Dr. Katzenbergers Badereise - Jean Paul - E-Book

Dr. Katzenbergers Badereise E-Book

Jean Paul

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Beschreibung

Gewalt ist eine Lösung - jedenfalls manchmal...Um einem Kollegen seine Missgunst mit Fäusten zu zeigen, reist Dr. Katzenberger mitsamt seiner Tochter Theoda nach Bad Maulbronn. Während der Kutschenfahrt versucht der einzige andere Fahrgast, Herr von Nieß, das Herz Theodas zu erbobern, was ihm aber nicht gelingt. Sein Ass im Ärmel ist jedoch, dass er in Wirklichkeit der berühmte Bühnendichter Theudobach ist, der in Bad Maulbronn einen Auftritt vorbereitet. Doch das Schicksal setzt noch einen anderen Theudobach zwischen ihn und der Tochter Katzenbergers!-

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Jean Paul

Dr. Katzenbergers Badereise

 

Saga

Dr. Katzenbergers BadereiseCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1809, 2020 Jean Paul und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726614664

 

1. Ebook-Auflage, 2020

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

 

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

Erste Abteilung

1. Summula

Anstalten zur Badreise

Ein Gelehrter, der den ersten Juli mit seiner Tochter in seinem Wagen mit eignen Pferdeu ins Bad Maulbronn abreifet, wünscht einige oder mehre Reisegesellschafter.“ — Dieses liess der verwittibte ausübende Arzt und anatomische Professor Katzenberger ins Wochenblatt setzen. Aber kein Mensch auf der ganzen Universität Pira (im Fürstentume Zäckingen) wollte mit ihm gern ein paar Tage unter einem Kutschenhimmel leben; jeder hatte seine Gründe — und diese bestanden alle darin, dass niemand mit ihm wohlfeil fuhr als zuweilen ein hinten aufgesprungener Gassenjunge; gleichsam als wäre der Doktor ein ansässiger Porträuber von innen, so sehr kelterte er muntere Reisegefährten durch Zu- und Vor- und Nachschüsse gewöhnlich dermassen aus, dass sie nachher als lebhafte Köpfe schwuren, auf einem Eilbotenpferde wollten sie wohlfeiler angekommen sein und auf einer Krüppelfuhre geschwinder.

Dass sich niemand als Wagen-Mitbelehnter meldete, war ihm als Mittelmanne herzlich einerlei, da er mit der Anzeige schon genug dadurch erreichte, dass mit ihm kein Bekannter von Rang umsonst mitfahren konnte. Er hatte nämlich eine besondere Kälte gegen Leute von höherem oder seinem Range und lud sie deshalb höchst ungern zu Diners, Gouters, Soupers ein und gab lieber keine; leichter besucht’ er die ihrigen zur Strafe und ironisch; — denn er denke (sagte er) wohl von nichts gleichgültiger als von Ehrentgastereien, und er wolle eben so gern à la Fourchette des Bajonettes gespeist sein, als feurig wetteifern mit den Grossen seiner Stadt im Gastieren, und er lege das Tischtuch lieber auf den Katzentisch. Nur einmal — und dies aus halben Scherz — gab er ein Gouter oder Dégouter, indem er um 5 Uhr einer Gesellschaft seiner verstorbnen Frau seinen Tee einnötigte, der Kamillentee war. Man gebe ihm aber, sagte er, Lumpenpack, Aschenbrödel, Kotsassen, Soldaten auf Stelzfüssen: so wüsst’ er, wem er gern zu geben habe; denn die Niedrigkeit und Armut sei eine hartnäckige Krankheit, zu deren Heilung Jahre gehören, eine Töpfer- oder Topfkolik, ein nachlassender Puls, eine auffallende und galoppierende Schwindsucht, ein tägliches Fieber; — venienti aber, sage man, currite morbo, d. h. man gehe doch dem herkommenden Lumpen entgegen und schenk’ ihm einen Heller, das treueste Geld, das kein Fürst sehr herabsetzen könne.

