Dornröschen is Calling - Sylvi Amthor - E-Book

Dornröschen is Calling E-Book

Sylvi Amthor

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Beschreibung

Ist doch klar, dass Dornröschen ihren Prinz heutzutage per Handy kontaktieren würde. Wie wird es ihr wohl gehen, nach hundert Jahren Schlaf? Was treibt eigentlich Hans im Glück, nachdem er mit leeren Händen zurückgekehrt ist? Ist Schneewittchen immer noch glücklich mit ihrem Prinzen? Diesen Fragen spürt Sylvi Amthor nach, in ihren Geschichten, Szenen und Gedichten für Erwachsene. Denn wer soll denn das glauben, dass unsere alten, lieben Gefährten der Kindheit nun fortwährend glücklich sind...

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Seitenzahl: 230

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Für Klio und Kalliope in Sneakers und Löcherjeans

Wenn ich früher von Musen gelesen habe, hatte ich stets das Bild vor Augen von holden, ätherischen jungen Mädchen, mit wallendem Lockenhaar, in zarte, fließende Gewänder gehüllt, deren Anblick Künstler gesetzteren Alters in Entzücken versetzte und bei ihnen einen kreativen oder intellektuellen Speichelfluss aktivierte.

Doch das muss ich noch einmal überdenken, denn auch ich habe mittlerweile zwei Musen. Eine davon hat tatsächlich wallendes Lockenhaar. Dafür ist die andere männlich und taucht bei mir zuweilen mit Drei-Tage-Stoppelbart auf. Aber bei jeder Unterhaltung mit den beiden sprießen die Ideen, fliegen wie Ping-Pong-Bälle von einem zum anderen, wechseln dabei im Fahrtwind ihre Gestalt, als ob sie aus flüssigem, buntem Marmor bestünden. Die beiden sind aber alles andere als sanfte, ätherische Wesen. Zuweilen streiten sie heftig mit mir, beharren hartnäckig auf ihrer Sichtweise und stampfen selbst hart erarbeitete Ideen von mir gnadenlos in Grund und Boden, wenn sie ihnen nicht gefallen.

Und das ist ganz wunderbar. Denn ohne die beiden würde ich als Selfpublisher bald zu den einsiedlerischen Schreiberlingen gehören, die im stillen Kämmerlein ihr eigenes Süppchen kochen, das zunehmend fader schmeckt. Die beiden bringen Würze in meine Wort-Suppe, warten mit neuen Zutaten auf, schütten sie bisweilen auch knallhart in den Abguss und setzen eine neue an. Sie sind eindeutig meine Musen. Und ich komme nicht umhin, mir einzugestehen: irgendwo in mir setzt tatsächlich ein imaginärer Speichelfluss ein, wenn sie ihren Besuch anmelden, meine beiden Musen

LISA und YONA.

Liebe Leserin, lieber Leser,

lugt hinter deiner Schulter auch manchmal ein vorwitziger Kobold hervor? Oder ein weiser Yoda? Schlummern in dir kleine Geschöpfe, lustige, freche, kreative, frivole, aber auch tiefschürfende, die sich plötzlich quietschfidel mitten im Alltag hervorschummeln? Wenn ja, dann ist dieses Buch genau für dich gemacht!

Die Geschichten darin sind aber noch von anderen Quellen gespeist. Von den nebelhaften Ahnungen des kleinen Mädchens, das ehrwürdige, kunstvoll bebilderte Märchenbücher verschlang und alte, wundervoll besprochene Langspielplatten hörte. Von der jungen Erzieherin, die mit ihrer Gruppe die zauberhafte Atmosphäre beim Vorlesen der Märchen verspürte. Von der erwachsenen Frau, die Fachliteratur über Märchen las und die viele Jahre später den leisen Gedanken des Kindes Substanz verschaffte.

Eigentlich sollten alle Geschichten ursprünglich denselben Stil haben. Doch manche der alten, aber quicklebendigen Figuren waren äußerst eigenwillig. Sie verweigerten sich massiv und wollten sich partout nicht in meine vorgegebene Form pressen lassen. Nach der dritten oder vierten misslungenen Version unterwarf ich mich ihnen zähneknirschend und siehe da: Plötzlich war ihre Geschichte, das Stück oder das Gedicht da. Und ihre Botschaft entstand aus der Liaison ihres Charakters und meiner Gedanken.

Ich wünsche dir beim Lesen die ganze Palette an Gefühlen, die die Märchenwelt hervorrufen kann: vor allem viel Vergnügen, aber auch ein wenig Unbehagen, Abneigung, Schmerz, Trauer, Mitgefühl, Grauen, Prickeln, Widerwillen, vielleicht ein Quäntchen Schadenfreude und Boshaftigkeit.

