Dr. Norden Bestseller 180 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 180 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. »Ein Dr. Conrad möchte Sie sprechen, Chef«, sagte Loni. »Es scheint dringend zu sein.« Dr. Daniel Norden war gerade im Behandlungsraum und hatte ein EKG gemacht. »Jochen Conrad?« fragte er spontan. »Den Vornamen hat er nicht genannt«, erwiderte Loni. »Helfen Sie Herrn Zeller, Loni. Er muß sich eh ein bißchen verschnaufen!« Er eilte ans Telefon, meldete sich und sagte dann freudig: »Menschenskind, hört man von dir auch mal wieder was, Jochen?« Was er aber hörte, gefiel ihm weniger. »Ja, ich erinnere mich gut an Harling, Jochen. Als er umzog, habe ich ihm empfohlen, dich aufzusuchen, wenn ihm was fehlt.« Wieder lauschte er. »Was? Das klingt aber gar nicht gut. Darüber sollten wir uns unterhalten. Freilich bin ich bereit, dem guten Harling Mut zu machen. Bei mir sitzt bloß noch das Wartezimmer voll. Wann könnten wir uns treffen? Kannst du nicht mal mit Carola zu uns kommen, wäre doch nett.« »Ach so, dann kommst du eben allein. Gleich heute abend? Fein, wenn du sowieso noch zu deiner Mutter willst, ist es ja kein Umweg.« Er hatte dann keine Zeit mehr, über Dr. Jochen Conrad, den Internisten, nachzudenken, mit dem er ein paar Semester studiert hatte. Er hatte viel zu tun. Zuerst mußte er Herrn Zeller eindringlich ermahnen, doch endlich das Rauchen einzustellen, aber da stieß er auf Widerspruch. »Auf meine alten Tage? Ich gehe auf die Siebzig zu, Herr Doktor. Die Zeit, die mir noch bleibt, möchte ich so leben wie bisher und nichts entbehren.« »Dann bräuchten Sie aber auch nicht zum Doktor zu kommen, Herr Zeller«, sagte Daniel. Sein Patient zwinkerte vergnügt. »Ich

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Dr. Norden Bestseller – 180 –

Die Stimme des Blutes

Patricia Vandenberg

»Ein Dr. Conrad möchte Sie sprechen, Chef«, sagte Loni. »Es scheint dringend zu sein.«

Dr. Daniel Norden war gerade im Behandlungsraum und hatte ein EKG gemacht.

»Jochen Conrad?« fragte er spontan.

»Den Vornamen hat er nicht genannt«, erwiderte Loni.

»Helfen Sie Herrn Zeller, Loni. Er muß sich eh ein bißchen verschnaufen!«

Er eilte ans Telefon, meldete sich und sagte dann freudig: »Menschenskind, hört man von dir auch mal wieder was, Jochen?«

Was er aber hörte, gefiel ihm weniger. »Ja, ich erinnere mich gut an Harling, Jochen. Als er umzog, habe ich ihm empfohlen, dich aufzusuchen, wenn ihm was fehlt.«

Wieder lauschte er. »Was? Das klingt aber gar nicht gut. Darüber sollten wir uns unterhalten. Freilich bin ich bereit, dem guten Harling Mut zu machen. Bei mir sitzt bloß noch das Wartezimmer voll. Wann könnten wir uns treffen? Kannst du nicht mal mit Carola zu uns kommen, wäre doch nett.«

»Ach so, dann kommst du eben allein. Gleich heute abend? Fein, wenn du sowieso noch zu deiner Mutter willst, ist es ja kein Umweg.«

Er hatte dann keine Zeit mehr, über Dr. Jochen Conrad, den Internisten, nachzudenken, mit dem er ein paar Semester studiert hatte. Er hatte viel zu tun.

Zuerst mußte er Herrn Zeller eindringlich ermahnen, doch endlich das Rauchen einzustellen, aber da stieß er auf Widerspruch.

