Diva del Garda - Katharina Eigner - E-Book

Diva del Garda E-Book

Katharina Eigner

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Beschreibung

Haus verloren, Herz gebrochen: In Riva am Gardasee rappelt sich Restauratorin Rosina wieder auf. Ab jetzt residiert sie im Wohnmobil, und zwar solo. Soweit der Plan. Aber dann überfährt sie beinahe Mario, den gutaussehenden Ex-Kardinal, und wirft ihre Vorsätze schnell über Bord. Ihre Camper-WG entwickelt sich rasch zur Arbeitsgemeinschaft, denn ein Kunstwerk hat den Besitzer gewechselt. Rosina will das Gemälde aufspüren und schaltet in den Ermittler-Modus. Freie Fahrt für die Diva del Garda!

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Katharina Eigner

Diva del Garda

Gardasee-Krimi

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © aleksa__ch / shutterstock.com und Janvier / stock.adobe.com

ISBN 978-3-8392-7472-9

Widmung

Zum Andenken an meine patente Patentante Rosina.

1. Kapitel

Erzählt von Diebstahl, barocken Meistern, Crostini und dem richtigen Zeitpunkt. Rosina glänzt in der Theorie, versagt in der Praxis und fährt ihr Herz an die Wand. Ich werde am freundschaftlichen Abstellgleis geparkt, habe Vorahnungen und eine Informantin. Es geht um Zwiebeln, Basilikum und Lavendelblüten. Meine beste Freundin mixt Alkoholisches, sieht der Wahrheit ins Gesicht und passt sich den Gegebenheiten an.

Susanna und die Ältesten verschwanden zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Es war der 15. August, Ferragosto in Italien. Der Tag, an dem die Temperaturen hoch und die Straßen voll sind. Wo sich italienische Familien auf Picknickdecken und Urlauber in Freizeitparks quetschen, Hotelbetten überteuert und Strände überfüllt sind. Kindergeschrei, Kirchenglocken und Familienessen, Animateure, Karaoke-Musik und Feuerwerke schmelzen zu einem Dezibelkonglomerat jenseits der Erträglichkeit.

Ferragosto ist der wichtigste und demnach auch lauteste Feiertag in Italien. Am 15. August zählen nur Ferien, die Familie und gemeinsame Nahrungsaufnahme. Niemanden kümmert es, was hinter einer hohen Zypressenhecke geschieht. Der ideale Zeitpunkt also, um ein Kunstwerk unauffällig den Besitzer wechseln zu lassen.

Diebstahl an sich ist ein altes Gewerbe und weiter nicht schwierig, wenn man die Sichtweise auf Mein und Dein lockert und sich nicht erwischen lässt. Wie in allen Disziplinen gilt auch hier: Erst mal gehen lernen, bevor man losläuft. Übung macht den Meister. Ein Panino beim Lieferanteneingang des Supermarktes zu stibitzen ist wesentlich einfacher, als eine Skulptur aus den Uffizien verschwinden zu lassen. Die beiden anderen Erfolgskomponenten sind Vorbereitung und Timing.

Susanna und die Ältesten, das Meisterwerk der barocken Malerin Artemisia Gentileschi, hing jedenfalls zur Mittagsstunde an Ferragosto nicht mehr an seinem Platz. Signor Martinelli, Eigentümer einer luxuriösen Villa in Riva am Gardasee und stolzer Besitzer dieses herausragenden Gemäldes, bemerkte den Diebstahl um 14 Uhr, kurz vor der Trauung seiner Nichte Paola in Bologna. Festgäste und Familie hatten sich unter dem Arkadengang von San Luca versammelt, mittlerweile war die Hochzeitsgesellschaft vollzählig. Der Sektempfang war zu Ende, und das Brautpaar fieberte der Trauung in der Wallfahrtskirche Chiesa San Luca entgegen.

Die Aufzeichnungen der Überwachungskameras wurden per App auf Signor Martinellis Smartphone übertragen, und er nutzte die spontane, aber langweilige Rede eines Hochzeitsgastes für einen virtuellen Kontrollgang durch seine Villa.

Gerade als eine Kellnerin ihm das Tablett mit den letzten Crostini misti di Polenta unter die Nase hielt, erstarrte Signor Martinelli und wurde bleich. Nicht wegen der Crostini, denen die Mittagshitze stark zugesetzt hatte. Sondern weil die Kamera in Martinellis Villa eine leere Wohnzimmerwand zeigte. Ein verwaister Nagel unterbrach das grelle Weiß der Mauer. Erst nach Sekunden begriff Martinelli, was er sah. Umso heftiger reagierte sein Körper auf das Bild: trockener Hals, rasender Puls und eine beklemmende Enge im Brustkorb. Jemand war ins Haus eingedrungen, hatte die Alarmsicherung deaktiviert und geholt, was zu holen war: das Gemälde.

Lorenzo Martinelli spürte einen stechenden Schmerz in der Brust, geriet ins Wanken und klammerte sich an den Arm der Kellnerin. Die wiederum verlor die Balance, die winzigen Crostini rutschten vom Tablett und platschten ins Sektglas einer älteren Dame. Vom Aufschrei der Kellnerin alarmiert, drängten sich die übrigen Hochzeitsgäste um Signor Martinelli, der bereits am Boden lag und nach Luft rang, denn der Verlust von »Susanna« hatte ihn härter getroffen als ein Blitzschlag. Sein ganzer Stolz, sein liebstes Schmuckstück, sein wertvollster Schatz war verschwunden. Aber schlimmer als der Diebstahl war, dass Lorenzo Martinelli die Polizei nicht alarmieren konnte. Denn offiziell existierte Susanna und die Ältesten nicht.

Ohne Übertreibung war dies der spektakulärste Kunstraub seit Langem, zumindest in Oberitalien. In Rom waren wenige Monate zuvor ebenfalls Gentileschi-Bilder aus privaten Sammlungen gestohlen worden.

Spektakulär war der Raub der Susanna allein deshalb, weil Lorenzo Martinelli kein einschlägig bekannter Kunstsammler war. Keiner der Sorte, die einem Gemälde um die halbe Welt hinterherjagen, um es bei einer Auktion zu ergattern.

