Dinge zwischen Himmel und Erde - Peik Volmer - E-Book

Dinge zwischen Himmel und Erde E-Book

Peik Volmer

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Beschreibung

Professor Dr. Egidius Sonntag ist ein wahrlich ungewöhnlicher Chefarzt, überaus engagiert, aber auch mit kleinen menschlichen Fehlern behaftet. Sie machen diese schillernde Figur ganz besonders liebenswert, aber auch verletzlich. Manchmal muss man über ihn selbst den Kopf schütteln, wenn er etwa den 15. Hochzeitstag vergisst und seine an Brustkrebs erkrankte Ehefrau töricht vernachlässigt. Er tut dies nicht aus Lieblosigkeit, aber er ist auch nicht vollkommen. Dr. Sonntag ist der Arzt, der in den Wirren des Lebens versucht irgendwie den Überblick zu behalten – entwaffnend realistisch geschildert, aber nicht vollkommen. Diese spannende Arztserie überschreitet alles bisher Dagewesene. Eine Romanserie, die süchtig macht nach mehr! Sie haben ja recht, sehr verehrte Leserin, sehr geehrter Leser. Irgendwie war in Band 13 Einiges rabenschwarz, oder? Dabei habe ich den Auftrag, so zu schreiben, dass Sie sich wohlfühlen. Kuschelig und geborgen. Ein Art schriftliche rosa Brille. Ja, so wünsche ich mir die Welt auch. Ich begreife auch nicht, was daran so schwierig ist. Wir wollen doch alle dasselbe: Ein Dach über dem Kopf, was zu essen. Geliebt werden. Uns irgendwo sicher und zu Hause fühlen. Wissen Sie, woran das liegt, dass wir das ums Verrecken nicht hinkriegen? Versprechen Sie mir eins, bitte? Helfen Sie mit! Es ist ganz einfach! Sie sitzen doch gerade im Bus oder dem S-Bahn-Wagen, oder? Lächeln Sie doch mal den alten Stinkstiefel gegenüber an! Halten Sie im Kaufhaus jemandem die Tür auf, auch wenn es ein Jugendlicher ist! Die Leute lernen, manchmal sogar von guten Vorbildern. Interessieren Sie sich dafür, wie es Ihren Kindern geht und was sie in der Schule machen, auch wenn Sie todmüde vom Malochen nach Hause kommen. Tragen Sie der alten Nebelkrähe von Nachbarin, die immer meckert, dass Ihre Kinder sich nicht die Schuhe abtreten, die schwere Einkaufstasche hoch.

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Dr. Sonntag – 14 –

Dinge zwischen Himmel und Erde

… die schwer zu benennen sind

Peik Volmer

Kleines Vorwort

Sie haben ja recht, sehr verehrte Leserin, sehr geehrter Leser. Irgendwie war in Band 13 Einiges rabenschwarz, oder? Dabei habe ich den Auftrag, so zu schreiben, dass Sie sich wohlfühlen. Kuschelig und geborgen. Ein Art schriftliche rosa Brille.

Ja, so wünsche ich mir die Welt auch. Ich begreife auch nicht, was daran so schwierig ist. Wir wollen doch alle dasselbe: Ein Dach über dem Kopf, was zu essen. Geliebt werden. Uns irgendwo sicher und zu Hause fühlen. Wissen Sie, woran das liegt, dass wir das ums Verrecken nicht hinkriegen?

Versprechen Sie mir eins, bitte? Helfen Sie mit! Es ist ganz einfach! Sie sitzen doch gerade im Bus oder dem S-Bahn-Wagen, oder? Lächeln Sie doch mal den alten Stinkstiefel gegenüber an! Halten Sie im Kaufhaus jemandem die Tür auf, auch wenn es ein Jugendlicher ist! Die Leute lernen, manchmal sogar von guten Vorbildern. Interessieren Sie sich dafür, wie es Ihren Kindern geht und was sie in der Schule machen, auch wenn Sie todmüde vom Malochen nach Hause kommen. Tragen Sie der alten Nebelkrähe von Nachbarin, die immer meckert, dass Ihre Kinder sich nicht die Schuhe abtreten, die schwere Einkaufstasche hoch. Und fragen Sie mal, wie es ihr geht! Alte Menschen sind einsam und deswegen verbittert.

