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»Wer bist du?«, fragte Abi und drückte die Mündung der Waffe noch stärker gegen den Körper des Vampirs.
»Ich heiße Wasa, Gorun Wasa«, ächzte der Dämon.
»Warum wolltest du mich umbringen?«
Der Dämon stieß ein blechernes Lachen aus. »Denk mal zurück. Denk an Gudrun, deine erste Frau, dann ...« Gorun Wasa redete nicht weiter. Er hatte gemerkt, dass Abi innerlich zu Eis geworden war.
»Gudrun«, flüsterte der Däne ...
Eine dämonische Intrige führt den Dänen Abi Flindt, einen Mitstreiter des Dämonenkillers, in die Abgründe seiner persönlichen Vergangenheit.
Ein besonderer Leckerbissen, den ihr auf keinen Fall verpassen dürft: JOHN SINCLAIR-Schöpfer Jason Dark höchstpersönlich gastiert mit seinem Roman »Die Vampir-Familie« bei DORIAN HUNTER!
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Seitenzahl: 150
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Was bisher geschah
DIE VAMPIR-FAMILIE
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
mystery-press
Vorschau
Impressum
Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen gewidmet, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es dem »Dämonenkiller«, ihnen die Maske herunterzureißen.
Bald kommt Dorian seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Teufel, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Um für seine Sünden zu büßen, verfasste de Conde den »Hexenhammer« – jenes Buch, das im 16. Jahrhundert zur Grundlage für die Hexenverfolgung wurde. Doch der Inquisition fielen meist Unschuldige zum Opfer; die Dämonen blieben ungeschoren. Als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, ging seine Seele in den nächsten Körper über. So ging es fort bis in die Gegenwart. Dorian Hunter begreift, dass es seine Aufgabe ist, de Condes Verfehlungen zu sühnen und die Dämonen zu vernichten.
Als Rückzugsort in seinem Kampf bleibt Dorian neben der Jugendstilvilla in der Baring Road in London noch das Castillo Basajaun in Andorra, in dem er seine Mitstreiter um sich sammelt – darunter die ehemalige Hexe Coco Zamis, die aus Liebe zu Dorian die Seiten gewechselt hat. Nach der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes Martin hat Coco diesen zum Schutz vor den Dämonen an einem Ort versteckt, den sie selbst vor Dorian geheimhält.
Auf der Suche nach der Mumie des Hermes Trismegistos findet Dorian den Steinzeitmenschen Unga, der Hermon gedient hat und der sich nach seinem Erwachen schnell den Gegebenheiten der Gegenwart anpasst. Auf Island gewinnt Dorian den Kampf um das Erbe des Hermes Trismegistos.
Die Invasion der Janusköpfe von der Parallelwelt Malkuth wird mit Dorians Hilfe abgewehrt. Hermes Trismegistos wird klar, dass er für das Entstehen der Psychos auf Malkuth verantwortlich ist. Um zu büßen, geht er durch eins der letzten Tore nach Malkuth. Olivaro, das ehemalige Oberhaupt der Schwarzen Familie und selbst ein Januskopf, beschließt, seine auf der Erde gestrandeten Artgenossen zu jagen. Der Tempel des Hermes Trismegistos wird zerstört, aber kurz zuvor zeigt der magische Tisch sieben düstere Prophezeiungen. Sechs davon haben sich bereits bewahrheitet, auch jene über Martin Zamis: Der Sohn des Dämonenkillers wurde vom Kinddämon Baphomet, der Reinkarnation des Skarabäus Toth, entführt. Miss Pickford opfert ihr Leben, um Martin aus der Gewalt Baphomets zu befreien. Dorian, Coco und Martin schließen sich der Expedition Jeff Parkers ins Bermuda-Dreieck an. Edgar Brian Simon, der Geldgeber der Expedition, wird als Januskopf Pyko entlarvt und besiegt. Dessen Diener King Tattoo hat Dorian eine grausame Hinterlassenschaft angehängt: Er hat den Dämonenkiller zwar vom Srasham-Stigma befreit, ihm aber eine magische Pest angezaubert. Dorian droht bei lebendigem Leib zu verfaulen.