Ach übrigens, falls jemand es als despektierlich empfindet, mit den alten, ehrwürdigen Märchen so umzugehen: es ist alles andere als das. Im Gegenteil, es entsprießt der Freude an ihnen. Die hat vermutlich auch schon Otto Waalkes vor vielen, vielen Jahren verspürt, als er kalauerte: „Hänsenen und Gretenen rücksrödeldigak in de Gehölzenen.“ Oder Michael Ende, als er dichtete: „Hänsel und Knödel, die gingen in den Wald...“ Und Greno und Howard, als sie Rapunzel ‚neu verföhnten‘. Da fühle ich mich doch in recht passabler Gesellschaft :)

Es grüßt dich herzlich

Sylvi Amthor

Wie es weiterging:

Es wäre gut, die Märchen noch halbwegs in Erinnerung zu haben. Oder eben mal zu googeln. Oder hier nachzusehen: Die alten Märchen in Kurzform

Rotkäppchen auf der Stube

Die Prinzessin und die Erbse

Memoiren eines Schnüfflers – Schneewittchen

Schwesterchen und das tolle Brüderchen

Rapunzel und ihre Kinder

Frau Holle in Hollywood

Warum die kleine Meerjungfrau an einer spiritistischen Sitzung teilnahm

Das tapfere Schneiderlein im Dschungelcamp

Hans ist glücklich

Die Strafsache Aschenputtel

Dornröschen auf Inlinern

Der Schnüffler: Hänsel und Gretel – hinter den Türen

Der glitschige Froschkönig

Der Goldesel auf Diät

Die Sterntaler, die nicht reich machten

Neues vom Schnüffler: Eisenhans in der falschen Haut

Rumpelstilzchen, nicht jugendfrei

Der Schweinehirt und das Töpfermädchen

Rotkäppchen auf der Stube

Rotkäppchen saß auf einem Schemel in ihrem Zimmer und blickte trübselig zum Fenster hinaus. Ein strahlend blauer Himmel, fröhliches Vogelgezwitscher und das mächtige Rauschen der Tannen vor dem Haus lockten: „Komm heraus, nun komm endlich!“

Trotzig stützte Rotkäppchen ihre Ellenbogen auf die Knie und warf das Kinn in die Hände. Stubenarrest! Pah! Wie entwürdigend für jemanden, der gerade ein solches Abenteuer bestanden und sogar Wein getrunken hatte! Zugegeben, sie hatte ihr Versprechen, nicht vom Weg abzugehen, gebrochen. Aber wer konnte denn schon ahnen, dass gleich so etwas Schlimmes geschehen würde?

Zornig kickte Rotkäppchen eine Puppe weg, die vor ihr lag. Sie landete auf dem achtlos dahingeworfenen roten Kleiderbündel in der Ecke. Rotkäppchen betrachtete es nachdenklich. Nicht vom Weg abzugehen, war nicht die einzige Warnung der Mutter gewesen. Sie hatte auch ihre Vorliebe für rote Kleider bemängelt, die so auffällig waren. Eine Träne rollte Rotkäppchen jetzt über die Wange. Was konnte sie denn dafür, dass der Wolf so gierig auf Rot war, dass er sie fressen wollte? War er vielleicht ein hirnloser Stier? Sollte sie etwa graue und braune Kittel tragen, nur damit sie den blöden Kerl nicht reizte? Und auf all die schönen Blumen im Wald verzichten und stattdessen mit gesenktem Kopf den langweiligen, staubigen Weg entlangschlurfen?

Rotkäppchen schniefte und zog die Nase hoch. Ums Fressen alleine ging es dem Wolf ja gar nicht, das lag doch sonnenklar auf der Hand. Die Großmutter, die war alt, sie hatte er so nebenbei gefressen. Mit Rotkäppchen aber hatte er gespielt, das war der springende Punkt gewesen! Weil sie jung war und unwissend. Und frisch und fröhlich. Weil sie schöne Blumen mochte und rote Kleider.

Der Zorn kroch nun wieder in Rotkäppchen hoch. Nicht nur auf den Wolf, auch auf sich selbst. Sie stampfte auf den Boden. Wie lächerliche diese Großmutter-Verkleidung gewesen war! Ihr Gefühl, eine innere Stimme hatte sie noch gewarnt. Doch ihr Verstand hatte ganz verwirrt nachgefragt, warum die Großmutter denn heute so große Augen, Ohren und Hände hatte. Weil sie dumm und naiv gewesen war. Das harmlose, freundliche Getue und die fadenscheinigen Erklärungen des Wolfs geglaubt hatte. Weil sie die Spielregeln seines tödlichen Spiels nicht beherrscht hatte. Weil sie auf ihr Gefühl nicht vertraut hatte.

