Dr. Norden Bestseller Staffel 7 – Arztroman - Patricia Vandenberg - E-Book
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Dr. Norden Bestseller Staffel 7 – Arztroman E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Deutlich über 200 Millionen Exemplare verkauft! Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist.

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Seitenzahl: 1486

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Inhalt

Verwirrung in der Frauenklinik

Was hat man dir nur angetan?

Ein schmerzliches Wiedersehen

Ich breche mein Schweigen nicht

Die Wahrheit über Tanja Schäfer

Der Zufall kann zum Schicksal werden

Wer kann Andrea helfen?

Nur verzagen darf man nicht

Was ist die Wahrheit, Ines?

Ein Fall ohne Hoffnung

Dr. Norden Bestseller – 7–

Staffel 7

61-70

Patricia Vandenberg

Verwirrung in der Frauenklinik

Roman von Patricia Vandenberg

Das Mädchen, das sich Dr. Norden mit dem Namen Elisabeth Roth vorgestellt hatte, sah aus wie achtzehn, und er war überrascht, als sie ihm ihren Paß vorlegte, aus dem hervorging, daß sie dreiundzwanzig war.

»Nur, damit Sie nicht denken, daß ich Ihnen Märchen erzähle, Herr Doktor«, sagte sie stockend. »Meine Schwester Hilde war doch bei Ihnen.«

Er zögerte mit der Antwort. Er mußte auch erst überlegen. Eine Hilde Roth war nicht bei ihm gewesen, aber vor etwa vier Wochen eine junge Frau mit einem recht seltsamen Anliegen, und sie hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit diesem Mädchen gehabt, jedenfalls die gleichen grüngrauen Augen, ungewöhnlich in ihrem schrägen Schnitt.

»Eine Hilde Roth war nicht bei mir«, erwiderte er.

»Dann hat sie vielleicht einen anderen Namen benutzt«, sagte Elisabeth. »Ich weiß nicht, wozu dieser unmögliche Kerl sie bewegt hat. Ich will Ihnen gern erklären, warum ich zu Ihnen komme. Frau Zeller hat gesagt, daß ich offen mit Ihnen sprechen kann.«

Frau Zeller kannte Dr. Norden sehr gut. Sie war schon seit Jahren seine Patientin, eine nette, bescheidene Frau.

»Wir wohnen bei ihr«, fuhr Elisabeth fort, »das heißt, jetzt wohne nur ich noch bei ihr. Meine Schwester nicht mehr. – Ich weiß nicht recht, wo ich anfangen soll. Es ist eine ziemlich lange Geschichte. Aber mir geht es vor allem darum, daß mal festgestellt wird, was in diesem Entbindungsheim Miranda vor sich geht.«

Es klang alles noch ein bißchen verworren, aber als sie dieses Entbindungsheim erwähnte, wurde Dr. Norden hellhörig.

»Hätten Sie noch eine Viertelstunde Zeit?« fragte er. »Dann kann ich inzwischen die zwei anderen Patienten noch behandeln, und wir könnten uns in aller Ruhe unterhalten.«

»Kann ich schnell noch eine Besorgung machen? Sonst haben die Läden geschlossen«, sagte sie.

»Ja, selbstverständlich!« Aber als sie gegangen war, fragte er sich, ob sie überhaupt wiederkommen würde. Vielleicht hatte sie sich überlegt, lieber doch nichts zu sagen.

Doch Elisabeth kam wieder, und Dr. Norden erfuhr eine Geschichte, die ihn sehr nachdenklich stimmte.

»Sie wissen ja, daß Frau Zeller Zimmer vermietet«, begann sie. »Ihr war es sehr recht, daß sie uns die Man­sardenwohnung geschlossen abgeben konnte, weil sie schon ziemlich viel Ärger gehabt hatte. Hilde, Sandra und ich waren auch froh, daß wir mit der Miete so gut wegkamen. Sandra Trento ist meine Freundin.« Ein schwerer Seufzer folgte.

»Jetzt muß ich vielleicht sagen, sie war meine Freundin. Entschuldigen Sie vielmals, Herr Doktor, ich kenne mich schon gar nicht mehr aus. Vor ein paar Monaten war alles in bester Ordnung, und nun sitze ich allein da und weiß nicht, was ich denken soll.«

»Erzählen Sie mal alles hübsch der Reihe nach, Fräulein Roth«, sagte Dr. Norden.

»Sandra kenne ich schon von der Handelsschule her. Wir sind ein Jahrgang, sie ist ein feines Mädchen. Eigentlich wollte sie das Abitur machen, aber ihr Vater hat wieder geheiratet und bestand darauf, daß sie schnellstens einen Beruf ergriff. Wir haben uns dann bei der Papierfabrik Hellbrink beworben und wurden auch eingestellt. Mittlerweile sind wir schon fünf Jahre dort als Sekretärinnen. Das heißt, Sandra ist nun nicht mehr da. Da war so eine Geschichte mit dem Juniorchef, Götz von Hellbrink, ja, sie sind adlig. Er war erst im Ausland, und als er ein paar Wochen in der Firma war, spann sich was zwischen ihm und Sandra an. Ich habe mir gleich gedacht, daß es der Familie nicht passen würde, denn sie sind ziemlich hochgestochen. Vor allem die Tochter Carola. Jedenfalls wurde der Junior vor sechs Monaten wieder ins Ausland abkommandiert. Sandra hat nie mehr über ihn gesprochen, aber ich glaube, daß sie sich heimlich geschrieben haben. Schlimm ist ja, daß Sandra ein Baby erwartet. Als man es sehen konnte, hat sie gekündigt. Ich habe sie so gebeten, mir doch zu vertrauen, aber eines Tages war sie mit zwei Koffern verschwunden. Sie hat mir einen Brief hinterlassen, daß ich mich nicht sorgen solle. Sie würde sich schon wieder melden. Ich habe dann meiner Schwester Hilde die Stellung verschafft. Hilde ist zwei Jahre jünger als ich, und ich habe ihr eindringlich geraten, ja keine Liebelei am Arbeitsplatz anzufangen, aber prompt läßt sie sich doch mit jemandem ein, mit diesem Fechner. Nun kriegt auch sie ein Kind. Ich bin ganz kopflos, Herr Doktor. Der Fechner denkt gar nicht daran, sie zu heiraten, er ist ein mieser Bursche. Er hat es ja eigentlich auf Carola von Hellbrink abgesehen, aber Hilde war blind und taub.«

Dr. Norden konnte sich jetzt genau erinnern, daß er die bestehende Schwangerschaft im zweiten Monat bei Hilde festgestellt hatte, und sie hatte den Namen Fechner als ihren eigenen angegeben. Er konnte sich an ein auffallend hübsches Mädchen erinnern. Aber er wollte Elisabeth, die nun ruhiger sprach, nicht unterbrechen.

»Hilde war furchtbar niedergeschlagen nach einer Aussprache mit Fechner«, fuhr sie fort. »Sie sagte, daß sie das Kind abtreiben lassen will, und alles gute Zureden nutzte nichts. Vor acht Tagen hat sie mir dann auch gesagt, daß Fechner ihr das Geld gegeben hätte und daß sie in dieses Entbindungsheim Miranda gehen würde. Sie hat Urlaub genommen, und schon war sie weg. Ja, und ich bin dann dorthin gefahren. Ich muß schon sagen, daß mir manches merkwürdig vorkam. Es wurde geleugnet, daß Hilde dort sei. Ich wurde gar nicht eingelassen, und ich bin da herumgeschlichen, weil ich Angst um Hilde hatte. Und mir blieb die Luft weg, als ich Sandra sah, meine Freundin Sandra! Sie ging im Garten spazieren.«

»Wenn sie ein Baby bekommt, ist es doch eigentlich natürlich, daß sie ein Entbindungsheim aufsucht«, sagte Dr. Norden.

»Aber eins, wo auch Abtreibungen vorgenommen werden? Ich habe da meine eigene Einstellung, Herr Doktor. Und dann habe ich was gehört, was mir ganz seltsam vorkam, als ich noch ein bißchen herumgelaufen bin, weil ich so aufgeregt war. Da ging auch ein Ehepaar spazieren, schon so im guten Mittelalter. Sie sprachen Englisch, aber das kann ich sehr gut. Ich muß ja die englische Korrespondenz erledigen. Der Mann sagte zu der Frau, daß sie ja nun bald ihr Baby haben würden. Aber sie war nicht schwanger! Nächste Woche könnten sie es abholen, und dann würden sie gleich heimreisen.« Sie sah ihn an. »Finden Sie das nicht auch merkwürdig, Herr Doktor?«

»Es gibt viele kinderlose Ehepaare, die ein Kind adoptieren«, sagte Dr. Norden begütigend. »Und es gibt viele junge Mädchen, die ihr uneheliches Kind zur Adoption freigeben.«

»Ich finde so was schrecklich«, sagte Elisabeth, »aber was meinen Sie, wenn jemand sagt, daß der Preis eigentlich ein bißchen hoch sei?«

»Wer hat das gesagt?«

»Der Mann, dieser Amerikaner. Es war einer, das habe ich an der Aussprache gehört. Aber die Frau sagte, es sei ihr gleich, aber sie wolle einen Jungen. Mir ist es eiskalt über den Rücken gelaufen. Werden da Kinder verkauft? Ich wäre ja am liebsten gleich zur Polizei gegangen, aber dann habe ich an Hilde und Sandra gedacht. Und ich hatte ja auch keine Beweise in der Hand. Frau Zeller hat immer so von Ihnen geschwärmt, und da habe ich mir halt gedacht, daß ich erstmal mit Ihnen spreche.«

»Es ist wirklich interessant, was Sie erzählt haben, Fräulein Roth«, sagte Dr. Norden nachdenklich. »Ich weiß nichts von diesem Entbindungsheim, aber ich werde mich erkundigen.«

»Und sagen Sie mir dann Bescheid?« fragte sie bebend. »Ich habe meine Schwester sehr gern und Sandra auch. Ich meine, wenn man schon ein Baby bekommt, muß man auch dafür geradestehen. Mir ist so vieles durch den Kopf gegangen. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, daß Sandra ihr Baby verkauft, und es will mir schon gar nicht in den Sinn, daß meine Schwester mit einer Abtreibung einverstanden sein soll.«

»Manchmal mag das besser für das Kind sein und auch für die Mutter, wenn sie noch jung und unreif ist.«

»Aber so jung ist Hilde mit einundzwanzig Jahren nicht mehr, daß sie sich erst mit solch einem Kerl einläßt und dann allen Anstand, der uns anerzogen wurde, vergißt. Aber ein bißchen wohler ist mir jetzt schon, weil Sie mich angehört haben. Sie sind sehr nett, Herr Dr. Norden.«

»Sie haben keinen festen Freund?« fragte er väterlich.

