Dr. Norden Bestseller 354 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book

Dr. Norden Bestseller 354 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist. Es war ein schöner Frühlingsabend. Ostern stand vor der Tür, und Dr. Daniel Norden war mal früher als sonst aus der Praxis nach Hause gekommen. »Wollen wir vor dem Abendessen nicht noch eine Runde drehen, Feelein?« fragte er. Der Gesundheit zuliebe hatten sie sich Fahrräder angeschafft, weil es ihren drei »Großen« Freude machte, wenn sie mit den Eltern fahren konnten. »Ich müßte noch die Kostenvoranschläge durchsehen, Daniel«, erwiderte Fee seufzend. »Ach was, laß das doch liegen, besprich es mit Jost, der weiß doch in allem Bescheid, und seine Frau versteht auch mehr davon als du.« Er hatte zwar zugestimmt, das alte Haus wegen seines schönen Grundstücks von den Rüdings zu kaufen, aber mit dem Drumherum wollte er nichts zu tun haben, das hatte er Fee gleich gesagt. Es wäre auch zuviel verlangt gewesen. Sie hatten den Architekten Carlo Jost beauftragt, ein familiengerechtes Haus zu entwerfen, und da er selbst zwei Kinder hatte und auch noch mehr dazu haben wollte, war er der richtige Mann. Mit seiner Frau Eva hatte sich Fee schon angefreundet, aber sie wollte sie doch nicht mit allen Kostenvoranschlägen belasten, die für die Sonderwünsche eingeholt worden waren. Aber zu teuer sollte das neue Haus natürlich auch nicht werden, denn der Abriß des alten war schon teurer gekommen, als Fee vermutet hatte. »Meinst du, ich kann Eva damit kommen?« fragte Fee, die an diesem schönen Abend lieber auch noch eine kleine Radtour machen wollte. »Na klar, sie kriegen die Karten für Davids Konzert und werden einen Freudensprung machen, und eine Hand wäscht die andere, sagt man doch.« David Delorme gab nächste Woche mal wieder ein Konzert in München. Der berühmte Pianist und Dirigent war mit den Nordens verwandt, denn er war mit Fees Stiefschwester Katja verheiratet.

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Dr. Norden Bestseller – 354 –

Das Mädchen aus Finnland

Patricia Vandenberg

Es war ein schöner Frühlingsabend. Ostern stand vor der Tür, und Dr. Daniel Norden war mal früher als sonst aus der Praxis nach Hause gekommen.

»Wollen wir vor dem Abendessen nicht noch eine Runde drehen, Feelein?« fragte er. Der Gesundheit zuliebe hatten sie sich Fahrräder angeschafft, weil es ihren drei »Großen« Freude machte, wenn sie mit den Eltern fahren konnten.

»Ich müßte noch die Kostenvoranschläge durchsehen, Daniel«, erwiderte Fee seufzend.

»Ach was, laß das doch liegen, besprich es mit Jost, der weiß doch in allem Bescheid, und seine Frau versteht auch mehr davon als du.«

Er hatte zwar zugestimmt, das alte Haus wegen seines schönen Grundstücks von den Rüdings zu kaufen, aber mit dem Drumherum wollte er nichts zu tun haben, das hatte er Fee gleich gesagt. Es wäre auch zuviel verlangt gewesen.

Sie hatten den Architekten Carlo Jost beauftragt, ein familiengerechtes Haus zu entwerfen, und da er selbst zwei Kinder hatte und auch noch mehr dazu haben wollte, war er der richtige Mann. Mit seiner Frau Eva hatte sich Fee schon angefreundet, aber sie wollte sie doch nicht mit allen Kostenvoranschlägen belasten, die für die Sonderwünsche eingeholt worden waren. Aber zu teuer sollte das neue Haus natürlich auch nicht werden, denn der Abriß des alten war schon teurer gekommen, als Fee vermutet hatte.

»Meinst du, ich kann Eva damit kommen?« fragte Fee, die an diesem schönen Abend lieber auch noch eine kleine Radtour machen wollte.