Genau genommen hatte Lorenzo Martinelli mit Kunst gar nichts am Hut; auf den Kommoden und Regalen seiner Villa prangten nur mäßig interessante Mitbringsel von Geschäftsreisen sowie ein paar Schalen aus Murano-Glas. 90 Prozent undefinierbare Nippes, zehn Prozent ideenloser Mix aus den Souvenirläden dieser Welt. Das Highlight war ein meterhoher schwarzer Buddha-Kopf, illegal aus Thailand importiert.

Martinellis Religion war nicht die Kunst, sondern die Selbstdarstellung. Fotos von A-, B- und C-Promis, allesamt Lorenzos Firmenkunden, pflasterten die Wände seiner Villa. Vom US-Präsidenten bis zum ausrangierten Skirennläufer, von der Haubenköchin bis zum Busenwunder: Alle posierten mit mehr oder minder geschmackvollen Sehhilfen auf dem Nasenrücken und dem grinsenden Martinelli an der Seite. Die Firma Martinelli mit Sitz in Verona, vom umtriebigen Lorenzo gegründet, gehörte zu Italiens größten Optikern.

Gentileschis atemberaubendes Gemälde war in diesem Haufen abstruser Dekorationen schlicht fehl am Platz. Oder, wenn man so will, das einzig Stilvolle, das Martinelli besaß.

Über Herkunft und Vorbesitzer des Meisterwerks hatte Lorenzo Martinelli bis dato geschwiegen. Ebenso, wie viel er dafür bezahlt hatte und wem.

Nur er selbst wusste über die häufig wechselnden Besitzverhältnisse Bescheid, und da er nicht belegen konnte, das Gemälde legal erworben zu haben, hatte er keine Versicherung dafür abgeschlossen. Der Schaden war also nicht gedeckt, Hilfe von offizieller Seite nicht zu erwarten. Streng genommen durfte Martinelli nicht einmal über den Diebstahl reden, ohne sich selbst verdächtig zu machen, denn Gentileschis Bilder wurden zu hohen Summen am Kunstmarkt gehandelt. Ein Bild zweifelhafter Herkunft ohne Expertise konnte also, im schlechtesten Fall, den Besitzer in Schwierigkeiten bringen.

Unter normalen Umständen wäre Susanna und die Ältesten hochversichert und die Alarmanlage mit der nächsten Polizeidienststelle gekoppelt. In Martinellis Fall: negativ. Die Chance, den Dieben ohne polizeiliche Hilfe auf die Schliche zu kommen, war verschwindend gering. Lorenzo Martinelli brauchte also jemanden, der sich mit Malerei auskannte und in der Kunstszene sattelfest war. Bestens vernetzt und gleichzeitig integer. So wie meine beste Freundin Rosina.

Rosina Gamper. Kaum eine Frau kommt den Männern beruflich näher als sie, Urologinnen ausgenommen. Stramme Männlichkeit ist ihr Geschäft, gemeißelte Brustmuskeln, trainierte Waden und kantige Gesichtszüge sind ihr täglich Brot. Alter und gesellschaftlicher Stand sind dabei bedeutungslos. Ob knackig, kurz vor dem Verfall, Ziegenhirt oder Heiliger: Rosina macht sich über alle her. Mit sanften Fingern und viel Erfahrung spürt sie ihre empfindlichsten Stellen auf und schenkt ihren Schützlingen die Zeit, die sie brauchen. Rosina bringt Männerkörper zum Strahlen, denn sie ist Malerin und Restauratorin. Natürlich finden sich auch unschuldige Madonnen, sinnliche Damen und kugelrunde Putten in ihrer Patientenkartei, aber meistens schanzt ihr das Universum renovierungsbedürftige Kerle zu.

Abseits von Pinseln und Farbe greift Rosina allerdings zielsicher daneben, seit sie 17 ist. Ihr Liebesleben ist Chaosforschung.

Mitte August war es wieder einmal so weit: Rosinas Herz war frisch gebrochen, zum gefühlt 100. Mal. Zersprungen in zigtausend Scherben wie eine Tischplatte aus Sicherheitsglas. Unzählige Teilchen, die beim Crash in die entlegensten Winkel ihrer Seele gesplittert waren und nun mühevoll hervorgeholt und entsorgt werden mussten. Griechische Tragödien sind ein Freudenfest dagegen.

Im Wiederaufbau von Rosinas zerstörtem Seelenheil hatte ich Übung. Die Mischung aus divenhafter Schönheit, hoffnungsloser Romantik und naiver Gutmütigkeit machte sie zur leichten Beute selbstverliebter Gockel. Seit ich sie kenne, also seit unserer Schulzeit, hängt Rosina in der Endlosschleife ihrer Wünsche fest: ein rauchiges ›Schau-mir-in-die-Augen-Kleines‹, ein Verlobungsring von Cartier oder Champagnerzweisamkeit am Strand. Ihr heldenhafter Ritter sollte sich ausschließlich per Pferd beziehungsweise Cabrio fortbewegen, die Klaviatur der Komplimente beherrschen und darüber hinaus ein leidenschaftlicher Tänzer sein. Kleinigkeiten wie akkurater Haarschnitt, ein üppiges Bankkonto und hingebungsvolle Liebe verstehen sich von selbst. Rosina ist ein Kind der späten 60er und mit ihren Wünschen im Märchenbuch stecken geblieben.

Handwerklich dagegen ist sie unschlagbar. Als Tochter eines Südtiroler Schnitzers und einer Salzburger Schneiderin ist Rosina Gamper mit Schönheitssinn, künstlerischem Geschick und Geduld ausgestattet. Nach ihrem Studium der Kunstgeschichte und Malerei perfektionierte sie ihr Handwerk in Rom, Siena, Salzburg und Wien. Sie ist eine Meisterin ihres Fachs. Rosinas Auftragsbuch ist stets prall gefüllt, zu ihren Kunden zählen Schlossherren ebenso wie Sammler und die Kirche.