Sie schüttelte heftig den Kopf. »Mir vergeht’s, wenn ich so erlebe, was andere mitmachen. Aber der Götz von Hellbrink hat Sandra bestimmt sehr gern gehabt. Die beiden sind nur von der Familie auseinandergebracht worden, davon bin ich überzeugt.«

Dr. Norden sah sie nachdenklich an. Er verriet nichts davon, und das durfte er ja auch nicht, daß er erst vor einer Woche in das Haus Hellbrink gerufen worden war, weil Frau von Hellbrink einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte. Sie hatte die Nachricht bekommen, daß ihr Sohn Götz in Afrika verschollen war, wohin er von seinem Vater geschickt worden war, um die geschäftlichen Interessen der Firma wahrzunehmen. Nun ahnte er, daß dies nicht der einzige Grund gewesen war, sondern auch eine der Familie unwillkommene Liebesgeschichte eine Rolle spielte.

»Ich werde Sie anrufen, wenn ich etwas erfahren habe, Fräulein Roth«, sagte er.

»Vielen Dank, Herr Doktor. Ich fürchte, daß ich nun auch noch entlassen werde, und dann weiß ich nicht mehr, wie ich allein die Miete aufbringen soll. Aber ich werde dann schon wieder eine neue Stellung finden. Wenn ich nur nicht solche Angst um Hilde haben müßte.«

»Verlieren Sie nicht den Mut, Fräulein Roth«, sage Dr. Norden. »Es wird sich schon alles aufklären, und Ihre Schwester müßte eigentlich selbst wissen, was sie tut.«

»Sie ist ein hübsches Schäfchen«, sagte Elisabeth seufzend. »Eigentlich bin ich froh, daß ich kein Typ bin, auf den die Männer fliegen.«

Nein, das war sie nicht. Sie würde es keinem leicht machen, obgleich sie sehr apart war. Aber Männer hatten ein Gespür dafür, ob ein Mädchen für eine Liebelei zu haben war, die nur ein Abenteuer bleiben sollte. Dafür war Eli-sabeth Roth gewiß nicht der Typ. Wenn sie auch manchmal unklar gesprochen hatte, so wußte Dr. Norden doch, daß sie intelligent und auch mißtrauisch war.

*

»Hast du schon mal was von einem Entbindungsheim Miranda gehört, Fee?« fragte Daniel Norden seine Frau, als sie nach dem Mittagessen ihren gewohnten Mokka tranken.

»Miranda? Ja, eine Annonce habe ich mal gelesen. Privates Entbildungsheim, sehr diskret, auch für uneheliche Mütter. Ein hochtrabender Name, wenn man ihn zu deuten weiß.«

»Wieso?« fragte Daniel geistesabwesend.

»Weil Miranda die ›Bewunderungswürdige‹ bedeutet. Aber was hast du damit zu tun?«

»Bisher nichts. Ich werde mich mal bei Schorsch erkunden, ob er mehr weiß.«

Schorsch, das war Dr. Hans-Georg Leitner, seines Zeichens Gynäkologe und Chefarzt einer hochangesehenen Frauenklinik. Ein Studienfreund von Daniel Norden, ein Freund im besten Sinne des Wortes.

»Es gibt jetzt mehr solche privaten Entbildungsheime«, meinte Fee sinnend. »Meistens werden sie von Hebammen geleitet, die mit Hausentbindungen nichts mehr verdienen können. Aber sie brauchen eine Zulassung, und meistens verstehen sie ja auch etwas von ihrem Beruf. Es wird halt immer häufiger, daß man Diskretion gewahrt wissen möchte. Manche Frauen scheuen eine Geburtenunterbrechung und geben ihre Kinder lieber zur Adoption frei. Ich weiß nicht, ob man damit sein Gewissen beruhigen kann, aber wenigstens werden damit Frauen glücklich gemacht, die sich nach einem Kind sehnen. Ob alles immer mit rechten Dingen zugeht, das ist eine andere Frage.«

»Sag mir deine Gedanken, Fee«, bat Daniel.

»Du kannst doch selbst kombinieren.«

»Aber ich möchte von dir hören, was du darüber denkst, und wie das so vor sich gehen könnte.«

»Da kommt halt ein Mädchen oder eine Frau daher, die sich entschlossen hat, ihr Kind zur Welt zu bringen, und sie sieht eine Chance, damit auch noch zu Geld zu kommen. Immerhin sind neun Monate ja nicht das reine Zuckerlecken, und wenn man dann noch eine lange Zukunft vor sich sieht und von einem Mann sitzengelassen wurde, ergreift man jede Chance, sich einen neuen Start zu verschaffen. Ich habe da neulich mal so einen Bericht über den Babyhandel in den Staaten gelesen. Da ist man erschüttert. Eine Adoption ist ja immer mit großen Schwierigkeiten verbunden, aber man kann auch krumme Wege gehen. Da gibt es genügend Interessenten, die bereit sind, beträchtliche Summen auf den Tisch zu legen, damit es gar nicht erst bekannt wird, daß es ein adoptiertes Kind ist. Die Frau, die keine Kinder bekommen kann, geht in ein solches Entbindungsheim, wenn eine Geburt in Aussicht steht. Ein uneheliches Kind wird zur Welt gebracht, aber es wird angemeldet auf den Namen des Ehepaares, das sich ein Kind wünscht.«

»Das ist kriminell«, sagte Daniel.

»Nicht für die Eltern, die das Kind haben wollen. Sie zahlen kräftig dafür und umgehen mit Hilfe des Geburtshelfers die Behörden. Es ist einfach ihr Kind. Basta!«

»Dann ist es doch eigentlich unwahrscheinlich, daß in solchen Entbindungsheimen auch Abtreibungen vorgenommen werden«, sagte Daniel.

»Ich könnte mir vorstellen, daß dafür Unsummen auf den Tisch gelegt werden müßten, aber nach dem amerikanischen Muster scheint es wahrscheinlicher, daß diese Mädchen überredet werden, ihr Kind zur Welt zu bringen. Sie bekommen freie Wohnung und Kost und das Versprechen, eine beträchtliche Starthilfe für ein neues Leben zu bekommen. Am meisten verdient dann allerdings das jeweilige Heim. So ist das in den Staaten. Aber da gibt es auch noch Organisationen, die es sich viele einfacher machen. Die stehlen Babys und verkaufen sie. Tu nicht so, als hättest du nie was davon gehört, Da­niel.«

»Mir wird übel bei dem Gedanken«, erwiderte er.

*

Dr. Norden nahm sich die Zeit, zwischen zwei Krankenbesuchen zur Leitner-Klinik zu fahren, denn dar­über wollte er mit seinem Freund Schorsch lieber persönlich sprechen.

Er hatte freilich vorher angerufen, denn Schorsch hatte ebenso wie er sehr wenig Zeit.

Daniel hielt sich auch nicht lange bei der Vorrede auf. »Was weißt du von dem Entbindungsheim Miranda?« fragte er.

»Daß es da äußerst diskret zugeht. Bisher habe ich noch nichts Nachteiliges gehört. Frau Renz gilt als sehr erfahrene Hebamme. Ich kann es solchen nicht verdenken, wenn sie ein Heim gründen, sofern sie die Mittel dazu haben.«

»Du meinst also, daß dort alles in Ordnung ist?«

»Du nicht?« fragte Schorsch irritiert.

»Mir ist da etwas Merkwürdiges zu Ohren gekommen, und ich kann nicht glauben, daß das pures Gerede ist.«

Er erzählte, was er von Elisabeth Roth erfahren hatte. Schorsch runzelte die Stirn.

»Illegaler Babyhandel? Ich kann es mir bei uns kaum vorstellen. Da sind unsere Behörden doch eigentlich sehr wachsam. Aber es passiert auch bei uns, daß werdende Mütter ihr Baby sofort zur Adoption freigeben. Es ist ihre Entscheidung.«

»Aber da geht doch alles den Rechtsweg. Die Adoptionen werden rechtlich durchgeführt, die Eltern vorher überprüft.«

»Selbstverständlich.«

»Ich werde mich jedenfalls mal nach dieser Frau Renz erkundigen«, sagte Daniel.

»Falls du etwas in Erfahrung bringen solltest, laß es mich wissen.«

»Es müßte ein Zufall sein«, sagte Schorsch Leitner seufzend. »Ich habe soviel zu tun, daß ich mich um nichts anderes kümmern kann, Daniel. Man kann sich gewaltig in die Nesseln setzen, wenn man eine Kontrolle veranlaßt.«

»Es gibt ja eine Aufsichtsbehörde. Erkundigen kann man sich doch mal«, meinte Daniel.