Bloss seine einzige Tochter Theoda, in der er, ihres Feuers wegen, als Vater und Witwer die vernachlässigte Mutter nachliebte, regte er häufig an, dass sie — um etwas Angenehmeres zu sehen, als Professoren und Prosektoren — Teegesellschaften, und zwar die grössten, einlud. Er drang ihr aber nicht eher diese Freude auf, als bis er durch Wetterglas, Wetterfisch und Fussreissen sich völlig gewiss gemacht, dass es gegen Abend stürme und giesse, so dass nachher nur die wenigen warmen Seelen kamen, die fahren konnten. Daher war Katzenbergers Einwilligen und Eingehen in einen Tee eine so untrügliche Prophezeiung des elenden Wetters als das Hinuntergehen des Laubfrosches ins Wasser. Auf diese Weise aber füllte er das liebende Herz der Tochter aus; denn diese musste nun, nach dem närrischen Kontrapunkt und Marschreglement der weiblichen Visitenwelt, von jeder einzelnen, die nicht gekommen war, zum Gutmachen wieder eingeladen werden; und so konnte sie oft ganz umsonst um sieben verschiedne Teetische herumsitzen, mit dem Strumpf in der Hand. Indes erriet die Tochter den Vater bald und machte daher ihr Herz lieber bloss mit ihrer innersten einzigen Freundin Bona satt.

Auch für seine Person war Katzenberger kein Liebhaber von persönlichem Umgang mit Gästen: „Ich sehe eigentlich“, sagte er, „niemand gern bei mir, und meine besten Freunde wissen es und können es bezeugen, dass wir uns oft in Jahren nicht sehen; denn wer hat Zeit! — Ich gewiss nicht.“ Wie wenig er gleichwohl geizig war, erhellt daraus, dass er sich für zu freigebig ansah. Das wissenschaftliche Licht verkalkte nämlich seine edlen Metalle und äscherte sie zu Papiergeld ein; denn in die Bücherschränke der Ärzte, besonders der Zergliederer mit ihren Foliobänden und Kupfermerken, leeren sich die Silberschränke aus, und er fragte einmal ärgerlich: „Warum kann das Pfarrer- und Poetenvolk allein für ein Lumpengeld sich sein gedrucktes Lumpenpapier einkaufen, das ich freilich kaum umsonst haben möchte?“ Wenn er vollends in schönen Phantasien sich des Pastors Goeze Eingeweidewürmerkabinett austalte — und den himmlischen Abrahamsschoss, auf dem er darin sitzen würde, wenn er ihn bezahlen könnte — und das ganze wissenschaftliche Arkadien in solchem Wurmkollegium, wovon er der Präsident wäre —, so kannte er, nach dem Verzichtleisten auf eine solche zu teuere Brautkammer physio- und pathologischer Schlüsse, nur ein noch schmerzlicheres und entschiedeneres, nämlich das Verzichtleisten auf des Berliner Walters Präparaten-Kabinett, für ihn ein kostbarer himmlischer Abrahamstisch, worauf Seife, Pech, Quecksilber, Öl und Terpentin und Weingeist in den feinsten Gefässen von Gliedern anfgetragen wurden, samt den besten trockensten Knochen dazu; was aber half dem anatomischen Manne alles träumerische Denken an ein solches Feld der Auferstehung (klopstockisch zu singen), das doch nur ein König kaufen konnte? —

Der Doktor hielt sich daher mit Recht für freigebig, da er, was er seinem Munde und fremdem Munde abdarbte, nicht bloss einem teuern Menschenkadaver und lebendigen Hunde zum Zerschneiden zuwandte, sondern sogar auch seiner eignen Tochter zum Erfreuen, so weit es ging.

Dieses Mal ging es nun mit ihr nach dem Badorte Maulbronn, wohin er aber reisete, nicht um sich — oder sie — zu baden oder um da sich zu belustigen, sondern ein Reisezweck war die

2. Summula

Reisezwecke

Katzenberger machte statt einer Lustreise eigentlich eine Geschäftsreise ins Bad, um da nämlich seinen Rezensenten beträchtlich auszuprügeln und ihn dabei mit Schmähungen an der Ehre anzugreifen, nämlich den Brunnenarzt Strykius, der seine drei bekannten Meisterwerke — den Thesaurus Haematologiae, die de monstris epistola, den fasciculus exercitationum in rabiem caninam anatomicomedico-curiosarum 1 — nicht nur in sieben Zeitungen, sondern auch in sieben Antworten oder Metakritiken auf seine Antikritiken überaus heruntergeletzt hatte.