Vor gut zehn Jahren, nach ihrer vierten Scheidung, machte sie Schluss mit dem Salzburger Schnürlregen und zog an den Gardasee. »Wenn schon unglücklich, dann wenigstens in der Sonne!«, hatte sie mir damals erklärt. Ihr Erspartes tauschte sie gegen ein Häuschen in Canale di Tenno, einem kleinen Ort circa 600 Meter oberhalb des Sees, wenige Kilometer von Riva entfernt. Wildromantisch, mit mittelalterlichen Bogengängen, engen Gässchen und kleinen Innenhöfen. Hier schlagen Künstlerherzen höher, Rosina war unter Gleichgesinnten. In der Casa degli Artisti gehen Künstler aus ganz Europa ein und aus. Im Herzen des Dorfes finden Ausstellungen und Empfänge, Kurse und Symposien statt. Und praktisch veranlagt, wie Rosina ist, hat sie sich beruflich ein zweites Standbein geschaffen und das dortige Kursprogramm erweitert: Aktzeichnen nach Art der barocken Meister. Die Plätze sind heiß begehrt und Monate vorher ausgebucht.

Ich selbst bewohne in Riva ein Apartment, in dem auch meine Werkstatt für Lederverarbeitung und ein Verkaufsraum untergebracht sind. Touristen und Einheimische, die auf der Suche nach edel verarbeitetem Leder abseits des Wegwerf-Mainstreams sind, werden bei mir in der Via del Marocco fündig.

Letzten Sommer bot ich ebenfalls Kurse an: Ich wollte das Produkt Tasche erlebbar machen. Die Wertschätzung der Kunden steigern, indem ich mit ihnen Gerbereien besuchte, Modelle entwarf und Einblick in meine Werkstatt gewährte. Allerdings fehlte mir dazu die nötige Portion Wurschtigkeit. Nach einer Woche war ich dermaßen genervt von unerfüllbaren Sonderwünschen und verstreuten Jausenpaketen in meiner Werkstatt, dass ich das Projekt auf Eis legte.

»Wie hältst du das nur wochenlang aus?«, jammerte ich, als Rosina und ich bei einem Gläschen Rosé zusammensaßen.

»Du kannst aus einem Touristen keinen Michelangelo machen«, erklärte sie mir, »aber Workshops sind eine Art Beschäftigungstherapie. Entschleunigung. Genau das suchen ja viele im Urlaub. Und im Idealfall entdecken sie ihren Sinn für Kunst.«

Bildungsauftrag also, in ihrem Fall mit einem Dutzend gut gebauter Aktmodelle, die Rosina natürlich selbst aussuchte. Sprich: handverlesen.

Leider verhält sich Rosinas theoretisches Wissen über Männer proportional zum praktischen Scheitern an denselben. Sie leidet unter dem selbst auferlegten Druck, Mister Perfect finden und ihm auf Anhieb gefallen zu müssen. Rosina hat – zumindest ist das meine Theorie – Angst, übrig zu bleiben. Torschlusspanik. Unbegründet, aber so ist es eben. Daher ist sie unerbittlich mit sich selbst und verliebt sich nach kurzem Schmutzabbeuteln und Wundenlecken aufs Neue, immer das Ziel im Visier: den Mann fürs Leben.

Ihr vernarbtes Herz glich Mitte Juli dem Rücken eines Gegeißelten zwei Tage nach der Bußübung. Die Wunden waren erst frisch verkrustet, als sich bereits die nächste Katastrophe in Gestalt von Valentino Gambacorta anbahnte. Dottore Valentino Gambacorta.

Ohne meiner Freundin den Spaß an der Liebe vergällen zu wollen, spielte ich die Anstandsdame. Ich redete auf sie ein. Angelte auf ihrer Fahrt ins nächste Unglück nach der Notbremse. Denn das eigentliche Problem, das war mir im Lauf der Jahre klar geworden, waren nicht die Männer; es war Rosina selbst. Blauäugig drückte sie jedem halbwegs brauchbaren Exemplar den Stempel »lebenslänglich tauglich« auf, ohne vorher gründliche Nachforschungen anzustellen. Sie gab sich und dem Jeweiligen keine Zeit, einander kennenzulernen. Viel zu früh ließ sie textile Hüllen fallen, entblätterte ihre Seele und gab alles von sich preis, ohne ihr Gegenüber zu untersuchen. Von kritischer Betrachtung einmal ganz abgesehen. Ich suchte also einen Weg, Rosina vor sich selbst zu schützen, denn die Liebe war ihre Droge: War sie erst einmal drauf, gab es kein Zurück mehr.

Ich riet ihr, es langsam angehen zu lassen mit Valentino. Ihn auf Herz und Nieren abzuklopfen. Zu prüfen, ob er auch wirklich zu ihr passte. Aber schon Kassandra in der griechischen Mythologie war erfolglos: Sie hat das Unheil kommen sehen, zur Vorsicht gemahnt und dennoch nichts erreicht. Rosina schimpfte mich eine Spaßbremse und ließ sich von Amors Pfeil treffen: eins zu null für ihre Hormone.

Und so kam, was kommen musste: Meine beste Freundin verliebte sich Hals über Kopf. Genau genommen konnte sie gar nicht anders, denn gemessen an ihrem Beuteschema war Valentino der Traummann schlechthin: Ende 40, sportlich, braun gebrannt (vom Segeln, laut eigenen Angaben), Cabrio-Fahrer. Polos mit aufgestelltem Kragen, pastellig in Mint oder Rosa (mit Krokodil!), begnadeter Salsa-Tänzer und Whisky-Experte. Blütenweiße Sneakers, perfekt manikürte Finger, Kenner sämtlicher In-Lokale und: Golfspieler. Rosina war hin und weg, ich war skeptisch. Das Gesamtpaket Valentino war too much für meinen Geschmack. Zu viel Dolce Vita. Ein dermaßen luxuriöses Leben war nur Mitgliedern des Geld- und Hochadels vergönnt. Vermutete ich. So sehr ich Rosina eine wirklich gute Partie gegönnt hätte: Dieser Valentino war kein Spross edlen Geblüts. Irgendetwas an ihm passte nicht zur Welt, aus der er vorgab zu sein. Nur wusste ich noch nicht, was es war.

Misstrauisch fragte ich Rosina also nach dem Brotberuf ihrer neuen Flamme, denn Valentino war zu jeder Tages- und Nachtzeit anwesend. Geregelter Arbeitsalltag: Fehlanzeige!

»Er ist Herzchirurg!« Dottore Valentino Gambacorta also. Nicht nur gut verdienender Akademiker, sondern Leiter einer Privatklinik in Malcesine. Behauptete Rosina. Das Sahnehäubchen auf ihrer Traumtorte, Jackpot, 100 Punkte, Ziel erreicht. Klar, dass sie sich das nicht so einfach nehmen lassen würde.