»Wenn da was nicht stimmen sollte, sind bestimmt Vorkehrungen getroffen worden, um jeden Verdacht auszu-schließen«, meinte Schorsch Leitner. »Sei vorsichtig.«

»Na, mir kann man Konkurrenzneid doch nicht nachsagen. Ich werde es schon diplomatisch anfangen.«

Und er fing es diplomatisch an. Er hatte ja eine Ehefrau, die jederzeit bereit war, ihm Hilfestellung zu leisten. Fee war schnell dazu bereit, mal einen Ausflug mit ihren beiden Buben zu machen. Die kleine Anneka ließ sie in Lennis Obhut zurück. Sie konnte unbesorgt sein, daß ihr Baby gut betreut wurde, denn ihre Hilfe Lenni hätte ihr eigenes Leben eingesetzt, bevor den Norden-Kindern auch nur ein Härchen gekrümmt worden wäre.

Es war ein schöner sonniger Tag. Danny und Felix waren sehr einverstanden, ins Vorgebirge zu fahren. Allzu weit war es ja nicht bis zu dem Entbindungsheim Miranda.

Landschaftlich war es wunderhübsch gelegen und machte von außen her einen sehr seriösen, ja, sogar komfortablen Eindruck. Fee überlegte, daß es allerhand gekostet haben mußte, dieses Haus aufzubauen.

Sie hatte es von außen begutachtet und schnell überlegt, wie sie mehr erfahren könnte. Wie sie es anfangen sollte, wußte sie noch nicht so recht, aber ihr kam ein Gedanke, als sie eine hochschwangere junge Frau sah, die ein kleines Café betrat, das mitten im Ort lag. Danny und Felix hatten eben erklärt, daß sie jetzt Hunger hätten. Für Kuchen waren sie immer zu haben.

Also nahm Fee ihre beiden Söhne bei der Hand und betrat dieses Café auch. Die schwangere junge Frau hatte sich an einen Tisch gesetzt. Fee setzte sich mit ihren Kindern an den Nebentisch.

Als die beiden den Kuchen bekommen hatten, den sie haben wollten und auch die junge Frau am Nebentisch genußvoll ein Stück Torte aß, entschloß sich Fee zum Angriff.

»Entschuldigen Sie bitte«, sagte sie zum Nebentisch hinüber, »darf ich fragen, ob Sie vom Entbindungsheim Miranda kommen?«

Die junge Frau preßte die Lippen aufeinander. »Nein«, erwiderte sie abweisend. »Ich wohne hier.«

»Ich möchte nicht aufdringlich sein«, sagte Fee, »aber ich sollte mich für eine Freundin erkundigen, ob diese Frau Renz einen guten Ruf hat, und weil Sie selbst ein Baby erwarten, dachte ich, daß Sie mir vielleicht ganz objektiv Auskunft geben könnten.«

»Ich bin verheiratet und gehe ins Kreiskrankenhaus zur Entbindung«, erwiderte die junge Frau. »Aber wenn Ihre Freundin nicht verheiratet ist, kann sie bei der Renz auf Diskretion rechnen.«

»Welche Freundin meinst du, Mami?« fragte Danny. »Tante Jenny oder Tante Claudia? Aber Onkel Schorsch hat doch selber eine Klinik, wo man Babys bekommt.«

Fee errötete.

Sie rechnete manchmal nicht damit, wie wachsam dieser Junge schon war. Die fremde junge Frau sah Fee nun forschend an.

»Ich würde in jedem Fall eine andere Klinik vorziehen«, sagte sie leise. »Man kann Anna Renz nichts nachsagen, aber hier am Ort entbindet keine bei ihr. Sie nimmt ja auch nur Privatpatienten. Da muß man schon mächtig verdienen.«

Fee schob ihren Stuhl näher heran. »Aber ein Arzt ist doch da auch zugegen?« fragte sie.

»Ach, der Dr. Urban, der hat doch sonst nichts mehr zu tun. Ich will ja nichts gesagt haben, aber von außen sieht alles hübsch aus. Und jeder kommt da nicht hinein.«

Mehr erfuhr Fee auch nicht, aber es genügte ihr.

Sie beschloß, sich mal nach diesem Dr. Urban zu erkundigen und noch einmal ohne die Kinder hierherzufahren.

Immerhin hatte sie einen Anhaltspunkt, und darüber konnte sie sich mit Daniel unterhalten.

Sie hatten schnell in Erfahrung gebracht, daß Dr. Urban bereits siebzig Jahre alt war und seine Praxis schon vor fünf Jahren einem jüngeren Arzt übergeben hatte.

»Wir müssen vorsichtig vorgehen, Fee«, sagte Daniel warnend.

»Immerhin annonciert diese Frau Renz«, sagte Fee. »Man kann sich doch mal schriftlich erkundigen.«

»Aber nicht unter unserem Namen. Wenn wirklich was nicht stimmt, werden sie dort äußerst vorsichtig sein.«

»Dann muß eben Franzi herhalten«, sagte Fee.

Franzi war Kindermädchen bei Fees Stiefschwester Katja Delorme, zwanzig Jahre jung und intelligent genug, daß man ein Abkommen mit ihr schließen konnte. Katja Delorme, verwandtschaftlich mit Fee verbunden, da ihre Mutter Anne in zweiter Ehe Fees Vater Dr. Johannes Cornelius geheiratet hatte, hätte Fee, die für sie eine richtige Schwester geworden war, keine Bitte abschlagen können.

David Delorme, der berühmte Pianist und Professor an der Hochschule für Musik, war derzeit mal wieder auf einer kurzen Konzertreise.

Es machte Fee nicht viel Umstände, Franzi zu erklären, worum man sie bitten wollte. Nachdem Fee Franzi erklärt hatte, worum es ging, war sie sofort bereit, an das Entbindungsheim zu schreiben.

Fee diktierte ihr den Brief und ließ durchblicken, daß etwaige Kosten keine Rolle spielten, Diskretion allerdings vorausgesetzt würde.

Der Brief wurde abgeschickt, die Antwort traf schon zwei Tage später ein. Sehr diplomatisch war sie abgefaßt.

Eine persönliche Unterhaltung wäre angebracht, hieß es darin, und eine solche wäre am Samstag oder Sonntag möglich. Ein Anruf würde genügen.

Ein bißchen bange wurde es Franzi nun doch. »Sie werden feststellen, daß ich gar kein Baby erwarte«, meinte sie kleinlaut.

»Sie brauchen sich nicht untersuchen zu lassen, Franzi«, sagte Fee. »Sie sagen, daß eine Schwangerschaft bereits festgestellt ist, und Sie wollten sich nur erkundigen, ob eine diskrete Geburtenunterbrechung möglich sei. Sie sind doch ein intelligentes Mädchen und könnten sich ein bißchen umschauen.«

»Ihnen tue ich ja jeden Gefallen, Frau Dr. Norden«, sagte Franzi. »Schließlich haben Sie mir ja dazu verholfen, daß ich es hier so gut habe.«

»Aber Schwierigkeiten darf Franzi nicht haben«, schaltete sich Katja ein.

»Keine Angst, da passe ich schon auf, ich fahre mit ihr hin«, sagte Fee. »Aber wenn es da wirklich einen illegalen Babyhandel gibt, müssen wir doch etwas tun, um das zu unterbinden.«

»Das meine ich auch«, sagte Franzi. »So was ist doch hundsgemein.« Sie wollte unbedingt dazu beitragen, daß man den Dingen auf den Grund kam. Sie war jung und recht ansehnlich. Man konnte ihr zutrauen, daß sie in eine mißliche Lage gebracht worden war, obgleich Franzi weit davon entfernt war, sich solcherlei Schwierigkeiten einzuhandeln. Sie war irrsinnig stolz darauf, bei dem berühmten Künstler David Delorme Familienanschluß zu genießen. Sie hatte in dem Haus eine wunderhübsche Zweizimmerwohnung, und auch bei Familienzusammenkünften war sie ganz selbstverständlich dabei, auch wenn die Delormes zur Insel der Hoffnung fuhren. Und das war für Franzi immer ein Erlebnis.

Franzi Neumayer fuhr also mit Fee Norden zum Entbindungsheim Miranda. Nicht direkt bis vor die Tür, weil Fee ja nicht in Erscheinung treten wollte. Franzi ging ein ganzes Stück zu Fuß.

Die Tür tat sich ihr nicht einfach auf. Durch eine Sprechanlage wurde gefragt, wer da sei.

»Franziska Neumayer«, erwiderte sie. »Ich habe mich telefonisch angemeldet.«

Nun ging die Tür auf, und Franzi betrat herzklopfend das wirklich schön hergerichtete Grundstück. Aber ihre Befangenheit schien ganz natürlich, und man schien daran gewöhnt zu sein. Sie wurde freundlich empfangen von einer Frau mittleren Alters, die sich als Anna Renz vorstellte.

»Sie brauchen nicht die geringsten Bedenken zu haben. Alles, was wir besprechen, bleibt unter uns, Frau Neumayer. Sie sind sicher, daß Sie schwanger sind?«

»Ja, ganz sicher«, erwiderte Franzi stockend.

»Sie waren bei einem Arzt?«

»Ja, in meiner Heimat«, erwiderte Franzi. »Aber ich möchte gleich hinzufügen, daß ich da meinen richtigen Namen nicht angegeben habe. Meine Eltern dürfen nichts davon wissen, daß ich ein Kind bekomme.«

»Ja, leider gibt es solche Eltern immer noch«, sagte Anna Renz freundlich. »Zu mir können Sie Vertrauen haben. Aber machen wir es uns doch mal ganz gemütlich. Man muß sich ja erst kennenlernen.«

»Sie sind sehr nett«, sagte Franzi.

