Don Carlos, Infant von Spanien - Friedrich Schiller - E-Book

Don Carlos, Infant von Spanien E-Book

Friedrich Schiller

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Beschreibung

Don Carlos, Sohn von Phillip II. von Spanien, verliebt sich in die französische Prinzessin Elisabeth von Valois, die dann aber aus politischen Gründen seinen Vater heiratet. Intrigen, irreführende Briefe in den falschen Händen, Liebe und Hass spitzen die Situation am spanischen Hof immer weiter zu ... Dieses mitreißende, zeitlose Drama um Generationenkonflikte, Liebe und Pflichtgefühl ist eng an historische Fakten angelehnt, auch wenn das Verhältnis zwischen Don Carlos und seiner gleichaltrigen Stiefmutter im wirklichen Leben wohl ehr freundschaftlicher Natur war.

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Seitenzahl: 230

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Friedrich Schiller

Don Carlos, Infant von Spanien

Ein dramatisches Gedicht

Impressum

Cover: Gemälde "Don Carlos de Austria" von Sánchez Coello (1531–1588)

Covergestaltung: nexx verlag gmbh, 2015

ISBN/EAN: 9783958705449

Rechtschreibung und Schreibweise des Originaltextes wurden behutsam angepasst.

www.nexx-verlag.de

Personen

- Philipp II., König von Spanien

- Elisabeth von Valois, seine Gemahlin

- Don Carlos, der Kronprinz

- Alexander Farnese, Prinz von Parma, Neffe des Königs

- Infantin Clara Eugenia, ein Kind von drei Jahren

- Herzogin von Olivarez, Oberhofmeisterin

- Marquisin von Mondecar, Dame der Königin

- Prinzessin von Eboli, Dame der Königin

- Gräfin Fuentes, Dame der Königin

- Marquis von Posa, ein Malteserritter

Granden von Spanien

- Herzog von Alba

- Graf von Lerma, Oberster der Leibwache

- Herzog von Feria, Ritter des Vlieses

- Herzog von Medina Sidonia, Admiral

- Don Raimond von Taxis, Oberpostmeister

- Domingo, Beichtvater des Königs

- Der Großinquisitor des Königreichs

- Der Prior eines Kartäuser-Klosters

- Ein Page der Königin

- Don Ludwig Mercado, Leibarzt der Königin

Mehrere Damen und Granden. Pagen. Offiziere. Die Leibwache und verschiedene stumme Personen.

Erster Akt

Erster Auftritt

Der königliche Garten in Aranjuez.

Carlos, Domingo.

Domingo

Die schönen Tage in Aranjuez sind nun zu Ende. Eure königliche Hoheit verlassen es nicht heiterer. Wir sind vergebens hier gewesen. Brechen Sie dies rätselhafte Schweigen. Öffnen Sie Ihr Herz dem Vaterherzen, Prinz. Zu teuer kann der Monarch die Ruhe seines Sohns – des einz'gen Sohns – zu teuer nie erkaufen.

(Carlos sieht zur Erde und schweigt.)

Wär' noch ein Wunsch zurück, den der Himmel dem liebsten seiner Söhne weigerte? Ich stand dabei, als in Toledos Mauern der stolze Carl die Huldigung empfing, als Fürsten sich zu seinem Handkuss drängten und jetzt in einem – einem Niederfall sechs Königreiche ihm zu Füßen lagen – ich stand und sah das junge stolze Blut in seine Wangen steigen, seinen Busen von fürstlichen Entschlüssen wallen, sah sein trunknes Aug durch die Versammlung fliegen, in Wonne brechen – Prinz, und dieses Auge gestand: ich bin gesättigt.

(Carlos wendet sich weg.)

Dieser stille und feierliche Kummer, Prinz, den wir acht Monde schon in Ihrem Blicke lesen, das Rätsel dieses ganzen Hofs, die Angst des Königreichs, hat Seiner Majestät schon manche sorgenvolle Nacht gekostet, schon manche Träne Ihrer Mutter.

Carlos

(Dreht sich rasch um.)

Mutter? – Oh Himmel, gib, dass ich es dem vergesse, der sie zu meiner Mutter machte!

Domingo

Prinz?

Carlos

(Besinnt sich und fährt mit der Hand über die Stirne.)

Hochwürd'ger Herr – ich habe sehr viel Unglück mit meinen Müttern. Meine erste Handlung, als ich das Licht der Welt erblickte, war ein Muttermord.

Domingo

Ist's möglich, gnäd'ger Prinz? Kann dieser Vorwurf Ihr Gewissen drücken?