Zugegeben, ich war beeindruckt, trotzdem … irgendetwas stimmte nicht. »Hat er am Gardasee derzeit keine Patienten?« Es war, wie gesagt, Hochsaison. Sämtliche Betten von Riva bis Salò, von Malcesine bis Desenzano waren belegt mit Touristen aus aller Herren Länder. Alle Alters- und Gewichtsklassen waren vertreten. Und meines Wissens waren Herz-Kreislauf-Erkrankungen die neue Geißel der Menschheit, Pandemien ausgenommen. Folglich sollte Dottore Gambacorta eher in Arbeit ersticken, als Rosina seinen Knackpo zu präsentieren.

»Urlaub«, lautete Rosinas knapper Kommentar. Valentino habe extra seinen ganzen Jahresurlaub zusammengespart, um möglichst viel Zeit mit ihr zu verbringen. In meinem Inneren holten die Alarmglocken zum Schwung aus und machten sich startklar zum Lärmen, denn Rosina steckte schon tiefer im gordischen Knoten der Romantik, als ich befürchtet hatte. Sie war ihrer neuen Flamme mit Haut und Haar verfallen. Die Katastrophe hatte ihre Sieben-Meilen-Stiefel angelegt und näherte sich unaufhaltsam.

Zügig graste ich also das Internet nach dem schönen Dottore Gambacorta ab. Weniger aus persönlicher Neugier; braun gebrannte Sunnyboys tangierten mich nur peripher. Es war eher ein routinemäßiger Freundschaftsdienst, den ich Rosina erwies. Denn zu einem gewissen Teil fühlte ich mich für sie verantwortlich. Meine beste Freundin ungebremst ins Verderben rasen zu lassen, wäre grob fahrlässig. Ich suchte also und fand … nichts!

Zuallererst checkte ich die Homepage der Privatklinik, die Valentino angeblich leitete. Ein Dottore Gambacorta war weder auf der Startseite noch in der Menüleiste »Personal« zu finden. Also rief ich Rosina an.

»Die Homepage wird gerade neu gestaltet«, lautete ihre Erklärung. Das Schmatzen im Hintergrund war unüberhörbar. Widerlich. Ich vermutete, es war Valentino, wie er hinter der telefonierenden Rosina stand und ihren Nacken küsste. Weil er keine Sekunde ohne mich sein kann, dachte sie wahrscheinlich. Weil hier etwas faul ist und er nichts von unserem Telefonat verpassen will, stimmte wohl eher. Aber das sagte ich ihr natürlich nicht.

»Okay, aber selbst wenn … müsste er dann nicht wenigstens im Telefonbuch stehen?« Mein letzter Versuch. Und hier endete Rosinas Geduld. Sie ging in Angriffsstellung über.

»Weißt du was«, fauchte sie, »du tust mir leid! Hab’ Vertrauen in deine Mitmenschen und geh nicht immer vom Schlimmsten aus!« Ihre mittelschwere Gereiztheit war wie flirrende Luft vor einem Sommergewitter, der bevorstehende Wolkenbruch zum Greifen nah. Sie hasste mein Misstrauen gegenüber ihren Affären, das wusste ich. Rosina war verliebt, in Valentino und die Liebe, und sie nahm Kurs auf das bittere Ende. Ich verehre Rosina für ihre Malkunst, sie ist ein herzensguter Mensch und gibt ihr letztes Hemd, wenn es drauf ankommt. Aber sie ist nicht kritikfähig. Und deshalb war klar, was passieren würde: Rosina würde mir aus dem Weg gehen, keine Anrufe annehmen, meine Nachrichten ungelesen löschen und die Tür nicht öffnen, wenn ich klingelte. Rosina Gamper war nicht die Frau, die sich den Spaß an der Liebe nehmen ließ. Von niemandem. Folglich mied sie mich – Überraschung! – ab jenem Telefonat konsequent. Funkstille. Solo Valentino.

Es war die Ruhe vor dem Sturm. Auf das Schlimmste vorbereitet, trat ich den Rückzug an und konzentrierte mich auf meine Arbeit. Fuhr zu kleinen Gerbereien, kaufte butterweiches Leder und entwarf neue Modelle. Arbeitete Aufträge ab und versuchte, nicht an Rosina zu denken.

Was genau in Rosinas Haus von Mitte Juli bis Ferragosto passierte, entzieht sich meiner Kenntnis. Ein paar Informationsfetzen verdanke ich meiner Putzfee Gianna, die bei Rosinas Nachbarin einmal die Woche sauber macht, bevor sie mitsamt Putzkübel und latest newsbei mir aufschlägt. Gianna zufolge zog Valentino bereits Ende Juli bei Rosina ein. Früher, als ich dachte. Ab diesem Punkt machte ich mir ernsthaft Sorgen, denn was ich in der Zwischenzeit über ihren Lover herausgefunden hatte, war grauenhaft. Nur so viel: worst case!

Ich verließ meine reptilienhafte Starre, versuchte zigmal, Rosina zu erreichen, fuhr bis vor ihr Haus und warf Kieselsteine ans Fenster. Ich stopfte Zettel mit Warnungen in ihren Briefkasten, schickte SMS und schrieb seitenlange Mails. Mit dem Ergebnis, dass sie wortlos die Fensterläden zuknallte und mich in der Gasse stehen ließ. Es war hoffnungslos.

Valentino machte derweilen sich und Rosina bei den Nachbarn in Canale unbeliebt: Disco-Beats bis weit nach Mitternacht, kettenrauchende Partygäste im Garten und quer in den Gässchen parkende Autos sorgten zuerst für Irritation. Derlei war man von Signora Gamper nicht gewohnt. Man schätzte L’Austriaca als angenehme Nachbarin und professionelle Künstlerin. Ein paar Tage lang sah man also großzügig über Zigarettenstummel und heulende Motoren von Valentinos Bekannten hinweg, biss die Zähne zusammen und grüßte weiterhin freundlich. Künstler sind Freigeister, klar, aber auch die verständnisvollsten Nachbarn brauchen ab und zu eine Mütze Schlaf ohne wummernde Bässe. Nach und nach regte sich also der Unmut links und rechts von Rosinas Haus.

