Dotterland - Karoline Therese Marth - E-Book

Dotterland E-Book

Karoline Therese Marth

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Beschreibung

»Dotterland«, so nennt Kathlen ihre heile Wunschwelt, in der alles diesen warmen dunkelgelben Touch hat. Wie es so oft bei Wunschdenken ist: die Realität sieht ganz anders aus. Kathlens Lebenswelt ist brüchig und fragil wie eine Eierschale, die unbeschwerte Zeit schnell vorbei. Die Eltern streiten, schenken den Kindern nicht genug Liebe und Aufmerksamkeit, die Scheidung folgt. Kathlen ist auf sich allein gestellt, muss sich durchboxen und setzt auf Freundschaften. Doch spätestens mit der Pubertät bricht die Schale komplett auseinander – das Entdecken und Ausleben der Sexualität, die Sehnsucht nach Geborgenheit, Partys, Alkohol und Drogen statt Schule … Sie schwirrt ziellos aus, um die Welt zu spüren, aber das Leben droht ihr zu entgleiten und überfordert sie: »Ich weiß nicht, was mir fehlt, aber es fehlt etwas.« Wuchtig und rau, zugleich sanft und mitten aus dem Leben erzählt Karoline Therese Marth in ihrem Debütroman vom Aufwachsen und Erwachsenwerden in den Nullerjahren. Direktheit trifft auf Lakonie, Ehrlichkeit auf Ennui, Einsamkeit auf emotionale Verwirrung – und der Roman mitten ins Herz.

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Seitenzahl: 150

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Für alle in meinem Team

 

Karoline Therese Marth

Dotterland

Roman

Literaturverlag Droschl

Müde bin ich geh zur Ruh

Schließe meine Augen zu

Vater lass die Augen dein

Über meinem Bette sein

Wer hatte sie schon? Eine Abenteuerkindheit, wild und laut, aber ohne die nächtliche Einsamkeit und im immer gleichen Kinderzimmer.

0–2 | 1180

Ich werde nur wenige Tage vor Halloween geboren, meinem Lieblingsfest, das damals noch vollkommen unbekannt war, kurz vor einem Winter mit Minusgraden und viel Schnee. Ich werde an dem Tag geboren, an dem mein Urgroßvater stirbt, dem Jahrzehnte zuvor in Stalingrad ein Bein abgefroren ist, und nach seiner noch lebenden Frau benannt. Ich komme dunkellila zur Welt mit der Nabelschnur um den Hals. Ich bin eine dicke menschliche Trockenpflaume, die in einem fort schreit und der man lustige Hauben aufsetzt und Fencheltee zu trinken gibt, jedoch niemals ein Lächeln abringt. Ich war lange herbeigewünscht. Ich bin erste Tochter und erste Enkeltochter und schon so viel mehr, bevor ich sprechen konnte. Ich bin keine Sekunde nur.

 

Eineinhalb Jahre später wird mein Bruder Thomas geboren, und die Prinzessin stirbt.

 

Prinzessin Diana stirbt kurz nach Mitternacht, weil ihr Fahrer Prozac genommen und trotzdem getrunken hat. Keiner der Insassen ist angeschnallt. Prinzessin Di wird um vier Uhr früh für tot erklärt.

2–5 || 1180

Ich esse meinen Striezel gerne mit Marillenmarmelade. Thomas mag Erdbeermarmelade lieber. Nehme ich Marillenmarmelade, will mein Bruder plötzlich auch welche. Ich brülle, weil er mir immer alles nachmacht, und bestehe auf Erdbeermarmelade. Als er nun auch Erdbeermarmelade will, heule ich los. Meine Großmutter macht alle Marmeladen selbst, und es gibt immer genug.

