Dornen, Rosen und Federn - Maya Shepherd - E-Book
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Dornen, Rosen und Federn E-Book

Maya Shepherd

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Beschreibung

Zwischen all den weißen Schwänen tauchte auf einmal ein schwarzer auf. Sein Gefieder schimmerte beinahe bläulich im silbrigen Mondlicht. Er hatte einen roten Schnabel und ebenso rot glühende Augen, die er nun auf mich richtete, als würde er mich kennen. Sein Anblick verursachte mir eine Gänsehaut. »Warum ist dieser Schwan schwarz?«, wandte ich mich an Baba Zima. »Er symbolisiert das Böse, welches du in dir trägst«, antwortete sie mir mit rauer Stimme.

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Maya Shepherd

Dornen, Rosen und Federn

 

 

 

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- gekürzte Vorschau -

Inhaltsverzeichnis

Titel

Was zuvor geschah

Sonne und Mond

Absolution

Zwischen Traum und Realität

Stroh zu Gold

Der schwarze Schwan

Der Junge, der kein Teil der Geschichte sein sollte

Rosenrot

Unglückskind

Dem Tod geweiht

Schlussworte der Autorin

Danksagung

Impressum tolino

Was zuvor geschah

Maya Shepherd

Die Grimm Chroniken 8

„Dornen, Rosen und Federn“

Copyright © 2018 Maya Shepherd

Coverdesign: Jaqueline Kropmanns

Lektorat: Sternensand Verlag /Martina König

Korrektorat: Jennifer Papendick

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Facebook: www.facebook.de/MayaShepherdAutor

E-Mail: [email protected]

Für Lena.

Mein größtes Glück.

1796

Mary und Dorian erwachen am Strand der Insel, welche die Erdenmutter für sie erschaffen hat. Sie nennen ihr Königreich Engelland – ein Ort, der von Engeln behütet wird. Alles ist so, wie sie es sich erträumt haben. An das ebenfalls erschaffene Schloss Drachenburg grenzt eine Apfelplantage.

Zuerst sind sie die einzigen Bewohner, doch jedes Mal, wenn sie sich schlafen legen, werden am nächsten Morgen neue Schutzsuchende an den Strand gespült. Gemeinsam beginnen sie, das Eiland zu bevölkern, verteilen Aufgaben und gründen die ersten Dörfer.

Unter den Neuankömmlingen ist auch eine junge schwangere Frau namens Marie Hassenpflug samt ihrem Mann Georg und ihrem einjährigen Sohn Johannes. Sie und Mary knüpfen Freundschaft. Es ist Marie, die Mary voraussagt, dass sie eine Tochter bekommen wird.

Sie leben friedlich miteinander, bis es Vlad Dracul und seinen Vampiren eines Nachts gelingt, Engelland zu finden. Ausgerechnet in dieser Nacht lässt Dorian Mary allein im Schloss zurück, um seinen Blutdurst zu stillen. Als Mary die Angreifer kommen sieht, flüchtet sie sich in den Wald. Der Fürst der Finsternis folgt ihr, um das ungeborene Kind in ihrem Bauch zu töten. Er behauptet, dass dieses Kind sie ohnehin töten würde, da es sich von ihrer Energie und Schönheit nähren würde, bis nichts mehr von ihr übrig wäre.

Angelockt von Marys Blut, stößt ein Rudel Wölfe zu ihnen. Vlad Dracul flieht und überlässt Mary den Tieren zum Fraß – im Wissen, dass dies ihren und den Tod des Kindes bedeuten wird. Die Wölfe gehen auf ihr wehrloses Opfer los, bereit, es zu zerfleischen. Da tritt plötzlich eine fremde Frau mit einem roten Umhang hinzu. Sie stellt sich Mary als der Tod vor und sagt ihr, dass ihre Zeit, zu sterben, nun gekommen sei. Mary fleht sie um ihres Kindes willen um Gnade an. Sie erweicht damit das Herz der Fremden, da diese ebenfalls ein Kind erwartet. Der Tod gewährt Mary einen Aufschub, bis der Krieg zwischen Licht und Schatten entschieden ist. Sie bindet das Leben der vier Wölfe an Mary, um sie bis dahin vor ihren Feinden zu schützen.

