Nah am Leben - Peik Volmer - E-Book

Nah am Leben E-Book

Peik Volmer

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Beschreibung

Professor Dr. Egidius Sonntag ist ein wahrlich ungewöhnlicher Chefarzt, überaus engagiert, aber auch mit kleinen menschlichen Fehlern behaftet. Sie machen diese schillernde Figur ganz besonders liebenswert, aber auch verletzlich. Manchmal muss man über ihn selbst den Kopf schütteln, wenn er etwa den 15. Hochzeitstag vergisst und seine an Brustkrebs erkrankte Ehefrau töricht vernachlässigt. Er tut dies nicht aus Lieblosigkeit, aber er ist auch nicht vollkommen. Dr. Sonntag ist der Arzt, der in den Wirren des Lebens versucht irgendwie den Überblick zu behalten – entwaffnend realistisch geschildert, aber nicht vollkommen. Diese spannende Arztserie überschreitet alles bisher Dagewesene. Eine Romanserie, die süchtig macht nach mehr! Verehrte Leserin, geschätzter Leser, Sie haben soeben die Ausgabe Nr. 11 unserer kleinen Geschichte gekauft. Dafür bin ich Ihnen natürlich persönlich dankbar, hoffe allerdings auch, dass ich Sie bisher gut unterhalten konnte. Ich sag dazu auch noch etwas in meinem Kurzen Nachwort. Das ist ja immer so eine Sache mit realen Geschichten, bei denen nur ein paar Details verändert wurden, um die Persönlichkeitsrechte der handelnden Personen zu schützen, von denen sich vielleicht der eine oder andere sogar wiedererkennt. Aber selbst wenn: Wirklich unsympathisch habe ich nur eine Person gefunden. Alle anderen waren doch, von ein paar Fehlern mal abgesehen, liebenswert. Oder vielleicht sogar wegen ihrer Fehler? Die sollen ja auch bei uns vorkommen, oder? Es sind halt Menschen, die versuchen, irgendwie durchs Leben zu kommen, ohne allzu viel anzuecken. Ein wenig Freude zu haben. Sie wollen niemanden willentlich oder wissentlich verletzen, auch wenn es gelegentlich passiert – genauso wenig, wie sie selbst verletzt werden wollen. Manchmal allerdings erlebt man Überraschungen. Man schliddert in Situationen, die man nicht vorhersah oder verschuldete. Die man nicht zu verantworten, aber zu vertreten hat. Zum Beispiel anlässlich eines Besuches, in einer Reha-Klinik in Niederbayern. Beim Betreten des Zimmers zog Timon schnell seine Hand aus der seines Besuchers. Allerdings war die Situation dem scharfen Auge von Chris nicht entgangen. Durch die Hast der Bewegung wurde schlechtes Gewissen noch offensichtlicher. Hier war etwas geschehen, was sich nicht hätte ereignen dürfen.

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Dr. Sonntag – 11 –

Nah am Leben

Was ist denn schon normal?

Peik Volmer

Verehrte Leserin, geschätzter Leser, Sie haben soeben die Ausgabe Nr. 11 unserer kleinen Geschichte gekauft. Dafür bin ich Ihnen natürlich persönlich dankbar, hoffe allerdings auch, dass ich Sie bisher gut unterhalten konnte. Ich sag dazu auch noch etwas in meinem Kurzen Nachwort. Das ist ja immer so eine Sache mit realen Geschichten, bei denen nur ein paar Details verändert wurden, um die Persönlichkeitsrechte der handelnden Personen zu schützen, von denen sich vielleicht der eine oder andere sogar wiedererkennt. Aber selbst wenn: Wirklich unsympathisch habe ich nur eine Person gefunden. Alle anderen waren doch, von ein paar Fehlern mal abgesehen, liebenswert. Oder vielleicht sogar wegen ihrer Fehler? Die sollen ja auch bei uns vorkommen, oder? Es sind halt Menschen, die versuchen, irgendwie durchs Leben zu kommen, ohne allzu viel anzuecken. Ein wenig Freude zu haben. Sie wollen niemanden willentlich oder wissentlich verletzen, auch wenn es gelegentlich passiert – genauso wenig, wie sie selbst verletzt werden wollen.