Rotkäppchen kniff die Augen zusammen. Dieses Mal nicht, dachte sie grimmig. Aber es ist ja noch lange nicht aller Tage Abend! Noch einmal würde sie sich nicht so leicht hereinlegen lassen! Es stand für sie fest, ganz klar: sie würde wieder vom Weg abgehen.

Nachdenklich stand Rotkäppchen auf, ging zu dem roten Kleiderhaufen und zog ihr Käppchen heraus. Sie spielte mit dem Schnürband. Sie würde, nein, sie musste es einfach wieder tun! Sie musste sich noch einmal auf ein Abenteuer mit dem Wolf einlassen. Sonst würde sie sich nie wieder im Spiegel anschauen können, ohne dass dieser ihr ‚Feigling‘ oder ‚Memme‘ oder sogar ‚Dummerchen‘ entgegenlachen würde.

Rotkäppchen hob die Nase und streckte den Rücken durch. Ja, es war unerlässlich. Es fühlte sich an, als musste sie dies nicht nur für sich tun, sondern stellvertretend für alle jungen Mädchen. Die das Recht dazu hatten, lebendig und fröhlich zu sein. Und Spaß zu haben an allem Schönen in der Welt, an Blumen und Farben und frischer Waldluft. Ohne Angst zu haben, dass hinter jedem Blumenstück ein gieriger, sabbernder Wolf auf sie wartete!

Grimmig warf Rotkäppchen ihre Kappe wieder in die Ecke. Sie hatte viel gelernt in den letzten Tagen. Nun war es Zeit, dass sie auch dem Wolf eine Lektion verpasste! Das nächste Mal würde sie auf seine Mätzchen vorbereitet sein!

Sie verschränkte einen Arm, stützte den anderen darauf und ging in ihrem Zimmer auf und ab. Zunächst einmal würde sie dafür sorgen, dass der gute, alte Jäger in der Nähe war. Und bevor sie sich wieder mit dem Wolf einließ, würde sie lernen. Oh ja, sie würde sich alles aneignen, was sie zu ihrer Verteidigung gebrauchen konnte! Sie würde dem Jäger beim Schießen zusehen und auskundschaften, wo er seine Gewehre aufbewahrte. Sie würde sich beibringen, Pfeil und Bogen herzustellen! Und sie würde einen Kampf-Kurs machen. Heimlich, als Junge verkleidet, das machte bestimmt Spaß! Was der Wolf konnte, das beherrschte sie schon lange!

Rotkäppchen lief nun zu ihrer Wäschekommode und beförderte eine ihrer Schlafhosen zutage. Sie nestelte und riss am Bund herum, bis sich das dehnbare Band darin herauslösen ließ. Dann eilte sie zu ihrer Murmelkiste und nahm eine davon heraus. Sie legte sie in den Gummi, schloss ein Auge, zielte und ließ los. Der Dunst von Petroleum stieg auf, als das Glas des Nachtlichts zerbrach.

Auf Rotkäppchens Gesicht schlich sich ein breites Lächeln. Sie lief zu dem Kleiderhaufen, setzte ihr Käppchen auf und warf sich ihren roten Mantel um. Dann trat sie vor den Spiegel. Und freute sich an der frischen, lebendigen Farbe, die auf ihrer Haut zu prickeln schien. Rotkäppchen warf sich nun auf das Bett, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und blickte zur Decke. Was könnte sie noch tun? Oh, sie würde ein kleines, aber scharfes Messer aus Mutters Küche stehlen und an ihrem Teddy den Umgang damit üben. Aus dem Alter war sie ja jetzt sowieso heraus.

Rotkäppchen kniff die Augen zusammen, als sie sich vorstellte, wie sie den Wolf wieder treffen würde. Sie würde auf sein Spiel eingehen. Sie würde Blumen pflücken (eine Schleuder unter dem Käppchen), würde mit ihm plaudern (das Messer im Ärmel) und ihm brav den Weg zu Großmutters Häuschen beschreiben (eine Pistole vom Jäger unter dem Mäntelchen). Im Haus würde der Jäger schon hinter der Tür warten. Und dann würde sie laufen, so schnell sie nur konnte, um das klägliche Ende des Wolfs mitzuverfolgen. Um jede Sekunde davon auszukosten. Sie würde sich weiden an seiner Angst, und sie würde hören, wie er bettelte um sein räudiges Fell und dann vergnüglich zusehen, wie der Jäger ihm dasselbe über die Ohren zog.