Als Mary später im Schloss wieder zu sich kommt, berichtet Dorian ihr, dass sein Vater und seine Anhänger Engelland in dem Glauben verlassen haben, dass sie tot sei. Außerdem hat sich wie durch ein Wunder alles, was zuvor auf der Insel rot war, nun golden gefärbt. Rot ist die Farbe des Todes und deshalb sollte nichts und niemand außer ihr sie tragen, um es den Menschen leichter zu machen, den Tod zu erkennen.

1812

Ember führt Margery zum Lebkuchenhaus der grausamen Hexe Baba Zima. Ihnen wird jedoch die Tür von ihrer Magd Gretel geöffnet, die ihnen Zutritt gewährt, da Ember den Ofen der Hexe für einen Zauber braucht.

Die Hexe befindet sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Weg zur Königin. Sie kehrt unerwartet früher zurück, sodass Ember und Margery gezwungen sind, vor ihr zu fliehen. Baba Zima versucht, sie durch Magie an der Flucht zu hindern. Dabei stellt sich ihr Ember mit ihrer Feuermagie in den Weg und gibt dadurch preis, dass sie ein Phönix ist.

Baba Zima sieht sich gezwungen, die Mädchen entkommen zu lassen.

2012

Zurück in Berlin, werden Maggy und Joe von ihren Betreuern zur Rede gestellt. Sie behaupten ihnen gegenüber, dass sie spontan nach Königswinter in ein Ferienhaus gefahren wären und Will sich geweigert hätte, wieder mit ihnen zurückzufahren.

Am nächsten Tag verschafft sich Maggy durch ein Ablenkungsmanöver von Joe Zutritt zur Intensivstation des Krankenhauses, in dem Jacob im Koma liegt. Als sie an sein Bett tritt, scheint er sie selbst im Schlaf wahrzunehmen und vertraut ihr ein Gedicht über die Vergessenen Sieben an.

Während Maggy zurück in die Wohngemeinschaft fährt, geht Joe seinem Fitnesstraining nach, um einen klaren Kopf zu bekommen. In der Umkleide bemerkt er, dass er immer noch die ›Grimm-Chroniken‹ bei sich hat. Er kann der Versuchung nicht widerstehen und beginnt, darin zu lesen, wohl wissend, dass das Buch danach für ihn verschlossen bleiben wird. Er erfährt, was bisher geschehen ist, und findet unter anderem heraus, dass er und Maggy in Engelland Hänsel und Gretel waren. Wobei er selbst dort von der Hexe ermordet wurde, sodass er nie eine Rolle für die Geschichte gespielt hat. Ihre Mutter war Marie Hassenpflug, die von Margery getötet wurde.

Maggy findet in Joes Abwesenheit den goldenen Apfel wieder, den sie aus Königswinter mitgebracht hat. Ihre Verzweiflung und ihre Sorge um Will sind so groß, dass sie sogar ihren Tod in Kauf nimmt, als sie in die Frucht beißt, um in die Vergangenheit von Engelland zu gelangen. Sie vertraut darauf, dass es keine Zufälle gibt und sie genauso ein Teil der Geschichte ist wie Will. Sie ist jedoch völlig ahnungslos über ihre wahre Identität.

Sonne und Mond

Engelland, Mai 1796

Der Tod, welcher eine Frau war, hatte mich aus Mitleid mit meinem ungeborenen Kind verschont. Die Wölfe, die mich hätten zerfleischen sollen, waren nun dazu verdammt, mich mit ihrem Leben zu beschützen. Solange Vlad Dracul mich tot glaubte, waren wir vor ihm und seinen Vampiren erst einmal in Sicherheit.

