Romina - ein Mädchen mit Herz - Patricia Vandenberg - E-Book

Romina - ein Mädchen mit Herz E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Es war Freitag, der Dreizehnte, und achtzehn Uhr. Dr. Norden war nicht abergläubisch, aber es war ein wahrhaft schrecklicher Tag. Dreimal war er zu Unfällen gerufen worden, die durch plötzliches Glatteis verursacht worden waren, und bei einem hatte es zwei Schwerverletzte gegeben, die in die Behnisch-Klinik gebracht worden waren. Er wollte seinem Kollegen und Freund Dr. Behnisch helfen und saß wie auf Kohlen, denn bei Anneliese Ludolf, die jetzt in seinem Sprechzimmer saß, ging es nur um seelische Probleme. »Ich schaffe das einfach nicht mehr. Ich weiß nicht, wie es noch weitergehen soll, Herr Doktor«, hatte sie gerade gesagt, als das Telefon wieder läutete. »Wieder die Behnisch-Klinik«, tönte Lonis Stimme aus der Sprechanlage. »Dr. Behnisch bittet dringend um Ihre Hilfe.« »Gut, ich komme«, sagte Dr. Norden. »Frau Ludolf, haben Sie bitte Verständnis. Ich nehme Sie mit. Ihre Wohnung liegt ja auf dem Weg, und auf der Fahrt können Sie mir sagen, wie ich Ihnen helfen kann. Wir sind heute arg im Druck wegen des Glatteises.« »Wenn es mich treffen würde, was könnte mir Besseres passieren«, sagte Anneliese Ludolf tonlos. »Ich möchte gern noch leben«, erwiderte Dr. Norden. »Meine Frau und meine fünf Kinder warten zu Hause.« »Und ich habe nur den einen Sohn, und er ergreift die Partei meines Mannes«, sagte sie leise, während sie apathisch zu ihm ins Auto stieg. »Ich habe nichts mehr, nach fünfundzwanzig Jahren. Was habe ich denn falsch gemacht?« »Wir werden in aller Ruhe darüber sprechen, wenn ich mehr Zeit habe, Frau Ludolf«, sagte Dr. Norden. »Mein Gott, sehen Sie doch, da

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Dr. Norden Bestseller –220–

Romina - ein Mädchen mit Herz

Patricia Vandenberg

Es war Freitag, der Dreizehnte, und achtzehn Uhr. Dr. Norden war nicht abergläubisch, aber es war ein wahrhaft schrecklicher Tag. Dreimal war er zu Unfällen gerufen worden, die durch plötzliches Glatteis verursacht worden waren, und bei einem hatte es zwei Schwerverletzte gegeben, die in die Behnisch-Klinik gebracht worden waren. Er wollte seinem Kollegen und Freund Dr. Behnisch helfen und saß wie auf Kohlen, denn bei Anneliese Ludolf, die jetzt in seinem Sprechzimmer saß, ging es nur um seelische Probleme.

»Ich schaffe das einfach nicht mehr. Ich weiß nicht, wie es noch weitergehen soll, Herr Doktor«, hatte sie gerade gesagt, als das Telefon wieder läutete.

»Wieder die Behnisch-Klinik«, tönte Lonis Stimme aus der Sprechanlage. »Dr. Behnisch bittet dringend um Ihre Hilfe.«

»Gut, ich komme«, sagte Dr. Norden. »Frau Ludolf, haben Sie bitte Verständnis. Ich nehme Sie mit. Ihre Wohnung liegt ja auf dem Weg, und auf der Fahrt können Sie mir sagen, wie ich Ihnen helfen kann. Wir sind heute arg im Druck wegen des Glatteises.«

»Wenn es mich treffen würde, was könnte mir Besseres passieren«, sagte Anneliese Ludolf tonlos.