 

Wenn wir schlafen, streiten Mama und Papa oft. Ich will sie nicht hören. Im Kinderzimmer wird nicht geschrien und geweint. Meine Mutter drückt die Tür einen Spalt weit auf und kommt herein. Sie legt sich auf eine der Koffermatratzen, die wir für Übernachtungsgäste haben, ohne sie aufzuklappen und auch ohne Bettzeug. Eingerollt liegt sie still zwischen unseren Hochbetten, und das einzige Geräusch im Halbdunklen ist Thomas’ gleichmäßiges Atmen. Ich halte mich an meinem Bett ganz fest, beuge mich, so weit es geht, nach vorne und strecke meinen Kopf in Mamas Richtung. Die Haare fallen mir ins Gesicht, aber ich will sie nicht wegpusten, weil Mama das vielleicht hören könnte, und meine Hände vom Bettgestell nehmen will ich auch nicht. Durch meinen Haarvorhang hindurch sehe ich Mamas Rücken. Sie zittert. Es ist kalt, vor allem ohne dicke Decke, aber Mamas Zittern ist kein Kältezittern. Mama, weinst du?, will ich fragen, aber mein Mund hält die Wörter fest. Ich stelle mir vor, wie Mamas Tränen dunkle Flecken auf der grünen Matratze bilden. Ich kann ihr Gesicht nicht sehen, also lege ich mich zurück und versuche es mir vorzustellen. Aber während mein Bruder atmet und Mama weint, sehe ich nur die dunkle Zimmerdecke.

 

Großmutter und ich ziehen den Puppen die schönsten Kleider an, die ich habe, und setzen sie nebeneinander. Heute ist ein wichtiger Tag für meine neun Puppen. Sie gehen nicht nur, wie jeden Sonntag, in die Kirche, sondern sind endlich alt genug für die heilige Kommunion. Im Frühling waren alle Puppen bei den Vorbereitungsstunden, haben gelernt, was Jesus und seine Freunde gemacht haben, und können das Glaubensbekenntnis auswendig. Wir haben uns heute hier versammelt, sage ich, während meine Großmutter neun kleine Fetzen von einem Taschentuch abreißt. Das ist der Leib Christi, der für euch hingegeben wird, sage ich, und meine Großmutter verteilt die Hostien. Nehmet und esset alle davon. Danach gibt es auch für uns Mittagessen, weil wir heute nicht in die Kirche gehen. Meine Mutter meint, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen, wäre übertrieben, außerdem wolle sie am Wochenende ausschlafen, und es gebe bessere Arten einen so sonnigen Tag zu nutzen. Gehen wir nicht in die Kirche, kommt die Kirche eben zu uns, sagt meine Großmutter, und ich schließe den Puppen die Augen zum Gebet.

 

Ich weiß, dass alle meine Mama gernhaben, aber ich weiß nicht, ob meine Mama mich gernhat.

5–11 ||| 1010

Wir sind auf einem Piratenboot, Thomas und ich. Nebeneinander liegen wir da, gefesselt. Dickes braunes Seil windet sich um unsere Körper, von unseren Knöcheln bis über die Schultern. Schwarzes breites Klebeband macht uns stumm.

Das Schiff ist riesig, alles ist aus Holz, und wir liegen an Deck, genau in der Mitte. Piraten haben wir noch keine gesehen. Wie im Ehebett liegen wir da, denke ich, so gefesselt und nebeneinander, ohne etwas sagen zu können. Sie werden kommen, ganz bestimmt. Ich höre den Wind und das Wasser, und manchmal bilde ich mir auch ein, das Salz zu hören, das überall ist, im Meer, in der Luft und wahrscheinlich auch an Deck. Ich kann nur den Himmel sehen, und die Fesseln drücken meinen Körper auf das schwere Holz.