»Na klar, sie kriegen die Karten für Davids Konzert und werden einen Freudensprung machen, und eine Hand wäscht die andere, sagt man doch.«

David Delorme gab nächste Woche mal wieder ein Konzert in München. Der berühmte Pianist und Dirigent war mit den Nordens verwandt, denn er war mit Fees Stiefschwester Katja verheiratet. Sie fühlten sich zwar eher als Schwestern, aber sie hatten beide verschiedene Eltern und Fees Vater Dr. Cornelius war in zweiter Ehe mit Katjas Mutter Anne verheiratet.

Sie hingen alle sehr aneinander und waren zu einer harmonischen Familie zusammengewachsen. Es war jedes Mal ein Fest, wenn sie sich alle trafen, aber diesmal wollte Katja mit den Kindern Marc und Bébé auf der Insel der Hoffnung bleiben, weil sie drei die französische Grippe noch nicht ganz überstanden hatten. David wohnte immer lieber in seiner Stammpension als bei den Nordens, weil er seine Ruhe brauchte und es im Hause Norden mit den fünf Kindern doch recht turbulent zuging. Aber sie würden sich natürlich treffen.

Das Ehepaar Jost war musikbegeistert. Sie wußten, daß David Delorme mit den Nordens verwandt war und hatten ganz dezent angefragt, ob sie vielleicht über sie noch Karten bekommen könnten, da das Konzert schon wieder so schnell ausverkauft war. Und Fee hatte gleich vier Karten reservieren lassen.

Die Kostenvoranschläge blieben also liegen, und die drei Kinder Danny, Felix und Anneka waren begeistert, daß sie mit den Eltern noch ein halbes Stündchen radeln würden.

Lenni brachte indessen die Zwillinge ins Bett, da gab es keine Schwierigkeiten. Lenni gehörte auch zur Familie.

Bei den Josts war es seit einiger Zeit die junge Finnin Donata, die die beiden Kinder Tim und Sarah betreute. Sie waren vier und zwei Jahre. Eva Jost hatte sich nur schwer entschließen können, ein Kindermädchen ins Haus zu nehmen, aber mit Donata hatte sie einen guten Griff getan, wenn Donata auch sehr eigenartige Fähigkeiten hatte, wie sich mit der Zeit herausstellte. Sie hatte das zweite Gesicht, obgleich Donata selbst dies so nicht sehen wollte.

Donata war als Sportstudentin mit einer Gruppe Leichtathleten nach München gekommen, und der Bus war in einen Verkehrsunfall verwickelt worden. Dabei wurde Donata als Einzige ziemlich schwer verletzt, kam in die Behnisch-Klinik und mußte dort drei Wochen ärztlich betreut werden. Ihre Gruppe war schon wieder abgereist, und sie wollte gern bleiben. Da hatten ihr die Behnischs die Stellung bei der Jost-Familie vermittelt, die in ihrer Nachbarschaft wohnte, und es war zu aller Zufriedenheit ausgegangen. Donata war zwar keine ausgebildete Kinderschwester, aber sie hatte ein ganz besonderes Gespür für Kinder. Und sie hatte tatsächlich den siebten Sinn, wie man bald feststellen konnte.

Einmal hatte sie zu Carlo Jost gesagt, er solle an diesem Tag lieber nicht zur Bank gehen, und da war die Bank tatsächlich überfallen worden. Ein anderes Mal warnte sie die Zugehfrau, an einem Wintertag mit dem Rad zu fahren. Die hörte nicht und stürzte schwer.

Auf Evas Frage, wie sie zu solchen Prognosen käme, erwiderte sie mit einem Lächeln, daß ihr so was manchmal einfach in den Sinn käme.

Man konnte ihr die Kinder unbesorgt anvertrauen, denn sie schien tatsächlich immer vorauszuahnen, wenn irgendeine Gefahr vorhanden war. Sie entpuppte sich als regelrechter Schutzengel.