»Ich möchte gern noch leben«, erwiderte Dr. Norden. »Meine Frau und meine fünf Kinder warten zu Hause.«

»Und ich habe nur den einen Sohn, und er ergreift die Partei meines Mannes«, sagte sie leise, während sie apathisch zu ihm ins Auto stieg. »Ich habe nichts mehr, nach fünfundzwanzig Jahren. Was habe ich denn falsch gemacht?«

»Wir werden in aller Ruhe darüber sprechen, wenn ich mehr Zeit habe, Frau Ludolf«, sagte Dr. Norden. »Mein Gott, sehen Sie doch, da vorn hängen schon wieder zwei Wagen ineinander.«

»Ich habe immer solche Angst gehabt um Bernd, und dann auch um Jürgen, als er einen Wagen bekam«, murmelte sie. »Aber ich habe nie gedacht, dass wir uns im Leben trennen, mitten im Leben.«

Dr. Norden dachte jetzt nur, ob er da vorn noch helfen könnte. Er hielt an. »Warten Sie«, sagte er, »vielleicht wird ein Arzt gebraucht. Heute sind ja alle verfügbaren im Einsatz.«

Und er wurde gebraucht. »Schon der sechste Unfall auf dieser verfluchten Straße«, meinte ein junger Polizist, »und es kommt kein Notarztwagen. Da hat nur ein Mädchen noch eine Chance, die anderen sind alle tot, und schuld ist wieder mal so ein Verrückter, der anscheinend zu einem Faschingsfest wollte.«

Er redete, selbst noch unter dem Schock stehend, den dieser entsetzliche Anblick bot. Dr. Norden hatte solches auch noch nie gesehen, obgleich er oft zu Unfällen gerufen wurde. Aber da lag ein junges Mädchen am Straßenrand, und es lebte noch. Jetzt lebte es noch, aber er wusste, dass schnelle Hilfe nötig war.

»Ich nehme sie mit zur Behnisch-Klinik«, sagte Dr. Norden. »Jede Minute ist kostbar.«

In diesem Wirrwarr hätte er gar nichts sagen brauchen. Zwei in sich verkeilte Autos, vier Tote, da waren diese jungen Polizisten, die auf Hilfe bisher vergeblich gewartet hatten, überfordert. Aber an diesem Tag schien ohnehin die Hölle los zu sein.

»O Gott«, stöhnte Anneliese Ludolf, als Dr. Norden das Mädchen brachte.

»Jammern Sie nicht«, sagte er rau. »Sie sind gesund, und hier geht es um Leben oder Tod.«

Und dann erlebte er eine Überraschung. »Ich setze mich nach hinten«, sagte Anneliese Ludolf. »Vielleicht kann ich durch Mund-zu-Mundbeatmung helfen, während Sie fahren. So fahren Sie doch schon«, drängte sie, als sie rasch die Verletzte in den Arm genommen hatte.

Sie hatte so schnell reagiert, dass Dr. Norden später noch lange darüber nachdenken musste, weil er dann Anneliese Ludolfs Probleme aus einer anderen Sicht betrachten musste als bisher. Ihre Geistesgegenwart nötigte ihm nur Bewunderung ab, als sie die Behnisch-Klinik erreicht hatten. Sie hielt das Mädchen im Arm, sie beatmete es immer noch, und ihr war es völlig gleichgültig, dass ihre Kleidung von Blut getränkt war.

Als das Mädchen auf eine Trage gehoben wurde, lief sie nebenher. »Wenn sie die gleiche Blutgruppe hat wie ich, stelle ich mich zur Verfügung«, rief sie atemlos. »Hören Sie, Dr. Norden?«

»Ja, ich höre«, erwiderte er. »Wollen Sie nicht lieber ein Taxi nehmen und nach Hause fahren, Frau Ludolf?«

»Was denken Sie eigentlich von mir«, meinte sie. »Ich war doch Krankenschwester, bevor ich geheiratet habe. Haben Sie das vergessen?«

Er hatte es vergessen in diesen dramatischen Minuten. Es waren nur Minuten, aber diese hatten ein junges Leben gerettet, und niemand konnte ahnen, welche Bedeutung es für Anneliese Ludolfs Leben haben sollte.