Was aber für meine beste Freundin kein langfristiges Problem darstellen sollte, denn bereits Mitte August war es nicht mehr ihr Haus. Am Abend des 14. August servierte Valentino sie ab, keine zwölf Stunden, nachdem sie ihm beim Notar ihre Liegenschaft in Canale überschrieben hatte.

»Du hast was?« Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte.

Zehn Minuten zuvor, in den Abendstunden des Ferragosto, als das touristische Italien Feuerwerke in Millionenhöhe in die Atmosphäre pulverte, war sie mit einer Flasche Ramazzotti Rosato in meinen Garten gestolpert. Denn jedem Totalschaden ihres Herzens folgte ein gemeinsames Besäufnis, bevorzugt mit leicht prickelnden Weinen. Ein wohltuendes und heilsames Ritual, das über die Jahre einen fixen Platz eingenommen hatte. Wie bei einer Beerdigung wurde von einem lieben Menschen Abschied genommen, sein Verlust tränenreich bedauert und der Schmerz mit Alkohol weggespült, bis Rosina die Schwelle der Verzweiflung überschritten hatte und sich bereit für Neues fühlte. Auf diese uralte Kulturform der gemeinsamen Frustbewältigung ist einfach Verlass: Bei fast allen Begräbnissen verabschieden sich die zuvor Trauernden lachend und gelöst voneinander. Das Leben geht weiter, mit oder ohne Alkohol.

Wie viele solche Abschiede wir bisher weggespült haben, weiß ich nicht. Fest steht jedenfalls, dass Rosinas Herz sich von allen Widrigkeiten der Liebe nicht abhalten lässt. Es ist wie mit den Siedlungen am Fuß des Vesuvs: Spätestens seit Pompeji ist bekannt, dass Vulkangase tödlich sind. Die Lava ist schnell und Davonlaufen sinnlos. Trotzdem sind die Hänge des Vesuvs wieder dicht besiedelt. 600.000 Menschen leben in der Gefahrenzone. Die nächste Katastrophe ist vorprogrammiert, die Menschheit unbelehrbar. Wie Rosina.

Mit vom Mascara verschmierten Wangen beichtete sie mir das peinliche Ende der Ära Valentino.

»Es hat sich so schön angefühlt, weißt du!«, schniefte sie und entkorkte die Flasche. »Er hat versprochen, für mich da zu sein. Mir alle finanziellen Belastungen abzunehmen.«

Natürlich hätte ich an dieser Stelle dem Ich-hab-es-dir-gleich-gesagt-Reflex nachgeben können. Hätte mich in endlosen Vorwürfen verlieren und mein gekränktes Ego hervorkramen können. Schließlich hatte sie mich wochenlang am Abstellgleis geparkt, meine Anrufe weggedrückt und mir die Fensterläden vor der Nase zugeknallt. Nicht nett. Alles nur, um ihr Herz an diesen braun gebrannten Filou zu verschleudern. Und nebenbei auch ihr Haus, wie ich mittlerweile wusste. Ein italienisches Sprichwort sagt: Hai voluto la bicicletta, adesso pedala!Du wolltest das Fahrrad, also tritt! Aber jetzt war der falsche Zeitpunkt für Klugschiss, also beherrschte ich mich.

Wortlos stellte ich zwei langstielige Weingläser auf den Holztisch im Garten und überlegte, ob ich die Bombe gleich platzen lassen oder Rosina noch eine kleine Schonfrist gönnen sollte.

»Er wollte mit mir in seine Villa nach Garda ziehen.« Sie zog einen Schmollmund und klang wie ein trotziges Kind, das den versprochenen Lolli nicht bekommt. Rosina füllte die Gläser zur Hälfte mit Ramazzotti Rosato und wischte die Tränen energisch weg. Dass Valentinos Interesse nicht ihrem Herzen, sondern ihrem Haus gegolten haben könnte, schien sie konsequent auszublenden. Verdrängung? Schutzreaktion? Wahrscheinlich beides.

»Mein Haus in Canale wäre der ideale Zweitwohnsitz, hat er gemeint.«

»So, hat er das.« Ich schüttelte den Kopf und lehnte mich zurück, während Rosina die Gläser mit Eiswürfeln und Prosecco auffüllte. Ich musterte meine beste Freundin. Schon wieder – oder noch immer – war sie mir ein Rätsel. Das Schicksal hatte sie erneut volle Breitseite getroffen. Hatte ihr den Boden unter den Füßen weggezogen, emotional und materiell. Trotzdem sah sie aus wie die Schaumgeborene. Rosina duftete nach Rosen und trug eine olivfarbene Bluse zur weißen Jeans, die Ärmel lässig aufgekrempelt. Dazu Goldschmuck, eine Sonnenbrille im offenen Haar und beige Keilsandaletten. Ihre gebräunte Haut hatte einen warmen Goldton, der wunderbar mit ihren grünen Augen harmonierte.

Wäre mir nur die Hälfte von dem passiert, was Rosina in den letzten 24 Stunden mitgemacht hatte, ich wäre ein Schatten meiner selbst: rot geweinte Augen, pralle Tränensäcke, fahle Haut und schlechter Atem. Ein Potpourri der Scheußlichkeiten. Aber nicht Rosina. Ihr war es gegeben, schön zu leiden. Sie war der Frühling in Person. Edel wie die Bilder der barocken Meister, die ihr anvertraut wurden. Wie es in ihrem Inneren aussah, konnte ich mir denken. Außenstehende hätten jedenfalls bei ihrem Anblick höchstens an exzessives Zwiebelschneiden gedacht: Ein paar Tränen – fertig.

Warum also, in Gottes Namen, war es dieser wunderschönen Frau nicht vergönnt, ihr Glück zu finden? Wann würde Rosinas Lebenselixier, die Liebe, sie berauschen, anstatt sie immer wieder tröpfchenweise zu ködern und am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen?

Schweren Herzens beschloss ich, ihr reinen Wein einzuschenken. Sie hatte ein Recht darauf zu erfahren, was ich schon vor Wochen über Valentino herausgefunden hatte.

»Die Adresse der Villa?«, fauchte ich und zückte mein Handy. Rosina starrte mich an; dermaßen heftige Reaktionen war sie von mir nicht gewohnt. »Du hast gesagt, er hätte eine Villa in Garda«, half ich nach. Rosina war immer noch in Schockstarre, was wiederum mein schlechtes Gewissen auf den Plan rief. Jetzt tat sie mir leid. Schließlich war sie zu mir gekommen, um ihr Herz auszuschütten.