Manchmal allerdings erlebt man Überraschungen. Man schliddert in Situationen, die man nicht vorhersah oder verschuldete. Die man nicht zu verantworten, aber zu vertreten hat. Zum Beispiel anlässlich eines Besuches, in einer Reha-Klinik in Niederbayern. Die Besucher haben herausgefunden, wo der Patient liegt, begeben sich zu dessen Zimmer, und finden ihn, Hand in Hand, mit jemandem, den man dort eher nicht erwartet hätte …

Das wird man ja wohl

noch sagen dürfen

Beim Betreten des Zimmers zog Timon schnell seine Hand aus der seines Besuchers.

Allerdings war die Situation dem scharfen Auge von Chris nicht entgangen. Durch die Hast der Bewegung wurde schlechtes Gewissen noch offensichtlicher. Hier war etwas geschehen, was sich nicht hätte ereignen dürfen.

Philipp war wild entschlossen, sich in jeder sich bietenden Situation heiter und gut gelaunt zu präsentieren. Freundlich grüßte er.

»Hallo, Timon! Hallo, Emmerich! Schön, euch zu sehen! Alles gut? Quälen sie dich hier ordentlich?«

»Das kann man wohl sagen«, grinste Timon. »Wenn ich diese ganzen Therapien hinter mir habe, bin ich wirklich geschafft! Dagegen war ja St. Bernhard der reinste Erholungsaufenthalt!«

»Gelobt sei, was hart macht«, stellte Philipp nüchtern fest. »Dagmar hat mich gebeten, dir mitzuteilen, dass sie dich dringend braucht in der Notaufnahme. Und dass du dir – ich zitiere – ›verdammt noch mal Mühe geben sollst, dein Hinterteil schnellstens in Richtung St. Bernhard zu bewegen‹. Unter uns: Für Hinterteil hat sie einen anderen Ausdruck verwendet. Aber derlei kommt nicht über meine Lippen. Dafür bin ich zu vornehm!«

Die Herren lachten.

»Ihr wundert euch sicher, dass ich hier bin«, meldete sich Emmerich zu Wort. Chris und Philipp hoben abwehrend die Hände.

»Aber nicht doch! Warum sollten wir uns darüber wundern, dass ein Arbeitskollege einen anderen Arbeitskollegen besucht? Völlig selbstverständlich!«

»Ich meine nur, weil wir hier so vertraut …«

»Vertraut? Ich dachte, du hättest Timon eine Übung gezeigt! War doch so, oder?«

Sowohl Emmerich als auch Timon schauten Chris und Philipp verunsichert an.

»Sag mal, Hannes, willst du dem Timon nicht mal guten Tag sagen? Und dem Emmerich vielleicht auch?«

Der Junge hatte sich an den Tisch gesetzt und mit einem Kugelschreiber ein Blatt Papier aus dem Protokollheft bearbeitet, in dem der Zeitplan für die Anwendungen, der Speiseplan für die laufende Woche sowie einige Informationen zu den Abläufen in der Klinik gesammelt waren.

»Hannes, das ist ein Dokument! Ich bin nicht sicher, ob das so gut ist, wenn du das zum Malen benutzt!«

Chris gab sich Mühe, streng zu klingen, was ihm halbwegs gelang.

»Ich male nicht«, behauptete der Junge. In der Tat sah man auf dem Papier diverse geometrische Muster, Quadrate, Dreiecke, Trapeze.

»Gibt’s kein WLAN?«, fragte er in Simons Richtung. »Ich hab hier nur E-Netz!«

»Glaube es oder glaube es nicht: WLAN ist hier kostenpflichtig. Deswegen habe ich darauf verzichtet. Nicht aus Geiz, sondern aus Prinzip.«

»Kann ich rausgehen?«, fragte der Junge. »Draußen war wenigstens G3!«

Chris erlaubte es ihm. »Aber nicht vom Gelände gehen, okay? Und lass dich bitte von niemandem ansprechen!«

Das versprach Hannes und trollte sich.