»Auf meine alten Tage? Ich gehe auf die Siebzig zu, Herr Doktor. Die Zeit, die mir noch bleibt, möchte ich so leben wie bisher und nichts entbehren.«

»Dann bräuchten Sie aber auch nicht zum Doktor zu kommen, Herr Zeller«, sagte Daniel.

Sein Patient zwinkerte vergnügt. »Ich will ja meine Beiträge für die teure Privatversicherung nicht ganz umsonst zahlen, und wenn ich schon abkratzen muß, dann sollen sie wenigstens noch eine saftige Krankenhausrechnung bekommen. An mir haben sie bisher nur verdient, obgleich mir die Zigaretten und das Bier geschmeckt haben. Ja, wenn noch jemand da wäre, der versorgt werden müßte, wäre es was anderes, aber wenn ich mal zu meinem guten Tinchen in den Himmel komme, wird sie es mir schon nicht übelnehmen, daß ich sie allzulange warten ließ.«

Er hatte seine eigene Philosophie, und Dr. Norden konnte es ihm nicht mal übelnehmen. Nach dem EKG mußte er nur die Befürchtungen hegen, daß Tinchen Zeller nicht mehr lange auf ihren Mann zu warten brauchte, aber wenn einer so den Tatsachen ins Auge blickte, wie dieser Patient waren weitere Ermahnungen fehl am Platz.

Bis zur Mittagspause kam Dr. Daniel Norden nicht mehr zum Nachdenken. Zu Hause, im privaten Bereich, das weitgehendst von der Praxis getrennt bleiben sollte, stand das Mittagessen schon bereit. Die Kinder waren aus der Schule gekommen, die kleine Anneka, die noch nicht zur Schule gehen mußte, hatte ihren Papi noch ein paar Minuten für sich, da ihre Brüder Danny und Felix sich erst mal gründlichst die Hände waschen mußten. Das war verflixt nötig, und diesbezüglich war Fee Norden auch unnachsichtig.

»Heute abend kommt Jochen Conrad mal auf einen Sprung vorbei«, sagte Daniel beiläufig.

»Jesses, gibt es den hier auch noch«, rief Fee aus. »Kommt Carola nicht auch mit?«

»Da scheint es nicht mehr so zu stimmen. Na, mal sehen, was er zu berichten hat. Es geht vor allem um Richard Harling.«

*

Die Begrüßung war herzlich. Fee und Daniel stellten nur fest, daß Jochen Conrad müde wirkte, sogar deprimiert.

»Euch sieht man es an, daß alles in bester Ordnung ist«, sagte er mit einem Unterton, der zu denken gab. Aber zuerst sprachen sie über Richard Harling.

»Kommst du mit ihm nicht zurecht, Jochen?« fragte Daniel. »Ich weiß, daß er schwierig ist.«

»Für ihn bist du der Größte, Daniel«, erwiderte Jochen Conrad neidlos. »Ich nehme es ihm nicht übel, aber es würde halt für ihn zu beschwerlich werden, wenn er täglich zu dir in die Praxis kommen müßte.«

»Täglich? Steht es so schlimm?«

»Schlimm genug. Die Nieren arbeiten nicht mehr, der Kreislauf ist äußerst labil. Von einer Operation wollte er nichts wissen, bis ich sagte, daß ich mich mit dir besprechen will. Ich war so frei, uns als gute Freunde zu bezeichnen.«

»Das sind wir ja wohl auch, wenn wir uns auch so selten sehen«, meinte Daniel. »Ich begreife nur nicht ganz, daß sich sein Zustand so verschlechtert hat.«

»Ich war auch erschrocken. Er hat mit seiner Tochter eine Weltreise gemacht, wohl um sie von diesem Mann wegzubringen.«

»Von welchem Mann?« fragte Fee.