Trotzdem fühlte ich mich nach seinem Angriff nicht mehr so zuversichtlich und hoffnungsvoll wie bei meiner Ankunft in Engelland. Ich hatte geglaubt, dass hier alles anders werden würde.

Es war Dorians und meine Welt. Wir waren naiv genug gewesen, zu glauben, dass wir die Insel nach unseren Vorstellungen und Gesetzen formen könnten. Aber es gab weder hier noch irgendwo eine Zukunft für mich. Ich würde sterben. Jeder Tag, den ich noch lebte, war gestohlene Zeit. Der sechzehnte Geburtstag meiner Tochter würde mein Todestag sein.

Es tat weh, zu wissen, dass mir nur so wenige Jahre mit ihr und Dorian blieben. Ich würde sie niemals heiraten oder selbst ein Kind bekommen sehen. Vielleicht könnte ich sie nicht einmal über ihren ersten Liebeskummer hinwegtrösten.

Am meisten schmerzte es jedoch, Dorian zu sehen. Er litt unter dem Versprechen, das er mir hatte geben müssen: Er würde nichts unternehmen, um mich zu retten. Jeder Versuch, mein Leben zu bewahren, könnte den Tod unserer Tochter bedeuten. Er musste mir beim Sterben zusehen. Vielleicht wäre es ohnehin so gekommen, aber wir hatten erwartet, ein Leben zusammen zu haben, und nicht nur ein paar Jahre.

Manchmal, wenn er sich unbeobachtet fühlte, betrachtete er mich, als wäre ich bereits tot. Ich konnte den feuchten Glanz in seinen Augen nicht ertragen.

Meine eigene bekümmerte Stimmung schien sich auf Engelland zu übertragen. Die Tage waren trist und die Nächte lang und finster. Der Sommer hätte Einzug halten sollen, stattdessen pfiffen kalte Winde über das Land. Eine dichte Wolkendecke hüllte uns ein, die unsere Welt grau und farblos erscheinen ließ. Die Pflanzen wuchsen nur schlecht und nicht einmal meine Blutäpfel waren noch genießbar, seitdem sich alles Rote in unserer Welt golden verfärbt hatte.

Nur der Tod war noch rot. Es war ihre Farbe. Die verbotene Farbe.

Je mehr Menschen auf unsere Insel kamen, umso mehr Verbrechen ereigneten sich. Das Böse breitete sich wie eine Krankheit aus. Es gedieh gut in der Dunkelheit und schlug seine Wurzeln in die Herzen der Menschen.

Engelland hatte weder eine Sonne, welche den Menschen bei Tag hätte Wärme spenden können, noch einen Mond, der die Nacht erhellte. Hatte die Erdenmutter sie schlicht bei der Erschaffung unserer Welt vergessen oder war es Absicht gewesen?

Als Dorian und ich am Strand spazieren gingen, um den traurigen Gedanken für eine Weile zu entfliehen, sahen wir am Horizont den gewaltigen Baum der Erdenmutter aufragen, dessen Krone sich zwischen den Wolken befand. Der Wal, welcher den Baum auf seinem Rücken trug, drehte an diesem Tag seine Runden um unsere Insel. Es war das erste Mal, dass wir ihn wiedersahen.

War es Zufall oder kam es einer Einladung gleich?

Ein einsames Ruderboot trieb nicht weit von der Küste entfernt im Wasser. Unsere bisherigen Erfahrungen hatten uns gelehrt, dass es keine Zufälle gab.

»Lass uns zur Erdenmutter gehen und sie um eine Sonne und einen Mond für unsere Welt bitten«, schlug ich Dorian kurz entschlossen vor. Wer wusste schon, ob wir jemals wieder so eine Chance bekommen würden.