Carlos

Und meine neue Mutter – hat sie mir nicht meines Vaters Liebe schon gekostet? Mein Vater hat mich kaum geliebt. Mein ganzes Verdienst war noch, sein einziger zu sein. Sie gab ihm eine Tochter. – Oh, wer weiß, was in der Zeiten Hintergrunde schlummert?

Domingo

Sie spotten meiner, Prinz. Ganz Spanien vergöttert seine Königin. Sie sollten nur mit des Hasses Auge sie betrachten? Bei ihrem Anblick nur die Klugheit hören? Wie, Prinz? Die schönste Frau auf dieser Welt und Königin – und ehmals Ihre Braut? Unmöglich, Prinz! Unglaublich! Nimmermehr! Wo Alles liebt, kann Carl allein nicht hassen; so seltsam widerspricht sich Carlos nicht. Verwahren Sie sich, Prinz, dass sie es nie, wie sehr sie ihrem Sohn missfällt, erfahre; die Nachricht würde schmerzen.

Carlos

Glauben Sie?

Domingo

Wenn Eure Hoheit sich des letzteren Turniers zu Saragossa noch entsinnen, wo unsern Herrn ein Lanzensplitter streifte – die Königin mit ihren Damen saß auf des Palastes mittlerer Tribüne und sah dem Kampfe zu. Auf einmal rief's: »Der König blutet!« – Man rennt durch einander, ein dumpfes Murmeln dringt bis zu dem Ohr der Königin. »Der Prinz?« ruft sie und will – und will sich von dem obersten Geländer herunter werfen. – »Nein, der König selbst!« Gibt man zur Antwort – »So lasst Ärzte holen!« erwidert sie, indem sie Atem schöpfte.

(Nach einigem Stillschweigen.)

Sie stehen in Gedanken?

Carlos

Ich bewundre des Königs lust'gen Beichtiger, der so bewandert ist in witzigen Geschichten.

(Ernsthaft und finster.)

Doch hab' ich immer sagen hören, dass Gebärdenspäher und Geschichtenträger des Übels mehr auf dieser Welt getan, als Gift und Dolch in Mörders Hand nicht konnten. Die Mühe, Herr, war zu ersparen. Wenn Sie Dank erwarten, gehen Sie zum König.

Domingo

Sie tun sehr wohl, mein Prinz, sich vorzusehn mit Menschen – nur mit Unterscheidung. Stoßen Sie mit dem Heuchler nicht den Freund zurück. Ich mein' es gut mit Ihnen.

Carlos

Lassen Sie das meinen Vater ja nicht merken. Sonst Sind Sie um Ihren Purpur.

Domingo

(Stutzt.)

Wie?

Carlos

Nun ja. Versprach er Ihnen nicht den ersten Purpur, den Spanien vergeben würde?

Domingo

Prinz, Sie spotten meiner.

Carlos

Das verhüte Gott, dass ich des fürchterlichen Mannes spotte, der meinen Vater selig sprechen und verdammen kann!

Domingo

Ich will mich nicht vermessen, Prinz, in das ehrwürdige Geheimnis Ihres Kummers einzudringen. Nur bitt' ich Eure Hoheit, eingedenk zu sein, dass dem beängstigten Gewissen die Kirche eine Zuflucht aufgetan, wozu Monarchen keinen Schlüssel haben, Wo selber Missetaten unterm Siegel des Sakramentes aufgehoben liegen. – Sie wissen, was ich meine, Prinz. Ich habe genug gesagt.

Carlos

Nein, das soll ferne von mir sein, dass ich den Siegelführer so versuchte!

Domingo

Prinz, dieses Misstraun – Sie verkennen Ihren getreusten Diener.

Carlos

(Fasst ihn bei der Hand.)

Also geben Sie mich lieber auf. Sie sind ein heil'ger Mann, das weiß die Welt – doch, frei heraus – für mich sind Sie bereits zu überhäuft. Ihr Weg, hochwürd'ger Vater, ist der weiteste, bis Sie auf Peters Stuhle niedersitzen. Viel Wissen möchte Sie beschweren. Melden Sie das dem König, der Sie hergesandt.

Domingo

Mich hergesandt?

Carlos

So sagt' ich. Oh, zu gut, zu gut weiß ich, dass ich an diesem Hof verraten bin – ich weiß, dass hundert Augen gedungen sind, mich zu bewachen, weiß, Dass König Philipp seinen einz'gen Sohn an seiner Knechte schlechtesten verkaufte und jede von mir aufgefangne Silbe dem Hinterbringer fürstlicher bezahlt, als er noch keine gute Tat bezahlte. Ich weiß. – Oh, still! Nichts mehr davon! Mein Herz will überströmen, und ich habe schon Zuviel gesagt.