»Ihr habt ein Kind?«, fragte Emmerich. »Das ist so toll! Wirklich! Ich beneide euch!«

Philipp nickte.

»Hannes ist eigentlich der Sohn einer Kollegin, die allerdings deutlich überfordert mit ihm war. Persönliche Gründe. Sie hatte einen schweren Unfall und uns gebeten, dass wir uns um Hannes kümmern. Dann sollte er nach ihrem Wunsch dauerhaft bei uns leben, was wirklich gut funktionierte. Als es ihr wieder besser ging, wollte sie ihn zurück – aber der Junge war wild entschlossen, bei uns zu bleiben, und – ehrlich: Es wäre uns sehr schwer gefallen, ihn wieder hergeben zu müssen. Als Lily dann anfing, uns zu beschimpfen, war ich böse und habe sie erpresst.«

»Mit was denn?«, erkundigte sich Timon überrascht.

»Ich möchte darüber nicht sprechen«, erwiderte Philipp. »Es führte immerhin dazu, dass sie zähneknirschend einwilligte. Und so lebt der Junge nun bei uns, und wir könnten uns keinen tolleren Sohn wünschen!«

»Er ist ein Asperger-Kind, oder?«

»Donnerwetter, Emmerich! Glänzende Diagnose! Ja, ist er, allerdings in einer besonders milden Form. Und seit er in Waakirchen regelmäßig zum therapeutischen Reiten geht, ist sein Zustand noch besser geworden. Solange er ein Gerüst für den Tag hat, ein Schema, findet er Halt, und alles ist gut. Nur wenn zu viel Unerwartetes ungeordnet auf ihn einstürzt, dekompensiert er etwas. Aber dass Asperger-Kinder keine emotionale Bindung aufbauen können, gilt nicht für ihn, im Gegenteil. Er ist nicht spontan herzlich, und schon gar nicht zu Fremden. Aber uns kennt er gut, wir bedrängen ihn nicht. Wir warten, bis er auf uns zukommt.«

»Einfach großartig. Ich freue mich für euch!«

»Timon, erzähl doch bitte: Wie geht es dir?«, fragte Chris.

»Mir geht es ähnlich wie Hannes«, lachte dieser. »Wenn alles schön langsam geht, und nicht zu viel auf einmal passiert, klappt alles wunderbar. Manchmal fühle ich mich überfordert. Aber ich bemerke den Fortschritt, und dass ist alles, worauf es ankommt. Es gibt sogar Tage, an denen ich mir vorstellen kann, wieder voll zu arbeiten. Der Kollege hier rät mir zu einer Wiedereingliederung stufenweise, ihr kennt das. Eine Woche zwei Stunden täglich, eine Woche vier Stunden, eine Woche sechs Stunden und dann wieder voll.«

Philipp wirkte wie ein Stationsarzt mit seiner ernsten, nachdrücklichen Antwort.

»Das ist mit Sicherheit vernünftig so. Und wie ich Dagmar kenne, wird sie dich unterstützen. Wie wir alle übrigens. Du brauchst keine Angst zu haben, Timon. Du bist nicht allein.«

»Ach, Philipp«, entgegnete Timon traurig. »Ich wollte, dass du recht hättest. Wirklich. Aber ich glaube, dass ich meine Familie verloren habe. Tatsächlich. Mir graut vor dem Tag, an dem ich hier entlassen werde. Ich weiß gar nicht, wo ich hingehen soll!«

»Du kommst zu mir«, erklärte Emmerich bestimmt. »Das wäre ja wohl noch schöner. Mach dir da bloß keine Sorgen!«

»Das ist total lieb von dir, Emmerich. Aber die Frage ist, ob das wirklich eine dauerhafte Lösung ist. Du bedeutest mir viel …«

Erschrocken hielt er inne und sah Chris und Philipp schuldbewusst an. Diese konnten sich eines Schmunzelns nicht erwehren.

»Du, wir sind hautnah in der Thematik! Unseretwegen brauchst du nicht mit deinen Gefühlen hinter dem Berg zu halten!«

Timon atmete erleichtert auf.