Irgendwann höre ich ein Scharren. Zuerst denke ich an den Wind, der den Ohren so oft einen Streich spielt, doch als es lauter wird, weiß ich, dass da etwas anderes sein muss. Nicht in unmittelbarer Nähe, aber auch nicht weit weg. Sie sind unter uns, unter Deck, plötzlich weiß ich es, ganz sicher. Sie kommen alle gleichzeitig, woher genau, weiß ich nicht. Wahrscheinlich gibt es irgendwo eine Luke, die ich nicht sehen kann. Ratten. Es sind hunderte. Groß, lang und grau. Sie laufen auf uns zu. Als sie auf uns sind, fangen sie an, an den Seilen zu knabbern. Es ist schlimmer als alles, was die unsichtbaren Piraten uns hätten antun können.

 

Meine Mutter bringt mich nicht mehr gemeinsam mit meinem Bruder in den Kindergarten, ich gehe in die Schule. Wenn mein Vater da ist, fährt er mich, und ich habe ihn vom Schließen der Wohnungstür bis zum Eingangstor der Schule ganz für mich allein. Auf dem Weg in die Tiefgarage müssen wir einmal über die Straße gehen. Währenddessen hält er immer meine Hand. Das macht er, weil eine tote Prinzessin reiche, sagt er. Von mir aus braucht er keinen Grund, um meine Hand zu halten. Wenn wir zu früh sind, darf ich mich auf den Beifahrersitz setzen, und er erzählt mir die Geschichte von Prinzessin Di und ihrem Unfall, oder er hört mir zu, wenn ich von der Schule erzähle.

 

Meine beste Freundin aus dem Kindergarten heißt Barbara. Sie ist größer als ich. Meine Mutter sagt, später werde ich größer sein, und Barbara wäre jetzt nur größer, weil sie ein Jahr älter ist als ich. Trotzdem geht Barbara jetzt auch in die erste Klasse. Weil Barbara nicht umgezogen ist, geht sie in die Schule direkt neben dem Kindergarten. Ich gehe in eine andere Schule. Ich sehe Barbara zum letzten Mal, als sie mich in der neuen Wohnung besucht. Die ist viel weiter weg von allem, was ich bisher kenne. Ich zeige ihr alles. Am Ende meiner Wohnungsführung sagt Barbara, ich könnte mich jetzt sofort übergeben, wenn ich will, weißt du. Ich kann mich nie übergeben, wenn ich es will, sondern immer nur, wenn ich es nicht will, und deshalb glaube ich ihr nicht. Glaube ich nicht, sage ich. Doch, sagt sie und lächelt, und ich sage, dann mach. Sie übergibt sich, plötzlich und viel, mitten auf den Teppich. Mama, schreie ich, so laut ich kann. Barbara kommt nicht mehr zu Besuch.

 

Mein Vater sagt, hier könnt ihr sogar Autos zählen, und setzt sich aufs Fensterbrett der neuen Wohnung. Ich nicke begeistert. Als ich in der Schule ein Bild von einem Fenster und vorbeiziehenden Autos zeichne und es meiner Mutter zeige, ist es ihr unangenehm.

 

Auf meinen Ohrläppchen ist jeweils ein Punkt, genau dort, wo die Frau im Schmuckgeschäft mit der Pistole durchgeschossen hat. Um den Punkt herum ist es meistens leicht bläulich, und um das Blau herum ist ein roter Kreis. An den Stellen, wo die Löcher sind, fühlen sich meine Ohrläppchen dicker an.

 

Thomas und ich bauen riesige Städte aus Lego, die sich durch die ganze Wohnung ziehen, während Rufus Beck uns von einem Jungen mit einer Blitznarbe erzählt, der in einem Wandschrank wohnt. Wir verbringen Stunden damit, Türme zu bauen und Festungen zu errichten. Geht uns das Lego aus, nehmen wir Playmobil oder was wir sonst in den großen Spielzeugkisten finden. Barbies sind mit Power Rangern befreundet, Polly Pockets sind die Kinder von Kuscheltieren, und wir sind mittendrin.