DIE VAMPIR-FAMILIE
von Jason Dark
Das Mädchen schrie! Gellend, markerschütternd. Die Todesangst hatte das hübsche Gesicht zu einer Fratze verzerrt. Fünf Gestalten hatten sie eingekreist. Grässliche, albtraumhafte Geschöpfe – Vampire! Die bleichen, knochigen Gesichter mit den nadelspitzen Eckzähnen am Oberkiefer verschwammen vor den Augen des blondhaarigen Mädchens zu einem furiosen Wirbel. Die Angst wurde übermächtig.
Blutunterlaufene Augen fixierten das Opfer. Fauchen und Knurren erfüllten die einsame, halb verfallene Gruft. Klauen, hart wie Stahl, griffen zu, zerfetzten die Kleidung des Mädchens, drückten es zu Boden. Ein spitzer Stein schnitt wie ein Messer in den nackten Rücken des Opfers. Blut träufelte aus der Wunde.
Blut! Der Geruch machte die Vampire rasend, versetzte sie in einen regelrechten Rausch. Sie sahen die helle Haut des Mädchens und weideten sich an der Angst. Dieses frische Blut würde ihnen keiner mehr nehmen. Auf einmal stürzten sie vor. Eine knochige Klaue packte die Haare des wehrlosen Opfers und bog den Kopf zurück. Straff spannte sich die Haut am Hals. Darunter pochte heiß das Blut in der dicken Halsschlagader.
Einer der fünf Vampire gurgelte auf. Mit seiner Beherrschung war es vorbei. Er war der Erste, der sich auf das Mädchen stürzte. Gierig und ausgehungert biss er zu. Dann kamen die anderen, sie rissen ihren Bruder weg, um endlich auch an den begehrten Lebenssaft zu kommen.
Das Mädchen merkte nichts mehr davon. Eine gnädige Ohnmacht hatte sie schon vor dem ersten Vampirbiss umfangen und von den Schrecken erlöst.
Fünf Augenpaare starrten auf den leblos am Boden liegenden, blutleeren Frauenkörper.
»Ah – es tat gut«, sagte Ralf Wasa und wischte sich nachträglich noch einen Blutfaden von seinem knochigen Kinn.
»Ja, es war wie früher«, erwiderte Gorun, Ralf Wasas Bruder, und stieß dabei ein leises, glucksendes Lachen aus.
Die fünf Dämonen waren Brüder. Sie gehörten einem Vampirclan an. Allerdings einem vom alten Schlag. Sie suchten sich ihre Opfer noch bei Vollmond aus, denn die Nacht war ihr Freund. Sie hatten sich kaum der neuen Zeit angepasst. Es gab sogar schon Artgenossen, denen machten die Strahlen der Sonne kaum noch etwas aus. Sie jedoch – die fünf der Wasafamilie – waren konservativ geblieben und wollten es auch bleiben. Sie kleideten sich sogar dementsprechend. Die Anzüge schienen noch aus dem vorigen Jahrhundert zu stammen. Vier von ihnen trugen Hemden mit steifem, hohem Kragen. Die Hosen schlotterten um die ausgemergelten Körper, und mit ihren Gesichtern konnten sie kleinen Kindern Angst einjagen. Sie glichen sich fast alle. Tief lagen die Augen in den Höhlen. Die Haut war faltig, erinnerte an brüchiges Leder und war dazu bleich wie ein fahler Vollmond in der Winternacht. An den Fingergelenken stachen die Knochen weiß und spitz hervor, und die hohlen Gesichtswangen verstärken den schaurigen Eindruck noch. Die Wasa-Sippe gehörte zwar zur Schwarzen Familie, doch sie war eines der untersten Glieder in der Dämonenhierarchie. Sie gehorchten natürlich Luguri, dem Oberhaupt der Schwarzen Familie, doch sie hätten sich nie angeboten, einen Auftrag für ihn auszuführen. Nein, sie wollten unter sich bleiben und sich hin und wieder ein Opfer holen, wie dieses blondhaarige Mädchen, das ihnen in der Nähe eines einsamen Dorfes in die Finger gefallen war.