Rotkäppchen lächelte eigentümlich. Die Mutter war so erleichtert gewesen, dass der böse Wolf nun tot war. Ach, liebe, gute Mutter, dachte sie, der Wald ist voll von Wölfen! Aber ich werde es schon aufnehmen mit ihnen! Und dann wird sich niemand mehr vor ihnen fürchten. Im Gegenteil, auslachen werden sie sie alle und sie werden die Schwänze einziehen und sich ganz schnell verziehen, dahin, wo der Pfeffer wächst. Alle Mädchen werden fröhlich in den Wald laufen können, ohne Angst! Und sich an armvollen Blumensträußen freuen! Und sie werden toben in ihren Kleidern aus rot und lila und orange und pink! Und werden lachen und lachen und lachen!

Die Prinzessin und die Erbse

Einakter

Personen

König

gemütlich

Königin

ein wenig steif

Kammerzofe

von schlichtem Gemüt, aber nicht dumm

Zeit:

Vormittag

Ort:

der Blaue Salon im Königsschloss

Vorhang

(Der König ruht gedankenversunken am Fenster in seinem bequemen Ohrensessel, die Königin sitzt aufrecht am runden Teetisch.)

Königin

Kammerzofe!

Kammerzofe

(tritt ein, geht zum Teetisch und knickst ehrerbietig)

Königliche Hoheit wünschen?

Königin

Sag sie mir, wie ist heute das werte Befinden der Prinzessin?

Kammerzofe

Mit Verlaub, die Prinzessin fiebert wieder stärker, nachdem sie sich heute Morgen so aufgeregt hat.

Königin

(seufzt)

Worüber hat sie sich denn schon wieder echauffiert?

Kammerzofe

(bestürzt)

Königliche Hoheit, ich würde mir nie erlauben, mich zu escho... eschau...

Königin

(ungeduldig)

Nicht doch sie. SIE, die Prinzessin!

Kammerzofe

(knickst)

Verzeihung.

Königin

(ungeduldig)

Also worüber hat sich die Prinzessin denn nun... aufgeregt?

Kammerzofe

Mit Verlaub, über die Feder, Königliche Hoheit.

Königin

(wartet)

Und? Über welche Feder? Herrgott, nun lass sie sich doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!

Kammerzofe

(knickst)

Verzeihung, über die Feder, die sich in der hochherrschaftlichen Daunendecke befand und welche die Prinzessin am ganzen Leib rot und blau zerstochen hat.

Königin

(mit befremdendem Seitenblick)

Grün vielleicht auch noch?

Kammerzofe

Verzeihung, Königliche Hoheit, von grün sagte die Prinzessin nichts. Aber ich kann...

Königin

(scharf)

Nein! Sie fragt nicht nach!

Kammerzofe

(knickst)

Wie Königliche Hoheit wünschen.

Königin

(seufzt erneut)

Ach ja, es ist doch jeden Tag etwas anderes. Das hätte ich mir nicht träumen lassen, als ich mich über die Erbse so freute. Heute eine Feder, gestern ein Samenkorn, das so dreist war, sich aus dem offenen Fenster ins Bett der Prinzessin zu stehlen. Was war es vorgestern noch mal?

Kammerzofe

Mit Verlaub, vorgestern war es ein trockener Brotkrümel, Königliche Hoheit.

Königin

Nun, wenn die Prinzessin wieder genesen ist und am Tisch speisen kann, dann fällt wenigstens diese Ursache weg. War der Leibarzt heute schon bei der Prinzessin?

Kammerzofe

Ja, Eure Königliche Hoheit.

Königin

Und? Was sagt er? Herrgott noch mal, sie ist aber heute wieder sehr gesprächig!

Kammerzofe

Die Prinzessin ist, mit Verlaub, heute gar nicht gesprächig...

Königin

(vernehmlich)

SIE! Von IHR bekommt man heute lauter Brocken anstatt einer ordentlichen Mahlzeit!

Kammerzofe

(verwirrt)

Wie meinen, Königliche Hoheit?

Königin

(entnervt)

Ach, lass sie.

(langsam und deutlich)

Was – hat – der Arzt – gesagt?

Kammerzofe

Er sagte: Das Fieber will nicht sinken und der Husten nicht vergehen.

Königin

(seufzt erneut)

Na, kein Wunder, was läuft sie auch draußen im Regen herum.

Kammerzofe

Mit Verlaub, ich bin gar nicht...

Königin

(laut)

SIE doch nicht! Die Prinzessin!

Kammerzofe

Verzeihung.

Königin

(mit scharfem Seitenblick)

Sie ist heute wieder einmal sehr unaufmerksam.