Domingo

Der König ist gesonnen, vor Abend in Madrid noch einzutreffen. Bereits versammelt ist der Hof. Hab' ich die Gnade, Prinz.

Carlos

Schon gut. Ich werde folgen.

(Domingo geht ab. Nach einigem Stillschweigen.)

Beweinenswerter Philipp, wie dein Sohn beweinenswert! – Schon seh' ich deine Seele vom gift'gen Schlangenbiss des Argwohns bluten; dein unglücksel'ger Vorwitz übereilt Die fürchterlichste der Entdeckungen und rasen wirst du, wenn du sie gemacht.

Zweiter Auftritt

Carlos, Marquis von Posa.

Carlos

Wer kommt? – Was seh' ich? Oh ihr guten Geister! Mein Roderich!

Marquis

Mein Carlos!

Carlos

Ist es möglich? Ist's wahr? Ist's wirklich? Bist du's? – Oh, du bist's! Ich drück' an meine Seele dich, ich fühle die deinige allmächtig an mir schlagen. Oh, jetzt ist Alles wieder gut. In dieser Umarmung heilt mein krankes Herz. Ich liege am Halse meines Roderich.

Marquis

Ihr krankes, Ihr krankes Herz? Und was ist wieder gut? Was ist's, das wieder gut zu werden brauchte? Sie hören, was mich stutzen macht.

Carlos

Und was bringt dich so unverhofft aus Brüssel wieder? Wem dank' ich diese Überraschung? wem? Ich frage noch? Verzeih dem Freudetrunknen, erhabne Vorsicht, diese Lästerung! Wem sonst als dir, Allgütigste? Du wusstest, dass Carlos ohne Engel war, du sandtest Mir diesen, und ich frage noch?

Marquis

Vergebung, mein teurer Prinz, wenn ich dies stürmische Entzücken mit Bestürzung nur erwidre. So war es nicht, wie ich Don Philipps Sohn erwartete. Ein unnatürlich Rot entzündet sich auf Ihren blassen Wangen, und Ihre Lippen zittern fieberhaft. Was muss ich glauben, teurer Prinz? – Das ist der löwenkühne Jüngling nicht, zu dem ein unterdrücktes Heldenvolk mich sendet – denn jetzt steh' ich als Roderich nicht hier, nicht als des Knaben Carlos Spielgeselle – ein Abgeordneter der ganzen Menschheit umarm' ich Sie – es sind die flandrischen Provinzen, die an Ihrem Halse weinen und feierlich um Rettung Sie bestürmen. Getan ist's um Ihr teures Land, wenn Alba, des Fanatismus rauer Henkersknecht, vor Brüssel rückt mit spanischen Gesetzen. Auf Kaiser Carls glorwürd'gem Enkel ruht die letzte Hoffnung dieser edlen Lande. Sie stürzt dahin, wenn sein erhabnes Herz vergessen hat, für Menschlichkeit zu schlagen.

Carlos

Sie stürzt dahin.

Marquis

Weh mir! Was muss ich hören!

Carlos

Du sprichst von Zeiten, die vergangen sind. Auch mir hat einst von einem Carl geträumt, dem's feurig durch die Wangen lief, wenn man von Freiheit sprach – doch der ist lang begraben. Den du hier siehst, das ist der Carl nicht mehr, der in Alcala von dir Abschied nahm, der sich vermaß in süßer Trunkenheit, der Schöpfer eines neuen goldnen Alters in Spanien zu werden. – Oh, der Einfall war kindisch, aber göttlich schön! Vorbei sind diese Träume.

Marquis

Träume, Prinz? – So wären es Träume nur gewesen?

Carlos

Lass mich weinen, an deinem Herzen heiße Tränen weinen, du einz'ger Freund. Ich habe Niemand – Niemand – auf dieser großen weiten Erde Niemand. Soweit das Zepter meines Vaters reicht, soweit die Schifffahrt unsre Flaggen sendet, ist keine Stelle – keine – keine, wo ich meiner Tränen mich entlasten darf, als diese. Oh, bei Allem, Roderich, was du und ich dereinst im Himmel hoffen, verjage mich von dieser Stelle nicht.

Marquis

(Neigt sich über ihn mit sprachloser Rührung.)

Carlos

Berede dich, ich wär' ein Waisenkind, das du am Thron mitleidig aufgelesen. Ich weiß ja nicht, was Vater heißt – ich bin ein Königssohn – oh, wenn es eintrifft, was mein Herz mir sagt, wenn du aus Millionen herausgefunden bist, mich zu verstehn, wenn's wahr ist, dass die schaffende Natur den Roderich im Carlos wiederholte und unsrer Seelen zartes Saitenspiel am Morgen unsers Lebens gleich bezog, wenn eine Träne, die mir Lindrung gibt, dir teurer ist als meines Vaters Gnade –

Marquis

Oh teurer als die ganze Welt.