»Wann kommen die alten Zeiten wieder?«, fragte Ondin Wasa. Dabei fletschte er sein Vampirgebiss und rollte mit den Augen.
»Nie mehr«, antwortete sein Bruder Ove. »Die Zeiten sind endgültig dahin, und wir müssen uns damit abfinden.«
Ove war der Anführer der Wasa-Brüder. Was er sagte, das führten die anderen aus. Und er war es auch gewesen, der sie zu diesem Treffen in der alten Gruft eingeladen hatte. Dies geschah nicht oft, aber wenn es passierte, musste es einen besonderen Grund geben. Nur hatte bisher noch keiner seiner vier Brüder danach gefragt. Ove Wasa kam von selbst auf das Thema zu sprechen. Er hatte sich von den anderen etwas abgesondert, stand so, dass er sie ansehen konnte. Zwei Kerzen erhellten die Gruft. Sie waren aus Leichenfett gedreht worden und verbreiteten einen für menschliche Geruchsnerven unausstehlichen Gestank. Die Flammen brannten ruhig. Nur manchmal bewegten sie sich und übergossen die fahlen Gesichter der Vampire mit ihrem zuckenden Schein.
»Es geht um ihn«, sagte Ove Wasa.
Das Aufstöhnen seiner Brüder zeigte ihm, dass diese genau wussten, wer gemeint war.
»Du hast ihn gesehen?«, fragte Gorun Wasa.
»Ja, ich habe ihn in den letzten Monaten beobachtet.«
»Wo?«
»Das wirst du noch zu hören bekommen, Gorun. Aber jetzt wieder zu ihm. Wie ich schon erwähnte, die Zeit ist reif. Wir können zuschlagen. Und wir werden es tun. Er befindet sich momentan in einer Situation, die für uns ideal ist. Er zweifelt an sich selbst, denkt immer an seine Vergangenheit und ist deshalb leichter zu überwältigen. Wir werden keine Schwierigkeiten haben. Die ersten Fäden habe ich bereits geknüpft.«
Die vier Zuhörer nickten andächtig. Dann fragte Asgard Wasa: »Wie sollen wir es machen?«
Ove lachte. »Nicht wir. Einer von uns reicht.«
»Und wer wird die Aufgabe übernehmen?«, wollte Ralf wissen.
»Das soll das Los entscheiden.« Ove griff in seine Hosentasche und holte vier präparierte Zündhölzer hervor. »Wer das kürzeste zieht, hat gewonnen.«
Die Vampire drängten sich danach, die Zündhölzer zu ziehen. Dann hielten sie die Stäbchen in den Händen. Ove Wasa verglich genau. Gorun hatte das kürzeste Zündholz gezogen. Er war der Rächer!
Ove legte seinem Bruder die Hand auf die Schulter. »Vergiss nicht, was er uns angetan hat«, sagte er im Verschwörerton. »Dir obliegt jetzt die Aufgabe, unsere Sippe zu rächen und die Schmach von dem Namen Wasa abzuwaschen.«
Gorun Wasa nickte feierlich. »Ich werde diese mir gestellte Aufgabe bewältigen«, sagte er. »Sein Blut wird mir besonders gut munden.« Bei dem Stichwort warf er einen Blick auf das am Boden liegende Mädchen. »Was machen wir mir ihr? Sie ist jetzt eine von uns.«
Ove Wasa lächelte. »Sie ist ein besonders wichtiges Glied in der Rachekette. Sie wird uns nämlich zu ihm hinführen ...«
Ira Marginter, die blonde, bildhübsche Kölnerin mit der tollen Figur, blieb überrascht stehen, als Abi Flindt aus seinem Zimmer trat.