»Warst du einmal dort? In seiner Villa, meine ich?«, fragte ich, etwas entschärfter.

Sie schüttelte beschämt den Kopf. »Nein, wir hatten keine Gelegenheit dazu. Die Villa wird gerade umgebaut.«

So wie die Homepage der Privatklinik, dachte ich grimmig, schwieg aber.

Rosina zog die Sonnenbrille aus ihren Haaren und setzte sie auf. »Aber ich weiß, wo sie ist. Via Cirillo in Garda. Nummer zehn, glaube ich.« Sie kippte ihren Ramazzotti Rosato auf ex hinunter und stellte das Glas auf dem Tischchen ab. Ein wenig zu energisch vielleicht, denn es knackste. Aber ich wusste: Sie war bereit für die Wahrheit. Gleich würde es hässlich werden. Hässlich, aber unumgänglich. Ich würde dem Trugbild, das Valentino ihr gezeichnet hatte, den gnädigen Schleier der Naivität entreißen. Liebe macht blind, und weil man Trugbilder am besten mit Bildern entkräftet, rief ich Google zu Hilfe. Ich griff zum Handy. Nicht, dass mir die richtigen Worte gefehlt hätten, um es selbst zu sagen, aber ein Bild aus dem Internet hatte mehr offiziellen Charakter. Ich tippte und wischte am Smartphone herum und hielt Rosina das Display vor die Nase. Ein roter Pfeil markierte als Suchergebnis die Via Cirillo Nummer zehn in Garda. Und was sich dort befand, war definitiv keine Villa. Sondern Gardaqua, eines der größten Schwimmbäder am Gardasee. Schlechtwetterprogramm für Tausende Touristen. Ein Foto aus der Vogelperspektive zeigte Innen- und Außenbecken mit Wasserrutschen sowie den Wellnessbereich. Auf einem anderen Bild waren die großzügigen Liegewiesen zu sehen, Olivenbäume und … Valentino!

»Warum trägt er denn seine Arztkleidung, wenn er ins Schwimmbad geht?« Rosina zog die Augenbrauen zusammen, schüttelte ungläubig den Kopf und nippte am nächsten Ramazzotti Rosato.

»Hallo?« Ich wackelte mit dem Display vor ihrem Gesicht herum. Offenbar hatte sie immer noch nicht begriffen. »Er ist ein Bagnino! Ein Bademeister! Das Gardacqua ist sein Arbeitsplatz!«

»Ich glaub’ dir kein Wort!« Sie schüttelte den Kopf, lehnte sich zurück und kreuzte trotzig die Arme vor der Brust.

Ungeduldig tippte ich auf die Homepage des Gardacqua und las ihr vor: »Es erwarten Sie Schwimmkurse, Yoga und Aquafitness. Unser Team wird regelmäßig geschult und gibt alles, um Ihren Aufenthalt in Gardacqua unvergesslich zu machen. Teamleiter Valentino Bartolotti …«

»Siehst du, das ist ein ganz anderer Val…«

»Herrschaftszeiten noch einmal!« Ich schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und stand auf. Das Smartphone ließ ich liegen, drehte Rosina den Rücken zu und tigerte wie ferngesteuert zwischen zwei alten Lavendelbüschen, meinen Lieblingen im Garten, hin und her. Lavendel sind wahre Alleskönner: Stimmungsaufheller, Duftexplosion, Farbwunder, Bienenparadies. Allein die Farbe senkt meine Pulsfrequenz. Was dem Raucher die Zigarette, ist mir die Lavendelblüte. Ich sog den Duft der zerriebenen Blüte ein und fühlte mich sofort besser.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Rosina zum Handy griff und ungläubig darauf starrte. Anscheinend übernahm jetzt die Logik das Ruder und schubste die Romantik endgültig über Bord. Angesichts der farbenfrohen Fotos war jeder weitere Selbstbetrug sinnlos. Valentino war ein gut trainierter, braun gebrannter Bagnino mit blendend weißen Zähnen und charmantem Lächeln. Ein optischer Leckerbissen. Zu seinen Aufgabengebieten zählten, laut Homepage, Auswahl und Ausbildung der übrigen Bagnini (quasi leitende Position) sowie die Betreuung des Saunabereichs. Als Rosina das Foto sah, auf dem Valentino einer jungen, spärlich bekleideten Dame grinsend in den Bademantel half, hatte sie genug. Ihr Bild von Romantik und Monogamie zerschellte wie eine barocke Skulptur auf Terrakottaboden.

Sekundenlang hörte ich nur das Summen der Bienen. Ich kehrte zum Tisch zurück und nippte an meinem Ramazzotti Rosato. Der Geschmack war noch nicht vollkommen.

Über Rosinas Wangen rannen Tränensturzbäche. Zweifellos war dies das Schlimmste, was ihr bisher passiert war: Sie hatte ihr Haus an einen Hochstapler verschleudert. Entwürdigend.

»Kannst in meinem Gästezimmer schlafen, wenn du willst!«, murmelte ich versöhnlich, zupfte aus einem der vielen Kräutertöpfchen Basilikumblätter ab und streute sie in die Flüssigkeit. Das Triumphgefühl, einen Hochstapler enttarnt zu haben, verzog sich und machte dem schlechten Gewissen Platz. Schließlich hatte ich Rosina gerade die Wahrheit mit der Keule um die Ohren gehauen.

Aber – und das muss man ihr lassen – sie ist eine Meisterin der Verdrängung und des Themenwechsels.

»Cin-cin!« Sie prostete mir tapfer zu. Nach ein paar Schlucken deutete sie mit dem Kinn zur alten Steinmauer, die meinen Garten begrenzte. »Danke, nicht nötig. Hab’ schon was.« Ich schnellte vom Stuhl hoch und lief zur kniehohen Begrenzung. Ein übler Verdacht kroch in mir hoch: ein Trostpflaster in Form eines weiteren, gut gebauten Kerls, der im Cabrio mit offenem Verdeck bereits auf Rosina wartete, um sie nach allen Regeln der Kunst von ihrem Weltschmerz zu befreien. In seinem Zuhause, wohlgemerkt, denn sie hatte ja keines mehr. Mit Adleraugen suchte ich also das alte Gässchen, durch das sich tagsüber Touristenströme schieben, nach potenziellen Herzensbrechern ab und sah … nichts.