Carlos

So tief bin ich gefallen – bin so arm geworden, dass ich an unsre frühen Kinderjahre dich mahnen muss – dass ich dich bitten muss, die lang vergessnen Schulden abzutragen, die du noch im Matrosenkleide machtest – als du und ich, zween Knaben wilder Art, so brüderlich zusammen aufgewachsen, kein Schmerz mich drückte, als von deinem Geiste so sehr verdunkelt mich zu sehn – ich endlich mich kühn entschloss, dich grenzenlos zu lieben, weil mich der Mut verließ, dir gleich zu sein. Da fing ich an, mit tausend Zärtlichkeiten und treuer Bruderliebe dich zu quälen; du, stolzes Herz, gabst sie mir kalt zurück. Oft stand ich da, und – doch das sahst du nie! Und heiße, schwere Tränentropfen hingen in meinem Aug, wenn du, mich überhüpfend, geringre Kinder in die Arme drücktest. Warum nur diese? rief ich trauernd aus: Bin ich dir nicht auch herzlich gut? – Du aber, du knietest kalt und ernsthaft vor mir nieder: Das, sagtest du, gebührt dem Königssohn.

Marquis

Oh stille, Prinz, von diesen kindischen Geschichten, die mich jetzt noch schamrot machen.

Carlos

Ich hatt' es nicht um dich verdient. Verschmähen, zerreißen konntest du mein Herz, doch nie von dir entfernen. Dreimal wiesest du den Fürsten von dir, dreimal kam er wieder als Bittender, um Liebe dich zu flehn und dir gewaltsam Liebe aufzudringen. Ein Zufall tat, was Carlos nie gekonnt. Einmal geschah's bei unsern Spielen, dass der Königin von Böhmen, meiner Tante, der Federball ins Auge flog. Sie glaubte, dass es mit Vorbedacht geschehn, und klagt' es dem Könige mit tränendem Gesicht. Die ganze Jugend des Palastes muss erscheinen, ihm den Schuldigen zu nennen. Der König schwört, die hinterlist'ge Tat, und wär' es auch an seinem eignen Kinde, aufs schrecklichste zu ahnden. – Damals sah ich dich zitternd in der Ferne stehn, und jetzt, jetzt trat ich vor und warf mich zu den Füßen des Königs. Ich, ich tat es, rief ich aus: An deinem Sohn erfülle deine Rache.

Marquis

Ach, woran mahnen Sie mich, Prinz!

Carlos

Sie ward's! Im Angesicht des ganzen Hofgesindes, das mitleidsvoll im Kreise stand, ward sie auf Sklavenart an deinem Carl vollzogen. Ich sah auf dich und weinte nicht. Der Schmerz schlug meine Zähne knirschend an einander; ich weinte nicht. Mein königliches Blut floss schändlich unter unbarmherz'gen Streichen; ich sah auf dich und weinte nicht. – Du kamst; laut weinend sankst du mir zu Füßen. Ja, ja, riefst du aus, mein Stolz ist überwunden, ich will bezahlen, wenn du König bist.

Marquis

(Reicht ihm die Hand.)

Ich will es, Carl. Das kindische Gelübde erneur' ich jetzt als Mann. Ich will bezahlen. Auch meine Stunde schlägt vielleicht.

Carlos

Jetzt, jetzt – oh, zögre nicht – jetzt hat sie ja geschlagen. Die Zeit ist da, wo du es lösen kannst. Ich brauche Liebe. – Ein entsetzliches Geheimnis brennt in meiner Brust. Es soll, es soll heraus. In deinen blassen Mienen will ich das Urteil meines Todes lesen. Hör' an – erstarre – doch erwidre nichts – ich liebe meine Mutter.

Marquis

Oh mein Gott!

Carlos

Nein! Diese Schonung will ich nicht. Sprich's aus, sprich, dass auf diesem großen Rund der Erde kein Elend an das meine grenze – sprich – was du mir sagen kannst, errat' ich schon. Der Sohn liebt seine Mutter. Weltgebräuche, die Ordnung der Natur und Roms Gesetze verdammen diese Leidenschaft. Mein Anspruch stößt fürchterlich auf meines Vaters Rechte. Ich fühl's, und dennoch lieb' ich. Dieser Weg führt nur zum Wahnsinn oder Blutgerüste. Ich liebe ohne Hoffnung – lasterhaft – mit Todesangst und mit Gefahr des Lebens – das seh' ich ja, und dennoch lieb' ich.

Marquis

Weiß die Königin um diese Neigung?