Indes trieb ihn nicht bloss die Herausgabe und kritische Rezension, die er von dem Rezensenten selber durch neue Lesarten und Verbesserung der falschen vermittelst des Ausprügelns veranstalten wollte, nach Maulbronn, sondern er wollte auch auf seinen vier Rädern einer Gevatterschaft entkommen, deren blosse Verheissung ihm schon Drohung war. Es stand die Niederkunft einer Freundin seiner Tochter vor der Türe. Bisher hatte er hin und her versucht, sich mit dem Vater des Droh-Patchens (einem gewissen Mehlhorn) etwas zu überwerfen und zu zerfallen, ja sogar dessen guten Namen ein bisschen anzufechten, eben um nicht den seinigen am Taufsteinte herleihen zu müssen. Allein es hatte ihm das Erbittern des gutmütigen Zollers und Umgelders 2 Mehlhorn nicht besonders glücken wollen, und er machte sich jede Minute auf eine warme Umhalsung gefasst, worin er die Gevatterarme nicht sehr von Fangkloben und Hummerscheren unterscheiden konnte. Man verüble dem Doktor aber doch nicht alles; erstlich hegte er einen wahren Abscheu vor allen Gevatterschaften überhaupt, nicht bloss der Ausgaben halber — was für ihn das Wenigste war, weil er das Wenigste gab —, sondern wegen der geldsüchtigen Willkür, welche ja in einem Tage zwanzig Mann stark von Kreissenden alles Standes ihn anpacken und aderlassend anzapfen konnte am Taufbecken. Zweitens konnt’ er den einfältigen Aberglauben des Umgelders Mehlhorn nicht ertragen, geschweige bestärken, welcher zu Theoda, da unter dem Abendmahlsgenuss gerade bei ihr der Kelch frisch eingefüllt wurde 3 , mehrmal listig-gut gesagt hatte: „So wollen wir doch sehen, geliebt’s Gott, meine Mademoiselle, ob die Sache eintrifft und Sie noch dieses Jahr zu Gevatter stehen; ich sage aber nicht bei wem.“ — Und drittens wollte Katzenberger seine Tochter, deren Liebe er fast niemand gönnte als sich, im Wagen den Tagopfern und Nachtwachen am künftigen Kindbette entführen, von welchem die Freundin selber sie sonst, wie er wusste, nicht abbringen konnte. „Bin ich und sie aber abgeflogen“, dacht’ er, „so ist’s doch etwas, und die Frau mag kreissen.“

3. Summula

Ein Reisegefährte

Wider alle Erwartung meldete sich am Vorabend der Abreise ein Fremder zur Mitbelehnschaft des Wagens.

Während der Doktor in seinem Missgeburtenkabinette einiges abstäubte von ausgestopften Tierleichen, durch Räuchern die Motten (die Teufel derselben) vertrieb und den Embryonen in ihren Gläschen Spiritus zu trinken gab: trat ein fremder feingekleideter und feingesitteter Herr in die Wohnstube ein, nannte sich Herr von Niess und überreichte der Tochter des Doktors, nach der Frage, ob sie Theoda heisse, ein blaneingeschlagenes Briefchen an sie; es sei von seinem Freunde, dem Bühnendichter Theudobach, sagte er. Das Mädchen entglühte hochrot und riss Zitternd mit dem Umschlag in den Brief hinein (die Liebe und der Hass zerreissen den Brief, so wie beide den Menschen verschlingen wollen) und durchlas hastig die Buchstaben, ohne ein anderes Wort daraus zu verstehen und zu behalten als den Namen Theudobach. Herr von Niess schaute unter ihrem Lesen scharf und ruhig auf ihrem geistreichen, beweglichen Gesicht und in ihren braunen Feueraugen dem Entzücken zu, das wie ein weinendes Lächeln aussah; einige Pockengruben legten dem beseelten und wie Frühlingsbüsche zart- und glänzend-durchsichtigen Angesicht noch einige Reize zu, um welche der Doktor Jenner die künftigen Schönen bringt. „Ich reise“, sagte der Edelmann darauf, „eben nach dem Badorte, um da mit einer kleinen deklamierenden und musikalischen Akademie von einigen Schauspielen meines Freundes auf seine Ankunft selber vorzubereiten.“ Sie blieb unter der schweren Freude kaum aufrecht; den zarten, nur an leichte Blüten gewohnten Zweig wollte fast das Fruchtgehänge niederbrechen. Sie zuckte mit einer Bewegung nach Niessens Hand, als wollte sie die Überbringerin solcher Schätze küssen, streckte ihre aber — heiss und rot über ihren, wie sie hoffte, unerratenen Fehlgriff — schnell nach der entfernten Türe des Missgeburtenkabinettes aus und sagte: „Da drin ist mein Vater, der sich freuen wird.“

Er fuhr fort: ,er wünsche eben ihn mehr kennenzulernen, da er dessen treffliche Werke, wiewohl als Laie, gelesen‘. Sie sprang nach der Türe. „Sie hörten mich nicht aus“, sagte er lächelnd. „Da ich nun im Wochenblatte die schöne Möglichkeit gelesen, zugleich mit einer Freundin meines Freundes und mit einem grossen Gelehrten zu reisen: —“ Hier aber setzte sie ins Kabinett hinein und zog den räuchernden Katzenberger mit einem ausgestopften Säbelschnäbler in der Hand ins Zimmer. Sie selber entlief ohne Schal über die Gasse, um ihrer schwangern Freundin Bona die schönste Neuigkeit und den Abschied zu sagen.

