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NUR EIN DOCTOR KANN IHR GEBROCHENES HERZ HEILEN
Vivian Cross ist eine der bekanntesten Sängerinnen der USA. Deshalb sorgt die Trennung von ihrem Freund für große Schlagzeilen. Mit gebrochenem Herzen flüchtet Vivian nach London, wo sie einfach nur unerkannt abtauchen will. Bis sie auf den attraktiven Arzt Beau Cove trifft, der die verletzliche junge Frau hinter dem Superstar sieht. Als Paparazzi-Fotos von ihnen auftauchen, schlägt Vivians Management eine Fake-Verlobung vor, um den nächsten Skandal zu verhindern. Beau ist von der schönen Sängerin fasziniert und stimmt dem Deal zu. Allerdings hätte Vivian nicht gedacht, dass jede Berührung und jeder Kuss von Beau sich so echt anfühlen würden ...
»Ich bin schon seit einer Weile in meiner Fake-Dating-Era, und ich habe jede Sekunde dieses Buches geliebt. Es setzt den Fake-Verlobung-Trope einfach PERFEKT um!« SPINES.AND.READWINE
Band 4 der DOCTOR-Reihe von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Louise Bay
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Seitenzahl: 395
Veröffentlichungsjahr: 2024
Titel
Zu diesem Buch
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
Epilog
Songtexte
Die Autorin
Die Romane von Louise Bay bei LYX
Leseprobe
Impressum
LOUISE BAY
Doctor Fake Fiancé
Roman
Ins Deutsche übertragen von Wanda Martin
Vivian Cross ist eine der bekanntesten Sängerinnen der USA. Deshalb sorgt die Trennung von ihrem Freund, der private Details über ihre Beziehung an die Presse verkauft hat, für große Schlagzeilen. Mit gebrochenem Herzen flüchtet Vivian nach London, wo sie einfach nur unerkannt abtauchen will. Bis sie auf den attraktiven Arzt Beau Cove trifft, der sie nicht direkt als den Superstar Vivien Cross erkennt, aber die verletzliche junge Frau dahinter sieht wie noch niemand zuvor. Als Paparazzi-Fotos von ihnen auftauchen, auf denen sie sehr vertraut wirken, droht Vivian ein weiteres Mal in die Schlagzeilen zu geraten. Um den nächsten Skandal zu verhindern, schlägt ihr Management daher eine Fake-Verlobung mit dem charmanten Doktor vor, die nebenbei ihr neues Album promoten soll. Beau ist von der schönen Sängerin fasziniert und stimmt dem Deal zu. Obwohl keiner von beiden an einer festen Beziehung interessiert ist, fühlen sich jede Berührung und jeder Kuss plötzlich so echt an. Doch Vivian weiß nicht, ob sie dazu in der Lage ist, ihr Herz nach all dem Schmerz erneut jemandem anzuvertrauen. Gelingt es Dr. Cove, ihr gebrochenes Herz zu heilen?
Nichts übertrifft die französischen Alpen. Blauer Himmel, weißer Puderschnee, Sonnenschein – ganz zu schweigen von den Ausblicken. Das beflügelt. Es ist lebensbejahend. Lebensverändernd. Deshalb habe ich letzte Nacht beschlossen, Coral, die Frau, mit der ich hier bin, zu fragen, ob sie zu mir nach London ziehen will, in meine Wohnung. Ich bin kurz vor dreißig, alle meine Brüder werden sesshaft, und ich verreise echt gern mit Coral. Sie ist für jeden Spaß zu haben, abenteuerlustig, wunderschön – wir passen supergut zusammen.
Wir stellen uns vor den Sessellift, der uns hochhebt und hinauf zu meiner Lieblingsabfahrt in diesem Gebiet fährt. Die Sarenne ist eine berühmt-berüchtigte schwarze Piste, mit sechzehn Kilometern die längste der Welt, dreitausenddreißig Meter über dem Meeresspiegel. Meiner Meinung nach machen die atemberaubenden Ausblicke sie so besonders, insbesondere der vor dem Start. Dort werde ich Coral fragen, ob wir zusammenziehen. Ich hatte das nicht geplant, bevor ich hierherkam, aber wir haben so einen tollen Urlaub zusammen, dass ich mir dachte: Wieso nicht? Wir haben dieselben Interessen, und so bekämen wir Zeit, einander besser kennenzulernen.
»Bereit?«, frage ich neben ihr, als der Liftausstieg in Sicht kommt.
»Diesmal schlage ich dich«, erwidert sie. Sie besitzt Wetteifer und versteht es, Spaß zu haben. Immer wenn wir zusammen verreisen, mag ich sie noch ein bisschen mehr. Diesmal hat sie ein Stück weit gestanden, dass sie das Segeln aufgeben und Wurzeln schlagen möchte. Der Zeitpunkt passt perfekt.
Ich lache leise. »Na gut.«
Wir rutschen vom Sessel und halten bei dem Schild an, das zur Abfahrt hinab weist.
»Mach mal ein Foto, ja?«, bittet sie. Corals Instagram-Account ist beeindruckend. Wobei hilft, dass sie auf Superjachten arbeitet, da bieten sich jede Menge Fotogelegenheiten.
Als ich mein Handy raushole, posiert sie neben dem Schild. Ich mache ein paar Fotos und schicke sie ihr dann.
»Okay, los geht’s«, sagt sie und klappt das Visier ihres Helms herunter.
»Ja«, erwidere ich. »Nur eins noch.« Ich grinse. Ich kann ihr Gesicht nicht erwarten, wenn ich sie frage.
Sie stoppt ein Stück weiter vorn, dreht sich um und klappt das Visier hoch. »Was denn?«
»Also, ich habe nachgedacht.«
Sie blickt zum Pistenstart und dann wieder zu mir.
Ich fahre fort: »Du und ich haben immer Spaß, wenn wir gemeinsam verreisen. Wir passen zusammen. Wir verbringen gern Zeit miteinander. Ich dachte, es wäre doch schön, wenn du nach London ziehen würdest.« Ich fummle am Klettverschluss meiner Jackentasche herum und ziehe meinen Haustürschlüssel hervor. »Wie wär’s, wenn wir zusammenziehen?«
Als sie auflacht, grinse ich zurück, doch sie nickt nur zum Pistenstart. »Fahren wir jetzt, oder was?«
Dass sie meine Frage einfach übergeht, macht mich gereizt. »Ja, sobald du mir geantwortet hast.«
»Aber du meinst das doch nicht … ernst?«, erwidert sie. »Du kannst nicht ernsthaft glauben, ich gebe meinen Job auf und ziehe nach London.«
»Du meintest, du hast vor, das Segeln aufzugeben. Es ist ja nicht so, als ob ich als Arzt einfach in Südfrankreich zu arbeiten anfangen könnte.«
»Stimmt«, gibt sie zurück. »Und ich bitte dich auch nicht darum. Weil das hier –« Sie deutet mit ihrem Skistock zu mir und dann wieder auf sich. Wieder lacht sie, und diesmal ist ein spitzer Beiklang nicht zu überhören. »Du bist für mich nicht der Mann für immer. Du bist der vor dem, mit dem es was für immer wird. Der Kerl zum Üben.«
Wegen ihres Helms sehe ich es nicht genau, aber ihr Tonfall verrät mir, dass sie die Augen verdreht, als wäre es lächerlich von mir, anzunehmen, dass sie mit mir was Festes anfangen will.