»Wir brauchten das letzte Mal sieben Tage, um den Stamm und den darauffolgenden Turm zu erklimmen«, wandte Dorian ein. »Ohne die Gegenstände aus dem Beutel von Jacob wäre es uns gar nicht gelungen.«

»Wir müssen es wenigstens versuchen«, drängte ich ihn und wollte bereits in das Wasser waten, um zu dem Boot zu schwimmen.

Er hielt mich an beiden Schultern zurück und sah mir eindringlich in die Augen. »Meine Schöne, du bist schwanger«, erinnerte er mich sanft. Mittlerweile zeichnete sich durch mein Kleid sogar eine kleine Wölbung ab, die nicht länger zu übersehen war. »Du bist die mutigste Frau, die ich kenne, aber du bist nicht länger nur für dich verantwortlich. Der Aufstieg brachte dich schon vor Monaten an deine Grenzen. Nun wäre er zu viel für dich. Lass mich allein gehen.«

Es gefiel mir nicht, dass er diesen beschwerlichen Weg allein auf sich nehmen wollte, gleichzeitig zeigte mir seine Sorge, dass er sein Versprechen ernst nahm: Er würde unser Kind beschützen, selbst vor mir und meiner Uneinsichtigkeit.

»Ich war nie mutig«, widersprach ich, als ich ihm zum Abschied mit meiner Hand über die Wange streichelte, »sondern immer nur verzweifelt.«

»Mach dich nicht schwächer, als du bist«, entgegnete er mit einem schwachen Lächeln, zog mich an sich und legte seine Stirn an meine.

Wir schlossen beide die Augen und genossen für den Moment nur die Nähe des anderen. Ich liebte ihn so sehr, auch wenn die ganze Welt gegen uns zu sein schien. Vielleicht liebte ich ihn gerade deshalb nur noch mehr.

Bevor er ging, küsste er mich auf den Mund und ich hatte das Gefühl, einen Hauch von Erleichterung bei ihm zu spüren. Nun hatte er eine Aufgabe, die es ihm erlaubte, für einige Tage vor unseren Sorgen davonzulaufen. Er konnte sich darauf konzentrieren, die Erdenmutter zu erreichen und sie dazu zu bringen, unserer Welt eine Sonne und einen Mond zu schenken. Zumindest für eine Weile musste er mir nicht hilflos dabei zusehen, wie sehr die Schwangerschaft mich beanspruchte.

Nachdem sieben Tage vergangen waren, ging ich erneut an den Strand und ließ mich im Dünengras nieder, um auf Dorians Rückkehr zu warten. Der gewaltige Baum der Erdenmutter war vom Horizont verschwunden, als wäre er nie dort gewesen.

Das Meer war in Aufruhr, mit einem starken Wellengang, sodass die Gischt nur so spritzte. Ich schlang meinen Umhang fest um meinen Körper, bereit, so lange auszuharren, bis Dorian wieder bei mir war. Noch war nichts von ihm zu sehen. Ich wusste nicht, wie er zurückkommen würde. Beim letzten Mal waren wir wie Schiffbrüchige an den Strand gespült worden.

Der Wind schlug mir eisig ins Gesicht und zerrte an mir, sodass ich bereits nach kürzester Zeit vor Kälte zitterte.

Die vier Wölfe, welche mich seit der verhängnisvollen Nacht im Wald überallhin begleiteten, blieben sonst immer auf Abstand. Nun kamen sie jedoch zu mir und ließen sich dicht neben mir nieder. Sie schmiegten ihre warmen Körper an mich, sodass ich von ihnen umzingelt war. Dieses Mal empfand ich keine Furcht vor den großen Tieren. Sie verhielten sich mir gegenüber unterwürfig und schienen es nicht einmal zu wagen, ihre Augen auf mich zu richten.