Nehmen Sie sich vor, heute – ja, eigentlich an jedem Tag – einem Menschen, nur einem einzigen, etwas Nettes zu tun. Dann passiert etwas Wunderbares. Dieser Mensch wird es weitergeben, weil der so voll ist von diesem Gefühl, das Sie in ihm ausgelöst haben, dass er davon etwas abgeben kann. Ist das nicht wundervoll? Auf diese Weise machen Sie im Handumdrehen ganz viele Menschen glücklich!

Du lieber Himmel, ich sitze hier und verplaudere mich mit Ihnen! Dabei wollte ich doch die Geschichte weitererzählen! Na schön, das mache ich dann in Band 15 …

Das war ein Scherz! Nur ein Scherz! In diesem Band ist ja noch Platz genug! So. Wo waren wir liegengeblieben? Maxens Vater ist ums Leben gekommen, Dr. Wachs hat angeblich einen Kunstfehler begangen. Wir haben ein Familiengeheimnis der Schickenreuths gelüftet. Constanze hat ihren Bruder wiedergefunden. Timon Süden und Karin Fürstenrieder sind geschieden. Und auch Schwester Marion hat endlich nicht nur in ihrer Wohnung, sondern auch in ihrem Leben aufgeräumt und den Mann, der sie unwürdig behandelte, verlassen. Hatice ist schwanger. Und Vroni? Ehrlich? Ich mache mir große Sorgen …

Chemo

»Du siehst wie eine Astronautin aus«, lachte Hatice. Es klang nicht echt. »Aber egal! Wenn’s es was nützt!«

»Professor Antretter meinte, dass die Kühlung der Haarwurzeln die Zellteilungsrate herabsetzt und damit dem Haarausfall ein Schnippchen geschlagen wird! Außerdem finde ich das Ding zwar hässlich, aber ganz angenehm. Ich habe durchgängig Kopfschmerzen von diesem Mistzeug. Aber die Kühlkappe macht das erträglich! Auch das mit der Übelkeit hält sich in Grenzen!«

»Wieviele Zyklen sind denn geplant?«, fragte Hatice.

»Vier. Das volle Programm! Alle 14 Tage werde ich stationär aufgenommen!«

»Geht das nicht ambulant?«

»Vielleicht, ich habe nicht gefragt. Es ist mir lieber so.«

»Komm mir bitte nicht wieder mit deinem ›Ich möchte dir nicht zur Last fallen‹!«

»Nein, das ist nicht der Grund. Ich denke nur, dass, wenn was mit mir ist, ich dann gleich am richtigen Ort bin!«

Die Tür öffnete sich. Constanze Schickenreuth kam herein.

»Na, Frau Froschauer, wie geht es denn?«

»Blendend, Frau Doktor! Einfach wunderbar! Ich könnte Bäume ausreißen!«

»Entschuldigen Sie, das klang unsensibel, ich weiß. Aber bitte glauben Sie mir, dass Sie mir wirklich am Herzen liegen und ich mir Sorgen um Sie mache!«

»Ich glaube, jetzt muss ich mich entschuldigen. Ich bin im Augenblick ein wenig bitter. Bitter und ängstlich.«

Constanze setzte sich zu der Patientin auf die Bettkante und legte ihre Hand auf Vronis Arm.