Abi hob die Augenbrauen, zog die Tür ins Schloss und fragte: »Ist etwas?«
Ira musterte den hochgewachsenen Dänen prüfend. Er hatte sein blondes Haar sorgfältig gekämmt und eine leichte Windbluse über das Sommerhemd gestreift. Seine sonst kalt wirkenden blauen Augen hatten einen gewissen Schimmer, den Ira schon mehr als einmal bei Männern gesehen hatte. Und zwar bei Männern, die verliebt waren. Sollte Abi Flindt etwa ...
Kaum vorzustellen.
Ira räusperte sich. »Du willst weg?«
»Ja.«
»Jetzt noch?«
Abi schüttelte verwundert den Kopf. »Sag mal, bist du mein Kindermädchen?«
»Entschuldigung.« Ira Marginters Gesichtsausdruck verschloss sich. »Wenn ich da an die letzten Wochen und Monate denke ...«
»Ja, ja, schon gut. Du hast recht.« Abi winkte ab. Er wusste selbst, was im vergangenen halben Jahr geschehen war.
Seit seiner Rückkehr aus der Sowjetunion hielt er sich auf Castillo Basajaun auf. Neljas Tod war ihm sehr nahegegangen. Es hatte Abi einen Schock versetzt, dass Nelja von den Janusköpfen beeinflusst worden war und schließlich von Luguri, dem Erzdämon, getötet wurde. Dieser Vorfall hatte Abi noch mehr verbittert, und die fixe Idee, dass es ihm nicht vergönnt war, eine Frau glücklich zu machen, hatte sich in ihm festgesetzt. Abi war noch schweigsamer und verbitterter geworden. Hinzu kam, dass Dorian Hunter und Coco Zamis ihn auf die Suche nach ihrem gemeinsamen Sohn nicht mitgenommen hatten. Abi war sich überflüssig vorgekommen. Beinahe hätte er wie Burian Wagner gehandelt und Castillo Basajaun kurzerhand verlassen, aber dann hatte er in den Pyrenäen einem Dämon das Handwerk gelegt, und kurz darauf hatte er in San Sebastian einen Werwolf gejagt. Aber das waren alles keine großen Taten gewesen. Abi hatte sie gewissermaßen mit der linken Hand erledigt. Er war ein Typ, der immer im Einsatz sein musste, weil er im Innendienst versauerte. Er musste hautnah mit den Dämonen kämpfen und ihnen den Garaus machen.
Und, zum Teufel, es war in der Zwischenzeit allerhand passiert. Martha Pickford, die Haushälterin aus der Jugendstilvilla, war gestorben. Sie hatte sich praktisch für Cocos Kind geopfert. Hideyoshi Hojo war nach Marthas Tod sofort nach London geflogen, um Trevor Sullivan etwas zur Hand gehen zu können. Trevor hatte die Geschehnisse in New York auch nicht ohne Blessuren überstanden.
Genau wie Dorian und Coco, die auf Jeff Parkers Yacht ›Sacheen‹ irgendwo im Bermuda-Dreieck kreuzten, um den Rätseln dieses Gebietes auf die Spur zu kommen.
Vielleicht hätte Abi das Castillo Basajaun trotzdem verlassen, wenn da nicht ein Mädchen namens Isabell gewesen wäre. Er hatte sie zum ersten Mal in Andorra la Vella gesehen, sie dann zufällig wieder getroffen und plötzlich Feuer gefangen. Isabell hatte es sogar geschafft, ihn Nelja vergessen zu lassen und das Trauma, unter dem Abi litt, zu verringern. Abi Flindt hatte den anderen auf dem Schloss nichts erzählt. Das war eine Sache, die nur ihn und Isabell etwas anging. Vorläufig jedenfalls.
Abi lächelte bei dem Gedanken an das Mädchen, und Ira Marginter, die den Dänen die gesamte Zeit prüfend beobachtete, bemerkte es wohl.