»Nein. Was ich sagen will, ist – du bedeutest mir viel. Das heißt aber nicht, dass ich leichten Herzens auf meine Frau, auf meine Kinder und Schmidt verzichten möchte!«

»Schmidt?« Emmerich Fahl wirkte irritiert.

»Unser Hund. Ein Bobtail. Total süß! 99% Herz. 1% Hirn.«

»Ich halte es für möglich, Timon, dass diese Entscheidung nicht mehr wirklich in deiner Hand liegt. So, wie Chris und ich deine Gattin in der Klinik erlebt haben … Vielleicht kann Egidius etwas ausrichten. Der ist immer hilfsbereit und sehr weise und besonnen. Vielleicht kann der noch mal mit ihr reden.«

»Meinst du, dass er das tun würde?«

»Natürlich würde er. Du gehörst zu seiner Familie.«

Timons Blick wanderte ungläubig zwischen den beiden hin und her.

»Seiner Familie?«

»Egidius’ persönliches Konzept seiner Auffassung vom Klinikbetrieb. Die Mitarbeiter sind eben seine Familie. Egal, ob Oberarzt oder Raumpflegerin. Du arbeitest bei uns? Du gehörst dazu. Und jeder tritt für dich ein, genau so, wie man von dir erwartet, dass du für jeden anderen Kollegen eintrittst. Deswegen war es auch so eine Katastrophe, als vor ungefähr einem Jahr plötzlich das Giftbuch nicht stimmte und herauskam, dass Cortinarius Betäubungsmittel abgezweigt hatte!«

»Moment mal … Cortinarius? Der ist doch Oberarzt auf der Chirurgie!«

»Ganz genau. Er wurde verurteilt. Und beurlaubt. Aber statt ihn zu feuern, gab Egidius ihm eine neue Chance nach einer Entzugstherapie. Vermutlich hätte er sonst nirgendwo mehr eine Stelle gefunden! Aber er hat sich wirklich glänzend zurückgemeldet. Kurz bevor er wieder anfangen sollte, hatte Egidius diesen schrecklichen Unfall. Wachs rief Cortinarius zu Hilfe. Der kam, operierte und rettete ihn. Deswegen kann unser Chef heute wieder laufen!«

»Ich bin da wirklich in einem komischen Laden gelandet«, stellte Timon fest. »Ehrlich – so etwas habe ich in keinem der Häuser erlebt, in denen ich bisher gearbeitet habe!«

»Einschließlich der hervorragenden Physiotherapie, stimmt’s?«

Chris zwinkerte anzüglich. Philipp stupste ihn an.

»Sei nicht so frech!«

»Wieso frech? Das wird man ja wohl noch sagen dürfen, oder?«

Ich will auch!

»Und so frage ich Sie, Frau Veronika Froschauer: Sind Sie gewillt, die hier anwesende Frau Hatice Yildirim zu Ihrer rechtmäßig angetrauten Ehefrau zu nehmen, so antworten Sie bitte laut und deutlich, ›Ja, ich will!‹«

»Ja, ich will.«

»Ich frage auch Sie, Frau Dr. Hatice Yildirim: Sind Sie gewillt, die rechtmäßige, eheliche Verbindung mit der hier anwesenden Frau Veronika Froschauer aus freien Stücken einzugehen, so antworten auch Sie bitte mit einem klaren ›Ja, ich will!‹«

»Ja, ich will auch!«

»Kraft des mir verliehenen Amtes als Standesbeamter des Freistaats Bayern, Bezirk Miesbach, erkläre ich Sie hiermit zu rechtmäßig verbundenen Eheleuten. Ich freue mich, der erste zu sein, der Ihnen gratulieren und von Herzen alles Gute wünschen darf!«

Der Standesbeamte trat auf die beiden Damen zu und schüttelte ihnen kräftig die Hände.