»Ich kann das gut verstehen, Veronika. Aber Sie sind eine so starke Frau, und Sie haben mit Ihrer Frau und Ihrer Mutter ein stabiles Umfeld. Kein Grund, warum Sie es nicht schaffen sollten!«

»Wissen Sie, Frau Doktor, wir haben ja alle keinen Anspruch auf ewiges Leben. Irgendwann ist es ja auch mal gut, oder? Und ich habe keine Angst vorm Sterben. Ich habe nur Angst, meine Frau zu verletzen und traurig zu machen. Und ich möchte so gern unser Kind noch sehen und im Arm halten.«

»Vroni, ich …«, stammelte Hatice, »ich bin ganz tapfer. Du verletzt mich doch nicht, denk nicht so.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie ergriff die Vase mit den dunkelroten Rosen. »Ich geb den Blumen mal frisches Wasser«, brachte sie noch heraus, bevor sie eilig aus dem Zimmer stürzte.

»Da wir jetzt allein sind, Frau Doktor … Wie steht es um mich? Ich weiß, dass der Krebs sich ausgebreitet hat. Kann ich das schaffen?«

Constanze sah ihr fest in die Augen.

»Die Chemo kann den Krebs zurückdrängen. Aber gesund im Sinne von ›es ist alles wieder in Ordnung‹ –, das werden wir nicht hinbekommen.«

»Danke für Ihre Offenheit, Frau Doktor Schickenreuth. Da weiß ich wenigstens, worauf ich mich einzustellen habe! Also, die kommenden acht Monate muss ich irgendwie überstehen. Dann ist das Kind da. Und, wie hat meine Großmutter immer gesagt – nach mir die Sintflut!«

»Sie sind eine sehr, sehr starke Frau, Frau Froschauer. Ich bin froh, dass Sie meine Patientin sind. Seien Sie sicher: Egal, was auch immer passiert: Ich lasse Sie nicht im Stich. Ich bin für sie zuständig, und wenn Sie mich brauchen, bin ich für sie da! So, und jetzt kommt eine kleine Überraschung für Sie. Einmal bitte die Augen – zu! Nein, richtig zu! Sie mogeln, das sehe ich!«

»Gar nicht«, meuterte die Patientin.

»Na gut! Aber fest zulassen, ja? Nicht aufmachen!«

Veronika hörte, dass die junge Ärztin zur Tür ging und diese öffnete. Es folgte ein wenig Getuschel.

»So, und jetzt: Die Augen – auf!«

»BIRTE!«

Fast schrie Veronika den Namen der Schwester von der Kinderstation, die sich so liebevoll und geduldig um sie gekümmert hatte.

»Was für eine Freude! Wirklich! Etwas Schöneres hätte kaum noch passieren können! Dass Sie mich besuchen kommen, wirklich!«

»Ich komme nicht nur als Besucherin. Ich bin von der Kinderstation freigestellt für die Zeit, in der Sie jeweils hier stationär sind. Gut?«

»Sehr gut!«, freute sich die Patientin.

»Wenn etwas ist, sagen Sie einfach Bescheid. Im Prinzip bin ich als Ihre Privatschwester eingesetzt!«

»Atemberaubend!« Seit langer Zeit blitzte aus Vronis Augen erstmals wieder Glück.

»Ich wusste, dass du dich freuen würdest«, strahlte Frau Dr. Yildirim, Gymnasiallehrerin für Biologie und Sport. »Egidius hat sofort mir Professor Tauber und der Pflegedienstleitung telefoniert, und schon lief alles. So, jetzt brauchst du nur noch deinen Teil zum Erfolg beitragen und gesund werden!«

»Und wenn ich nicht gesund werde?«

Hatice schluckte. »Ich habe meinem Gehirn diesen Gedanken verboten, Vroni. Und ich werde ihn erst dann wieder zulassen, wenn es unumgänglich erscheint. Keine Sekunde eher.«