»Wovon redest du da?«
Sie seufzt. »Ich verschwende nicht meine Zeit mit so einem Gespräch. Ich will Spaß haben. Kommst du nun mit oder nicht?«
»Das war’s?«
»War was?«
»Ich habe dich gerade gefragt, ob wir zusammenziehen, und du hast im Grunde nur arschig reagiert.«
Sie seufzt. »Ich bin nicht arschig, sondern realistisch. Wir sind kein Paar. Waren es auch nie und werden es nie sein. Kumpel, ja. Freunde, die zusammen verreisen. Aber mehr waren wir nie. Und ich wollte dir eh noch erzählen … ich hab mich letzten Monat verlobt.«
Verlobt? Warum zur Hölle ist sie dann mit mir hier?
Ich habe das Gefühl, mein Kopf explodiert gleich. Schmerz empfinde ich keinen, sondern nur Wut, dass ich so dumm gewesen bin.
Ich will einen Schritt auf sie zu machen – und nicht dass die Umgebung, der Helm, die Skihandschuhe und -stöcke mich nicht daran erinnern würden, aber irgendwie vergesse ich dabei kurz, dass ich auf Skiern bin, und stolpere über meine eigenen Füße. Als ich das abzufangen versuche, gerate ich unversehens in Rücklage und falle nach hinten.
Ich spüre das orangefarbene Netz im Rücken, mit dem der Abhang abgesichert ist, und denke für einen Sekundenbruchteil: Yeah, ich werd einfach auf dem Hintern landen. Dann verlangsamt sich die Zeit, und das Netz gibt nach. Keine Ahnung, ob ich darüber falle oder es umreiße, doch ich strampele mit den Beinen, um wieder Halt zu finden. Inzwischen weiß ich nicht mehr, wo oben und unten ist. Und dann spüre ich keinen Boden mehr. Weder unter den Händen noch unter den Füßen.
Ich befinde mich im freien Fall.
Mir einen Kaffee zu holen ist Luxus. Klingt komisch, aber worauf ich mich jetzt, wo ich in London bin, am meisten freue, ist, in ein Café gehen zu können. Es ist nur ein Flat White, aber für mich bedeutet er Freiheit. In New York habe ich mir immer selbst einen Kaffee geholt, bis TMZ herausfand, wo ich wohne. Mir wurde aufgelauert, dann hat man mich geknipst, wie ich aus meinem Apartmentgebäude kam, und Page Six war zugepflastert mit den Fotos. Vielleicht hat ein anderer Mieter es ihnen gesteckt. New Yorker können Prominente als Nachbarn nicht leiden. Vielleicht wollten sie mich raushaben. Aber wiederum könnte es auch mein Verlobter gewesen sein, der das Messer, das er mir in den Rücken gestochen hatte, unbedingt noch tiefer drehen wollte.
Ich habe versucht, ein schlichtes Outfit zu wählen, genau wie in New York, bevor ich verraten wurde. Ich trage meine Sportklamotten, nichts sonderlich Auffälliges. Ich halte alles gern schlicht schwarz – Leggings, T-Shirt und eine Kapuzenjacke. Keine Muster, keine fetten Markenlogos, durch die ich auffalle. Ich schnappe mir ein Yankees-Cap, stecke meine Haare darunter, setze die Sonnenbrille auf und gehe los.
Ich habe aus New York gelernt und mir in London ein Haus gemietet. Somit gibt es keinen Portier, den man bestechen kann, um Infos über meine Anwesenheit zu kriegen, und keine anderen Mieter, die mit jedem über mich reden, der es hören will. Nope, ich kann einfach kommen und gehen, wie es mir passt, ohne begafft zu werden. Nicht mal mein Manager weiß, wo ich bin.
Ich ziehe die Tür des Hauses in Chester Terrace zu. Es handelt sich um eine prächtige cremeweiße, stuckverzierte Villa, die genauso schön aussieht wie auf den Fotos in dem Online-Inserat, das mich dazu gebracht hat, sie zu mieten. Außerdem hat sie ein Tonstudio im Keller – nicht dass ich das genutzt hätte, seit ich vor zwei Tagen angekommen bin.
Wegen des Jetlags.
Und des Liebeskummers.
Draußen ist das Haus von einem schwarzen Eisenzaun eingefasst, es liegt einen Häuserblock entfernt vom Regent’s Park und nur zwei von dem Café, das ich austesten will.
Ich habe einen britischen Akzent geübt. Vivian Cross hat definitiv keinen britischen Akzent, das lenkt hoffentlich ab, falls mich Leute zu erkennen meinen.
Im Gehen stöpsele ich meine Earbuds ein, lasse sie jedoch ausgeschaltet. Ich muss mitkriegen, wenn mir jemand folgt, will aber nicht so aussehen. Mit gesenktem Kopf biege ich nach links, weg vom Park. Es sind nicht viele Menschen unterwegs. Schließlich ist es noch früh.
Ein Mann mittleren Alters mit einem kleinen Hund – einem Zwergspitz oder so – kommt mir entgegen. Ich lasse den Kopf gesenkt, als wir aneinander vorbeigehen. Er scheint nichts zu ahnen. Ich werfe einen Blick über die Schulter, doch er sieht nicht hinter sich, wie um zu sagen: Bin ich etwa gerade an Vivian Cross vorbeigelaufen?
Mir wird leichter ums Herz. Es klappt! Ich bewege mich im öffentlichen Raum, und niemand nimmt Notiz von mir.
Ich gehe noch an drei weiteren Passanten vorbei, bevor ich Coffee Confidential erreiche, und keiner von denen schenkt mir einen zweiten Blick. Ich muss mir auf die Unterlippe beißen, damit ich nicht grinse wie eine Muppetpuppe.
Jetzt kommt der wahre Test. Als ich die Tür aufdrücke, ist es, als läutete die Türglocke so laut wie Big Ben. Ich erstarre bei dem Geräusch, doch niemand dreht sich um. Ein Typ zur Rechten schaut vom Zeitunglesen auf, senkt aber sofort wieder den Blick, als würde er auf jemanden warten und sofort das Interesse verlieren, sobald er feststellt, dass wer anders hereingekommen ist. Passt mir gut.
Ich atme ein Mal durch und stelle mich in die Warteschlange. Es sind nur zwei Leute vor mir.
Der Mann vor mir ist groß, hat wuscheliges braunes Haar und trägt ein blaues T-Shirt. Von hinten vermitteln mir seine breiten Schultern den Eindruck, ich befände mich auf einer Jacht und er wäre ein Segel. Sein marineblaues Poloshirt liegt eng an seiner schlanken Taille an, und er wirkt, als wäre er einer Ralph-Lauren-Werbung entstiegen.
Ich greife nach meinem Smartphone, um einen Vorwand zu haben, den Kopf gesenkt zu halten. Ohne meine Brille kann ich nichts erkennen, aber das braucht niemand zu wissen.
Als ich das Handy aus der Tasche meiner Kapuzenjacke ziehe, ist es, als hätte es ein Eigenleben – es springt förmlich aus meiner Hand auf den Boden, zu Füßen des Ralph-Lauren-Manns. Wir bücken uns beide danach, und er hebt es als Erster auf. Ich versuche, ihn nicht anzusehen, als er es mir hinhält, spüre jedoch, wie sich sein Blick neugierig in mich bohrt. Ich kann nicht vermeiden, auf seine Hand zu schauen, als er mir mein Telefon gibt. Sie ist groß und derart gebräunt, dass zu vermuten ist, er hat den ganzen Sommer an der frischen Luft verbracht.