Sie musste aber jubeln und stürmen. Denn sie hatte vor einiger Zeit an den grossen Bühnendichter Theudobach — der bekanntlich mit Schiller und Kotzebue die drei deutschen Horazier ausmacht, die wir den drei tragischen Kuriaziern Frankreichs und Griechenlands entgegensetzen — in der Kühnheit des langen geistigen Liebestrankes der Jugendzeit unter ihrem Namen geschrieben, ohne Vater und Freundin zu fragen, und hatte ihm gleichsam in einem warmen Gewitterregen ihres Herzens alle Tränen und Blitze gezeigt, die er wie ein Sonnengott in ihr geschaffen und gesammelt hatte. Selig, wer bewundert und den unbekannten Gott schon auf der Erde als bekannten antrifft! — Im Briefchen hatte sie noch über ein umlaufendes Gerücht seiner Badreise nach Maulbronn gefragt und die seinige unter die Antriebe der ihrigen gefetzt. Alle ihre schönsten Wünsche hatte nun sein Blatt erfüllt.

4. Summula

Bona

Bona — die Frau des Umgelders Mehlhorn — und Theoda blieben zwei Milchschwestern der Freundschaft, welche Katzenberger nicht auseinandertreiben konnte, er mochte an ihnen so viel scheidekünsteln, als er wollte. Theoda nun trug ihr brausendes Saitenspiel der Freude in die Abschiedsstunde zur Freundin; und reichte ihr Theudobachs Brief, zwang sie aber, zu gleicher Zeit dessen Inhalt durchzusehen und von ihr anzuhören. Bona suchte es zu vereinigen und blickte mehrmals zuhorchend zu ihr auf, sobald sie einige Zeilen gelesen: „So nimmst du gewiss einen recht frohen Abschied von hier?“ sagte sie. „Den frohesten“, versetzte Theoda. — „Sei nur deine Ankunft auch so, du springfedriges Wesen! Bringe uns besonders dein beschnittenes, aufgeworfnes Näschen wieder zurück und dein Backenrot! Aber dein deutsches Herz wird ewig französisches Blut umtreiben“, sagte Bona. Theoda hatte in mein Wesenchen hinein!“ sagte Theoda. „Ich tu es schon, denn ich kenne dich“, fuhr jene fort. „Schon ein Mann ist im Ganzen ein halber Schelm, ein abgefeinerter Mann vollends, ein Theaterschreiber aber ist gar ein fünfviertels Dieb; dennoch wirst du, fürchte ich, in Maulbronn vor deinem teuern Dichter mit deinem ganzen Herzen herausbrausen und -platzen und hundert ungestüme Dinge tun, nach denen freilich dein Vater nichts fragt, aber wohl ich.“

„Wie, Bona, fürcht ich denn den grossen Dichter nicht? Kaum ihn anzusehen, geschweige anzureden wag ich!“ sagte sie. „Vor Kotzebue wolltest du dich auch scheuen; und tatest doch dann keck und mausig“, sagte Bona. — „Ach, innerlich nicht“, versetzte sie.

Allerdings nähern die Weiber sich hohen Häuptern und grossen Köpfen — was keine Tautologie ist — mit einer weniger blöden Verworrenheit als die Männer; indes ist hier Schein in allen Ecken; ihre Blödigkeit vor dem Gegenstande verkleidet sich in die gewöhnliche vor dem Geschlecht; — der Gegenstand der Verehrung findet selber etwas zu verehren vor sich — und muss sich zu zeigen suchen, wie die Frau sich zu decken; — und endlich bauet jede auf ihr Gesicht. „Man küsst manchem heiligen Vater den Pantoffel, unter den man ihn zuletzt selber bekommt“, kann jede denken.

„Und was wäre es denn“, fuhr Theoda fort, „wenn ein dichtertolles Mädchen einem Herder oder Goethe öffentlich auf einem Tanzsaale um den Hals fiele?“ —

„Tu es nur deinem Theudobach“, sagte Bona, „so weiss man endlich, wer du heiraten willst!“ „Jeden — versprech ich dir — der nachkommt; hab ich nur einmal meinen männlichen Gott gesehen und ein wenig angebetet: dann spring ich gern nach Hause und verlobe mich in der Kirche mit seinem ersten besten Küster oder Balgtreter und behalte jenen im Herzen, diesen am Halse.“