Ein altes Fahrrad lehnte am Haus gegenüber, eine Katze balancierte elegant über das Fensterbrett von Signora Baldini nebenan, und ein Liebespaar schlenderte Hand in Hand übers Kopfsteinpflaster. Nichts Untypisches für diesen Flecken Paradies. Idylle pur.

»Weißt du, ich habe ja schon immer von Freiheit geträumt«, sagte Rosina hinter mir. »Zu sehr an einem Ort verwurzelt zu sein, ist schlecht für die Seele. Man wird träge.«

Mit dem üblen Verdacht, dass das Valentino-Drama mehr Schäden hinterlassen hatte als befürchtet, beugte ich mich über die Mauer und suchte nach einem Schlafsack, einer Isomatte, meinetwegen auch einem zusammengefalteten Zelt. Rosinas Existenz war bedroht, und sie versuchte gerade, sich den Verlust ihres Hauses schönzureden, klare Sache. Ich nahm mir fest vor, mich in nächster Zeit mehr um sie zu kümmern.

»Letzten Winter habe ich meinen Bruder in Österreich besucht«, fuhr sie fort. »Christkindlmarkt, verschneite Wälder, Schlittenfahren. Ich vermisse das, kennst mich ja. Am Glühweinstand bin ich mit einem Wohnmobil-Händler ins Gespräch gekommen.« Sie setzte sich auf die Mauer, ließ die Beine baumeln und grinste. »Und da hab’ ich einen Entschluss gefasst.«

»Der da wäre?« Ich war ehrlich gespannt, aber Rosina ließ sich Zeit. Sie schaute in den Abendhimmel.

»Für meine Arbeit brauche ich gar keine fixe Bleibe. Ich bin doch sowieso heute hier, morgen dort. Je nach Auftragslage. Einmal Verona, einmal Siena, dann wieder Limone. Wo halt gerade ein Gemälde restauriert werden soll.«

»Ist mir bekannt«, murmelte ich säuerlich.

»Pinsel und Farben brauchen nicht viel Platz, und das bisserl Zeug, das ich besitze … dafür braucht’s kein eigenes Haus.« Von ihrem prall gefüllten Umkleidezimmer mal abgesehen. Rosina besaß mehr Kleidungsstücke als Königin Elisabeth, aber das war ein anderes Thema. Sie leerte ihr Glas, zog einen schwarzen Autoschlüssel aus der Hosentasche und drückte darauf. Am Ende des Gässchens blinkten zwei Lichter auf. Rosina strahlte mich an, stellte ihr Glas auf der Mauer ab und sprang auf das Kopfsteinpflaster unter ihr.

»Komm!« Und schon hopste sie vergnügt in Richtung der beiden Lichter. Alles Trübsal war weggeblasen. Ich folgte ihr, leicht misstrauisch. Diesmal lief die Frustbewältigung anders ab als sonst.

Mittlerweile war es fast dunkel, ich erkannte nur mehr Umrisse und stolperte ihr zaghaft hinterher. An einer Hausecke blieb Rosina stehen und winkte mir. Hinter ihr erkannte ich schemenhafte Umrisse. Ein großes Fahrzeug, ähnlich einem Bus oder Lkw. Ich konnte mir keinen Reim darauf machen – schließlich besaß Rosina nur eine knallrote Vespa. Für größere Aufträge, wenn sie Gemälde oder Skulpturen transportieren musste, lieh sie sich Lieferwagen aus. Wieder ein Aufblinken, dann hydraulische Zischlaute. Das schwarze Ungetüm spuckte ein Treppchen aus. Rosina stieg zwei Stufen hoch und verschwand im Inneren.

Beim Näherkommen erkannte ich einen VW-Bus, ähnlich einem Bulli, nur wesentlich größer. Es roch nach frischem Lack und neuen Reifen.

»Komm rein!«, hörte ich Rosinas Stimme gedämpft.

Das schwarze Ungetüm übertraf meine schlimmsten Befürchtungen. »Du wohnst in einem Campingbus?« So weit war es also mit ihr gekommen. Ich war, gelinde gesagt, schockiert. Camping und alles, was damit zu tun hat, ist ja nicht so mein Ding. Unwillkürlich musste ich an orangefarbene Vorzelte aus den 70ern denken, mit beigefarbener Fransenborte und unappetitlichen Stockflecken. An Klopapierrollen mit gehäkelten Hauben, die Indikatoren für rege Darmtätigkeit. An Plastikteller mit Pril-Blumen, enge Stockbetten und wackelige Klappsessel. An braune Vorhänge aus Niki-Samt. Also betrat ich Rosinas Anschaffung mit einer kleinen Portion Widerwillen. Aber das hier …

»Dio mio«, flüsterte ich ergriffen und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

2. Kapitel

Erzählt von Raumwundern, Glamour und Micro-Housing. Rosina handelt weise und überrascht mich damit. Ein eitler Gockel kriegt, was er verdient, und Rosina bleibt wieder nicht allein. Ich trete ins Fettnäpfchen und habe ein Déjà-vu. Des Rätsels Lösung ist unglaublich, aber wahr. Für Ciro gibt es kein Morgen, dafür eine Basislektion Kunst für mich.

»Benvenuto nella mia casa!«, trällerte Rosina und machte eine einladende Handbewegung. Auf der obersten Stufe blieb ich stehen und starrte fassungslos ins Wageninnere. Der Koloss mit getönten Scheiben war ein Wohnmobil der Superlative! Camingbus war gestern, das hier war Glamping auf höchstem Niveau.

»Atmen nicht vergessen!« Rosina hängte mir eine Hibiskusblütengirlande um und führte mich ins Innere.

Ich war ehrlich beeindruckt: Das Wohnmobil war ein Beweis für Rosinas stilsicheren Griff zu Farben und Formen. Ihr lag das Einrichten offenbar im Blut. Bereits ihr Häuschen in Canale, das jetzt Valentino sein Eigen nannte, hatte sie quasi aus dem Handgelenk in eine gemütliche Symbiose aus Fundstücken und moderner Kunst verwandelt. Mein Zuhause war ein ideenloser Mix aus IKEA und Erbstücken, krampfig arrangiert und schmucklos. Sie überlegte nie, ob Dinge harmonierten, sie wusste es einfach. Und hier, auf kaum 40 Quadratmetern, war ihr das Unmögliche gelungen: Gemütlichkeit, Chic und Funktionalität auf ein Minimum an Platz einzudampfen.