»Danke«, sage ich und schelte mich dann innerlich dafür, dass ich den britischen Akzent vergessen habe. Aber es war bloß ein Wort, nicht? Wie unterschiedlich kann das in ein und derselben Sprache schon klingen?
»Gern geschehen«, erwidert er, als wir uns beide aufrichten, wobei ich ihn bewusst nicht ansehe. »Woher aus den Staaten kommst du?«
Anscheinend kann ein einziges Wort allzu viel über einen Menschen verraten.
»New York«, blaffe ich – genau wie eine New Yorkerin es machen würde, die keine Lust hat, mit dem Typen hier zu reden. Ich schaue runter auf mein Handy, während ich mich anstrenge, angesichts meiner Unhöflichkeit keine Miene zu verziehen. Ich habe bloß echt keine Lust auf eine Unterhaltung. Besonders nicht mit einem attraktiven Mann. Oder auch jedem anderen. Gestern habe ich im Netz gesucht, ob es so was wie eine reine Frauengemeinde gibt, in der ich Zuflucht suchen kann. Vorerst werden London und eine bissige Art ausreichen müssen.
»New York ist toll«, ignoriert er meine wenig subtilen Signale, dass ich mich nicht weiter unterhalten will. In New York hätte ich den kompletten Soundtrack von Dirty Dancing – meinem Lieblingsfilm – trällern können, ohne dass der Kerl vor mir auch nur gezuckt hätte. Aber nicht in London. Ich dachte, die Briten sollen zugeknöpft sein. Die Schlange bewegt sich vorwärts, und alle rücken weiter. »Geh ruhig vor. Du scheinst es eilig zu haben.«
Uff. Wenn ich ablehne, wird er darauf bestehen, und am Ende haben wir mehr Interaktion, als ich eigentlich möchte.
»Danke«, sage ich und trete vor. Jetzt ist nur noch eine Person vor mir. Ich muss hier raus, bevor noch jemand versucht, ein Gespräch mit mir anzufangen.
Hinter dem Tresen erscheint eine weitere Mitarbeiterin, wodurch Mr Ralph Lauren und ich letztlich gleichzeitig bestellen. Während ich meinen Flat White ordere, kriege ich mit, wie ihn die Mitarbeiterin anlächelt und dann laut über etwas loslacht, was er sagt. Ich habe sein Gesicht nicht gesehen, aber Becky – wie es auf ihrem Namensschildchen steht – ist offensichtlich ziemlich hin und weg von ihm. Vielleicht ist er ja ein Stammgast. Ich bezahle und gehe weiter zum Abholtresen, zufrieden, dass keiner der Mitarbeiter Notiz von mir genommen hat. Wenn ich mein Handy nicht fallen gelassen hätte, wäre dieser Ausflug perfekt.
Natürlich folgt mir mein neuer Bekannter, weil er ebenfalls auf sein Getränk wartet.
»Ich bin Beau«, sagt er, als er sich neben mich stellt.
Ich gebe vor, in mein Handy vertieft zu sein, nicke aber zum Zeichen, dass ich ihn gehört habe. Doch ich nenne umgekehrt nicht meinen Namen.
Davon lässt er sich nicht beirren. »Wie heißt du?«
Ich seufze. Wieso lässt der Typ mich nicht in Ruhe? Es gibt hier in London doch jede Menge Frauen zum Anbaggern. »Adele«, sage ich. Unter diesem Pseudonym checke ich meistens in Hotels ein – ein kleiner insgeheimer Joke von mir, denn mein letztes Album hat sich in Woche eins öfter verkauft als ihres. Natürlich liebe ich Adele. Alle lieben Adele. Was nicht heißt, dass wir keine freundschaftliche Rivalität pflegen. Aber wir sind Erwachsene. Daraus wird keine Katy-Taylor-Geschichte.
»Schön, dich kennenzulernen, Adele«, sagt er. Ehe er mir noch mehr Fragen stellen kann, wird Adele aufgerufen, und ich trete vor, um meinen Kaffee entgegenzunehmen. Ich verabschiede mich nicht mal von Mr Ralph Lauren, sondern sause nur aus dem Laden und gehe zum Haus zurück.
Ich habe mir einen Kaffee geholt, ohne dass jemand gemerkt hat, wer ich bin. Das verbuche ich mal als Erfolg.
Nicht viele Menschen begreifen wirklich, was für ein Glück sie haben, am Leben zu sein. Bei mir ist das anders. Und solange ich am Leben bin, brauche ich jeden Morgen einen Kaffee.
Als ich zu CoffeeConfidential gehe, sehe ich die Frau, die gestern auch dort war – Adele. Sie ist New Yorkerin und hat nicht viel für einen Plausch übrig. »Hallo!«, sage ich, als wir beide gleichzeitig am Eingang angelangen.
»Hi«, erwidert sie, während ich ihr die Tür aufhalte und versuche, nicht vor Schmerz zusammenzuzucken, obwohl meine Schulter brennt. Sie lächelt kaum. Gestern war sie auch etwas unterkühlt.
Würde ich mich davon unterkriegen lassen, dass ich von Coral abserviert wurde und einen tausend Meter hohen Gletscher hinuntergestürzt bin, wäre ich wohl genauso unterkühlt. Aber so einer bin ich nicht. Zum Glück bin ich nur sechs Meter tief gefallen, und zu meinem noch größeren Glück habe ich mir nur die Schulter ausgerenkt. Das i-Tüpfelchen auf der ganzen Geschichte ist, dass Coral sich nicht erkundigt hat, ob ich noch lebe. Was unsere Beziehung angeht, ist wirklich kein Raum für Interpretationen mehr.
Der Sturz hat meinem Skiurlaub ein vorzeitiges Ende bereitet, aber ich kann mich eigentlich nicht beschweren. Ich wollte eh nicht mehr dortbleiben und noch ein weiteres Wort mit Coral wechseln.
»Wie geht’s heute? Adele, richtig?«, frage ich, während ich ihr nach drinnen folge.
Sie verzieht den Mund zu einem knappen Lächeln, antwortet jedoch nicht. Stumm signalisiert sie: Verpiss dich, Mann. Ich hab kein Interesse. Na gut. Wahrscheinlich wird sie ständig von Typen angebaggert – scheint, als wäre sie ziemlich süß, wenn man sich die dunkle Sonnenbrille und das Cap wegdenkt.
Heute gibt es keine Warteschlange, sodass Adele direkt zum Tresen geht. Sie braucht nicht lange, um ihre Bestellung aufzugeben und weiter zum Abholtresen zu gehen. Eindeutig will sie von niemandem behelligt werden. Sie ist auf ihr Handy fixiert und steht Richtung Wand gedreht dicht vor dem Tresen – so als hätte sie sich selbst in die Ecke gestellt, weil sie ungezogen war. Ich lache in mich hinein. Sie will echt nicht, dass sie irgendwer behelligt.
»Guten Morgen, schöne Frau«, sage ich zu Kimberly hinter dem Tresen.
»Hallo, Beau.« Sie strahlt mich an. Finde nur ich das oder sehen Rothaarige immer toll aus? »Das Übliche?«
»Ich fühl mich geehrt, dass du es dir gemerkt hast.« Ich lege mir eine Hand auf die Brust und halte dann zum Bezahlen mein Handy hin.