Bona riet ihr, wenigstens den Herrn von Niess, wenn er mitfahre, unterwegs recht über seinen Freund Theudobach auszuhorchen, und bat sie noch einmal um weibliche Schleichtritte. Sie versprach’s ihr und deshalb noch einen täglichen Bericht ihrer Badreise dazu. Sie schien nach Hause zu trachten, um zu sehen, ob ihr Vater den Edelmann in seine Adoptionsloge der Kutsche aufgenommen. Unter dem langen festen Kusse, wo Tränen aus dem Augen beider Freundinnen drangen, fragte Bona: „Wann kommst du wieder?“ — „Wenn du niederkommst. — Meine Kundschafter sind bestellt. — Dann laufe ich im Notfalle meinem Vater zu Fusse davon, um dich zu pflegen und zu warten. Oh, wie wollt ich noch zehnmal froher reisen, wär alles mit dir vorüber.“ — „Dies ist leicht möglich“, dachte Bona im andern Sinne und zwang sich sehr, die wehmütigen Empfindungen einer Schwangern, die vielleicht zwei Todespforten entgegengeht, und die Gedanken: dies ist vielleicht der Abschied von allen Abschieden, hinter weinende Wünsche zurückzustecken, um ihr das schöne Abendrot ihrer Freude nicht zu verfinstern.

5. Summula

Herr von Niess

Wer war dieser ziemlich unbekannte Herr von Niess? Ich habe vor, noch vor dem Ende dieses Perioden den Leser zu überraschen durch die Nachricht, dass zwischen ihm und dem Dichter Theudobach, von welchem er das Briefchen mitgebracht, eine so innige Freundschaft bestand, dass sie beide nicht bloss eine Seele in zwei Körpern, sondern gar nur in einem Körper ausmachten, kurz eine Person. Nämlich Niess hiess Niess, hatte aber, als auftretender Bühnendichter, um seinen dünnen Alltagsnamen den Festnamen Theudobach wie einen Königsmantel umgeworfen und war daher in vielen Gegenden Deutschlands weit mehr unter dem angenommenen Namen als unter dem eignen bekannt, so wie von dem hier schreibenden Verfasser vielleicht ganze Städte, wenn nicht Weltteile, es nicht wissen, dass er sich Richter schreibt, obgleich es freilich auch andre gibt, die wieder seinen Paradenamen nicht kennen. Gleichwohl gelangten alle Mädchenbriefe leicht unter der Aufschrift Theudobach an der Dichter Niess — bloss durch die Oberzeremonienmeister oder Hofmarschälle der Autoren; man macht nämlich einen Umschlag an die Verleger.

Nun hatte Niess als ein überall berühmter Bühnendichter sich längst vorgelegt, einen Badort zu besuchen, als den schicklichsten Ort, den ein Autor voll Lorbeeren, der gern ein lebendiges Pantheon um sich aufführte, zu erwählen hat, besonders wegen des vornehmen Morgentrinkgelags und der Maskenfreiheiten und des Kongresses des Reichtums und der Bildung solcher Örter. Er erteilte dem Bade Maulbronn, das seine Stücke jeden Sommer spielte, den Preis jenes Besuches; nur aber wollt’ er, um seine Abenteuer pikanter und scherzhafter zu haben, allda inkognito unter seinem eignen Namen Niess anlangen, den Badgästen eine musikalisch-deklamatorische Akademie von Theudobachs Stücket geben; und dann gerade, wenn der sämtliche Hörzirkel am Angelhaken der Bewunderung zappelte und schnalzte, sich unversehens langsam in die Höhe richten und mit Rührung und Schamröte sagen: endlich muss mein Herz überfliessen und verraten, um zu danken; denn ich bin selbst der weit überschätzte Theaterdichter Theudobach, der es für unsittlich hält, so aufrichtige Äusserungen, statt sie zu erwidern, an der Türe der Anonymität bloss zu behorchen. Dies war sein leichter dramatischer Entwurf. In einigen Zeitungen veranlasste er deshalb noch den Artikel: der bekannte Theaterdichter Theudobach werde, wie man vernehme, dieses Jahr das Bad Maulbronn gebrauchen.

Da es gegen meine Absicht wäre, wenn ich durch das Vorige ein zweideutiges Streiflicht auf den Dichter würfe: so versprech ich hier förmlich, weiter unten den Lauf der Geschichte aufzuhalten, um auseinanderzusetzen, warum ein grosser Theaterdichter viel leichter und gerechter ein grosser Narr wird als ein andrer Autor von Gewicht; wozu schon meine Beweise seines grössern Beifalls, hoff ich, ausreichen sollen.