Kammerzofe

(zieht es vor, zu schweigen)

Königin

(heftig)

SIE! Nicht die Prinzessin!

Kammerzofe

(gekränkt)

Ja, ich habe Königliche Hoheit schon verstanden.

(hebt die Hand zur Stirn, stöhnt leise, schwankt ein wenig)

Königin

(verdreht die Augen gen Himmel)

Geh sie, bitte, entferne sie sich.

Kammerzofe

(schwach, die Hand noch an der Stirn, knickst nur andeutungsweise)

Sehr wohl, Königliche Hoheit.

(zieht sich schwankend zurück)

König

(blickt auffällig interessiert und lächelnd der Kammerzofe nach)

Königin

(versucht, sich zu sammeln, dann, an den König gewandt)

Mein Gemahl, haben Eure Kundschafter schon Nachrichten für uns?

König

(schreckt aus seinen Gedanken hoch)

Wie meinen?

Königin

(ungeduldig, aber beherrscht)

Weiß man schon etwas Neues über die Herkunft unserer Prinzessin?

König

(steht auf, geht zügig hin und her, den gesamten Raum ausschreitend, immer nahe an der Königin vorbei)

Nein, meine Liebe. Ich habe die Kundschafter vor einigen Tagen ein zweites Mal, dieses Mal in fernere Länder beordert.

Königin

Sie sind vielleicht schon wieder da…

König

(tadelnd)

Meine Liebe, sie haben Instruktionen, mir nach ihrer Ankunft auf der Stelle Bericht zu erstatten.

Königin

Ich kenne sie. Sie werden zuerst ein Gelage in der Gesindeküche veranstalten und danach ihren Rausch ausschlafen, bevor sie sich bei Ihnen melden. Kammerzofe!

Kammerzofe

(kommt herbei, knickst)

Königliche Hoheit wünschen?

Königin

Sind die Kundschafter Ihrer Königlichen Hoheit schon da?

Kammerzofe

Nein, Königliche Hoheit.

König

Bitte sehr, meine Liebe.

Königin

Es hätte durchaus sein können.

König

(macht eine undefinierbare Geste mit der Hand)

Kammerzofe

(stöhnt matt, schwankt, greift sich mit dem Handrücken an die Stirn)

Königin

(sieht die Kammerzofe befremdlich an)

Sie hat wohl wieder verbotenerweise an den königlichen Weingeistpralinen genascht?

Kammerzofe

Nein, Königliche Hoheit, bei meiner Ehre!

Königin

(scharf)

Das werde ich schon herausfinden! Sie kann gehen.

Kammerzofe

(matt)

Sehr wohl, Königliche Hoheit.

(Geht schwankend davon)

König

(blickt der Kammerzofe lächelnd nach)

Königin

(seufzt)

Mein Gemahl, was haben Ihnen die Kundschafter denn nach ihrer ersten Rückkehr berichtet?

König

(setzt sich wieder hin, sammelt sich)

Das können Sie sich doch denken, meine Liebe. Nichts, sonst hätte ich sie nicht ein zweites Mal beordert. In keinem der angrenzenden Länder vermisst man eine Prinzessin.

(dann nachdenklich, mehr zu sich selbst)

Was aber nicht heißen muss, dass sie dort nirgends hingehört.

Königin

(stöhnt auf)

Sprechen doch auch Sie bitte nicht in Krypten mit mir. Was soll denn das heißen?

König

Nun, vielleicht WILL sie ja niemand kennen.

Königin

(verzweifelt)

Wieder ein Rätsel! Warum denn um alles in der Welt soll sie niemand kennen wollen?

König

(nachsinnend)

Ja, warum... Meine Liebe, sind Sie denn, als Sie noch jünger waren, in strömendem Regen in fremden Königreichen umhergelaufen?

Königin

(fährt empört hoch)

Ich bin noch jung!

König

Verzeihung, ich meinte, als Sie noch... kleiner waren?

Königin

(verwundert)

Nein, natürlich nicht. Weshalb sollte ich auch?

König

Eben. Weshalb. Das ist die Frage.

Königin

(sucht nach einer plausiblen Erklärung)

Vielleicht wollte die Prinzessin nur ein wenig... lustwandeln...

König

(dreht sich in Richtung der Königin und blickt sie von unten herauf an)

Meine Liebe, ist Ihnen entfallen, dass das nächstgelegene Königreich drei Tagesreisen entfernt liegt?

(hebt den Zeigefinger)

Mit der Kutsche!

Königin

(sich ergebend)

Ich weiß.

König

Außerdem, meine Liebe, sind Sie schon jemals ohne Begleitung wenigstens Ihrer Kammerzofe ausgegangen?

Königin

Nein. Das schickt sich nicht. Und ist außerdem viel zu gefährlich.