Die Kinder liebten sie. Sie war fröhlich, ausgeglichen und überaus wachsam.

Sie hatte sich einen Platz im Hause Jost und in deren Herzen erobert, und niemand wollte daran denken, daß sie eines Tages wieder gehen würde.

Die Nordens radelten zur Gartenstraße, wo die Josts wohnten, um ihnen die Konzertkarten zu bringen, und da wollte man sie nicht gleich wieder weglassen. Aber sie wollten sich nicht aufhalten, denn ihren Zwillingen mußten sie auch noch gute Nacht sagen.

Eva und Carlo freuten sich mächtig auf das Konzert, und Carlo fragte gleich, ob sie anschließend noch einen Umtrunk machen könnten.

»Wird sich machen lassen, denn David hat das nach dem Konzert auch gern«, meinte Fee. »Wir verabreden uns dann noch. Aber darf ich Sie mal wegen der Kostenvoranschläge belästigen?«

»Ist doch keine Belästigung«, erwiderte Carlo, »es gehört ja mit zu meinen Aufgaben, aber ich wollte doch gern, daß Sie Vergleiche haben.«

»Mir wäre es aber lieber, wenn wir uns darüber unterhalten könnten«, sagte Fee. »Mein Mann will davon ja nichts wissen. Ein bißchen unsicher bin ich schon, und wir müssen uns ja auch ein Limit setzen.«

»Wir kriegen das schon hin. Ich hoffe, daß mit dem Bau bald begonnen werden kann.«

»Bei uns eilt es ja nicht«, sagte Daniel, der manchmal Alpträume bekam, wenn er an den Umzug und die Neueinrichtung der Praxis in dem jetzigen Wohnhaus dachte, aber im Grunde war ihm die Lösung doch recht willkommen, weil es ihm in seinen jetzigen Praxisräumen zu laut geworden war, da ständig irgendwo gebaut und gehämmert wurde.

Donata kam vom Obergeschoß, als sich die Nordens verabschiedeten. Sie war blaß.

»Ist etwas, Do?« fragte Eva.

»Ich glaube, drüben ist etwas passiert«, sagte Donata mit klangloser Stimme. »Der Mann ist nicht gut.«

»Du sollst dir nicht so viele Gedanken machen, Do«, sagte Eva sanft.

»Ich mache mir keine Gedanken, sie kommen von selbst«, erwiderte Donata.

Sie war ein apartes Mädchen mit einem reinen Gesicht, Augen, die klar wie Bergseen waren, und man meinte auf den Grund ihrer Seele blicken zu können, die doch so rätselhaft war.

Eva und Carlo nahmen alles ernst, was sie sagte, und auch Daniel konnte nicht darüber lächeln. Fee war ohnehin empfänglich für so außergewöhnliche Eigenschaften.

Sie wußten auch, wer im Nebenhaus wohnte, denn Daniel hatte Joachim Wandrey bis zu seinem Tode fast täglich besucht und ärztlich betreut, und seine Tochter Sabrina kam noch öfter in die Praxis, wenn ihr etwas fehlte.

»Dieser Maruhn ist wirklich ein unsympathischer Mann«, sagte Eva leise zu Fee, »ich verstehe nicht, wie sich Frau Wandrey mit ihm einlassen konnte, denn eigentlich ist sie doch eine nette Frau. Sabrina scheint sehr zu leiden. Sie ist nur noch ein Strich in der Landschaft. Es ist schon arg, wenn man da so hilflos zusehen muß, aber man kann sich ja nicht einmischen.«

Von solcher Einmischung hielt Daniel Norden auch nichts, aber ihm tat Sabrina ebenfalls leid.

Jetzt brauste dort ein Sportwagen mit aufheulendem Motor los. Fast hätte er Dannys Fahrrad gerammt.