Niess wusste also recht gut, was er war, nämlich eine Bravour-Arie in der dichterischen Sphärenmusik, ein geistiger Kaisertee, wenn andere (z. B. viele unschuldige Leser dieses) nur braunen Tee vorstellen. Es ist überhaupt ein eignes Gefühl, ein grosser Mann zu sein — ich berufe mich auf der Leser eignes — und den ganzen Tag in einem angebornen geistigen Cour- und Kuranzuge um herzulaufen; aber Niess hatte dieses Gefühl noch stärker und seiner als einer. — Er konnte sein Haar nicht auskämmen, ohne daran zu denken, welchen feurigen Kopf der Kamm (seinen Anbeterinnen vielleicht so kostbar als ein Goldkamm) regle, lichte, egge und beherrsche, und wie eben so manches Goldhaar, um welches sich die Anbeterinnen für Haarringe raufen würden, ganz gleichgültig dem Kamm in den Zähnen stecken bleibe als sonst dem Mexiko das Gold. — Er konnte durch kein Stadttor einfahren, ohne es heimlich zu einem Triumphtor seiner selber und der Einwohner unter dem Schwibbogen auszubauen, weil er aus eigner jugendlicher Erfahrung noch gut wusste, wie sehr ein grosser Mann labe — und sah daher zuweilen dem Namenregistrator des Tors stark ins Gesicht, wenn er gesagt: Theudobach, um zu merken, ob der Tropf jetzt ausser sich komme oder nicht. — Ja er konnte zuletzt in Hotels voll Gäste schwer auf einem gewissen einsitzigen Orte sitzen, ohne zu bedenken, welches Eden vielleicht mancher mit ihm zugleich im Gasthofe übernachtenden Jünglingsseele, die noch jugendlich die Autor-Achtung übertreibt, zuzuwenden wäre, wenn sie sich darauf setzte und erführe, wer früher da gewesen. „Oh, so gerne will ich jeden Winkel heiligen zum gelobten Lande für Seelen, die etwas aus meiner machen — und mit jedem Stiefelabsage auf dem schlimmsten Wege wie ein Heiliger verehrte Fusstapfen ausprägen auf meiner Lebensbahn, sobald ich nur weiss, dass ich Freude errege.“

Sobald Niess Theodas Brief erhalten — worin die zufällige Hochzeit der Namen Theoda und Thendobach ihn auf beiden Fusssohlen kitzelte —, so nahm er ohne weiteres mit einer Handvoll Extrapostgeld den Umweg über Pira, um der Anbeterin, wie ein homerischer Gott, in der anonymen Wolke zu erscheinen; und sobald er vollends in der vorletzten Station im Piraner Wochenblatte die Anzeige des Doktors gelesen, so war er noch mehr entschieden; dazu nämlich, dass sein Bedienter reiten und sein Wagen heimlich nachkommen sollte.

In diesen weniger geld- als abgabenreichen Zeiten mag es vielleicht Niessen empfehlen, wenn ich drucken lasse, dass er Geld hatte und danach nichts fragte, und dass er durch Liebe und Wert ihn für alle jene bezahlte und belohnte.

Mit dem ersten Blick hatte er den ganzen Doktor ausgegründet, der mit schlagen grauen Blitzangen vor ihn trat, den Säbelschnäbler streichelnd; Niess legte — nach einer kurzen Anzeige seiner Person und seines Gesuchs — ein Röllchen Gold auf den Nähtisch mit dem Schwure: ,nur unter dieser Bedingung aller Auslagen nehm’ er das Glück an, einem der grössten Zergliederer gegenüber zu sein‘. — „Fiat! Es gefällt mir ganz, dass Sie rückwärts fahren, ohne zu vomieren; dazu bin ich verdorben durch die Jahre.“ Der Doktor fügte noch bei, dass er sich freue, mit dem Freunde eines berühmten Dichters zu fahren, da er von jeher Dichter fleissig gelesen, obwohl mehr für physiologische und anatomische Zwecke und oft fast bloss zum Spasse über sie. „Es soll mir überhaupt lieb sein“, fuhr er fort, „wenn wir uns gegenseitig fassen und wie Salze einander neutralisieren. Leider hab ich das Unglück, dass ich, wenn ich im Wagen oder sonst jemand etwas sogenanntes Unangenehmes sage, für satirisch verschrien werde, als ob man nicht jedem ohne alle Satire das ins Gesicht sagen könne, was er aus Dummheit ist. Indes gefällt Ihnen der Vater nicht, so sitzt doch die Tochter da, nämlich meine, die nach keinem Manne fragt, nicht einmal nach dem Vater; misslingt der Winterban, sagen die Wetterkundigen, so gerät der Sommerbau. Ich fand’s oft.“

