehr, dass der bloße Klang seiner Stimme sie rasch an ihre Tische zurückscheuchte.

Ende der Leseprobe