Mit Enttäuschung hatte Vroni festgestellt, dass ihr Vater sich hatte entschuldigen lassen. Immerhin war ihre Mutter erschienen, die nach Überwindung anfänglicher Schüchternheit langsam auftaute und mit Ayse das Gespräch suchte. Als Trauzeugin hatte Vroni sich Schwester Birte ausgesucht, die stolz ihre Aufgabe erfüllte. Für Hatice war eine befreundete Kollegin angetreten. Unter den Gästen, die sich aus dem Freundeskreis der beiden rekrutierten, fanden sich auch Corinna und Egidius, der als Vronis ›Lebensretter‹ – wie sie nicht müde wurde zu betonen – nicht fehlen durfte.

Im Anschluss an die kleine Zeremonie verlagerte sich die Festgemeinde in das ›Bräustüberl‹ am Tegernsee, in dem der Chefarzt vom Maître, Herrn Weber, auf das Herzlichste begrüßt wurde. Es war immer wieder erstaunlich, mit welcher Hingabe der würdige ältere Herr bemüht war, den Bedürfnissen seines prominenten Gastes gerecht zu werden. Egidius seinerseits behandelte ihn niemals wie einen Kellner, sondern trat ihm mit höchstem Respekt und Freundlichkeit gegenüber.

Man hatte sich darauf geeinigt, alles zu vermeiden, was dem heiteren, informellen Charakter der Veranstaltung entgegenstand. Das Ehepaar, das zwei Tische weiter gesessen hatte, hatte seine Rechnung beglichen und erhob sich nun. Egidius nickte freundlich herüber. »Habe die Ehre, Herr Dr. Schmid!«, rief er. Corinna zugewandt, erklärte er, »Herr Dr. Schmid ist ist Richter am Amtsgericht Miesbach!«

Das Ehepaar ging an dem Tisch vorbei. Veronika hatte mit dem Rücken zum Tisch der Schmids gesessen. »Dr. Schmid? Ach was!«, äußerte sie keck. »Einen guten Abend wünsche ich Ihnen und Ihrer Gattin!«

Der Richter erkannte die Braut, und zuckte, peinlich berührt, zusammen. »Guten Abend«, nuschelte er, und zog hastig seine Ehefrau in Richtung Ausgang. »Woher kennst du die Dame?«, fragte diese neugierig beim Verlassen des Restaurants.

»Schade, dass wir die Antwort nicht hören können!«, lachte Egidius.

»Macht nichts«, entgegnete die Braut. »Wetten, dass er ihr nicht die Wahrheit sagt? Aber ich glaube, der Arme hat einen schwierigen Abend vor sich!«

»Wie heißt du denn nun, Vroni?«, erkundigte sich deren Mutter. »Veronika Yildirim?«

»Wir behalten unsere Namen«, erklärte Hatice ihrer Schwiegermutter. »Zu Veronika passt der türkische Nachname nicht. Und in meiner Schule bin ich eben ›Frau Dr. Yildirim‹. Alles andere würde Verwirrung stiften.«

Auf Bitten von Egidius hatte Herr Weber dafür gesorgt, dass eine kleine Tanzfläche zur Verfügung stand. Das war zwar nicht üblich, aber Herr Weber liebte und bewunderte den Chefarzt. Und er fühlte sich zu 100% zuständig dafür, dass jeder Wunsch, der mit Professor Sonntag oder den zu ihm gehörenden Menschen zu tun hatte, erfüllt wurde und reibungslos funktionierte. Egidius wusste das, und nicht nur deswegen behandelte er den Maître mit großem Respekt und belohnte ihn mit einem aristokratischen Trinkgeld. Nicht, dass es dessen bedurft hätte. Wertschätzung kann man ja bekanntlich nicht kaufen.

Veronika tanzte mit ihrer Mutter die ersten Takte des Brautwalzers. Dann führte Ayse ihre Tochter auf die Tanzfläche. Beide Bräute tanzten, strahlend vor Glück und von dem fruchtigen Weißwein aus Rheinhessen, in ihr gemeinsames Leben hinein. Die Mütter betrachteten ihre Töchter liebevoll und mit trotzigem Stolz.