Carlos

Konnt' ich mich ihr entdecken? Sie ist Philipps Frau und Königin, und das ist span'scher Boden. Von meines Vaters Eifersucht bewacht, von Etikette ringsum eingeschlossen, wie konnt' ich ohne Zeugen mich ihr nahn? Acht höllenbange Monde sind es schon, dass von der hohen Schule mich der König zurückberief, dass ich sie täglich anzuschaun verurteilt bin und, wie das Grab, zu schweigen. Acht höllenbange Monde, Roderich, dass dieses Feu'r in meinem Busen wütet, dass tausendmal sich das entsetzliche Geständnis schon auf meinen Lippen meldet, doch scheu und feig zurück zum Herzen kriecht. Oh Roderich – nur wen'ge Augenblicke allein mit ihr.

Marquis

Ach! Und Ihr Vater, Prinz

Carlos

Unglücklicher! Warum an den mich mahnen? Sprich mir von all den Schrecken des Gewissens, von meinem Vater sprich mir nicht.

Carlos

Sie hassen Ihren Vater!

Marquis

Nein! Ach, nein! Ich hasse meinen Vater nicht. – Doch Schauer und Missetäters-Bangigkeit ergreifen bei diesem fürchterlichen Namen mich. Kann ich dafür, wenn eine knechtische Erziehung schon in meinem jungen Herzen der Liebe zarten Keim zertrat? Sechs Jahre hatt' ich gelebt, als mir zum ersten Mal der Fürchterliche, der wie sie mir sagten, mein Vater war, vor Augen kam. Es war an einem Morgen, wo er stehnden Fußes vier Bluturteile unterschrieb. Nach diesem sah ich ihn nur, wenn mir für ein Vergehn Bestrafung angekündigt ward. – Oh Gott! Hier fühl' ich, dass ich bitter werde – weg – weg, weg von dieser Stelle!

Marquis

Nein, Sie sollen, jetzt sollen Sie sich öffnen, Prinz. In Worten erleichtert sich der schwer beladne Busen.

Carlos

Oft hab' ich mit mir selbst gerungen, oft um Mitternacht, wenn meine Wachen schliefen, mit heißen Tränengüssen vor das Bild der Hochgebenedeiten mich geworfen, sie um ein kindlich Herz gefleht – doch ohne Erhörung stand ich auf. Ach, Roderich! Enthülle du dies wunderbare Rätsel der Vorsicht mir – warum von tausend Vätern just eben diesen Vater mir? Und ihm just diesen Sohn von tausend bessern Söhnen? Zwei unverträglichere Gegenteile fand die Natur in ihrem Umkreis nicht. Wie mochte sie die beiden letzten Enden des menschlichen Geschlechtes – mich und ihn – durch ein so heilig Band zusammen zwingen? Furchtbares Los! Warum musst' es geschehn? Warum zwei Menschen, die sich ewig meiden, in einem Wunsche schrecklich sich begegnen? Hier, Roderich, siehst du zwei feindliche Gestirne, die im ganzen Lauf der Zeiten ein einzig Mal in scheitelrechter Bahn zerschmetternd sich berühren, dann auf immer und ewig aus einander fliehn.

Marquis

Mir ahnet ein unglücksvoller Augenblick.

Carlos

Mir selbst. Wie Furien des Abgrunds folgen mir die schauerlichsten Träume. Zweifelnd ringt mein guter Geist mit grässlichen Entwürfen; durch labyrinthische Sophismen kriecht mein unglücksel'ger Scharfsinn, bis er endlich vor eines Abgrunds gähnendem Rachen stutzt – oh Roderich, wenn ich den Vater je in ihm verlernte – Roderich – ich sehe, dein totenblasser Blick hat mich verstanden – wenn ich den Vater je in ihm verlernte, was würde mir der König sein?

Marquis

(Nach einigem Stillschweigen)

Darf ich an meinen Carlos eine Bitte wagen? Was Sie auch Willens sind zu tun, versprechen Sie nichts ohne Ihren Freund zu unternehmen. Versprechen Sie mir dieses?

Carlos

Alles, Alles, was deine Liebe mir gebietet. Ich werfe mich ganz in deine Arme.

Marquis

Wie man sagt, will der Monarch zur Stadt zurückkehren. Die Zeit ist kurz. Wenn Sie die Königin geheim zu sprechen wünschen, kann es nirgends als in Aranjuez geschehn. Die Stille des Orts – des Landes ungezwungne Sitte begünstigen.

Carlos

Das war auch meine Hoffnung. Doch, ach, sie war vergebens!