»So ein unverschämter Lackl«, sagte Danny empört, »aber langsam ist er schon stadtbekannt mit seiner Raserei. Ihr müßt ihn doch mal anzeigen.«

»Wir haben das heute erstmals mitbekommen«, sagte Daniel, »aber wenn ich Zeuge von noch schlimmeren Vergehen wäre, würde ich ihn anzeigen. Und außerdem würde ich gern mal mit Sabrina sprechen«, sagte er leise zu Fee.

»Man kann sich doch nicht einmischen«, erwiderte sie.

Aber es wäre recht interessant gewesen, wenn sie von der Debatte zwischen Mutter und Tochter Wandrey etwas mitbekommen hätten.

»Wie lange willst du dir das noch gefallen lassen, Mama?« fragte Sabrina eisig. »Haut einfach mit deinem Wagen ab, weil er seinen zu Schrott gefahren hat, und ich möchte nicht wissen, wie viele Autos da schon auf der Strecke geblieben sind, und wie viele Frauen!«

Irene war kreidebleich geworden.

»Er hört nicht auf mich«, murmelte sie.

»Du hättest aber auf mich hören sollen, bevor du dich mit diesem Kerl liiert hast. Papa würde sich im Grabe umdrehen, und glaube nur ja nicht, daß ich noch Achtung vor dir habe. Ich denke, ich werde jetzt das Gericht bemühen müssen, damit du nicht

um alles gebracht wirst. Du scheinst den Verstand verloren zu haben.«

»Bitte, laß uns doch vernünftig miteinander reden, Sabrina«, flüsterte Irene bebend.

»Vernünftig?« spottete das Mädchen, »mit dir kann man doch nicht mehr vernünftig reden, du bist ihm ja hörig. Aber ich mache das nicht mehr mit. Morgen gehe ich zum Anwalt. Und jetzt fahre ich in die Oper.«

»Ich würde so gern mitkommen«, murmelte Irene.

»Ich habe nur eine Karte. Du hast doch alles aufgegeben für diesen Blender, diesen Schmarotzer, der sich hier breitmacht. Aber es ist auch mein Haus, das sage ich zum letzten Mal. Und wenn du nicht zur Vernunft kommst, lasse ich dich auch vor die Tür setzen.«

Das junge Gesicht war hart und die Stimme, die sonst so klangvoll war, auch. Sabrina studierte Musik, und sie brachte alles mit, um eine gute Geigerin zu werden. Sie mochte sinfonische Musik lieber als die Oper, aber es gehörte auch zu ihrem Studium, in die Oper zu gehen.

Ihre Mutter lief ihr nach. »Hab’ doch bitte ein bißchen Verständnis«, jammerte sie. »Fred hatte viel Pech, er meint alles nicht so.«

»Hör doch mit dem Lamentieren auf, Mama. Er ist ein Faß ohne Boden. Du kannst dir die Mühe sparen, ihn auch noch in Schutz zu nehmen. Und ich will dir auch nicht verheimlichen, daß er mir nachstellt, seitdem er weiß, daß ich die Haupterbin bin. Du wirst für ihn nicht mehr von Interesse sein, wenn er dich arm gemacht hat. Lüg dir nicht selbst etwas in die Tasche. Wenn du nicht ohne Mann auskommen kannst, hättest du dir einen Besseren suchen sollen.«

»Wie kannst du nur so reden! Wie kannst du denn so harte Töne mit deiner Musik vereinbaren?«

»Es hat keinen Sinn, darüber zu debattieren, ich habe keine Zeit mehr.«

Mit hängenden Armen stand Irene da und blickte ihr nach. Sie sah alt aus. Ihr Gesicht war eingefallen, die Augen dunkel umschattet.

Sabrina fuhr mit ihrem Wagen nur bis zur S-Bahn. Dort ließ sie ihn stehen und fuhr mit der Bahn weiter. Sie hatte diese gerade noch erreicht und sank atemlos auf einen Sitz. Sie schloß gleich die Augen und bemerkte erst später, daß ihr gegenüber ein junger Mann saß. Er trug einen hellen Trenchcoat, und als Sabrina zu Boden blickte, sah sie dunkle Hosen und perfekt geputzte schwarze Schuhe. Ihr Blick wanderte wieder zu seinem Gesicht, und sie sah in zwei kluge, nachdenkliche graue Augen.