 

Ich kann nicht schwimmen, das Wasser ist überall, und ich schlage heftig mit den Armen. Ziehen, schreit mein Vater, der am Beckenrand steht, und ich versuche die Hände wie Schaufeln auseinanderzuziehen, wie er es mir gezeigt hat. So habe ich auch schwimmen gelernt, sagt er, und ich will nicht mehr schwimmen lernen.

 

Am Montag in der Früh sitzen wir ganz hinten im Klassenzimmer im Kreis. Ich mag es, auf dem Boden zu sitzen. Das Holz des alten Parkettbodens fühlt sich viel besser unter meinen Fingern an als das glatte Holz der Schreibtische. Die Lehrerin fordert jeden auf, von seinem Wochenende zu erzählen. Die meisten Kinder waren übers Wochenende in Ferienhäusern oder bei den Großeltern, so wie ich. Sie erzählen von Ausflügen mit den Eltern und gemeinsamen Familienessen. Im Burgenland essen wir auch immer alle zusammen, aber ich weiß nicht, warum ich davon erzählen soll. Von den anderen Sachen will ich nicht erzählen, zumindest nicht vor allen. Also erzähle ich meistens doch vom Essen. Zum Abschluss stellt die Lehrerin noch eine Frage, diesen Montag fragt sie, was ist eure Lieblingsspeise, und jedes Kind sagt etwas, bei manchen fragt sie genauer nach, und dann reden wir im Sitzkreis darüber. Die meisten Kinder sagen Spaghetti Bolognese oder Schnitzel mit Pommes, ich sage Himbeeren.

 

Lena hat einen dunklen, langen Zopf, der ihr über den ganzen Rücken fällt. Von hinten sieht sie aus wie die schönste Porzellanpuppe meiner Tante. Porzellanpuppen darf man nicht anfassen, um mit ihnen zu spielen. Man darf sie nur vorsichtig von ihrem Platz nehmen, um sie zu frisieren und umzuziehen, und zu putzen, sagt meine Tante. Für mich klingt das fast wie spielen. Lena darf ich anfassen und frisieren. In der Pause lässt sie mich ihre dicken Haare flechten. Es wird nicht so schön, wie wenn es ihre Mama macht. Ist egal, sagt Lena, Mama hatte sechs Jahre zum Üben. Sie schiebt sich ihre rote runde Brille, die sie zum Haare machen abgenommen hat, wieder auf die Nase. Tamara nennt Lena eine blöde Brillenschlange. Lena nimmt die Brille wieder ab. Du bist nur neidisch, sage ich. Tamara hat kurze braune Locken, Haare, die man nicht frisieren kann. Tamara dreht sich um und geht, aber ich weiß, dass sie wiederkommen wird, weil sie Lenas Brille in Wirklichkeit gar nicht blöd findet. Dann kann ich ihr sagen, dass man ihre Haare auch frisieren und vielleicht sogar flechten kann. Nach der Schule sage ich Mama, dass ich mir einen Puppenfrisierkopf wünsche. Mama sagt, ich finde solche Köpfe gruselig, weil der Körper fehlt. Ich denke, dass es doch darum bei so einem Kopf geht.

 

Meine Mutter hat viele Freundinnen. Manche kennt sie schon, seit sie ganz klein ist. Sie ist mit ihnen zur Schule gegangen oder kennt sie aus der Nachbarschaft. Sie hat sie alle behalten, und ihr Freundeskreis wächst Jahr für Jahr. Sie hat mehr Freundinnen in ihrem Handy gespeichert, als Kinder in meine Klasse gehen. Ich nehme mir vor, einmal auch so viele Freunde zu haben. Ich habe zwei beste Freundinnen in meiner Klasse, Lena und Tamara, und dann noch Barbara aus dem Kindergarten, die ich aber nicht mehr sehe. Die meisten anderen Kinder aus meiner Klasse mögen mich auch, also zähle ich alle, in deren Freundschaftsbuch ich mich eingetragen habe, mit. Insgesamt komme ich auf zwölf Freundinnen. Das sind viel mehr, als ich Jahre alt bin. Meine Mutter ist einunddreißig Jahre alt. Ich weiß nicht, wie viele Freundinnen sie hat, aber ich denke, es sind viel mehr als einunddreißig.