»Wie könnte man das vergessen?«, fragt sie und errötet dabei über ihre eigene Antwort. »Du bist immer so … fröhlich.«
Die Vorstellung ist schön, dass mein Besuch hier im Café etwas zu ihrem Tag beiträgt – einen Serotoninstoß oder bloß ein Lächeln mehr.
»Hab einen schönen Tag«, sage ich, als ich rüber zum Abholtresen gehe, wobei ich darauf achte, Adele ihren Freiraum zu lassen.
Ihr Name wird aufgerufen, und weiterhin auf ihr Handy fixiert, greift sie ohne hochzusehen nach dem Becher. Sie dreht sich um und stürmt Richtung Tür los. Ehe ich mich wegbewegen kann, läuft sie in mich hinein, und ihr brühheißer Kaffee landet auf meiner Brust.
Noch bevor ich die Hitze spüre, die, wie ich weiß, gleich heftig einsetzen wird, reagiere ich schnell, indem ich Handy und Rucksack ablege und mir das T-Shirt vom Leib reiße.
»Scheiße«, höre ich sie sagen. »Tut mir so leid.«
Sie geht zurück zum Tresen, greift sich ein paar Servietten und gibt sie mir. Ich nehme sie ihr ab. Nicht weil ich sie tatsächlich brauche – ich habe ein Handtuch im Rucksack. Aber sie soll sich nicht schlecht fühlen. »Danke.« Ich lächle sie an. »Geht schon.«
»Aber dein Shirt.« Sie trägt eine dunkle Sonnenbrille, doch ich brauche ihre Augen nicht zu sehen, um zu wissen, worauf sie schaut. Darauf, worauf auch alle anderen gucken, die mich – der mit nacktem Oberkörper mitten im Café steht – anstarren.
Meine Narben.
Vor langer Zeit hatte ich nicht solches Glück wie heute, als heiße Flüssigkeit in Kontakt mit meinem Körper kam. Meine Haut ist längst verheilt, aber die Spuren bleiben. Es sieht aus, als wäre die Haut auf einer Seite meiner Brust und meinem linken Arm geschmolzen und hätte eine neue Form angenommen. Sie hat eine andere Beschaffenheit als die übrige Haut meines Körpers, und diverse Stellen sind bis heute taub.
Ich hatte großes Glück.
Heute wird der Kaffee auf meiner Brust keinen Krankenhausaufenthalt erforderlich machen. Oder Narben hinterlassen, die mein Leben lang bleiben.
Ich habe noch sieben weitere Leben.
»Gott, tut mir so leid«, sagt sie erneut, weiter ohne die Sonnenbrille abzunehmen.
»Macht nichts. War doch nur ein Versehen.« Ich tupfe mich mit den Servietten ab und wedele dann mit dem nassen Shirt vor mir.
»Hier«, sagt sie, wobei sie ihre Kapuzenjacke aufmacht. »Nimm meine Jacke.«
Ich lache. »Das ist echt lieb von dir, aber die wird glaube ich nicht passen.«
»Sie ist oversize.«
»Trotzdem nicht groß genug.« Ich wühle in meinem Rucksack und hole ein Wechselshirt heraus – das, das ich eigentlich anziehen wollte, wenn ich nach Hause jogge.
»Kann ich dir ein neues T-Shirt kaufen?« Sie zieht ihr Portemonnaie hervor und setzt an, Geld herauszunehmen.
Ich lege ihr meine Hand aufs Handgelenk. »Stopp. Im Ernst, mir geht’s gut. Mein T-Shirt lässt sich waschen. Es ist kein Schaden entstanden.«
Der Barista ruft meinen Namen. Ich ziehe das frische Shirt an, bevor ich jedoch nach meinem Americano greifen kann, nimmt ihn Adele und reicht ihn mir.
»Danke«, sage ich. »Nett von dir.«
»Lass mich wenigstens deinen Kaffee bezahlen«, meint sie.
Wieder lache ich. Wieso will mir diese Frau die ganze Zeit Geld geben? »Ich habe schon bezahlt. Alles gut. Keine Sorge.« Ich setze den Rucksack auf und gehe zum Ausgang.
»Sicher, dass du dir nicht wehgetan hast?«, fragt sie. »Solltest du dich nicht von jemandem mit medizinischem Sachverstand checken lassen?«
Ich halte die Tür auf, und sie geht hinaus. »Ich bin jemand mit medizinischem Sachverstand. Ich bin Arzt. Und ehrlich, mir geht’s gut, Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«
Wir stehen draußen auf dem Bürgersteig voreinander. Ihre dunkle Sonnenbrille ist riesig und verdeckt den Großteil ihres Gesichts, aber nicht ihre prallen Lippen und den spitzen Amorbogen. Sie ist total küssbar. Coral mag mich von jeglichem Bedürfnis geheilt haben, sesshaft zu werden, aber deshalb bin ich nicht zum Mönch geworden. Sind das blonde Haare unter dem Cap?
»Du bist Arzt?«, fragt sie. Ich nicke. »Das ist gut. Du hast dich also nicht verbrüht?«
»Diesmal nicht«, erwidere ich, womit ich einräume, dass sie meine Narben gesehen hat. Ich schäme mich nicht dafür. Sie waren viele Monate lang sehr schmerzhaft, aber diese Verbrennungen haben mein Leben genau zum Richtigen verändert.
»Verstehe.«
»Kann ich dich irgendwo hinbegleiten, Adele?«, biete ich an.
Sie zieht die Luft ein, als wäre ihr wieder eingefallen, wo sie sich befindet. Dann schüttelt sie den Kopf.
»Es ist wunderschönes Wetter, wie wär’s mit einer Flanierrunde durch den Park?«
»Einer Flanierrunde?«, fragt sie. »Klingt lustig.«
»Ja?«
Sie zuckt mit den Schultern. »Irgendwie schon. Sehr britisch.«
»Nicht sehr New York«, ergänze ich.
»Ist er schön?«, will sie wissen.
»Der Park?«, erwidere ich. »Warst du noch nie dort? Er ist herrlich. Ach komm, sei so nett und begleite mich auf einer zehnminütigen Runde. Dann kannst du dir sagen, du hast wiedergutgemacht, dass du mir deinen Kaffee übergeschüttet hast.«
Sie sieht sich um, fast so, als warte sie auf jemanden. Dann atmet sie tief durch, als würde sie sich gleich zu einem Bungeesprung von der Plattform stürzen. »Na gut.«
Wir gehen los in Richtung Park. »Hier«, ich halte ihr meinen Kaffee hin. »Nimm den, wenn du schwarzen Kaffee abkannst.«
Sie verschränkt die Arme. »Ich überschütte dich doch nicht mit meinem Kaffee und nehme dann deinen. Das geht zu weit.«
Ich lächle. Das waren mehr Worte von ihr als die zwei Male zusammen, die ich ihr begegnet bin. »Sollen wir ihn uns teilen?«
Sie schüttelt den Kopf.
Wir überqueren die Straße und gehen in den Park.
Es ist, als wüsste mein Herz, dass dieser Mann aufrichtig ist, doch mein Körper zeigt diese komische Reaktion auf neue Menschen. So als würde jemand in mir auf »Abweisen« drücken. Hätte ich diesem Kerl nicht brühheißen Kaffee übergeschüttet, würde ich nicht mit ihm durch den Park spazieren, ganz gleich, was für ein Hottie er ist.