»Ich kann mich in Ihre Lage hineinversetzen. Dieses Heim habe ich ja aufgebaut, um unglücklichen jungen Mädchen das Gefühl zu geben, nicht verlassen zu sein. Wollen Sie heiraten?«

Das fragte sie übergangslos. Aber Franzi war von Fee gut vorbereitet worden.

»Er will nicht heiraten«, sagte sie leise. »Seine Familie ist dagegen. Er ist noch sehr jung. Aber meine Familie wäre auch dagegen, vor allem gegen ein uneheliches Kind. Ich habe aber Geld.«

»Sie wollen das Kind nicht behalten?« fragte Anna Renz. Sie war mittelgroß, hager und keineswegs ein mütterlicher Typ.

»Ich weiß nicht, was ich tun soll. Es ist doch eine Sünde, werdendes Leben zu töten«, flüsterte Franzi. Das war auch ihre Überzeugung, aber es bereitete ihr doch Ungemach, weil dieses Thema sie ja nicht betraf.

»Sie haben die richtige Einstellung«, sagte Anna Renz. »Es gibt viele Frauen, die sich nach einem Kind sehnen, und es ist durchaus keine Sünde, solchen Frauen Glück zu vermitteln. Ich will Ihnen jetzt nichts einreden. Entscheiden müssen Sie selbst. Hier ist alles ganz legal. Wir vermitteln nur viel diskreter, als es bei Behörden der Fall ist.«

»Was vermitteln Sie?« fragte Franzi stockend.

»Adoptionen, meine Liebe. Wir suchen uns freilich nur die besten Familien aus. Sie können Ihr Kind hier zur Welt bringen, ohne daß Ihnen Kosten entstehen. Und Sie können sicher sein, daß es die bestmöglichen Startchancen bekommt. Niemand wird etwas davon erfahren. Wenn Sie später einen Mann finden, der Sie heiraten will, können Sie ganz sicher sein, daß er von Ihrem Vorleben nichts erfährt. Diese Regelung muß selbstverständlich auf gegenseitiger Vertrauensbasis beruhen.«

»Ich bin zu allem bereit«, sagte Franzi leise, »und was kostet mich das?«

»Nichts. Sie werden sogar noch eine Starthilfe bekommen. Sozusagen ein Geschenk von den Eltern, die das Kind als ihr eigenes zu sich nehmen. Sie sind berufs­tätig?«

»Nein«, erwiderte Franzi. »Ich habe noch genügend Geld, um über die Runden zu kommen.«

»Und wie weit sind Sie?« fragte Anna Renz.

»Im zweiten Monat.« Franzi hatte auch diesmal schnell geschaltet.

»Vom dritten Monat an können Sie hier aufgenommen werden. Sie haben alles frei und brauchen nur mitzuhelfen. Ganz leichte Arbeiten, Betätigung im Garten und in der Küche. Sie brauchen sich um nichts sonst zu kümmern. Wir schließen nur einen Vertrag auf Gegenseitigkeit. Sie verstehen schon, daß ich mich absichern muß, daß Sie mit meinen Bedingungen auch einverstanden sind. Schließlich könnte jemand kommen, der mir unlautere Absichten nachsagen könnte. Dabei will ich doch nur helfen.«

»Sie sind sehr gütig«, sagte Franzi stockend. »Dann könnte ich hier leben, bis das Kind geboren ist, und Sie garantieren, daß es in gute Hände kommt?«

»Sie machen sich Gedanken, das gefällt mir«, erwiderte Anna Renz. »Ich kann Ihnen aus Erfahrung sagen, daß es viel schlimmere Folgen haben kann, wenn man eine Abtreibung vornehmen läßt, als wenn man mit dem Gefühl leben kann, andere Menschen mit einem Kind glücklich zu machen. Ich habe mir dies zur Lebensaufgabe gemacht, aber ich muß die Bedingung stellen, daß auch von seiten meiner Patientinnen das Zugeständnis gemacht wird, daß in jedem Fall Diskretion gewahrt wird. Ich werde Sie, wenn Sie einverstanden sind, mit Dr. Urban bekannt machen. Sie werden verstehen, daß wir nun völlig gesunde Patientinnen aufnehmen können.«

»Ja, das verstehe ich«, erwiderte Franzi zaghaft, denn nun sah sie die Schwierigkeiten drohend auf sich zukommen.

Liebend gern hätte sie die Flucht ergriffen, aber sie wußte genau, daß sie damit Anna Renz nur gewarnt hätte. Sie war ein wirklich intelligentes Mädchen, und im Anblick der Gefahr wollte sie nicht kapitulieren, sondern wenigstens noch soviel wie nur möglich herausbringen.

Anna Renz führte sie in ein hübsches Zimmer. »Dr. Urban wird gleich kommen«, sagte sie. »Ruhen Sie sich aus, entspannen Sie sich.« Sie machte eine kleine Pause. »Würden Sie eine Vorauszahlung in Höhe von zweihundert Euro leisten?«

Auch auf solches war Franzi vorbereitet. »Ja, selbstverständlich«, antwortete sie.

»Das regeln wir dann später«, erwiderte Anna Renz freundlich. »Ich lasse Ihnen jetzt einen Imbiß bringen.«

*

Fee war indessen zu Dr. Urban gefahren. Sie konnte nur staunen, denn er wohnte in einem ganz modernen Bungalow, der inmitten eines großen, mit alten Bäumen bewachsenen Grundstücks stand.

Ein junger Bursche arbeitete im Garten. Er maß Fee mit einem zweideutigen Blick.

»Kann ich Dr. Urban sprechen?« fragte sie.

»Der ist nicht da, aber wenn Sie einen Arzt brauchen, müssen Sie schon zu Dr. Heckler gehen. Dr. Urban hat keine Praxis mehr.« Er grinste. »Oder wollen Sie ins Miranda? Vielleicht ist Dr. Urban dort.«

»Ja, danke, dann werde ich dorthin fahren«, sagte Fee.

Er grinste noch frecher, und er kam näher. »So eine hübsche Frau wie Sie wird doch einen finden, der Sie heiratet«, sagte er anzüglich.

Fee maß ihn mit einem langen Blick. »So einfach ist das nun auch wieder nicht«, erwiderte sie, da sie festgestellt hatte, daß er ein bißchen einfältig dreinschaute.

»Ich kann Ihnen einen Tip geben, wenn Sie ein bißchen nett sind«, sagte er.

»Ich heiße Sepp. Da drüben wird es manchen langweilig. Meine Freunde und ich sorgen schon für Abwechslung.«

»Das ist aber nett«, sagte Fee geistesgegenwärtig. »Wie können wir uns denn verständigen?«

»Ich bin morgens immer zwischen sieben und zehn Uhr drüben. Das pendelt sich schon ein«, erwiderte er. »Hoffe, daß wir uns bald treffen.«

Das ist ja eine tolle Sache, dachte Fee, aber sie war doch heilfroh, daß sie unbeschadet dieses Grundstück verlassen konnte.

»Auf bald, Sepp«, sagte sie.

»Will ich doch sehr hoffen.«

Gut, daß Daniel das nicht hört, dachte sie. Nun war sie doppelt gespannt, was sie von Franzi erfahren würde.

Franzi hatte ungefähr eine Viertelstunde zwischen Hangen und Bangen verbracht, dann erschien Dr. Urban.

Er sah keineswegs furchterregend aus, ein sehr alter Herr nach Franzis Ansicht. In väterlichem Ton redete er mit ihr, mitleidvoll und gütig.

»Wir werden es ganz kurz und schmerzlos machen, kleines Fräulein«, sagte er. »Sie brauchen gar keine Angst zu haben. Hier sind Sie gut aufgehoben.«

Und dann sprach er in salbungsvollem Ton weiter.

»Wie kann man denn so was Hübsches einfach im Stich lassen? Das ist doch eine schlimme Welt. Ist es nicht gut, daß es immer noch verständnisvolle Menschen gibt, die einem über die Schwierigkeiten hinweghelfen?«

»Ja, ich finde das sehr gut«, sagte Franzi stockend und wünschte doch nichts so sehr, wie wieder draußen zu sein aus diesem Haus.

»Ich war schon bei einem Arzt«, sagte sie schnell. »Ich möchte mich nicht mehr untersuchen lassen.«

»Ja, da kommen wir aber nicht drumherum. Darauf besteht die Anna. Muß alles seine Ordnung haben. Wir brauchen ja einen Garantieschein, kleines Fräulein.«

Jetzt kommt alles heraus, dachte Franzi, und ihr Herz begann angstvoll zu klopfen, als Dr. Urban sie untersuchte.

Aber er runzelte nur die Stirn und schüttelte den Kopf.

»Liebe Güte, Sie sind wohl noch von gestern«, sagte er konsterniert. »Keine Schwangerschaft feststellbar. Denken Sie etwa, daß der Klapperstorch die Kinder bringt? Es gibt ja Mädchen, die meinen, daß sie von einem Kuß schwanger werden, aber Anna würde so was nicht gefallen, kleines Fräulein. Da handeln wir uns beide Schwierigkeiten ein.«

»Ich bekomme kein Baby?« tat Franzi erstaunt.

»Soll ich Sie einmal gründlich aufklären?« fragte er freundlich. »Wie alt sind Sie eigentlich?«

»Zwanzig«, erwiderte sie wahrheitsgemäß.

»Und Sie haben einen festen Freund?«

»Ja, was man so fest nennt«, erwiderte sie.

»Glaubt wohl auch noch an den Klapperstorch?« fragte Dr. Urban gutmütig.

Franzi konnte ihm nicht böse sein. Sie wäre bereit gewesen zu schwören, daß er ein ehrlicher Mensch war.

»Haben Sie hier schon was bezahlt?« fragte er nun.