»Ach, das wißt ihr noch nicht? Sie hat sich doch in so einen Popsänger verliebt, der nun wirklich nicht Harlings geistigem Niveau entspricht. Und er hat nun mal nach dem Tod seiner Frau sein ganzes Herz an Melanie gehängt. Aber sie kommt von diesem Burschen nicht los, und nun fürchtet er auch noch, daß sie drogensüchtig wird wie dieser Alain Bruneau.«

»Sie ist doch erst siebzehn«, sagte Fee leise.

»Gerade achtzehn geworden, und Harling hat ihr ein rauschendes Fest gegeben zur Volljährigkeit, obwohl er doch für rauschende Feste gar nichts übrig hat. Und der Eklat kam auch gleich hinterher. Melanie erklärte ihrem Vater, daß sie nun volljährig sei und machen könne, was sie wolle, und das hat ihn umgeworfen. Jedenfalls ist Melanie mit diesem Burschen auf und davon, und Harling ist parterre. Ich glaube, du bist der einzige, Daniel, der bei ihm noch etwas erreichen kann. Ich bin momentan selbst in einer miesen Situation.«

»Trinken wir ein Gläschen Sekt?« fragte Fee. »Und gegen ein paar belegte Brote wirst du hoffentlich auch nichts einzuwenden haben, Jochen.«

»Wird dankend angenommen. Hast du meinen Magen knurren hören?« Er lächelte verlegen. »Ich bin direkt aus der Praxis gekommen. Carola ist nämlich verreist. Sebastian ist bei meiner Mutter.«

Das war nur eine Einleitung. Man konnte ihm ansehen, daß da Ernsteres dahinter steckte. Das Thema Harling wurde vorerst zurückgestellt.

»Carola hat ein Angebot aus Hannover bekommen«, erklärte Jochen dann. »Sie kann in ein Röntgeninstitut einsteigen. Sie hatte ja mit dem Erbe ihres Vaters immer so was vor und wollte mich dazu überreden, mitzumachen. Aber ich sehe meine Lebensaufgabe nicht darin, immer nur das Innere der Patienten zu durchleuchten. Ich möchte zu ihnen Kontakt haben, mit dem ganzen Menschen zu tun haben.«

»Verstehe ich«, sagte Daniel.

Fee warf Jochen einen schrägen Blick zu. »Hannover ist ziemlich weit«, sagte sie.

Jochen preßte die Fingerspitzen aneinander. »Anscheinend sind wir ins siebte kritische Ehejahr gelangt«, meinte er heiser. »Sie ist ehrgeiziger als ich. Ich meine halt, daß ein Kind auch Anrecht darauf hat, daß seine Eltern Zeit haben. Du bist beneidenswert, Daniel, daß Fee der Familie zuliebe auf ihren Beruf verzichtet hat.«

»Ich bin sehr glücklich darüber und Fee sehr dankbar«, sagte Daniel, »aber wir haben ja auch drei Kinder.«

»Ich hätte ja nichts dagegen gehabt, wenn Carola halbtags weitergearbeitet hätte, wie es ja geplant war, aber leider hat der Tod ihres Vaters bewirkt, daß sie schneller reich werden will.«

»Was willst du damit sagen?« fragte Daniel nachdenklich.

»Nun, mein Schwiegervater hat sich in seiner Praxis wirklich abgerackert, und er ist grad sechzig Jahre alt geworden, und hinterlassen hat er an die hundertzwanzigtausend Mark, die Carola bekommt. Zu wenig, meint Carola, für so viele Jahre Arbeit. Auf der Beerdigung ihres Vaters hat sie dann diesen Dr. Böhmer kennengelernt, der dieses Röntgeninstitut leitet. Seither hat sie den Höhenflug angetreten. Vielleicht steckt auch der Mann selbst dahinter.«

»Eure Ehe schien doch durchaus glücklich«, sagte Daniel gedankenvoll.