Rosina präsentierte ihre neue Residenz wie dereinst Caesar seine eroberten Provinzen. Vermute ich.

»Das hier ist die Kommandozentrale!« Damit war der Bordcomputer im vordersten Teil des Wohnmobils gemeint. Liebevoll strich sie mit der Hand über den bequemsten Fahrersessel – was sage ich: Thron! –, den ich je gesehen hatte. Butterweiches Leder, Massagefunktion, ausklappbares Fußteil und Armstützen. Dahinter, an der linken Seitenwand des Vehikels, die Küche. Klein und funktionell: Gasherd, Backrohr, Dunstabzug, Keramikspüle und amerikanischer Kühlschrank mit Edelstahlfront. Eine knallrote Kitchenaid-Küchenmaschine signalisierte: Hier wird frisch gekocht. Es roch nach Cantuccini und Kaffee. In einem Weinregal lagerten edle Tropfen. An der Wand gegenüber: der Lounge-Bereich mit Sofa, Barhocker und überdimensionalem Flatscreen-TV.

Daneben, in schwarzen Lettern, einer ihrer Lieblingssprüche:

Casa mia, casa mia,

benché piccola tu sia,

tu mi sembri una badia.

Was ungefähr so viel heißt wie:

Häuschen mein, Häuschen mein,

Und seist du noch so klein,

Bist wie eine Bucht, bilde ich mir ein.

Ihre Vorliebe für Lebensweisheiten kannte ich ja schon. Der Boden des Wohnmobils war mit Kelims fast komplett bedeckt, und in der Ecke stand ein dänischer Ofen. »Für die Wintermonate«, erklärte Rosina.

Sie meinte es also ernst mit dem Umzug. »Und das Schlafzimmer?«

Neugierig begab ich mich in den hinteren Teil des Wohnmobils. Eine Koje mit großzügigem Hochbett, in der Decke eingelassenen LED-Schienen und einem farbenfrohen Quilt am Kopfteil des Bettes. Im Stauraum darunter waren Rosinas Arbeitsmaterialien untergebracht: unzählige Behälter mit Pinseln, Lösungsmitteln, Farbtuben und Spachteln. Feinsäuberlich beschriftet und aneinandergereiht. In einer Nische lehnten blanke Leinwände und eine zusammengeklappte Staffelei.

Zugegeben: Die Einrichtung war perfekt. Maßgetischlert, vermutete ich. Lackierung in elegantem Ecru, Fischgrät-Parkett und dezente Plissees an den Fenstern.

»Micro-Housing at its best!«, erklärte sie stolz. Dem war nichts hinzuzufügen. Jeder Zentimeter Platz war weltmeisterlich ausgenutzt. Vom Feinsten!

»Gratuliere! Wahnsinn! Seit wann …« Mir fehlten die Worte angesichts so viel Eleganz auf so wenig Raum.

»Ach«, Rosina winkte ab, »bestellt habe ich ihn schon im Jänner. Sonderanfertigungen brauchen immer etwas länger als Wohnmobile von der Stange.« Sie strich liebevoll über die Küchenarbeitsplatte. »Aber die sieben Monate Wartezeit haben sich gelohnt. Als letzte Woche der Anruf kam, dass er fertig zum Abholen ist, hat Valentino gerade den Notartermin fixiert.« Sie zwinkerte mir zu und hielt mir die Keramikschale mit den Cantuccini hin.

Ich schüttelte den Kopf. »Äh … heißt das …?«

Rosina nahm sich selbst ein Stück Mandelgebäck, musterte mich gespannt und begann zu knabbern.

»Moment mal: Du hast gewusst, was dieser Schönling vorhat?«

»Sicher«, gluckste sie vergnügt. »Er war fesch und eine Granate im Bett, aber halt leider ein Charakterschwein.« Sie lehnte sich an die Arbeitsplatte der Küche und trommelte mit den Nägeln darauf herum. »Immobilien von alleinstehenden Frauen waren offenbar seine Spezialität.« Sie zog sich einen Barhocker heran und setzte sich mit einer Pobacke darauf. »Zumindest, wenn ich die Nachrichten richtig gedeutet habe, die ihm seine Verflossenen geschickt haben.«

»Du hast sein Handy durchforstet?«

Rosina hob leicht die Schultern. »Ja. Irgendwann schlägt das Karma zurück und teilt rechte Haken aus. Wie sagen die Australier: What goes around, comes around.«

Sie hatte es also die ganze Zeit über gewusst! Zugegeben, jetzt war ich mittelschwer beleidigt. »Ich hab’ mir deinetwegen Sorgen gemacht!«

»Ich weiß. Danke.« Sie legte die rechte Hand auf die Brust und deutete eine Verbeugung an. »Dass er ein Bagnino ist, habe ich wirklich nicht gewusst, aber es rundet die Sache perfekt ab, oder?«

Jetzt zuckte ich mit den Schultern. Mir fiel nichts mehr ein zu der Sache.

»Jedenfalls war das Timing perfekt. Mein Haus in Canale war ein Klotz am Bein, seien wir mal ehrlich! Sobald klar war, dass ich Zug um Zug in mein neues Zuhause einziehen kann«, sie drehte sich auf dem Barhocker im Kreis und atmete erleichtert auf, »war ich diesem Idioten nur mehr dankbar. Er hat mir einen riesen Gefallen getan, verstehst du? Das Haus war ein Sanierungsfall, Totalschaden! Den nächsten Winter hätte es nicht mehr ausgehalten. Dach kaputt, Leitungen verrostet, Heizung im Arsch. Feuchter Keller, undichte Fenster und windschiefe Wände. Miserable Parkplatzsituation obendrein! Nie im Leben hätte ich einen Käufer dafür gefunden, und eine Renovierung hätte mein Budget gesprengt. Aber so …« Sie kicherte und ließ sich auf das Sofa plumpsen. »Er dachte, das wäre der Deal seines Lebens.«

»Und ich bin halb umgekommen vor Sorge!« Ich war sauer.

»Bist mir böse?«