Franzi nickte. »Zweihundert Euro.«

»Na ja, eigentlich kommen Sie noch ganz gut weg«, murmelte er. »Aber wenn ich Anna jetzt sage, daß

kein Baby zu erwarten ist, könnte sie mißtrauisch werden.«

»Warum?« fragte Franzi naiv.

»Weil nur welche herkommen, die es genau wissen«, erwiderte er leise. »Sie glaubt nicht daran, daß es noch so viel Unschuld gibt. Sind Sie einverstanden, wenn ich sage, daß es höchstens sechs Wochen sind?«

Franzi nickte befangen. Erklären konnte sie sich nicht, warum er es so drehen wollte.

»Es ist besser so für Sie und für mich«, sagte er leise. »Kommen Sie nicht wieder hierher zurück, Fräuleinchen. Sie brauchen es ja auch nicht. Ein bißchen Verstand habe ich schon noch.«

Er ging hinaus, weil er Schritte gehört hatte. Nach ein paar Minuten kam er mit Anna Renz zurück.

»Na, es ist ja alles in bester Ordnung«, sagte Anna Renz. »Dann kommen Sie in sechs Wochen wieder. Es wird Ihnen hier gefallen. Sie werden keinem Gerede ausgesetzt.«

Franzi konnte gehen. Mit einem Händedruck wurde sie verabschiedet. Wenn man ganz unbefangen herkam, konnte man wirklich nicht mißtrauisch werden.

Franzi schaute sich mehrmals um, bevor sie zu Fee Norden in den Wagen stieg, aber sie konnte niemanden sehen.

»Uff«, stöhnte sie auf, »das war heikel! Bin ich froh, daß ich heil davongekommen bin, aber die zwei Hunderter bin ich los, Frau Doktor.«

»Die können wir verschmerzen, wenn Sie etwas in Erfahrung gebracht haben, Franzi«, sagte Fee.

»Ja, eigentlich muß man da immer doppelt denken«, sagte Franzi. »Einen Strick könnte man der Renz daraus nicht drehen. Sie ist nur bemüht, einem eine Abtreibung auszureden. Aber dieser Dr. Urban ist eigentlich ganz nett. Schon ein bißchen senil. Er hat gleich durchschaut, daß ich noch nichts mit einem Mann gehabt habe, aber er meinte, daß es gut wäre, wenn Frau Renz das nicht wüßte. Ich kann nicht glauben, daß er nur für Geld etwas Unrechtes tut. Dann wäre er nicht so nett gewesen. Ob sie ihn irgendwie in der Hand hat?«

»Vielleicht«, sagte Fee. »Haben Sie sonst etwas gehört oder gesehen?«

»Gesehen nichts, aber gehört schon. Da scheint gerade jemand ein Kind zu bekommen. Die Frau hat fürchterlich gestöhnt. Ist das eigentlich immer so schlimm, Frau Doktor?«

»Es kommt auf die Einstellung und vor allem auf die Vorbereitung an, Franzi. Erzählen Sie mir bitte, wie das Haus eingerichtet ist.«

»Bestens, kann man nur sagen. Ganz modern und sehr sauber, da gibt es nichts zu mäkeln. Und raffiniert ist die Frau Renz schon, das möchte ich sagen.«

»Wieso meinen Sie das, Franzi?«

»Sie redet so geschickt drumrum, daß man sie nicht festnageln kann. Wenn die was auf dem Kerbholz hat, kann man es ihr bestimmt schwer nachweisen. Die müßte man schon auf frischer Tat ertappen.« Sie machte eine kleine Pause und fuhr dann mit trockenem Humor fort: »Aber ich kann mir doch kein uneheliches Kind zulegen, um dahinterzukommen.«

»Nein, das bestimmt nicht«, sagte Fee lächelnd. »Man müßte ein Mädchen finden, das in solcher Lage ist, ihr Kind aber ganz gewiß nicht hergeben will.«

Franzi atmete schneller. »Da wüßte ich schon eins«, sagte sie, »die Christel Jakob vom Lebensmittelgeschäft. Das ist auch eine ganz Stille, die nichts sagen würde. Sie könnten sich da auch raushalten, wenn ich mit ihr rede. Es würde halt noch mal etwas kosten, denn diese Frau Renz macht bestimmt keine Zugeständnisse, wenn einer mal nicht zahlen kann. Soll ich mit der Christel reden, Frau Doktor?«

»Kannst du es auch raffiniert anfangen?« fragte Fee.

»So, daß sie es versteht«, erwiderte Franzi. »Sie ist fromm. Sie würde nichts tun, was Gott nicht gefällt. Spanisch kommt mir das schon alles vor, aber ich glaube, wenn jemand sich wirklich verstecken will, dann kann er es dort.«

*

Ja, das konnte man allerdings. Sandra Trento und auch Hilde Toth wollten sich verstecken, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Beide meinten sie, gut aufgehoben zu sein in dem Entbindungsheim Miranda. Daß sie sich hier getroffen hatten, war kein Zufall. Kurt Fechner hatte Hilde die Adresse gegeben.

Allerdings wußte er nicht, daß Sandra sich hier schon angemeldet hatte. Er wußte von Sandra überhaupt sehr wenig, eigentlich nur, daß Götz von Hellbrink sich in sie verliebt hatte.

Wo sie dann geblieben war, wußte er ebenso wenig wie die Familie Hellbrink, die nur froh war, daß Sandra sang- und klanglos untergetaucht war.

Für Hilde und Sandra war es ein ziemlicher Schock gewesen, als sie sich im Garten trafen. Wie erstarrt waren sie stehengeblieben, aber sogleich war Anna Renz, die ihre Augen überall zu haben schien, bei ihnen gewesen.

»Wir wollen volle Diskretion wahren, meine Damen«, sagte sie, »und dazu gehört wohl auch, daß wir uns nicht mit vollem Namen vorstellen. Oder kennen Sie sich zufällig?«

Sandra war geistesgegenwärtig gewesen. »Nein, wir sind uns noch nicht begegnet«, sagte sie rasch. »Aber ein Gespräch wird uns doch erlaubt sein!«

»Selbstverständlich, Sandra«, erwiderte Anna Renz eilfertig.

»Man möchte sich ja gern mal unterhalten«, sagte Sandra. »Wir sind hier nicht in einem Gefängnis.«

»Aber gewiß nicht. Sie sollen sich in jeder Beziehung wohl fühlen«, sagte Anna Renz darauf.

Und dann hatte sie sich entfernt. Sandra hatte schnell geschaltet. »Wir treffen uns irgendwann, Hilde«, sagte sie. »Jetzt reden wir besser nicht miteinander.«

Anscheinend hatte es Anna Renz beruhigt zur Kenntnis genommen, daß sie nur wenige Worte wechselten, denn beim nächsten Zusammentreffen wurden Sandra und Hilde nicht gestört.

»Warum bist du hier, Hilde?« fragte Sandra leise.

»Ich bekomme ein Baby«, erwiderte Hilde. »Ich wollte es nicht haben, aber die Renz hat mich beschwatzt, daß ich es zur Welt bringe. Ich kann hierbleiben, bis das Kind geboren wird, und dann bekomme ich auch noch zehntausend Euro. Sie hat schon Adoptiveltern. Eigentlich finde ich das auch besser. Machst du es auch so, Sandra?«

»Aber nein, die Hellbrinks sollen nur nicht erfahren, daß ich ein Kind haben werde. Ich will Götz nicht in Schwierigkeiten bringen. Mit wem hast du dich eingelassen, Hilde? Ist Fechner der Vater deines Kindes?«

Hilde nickte. »Er hat gesagt, daß eine Heirat nicht in Frage kommt. Was soll ich denn tun, Sandra? Lis hat schon so viel für mich getan. Ich möchte nicht wissen, wie ihr jetzt zumute ist. Ich fürchte, wir beide haben sie schwer enttäuscht.«

»Aber ich werde mein Baby behalten«, sagte Sandra. »Ich gebe es nicht her, und du solltest es dir auch noch überlegen, Hilde.«

»Läßt Götz dich nicht auch sitzen?« fragte Hilde.

»Das ist mir jetzt egal. Ja, schau mich nur an. Seit sechs Wochen hat er mir nicht mehr geschrieben, und es wird nur noch zwei Wochen dauern, bis ich das Baby bekomme. Aber ich behalte es. Niemand wird es mir nehmen. Ich habe es mir hier nur ein wenig anders vorgestellt«, fügte sie sinnend hinzu.

»Aber es ist doch alles sehr modern«, sagte Hilde, »und das Essen ist auch gut. Was gefällt dir nicht, San­dra?«

»Daß man so interessiert ist, die Kinder zur Adoption zu vermitteln. Mich wollte Frau Renz doch auch überreden.«

»Das ist bestimmt in allen Entbindungsheimen so, wo nur eheliche Kinder geboren werden«, sagte Hilde. »Ich finde es wirklich gut, daß es so was gibt.«

*

Dieser Meinung war Dr. Norden auch, denn er war überzeugt, daß es sehr seriöse Entbindungsheime gab, aber im Fall Miranda teilte er Fees Bedenken.

Es vergingen nun einige Tage, bis Franzi berichten konnte, daß sie mit Christel Jakob gesprochen hatte und daß sie sich einig geworden wären. Christel hatte keine Angehörigen, und ihr Verlobter hatte eine Stellung in Westdeutschland angenommen. Er wollte erst eine Wohnung suchen und Christel dann nachholen. Dann wollten sie auch heiraten.

Christel ließ sich in das recht gewagte Spiel, in das Entbindungsheim Miranda zu gehen, nur ein, weil sie Dr. Norden kannte.

Er hatte alles wohl durchdacht und wollte nun ergründen, wie Anna Renz reagieren würde, wenn eine Patientin von einem Arzt offeriert wurde. Er rief bei ihr an.