*

»Sie sind ja voller Blut«, sagte eine junge Schwester zu Anneliese. »Möchten Sie sich waschen? Kleidung können wir Ihnen ja nicht geben, oder nur einen Kittel.«

»Das ist doch unwichtig«, Anneliese blickte auf ihre Hände. »Ja, waschen würde ich mich schon gern«, murmelte sie.

»Dr. Norden hat gesagt, dass wir Ihnen ein Taxi bestellen sollen. Er muss noch bleiben«, erklärte die junge Krankenschwester.

»Ich werde auch bleiben«, erwiderte Anneliese. »Wie heißen Sie?«

»Petra.«

»Und wie alt sind Sie?«

»Achtzehn. Bitte, wenn Sie mir zum Waschraum folgen wollen?«

Was geht mich das alles eigentlich an, ging es Anneliese Ludolf durch den Sinn, als sie der jungen Schwester folgte. Und wie war ich eigentlich, als ich achtzehn war?

»Sind Sie gern Krankenschwester?«, fragte sie mechanisch.

»Ja, sehr gern.«

Sollte ich jetzt nicht sagen, dass ich auch gern diesen Beruf ergriff, überlegte Anneliese. Warum sagte sie es nicht?

Sie wusch sich die Hände, das Gesicht und blickte in den Spiegel. Sie war blass, aber alt sah ihr Gesicht doch nicht aus? Warum hatte Bernd sie verlassen, warum ergriff Jürgen seine Partei?

»Es war sicher ein teures Kostüm«, meinte Schwester Petra. »Blutflecken sind so schwer zu beseitigen.«

»Das ist doch nicht wichtig«, sagte Anneliese. Warum habe ich bei diesem Wetter dieses Kostüm überhaupt angezogen, überlegte sie. Es ist doch noch gar nicht Frühling, noch lange nicht.

Und dann trat sie wieder auf den Gang, und Dr. Jenny Behnisch kam.

»Sie sind Frau Ludolf?«, fragte sie.

»Ja, die bin ich.«

»Dr. Norden sagte, dass Sie bereit wären, für die Verletzte Blut zu spenden.«

Anneliese nickte.

»Wenn es möglich ist?«

»Dr. Norden kennt Sie. Sie haben zufällig die gleiche Blutgruppe. Ich bin Jenny Behnisch.«

»Freut mich, Sie kennenzulernen«, murmelte Anneliese mechanisch. »Ich helfe gern.«

»Sie haben sich wirklich schon als sehr mutig erwiesen«, stellte Jenny nun fest. »Das Kostüm ist verdorben.«

»Das macht nichts. Ein Leben bedeutet doch mehr, und sie ist noch so jung.«

Und schnelle Hilfe tat not, um dieses junge Leben zu retten. Anneliese Ludolf trug dazu bei, und zum ersten Mal seit vielen Tagen dachte sie nicht an ihre eigenen Sorgen.

Dr. Norden brachte sie nach Hause. »Wird sie durchkommen?«, fragte Anneliese leise.

»Wir hoffen es.«

»Wissen Sie schon Näheres, wie sie heißt, ob sie Angehörige hat?«

»Noch nichts Genaues. Wir werden es schon noch erfahren. Kommen Sie morgen gegen zehn Uhr in meine Praxis, Frau Ludolf, dann haben wir Zeit, über Ihre Nöte zu sprechen.«

»Das ist jetzt nicht mehr so wichtig«, erwiderte sie. »Aber vielleicht kann ich etwas für dieses arme Menschenkind tun. Vielleicht hat sie jetzt auch niemanden mehr.«

»Morgen werden wir mehr wissen«, erwiderte Dr. Norden. »Tausend Dank für Ihre Hilfe.«

*

Fee Norden hatte mit Hangen und Bangen auf ihren Mann gewartet. Erleichtert umarmte sie ihn, als er endlich kam. »Heute könnte man wirklich abergläubisch werden«, sagte sie. »Es ist ja entsetzlich, was alles passiert ist. Lenni ist aus dem Zittern schon gar nicht mehr herausgekommen.«

Bei Lenni war solches doppelt verständlich, denn sie hatte ihren Mann und ihre Mutter auch durch einen tragischen Autounfall verloren, und wenngleich es nun auch schon Jahre zurücklag, fürchtete sie jetzt um das Leben derer, die ihr am nächsten standen.