»Ich kann dich da gut verstehen, Liebste. Mir würde es nicht anders gehen.«

Kleinere Veränderungen

»Lieber Herr Tauber, nochmals recht herzlichen Dank für die schnelle, unbürokratische Hilfe! Es war mir sehr wichtig, für die Patientin ein familiäres Umfeld zu schaffen. Wenn ich Herrn Antretter richtig verstanden habe, gibt es wohl kaum noch eine Chance für die Patientin. Aber wenn wir dazu beitragen können, dass ihre letzten Tage auf dieser Erde mit etwas Freude angefüllt sind, sollten wir es tun, finden Sie nicht?«

»Ganz Ihrer Meinung, Herr Sonntag! Ach, da wir gerade miteinander sprechen: Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus! Im August werden Barbara und ich uns in St. Sixtus das Ja-Wort geben! Ich gehe fest davon aus, dass wir Sie zu unseren Gästen zählen dürfen! Eine schriftliche Einladung folgt natürlich noch!«

»Es wird mir und Corinna eine besondere Ehre sein, lieber Herr Tauber! Herzlichen Dank für die Einladung!«

»Ich wüsste nicht, wer sie mehr verdient hätte als Sie, Herr Sonntag. Sie haben viel für mich getan. Das vergesse ich Ihnen niemals!«

»Ach, ich bin ziemlich sicher, dass, wenn ich Sie um Hilfe gebeten hätte, Sie mir diese auch nicht abgeschlagen hätten. Wir sind Kollegen, arbeiten in demselben Haus: Das ist eine Selbstverständlichkeit!«

Der Pädiater hob die Hände.

»Hilfe ist das eine, Herr Sonntag. Aber in Ihnen habe ich einen Menschen gefunden, der seinen Glauben an mich keinen Moment verloren hat. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Jeder andere Chefarzt hätte mich als untragbar aus der Klinik gejagt!«

»Und hätte damit den besten Kinderarzt der Republik verloren! Nein, Herr Tauber, das war eiskalte Berechnung meinerseits! Ich kann einfach auf eine Koryphäe, wie Sie es sind, nicht verzichten!«

Die Herren lachten wie Schuljungen.

»Eine indiskrete Frage: Wie geht es denn Ihrer Frau – also, Ihrer Ex-Frau, meine ich?«

»Ich habe Aglaja schon einige Zeit lang nicht mehr gesehen nach ihrer Entlassung aus der Klinik, und ich bin ehrlich erleichtert, dass das so ist. Sie hat immer wieder versucht, meine Entscheidung zu ihrem Vorteil zu beeinflussen. Aber schon allein der Umstand …« – er lachte kurz auf – »… also, die anderen Umstände, in denen Barbara sich befindet, verbieten jeden Gedanken an eine Reunion zwischen Aglaja und mir.«

»Wie weit ist sie denn?«

»Ende des siebten Monats! Die Schwangerschaft belastet sie sehr, deswegen hat sie sich etwas zurückgezogen. Wir hatten vor, eher zu heiraten, haben aber beschlossen zu warten, bis das Kind auf der Welt ist! Es wird übrigens ein Stammhalter! Barbara will es nicht wissen, aber Herr Antretter hat es mir anvertraut!«

»Ich freue mich so für Sie, Herr Tauber. Sehen Sie? Das ist meine Lebensphilosophie. Egal, wie schlecht es dir geht, irgendwann geht es wieder bergauf. Auf das Durchhalten kommt es an. Aufgeben darf man nicht!«

»Sie haben recht, Herr Sonntag. Sogar mir altem Haudegen eröffnen sich noch neue Chancen. Komisch, oder? Ich habe mir nie vorstellen können, irgendwann mal nicht mehr jung zu sein!«

*

»Gott sei dank, Emmerich! Ich war völlig verzweifelt! Du bist nicht nach Hause gekommen, in der Klinik warst du nicht … Ich habe gedacht, dir ist etwas passiert!«

Emmerich Fahl, der weltbeste Physiotherapeut, grinste. Stimmte auffallend. Es war ihm etwas passiert. Etwas, wovon er geträumt hatte und von dem er befürchtete, dass es so abrupt zu Ende gehen könnte, wie es begonnen hatte. Aber wie hatte Timon gesagt? Genießen, was man hat, und nicht über das jammern, was man vielleicht irgendwann mal verlieren könnte. Das ergab Sinn. Timon war klug. Und attraktiv. Und er duftete nach Ingwer und Koriander. Gute Gründe, um ihn zu lieben, oder?