»Dr. Norden?« wiederholte Anna Renz fragend seinen Namen. »Habe ich recht gehört?«

»Das haben Sie, Frau Renz. Ich wollte bei Ihnen anfragen, ob ich Ihnen eine Patientin schicken kann. Sie ist sehr gehemmt.«

»Wir sind derzeit sehr belegt«, erwiderte Frau Renz. »Unser Heim erfreut sich großer Beliebtheit. Aber wenn mich sogar ein so bekannter Arzt bittet, muß ich mir etwas einfallen lassen.«

»Ich würde Ihnen Frau Jakob persönlich bringen«, sagte er.

»Ist sie verheiratet? Eigentlich kommen nur unverheiratete werdende Mütter zu uns.«

»Nein, sie ist nicht verheiratet und bereits im siebenten Monat.«

Anna Renz schien zu überlegen. »Gut, bringen Sie mir die Patientin.«

Das überraschte ihn, und ihm kamen nun doch Zweifel, ob sein Mißtrauen gerechtfertigt war. Vielleicht hatte Eli-sabeth in der Sorge um ihre Schwester doch Gespenster gesehen, vielleicht hatte in Franzis Ohren alles so doppelsinnig geklungen, weil sie schon mit Vorurteilen belastet zu dem Heim gegangen war.

Allerdings gab zu denken, was Fee von jenem Sepp berichtet hatte.

Für Christel war es eine Beruhigung, daß Dr. Norden persönlich sie zu diesem Heim brachte. Das Tor tat sich ihnen auf. Dr. Norden ließ seinen Blick umherschweifen und konnte nichts Befremdliches feststellen.

Anna Renz empfing ihn und Christel mit ihrem liebenswürdigsten Lächeln. Ihr Empfangszimmer war komfortabel eingerichtet.

»Sehr hübsch ist das Haus«, stellte Dr. Norden fest. Sie lächelte geschmeichelt.

»Ich bin durch eine Erbschaft in die glückliche Lage versetzt worden, dieses Haus ausbauen und modernisieren lassen zu können«, erklärte sie. »Hausentbindungen gibt es heute ja kaum noch. In eine abhängige Stellung wollte ich mich nicht begeben, und hätte ich in meiner Jugend die Möglichkeit gehabt, Medizin zu studieren, hätte ich es getan. So tue ich nun auf meine Weise alles, um den werdenden Müttern, die sich noch immer innerhalb dieser Gesellschaft als Außenseiter betrachten müssen, was ich überhaupt nicht verstehen kann, das Gefühl der Geborgenheit zu geben.« Sie wandte sich Christel zu und betrachtete sie abschätzend. »Sie werden sich über nichts zu beklagen haben«, fuhr sie fort. »Ich möchte Sie nur darauf aufmerksam machen, daß auch die Patientinnen untereinander auf Diskretion bedacht sind. Es sind einige junge Damen aus besten Kreisen hier. Selbstverständlich werden in der Betreuung keinerlei Unterschiede gemacht.«

»Wie viele Patientinnen haben Sie im Schnitt?« fragte Daniel beiläufig.

»Augenblicklich ein ganzes Dutzend. Selbstverständlich übrschneiden sich die Geburten hier nicht, wie in einer großen Klinik. In etwas komplizierteren Fällen werde ich von Dr. Urban unterstützt. Er ist ein sehr zuverlässiger Arzt mit großer Erfahrung. Selbst ein sehr kritischer Arzt wird nichts auszusetzen finden«, fügte sie selbstbewußt hinzu.

An Selbstbewußtsein und Sicherheit mangelte es ihr gewiß nicht. Dr. Norden war überzeugt, daß ihr schwer beizukommen war. Und das sollte er bestätigt bekommen, als er sich dann noch unter vier Augen mit ihr unterhielt.

»Es ist ja so, daß manche ledige Mutter ihr Kind bald zur Adoption freigeben will«, sagte er. »Haben Sie da nicht mit Schwierigkeiten zu kämpfen?«

»Aber keineswegs. Es geht alles, wie auch in den Krankenhäusern, seinen rechtmäßigen Gang. Wir haben schon viele Babys vermitteln können, und dies zur beiderseitigen Zufriedenheit. Wissen Sie, Herr Doktor, gerade diese jungen Damen aus besseren Kreisen sind recht froh, wenn sie ihre Kinder weggeben können. Manchmal wird das auch von den Eltern arrangiert, wenn die Töchter noch nicht mündig sind. Es ist selbstverständlich, daß alles mit äußerster Diskretion abgewickelt wird. Ist Ihr Schützling auch daran interessiert, das Baby zur Adoption freizugeben?«

»Möglicherweise. Man weiß nie, ob sie im letzten Augenblick die Meinung nicht doch ändern, aber das werden Sie ja auch schon erfahren haben. Ich bin jedenfalls der Überzeugung, daß Kinder bei Adoptiveltern, die sich sehnlich ein Kind wünschen, besser aufgehoben sind als bei einer ledigen Mutter, die das Kind nur als Belastung empfindet.«

»Ganz meine Ansicht. Es wäre wunderbar, wenn ich mit Ihnen zusammenarbeiten könnte, wenn mein guter Dr. Urban sich nun doch zur Ruhe setzen muß. Sehen Sie, es kommen auch junge Frauen und Mädchen zu mir, die eine Geburtenunterbrechung wünschen, aber das muß ich freilich ablehnen. Ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Wie stehen Sie dazu?«

»Ich bin kein Gynäkologe. Was die Einstellung der jeweiligen Frauen anbetrifft, ist das freilich auch eine rein persönliche Gewissensentscheidung, allerdings vertrete ich auch diesbezüglich den Standpunkt, daß es nicht gut für ein Kind ist, wenn es nicht mit Freude ausgetragen wird.«

»Und deshalb sollen es diese jungen Dinger so schön wie möglich bei mir haben«, sagte Anna Renz.

Was sollte man daran nun aussetzen? Sie zeigte Dr. Norden den Kreißsaal, und auch da war alles in bester Ordnung.

Sie zeigte ihm auch zwei Zimmer, in denen sich augenblicklich niemand befand. Sehr hübsch waren sie eingerichtet.

Anna Renz lächelte wohlgefällig, als er dies feststellte.

»Es mag ja manch einer Hintergedanken hegen, wenn ich immer wieder diese äußerste Diskretion betone«, sagte sie, »aber es geschieht im Interesse meiner Schützlinge, die keinen Wert darauf legen, während dieser Zeit mit Angehörigen konfrontiert zu werden. Probleme hat ja jede, wenn sie sich in ein solches Heim zurückziehen will. Es gehört sehr viel Taktgefühl dazu, jeder gerecht zu werden.« Sie sah ihn an. »Ich denke, wir haben viel gemeinsam, Herr Dr. Norden. Jedenfalls ist es erstmalig, daß ich einen Arzt kennenlerne, der sich so rührend um seine Patientin bemüht.«

»Und ich habe mich gefreut, Sie kennenzulernen, Frau Renz. Es ist ja möglich, daß ich Ihnen noch manche Patientin zuführe.«

»Obgleich doch bekannt ist, daß Sie mit Dr. Leitner befreundet sind«, sagte sie hintergründig. Aber Daniel zeigte sich dieser Bemerkung gewachsen.

»In einer solchen Klinik, das wissen Sie doch auch, kann unmöglich Diskretion gewahrt werden, schon wegen der vielen Schwestern nicht«, erwiderte er. »Und leider wird es dann manchmal auch schnell bekannt, wenn jemand sein Baby zur Adoption freigegeben hat. Das erscheint in unserer seltsamen Gesellschaft noch verwerflicher, als ein uneheliches Kind zur Welt zu bringen.«

Er hatte es sehr überzeugenden Tones gesagt, und er hoffte, damit ihr Mißtrauen restlos ausgeräumt zu haben. Sie schenkte ihm jedenfalls ein bedeutsames Lächeln.

Es fühlte sich jeder von ihnen als Sieger, aber Daniel mußte sich eingestehen, daß er nur positive Eindrücke mitnehmen konnte, abgesehen von der überheblichen Art der Anna Renz.

Was Christel nun in Erfahrung bringen würde, mußte abgewartet werden. Ob es ihr gelingen würde, mit San­dra Trento und Hilde Roth ins Gespräch zu kommen, stand in den Sternen.

Zuviel wollte Dr. Norden nicht riskieren, aber warum sollte er es nicht wagen, mit Dr. Urban zu sprechen?

Diesmal war nicht Sepp im Garten beschäftigt, als Dr. Norden sich vorstellte. Sein faltiges Gesicht war bleich geworden.

»Ich habe eben eine Patientin zum Entbindungsheim gebracht«, erklärte Daniel, »und da kam mir ein Gedanke.«

Dr. Urban begann zu zittern. »Welcher?« fragte er heiser.

»Dieses Haus ist erstklassig in Ordnung. Offengestanden wäre ich an einer Zusammenarbeit mit Frau Renz interessiert, falls Sie sich zur Ruhe setzen wollen. Ich habe ihr das zwar noch nicht gesagt, weil ich dachte,

daß ich erst mit Ihnen sprechen sollte. Es ist beachtlich, was Frau Renz da auf die Beine gestellt hat, aber mit einer Beteiligung wäre das Heim doch noch ausbau­fähig.«

Dr. Urban sah ihn konsterniert an. »Sie würden ein solches Risiko eingehen?« fragte er.

»Ein Risiko? Ich sehe keines.«

Dr. Urban kniff seine Augen zusammen. »Sie sind ein bekannter Arzt«, sagte er. »Ihnen gehört die Insel der Hoffnung. Welches Interesse könnten Sie an einem Unternehmen haben, das im Zwielicht steht?«

»Im Zwielicht?« fragte Dr. Norden. »Aber was ich gesehen und gehört habe, klingt doch durchaus seriös.«

Dr. Urban fuhr sich mit dem Taschentuch über die Stirn.