»Bei den Behnischs ging es wirklich drunter und drüber«, erzählte Daniel. »Sie wussten nicht, wohin zuerst. Als sie mich um Hilfe baten, wollte ich Frau Ludolf noch schnell heimbringen, weil das ja kein Umweg war, und da geriet ich dann in diesen schrecklichen Unfall. Vier Tote, nur das Mädchen lebt noch.«

»Im Radio sagten sie vorhin, dass es sich um eine italienische Familie handeln soll, die auf der Heimfahrt war«, sagte Fee.

»Ich weiß noch gar nichts Genaues. Aber da Frau Ludolf so schnell zur Blutspende bereit war, ist zu hoffen, dass das Leben des Mädchens gerettet wird.«

»Ob dem Kind daran liegen wird?«, meinte Fee beklommen. Dann trat Schweigen ein. »Und was ist eigentlich mit Frau Ludolf?«, lenkte Fee dann ab.

»Ehekrise, und der Sohn hält zum Vater. Morgen werde ich mehr erfahren.«

»Ich verstehe das nicht. Sie ist doch eine so nette Frau, aber manchen Männern scheint es nicht zu bekommen, wenn sie Karriere machen und dann in den zweiten Frühling kommen.«

*

Ja, das mochte es sein, wenn es Anneliese auch nicht verstehen konnte. Sie wanderte nun durch das hübsche Haus, aber sie fragte sich nun unwillkürlich, wie ihr zumute wäre, wenn ihrem Mann und ihrem Sohn so Schreckliches passieren würde, wie sie es heute gesehen hatte. Warum rief wenigstens Jürgen nicht mal an? Hatte er schon ganz vergessen, dass er auch eine Mutter hatte?

Aber dann dachte sie wieder an das Mädchen, das sie in den Armen gehalten hatte. Sie hatte sich zu dem Sohn sehr noch eine Tochter gewünscht, aber nach zwei Fehlgeburten hatte sie die Hoffnung für immer aufgeben müssen.

Aber da war ihre Ehe noch intakt gewesen und Bernd hatte sie getröstet, ihr gesagt, dass es wichtiger für ihn sei, wenn sie lebe.

Und nun? Jürgen war dreiundzwanzig, und in wenigen Monaten hätten sie die Silberne Hochzeit feiern können. Aber schon vor einem Jahr hatte sich plötzlich alles verändert, für sie anfangs noch verwirrend, da Bernd nun endlich sein Ziel erreicht hatte und den Direktorenposten bekam. Damit aber auch eine attraktive Sekretärin, die es sehr schnell verstanden hatte, den immer noch gut aussehenden Fünfziger zu umgarnen. Vor zwei Monaten hatte Bernd seiner Frau eröffnet, dass er die Niederlassung in Köln übernehmen müsse, nur vorübergehend, sodass ein Wohnungswechsel nicht nötig sei.

Da Jürgen ohnehin in Bonn studiere, wäre es wohl ganz gut, ihn ein bisschen unter Kontrolle zu haben. Und nicht ein einziges Wort war darüber verloren worden, dass sie für diese Monate mitkommen solle.

Das Haus konnte ja nicht alleingelassen werden, ihr Heim, das sie sich doch mühsam geschaffen hatten. Ja, Anneliese liebte es, dieses Haus. Sie liebte ihren Mann und ihren Sohn. Leicht hatten sie es anfangs ja nicht gehabt, aber sie hatte auch nicht einen Augenblick daran gedacht, dass sie einmal allein sein würde, als es ihnen dann so gut ging, wie sie es sich beide gewünscht und erträumt hatten, als sie sich das Jawort gaben.