König

Also. Wo sind sie denn, die Begleiter der Prinzessin?

Königin

(weiß keine Antwort)

König

(nachdenklich, steht auf, geht wieder hin und her)

Sie ist ausgerissen. Oder man hat sie ausreißen lassen. Man wird schon einen Grund dafür gehabt haben.

(setzt sich wieder, rückt sich bequem zurecht)

Und ich muss sagen, nachdem ich die Prinzessin nun einige Wochen erleben durfte, fällt es auch mir nicht schwer, einen zu finden.

(nachäffend)

‚Oh, ich habe kein Auge zugetan, ich bin am ganzen Körper grün und blau gedrückt‘.

(steht wieder auf, wandert hin und her, nachsinnend. Dann, ohne die Königin anzusehen)

Meine Liebe, ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, Sie selbst haben einen gehörigen Anteil zu unserer Misere mit der Prinzessin beigetragen.

Königin

(greift sich bestürzt an die Brust)

Ich? Wie kommen Sie denn darauf?

König

(blickt die Königin ernst an)

Sie haben dem Prinzen doch den Floh ins Ohr gesetzt, dass keine einzige von den Dutzenden anderen, die der Prinz kennenlernte, gut genug für ihn wäre.

Königin

Bitte, mein Gemahl, Sie machen mich ganz nervös, wenn Sie wie ein gefangener Tiger hin und her schwadronieren.

König

(setzt sich wieder, dann tadelnd, mit Handbewegungen unterstreichend)

An jeder hatten Sie etwas auszuset

zen. Die erste war Ihnen zu linkisch, die zweite nicht ernsthaft genug, bei der dritten war die Nase zu groß, eine weitere hatte einen schiefen Gang...

Königin

(sich verteidigend)

Sie zuckte ständig mit der rechten Schulter!

(sie demonstriert es)

König

Sie wird halt nervös gewesen sein unter Ihrem allzu prüfendem Blick.

Königin

(den letzten Satz ignorierend)

So etwas ist erblich! Stellen Sie sich einen Thronfolger vor, der ständig mit der rechten Schulter zuckt!

(Sie demonstriert es wieder)

Außerdem waren alle keine richtigen Prinzessinnen.

König

Na, jetzt haben Sie eine richtige und sind wieder nicht zufrieden. Apropos Thronfolger, es eilt damit ja nicht

(lächelt kurz)

aber das wird weiterhin ein Problem sein. Der Prinz tut mir aufrichtig leid.

Königin

(erschöpft)

Was soll denn das nun wieder heißen?

König

Nun ja, schließlich ist unser Sohn nicht nur ein Prinz, sondern nebenbei auch noch ein Mann.

Königin

Aber doch noch ein sehr junger!

König

Aber ein Mann!

Königin

Ein junger...

König

... Immerhin ...

Königin

Sie meinen... ach Gott...

(errötet heftig)

Na und?

König

(steht wieder auf und wandert hin und her)

Nun ja, meine Liebe, Sie wissen ja, dass selbst die zarteste... Form... Art... Weise der... Liebesbezeigung dennoch ein etwas... kraftvolles... Element... beinhaltet... einschließt... besitzt... Sapperlot, Sie müssen doch wissen, was ich meine!

Königin

(immer noch glühend)

Nicht ganz, mein Gemahl...

König

(meint, deutlicher werden zu müssen)

Na, wie sollen denn die beiden einen Thronfolger zeugen, wenn die Prinzessin schon eine kleine Erbse nicht verträgt!

Königin

(bestürzt)

Also, ich muss doch sehr bitten...

König

(verschränkt die Arme)

Bitten Sie nur, bitten Sie nur, das ändert aber nichts an den Tatsachen.

Königin

(langsam begreifend)

Nun, man muss die Prinzessin eben... abhärten...

König

(nun seinerseits entsetzt auffahrend)

Wie?

Königin

(errötet wieder heftig)

Ich meinte, mit kalten Wassergüssen, frischer Luft, gesunder Kost...

König

(entspannt sich wieder)

Ach so.

(setzt sich. Dann zweifelnd)

Und das hilft?

Königin

(hat sich wieder gefasst)

Sicher. Auch Abreibungen werden wir vornehmen. Ich werde auf der Stelle alles veranlassen. Kammerzofe?

Kammerzofe

(kommt herbei, knickst)

Königliche Hoheit wünschen?

Königin

Mach sie im Zimmer der Prinzessin Folgendes bereit: einen Topf kaltes und einen Topf heißes Wasser, ferner ein weiches und ein raues Tuch, eine harte und eine zarte Bürste. Hat sie alles verstanden?