»Ich bin ein alter Mann, Herr Norden. Anna ist meine Nichte. Ich habe nicht mehr viel zu verlieren, aber so verkalkt bin ich noch nicht, daß ich einem Kollegen zureden würde, da einzusteigen. Ich weiß nicht, womit Anna so viel Geld verdient, aber…« Er unterbrach sich und starrte Dr. Norden an.

»Sie wollen es nicht wissen, Herr Kollege«, sagte Daniel ruhig. »Sie könnten jetzt zu Frau Renz gehen und ihr sagen, daß ich sehr mißtrauisch bin, aber Sie werden es nicht tun.«

»Nein, ich werde es nicht tun. Gehen wir hinein. Wer weiß, wie lange ich noch lebe. Ich wollte doch nur immer das Schlimmste verhüten«, murmelte er. »Aber Anna ist schlau. Sie hat mich nie ganz eingeweiht. Gebraucht werde ich selten, wirklich ganz selten. Sie versteht ihr Handwerk, und sie bezahlt mich nicht. Das dürfen Sie nicht denken. Dieses Haus hier konnte ich mir bauen. Ich besaß genug Grund. Ich habe ihr das alte Haus überlassen, und das Grundstück für den Park zahlt sie mir monatlich ab. Ich meine mein gutes Auskommen, aber es ist kein Sündenlohn. Man kann ihr kein Unrecht nachweisen, Herr Norden. Diese Mädchen unterschreiben freiwillig. Es hat noch keines Anklage erhoben. Sie verschenken ihre Kinder gern.«

»Werden sie nicht dafür bezahlt?« fragte Daniel.

»Davon weiß ich nichts. Ich will auch nichts davon wissen. Ich bin ein alter Mann und will meinen Frieden haben. Zuleide tun kann ich niemandem etwas. Ich habe ein einziges Mal…« Doch da unterbrach er sich. Er starrte Dr. Norden blicklos an. »Wenn es an der Zeit ist, werde ich Sie um Hilfe bitten«, fuhr er nach Sekunden flüsternd fort, »und ich hoffe, daß ich nicht umsonst bitten muß.«

»Sie werden nicht umsonst bitten, Herr Kollege«, erwiderte Daniel Norden.

Das alte, faltige Gesicht belebte sich. »Warum sind Sie nicht früher gekommen?« fragte Dr. Urban heiser. »Mein Gott, warum begegnet einem erst an der Schwelle des Todes ein Mensch?«

»Sind Ihnen nicht viele Menschen begegnet, Dr. Urban?« fragte Daniel erschüttert.

»Geschöpfe ja, menschliche Geschöpfe, aber mit Sorgen beladen, der Hilfe bedürftig, nicht fähig zu begreifen, daß auch andere Hilfe brauchen, auch ein Arzt. Wer ahnt denn schon die Ängste, die seelische Not, all die Zweifel, mit denen man fertig werden muß, wenn man einmal vom Wege abgewichen ist?« Er sprach jetzt mehr zu sich selbst. Daniel hörte es, aber er beschloß, es für sich zu behalten und es zu vergessen. Er sah nur diesen alten Mann, das zerrissene Gesicht, die von Sorgen gebeugte Gestalt.

»Ich gebe Ihnen meine Karte, Herr Kollege. Wenn Sie nicht mehr weiter wissen, rufen Sie mich an.«

»Danke«, sagte Dr. Urban leise. »Ich danke Ihnen!« Und dann blickte er sich ängstlich um. »Sepp kommt bald zurück«, flüsterte er. »Es wäre gut, wenn er Sie nicht mehr sehen würde.«

Daniel verabschiedete sich schnell. Aber als er seinen Wagen besteigen wollte, kam Sepp auf seinem Motorrad daher. Im ersten Augenblick dachte Daniel nur daran, wie frech dieser Bursche mit Fee geredet hatte, aber er beherrschte sich.

»Was wollen Sie hier?« fragte Sepp auch ihn frech.

»Ich wollte Dr. Urban einen Besuch machen, aber er scheint nicht dazusein«, erwiderte Daniel geistesgegenwärtig.

Sepp kniff die Augen zusammen. »Er wird vielleicht schlafen, dieser senile Tattergreis. Kann ich ihm etwas ausrichten?«

»Nein, das erübrigt sich«, erwiderte Daniel eisig, aber dann besann er sich doch anders. »Oder sagen Sie ihm, daß ich sehr an einer Zusammenarbeit mit Frau Renz interessiert wäre. Mein Name ist Norden, Dr. Norden, Arzt von Beruf.«

Er stieg in seinen Wagen. Sepp blickte ihm mit törichtem Ausdruck nach. Das sah Daniel im Rückspiegel. Er war überzeugt, diesen Burschen richtig eingeschätzt zu haben.

Er war geistig beschränkt. Aber ihn faszinierte die Ähnlichkeit, die er mit Anna Renz hatte, obgleich man sie gewiß nicht als geistig beschränkt bezeichnen konnte, doch in diesem Augenblick konnte er noch nicht ahnen, daß Sepp ihm eine unerwartete Hilfestellung leistete. Als er Sepps Blicken entschwunden war, schwang der junge Mann sich wieder auf sein Motorrad und fuhr zum Entbindungsheim Miranda.

»Was willst du jetzt schon wieder, Sepp?« fragte Anna Renz ungehalten. »Du weißt doch, daß du dich hier nicht so oft blicken lassen sollst.«

»Ich muß dir was sagen, Mama. Ein Herr wollte zu Onkel Urban, aber der hat mal wieder geschlafen. Es war ein feiner Herr, Dr. Norden, Arzt von Beruf. Das hat er gesagt, und ich soll Onkel Urban ausrichten, daß er an einer Zusammenarbeit mit dir interessiert wäre. Das mußte ich doch sagen.«

»Ja, es ist gut, es ist sehr gut, Sepp.« Und in Annas Augen glitzerte Triumph. Doch der erlosch, als Sepp sagte: »Dafür kriege ich doch eine Belohnung, Mama. Die Blonde möchte ich haben, die schöne Blonde, die neulich auch zu Onkel Urban wollte.«

»Welche Blonde?« fragte Anna mit zusammengekniffenen Augen. »Wann war sie bei Urban?«

»Neulich. Er war bei dir. So ganz silberblondes Haar hat sie. Sie wollte sich doch bei dir melden. Ihr Kind gibst du nicht weg, Mama, das behalten wir.«

»Du spinnst ja mal wieder«, sagte Anna hart. »Geh jetzt.«

Ein böser, haßvoller Zug legte sich um seinen Mund. »Ich spinne nicht«, zischte er. »Ich weiß, was hier vorgeht. Ich bin kein Depp wie Onkel Urban.«

»Du hältst deinen Mund, sonst bekommst du keinen Cent mehr«, fuhr sie ihn an. »Und das Motorrad nehme ich dir auch wieder weg.«

»Das darfst du nicht!« schrie er.

»Dann sei ein braver Junge«, sagte sie streng.

Er schwang sich wieder auf sein Motorrad und fuhr davon.

Annas Gedanken überstürzten sich. Wer war silberblond?

Sandra! Aber sie hatte das Haus nie verlassen und hatte Sepp nie gesehen. Oder doch?

Sie überlegte, dann ging sie zu Sandra ins Zimmer. Sie saß am Fenster und häkelte an einem Babyjäckchen.

»Alles in Ordnung, Sandra?« fragte Anna freundlich.

»Ja, es geht mir gut.«

»Da gibt es einen jungen Mann, der sich für Sie zu interessieren scheint. Ein netter junger Mann«, sagte Anna.

»Ich verstehe nicht«, erwiderte Sandra verwundert.

»Sie sind neulich nicht spazierengegangen?« fragte Anna.

»Im Garten, ja, aber ich weiß gar nicht, was Sie meinen.«

»Sepp hat großes Interesse für Sie. Auch für Ihr Baby, Sandra. Ich glaube, er würde Sie heiraten.«

»Sepp?« fragte Sandra. »Der junge Mann, der die Lebensmittel bringt?«

»Er ist doch sehr nett, und er ist auch nicht unvermögend«, sagte Anna. »Er könnte Ihnen etwas bieten, San-dra.«

Sandra blickte zum Fenster hinaus. »Sie meinen es sicher gut, Frau Renz«, sagte sie leise, »aber ich muß Ihnen ein Geständnis machen. Ich bin verheiratet.«

»Sie sind verheiratet?« wiederholte Anna fassungslos.

»Ja, und mein Kind soll den Namen seines Vaters tragen. Es würde ja doch bekannt werden.«

»Mit wem sind Sie verheiratet?« fragte Anna heiser.

»Mit Götz von Hellbrink«, erwiderte Sandra. »Seine Familie sollte nichts davon wissen. Wir haben heimlich geheiratet, bevor er nach Afrika geschickt wurde.«

»Aber er ist verschollen«, entfuhr es Anna.

»Verschollen?« wiederholte Sandra entsetzt. »Wieso verschollen?«

»Es stand doch in der Zeitung, daß er mit noch ein paar anderen von einer Safari nicht zurückgekehrt ist.«

Und dann hielt sie den Atem an, denn Sandra war aufgesprungen, rang nach Atem, ein unterdrückter Aufschrei kam über ihre Lippen, und dann sank sie ohnmächtig zusammen.

Anna Renz stürzte zum Telefon und rief Dr. Urban an. Momentan wußte sie selbst nicht mehr, was sie tun sollte.

Als Sandra zu sich kam, verspürte sie heftige Schmerzen, als würde ihr ganzer Körper auseinandergerissen. Von diesen Schmerzen war sie auch ins Bewußtsein zurückgeholt worden.

Sie erkannte Dr. Urbans Gesicht, das sich dicht über sie beugte.