Andächtig strich ich ihnen über das Fell, welches sich von der salzigen Luft ganz rau anfühlte. Während wir warteten, kraulte ich sie abwechselnd hinter den Ohren, wodurch sich ihre Anspannung etwas löste. Langsam gewöhnten wir uns aneinander. Auch wenn ein Zauber sie an mich band, wollte ich ihnen dennoch meine Dankbarkeit zeigen.

Sie würden mich beschützen, wenn Vlad Dracul irgendwann zurückkehren würde. Der Tag würde mit Sicherheit kommen, spätestens wenn unsere Tochter das Licht der Welt erblickt hatte. Er würde es erfahren.

Es verging einige Zeit und ein leichter Nieselregen setzte ein, der meine Kleider zu durchweichen drohte, als ich zwischen den Wellen ein kleines Boot ausmachen konnte. Es wurde hin und her geworfen wie eine winzige Walnussschale und ich konnte aus der Ferne nicht sagen, ob sich eine Person darin befand.

Mit klopfendem Herzen beobachtete ich das Geschehen und sah dabei zu, wie das Boot immer näher kam, bis ich tatsächlich Dorian darin erkennen konnte.

Nun gab es für mich kein Halten mehr. Ich löste mich aus der wärmenden Nähe meiner Begleiter und rannte die Dünen hinab bis zum Wasser. Die Kälte und den Regen spürte ich nicht mehr. Mein ganzer Körper sehnte sich danach, Dorian in die Arme schließen zu können. Es war mir gleich, ob sein Ausflug erfolgreich gewesen war. Hauptsache, er war wieder bei mir.

Als das Boot den Strand fast erreicht hatte, sprang Dorian heraus und zog es an einem Seil bis in den schwarzen Sand. Übermütig lief ich ihm entgegen und schlang meine Arme um seinen Hals, in der Erwartung, dass seine Wiedersehensfreude genauso groß wäre wie meine und er mich lachend durch die Luft wirbeln würde.

Doch er hielt sich zurück und drückte mich nur kurz an sich, dabei wirkte er geradezu hölzern. Er küsste mich auf die Stirn, anstatt meine Lippen mit seinen in einem leidenschaftlichen Kuss zu fangen. Behutsam strich er mir das vom Wind zerzauste Haar aus dem Gesicht.

Ich deutete seine Zurückhaltung als ein Zeichen seiner Enttäuschung, weil die Erdenmutter vielleicht seiner Bitte nicht nachgekommen war und sich geweigert hatte, uns eine Sonne und einen Mond zu schenken.

Er versuchte, sich von mir zu lösen, doch ich hielt mich an ihm fest und legte meine Hände um sein Gesicht, damit er mich ansehen musste. »Ich brauche keine Sonne, solange du bei mir bist«, versicherte ich ihm tröstend.

Ehe er etwas erwidern konnte, vernahm ich plötzlich ein leises Wimmern wie von einem Baby. Es kam aus dem Ruderboot und ich sah, dass sich darin zwei kleine Bündel befanden. Beide waren in eine Decke eingeschlagen, sodass ich sonst nichts von ihnen erkennen konnte. Ein schwaches Leuchten ging von ihnen aus. Das eine strahlte silbrig kühl wie der Mond und das andere so golden wie die Sonne.

Dorian hatte es geschafft. Er hatte Sonne und Mond nach Engelland gebracht, wenn auch ganz anders, als ich es erwartet hätte. Es waren Babys. Winzige Geschöpfe, die nicht wussten, welch mächtige und verantwortungsvolle Aufgabe sie erwartete.

Bestürzt wollte ich in das Boot greifen, um die Kinder näher zu betrachten und an mich zu nehmen. Sicher hatten sie Angst und brauchten etwas Wärme und Nähe. Aber Dorian stellte sich vor mich und versperrte mir den Weg.

»Du darfst sie nicht berühren«, warnte er mich streng. »Du darfst sie nicht einmal ansehen.«

»Warum?«, stieß ich schockiert aus.