Kammerzofe

Jawohl, Königliche Hoheit:

(beginnt aufzuzählen)

ein Topf raues und einen Topf zartes Wasser…

Königin

(zornig auf den Tisch schlagend)

Herrgott noch einmal, es ist heute zum Haare ausraufen mit ihr!

(mit dem Finger fackelnd)

Auch, wenn ich es ihrer seligen Mutter versprochen habe, wenn sie sich nicht zusammenreißt, dann…

Kammerzofe

(beginnt zu weinen)

Königin

(entnervt)

Ich werde mich selbst um alles kümmern, geh sie mir aus den Augen. Sofort, bevor ich mich vergesse!

Kammerzofe

(geht weinend davon, während der König ihr wieder seltsam nachsieht)

Königin

(nachrufend)

Und die Weingeistpralinen werde ich künftig abzählen!

(sammelt sich wieder mit einem Seufzer und wendet sich ihrem Mann zu)

Mein Gemahl, Sie können sich auf mich verlassen. Ich werde unsere allzu zarte Prinzessin schon etwas… desensibilisieren. Und sie auch sonst gebührend auf ihre… Pflichten als Eheweib vorbereiten.

König

Das wird denn Prinzen freuen. Er hat sich schon Sorgen um diese Sache gemacht, aber er wollte Sie nicht kränken.

Königin

(erfreut)

So lieb hat er die Prinzessin schon?

König

SIE, meine Liebe, nicht die Prinzessin. Weil Sie sie schließlich für ihn ausgesucht haben.

Königin

(seufzt)

Heute ist ein Tag voller Anlässe zum Seufzen. Und voller Missverständnisse.

König

(tückisch)

Und voller Überraschungen.

Königin

Und voller Überraschungen. ...?

König

(händereibend)

Na, dann heraus mit allem. Wenn wir schon dabei sind. Die Prinzessin soll sich wegen des... Problems, welches wir soeben besprachen, doch mal an die Kammerzofe wenden.

Königin

(verdutzt)

Weshalb denn dies, um alles in der Welt?

König

Weil die Kammerzofe anscheinend einiges von unserem... Problem versteht. Übrigens, haben wir eigentlich noch die alte Babywiege von meinem seligen Urgroßvater?

Königin

(stutzt erst, begreift dann und fällt in Ohnmacht)

König

(tritt ruhig zu seiner Frau hin, tätschelt ihr liebevoll die Hand)

Kammerzofe!

(Kammerzofe eilt herbei. Hält sich mit einer Hand die Nase zu, in der anderen Hand trägt sie ein Fläschchen Riechsalz)

Memoiren eines Schnüfflers

Schneewittchen

Gestatten, dass ich mich vorstelle? Brad. Nicht Pitt, hahaha, sondern Buttermaker, ich habe amerikanische Wurzeln. Außerdem bin ich stolzer Vater von zwei netten Gören, Zwillingen, und bin seit dreißig Jahren verheiratet. Mit derselben Frau, hahaha. Aluna ist mein Fels und mein Anker in meinem ansonsten ziemlich turbulenten Leben. Ich bin nämlich Privatdetektiv, jetzt a.D. Ich hatte zu meiner Zeit tiefe Einblicke in berühmte Fälle, in denen sich selbst die Polizei die Zähne ausgebissen hat. Wie ich das schaffte? Nun seien Sie mal nicht so indiskret, haben Sie es schon mal erlebt, dass ein Börsianer seine Connections ausplaudert? Oder eine Italienerin das Rezept ihrer Pasta? Nur soviel sei verraten, dass ich ausgezeichnete Verbindungen zur Szene hatte. Und geradezu brillante Kontaktmänner. Echte Schnüffler, absolut zuverlässig und äußerst diskret. Allerdings scheiterte auch ich manchmal, so wie in dem Fall, von dem ich heute berichte. Aber wie heißt es so schön: Ausnahmen bestätigen die Regel. Ich habe wohl den Mörder nicht seiner gerechten Strafe zuführen können, aber ansonsten Dinge ans Tageslicht gebracht, die werden Ihnen das Blut in den Adern gefrieren lassen! Sorry, ich neige manchmal etwas zu Melodramatik. Oder bin ein bisschen flapsig. Und überstrapaziere Anglizismen, das habe ich meinem Großvater aus Ohio zu verdanken. Bei dem es vor ‚sorrys‘, ‚girls‘ und ‚dudes‘ strotzte, auch wenn er Deutsch sprach. Ich hoffe, Sie verzeihen mir das. Aber nun genug der Vorrede. Der Fall ist lange genug her, um niemanden mehr am Fell zu jucken und ich kann mit der vollen Wahrheit aufwarten. Also, angeschnallt und das Rauchen eingestellt, ein Flug, der Sie in eisige Höhen und höllische Tiefen entführen wird, beginnt! Sorry.