»Jetzt ganz ruhig atmen. Wir werden es bald geschafft haben«, sagte er.

Sandra vernahm einen hysterischen Schrei, aber nicht sie selbst hatte diesen ausgestoßen.

»Paß auf sie auf«, vernahm sie dann Annas Stimme. »Es darf nichts passieren, Urban.«

Ihr war es, als würde sie über dem Boden schweben, aber dann kam wieder dieser fürchterliche Schmerz, und sie bäumte sich auf.

»Pressen«, sagte Dr. Urban. »So pressen Sie doch! Und tief durchatmen!«

Seine Worte wirkten suggestiv. Sie befand sich in einem seltsamen Zustand. Sie spürte Schmerzen, aber diese erstickten jeden Widerstand. Sie ließ sich einfach treiben, mitreißen. Sie schien auf Wolken zu schweben, als dieser wahnsinnige Schmerz dann plötzlich nachließ, und aus weiter Ferne vernahm sie Dr. Urbans Stimme: »Es ist ein Junge, ein prächtiger Junge! Anna, es ist überstanden.«

Sandras Sinne schwanden. Es war ihr, als würde sie sich von der Erde entfernen.

»Götz, ich liebe dich«, flüsterte sie, »ich werde dich immer lieben, immer, immer, immer…« Ihre Stimme verlor sich. Sie wußte nicht mehr, was um sie herum geschah.

»Das kam zu plötzlich«, sagte Anna Renz kalt. »Wir haben eine Frühgeburt. Diese Christel. Ich kann nichts riskieren. Dr. Norden hat sie hergebracht. Kümmere dich um sie, Urban!«

»Ruf Norden an«, sagte er. »Hier werde ich auch gebraucht. Sandra schwebt in Lebensgefahr. Es wird Schwierigkeiten mit der Nachgeburt geben.«

»Es ist ein Junge, ein prächtiger Junge. Ich kann ihn brauchen.«

»Brauchen?« fragte Dr. Urban.

»Kümmere dich um Christel«, sagte Anna scharf.

»Ruf Dr. Norden an«, sagte er aggressiv. »Du weißt hoffentlich, worum es geht.«

Zum ersten Mal duckte sie sich. »Ja, ich rufe ihn an«, sagte sie tonlos.

*

»Daniel, für dich, ein dringender Anruf«, sagte Fee zu ihrem Mann. »Sie hat keinen Namen genannt.« War da nicht doch ein Unterton von Eifersucht in Fees Stimme? Daniel Norden nahm den Hörer ans Ohr.

»Es ist gut, Frau Renz, ich komme«, sagte er, nachdem er ein paar Sekunden gelauscht hatte. »Ja, sofort!«

»Es scheint dort nichts auszusetzen zu geben«, sagte er gedankenvoll zu Fee, als er den Hörer aufgelegt hatte.

»Dann will ich nicht mehr Fee Norden heißen«, sagte Fee störrisch.

»Du willst nicht?« fragte Daniel hintergründig.

»Sei wachsam, Liebster. Mein Gefühl sagt mir…« Aber da war er schon an der Tür. »Gefühle können manchmal doch täuschen, Fee«, rief er ihr zu.

Er brauste mit Vollgas davon. Wenn ihm nur nichts passiert, dachte Fee, als sie den aufheulenden Motor hörte. Sie wußte, daß er mindestens zwanzig Minuten brauchen würde.

Daniel Norden schaffte es in fünfzehn Minuten, weil glücklicherweise kaum Gegenverkehr war. Er läutete Sturm, als er das Entbindungsheim erreicht hatte.

»Dr. Norden«, sagte er, als eine ihm fremde Stimme fragte, wer da sei. Das Tor tat sich auf. Dann taumelte ihm blaß Dr. Urban entgegen.

»Sie muß schleunigst in die Klinik. Lebensgefahr«, murmelte er.

Daniel dachte, daß es sich um Christel handle, und sein Gewissen schlug. Er war wie betäubt, aber er wählte schon die Nummer des Notarztes, die er im Gedächtnis hatte.

Nur im Unterbewußtsein hörte er klägliche Schreie und dann das Wimmern eines Babys.

Anna Renz blieb unsichtbar. Dr. Urban redete wirres Zeug. Dr. Norden blickte in ein ihm fremdes Gesicht, das blutleer und starr war.

»Das ist doch nicht Christel Jakob«, sagte er.

»Nein, nein«, murmelte Dr. Urban. »Sie darf nicht sterben, sie darf nicht sterben.«

Dann sackte er auf einem Stuhl zusammen und legte die Hände vor sein Gesicht. »Ich bin müde, müde«, murmelte er. »Nehmen Sie mir diese Last ab.«

Dann vernahmen sie das Martinshorn. Anna Renz stürzte herein. Sie starrte Dr. Norden an.

»Die Patientin muß in eine Klinik, Anna«, sagte Dr. Urban. »Hörst du? Sie verblutet sonst.«

»Gut, daß Sie da sind, Dr. Norden«, sagte Anna Renz. »Christel hat eine Frühgeburt. Wir haben einen schlechten Tag.«

Der Notarztwagen war da. »Bringen Sie die Patientin schleunigst zur Leitner-Klinik«, sagte Daniel zu dem fremden jungen Arzt. »Ich komme nach.«

Er hatte Christel in diese prekäre Situation gebracht. Er konnte sie jetzt nicht im Stich lassen. Was sich hinter seinem Rücken abspielte, konnte er nicht beeinflussen. Es ging lautlos vor sich.

Christel Jakob brachte ein Mädchen zur Welt, winzig war es und gehörte noch in den Brutkasten. Dafür sorgte Dr. Norden.

Anna Renz sagte vorwurfsvoll: »Das haben Sie auch nicht vorausgesehen, Herr Doktor. Es kam sehr überraschend, aber mich trifft keine Schuld.«

Schuldbewußt fühlte sich Dr. Norden. »Ich werde Christel auch in die Klinik bringen lassen«, sagte er. »Schließlich ist sie meine Patientin. Würden Sie mir jetzt bitte noch den Namen der anderen Patientin sagen?«

Bevor Anna Renz antworten konnte, wurde der von Dr. Urban ausgesprochen. »Sandra Trento.«

Dr. Norden war konsterniert, so bestürzt, daß er gar nicht nach dem Kind fragte.

Der Notarztwagen holte nun auch Christel und ihr Baby. Dr. Norden fuhr schleunigst zur Leitner-Klinik, wo man sich schon um Sandra bemühte.

Der erfahrene Gynäkologe Dr. Leitner hatte die Nachgeburt schon geholt und die Blutung eingedämmt.

»Was ist mit dem Baby?« fragte er.

»Ich werde gleich zurückfragen«, sagte Daniel. »Es ging alles so schnell.«

»Es mußte schnellgehen«, sagte Dr. Leitner. »Sie wäre sonst verblutet.«

*

»Sie wäre verblutet«, wehrte Dr. Urban Annas Vorwürfe ab.

»Du bist ein Stümper«, fauchte sie. »Dich kann man nicht mehr allein lassen. Man wird nach dem Kind fragen.« Und da läutete auch schon das Telefon.

»Ja, Dr. Norden?« fragte Anna. »Wie geht es Sandra? Das ist beruhigend«, fuhr sie fort, nachdem sie ein paar Sekunden gelauscht hatte. »Es ist ein Mädchen. Gesund und kräftig. Wir können es hierbehalten. Sie wollen es bei der Mutter haben? Gut, dann bringe ich es hin. Sie brauchen keine Sorge zu haben. Ich bin auf Babytransporte eingerichtet.«

Dr. Urban stand wie erstarrt. »Wieso sagst du, daß es ein Mädchen sei?« fragte er konsterniert.

»Es ist ein Mädchen«, sagte sie scharf. »Du bist ja schon so blind, daß du nicht mal mehr die Geschlechter auseinanderhalten kannst.«

»Anna«, sagte er warnend.

»Halt deinen Mund. Bring uns bloß nicht in Schwierigkeiten. Dieser Tag kostet mich genug Nerven. Aber Norden wird mir jetzt schon gefällig sein. Diese Frühgeburt hat ihn ganz schön geschockt. Und er hat das Mädchen selbst hierhergebracht.«

»Hüte dich, Anna«, sagte Dr. Urban tonlos. »Geh nicht zu weit.«

»Misch du dich nicht mehr ein«, sagte sie scharf. »Ich bringe das Mädchen jetzt zur Leitner-Klinik. Niemand kann mir etwas nachsagen. Niemand, hörst du? Kümmere dich um die Mölnik. Sie ist ganz schön hysterisch.«

Seine Gedanken arbeiteten fieberhaft, als sie mit dem Korb, in dem ein Baby schlummerte, hinausging.

»Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht«, murmelte er, »und es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch an das Licht der Sonnen.«

Und da stand Hilde Roth vor ihm. Lautlos war sie aus ihrem Zimmer gekommen. Entsetzt starrte er sie an.

»Ich will hier weg, Dr. Urban«, flüsterte sie angstvoll. »Ich habe Angst. Bitte, helfen Sie mir.«

Er nickte stumm und ergriff ihre Hand, die eiskalt war, und dann redete er leise auf sie ein.

Es war fast elf Uhr, als Anna mit dem Baby in der Leitner-Klinik erschien. Dr. Norden wartete in der Halle.

»Das ist aber wirklich ein kräftiges Baby«, sagte er irritiert.

»Es wird Sandra über den Schock hinweghelfen«, erklärte Anna Renz. »Ich kann mich nicht aufhalten, Dr. Urban ist ziemlich durcheinander. Sie werden das bestätigen können, falls es Schwierigkeiten geben sollte. Was Christel Jakob anbetrifft, sollten wir uns noch einmal unterhalten.«