Es sind doch nur Babys, dachte ich und begriff sogleich, dass es nicht um meinen Schutz ging, sondern um den der Kinder. ICH war die Gefahr, nicht sie.

Dorian senkte traurig den Kopf. Er konnte mich nicht ansehen. »Die Erdenmutter hat mir verboten, mit dir darüber zu sprechen, was im Turm geschehen ist. Es ist noch nicht vorbei. Bitte kehr in das Schloss zurück und warte dort auf mich.«

Die Wölfe, welche sich bisher im Hintergrund gehalten hatten, fingen nun an, zu knurren, als spürten sie meine Enttäuschung. So hatte ich mir unser Wiedersehen nicht vorgestellt. Aber was würde es bringen, mich zu weigern?

Ich versuchte erneut, einen Blick auf die Kinder zu erhaschen, den Dorian mir jedoch nicht gewährte. »Bitte, Mary«, flehte er verzweifelt. »Ich werde noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder bei dir sein.«

Niedergeschlagen nickte ich und trat in Begleitung der Wölfe den Rückzug an. Erst als ich einige Entfernung zwischen uns gebracht hatte, drehte ich mich noch einmal nach ihm um. Das Boot lag nun verlassen da, während Dorian auf jedem Arm eines der Bündel trug und in Richtung Wald davonlief.

Was hatte er mit ihnen vor? Was hatte die Erdenmutter von ihm verlangt, zu tun?

Als Dorian am Abend zum Schloss zurückkehrte, hatte er nur noch eines der Kinder bei sich.

»Was ist mit dem anderen geschehen?«, fragte ich ihn, woraufhin er nur den Kopf schüttelte. Er durfte es mir nicht sagen. Die Erdenmutter hatte es ihm verboten.

Er drückte das Bündel einer unserer Dienerinnen in den Arm, die mir sonst nur dabei halfen, das Schloss sauber zu halten und den Garten zu pflegen. »Kümmere dich darum«, wies er sie an. »Die Königin darf das Kind nicht zu Gesicht bekommen. Es wird sieben Tage bei uns bleiben.«

Die Dienerin war von seinem Verhalten genauso schockiert wie ich, aber sie wagte nicht, ihm zu widersprechen, und tat, was er ihr aufgetragen hatte. Kaum dass sie uns den Rücken gekehrt hatte, lief Dorian zu unserem Schlafgemach und ließ sich völlig entkräftet auf das Bett sinken. Er vergrub sein Gesicht in den Händen, als hätte er etwas Fürchterliches getan und könnte die Schuld kaum ertragen.

Er machte mir Angst und ich verstand nicht, was geschehen war. Warum durfte ich Sonne und Mond nicht sehen? Glaubte die Erdenmutter wirklich, dass ich unschuldigen Babys etwas antun würde? Glaubte Dorian es?

Ich ging vor ihm auf die Knie und streckte meine Hände nach seinen aus. Sie waren eiskalt. Sanft löste ich sie von seinem Gesicht und sah den gequälten Ausdruck darin. Er starrte beinahe apathisch vor sich auf den Boden.

Was war ihm nur widerfahren?

»Dorian, schau mich an«, bat ich ihn den Tränen nahe. Ich ertrug es nicht, ihn so zu sehen. Seit ich ihn kannte, war er mein Held gewesen. Er hatte immer Stärke gezeigt und niemals aufgegeben. Nun wirkte er gebrochen und jeder Hoffnung beraubt.

Allein schon, mir den Kopf zuzuwenden, schien ihn unendliche Überwindung zu kosten. Seine Augen waren wie ein zerbrochener Spiegel. Es lag so viel Schmerz in ihnen, dass die Scherben mir ins Herz stachen.

- Ende der Buchvorschau -

Impressum

Texte © Copyright by [email protected] Korrektorat: Martina König, Jennifer Papendick

Bildmaterialien © Copyright by Coverdesign: Jaqueline Kropmanns

Alle Rechte vorbehalten.