Das Ganze war eine Familientragödie, wie sie in keinem Buche steht. Als ich mit dem Fall konfrontiert wurde, lief die Chose schon über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Engagiert hatte mich ein Staatsoberhaupt. Nachdem er zwanzig Jahre lang einen auf die drei Affen gemacht hatte, die nichts hören, nicht sehen und nicht reden. Hauptperson war seine Tochter, eine hübsche kleine Göre namens Schneewittchen. Die leider das Pech hatte, in eine ziemlich miese Familie hineingeboren zu werden. Ihr Vater war, wie gesagt, ein hohes Tier in der Politik. Viel zu beschäftigt, um sich mit seinem Kind, das übrigens das einzige war, abzugeben. Und außerdem war er, das ist meine rein persönliche Meinung, leicht inzestgeschädigt. Was durchaus nicht weit hergeholt ist. Denn erstens heiratete man in seinen Kreisen nur untereinander; wie die Früchte solcher Verbindungen genetisch beieinander sind, wissen wir Dank Mendel & Co ja heutzutage. Und zweitens verhielt er sich in der Geschichte, wie ich noch aufzeigen werde, reichlich befremdend.

Die leibliche Mutter des Mädchens war bei der Geburt gestorben und nach einem Jahr heiratete ihr Vater ein ziemliches Luder aus irgendwelchen zwielichtigen, okkulten Kreisen. Diese Schnalle hatte so einen Hau weg, sag ich Ihnen! Sie hatte sowas wie einen magischen Spiegel, der ihr sagte, wer die Schönste im Land sei. Und das wollte sie selbstverständlich selbst sein. Solange das Ding ihren Namen nannte, war für sie alles in Butter. Nun wurde aber ihr Stiefkind immer älter, was Kinder ja allgemein so an sich haben. Und leider auch immer schöner. Sie hatte so langes, schwarzes Haar, wissen Sie, so blauschwarz, wie die Indianer bei Karl May. Und einen vollen, roten Mund; für meine Semester, hahaha, wie Brigitte Bardot, für Jüngere etwa wie Angelina Jolie. Und eine super-weiße Haut. Darauf standen die früher. Die Vampirszene heutzutage steht ja auch wieder auf diesen Typ. Na jedenfalls, als der Spiegel der durchgeknallten Alten ihre Stieftochter als die Schönste bezeichnete, da war aber die Kacke am Dampfen, sage ich Ihnen! Sorry. Sie kriegte zunächst einmal einen hysterischen Anfall und beschloss dann, ihre Rivalin rigoros zu beseitigen. Das war aber gar nicht so einfach. Der Jäger, den sie mit dem Mord beauftragte, hatte selber ’nen Narren an der kleinen Schwarzhaarigen gefressen und ließ sie laufen. Bis die Alte aber den Braten roch, war das Girl schon über alle Berge und untergekrochen bei sieben kleinwüchsigen Männern irgendwo in der Pampa. Der alte Drachen gab aber noch lange nicht auf. Kreativ war das Aas, das muss man ihr lassen, denn sie verkleidete sich so geschickt als Bauersfrau, dass Schneewittchen sie nicht erkannte. Wissen Sie, manchmal habe ich den Verdacht, dass die Kleine auch ein bisschen rammdösig war. Noch dreimal setzte die Alte an, um Schneewittchen zur Strecke zu bringen. Aber die hatte anscheinend die neun Leben einer Katze, denn jedes Mal war einer zur Stelle, der sie von des Todes Sense wegzog. Sorry. Als letztes sogar ein Prinz, der sie spornstreichs heiraten wollte, obwohl er sie für tot hielt.

Und jetzt halten Sie sich fest. Die Alte wurde zur Hochzeit eingeladen! Ich habe lange darüber nachgedacht, warum der Prinz auf die Anwesenheit seiner unseligen Schwiegermutter bestand. Zunächst dachte ich, er achte einfach auf die Etikette. Na ja, Sie wissen schon, ´noblesse oblige` oder so. Und dass er wegen albernen Weibergezänks keine außenpolitischen Unruhen riskieren wollte. Wäre ja nicht das erste Mal in der Weltgeschichte, schließlich war die Kanaille ja immerhin die Frau des benachbarten Königs. Die wahren, grausigen Hintergründe erfuhr ich erst viel später. Das Weibsstück wurde also eingeladen und angeblich erkannte sie Schneewittchen nicht. Was ihr persönliches Pech war, denn am Ende dieses Tages war sie tot.