»Wohnst du in London, Adele?«, fragt er.
Er sagt den Namen Adele oft. Ich weiß nicht, ob er bloß zu den Menschen gehört, die einen oft beim Namen nennen, oder ob er weiß, dass ich Vivian Cross bin, und mich testet. Obwohl er ein Fremder ist und ich ihm nichts schulde, fühle ich mich unwillkürlich schlecht, weil ich ihm nicht die Wahrheit sage. Keine Ahnung, ob es an mir liegt oder er mir dieses Gefühl gibt.
»Nein, ich bin nur für ein paar Wochen hier.« Der Park ist nett. Unter dem Blätterdach der Bäume ist es deutlich frischer, fast so, als wären wir nicht in der Stadt. Es ist Monate her, dass ich im Central Park war. Nach der Trennung wollte ich mein Apartment nicht verlassen. Nirgends fühlte es sich sicher an. Und nachdem TMZ dann herausgefunden hatte, wo ich wohnte, kam Rausgehen nicht mehr infrage, selbst wenn ich gewollt hätte. Selbst drinnen fühlte es sich zuweilen nicht sicher an.
»Bist du zum ersten Mal in England?«
Nicht wenn man meine Welttournee vor zwei Jahren mitzählt. Oder meinen Auftritt in Glastonbury vor drei Jahren. »Ich war schon ein paarmal hier«, erwidere ich.
Er nickt, als wäre meine Antwort echt interessant. »Beruflich? Oder …«
»Hauptsächlich beruflich«, sage ich. Ich will nicht unbedingt lügen, aber er braucht nicht zu wissen, wer ich bin. »Erzähl doch mal von deiner Arbeit. Arzt sein ist bestimmt ziemlich spannend, oder?«
Neben mir lacht er leise. Dabei legen sich so süße Fältchen um seine Augenwinkel, dass ich lächeln möchte. Sein Gesicht ist genauso Ralph-Lauren-Model-mäßig wie der Rest von ihm. Er hat einen markanten Kiefer und perfekt sonnengeküsste Haut – attraktiv auf eine Art, die mit dem Alter noch zunimmt. »Spannend nicht unbedingt, aber ich mag’s. Ich helfe gern Menschen.«
Mir fällt etwas am Wegrand auf. Es sieht aus wie ein Skelett auf einem Stuhl. »Was zum Kuckuck ist das denn?«
»Ich beschütze dich!« Er streckt die Arme aus und bildet mit seinem Körper eine muskulöse Wand zwischen mir und dem Skelett. Dann lässt er sie sinken. »Das ist eine Skulptur.« Ein Skelett ist rücklings über einen Messingstuhl gebeugt, der in einem Wasserbecken steht. »Eigentlich vorübergehend installiert, aber sie steht das ganze Jahr hier.«
»Okay«, sage ich. Menschen nehmen wohl alles Mögliche zum Thema für Kunst. »Ist das echt, was meinst du?«, frage ich.
»Die Skulptur?«
»Das Skelett«, erwidere ich.
»Nein.«
»Wie kannst du dir da sicher sein?«, hake ich nach. »Es sieht ziemlich realistisch aus.«
»Na ja«, sagt er, hebt die Hand und kratzt sich im Nacken. Ich versuche, nicht auf den Streifen nackter Haut an seinem straffen, gebräunten Bauch zu schielen, während er spricht. Zum einen, weil es unhöflich ist zu glotzen, und zum anderen, weil ich nicht recht weiß, ob mir die Haut eines Mannes überhaupt auffallen sollte. Die Hand eines Mannes. Das Lächeln eines Mannes. Ich sollte mein gebrochenes Herz pflegen. Ganz bestimmt, definitiv und hundertprozentig, gebe ich mein Bestes, den leisen Schauer zu ignorieren, der mir den Rücken hinunterrieselt, als er mich ansieht. »Weil ich Arzt bin. Aber auch, weil mein Bruder den Künstler kennt.«
Ich sehe mich nach dem Schild um, das das Kunstwerk benennt. »Urs Fischer. Dein Bruder kennt ihn?«
»Ja, ich glaube, er hatte ein paar Werke von ihm in Kommission. Ich erinnere mich, dass mir mein Bruder von dieser Skulptur erzählt hat und meinte, es sei kein echtes Skelett.«
»Hm«, mache ich. »Was macht dein Bruder? Ist er Kunstsammler oder so?«
»Definitiv nicht, nein. Ehrlich gesagt weiß ich nicht genau, was er macht. Nur dass es mit Finanzen zu tun hat.« Er verzieht dabei das Gesicht.
Ich lache, denn genauso würde ich auch beschreiben, was mein Bruder beruflich macht.
»Du hast ein schönes Lächeln«, sagt er, und unter seinem Blick werde ich mit einem Mal befangen.
»Danke«, erwidere ich leicht verlegen über das Kompliment, denn es wirkt ehrlich gemeint. In meinem Leben gibt es jede Menge Leute, die sich bei mir einschmeicheln wollen, aber dieser Typ? Er scheint mich nicht zu kennen. Er ist kein Angestellter von mir, und es tut gut, von ihm wahrgenommen zu werden. Ich fühle mich besonders – nicht wegen meiner Stimme oder meines Songwritings, sondern weil ich ich bin.
»Hast du Geschwister?«, fragt er.
Ich räuspere mich. Ich möchte ihn nicht anlügen, andererseits aber auch nichts preisgeben. Er braucht nicht zu wissen, wer ich bin. Ich möchte einfach nur den Spaziergang durch den Park genießen und dann wieder nach Hause. »Ja. Ich habe einen Bruder.« Es fühlt sich schön an, ehrlich zu sein, ich lasse jedoch weg, dass ich auch eine Schwester habe.
Als eine Gruppe junger Frauen auf uns zukommt, drehe ich mich weg und tue mit klopfendem Herzen so, als würde mich die Skulptur noch mal interessieren. Eine von ihnen ruft aus: »Oh. Mein. Gott.«
Fuck. Ich wusste, ich hätte direkt wieder nach Hause gehen sollen. Mehr als hundert Meter kann ich nicht vom Parkeingang entfernt sein. Wahrscheinlich könnte ich losrennen und wäre in wenigen Minuten im Haus.
»Alles in Ordnung?«, fragt Beau hinter mir.
Ich wage es, mich umzusehen, und stelle fest, dass die Mädchen vorbeigegangen sind. Sie müssen mich nicht erkannt haben, sondern irgendwas anderes Oh mein Gott gefunden haben.
»Du wirkst nervös«, sagt er.
Ich bringe ein aufgesetztes Lächeln zustande. »Alles gut. Gehen wir weiter. Aber lass uns am Rand des Parks bleiben, wenn das okay ist, ja?«
»Ja, okay.« Er muss ein Stück rennen, um mich einzuholen, doch ich will nicht, dass die Mädchen etwas merken und zurückkommen, um herauszufinden, ob es wirklich die Person ist, die sie erkannt zu haben glauben.
»Bist du oft hier?«, frage ich. Ich glaube, wenn ich richtig in Chester Terrace wohnen würde und nicht prominent wäre, würde ich oft herkommen. Tatsächlich würde ich trotz meiner Bekanntheit herkommen, wenn ich in London leben würde. Bloß aktuell nicht. Ich komme mir vor, als wäre ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt. Das wird vorbeigehen. Muss es.