»War sie auch. Die große Liebe, aber eine Studentenliebe. Ich war ja ein paar Jahre älter als du, als ich mit dem Studium beginnen konnte, Daniel, und dann habe ich auch ein paar Semester länger gebraucht, um den Facharzt zu machen. Und Carolas Vater war stocksauer, weil wir geheiratet haben, bevor wir mit dem Studium fertig waren. Wir haben uns ziemlich hart getan, denn so viel Geld hatte ich ja auch nicht. Aber es ging alles gut, bis ich die Praxis abbezahlt hatte. Carola hat in der Klinik ja das verdient, was wir für den Haushalt brauchten, und meine Mutter hat für Sebastian gesorgt.« Er hielt inne. »Es ist blöd, daß ich euch was vorjammere, da ihr mir schon so viel kostbare Zeit widmet.«

»Red keinen Unsinn«, widersprach Daniel. »Meinst du nicht, daß Carola sich das alles genau überlegen wird?«

»Ich habe nicht viel Hoffnung.«

»Red doch mal ganz vernünftig mit ihr«, sagte Fee.

»Das habe ich versucht, aber selbst Sebastian interessiert sie nur am Rand. Sie meint, daß er bei meiner Mutter gut aufgehoben sei, und ich würde ihr noch dankbar sein, wenn sie uns ein gutes Polster für den Lebensabend verschaffen würde.«

»Aber das besagt doch wenigstens, daß sie nicht an Trennung denkt«, meinte Daniel.

»Jetzt noch nicht, aber ihr wißt doch, wie das ist, wenn jeder seinen Weg geht. Man entfremdet sich. Da beißt keine Maus einen Faden ab.« Er erhob sich. »Ich bin euch sehr dankbar, daß ihr Zeit für mich hattet. Ich muß noch zu Mutter. Sebastian soll wenigstens wissen, daß sein Vater ihn nicht vergißt.«

Es klang sehr bitter, und darauf wußten Fee und Daniel nichts zu sagen.

»Wie verbleiben wir mit Harling?« fragte Daniel.

»Sprich doch bitte mal mit Dieter Behnisch, wann er ein Einzelzimmer frei hat, und wenn du dann mit Harling sprechen würdest, wird er vielleicht doch zugänglicher.«

»Man kann es versuchen«, erwiderte Daniel. »Wäre nett, wenn wir uns öfter sehen würden, Jochen.«

»Wenn ich euch nicht auf den Wecker falle?«

»Na, hör mal. Und Sebastian kann doch öfter mal mit unseren Kindern spielen.«

Das war Jochen Conrads zweites Problem, denn Sebastian wollte überhaupt nicht mit anderen Kindern spielen. Aber davon sagte er nichts, weil er dann noch länger geblieben wäre.

»Hoffentlich kommt Carola noch zur Vernunft«, sagte Fee.

»Vielleicht steckt doch ein anderer Mann dahinter«, meinte Daniel. »Ich verstehe solche Frauen nicht, die einen netten Mann und ein Kind haben, und nur ans Geldverdienen denken.«

»Es gibt auch besessene Röntgenärzte.«

»Liebe Güte, sie müssen sein, und ich will durchaus nicht die Behauptung aufstellen, daß alle geldgierig sind. Wir brauchen sie verdammt nötig, aber schließlich ist Jochen kein Versager. Er hat einen sehr guten Ruf und verdient bestimmt auch gut. Sie haben aus Liebe geheiratet.«

»Als sie beide nichts hatten.«

»So schlecht ist es ihnen auch nicht gegangen. Kurz treten mußten die meisten am Anfang.«

Aber Hannelore Conrad hatte geholfen, wo sie nur konnte. Sie hatte eine hohe Hypothek aufgenommen auf das schuldenfreie Haus, das ihr fürsorglicher Mann ihr hinterlassen hatte, der sich von seinen schweren Kriegsverletzungen nie ganz erholt hatte.