»Ich finde es wunderbar, dass die beiden sich gefunden haben«, freute sich Frau Froschauer. »Und das Beste daran ist, dass wir nicht auf Enkelkinder verzichten müssen, oder, Ayse?«

Die Angesprochene nickte. »Werden schöne Kinder. Wird aber Zeit! Hatice fast 30!«

»Meine Damen, machen Sie sich bitte keine Sorgen«, lächelte Egidius nonchalant. »Medizinisch ist das alles kein Problem mehr heutzutage. Außerdem kann ich ihnen die best­mögliche gynäkologisch-geburtshilfliche Versorgung beim Kollegen Antretter garantieren.«

»Wer Papa von Kind?« Ayse hatte ein paar Sekunden gegrübelt, und mit dieser Frage das Resultat ihrer Überlegung verkündet. »Geht nur mit Mann, oder?«

»Nach meinen letzten Informationen muss ich Ihnen recht geben, Frau Ayse«, lachte Egidius. »Aber glauben Sie mir: Alle Probleme kann man lösen. Das Einzige, was mir Sorgen bereitet, ist, dass Sie das Kind verwöhnen werden, von vorn bis hinten.«

»Ist Kind! Muss verwöhnt werden«, belehrte Ayse den Chefarzt. »Oma immer verwöhnen!«

Egidius dachte an das Verhältnis seiner Mutter zu seinem Sohn.

»Ich freue mich jetzt schon für ihren Enkel, Frau Ayse. Sie zur Großmutter zu haben, ist bestimmt ein besonderes Glück!«

»Genau so, wie dich als Mutter zu haben!« Hatice und Vroni hatten ihren Tanz beendet, sich dem Tisch genähert und Egidius’ letzten Satz mitbekommen.

*

»Das will ich auch!«

»Liebe Frau Tauber, bitte bedenken Sie, dass sie doch schon in etwas fortgeschrittenem Alter sind. Ich denke nur daran, dass wir den gynäkologischen Kollegen die Krebsfrüherkennungsuntersuchung erschweren. Außerdem, wenn Sie gestatten … Sie sind doch von Mutter Natur gar nicht so schlecht ausgestattet!«

»Aber sie sind nicht mehr straff!«

»Bitte, gnädige Frau, was glauben Sie denn? Dass uns Männern nur diese bedrohlich aufgerichteten, straffen Brüste gefallen? Also, ich persönlich gebe der sanften Sinnlichkeit und Natürlichkeit einer weichen, nicht operierten Brust den Vorzug. Haben Sie denn mit ihrem Gatten darüber gesprochen?«

»Der weiß gar nicht, dass ich hier bin. Er ist übrigens ein Kollege von Ihnen, ich bitte um Diskretion!«

»Ach, richtig! Jetzt weiß ich, warum ich Sie kenne. Klinik St. Bernhard, nicht wahr? Aber, liebe gnädige Frau, Diskretion müssen Sie nicht extra einfordern! Das ist ja schon ein Gebot der Schweigepflicht!«

Nein, Felix Antretter wusste nicht, dass Aglaja sich bei dem freundlichen plastischen Chirurgen am Tegernsee vorgestellt hatte. Eine beidseitige Lidkorrektur, ein Facelift, Fettabsaugung aus Bauchdecke und Oberschenkeln waren bereits besprochen.

»Wenn Sie darauf bestehen, Frau Tauber, dann machen wir das natürlich. Aber vertrauen Sie mir: Benötigen tun Sie diesen Eingriff sicher nicht! Sie sind eine schöne und attraktive Frau. Ich trenne das gern, weil das eine nicht zwangsläufig die Voraussetzung für das andere ist. Und generell gebe ich Ihnen zu bedenken, dass Ihr Gatte Sie vermutlich genau so liebt, wie Sie sind.

Bitte, denken Sie noch einmal über alles nach. Und vereinbaren Sie dann erst den Termin!«

»Nein, Herr Doktor, ich bin mir da ganz sicher. Gut, auf die Implantate verzichte ich. Aber Lider, Gesicht und Fettabsaugung machen wir. Nein, je schneller, desto besser! Am liebsten morgen!«

»Das besprechen Sie bitte mit meiner Helferin, gnädige Frau! Ich danke Ihnen sehr für Ihr Vertrauen!«