Dem Dichter Niess gefiel dieses akademische Petrefakt unendlich, und er wünschte nur, der Mann trieb’ es noch ärger, damit er ihn gar studieren und vermauern könnte in ein Possenspiel als komische Maske und Karyatide. „Vielleicht ist auch die Tochter zu verbrauchen in einem Trauerspiele“, dacht’ er, als Theoda eintraf, die von nachweinender Liebe und von Jugendfrische glänzte, und die durch die frohe Nachricht seiner Mitfahrt neue Strahlen bekam. Jetzo wollte er sich in ein interessantes Gespräch mit ihr verwickeln; aber der Doktor, dem die Aussicht auf einen Abendgast nicht heiter vorkam, schnitt es ab durch den Befehl, sie solle sein Kästchen mit Pockengift, Fleischbrühtafeln und Zergliederungszeuge packen. „Wir brechen mit dem Tage auf“, sagte er, „und ich lege mich nach wenigen Stunden nieder. Sic vale!“

Der Menschenkenner Niess entfernte sich mit dem eiligsten Gehorsam; er hatte sogleich heraus, dass er für den Doktor keine Gesellschaft sei — leichter dieser eine für ihn. Allerdings äusserte Katzenberger gern einige Grobheit gegen Gäste, bei denen nichts Gelehrtes zu holen war, und er gab sogar den Tisch lieber her als die Zeit. Es war für jeden angenehm zu sehen, was er bei einem Fremden, der, weder besonders ausgezeichnet durch Gelehrsamkeit doch durch Krankheit, gar nicht abgehen wollte, für Seitensprünge machte, um ihn zum Lebewohl und Abscheiden zu bringen; wie er die Uhr aufzog, in Schweigen einsank oder in ein Horchen nach einem nahen lautlosen Zimmer, oder wie er die unschuldigste Bewegung des Fremden auf dem Kanapee sogleich zu einem Vorläufer des Aufbruchs verdrehte und scheidend selber in die Höhe sprang mit der Frage, warum er denn so eile. Beide Meckel hingegen, die Anatomen, Vater und Sohn zugleich, hätte der Doktor tagelang mit Luft bewirtet.

6. Summula

Fortsetzung der Abreise durch Fortsetzung des Abschieds

Am Morgen tat oder war Theoda in der weiblichen Weltgeschichte nicht nur das achte Wunder der Welt — sie war nämlich so früh fertig als die Männer —, sondern auch das neunte, sie war noch eher fertig. Gleichwohl musste man auf sie warten — wie auf jede. Es war ihr nämlich die ganze Nacht vorgekommen, dass sie gestern sich durch ihren Freudenungestüm und ihre reisetrunkne Eilfertigkeit bei einem Abschiede von einer Freundin vollends versündigt, deren helle ungetrübte Besonnenheit bisher die Leiterin ihres Brauseherzens gewesen — so wie wieder die Leiterin des zu überwölkten Gattenkopfs — und welche ihre versteckte Wärme immer bloss in ein kaltes Lichtgeben eingekleidet; — und von dieser Freundin so nahe an der Klippe des weiblichen Lebens eilig und freudig geschieden zu sein — dieser Gedanke trieb Theoda gewaltsam noch einmal in der Morgendämmerung zu ihr. Sie fand das Haus offen (Mehlhorn war früh verreiset), und sie kam ungehindert in Bonas Schlafgemach. Blass wie eine von der Nacht geschlossene Lilie ruhte ihr stilles Gesicht im altväterischen Stuhle umgesunken angelehnt. Theoda küsste eine Locke — dann leise die Stirn — dann, als sie zu schnarchen anfing, gar den Mund.

Aber plötzlich hob die Verstellte die Arme auf und umschlang die Freundin: „Bist du denn wieder zurück, Liebe“, sagte wie traumtrunken Bona, „und bloss wohl, weil du deinen Dichter nicht da gefunden?”