Sie errötete. Er stieg mit ihr gleichzeitig aus und ging dann neben ihr her.

»Darf ich fragen, ob Sie in die Oper gehen?« sagte er verhalten.

Sie mußte unwillkürlich lächeln.

»Sieht man mir das an?«

»Ich vermute es. Ich habe Sie schon einmal in einem Hochschulkonzert gesehen. Sie spielen Geige, es stimmt doch?«

»Ja, es stimmt. Sind Sie auch Musiker?«

»Nein, nur musikbegeistert, ansonsten bin ich ein nüchterner Jurist.«

»Oh, là, là«, sagte sie. Sie empfand es nicht als lästig, daß er neben ihr ging und mit ihr redete. Sie war ganz froh, nicht allein gehen zu müssen. Sie war nicht kontaktscheu, sie mochte nur keine plumpen Vertraulichkeiten, und die lagen ihm völlig fern.

»Ich darf mich vorstellen«, sagte er leise. »Mein Name ist Jochen Kuhn.«

»Ich heiße Sabrina Wandrey.«

Es fiel ihr nicht auf, daß sich seine Augenbrauen leicht zusammenschoben, als sie ihren Namen nannte. Jetzt hatten sie es eilig, auf ihre Plätze zu kommen, die weit auseinanderlagen.

»Sehen wir uns in der Pause?« fragte er hastig.

Sie zuckte die Schultern, aber sie schenkte ihm ein Lächeln. Ihr Blick folgte ihm, und als sie sich auf ihren Platz begeben hatte, entdeckte sie ihn ein paar Reihen vor ihrer. Sein helles Haar hob sich von den anderen Köpfen ab.

Die Aufführung war phantastisch. Herrliche Stimmen gaben »La Traviata« einen ganz besonderen Zauber, von dem sich auch Sabrina einfangen ließ, obgleich sie nicht so konzentriert lauschte wie sonst. Donnernder Applaus war der Dank für die Künstler.

Nach der Aufführung wartete Jochen Kuhn draußen auf sie. In der Pause hatten sie sich nur kurz gesehen, weil sich da alle drängten, aber nun hatte sie sich Zeit gelassen, und er wartete geduldig.

»Wir könnten doch wieder zusammen zurückfahren«, schlug er vor. »Abends ist es für eine junge Dame nicht ungefährlich, allein zu sein.«

Er half ihr in ihren Mantel. Sie spürte seinen warmen Atem im Nacken. Es war ein seltsames Gefühl, aber sie fühlte sich plötzlich auch eingehüllt in Wärme.

Draußen schlug ihnen ein kalter Wind entgegen. Er nahm ihren Arm. Es war glatt, da es vorher geregnet haben mußte. Das Wetter spielte wirklich verrückt zu dieser Jahreszeit.

»Es war eine sehr gute Aufführung«, stellte Jochen fest, »aber ich bin mehr für sinfonische Musik.«

»Ich auch.« Sie blickte zu ihm empor. Einen halben Kopf war er größer als sie.

»Dann haben wir schon etwas gemeinsam«, stellte er fest. »Es macht mich sehr froh, Sie kennengelernt zu haben. Ich fand Sie schon neulich bezaubernd, als sie auf dem Podium saßen und spielten, so ganz konzentriert und doch in sich versunken.«

Ganz heiß strömte das Blut plötzlich durch ihre Adern. Das war kein Mann, der nur so daherredete, man spürte, was er fühlte.

»Ich kann aber auch ein richtiges Biest sein«, sagte sie, um nicht gleich diesem Zauber ganz zu verfallen.

»Das ist nur recht, wenn es angebracht ist. Man muß sich zu wehren verstehen. Ich hoffe nur, daß ich das ›Biest‹ nicht herausfordere. Können wir nicht noch irgendwo ein Glas Wein trinken, da wir doch mit der S-Bahn fahren?«