»Ich wohne vorübergehend bei meinem Bruder. Deshalb gehe ich jeden Tag durch den Park zur Arbeit. Und du? Wo wohnst du?«
»Ach, gleich dahinten?« Ich deute mit dem Daumen über meine rechte Schulter.
»In King’s Cross?«, fragt er.
»Ungefähr.«
»Du hast gar nicht gesagt, warum du in der Stadt bist. Beruflich?«
»Quasi als Verschnaufpause zwischen zwei Projekten.«
Er nickt. »Schön. Die Stadt ist super, oder?«
Leider habe ich noch nicht viel von ihr gesehen. Berühmt zu sein, hat viele Vorteile. Aber auch Nachteile. Unter anderem, nicht einfach vor die Tür gehen zu können, wann immer man will. Wenn ich auf PR-Tour bin oder in einem Restaurant essen gehe oder so, habe ich immer Bodyguards dabei. Damit will ich mich derzeit nicht befassen. Nicht hier. Ich brauche einfach etwas Zeit für mich. Ich kann keine Security engagieren, ohne den Leuten zu sagen, wer ich bin. Zumindest meine persönliche Assistentin müsste davon wissen. Und im Moment weiß niemand Bescheid. Nicht mal dieser sehr attraktive Mann hier, mit dem ich durch den Park spaziere.
»Ja, die Stadt ist super«, sage ich. »Mir gefällt, dass hier jeder sein kann, wer er will.«
Als er grinst, schaue ich zu ihm und dann schnell wieder weg, denn in meinem Bauch meldet sich ein warmes Kribbeln, das sich ein wenig … gefährlich anfühlt. »Toll, dass du das wahrnimmst. Genau darum geht’s. Es gibt Platz für jeden, egal wer man ist.«
Mein Herz flattert in meiner Brust – nicht wegen der Stimmungsbeschreibung, so schön es auch ist, man selbst sein zu können, sondern wegen seines Kompliments und weil ihn so freut, was ich gesagt habe. Ich nicke, während wir einen besonders schattigen Teil des Wegs entlanggehen. Wegen meiner Sonnenbrille sehe ich kaum etwas. Dass es wolkenverhangen geworden ist, macht es nicht besser.
»Du merkst schon, dass hier gar keine Sonne ist, oder?«, sagt Beau. Als ich zu ihm schaue, geht mir auf, dass er mich indirekt auffordert, die Brille abzunehmen.
»Ja«, erwidere ich. Die Sonnenbrille ist wie eine Rüstung. Wenn ich sie aufhabe, fühlt es sich an, als wäre ich ein Stück von der Welt entfernt, und nur so ertrage ich sie.
»Na, solange alles in Ordnung ist«, meint er.
Wahrscheinlich denkt er, jemand hätte mir eine verpasst und ich verstecke ein Veilchen.
»Alles gut. Ich mag bloß … kein grelles Licht.« Mein Exverlobter hat mir immer vorgeworfen, ich stünde ein bisschen zu sehr aufs Rampenlicht. Im Nachhinein glaube ich, er hat den Ruhm mehr genossen als ich jemals.
Ein Händchen haltendes Paar kommt uns entgegen. Ich sehe, wie sie mir einen Blick zuwirft und dann ihrem Freund etwas zuflüstert, der daraufhin zu mir schaut.
Shit. Ich wusste doch, ich würde nicht lange Glück haben.
»Du, lass uns den Pfad hier nehmen«, sage ich.
Ich gehe zwischen Büschen hindurch und ducke mich dabei, um mir nicht an den tief hängenden Ästen der Bäume den Kopf zu stoßen.
»Du weißt schon, dass das kein Pfad ist, oder?«, fragt er hinter mir. Als wir durchs Gebüsch hindurch sind, gelangen wir auf einen Weg parallel zu dem, den wir verlassen haben.
»Oh«, sage ich. »Ich dachte, das wäre eine Abkürzung.«
Seine Mundwinkel gehen nach oben, doch seine Brauen sind zusammengezogen, als finde er mich einerseits amüsant, andererseits seltsam. Damit kann ich leben.
»Was ist los, Adele? Wieso huschst du zwischen Büsche und behältst im Dunkeln die Sonnenbrille auf? Bist du im Zeugenschutz oder so?«
Ich seufze. Es ist schwer, anonym zu bleiben, wenn man länger mit jemandem Kontakt hat. Ich nicke in Richtung der Büsche. Er scheint ein anständiger Kerl zu sein, und es ist ja nicht so, als wüsste er, wo ich wohne. Außerdem kann ich eh nicht noch mal in den Park. Gleich verpasse ich jemandem einen krassen Schock.
»Stell dich da hin.« Ich dirigiere ihn so, dass er mit Blick zum Weg steht und ich vor ihm, damit eventuelle Passanten mein Gesicht nicht sehen.
»Okay.« Er verhält sich, als wäre ich komplett irre, doch gleich wird er merken, dass ich allen Grund habe, mich zu verstecken.
Ich nehme das Cap ab, lasse mein fast weißblondes Haar herabfallen und schiebe dann die Sonnenbrille hoch auf den Kopf.
»Du bist …« Ich warte, dass sich Erkennen auf seine Miene legt. »… wunderschön.«
Ich setze das Cap wieder auf, lasse die Haare jedoch draußen und die Sonnenbrille ab, während ich seine Reaktion beobachte. »Danke.«
»Du guckst mich an, als würdest du drauf warten, dass mir der Kopf explodiert«, meint er.
Ich schaue weg. »Nein, nur … Nein, ich hatte – schon gut. Nichts weiter.« Ich verkneife mir ein Grinsen. Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich jemanden getroffen habe, der nicht genau wusste, mit wem er es zu tun hat. Natürlich stelle ich mich immer mit Namen vor, aber das eifrige Lächeln und die überschwänglichen Begrüßungen verraten mir, dass die Leute wissen, wer ich bin. Dieser Mann hier hat keine Ahnung. Es ist, als würde ich Chöre Halleluja singen hören.
Er ist nicht nur attraktiv. Und charmant. Und englisch.
Er hat keine Ahnung, wer ich bin.
Ich glaube, noch nie fand ich einen Mann heißer.
Er zieht die Augenbrauen noch mehr zusammen. »Hab ich was verpasst?«
»Ich mag dich, Beau«, sage ich. Ich tätschele ihm den Arm, wobei ich harte Muskeln fühle und daraufhin nicht zu erschauern versuche, und wir gehen weiter.
Er lächelt. »Ich mag dich auch, Adele.«
Ich lache. Es bereitet mir ein schlechtes Gewissen, diesen Mann anzulügen. »Ich heiße gar nicht Adele.«
»Oh, okay«, sagt er. »Verrätst du komischen Typen in irgendwelchen Cafés nicht gern deinen Namen?«
»So ungefähr.«
»Na, und verrätst du ihn mir jetzt?«, fragt er. »Oder soll ich raten?«
Ich kann nicht aufhören zu grinsen. Ich komme mir vor wie ein Freak. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal so viel gelächelt habe. »Du darfst raten.«
»Esmerelda«, vermutet er ohne jedes Zögern. »Oder Gertrude. Genau, du siehst aus wie eine Gertrude.«
»Hör auf«, sage ich fast schon gackerig von seiner Albernheit. »Du bist furchtbar im Raten.«
Er legt sich eine Hand auf die Brust, als träfe ihn das zutiefst. »Das tut weh.«
Ich verdrehe die Augen. »Mein richtiger Name ist Vivian.« Ich beobachte, ob er anfängt, die Puzzlestücke zusammenzusetzen, doch in seinem Blick blitzt nicht der leiseste Hauch von Erkenntnis auf.