»Tut mir wirklich leid, Marion! Ich habe wirklich nicht daran gedacht, dass du dir Sorgen machen könntest. Bei mir ist es schon ziemlich lange her, dass sich jemand um mich Sorgen gemacht hat, aber … Vielleicht beginnt gerade eine neue Zeit!«

»Was? Wirklich? Wie ich mich für dich freue!« Sie zögerte einen Moment. »Ich ziehe dann natürlich aus. Eine junge Liebe will ich auf keinen Fall stören!«

»Du Schäfchen«, lachte Emmerich. »Du musst nicht ausziehen! Im Augenblick wohnen wir bei ihm!«

»Wer ist es denn? Kenne ich ihn?«

»Ja, du kennst ihn.«

»Nun sag schon!«

»Sei nicht so neugierig. Wir wollen es nicht an die große Glocke hängen. Und es ist fraglich, ob zwischen uns alles so bleibt. Aber egal! Ich bin so glücklich wie selten zuvor in meinem Leben!«

»Du meinst also, ich kann hier wohnen bleiben?«

»Auf jeden Fall! Meine Wohnung gebe ich nicht so schnell auf! – Marion, du musst entschuldigen, ich quatsche hier die ganze Zeit nur von mir! Sag mir: Wie geht es dir?«

»Ich kommen langsam zur Ruhe. Was hältst du davon? Mein Mann hat einmal – ja, genau ein einziges Mal – angerufen und gefragt, was los ist und ob ich zu ihm zurückkomme. Ich habe geantwortet, dass er sich erheblich ändern müsste, damit ich diesen Schritt zurück mache. Rate, wie er reagiert hat!«

»Keine Ahnung! Sich entschuldigt?«

»Er hat gegrunzt, und aufgelegt. – Nein! Das ist nicht nur seine Schuld. Ich wüsste gern, wann ich begonnen habe, mich unscheinbar zu fühlen. Unwichtig und nicht mehr liebenswert!«

»Es ist nicht zu spät, Marion. Wenn ich dich jetzt ansehe, blicke ich in das Gesicht einer schönen, sinnlichen Frau.«

»Wegen Schminken und so?« Sie zwinkerte im zu.

»Genau. Wegen Schminken und so. Du bist auf dem richtigen Weg!«

Emmerich warf ein paar Utensilien in eine hässliche, karierte Reisetasche. Ein paar T-Shirts, Jeans, Socken und Boxershorts. Und natürlich den Kulturbeutel. Marion beobachtete ihn. Er leuchtete von innen. So hatte sie ihn noch nie erlebt. Hoffentlich hielt sein Glück an, ohne Opfer seiner eigenen Erwartungen zu werden.

»Emmerich, egal, was passiert: Ich möchte, dass du weißt, dass du dich immer auf mich verlassen kannst, ja?«

»Das weiß ich sehr zu schätzen, schöne Frau!«, lachte er. »Und du weißt hoffentlich, dass es umgekehrt genauso ist!«

Bucket List

Egidius hatte mit der psychiatrischen Klinik telefoniert, in der Maxens Mutter behandelt wurde. Frau Grasegger habe die Nachricht vom Tod ihres Mannes mit höchster Gelassenheit aufgenommen, kaum, dass sie irgendeine Emotion gezeigt hätte. Auch der Junge zeigte sich wenig bewegt. Corinna hatte ihn zum Bestattungsinstitut in der Miesbacher Straße in Schliersee begleitet. Herr Oberseer versprach, alle Formalitäten zu erledigen, einzig den Gang zum Nachlassgericht hätte der Erbe selbst anzutreten. Er gab zu bedenken, dass einem bayerischen Landrat ja ein etwas pompöseres Begräbnis zukäme. Corinna winkte ab. Kleiner Kreis, keine Extrawürste.