»Willst du mir denn nicht wenigstens ihren Namen sagen?«, fragte sie.
Abi schreckte aus seinen Gedankengängen. »Wieso? Wie kommst du darauf?«
»Ich bitte dich!« Iras Stimme klang ein wenig vorwurfsvoll. »Das merkt man doch, dass mit dir etwas nicht stimmt. Das meine ich natürlich im positiven Sinne.«
»Okay, ja, ich kenne da jemand ...«
»Und du hast ein Rendezvous?«
Abi nickte.
»Dann wünsche ich dir viel Spaß. Wo seid ihr denn verabredet?«
»Das spielt doch keine Rolle.«
Er wollte Ira nicht sagen, dass er sich mit Isabell bei einer Hütte im Valira del Norte verabredet hatte. Das sollte sein Geheimnis bleiben.
»Nun gut, dann viel Vergnügen«, sagte die Restauratorin aus Köln. Ira wollte weggehen, doch Abi Flindt hielt sie am Arm zurück.
»Ist noch was?«, fragte die blondhaarige Deutsche.
»Ja. Also ich – ich möchte, dass du nichts den anderen sagst. Ich muss erst mal mit mir selbst wieder richtig ins Reine kommen.«
»Aber das ist doch Ehrensache.« Ira reichte Abi die Hand, in die der Däne fest einschlug. Ein Lächeln huschte dabei über sein gut geschnittenes Gesicht.
»Ich danke dir, Ira.«
»Ist schon recht.«
Ira Marginter ging auf die Treppe zu, die hinunter in den ersten Stock führte. Kurz davor drehte sie sich noch einmal um und winkte Abi zu. Grüßend hob der Däne die Hand.
Abi Flindt atmete tief durch und ging dann ebenfalls auf die Treppe zu. Er spürte, wie sein Herz klopfte und sich Schweiß an den Innenflächen der Hände bildete.
Ich bin ja schlimmer als ein Teenager bei seinem ersten Rendezvous, dachte er kopfschüttelnd und strebte mit eiligen Schritten auf das Eingangsportal zu. Ira Marginter hatte ihn aufgehalten. Er musste sich jetzt beeilen, um pünktlich da zu sein.
Es war eine fantastische Sommernacht. Wie aus dem Bilderbuch eines naturalistischen Malers. Ein honiggelber Vollmond stand am Himmel und übergoss das wildzerklüftete Land mit seinem silbrigen Schein. Die unzähligen Sterne blitzten wie wertvolle Diamanten in einer mit Samt ausgelegten Schatulle. Der leichte Sommerwind umschmeichelte Abi Flindts Gesicht und fing sich säuselnd in den dicht belaubten Kronen der Bäume.
Der Däne hatte Castillo Basajaun schon hinter sich gelassen. Das große wuchtige Gemäuer war nur mehr als Schatten zu ahnen. Abi ging zu Fuß. Er hatte es nicht mehr weit bis zu der Hütte, und er wollte sein Lage auch noch mal in Ruhe überdenken.
Nach dem Tod seiner Frau war er zu einem grüblerischen Menschen geworden, zu einem regelrechten Einzelgänger. Gudrun hatte in den Flitterwochen durch Dämonen den Tod gefunden. Und das hatte Abi einen gewaltigen Schock versetzt. Die genauen Umstände ihres Todes hatte Abi nie richtig aufklären können, und er hatte auch nie mit jemandem über diesen Teil seiner Vergangenheit gesprochen, selbst mit den engsten Freunden auf Castillo Basajaun nicht. Abi Flindt hatte seine Aufgabe in der rücksichtslosen Dämonenbekämpfung gefunden und seinem großen Vorbild, Dorian Hunter, immer nachgeeifert.