Die ersten Jahre hatte sie noch als Krankenschwester gearbeitet, fleißig mitverdient, auch nach der Geburt von Jürgen. Aus all diesen Gedanken wurde Anneliese herausgerissen durch das Läuten des Telefons.

Sie nahm den Hörer ab und hielt den Atem an, als die Stimme von Jürgen an ihr Ohr tönte.

»Hallo, Mutti, wie geht es denn so?«, fragte er forsch. »Ich bin wieder im Lande und wollte mich zurückmelden.«

»Wo warst du denn?«, fragte sie tonlos.

»In England, auf einer Studienreise. Hast du meine Karte nicht bekommen?«

»Nein, ich habe keine Karte bekommen.«

»Diese Post, kein Verlass, aber du wirst doch nicht beleidigt sein. Vati wird es dir doch gesagt haben.«

»Nein, er hat es mir nicht gesagt.«

»Gibt es Differenzen? Du darfst das alles nicht so eng sehen. Du wolltest doch auch, dass er Karriere macht. Jetzt ist er eben im Stress. So was können Hausmütterchen eben nicht verstehen.«

»Du siehst also nur ein Hausmütterchen in mir. Nun, ihr werdet euch wundern«, begehrte sie auf.

»Liebe Güte, reg dich doch nicht gleich auf. Ich würde ja gern nach München kommen, aber mein Wagen ist kaputt und die Reparatur ist so teuer. Vati schießt mir auch nichts vor.«

Also, das ist es, dachte Anneliese. »Ich auch nicht«, sagte sie. »Du brauchst mich nicht zu besuchen. Ich habe jetzt sowieso keine Zeit.«

»Meine Güte, bist du sauer. Na, dann eben nicht. Tschüs«, sagte er, aber Anneliese hatte den Hörer schon aufgelegt. Ihr Herz klopfte bis zum Hals, aber da war noch ein anderes Gefühl, das sie nicht erklären konnte. Trotz? Nein, das war es nicht, das Wort »Hausmütterchen« war wie ein Stachel geblieben.

Sie schaltete den Fernseher an, ganz automatisch, um sich einfach nur abzulenken, und da sah sie noch einmal, was sie selbst ganz direkt erlebt hatte.

Jetzt sah sie es bewusster, wie schrecklich diese beiden Wagen ineinander verkeilt waren. »Bei den Insassen des Kombiwagens handelt es sich um eine italienische Familie, die die Rückfahrt in ihre Heimat angetreten hatte. Ein besonders tragischer Fall«, sagte der Sprecher. »Roberto Caserta war zwanzig Jahre bei einer Firma beschäftigt, die jetzt Konkurs anmelden musste. Seine beiden Kinder sind in Deutschland geboren. Seine Frau und der Sohn waren sofort tot. Die achtzehnjährige Tochter wurde schwerverletzt in eine Klinik gebracht. Der Unfallverursacher war betrunken.«

Das arme Kind, dachte Anneliese. Ein paar Minuten saß sie still da, dann aber griff sie zum Telefon und rief die Behnisch-Klinik an.

Für sie nahm sich Jenny Behnisch ein paar Minuten Zeit, aber was Anneliese dann sagte, überraschte sie doch.

»Ich war früher Krankenschwester, Frau Dr. Behnisch. Ich würde gern helfen, wenn Sie Unterstützung brauchen. Ich will dafür kein Geld. Ich kann mir nur denken, dass jemand bei dem Mädchen Nachtwache halten muss.«

»Fühlen Sie sich dazu fähig, Frau Ludolf, nach diesen Aufregungen?«, fragte Jenny.

»Ich könnte sowieso nicht schlafen. Ich bestelle mir gleich ein Taxi.«

»Wir nehmen Ihre Hilfe dankbar an«, sagte Jenny.

So was gibt es auch noch, dachte Dr. Jenny Behnisch, als sie den Hörer auflegte.