 

Lenas Mutter geht mit uns in ein Geschäft, in dem es Puppen für ältere Mädchen gibt, die schon auf ihre Puppen aufpassen können. Es sind keine Frisierpuppen. Jede Puppe sieht anders aus und hat einen eigenen Namen. Ich suche mir eine mit langen dunkelbraunen Haaren aus, die Lotte heißt, und Lena wählt eine Puppe mit ein bisschen kürzeren Haaren, die dunklere Haut hat und Alex heißt. Wie ihr beide, sagt Lenas Mutter, und wir nicken. Wir sind jetzt nicht nur fast Schwestern, sondern auch Puppenmamaschwestern.

 

Wir spielen verstecken. Die ganze Wohnung ist unser Abenteuerspielplatz. Überall rennen und kreischen Kinder, während die Erwachsenen Spritzwein trinken. Mein Herz pocht, und ich renne, so schnell ich kann, und klettere auf den Schlafzimmerschrank meiner Eltern. Es ist dunkel, und ich weiß nicht, worauf ich gerade liege, aber es kratzt mich, weil ich nur eine Unterhose trage. Ich höre jemanden in dem Schrank unter mir kichern und dann leise Schritte näher kommen. Wenn ich mich mit Dominik gemeinsam verstecke, nimmt er manchmal meine Hand, und ich lasse ihn. Wo er sich jetzt gerade versteckt, weiß ich nicht. Vielleicht hält er Lenas Hand oder die Hand von jemand anderem.

 

Magst du Dominik?, fragt Tamara mich am nächsten Tag in der großen Pause. Nein, sage ich, weil man auf so eine Frage nicht ja sagen kann. Als wir in der letzten Stunde Turnen haben, wählt Dominik mich nicht in seine Mannschaft, obwohl ich eine der besten im Völkerball bin. Nach dem Glockenläuten geht er, ohne mich anzusehen, zu seiner Mutter, die mit seiner Schwester vor der Schule wartet.

 

Vor dem Einschlafen ordne ich meine Kuscheltiere. Die meisten haben keine Namen. Ich habe ihnen Buchstaben von A bis J zugeteilt. Ich habe so viele Kuscheltiere in meinen Armen, dass ich, um sie alle zu berühren, so daliege, wie Jesus am Kreuz hängt. Ganz links in meinem Arm fängt ein kleiner Hase mit A an und die anderen Tiere, B–J, wandern von links neben ihm über meinen Brustkorb bis zu den Fingerspitzen meiner rechten Hand. So kann mich nachts niemand erschießen, denke ich und fühle mich schuldig, weil die Kuscheltiere mich schützen, aber selbst in Gefahr sind.

 

Ich wünsche mir eine Katze, eine Freundin für meine Kuscheltiere, aber eine, die sich bewegt und ihnen beim Beschützen hilft, eine, die auch kämpfen kann. Im Burgenland bei meinen Großeltern ist manchmal eine, sie ist orangerot. Bei meinen Urgroßeltern auf dem Hof gibt es eine weiße Katze. Mein Vater hat eine Katzenhaarallergie. Zu meinem siebten Geburtstag schenkt er mir eine große weiße Stoffkatze in einem roten Baumwollbeutel. Ich gebe ihr keinen Namen, sie ist einfach nur die Katze. Die Katze hat große dunkelgrüne Augen und ist von Sigikid. Meine Eltern erklären mir, dass Kuscheltiere von dort teuer sind. Ich nehme die Katze überallhin mit, auch in die Schule. Mein Vater sagt, irgendwann wirst du die Katze nicht mehr mit in die Schule nehmen wollen. Am Abend verspreche ich der Katze, sie immer überallhin mitzunehmen.