Marquis

Nicht so ganz. Ich gehe, mich sogleich ihr vorzustellen. Ist sie in Spanien Dieselbe noch, die sie vordem an Heinrichs Hof gewesen, so find' ich Offenherzigkeit. Kann ich in ihren Blicken Carlos' Hoffnung lesen, find' ich zu dieser Unterredung sie gestimmt – sind ihre Damen zu entfernen.

Carlos

Die meisten sind mir zugetan. Besonders die Mondecar hab' ich durch ihren Sohn, der mir als Page dient, gewonnen.

Marquis

Desto besser. So sind Sie in der Nähe, Prinz, sogleich auf mein gegebnes Zeichen zu erscheinen.

Carlos

Das will ich – will ich – also eile nur.

Marquis

Ich will nun keinen Augenblick verlieren. Dort also, Prinz, auf Wiedersehn!

(Beide gehen ab zu verschiedenen Seiten.)

Dritter Auftritt

Die Hofhaltung der Königin in Aranjuez. Eine einfache ländliche Gegend, von einer Allee durchschnitten, vom Landhause der Königin begrenzt.

Die Königin, die Herzogin von Olivarez, die Prinzessin von Eboli und die Marquisin von Mondecar, welche die Allee heraufkommen.

Königin

(Zur Marquisin.)

Sie will ich um mich haben, Mondecar. Die muntern Augen der Prinzessin quälen mich schon den ganzen Morgen. Sehen Sie, kaum weiß sie ihre Freude zu verbergen, weil sie vom Lande Abschied nimmt.

Eboli

Ich will es nicht leugnen, meine Königin, dass ich Madrid mit großer Freude wieder sehe.

Mondecar

Und Ihre Majestät nicht auch? Sie sollten so ungern von Aranjuez sich trennen?

Königin

Von – dieser schönen Gegend wenigstens. Hier bin ich wie in meiner Welt. Dies Plätzchen hab' ich mir längst zum Liebling auserlesen. Hier grüßt mich meine ländliche Natur, die Busenfreundin meiner jungen Jahre. Hier find' ich meine Kinderspiele wieder, und meines Frankreichs Lüfte wehen hier. Verargen Sie mir's nicht. Uns alle zieht das Herz zum Vaterland.

Eboli

Wie einsam aber, wie tot und traurig ist es hier! Man glaubt sich in la Trappe.

Königin

Das Gegenteil vielmehr. Tod find' ich es nur in Madrid. – Doch, was spricht unsre Herzogin dazu?

Olivarez

Ich bin der Meinung, Ihre Majestät, dass es so Sitte war, den einen Monat hier, den andern in dem Pardo auszuhalten, den Winter in der Residenz, so lange es Könige in Spanien gegeben.

Königin

Ja, Herzogin, das wissen Sie; mit Ihnen hab' ich auf immer mich des Streits begeben.

Mondecar

Und wie lebendig selbst mit Nächstem in Madrid sein wird! Zu einem Stiergefechte wird schon die Plaza Mayor zugerichtet, und ein Autodafé hat man uns auch versprochen.

Königin

Uns versprochen! Hör' ich das von meiner sanften Mondecar?

Mondecar

Warum nicht? Es sind ja Ketzer, die man brennen sieht.

Königin

Ich hoffe, meine Eboli denkt anders.

Eboli

Ich? Ihre Majestät, ich bitte sehr, für keine schlechtre Christin mich zu halten, als die Marquisin Mondecar.

Königin

Ach! Ich vergesse, wo ich bin. – Zu etwas Anderm. – Vom Lande, glaub' ich, sprachen wir. Der Monat ist, däucht mir, auch erstaunlich schnell vorüber. Ich habe mir der Freude viel, sehr viel von diesem Aufenthalt versprochen, und ich habe nicht gefunden, was ich hoffte. Geht es mit jeder Hoffnung so? Ich kann den Wunsch nicht finden, der mir fehlgeschlagen.

Olivarez

Prinzessin Eboli, Sie haben uns noch nicht gesagt, ob Gomez hoffen darf? Ob wir sie bald als seine Braut begrüßen?

Königin

Ja! Gut, dass Sie mich mahnen, Herzogin.

(Zur Prinzessin.)

Man bittet mich, bei Ihnen fürzusprechen. Wie aber kann ich das? Der Mann, den ich mit meiner Eboli belohne, muss ein würd'ger Mann sein.

Olivarez

Ihre Majestät, das ist er, ein sehr würd'ger Mann, ein Mann den unser gnädigster Monarch bekanntlich mit ihrer königlichen Gunst beehren.

Königin

Das wird den Mann sehr glücklich machen. – Doch wir wollen wissen, ob er lieben kann und Liebe kann verdienen. – Eboli, das frag' ich Sie.