»Oh, schöner Name. Viel besser als Adele.«
Ich grinse, und während wir gehen, treffen sich unsere Blicke. »Danke«, sage ich. »Nett von dir.«
»Aber da ist noch was, oder?«, fragt er. »Ich weiß nicht genau, aber ich hab das Gefühl, Vivian ist womöglich gar nicht dein Name. Oder vielleicht schon und – mir entgeht hier jedenfalls was.«
Ich zucke mit den Schultern, unsicher, wie ich es ihm sagen soll und ob ich es überhaupt tun soll.
»Komm schon!«, sagt er. »Es ist, als würde ich den Witz nicht kapieren. Ich habe vier Brüder. Du setzt hier ein Kindheitstrauma fort!«
Er ist süß, sexy und witzig, dabei ist seltsam, dass ich einen Mann überhaupt der Rede wert finde, geschweige denn süß oder sexy oder witzig. Aber so ist es.
»Ich bin Vivian Cross«, flüstere ich laut.
Er geht einen Schritt zurück. »Die Sängerin?«
Mein Magen protestiert, und augenblicklich hasse ich, dass er weiß, wer ich bin. Ich habe unsere Unterhaltung so genossen, solange er mich einfach für eine x-beliebige Frau hielt. »Und nicht wer … die Steuerberaterin?«
Er lacht. »Woher weißt du, dass meine Steuerberaterin so heißt?« Wir grinsen einander an, weil er so albern ist und mir das irgendwie gefällt. »Also sind die Sonnenbrille und das Cap so was wie Tarnung.«
Das war’s, es ist vorbei. Sämtliche Punkte sind sauber zu einem Bild verbunden.
»Ähm, ja.« Sofort komme ich mir leicht blöd vor. Ich setze die Sonnenbrille auf, stopfe die Haare wieder unters Cap und ziehe es so tief in die Stirn, wie es geht, ohne dadurch die Brille runterzuhauen.
»Aber wir sind nicht in Amerika. Ich will damit nicht sagen, du wärst hier nicht berühmt. Doch, klar. Aber …«
»Aber in London sind die Leute gesichtsblind?« Ich schaue lächelnd zu ihm hoch.
Er grinst mich kurz an. »Nein, das nicht. Nur … keiner wird dich ansprechen.«
Ich stoße halb ein Lachen aus. »Wenn du das sagst, aber wenn du nichts dagegen hast, lasse ich es lieber nicht drauf ankommen. Nicht jetzt. In letzter Zeit stand für meinen Geschmack ein bisschen zu oft was über mich in der Presse.« Vor der Trennung mag es noch okay gewesen sein, aber aktuell gibt es jeden Tag neue Artikel über mich. Dass ich Liebeskummer habe. Dass ich eine Hexe bin, die keinen Mann halten kann. Dass ich mich verstecke. Dass ich eine Affäre mit einem verheirateten älteren Produzenten habe. Dass ich unbedingt einen Kennedy daten möchte. Es geht endlos weiter.
»Na gut. Also, jetzt wo die Wahrheit raus ist: Was machst du wirklich in London?«
»Ich mache wirklich eine Pause zwischen zwei Projekten. In ein paar Monaten kommt mein neues Album raus, und dann gehe ich dafür auf Promo-Tour. Ich wollte einfach eine Erholungspause.«
»Du bist also in London, um dir eine Pause zu gönnen, musst dich allerdings tarnen und kannst nirgends hin, ohne befürchten zu müssen, dass jemand dich erkennt. Ich wüsste nicht, wo das eine Erholung sein soll.«
Ich verstehe, wie das wirkt. »Du würdest dich wundern. Es ist schon eine Erholung abzutauchen. Wenn keiner weiß, wo du bist.«
»Ah, also ist es keine Erholungspause von der Arbeit, sondern von den Leuten in deinem Leben.«
Ich denke darüber nach. »Mag sein.«
»Das ist aber traurig. Du solltest deine Zeit mit Menschen verbringen, mit denen du sie auch verbringen möchtest.«
»Tue ich auch.« Mein Tonfall ist leicht defensiv. »Meistens.« Das Problem ist, dass Matt immer mein Anker war – mein Fels in der Brandung, wenn ich mal rausmusste. Mit ihm zusammen zu sein, nur zu zweit – das war der Urlaub, den ich ab und zu dringend brauchte. Wenn ich mit ihm entspannte, lösten sich sämtliche Ängste und der Frust in Luft auf, und ich konnte damit leben, dass ich alle Menschen in meinem Leben dafür bezahle, dass sie bei mir sind. Alle außer Matthew.
Die Tatsache, dass er die ganze Zeit im Mittelpunkt des Verrats an mir stand, weckt in mir den Wunsch, vor der Welt wegzulaufen und nie wiederzukommen.
»Vielleicht auch nicht. Ich glaube, es ist ein großes Glück, wenn man alle Menschen, mit denen man Zeit verbringt, mag und ihnen vertraut.«
Seine Miene ist irritierend, beinahe als hätte er Mitleid mit mir. So hat mich schon sehr lange niemand mehr angesehen. »Ich habe großes Glück«, sagt er. »Diese Lektion habe ich schon früh auf die harte Tour gelernt.« Er nickt zu den Narben auf seinem Arm.
»Wie alt warst du?«
»Zwölf. Meine Brüder und ich haben im Haus fangen gespielt wie die Wilden. Wir wussten, die Küche war beim Toben verboten. Was soll ich sagen? Ich wusste, dass ich gleich geschnappt werde und was einstecke, die Küche war die einzige Fluchtmöglichkeit. Ich lief in meine Mutter hinein, die gerade einen Topf kochendes Wasser in den Händen hatte.«
Ich zucke zusammen. »Shit.«
»Was es noch schlimmer machte, war, dass ich alt genug war, um zu wissen, dass ich Mist gebaut hatte, darum lief ich vor meiner Mutter weg, denn ich wusste, sie würde mit mir schimpfen. Der Schmerz setzte nicht sofort ein. Als sie mich eingeholt hatte und der Krankenwagen kam … tja, es waren Verbrennungen zweiten und dritten Grades. Ich habe viel Zeit im Krankenhaus verbracht.«
»Gott, das tut mir sehr leid.« Ohne nachzudenken, berühre ich seinen Arm und streichle mit einem Finger über die Brandmale, die unter seinem T-Shirt hervorschauen. Von vorhin im Café weiß ich, dass sich die Narben mindestens über die Hälfte seines Oberkörpers ziehen.
Unsere Blicke treffen sich, und er schenkt mir ein kleines Lächeln – ob deshalb, weil er es komisch findet, dass ich ihn anfasse, oder weil es ihm gefällt, weiß ich nicht. In dem plötzlichen Bewusstsein, dass er ein Fremder ist, den ich wohl nicht antatschen sollte, nehme ich die Hand weg.