Auch sie hatte ihre Sorgen gehabt, aber tapfer durchgehalten, als der geliebte Mann ihr dann genommen wurde, als Jochen gerade mit dem Studium begann. Ihr Mann hatte gewünscht, daß er Arzt werden sollte, ihr war das ein Vermächtnis gewesen.

Jochens Vater war als Oberarzt aus dem Krieg heimgekommen. Er war beinamputiert und hatte nicht mehr als Chirurg tätig sein können. Er hatte in einem Forschungszentrum gearbeitet und jede Mark zurückgelegt, damit sein einziger Sohn einmal eine eigene Praxis haben konnte, wie er sie sich gewünscht hatte.

Aber er hatte auch für seine Frau gesorgt. Ein hübsches kleines Haus hatte auch Jochen und Carola davor bewahrt, viel Geld für Miete ausgeben zu müssen. Hannelore Conrad hatte ihre Schwiegertochter ohne Vorurteile willkommen geheißen. Jochen liebte das Mädchen, also wollte sie auch ihr Mutter sein, und sie hatten sich immer verstanden, auch dann, als die Praxis eingerichtet wurde und sie die Wohnung im gleichen Haus mieteten. Daß der kleine Sebastian, als er dann erst laufen konnte, lieber bei seiner Omi war, weil er da einen Garten hatte, in dem er spielen konnte, war von seinen Eltern lächelnd akzeptiert worden. Ja, sie waren froh um die Omi, die rührend für das Kind sorgte, während sie ihrer Arbeit nachgingen.

Hannelore genoß das Enkelkind mehr als den eigenen Sohn, da sie damals, als er klein war, auch für ihren Mann sorgen mußte.

Aber so wurde Sebastian dann auch zu einem Omakind, ohne daß es Hannelore oder seinen Eltern bewußt wurde. Er freute sich, wenn er mit seinen Eltern beisammensein konnte, aber noch mehr freute er sich dann, wenn er wieder von der Omi umsorgt wurde.

Allein Jochen war das bewußt geworden, aber als er zum erstenmal mit Carola darüber sprach, sagte sie nur lachend: »Wir können doch froh sein. Mutti ist nicht egoistisch. Und für sie ist es doch wunderbar, daß sie nicht allein ist.« Da hatte Jochen sie für diese Worte noch dankbar geküßt.

Aber mehr und mehr hatte er doch gespürt, daß sie sich durch die großmütterliche Fürsorge nicht nur entlastet, sondern auch ungebunden fühlen konnte, und dann hatte er sogar einen Schock bekommen, als sie energisch erklärte, daß sie kein zweites Kind haben wolle, mit den Worten: »Das können wir Mutti doch nicht zumuten.«

»Jetzt bräuchtest du nicht mehr zu arbeiten«, hatte er gesagt.

»Meinst du, ich wäre zufrieden, nur Hausfrau und Mutter zu sein?« war ihre Antwort. »Nein, dazu habe ich nicht studiert. Ich habe mir auch beruflich ein Ziel gesetzt. Ich will nicht, daß du der Alleinernährer der Familie bist, Jochen. Ich denke dabei auch an dein berufliches Fortkommen. Und in der heutigen Zeit genügt ein Kind.«

Hannelore Conrad empfing ihren Sohn, trotz der schon späten Stunde, ohne Vorwurf. Sie war klug und diplomatisch. Sie machte nicht den Fehler, allein die Partei ihres Sohnes zu ergreifen.

»Bastian wird noch nicht schlafen«, sagte sie. »Er hat auf dich gewartet.«

»Ich hatte noch eine Unterredung mit Daniel Norden. Davon später.«

Leise stieg er die Treppe zum Kinderzimmer empor, das mit sehr viel Liebe eingerichtet worden war, weitaus fröhlicher als jenes in der Wohnung.

Sebastian sei ja doch die meiste Zeit bei Mutti, war Carolas Argument gewesen. Er brauche ja nicht alles doppelt und dreifach zu haben.