Eboli

(Steht stumm und verwirrt, die Augen zur Erde geschlagen, endlich fällt sie der Königin zu Füßen.)

Großmüt'ge Königin, erbarmen Sie sich meiner. Lassen Sie – um Gottes willen, lassen Sie mich nicht – nicht aufgeopfert werden.

Königin

Aufgeopfert? Ich brauche nichts mehr. Stehn Sie auf. Es ist ein hartes Schicksal, aufgeopfert werden. Ich glaube Ihnen. Stehn Sie auf. – Ist es schon lang, dass Sie den Grafen ausgeschlagen?

Eboli

(Aufstehend.)

Oh, viele Monate. Prinz Carlos war noch auf der hohen Schule.

Königin

(Stutzt und sieht sie mit forschenden Augen an.)

Haben Sie sich auch geprüft, aus welchen Gründen?

Eboli

(Mit einiger Heftigkeit:)

Niemals kann es geschehen, meine Königin, aus tausend Gründen niemals.

Königin

(Sehr ernsthaft:)

Mehr als einer ist zu viel. Sie können ihn nicht schätzen – das ist mir genug. Nichts mehr davon.

(Zu den andern Damen:)

Ich habe ja die Infanten heut noch nicht gesehen. Marquisin, bringen Sie sie mir.

Olivarez

(Sieht auf die Uhr.)

Es ist noch nicht die Stunde, Ihre Majestät.

Königin

Noch nicht die Stunde, wo ich Mutter sein darf? Das ist doch schlimm. Vergessen Sie es ja nicht, mich zu erinnern, wenn sie kommt.

(Ein Page tritt auf und spricht leise mit der Oberhofmeisterin, welche sich darauf zur Königin wendet.)

Olivarez

Der Marquis von Posa, Ihre Majestät.

Königin

Von Posa?

Olivarez

Er kommt aus Frankreich und den Niederlanden und wünscht die Gnade zu erhalten, Briefe von der Regentin Mutter übergeben zu dürfen.

Königin

Und ist das erlaubt?

Olivarez

In meiner Vorschrift ist des besondern Falles nicht gedacht, wenn ein kastilian'scher Grande Briefe von einem fremden Hof der Königin von Spanien in ihrem Gartenwäldchen zu überreichen kommt.

Königin

So will ich denn auf meine eigene Gefahr es wagen.

Olivarez

Doch mir vergönne Ihro Majestät, mich so lang zu entfernen. –

Königin

Halten Sie das, wie Sie wollen, Herzogin.

(Die Oberhofmeisterin geht ab, und die Königin gibt dem Pagen einen Wink, welcher sogleich hinausgeht.)

Vierter Auftritt

Königin, Prinzessin von Eboli, Marquisin von Mondecar und Marquis von Posa

Königin

Ich heiße Sie willkommen, Chevalier, auf span'schem Boden.

Marquis

Den ich noch nie mit so gerechtem Stolze mein Vaterland genannt, als jetzt.

Königin

(Zu den beiden Damen)

Der Marquis von Posa, der im Ritterspiel zu Rheims mit meinem Vater eine Lanze brach und meine Farbe dreimal siegen machte – der Erste seiner Nation, der mich den Ruhm empfinden lehrte, Königin der Spanier zu sein.

(Zum Marquis sich wendend:)

Als wir im Louvre zum letzten Mal uns sahen, Chevalier, da träumt' es Ihnen wohl noch nicht, dass Sie mein Gast sein würden in Kastilien.

Marquis

Nein, große Königin – denn damals träumte mir nicht, dass Frankreich noch das Einzige an uns verlieren würde, was wir ihm beneidet hatten.

Königin

Stolzer Spanier! Das Einzige? – Und das zu einer Tochter vom Hause Valois?

Marquis

Jetzt darf ich es ja sagen, Ihre Majestät – denn jetzt sind Sie ja unser.

Königin

Ihre Reise, hör' ich, hat auch durch Frankreich Sie geführt. – Was bringen Sie mir von meiner hochverehrten Mutter und meinen vielgeliebten Brüdern?

Marquis

(Überreicht ihr die Briefe.)

Die Königin Mutter fand ich krank, geschieden von jeder andern Freude dieser Welt, als ihre königliche Tochter glücklich zu wissen auf dem span'schen Thron.

Königin

Muss sie es nicht sein bei dem teuern Angedenken so zärtlicher Verwandten? bei der süßen Erinnrung an – Sie haben viele Höfe besucht auf Ihren Reisen, Chevalier, und viele Länder, vieler Menschen Sitte gesehn – und jetzt, sagt man, sind Sie gesonnen, ich Ihrem Vaterland sich selbst zu leben? Ein größrer Fürst in Ihren stillen Mauern, als König Philipp auf dem Thron – ein Freier! Ein Philosoph! – Ich zweifle sehr, ob Sie sich werden können in Madrid gefallen. Man ist sehr – ruhig in Madrid.