„Oh, spotte viel stärker über die Sünderin, tue mir recht innig weh, denn ich verdiene es wohl von gestern her!“ antwortete sie und nannte ihr alles, was ihr feuriges Herz drückte. Bona legte die Wange an ihre und konnte, vom vorfrühen Aufstehen ohnehin sehr aufgelöset, nichts sagen, bis Theoda heftig sagte: „Schilt oder vergib!“ so dass jener die heissen Tränen aus sen Augen schossen und nun beide sich in einer Entzückung verstanden.. „Oh, jetzo möchte ich“, sagte Theoda, „mein Blut, wie dieses Morgenrot, vertropfen lassen für dich. Ach, ich bin eigentlich so sanft; warum bin ich denn so wild, Bona?“ — „Gegen mich bist du gerade recht”, erwiderte sie; „nur einmal das beste Wesen kann dein wildes verdienen. Bloss gegen andere sei anders!“ — „Ich vergesse“, sagte Theoda, „bloss immer alles, was ich sagen will oder leider gesagt habe; nur ein Ding wie ich konnte es gestern zu sagen vergessen, dass ich mich am innigsten nach der erleuchteten Höhle in Maulbronn wie nach dem Sternenhimmel meiner Kindheit sehne, meiner guten Mutter halber.“ Ihr war nämlich ein unauslöschliches Bild von der Stunde geblieben, wo ihre Mutter sie als Kind in einer grossen, mit Lampen erhellten Zauberhöhle des Orts — ähnlich der Höhle im Bade Liebenstein — umhergetragen hatte.

Beide waren nun ein ruhiges Herz. Bona hiess sie zum Vater eilen — wiederholte ihren Rat der Vorsicht mit aller ihr möglichen Ruhr (ist sie fort, dachte sie, so kann ich gerührt sein, wie ich will), vergass sich aber selber, als Theoda weinend mit gesenktem Kopfe langsam von ihr ging, dass sie nachrief: „Mein Herz, ich kann nur nicht aufstehen vor besonderer Mattigkeit und dich begleiten; aber kehre ja deshalb nicht wieder um zu mir!“ Aber sie war schon umgekehrt und nahm, obwohl stumm, den dritten Abschiedskuss; und so kam sie mit der Augenröte des Abschiedes und mit der Wangen- und Morgenröte des Tags laufend bei den Abreisenden an.

7. Summula

Fortgesetzte Fortsetzung der Abreise

Da der Doktor neben dem Edelmanne auf ihre Ankunft wartete: so liess er noch ein Werk der Liebe durch Flex ausüben, seinen Bedienten. Er griff nämlich unter seine Weste hinein und zog einen mit Branntwein getränkten Pfefferkuchen hervor, den er bisher als ein Magenschild zum bessern Verdauen auf der Herzgrube getragen: „Flex“, sagte er, „hier bringe mein Stärkmittel drüben den untern Gerberskindern; sie sollen sich aber redlich darein teilen.“ — Der Edelmann stutzte.

„Meiner Tochter, Herr von Niess“, sagte er, „dürfen Sie nichts sagen; — sie hat ordentlich Ekel vor dem Ekel — wiewohl ich, für meine Person, finde hierin weder einfachen noch doppelten nötig. Alles ist Haut am Menschen, und meinte am Bauche ist nur die fortgesetzte von der an den Wangen, die ja alle Welt küsst. Vor den Augen der Vernunft ist das Pflaster ein Pfefferkuchen wie jeder andere im Herzogtume, ja mir ein noch geistigerer.“

„Ich gestehe“, versetzte der sich leicht ekelnde Dichter schnell, um nur dem bösen Bilde zu entspringen, „dass mich Ihr Bedienter mit seinem langen Schlepprocke fast komisch interessiert. Wie ich ihm nachsah, schien er mir ordentlich auf Knien zu gehen, wie sonst ein Sieger zum Tempel des Jupiter capitolinus, oder aus der Erde zu wachsen.“

Freundlich antwortete Katzenberger: „Ich habe es gern, wenn meine Leute mir oder andern lächerlich vorkommen, weil man doch etwas hat alsdann. Mein Flex trägt nun von Geburt an glücklicherweise kurze Dachsbeine, und auch diese sogar äusserst zirkumflektiert, dass, wenn sein Rock lang genug ist, sein Steiss und sein Weg, ohne dass er nur sitzt, halb beisammen bleiben. Diesen komischen Schein seiner Trauerschleppe nütz ich ökonomisch. Ich habe nämlich einen und denselben längsten Lakaienrock, den jeder tragen muss, Goliath wie David. Diese Freigebigkeit entzweiete mich oft mit dem Piraner Prosetztor, sonst mein Herzensfreund, aber ein geiziger Hund, der Leute en robe courte — aber nicht en longue robe — hat, und denen er die Röcke zu kurzen nenmodischen Westen (nicht zu altmodischen) einschnurren lässt. Set ich nun seintem Geize mein Muster entgegen: so verweiset er mich auf die anatomischen Tafeln, nach denen unter den Gegenmuskeln der Hand der Muskel, der sie zuschliesse, stets viel stärker sei als der, welcher sie aufmacht, und zu jenem Muskel gehöre noch die Seele, wenn Geld damit zu halten sei. Daher die Freunde auch die Hände leichter gegeneinander ballen als ausstrecken. Etwas ist daran.“