»Ich habe viel daraus gelernt. Es hat mich das Leben wertschätzen gelehrt. Seitdem möchte ich jeden Tag bis aufs Letzte ausquetschen. Ich halte mich für ein großes Glückskind.«
Ich nicke, während ich ganz zu verarbeiten versuche, was er da sagt. Er beschreibt das genaue Gegenteil meines derzeitigen Lebens. »Und dann komme ich daher und schütte dir heißen Kaffee über. Das muss doch etwas triggern oder so.«
»Ach, der ist doch gar nicht auf meine Haut gekommen. Nur aufs T-Shirt. Alles gut.« Vor uns teilt sich der Weg, und als er mit dem Kopf nach links deutet, gehen wir in der Richtung weiter. Inzwischen befinden wir uns tiefer im Park, und keine Ahnung, wieso, aber hier fühle ich mich irgendwie geschützt. Leute laufen an uns vorbei, scheinen uns aber gar nicht zu beachten. So langsam komme ich ein bisschen runter.
»Wie ist es denn so, ein internationaler Popstar zu sein?«, fragt Beau.
Einsam, unterlasse ich zu antworten. Ich zucke mit den Schultern. »Ich liebe es, Songs zu schreiben. Und ich spiele sie gern vor Menschen, denen sie gefallen. Ich habe das große Glück, meiner großen Leidenschaft nachgehen zu können.«
Er verengt die Augen. »Das klingt einstudiert.«
Ich lache, denn das war meine Standardantwort auf die Frage nach meiner Arbeit, und er hat es sofort durchschaut. »Ja. Kann sein.«
»Na, und wie ist es wirklich? Ich kann mir nicht vorstellen, dass du dich morgens um neun an den Schreibtisch setzt oder ans Klavier oder woran auch immer und irgendwann Mittagspause machst und dann um fünf Feierabend.«
Ich schaue grinsend zu ihm hoch. »Nein. So ist es nicht.«
»Wie sieht dann ein typischer Tag aus?«
Im Moment fühlt sich kein Tag typisch an. Wenn ich keine Songs schreibe oder mich auf eine Tour oder irgendeinen anderen Auftritt vorbereite, wäre ich normalerweise bei Matt und mir zu Hause. Ich würde für ihn kochen, Sport machen. Aber jetzt? »Hier in London habe ich keine wirkliche Alltagsroutine.«
»Abgesehen davon, dir einen Kaffee zu holen«, sagt Beau.
»Ja. Ich weiß, es klingt komisch, aber für mich ist es schon ein Fest, in der Lage zu sein, rauszugehen und mir selbst einen Kaffee zu holen.«
»Und in Amerika geht das nicht? Wo meintest du noch mal, lebst du? In New York?«
Ich möchte nicht an New York denken. Matt ist zwar ausgezogen, aber ich glaube nicht, dass ich je wieder in mein Apartment zurückkehren kann. All die Erinnerungen an unser gemeinsames Leben dort und unser geplantes zukünftiges Leben und daran, dass das alles offensichtlich eine Lüge war. Er war nicht der Mann, für den ich ihn gehalten habe. »Doch. Manchmal geht das in New York.« Allerdings nicht, seit Matt und ich uns getrennt haben. Der Hunger nach Paparazzifotos von mir, auf denen ich todunglücklich aussehe, ist auf einem Hoch.
Beau sieht auf seine Uhr. »Mist, ich muss los. Tut mir leid. Ich habe in einer Viertelstunde den ersten Patienten, und von hier aus brauche ich vierzehn Minuten.«
»Es braucht dir nicht leidzutun. Danke, dass du so nett reagiert hast, obwohl ich dir Kaffee übergeschüttet und dein Kindheitstrauma getriggert habe.«
»Wenn du mir noch mal Kaffee überschütten willst, nur zu, jederzeit.« Er hält inne und schürzt die Lippen, als würde er überlegen. »Sollen wir das morgen wieder machen? Mit einem Kaffee eine Runde durch den Park drehen?«
Mir sackt der Magen durch. Sofort geht mir durch den Kopf, dass er morgen Fotografen herbringt. Derzeit könnte er ein paar tausend Dollar verdienen, wenn er einem von denen einen Tipp gibt. Ich will nicht, dass sich dieser Kerl als Arschloch herausstellt, und er wirkt auch nicht wie eins, allerdings war ich mit jemandem verlobt, den ich zwölf Jahre kannte und für einen aufrechten Mann gehalten habe. Meine Gute-Männer-Ortung ist kaputt. »Vielleicht«, erwidere ich.
Er lacht. »Ich nehme ein Vielleicht. Es war mir ein Vergnügen, Vivian Cross. Ich hoffe, wir sehen uns morgen.« Er tippt sich mit zwei Fingern an die Stirn und geht dann in die entgegengesetzte Richtung davon.
Ich stehe da und schaue ihm ein paar Sekunden nach, wie er den Park verlässt. Soll ich ihm trauen? Wahrscheinlich nicht, schließlich kann ich mir selbst nicht trauen, dass ich merke, welche die schlechten Kerle sind. Aber vielleicht sollte ich ihn wiedersehen, um mich selbst zu testen – um meine Theorie zu beweisen, dass alle Männer, die ich anziehe, Fieslinge sind.
Ich sehe Jacob den Hügel zu den Schwimmteichen in Hampstead Heath herunterkommen, vor denen ich warte. Er erzählt mir ständig, Kaltwasserschwimmen würde meinen Abenteuerdrang befriedigen. Ich würd’s ja verstehen, wenn wir in Grönland wären oder so, aber wir befinden uns in Hampstead – dem Zuhause von Harry Styles und Sting – einer Gegend, in der man sich zum Wohnen nicht mehr als einen Schuhkarton leisten kann, außer man ist Millionär. Wir bewegen uns hier nicht gerade abseits ausgetretener Pfade. Außerdem ist mein Abenteuerdrang seit meiner Rückkehr aus dem Skiurlaub etwas gedämpft. Keine Ahnung, warum. Ich scharre immer noch mit den Füßen, bloß weiß ich nicht recht, ob eine weitere Reise etwas daran ändert.
»Du bist früh dran«, sagt er.
Ich sehe auf meinem Handy nach der Uhrzeit. »Ja, mein letzter Patient ist nicht erschienen.« Heute sind ein paar Termine ausgefallen, und ich habe die Zeit genutzt, um Vivian Cross zu googeln. Andauernd gehen mir Bilder von ihr auf unserem Spaziergang durch den Kopf. Es ist, als wäre sie ein Ohrwurm, den ich nicht loswerde.
»Bereit?«, fragt Jacob mich mit einem Nicken zum Wasser.
Ich seufze. »Ja – verpass mir einen krassen Kälteschock.«
»Es ist besser, als du denkst.«
»Wenn du das sagst.«
»Und selbst wenn nicht, was hattest du denn sonst heute Abend vor? Bei Nathan und Madison und einem weinenden Kind rumhängen?«
»Du meinst wohl deine Nichte?«
»Wie lange wohnst du jetzt eigentlich schon bei ihnen?«, fragt er.
»Ein paar Monate. Das Haus ist total riesig, ist nicht so, als würden wir uns permanent auf die Füße treten. Außerdem ist Nathan viel unterwegs.«
»Schon Pläne, auszuziehen?«
»Wahrscheinlich nicht, bevor mein Arbeitsvertrag endet. Wozu auch? Danach werde ich irgendwohin verreisen und brauche keine Wohnung.« Vielleicht werde ich irgendwohin verreisen, denke ich für mich. Ich habe noch keine festen Pläne. »Und wenn ich wiederkomme, ziehe ich bei Sutton und dir ein.«
Er verdreht die Augen, sagt aber nicht Nein. Das fasse ich also mal als ein Ja auf.
»Wohin willst du diesmal?«, fragt er.