Marquis

Und das ist mehr, als sich das ganze übrige Europa zu erfreuen hat.

Königin

So hör' ich. Ich habe alle Händel dieser Erde bis fast auf die Erinnerung verlernt.

(Zur Prinzessin von Eboli:)

Mir däucht, Prinzessin Eboli, ich sehe dort eine Hyacinthe blühen – wollen Sie mir sie bringen?

(Die Prinzessin geht nach dem Platze.)

Königin

(Etwas leiser zum Marquis.)

Chevalier, ich müsste mich sehr betrügen, oder Ihre Ankunft hat einen frohen Menschen mehr gemacht an diesem Hofe.

Marquis

Einen Traurigen hab' ich gefunden – den auf dieser Welt nur etwas fröhlich –

(Die Prinzessin kommt mit der Blume zurück.)

Eboli

Da der Chevalier so viele Länder hat gesehen, wird er ohne Zweifel viel Merkwürdiges uns zu erzählen wissen.

Marquis

Allerdings. Und Abenteuer suchen, ist bekanntlich der Ritter Pflicht – die heiligste von allen, die Damen zu beschützen.

Mondecar

Gegen Riesen! Jetzt gibt es keine Riesen mehr.

Marquis

Gewalt ist für den Schwachen jederzeit ein Riese.

Königin

Der Chevalier hat Recht. Es gibt noch Riesen, doch keine Ritter gibt es mehr.

Marquis

Noch jüngst, auf meinem Rückzug von Neapel, war ich Zeuge einer rührenden Geschichte, die mir der Freundschaft heiliges Legat zu meiner eigenen gemacht. – Wenn ich nicht fürchten müsste, Ihre Majestät durch die Erzählung zu ermüden –

Königin

Bleibt mir eine Wahl? Die Neugier der Prinzessin lässt sich nichts unterschlagen. Nur zur Sache. Auch ich bin eine Freundin von Geschichten.

Marquis

Zwei edle Häuser in Mirandola, der Eifersucht, der langen Feindschaft müde, die von den Ghibellinen und den Guelfen Jahrhunderte schon fortgeerbt, beschlossen, durch der Verwandtschaft zarte Bande sich in einem ew'gen Frieden zu vereinen. Des mächtigen Pietro Schwestersohn, Fernando, und die göttliche Mathilde, Colonnas Tochter, waren ausersehn, dies schöne Band der Einigkeit zu knüpfen. Nie hat zwei schönre Herzen die Natur gebildet für einander – nie die Welt, nie eine Wahl so glücklich noch gepriesen. Noch hatte seine liebenswürd'ge Braut Fernando nur im Bildnis angebetet – wie zitterte Fernando, wahr zu finden, was seine feurigsten Erwartungen dem Bilde nicht zu glauben sich getrauten! In Padua, wo seine Studien ihn fesselten, erwartete Fernando des frohen Augenblickes nur, der ihm vergönnen sollte, zu Mathildens Füßen der Liebe erste Huldigung zu stammeln.

(Die Königin wird aufmerksamer. Der Marquis fährt nach einem kurzen Stillschweigen fort, die Erzählung, soweit es die Gegenwart der Königin erlaubt, mehr an die Prinzessin Eboli gerichtet.)

Indessen macht der Gattin Tod die Hand Pietros frei – mit jugendlicher Glut verschlingt der Greis die Stimmen des Gerüchtes, das in dem Ruhm Mathildens sich ergoss. Er kommt! Er sieht! – Er liebt! Die neue Regung erstickt die leisre Stimme der Natur, der Oheim wirbt um seines Neffens Braut und heiligt seinen Raub vor dem Altare.

Königin

Und was beschließt Fernando?

Marquis

Auf der Liebe Flügeln, des fürchterlichen Wechsels unbewusst, eilt nach Mirandola der Trunkene. Mit Sternenschein erreicht sein schnelles Ross die Tore – ein bacchantisches Getön von Reigen und von Pauken donnert ihm aus dem erleuchteten Palast entgegen. Er bebt die Stufen scheu hinauf und sieht sich unerkannt im lauten Hochzeitsaale, wo in der Gäste taumelndem Gelag Pietro saß – ein Engel ihm zur Seite, ein Engel, den Fernando kennt, der ihm in Träumen selbst so glänzend nie erschienen. Ein einz'ger Blick zeigt ihm, was er besessen, zeigt ihm, was er auf immerdar verloren.

Eboli

Unglücklicher Fernando!

Königin