*

Jürgen rief seinen Vater an, nachdem das Gespräch mit seiner Mutter ihn doch beunruhigt hatte. Und noch mehr beunruhigte es ihn dann, als sich eine weibliche Stimme meldete. Er kannte sie. Es war Tina Lenz.

»Wir sind gerade in einer wichtigen Besprechung«, sagte sie hastig, als er seinen Vater zu sprechen wünschte.

»Kann ich später noch mal anrufen, oder ruft er vielleicht zurück?«, fragte Jürgen.

Getuschel folgte, das er nicht verstehen konnte, dann sagte Tina, dass sein Vater zurückrufen würde.

Die wichtige Besprechung zwischen Bernd Ludolf und Tina Lenz war allerdings privater Natur, wenngleich in recht gespannter Atmosphäre.

»Lange mache ich das nicht mehr mit, Bernd«, meinte Tina. »Du musst dich endlich mal entscheiden. Man hat dir doch das Angebot gemacht, für immer hierzubleiben. Warum zögerst du noch?«

»Unser oberster Chef denkt da wohl ein bisschen anders als du«, sagte er. »Scheidung und dann gleich eine neue Frau? Und als Sekretärin wärest du dann auch nicht mehr tragbar für ihn.«

»Ich habe auch nicht die Absicht, dann weiterhin deine Sekretärin zu sein«, meinte sie ironisch. »Aber immerhin gibt es auch noch andere Männer, mein Lieber.«

»Zum Beispiel jüngere, mit denen du in Bars herumflittern kannst«, erwiderte er nun gereizt.

»Wenn du geschäftlich so beansprucht bist, und dich mit mir nicht in der Öffentlichkeit zeigen willst«, spottete sie. »So wahre ich doch nur deinen Ruf, Bernd. Ich verhalte mich doch fair. Und jetzt verlasse ich dich auch wieder. Du kannst in dich gehen und auch in aller Ruhe mit deinem Sohn telefonieren. Ich bin keineswegs neugierig. Und diese Wohnung gefällt mir sowieso nicht. Was erwartest du eigentlich von mir?«

Ja, was hatte er erwartet? Er war sich ja selbst nicht im Klaren darüber. Hier und da mal ein kleiner Flirt, dem war er auch früher nicht abhold gewesen, aber riskiert hatte er nie etwas dabei. Erst Tina hatte es vermocht, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, in dieses Abenteuer zu locken. Aber jetzt schon merkte er, was er alles vermisste, was früher alles so selbstverständlich für ihn gewesen war. Und dann war da ja auch noch das Schuldbewusstsein Annelie gegenüber. Streit hatte es doch nie zwischen ihnen gegeben. Mal kleine Meinungsverschiedenheiten, aber sie hatte immer nachgegeben.

So eine spießige Ehe passe doch gar nicht zu ihm, hatte Tina mal gesagt, und da hatte er sich plötzlich eingeredet und noch mehr einreden lassen, dass er doch wahrhaftig mehr noch vom Leben erwarten könne.

Nun war er wieder allein. Tina war davongeflattert. Gemütlich war die Wohnung wirklich nicht, die man ihm zur Verfügung gestellt hatte, aber er hatte insgeheim gedacht, dass Tina sie gemütlicher machen würde. Aber sie dachte gar nicht daran. Sie erzählte ihm, dass sie jenes oder dieses kaufen würde, und er gab ihr Geld. Und dann kam sie mit einem Kleid, einem Mantel oder teuren Schuhen daher und zwitscherte, dass ihr das gerade gefallen hätte und ihm wolle sie doch auch gefallen. So war Annelie eben nicht gewesen. Sie hatte immer zuletzt an sich gedacht.

Er rief Jürgen an und fragte ihn, was denn sei. Auch mit Jürgen hatte es einige Differenzen gegeben.

»Hast du die Tippse immer noch bei dir, Vati?«, fragte Jürgen. »Ein bisschen komisch kommt mir das schon langsam vor.«

»Ich habe dich gefragt, was du wolltest«, sagte Bernd gereizt.