Von den Frauen hatte Abi die Finger gelassen – bis er vor einem halben Jahr die Russin Nelja kennengelernt hatte. Aber auch sie war ein Werkzeug der Janusköpfe geworden und durch Luguri schließlich ums Leben gekommen. Abi wäre bald verzweifelt, und er hatte es eigentlich nur dem Russen Kiwibin zu verdanken, dass er sich nicht völlig abgesondert hatte. Denn Kiwibin hatte ihn mit Dunja, einer anderen Russin bekannt gemacht, die ihm wieder Mut zugesprochen hatte. So hatte sie es geschafft, Abis seelische Wunden einigermaßen zu heilen.
Und nun war Abi Flindt unterwegs zu Isabell. Der Däne lächelte bei den Gedanken an das Mädchen. Wie eine Glücksbotin war sie in sein Leben getreten, hatte ihn aus seinem Abseits herausgeholt. Die nächsten Stunden wollten sie gemeinsam verbringen. Ein selten erlebtes Glücksgefühl durchströmte Abi, als er an Isabell dachte. Er sah sie genau vor sich. Blonde, lange Haare, die bis auf die Schultern fielen. Eine knabenhafte, beinahe zerbrechlich wirkende Figur, die in dem Dänen die Beschützerinstinkte geweckt hatte. Dazu die Augen, die so melancholisch blicken konnten, und der sanft geschwungene naturrote Mund mit den perlweißen kleinen Zähnen. Isabell war wie ein Traumbild.
Unwillkürlich beschleunigte Abi seine Schritte, aber er war sowieso zu früh dran. Sie hatten sich für dreiundzwanzig Uhr verabredet. Isabell konnte nicht vorher weg. Sie musste erst warten, bis ihre Eltern eingeschlafen waren. Das hatte sie Abi wenigstens erzählt. Aber der Däne hätte auch eine ganze Nacht lang gewartet. Was bedeutete für ihn in diesen Augenblicken schon die Zeit?
Abi kürzte den Weg ab und stieg über einen mit Geröll überladenen Pfad. Der Nachtwind bauschte seine Windbluse auf und fuhr durch das blonde, kurz geschnittene Haar. Abi fühlte sich unsagbar glücklich. Er hätte die ganze Welt umarmen können.
Erst jetzt fiel Abi auf, dass er immer noch seine Pistole unter der linken Achsel trug. Er schüttelte über sich selbst den Kopf. Aber eine alte Gewohnheit ließ sich eben nicht ohne Weiteres zur Seite schieben.
Der Mond wanderte langsam weiter. Sein Licht ließ die vom Wind blank gefegten Felsen bald wie eine polierte Platte aussehen. Nur noch wenige Minuten, dann hatte Abi die Hütte erreicht. Der Däne wandte sich nach links und rutschte eine kleine Geröllhalde hinunter. Unten angekommen erreichte er wieder den Weg, der geradewegs zu Hütte führte. Etwa hundert Meter weiter wuchsen die Felsen wie große, drohende Finger dem nachtdunklen Himmel entgegen. Und genau an der Felswand stand die Hütte. Sie schien förmlich daran zu kleben. Niemand wusste, wer sie gebaut hatte – sie war jedenfalls da, und das reichte Abi.
Abi lief die letzten Meter auf die Hütte zu. Noch im Laufen rief er Isabells Namen.
Keine Antwort.
Abi Flindt stutzte. Er blickte auf seine Uhr und stellte fest, dass noch etwa fünf Minuten Zeit bis zur vereinbarten Uhrzeit waren. Rechnete man die übliche Verspätung bei Frauen hinzu, so konnte er sich bestimmt auf eine Wartezeit von mindestens einer Viertelstunde gefasst machen.
Ich habe ja Zeit, dachte Abi.
Er sah, dass die Hüttentür nicht verschlossen war. Abi zog sie vorsichtig auf und rümpfte die Nase, da die Angeln entsetzlich quietschten. Abi Flindt betrat die Hütte. Völlige Dunkelheit und muffiger, abgestandener Geruch empfingen ihn. Abis Augen gewöhnten sich schnell an die herrschenden Lichtverhältnisse. Auf einer der Fensterbänke sah er einen Kerzenstummel stehen.