Müde blinzelte der Junge seinen Papi an, aber ein glückliches Lächeln huschte über sein blasses Gesichtchen. Es wird Zeit, daß sich das Wetter bessert und er mehr an die frische Luft kommt, dachte Jochen.

»Fehlt dir was, Bastian?« fragte er.

»Bloß du«, flüsterte der Kleine müde. »Aber jetzt kann ich schlafen. Du fährst doch nicht auch weg, Papi?«

»Nein, ich habe nur viel zu tun, aber am Wochenende machen wir einen schönen Ausflug.«

»Ist Mami dann wieder da?«

»Das weiß ich noch nicht.«

»Sie kann doch wenigstens mal eine Karte schreiben. Omi liest sie mir schon vor.«

Sie könnte auch mal anrufen und sich nach dem Jungen erkundigen, dachte Jochen.

Das Kind schlief ein, als Jochen seine Wange streichelte. Leise ging er wieder hinunter.

»Hast du überhaupt schon was gegessen, Jochen?« fragte seine Mutter.

»Bei Nordens ein paar Brote. Ich habe keinen Hunger.«

»Auch nicht auf Bohnensuppe?« fragte sie lächelnd. Sie wußte genau, daß er da nicht nein sagen würde. Sie war besorgt, weil er schon wieder abgenommen hatte, aber auch das behielt sie für sich.

»Wie geht es denn den Nordens?« erkundigte sie sich.

»Bestens, da stimmt alles«, erwiderte er. »Ich mußte mit Daniel über Harling sprechen.«

Hannelore hatte Frau Harling ganz gut gekannt. Sie hatten beide für ein Wohltätigkeitskomitee gearbeitet.

»Er hätte in seiner gewohnten Umgebung bleiben sollen«, sagte sie. »Alte Bäume soll man nicht verpflanzen.«

»Er ist nicht viel älter als du, Mutti«, sage Jochen.

»Mich würde ich auch nicht mehr verpflanzen lassen«, bemerkte sie. »Aber Melanie war es zu spießig in dieser Gegend. Er hat ihr jeden Wunsch erfüllt.«

»Und nun sitzt er allein in der Stadtwohnung«, sagte Jochen.

»Ist sie durchgebrannt?« fragte Hannelore.

Jochen nickte. »Mit diesem Popsänger.«

»Dieses törichte Mädchen. Hoffentlich dreht er ihr mal den Geldhahn zu. Wir leben in einer verrückten Zelt. Es ist für einen Mann in seiner Position doppelt schlimm.«

»Er wird vorzeitig in Pension gehen, gehen müssen«, sagte Jochen. »Darüber sollte ich nicht reden.«

»Du kannst sicher sein, daß ich es für mich behalte.«

Dann herrschte eine Weile Schweigen, und er aß seine Bohnensuppe.

»Du fragst nicht nach Carola?« kam es dann stockend über seine Lippen.

»Du wirst schon reden, wenn du willst«, erwiderte sie. »Und ich denke, daß sie sich alles dreimal überlegen wird.«

»Und wenn nicht?«

Hannelore zuckte die Schultern. »Dann braucht sie sicher länger, um sich zu entscheiden. Ich glaube nicht, daß sie eine Trennung will. Sie hat sich von diesen Emanzen anstecken lassen.«

»Deine Toleranz und Gelassenheit möchte ich haben, Mutti«, sagte er.

»Carola ist nicht so ein Dummchen, das sich nur auf Kosten des Ehemannes ein angenehmes Leben verschafft.«

»Du warst auch kein Dummchen, Mutti.«

»Ich hatte einen Mann, der schwer leidend war und mich brauchte.«

»Fee Norden ist auch kein Dummchen«, sagte er bockig. »Daniel ist ein zufriedener, glücklicher Mann, und die Kinder haben eine liebevolle Mutter.«

»Sebastian geht nichts ab.«