 

Als mein Bruder eingeschult wird, fährt uns mein Vater nur noch selten zur Schule, aber wenn er uns fährt und wir zu früh sind, darf ich nicht mehr auf dem Beifahrersitz sitzen, und wir schauen auf dem kleinen Fernseher an der Hinterseite des Sitzes Der rosarote Panther. Ich sage ihm, dass Kinder, die vor der Schule fernsehen, nicht lernen können, und mein Bruder singt Wer hat an der Uhr gedreht? Ich weiß, dass mein Vater ihm niemals, bevor es wirklich sein muss, den Fernseher abdrehen wird, weil es sonst ein Gebrüll gibt.

 

Ich weiß, dass Gott Regeln macht. Ich weiß, dass nur die Erwachsenen sie brechen dürfen. Ich weiß nicht, warum immer nur die Kinder zur Beichte müssen und die Erwachsenen nicht. Ich frage meine Erzieherin. Sitz nicht so breitbeinig da, wenn du einen Rock trägst. Das kann auch Sünde sein. Ich trage den Rock nicht freiwillig und verstehe deshalb nicht, warum es dann meine Schuld ist, wenn man meine Unterhose sieht. Ich frage mich, warum Gott dann überhaupt will, dass die Mädchen Röcke tragen, wenn er keine Unterhosen sehen will. Ich glaube, meine Erzieherin will, dass ich über Gott und seine Meinung zu Röcken und Unterhosen nachdenke. Sie will nicht, dass ich über Gott und seine Meinung zu Erwachsenen, die nicht zur Beichte gehen, nachdenke. Am Abend frage ich meine Mutter, wann sie das letzte Mal bei der Beichte war.

 

Im Werkunterricht bauen wir Wanduhren. Wir sollen ein Bild als Hintergrund für unsere Uhr malen. Ich male ein Weinglas. Meine Mutter stellt die Uhr ganz nach hinten ins Regal, wo niemand sie sehen kann. Wenn jemand fragt, wer diese Uhr gebaut hat, sage ich, mein Bruder.

 

Wir haben Haustiere, zuerst einen Hamster, und als der Hamster stirbt, zwei Kaninchen, Miki und Milli. Meine Mutter beschließt, dass es den Tieren auf einem Bauernhof besser gehen würde. Ich stelle mir mein weißes Kaninchen mit den Schlappohren und den braunen Flecken vor, wie es auf meinem Schoß sitzt. Meine Beine sind so dürr und Milli so groß, dass sie droht, auf beiden Seiten gleichzeitig von meinem Schoß zu rutschen. Ich stelle mir vor, wie sie mit Miki über weite grüne Wiesen hoppelt, inmitten von anderen Kaninchen und Bauernhoftieren, und überlege, wie es wäre, wenn meine Mutter auch mich dort abgegeben hätte.

 

Mama macht mit mir eine Reise. Eine Auf-dem-Teppich-liegen-Körperreise, bei der ich alles spüren kann. Ich versuche ganz still zu liegen, und ihre Stimme erzählt mir von meinen großen Zehen bis hinauf zu meinem Kopf. Ich will alles spüren. Ich glaube, dass das später wichtig ist.

 

Mein Lieblingsbuch ist das Märchenbuch mit den goldenen Seitenkanten, aus dem meine Großmutter uns vorliest. Mein Bruder will immer die Geschichte von Mogli hören, auch wenn meine Großmutter sagt, dass Mogli gar kein Märchen ist. Meine Lieblingsgeschichte ist die von den zwölf tanzenden Prinzessinnen. Jeden Abend schleichen sich die Prinzessinnen nach draußen, um zu tanzen. Bis in meine Träume schaffen sie es. Bau dir deine Prinzessinnenwelt, sagt Mama, wenn ich nicht schlafen kann.