Auf dem Nachlassgericht erfuhr Max, dass er – abzüglich des Pflichtteils, der dem amtlichen Vormund seiner Mutter treuhänderisch zur Verfügung gestellt werden würde, sowie der Erbschaftssteuer, mit seinem 18. Lebensjahr durch Haus und Grundstück sowie Barmittel über ein Vermögen von rund fünf Millionen Euro zuzüglich der Lebensversicherung seines Vaters über rund 500.000 Euro verfügen können würde.

»Und was mach ich mit der Kohle?«, fragte der Junge Corinna.

»Das ist wirklich ein Problem«, entgegnete diese. »Meine Erfahrungen mit Kreditinstituten sind leider schlecht. Denen würde ich zuletzt vertrauen. Gut, dass nicht alles als Bargeld herumliegt, sondern als Immobilie. Die kannst du nutzen, wie du magst. Selbst, mit Frau und Kindern vielleicht. Oder vermieten. Das wird man später sehen. Was das Bargeld angeht –, vertraue niemandem. Jeder hat nur seinen eigenen Profit im Auge, und du bist letztlich der, der es bezahlt. Es mag sich komisch anhören, aber wäre mir das passiert, würde ich ein Bankschließfach mieten und das Geld dort in bar einlagern.«

»Es sind ja auch noch gut vier Jahre Zeit. Aber eigentlich kann ich doch mit der Schule aufhören, oder? Ich brauche doch nicht mal einen Beruf zu lernen; arbeiten muss ich sowieso nicht!«

»Das, mein lieber Max, schlägst du dir bitte umgehend aus dem Kopf. Man kann nie sicher sein in diesen Zeiten. Wer weiß, ob das Geld seinen Wert behält. Und was sonst noch so alles passiert. Nein, mein Lieber. Du lernst brav, fährst in zwei Monaten nach England, und vor allem: Du behältst das bitte für dich und lebst so weiter wie bisher.«

»Wenigstens ein paar Markenklamotten! Und Sneakers. Die Nike Air Yeezy von Kanye West stehen ganz oben auf meiner Bucket List! Und Over-Ear-Headphones! Und das neueste Handy von Cherry!«

»Bitte, worauf stehen die? Auf deiner ›Bucket List‹? Und was war das? Over-Ear? Wenn es um so etwas geht, klappt es gut mit Englisch, oder? Nimm es mir nicht übel, aber: Du hast einen Vogel!«

*

»Wir könnten doch zusammen in dein Haus ziehen, oder, Max?«

Lukas war Feuer und Flamme.

»Ey, jeden Abend Party!«

»Sehr lustig, wirklich«, bremste Egidius die jungen Herren aus. »Tretet dieser Eingebung bitte gar nicht erst näher. Trotzdem müssen wir uns Gedanken darüber machen, wer das Haus bewohnen soll. Es steht ohnehin schon eine ganze Zeit leer. Und das bekommt Immobilien nicht gut. Die müssen geheizt und gelüftet werden. Meine Idee wäre es, Haus und Grundstück an Medizinstudenten der Ludwig-Maximilians-Universität zu vermieten. Der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum, gerade in München, ist erheblich. Mit der Bayerischen Oberlandbahn ist man gut an München angeschlossen, und die 55 km über die A 8 sind für Autofahrer ein Katzensprung. Und ein weiterer Vorteil dieses Modells ist es, dass Studenten irgendwann ihr Studium abschließen und ausziehen. Einen langjährigen Mieter später wegen eines möglichen Eigenbedarfs vor die Tür zu setzen, fände ich schlimm.«

»Kann ich dann die Miete haben?«, erkundigte sich Max hoffnungsvoll.