Kirschen in Nachbars Garten - Peik Volmer - E-Book

Kirschen in Nachbars Garten E-Book

Peik Volmer

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Beschreibung

Professor Dr. Egidius Sonntag ist ein wahrlich ungewöhnlicher Chefarzt, überaus engagiert, aber auch mit kleinen menschlichen Fehlern behaftet. Sie machen diese schillernde Figur ganz besonders liebenswert, aber auch verletzlich. Manchmal muss man über ihn selbst den Kopf schütteln, wenn er etwa den 15. Hochzeitstag vergisst und seine an Brustkrebs erkrankte Ehefrau töricht vernachlässigt. Er tut dies nicht aus Lieblosigkeit, aber er ist auch nicht vollkommen. Dr. Sonntag ist der Arzt, der in den Wirren des Lebens versucht irgendwie den Überblick zu behalten – entwaffnend realistisch geschildert, aber nicht vollkommen. Diese spannende Arztserie überschreitet alles bisher Dagewesene. Eine Romanserie, die süchtig macht nach mehr!

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Dr. Sonntag – 17 –

Kirschen in Nachbars Garten

Peik Volmer

Eigentlich ein dicker Hund, finden Sie nicht, sehr verehrte Leserin, sehr geehrter Leser? Dieser Esfandar! Ein Tunichtgut, wie er im Buche, Pardon, im Heftroman steht! Dagmar hat er vermutlich mit seinem Kind ins Unglück gestürzt – falls Sie es nicht verliert –, und Schwester Maria dürfte gerade auch nicht wirklich begeistert von ihm sein!

Auf der anderen Seite: Er ist jung. Eine Kirsche in Nachbars Garten. Er hat, wie bereits gesagt, das Talent, Frauen glücklich zu machen. Er ist ungebunden. Und er sieht fantastisch aus. Wäre er nicht ausgesprochen dämlich, ergriffe er nicht jede fröhliche Möglichkeit, die sich ihm bietet? Nur: Was wird denn jetzt aus Maria und ihrem Tassilo?

Ach, Leute! Das ist wirklich ärgerlich! Kann mal bitte jemand den beiden Streithähnen in der Notfallambulanz erklären, dass diese Zwistigkeiten wirklich unwürdig sind? Man muss doch bei Ärzten so etwas wie Bildung unterstellen, oder? Und trotzdem belauern die beiden sich und passen darauf auf, ob der andere sich eines Fehlers schuldig macht. Wie meinen Sie? Ärzte sind auch nur Menschen? Ja, das ist nicht ganz falsch. Aber trotzdem kann man sich zusammenreißen, oder? Also, wenn ich Egidius wäre, dann würde ich die beiden ganz gehörig … warten wir es ab!

Haben Sie eigentlich etwas von Chris und Philipp gehört? Nein? Ich auch nicht. Ich denke, dass das ein gutes Zeichen ist. Je weniger Menschen von sich reden machen, desto besser geht es ihnen meist. Zudem werden sie gerade Vater. Und müssen ein Auge auf Hannes haben, der – im Rahmen seiner Möglichkeiten – für die kleine Felicitas schwärmt. Ist der Junge eigentlich aufgeklärt?

Chris kommt gerade nach Hause. Er hatte Frühschicht und ist mit dem Kochen dran. Philipp kommt in vier Stunden heim. Bis dahin wird er etwas Schmackhaftes zubereiten! Er betritt den Flur. Warum bekommt der Postbote es eigentlich nicht gebacken, die Briefe komplett in den Hausbriefkasten zu stecken? Immer ragen sie zur Hälfte heraus!

Na reizend! Ein Strafzettel. ›Sie überschritten die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 8 km/h.‹ Na klar. In Aurach. Wegelagerei, wirklich!

Die Rechnung für das ›Schicker Wohnen‹-Abo. Hatte Philipp das nicht abbestellen wollen? Eine Ansichtskarte von Tante Resi. Meran! Da müsste man auch mal wieder hin! Hahaha! Ansichtskarten! Heute macht man ein Foto und postet das auf Insta oder Facebook, liebe Tante!

Und was war das? Ein Brief aus der Klinik St. Bernhard? Was sollte das denn? Personalärztlicher Dienst? …

Nicht zu alt

Der Glaube an Vorahnungen gleicht ein wenig dem Lesen von Horoskopen. Meist bildet man sich nur ein, dass sich eine vage Idee, eine unbegründete Sorge dann doch erfüllt hätte. Sie alle kennen die Geschichte von dem Mann am Flughafen, der plötzlich das Gefühl hat, steig’ nicht ein, in diese Maschine. Er bleibt am Boden, und richtig, das Flugzeug stürzt ab. Na bitte. ( Man muss allerdings dazu sagen, dass ich zum Beispiel dieses Gefühl bei jeder Maschine habe, weswegen ich Ziele bevorzuge, die ich mit der Bahn erreichen kann. )

Chris jedenfalls hatte ein komisches Gefühl in der Magengegend, als er den Brief aufriss. Was las er da?

… besteht der dringende Verdacht auf einen Typ II-Diabetes. Wir empfehlen weitere Untersuchungen. Zum Zweck der Terminvereinbarung setzen Sie sich bitte …

Jetzt erst entdeckte er, dass dieses Schreiben gar nicht an ihn adressiert war, sondern an seinen Mann. Sogar der Zusatz ›Persönlich-Vertraulich!‹ stand unter Philipps Namen. So was Dummes! Das hatte er völlig übersehen!

Warum hatte Philipp nichts davon erwähnt? Hatte er denn kein Vertrauen mehr zu ihm? Er wäre sofort mit einem Befund wie diesem zu ihm gegangen! Warum hatte die Untersuchung überhaupt stattgefunden? Für die personalärztliche Routineuntersuchung war es doch noch viel zu früh! Hatte es einen Anlass gegeben? Philipp hatte mit keinem Wort erwähnt, dass ihm irgendetwas fehlte. Und ihm selbst war nichts aufgefallen.

Nichts? Na gut. Philipp war etwas müde gewesen in letzter Zeit. Etwas abgekämpft. Schlafstörungen. Das hatte er auf die Arbeit geschoben. Moment! Einige Male hatte er den Eindruck gehabt, dass der Stationsarzt sehr – naja, in sich gekehrt war. Melancholisch. Fast schon depressiv. Aber das hatte sich immer sehr schnell wieder gelegt, und er, Chris, hatte dem keine große Bedeutung beigemessen.

Verflixt! Er musste doch kochen! Wo war er bloß mit seinem Kopf? Nachdenklich briet er das gemischte Hack an, bestreute es mit den Röstzwiebeln und dem Ingwer. Dann begann er, den Weißkohl in feine Streifen zu verwandeln. Der peinliche Geruch von Kohl verbreitete sich blitzschnell in der ganzen Wohnung. Großzügig verteilte er Soja-Sauce in der Pfanne.

*

»Guten Abend, Schatz! Wie war dein Tag?« So. Philipp war schon mal da. Jeden Moment musste Hannes aus der Schule kommen.

»Ich weiß, was es gibt!«, lachte Philipp gutgelaunt. »Mein Leibgericht!«

»Also, als Doktor könntest du wirklich einen extravaganteren Geschmack haben! Getrüffelte Pastete zum Beispiel. Oder Seezunge nach Art der Müllerin!«, tadelte Chris ihn.

»Lass mich doch«, verteidigte Philipp sich heiter. »Mir schmeckt es eben! Und wenn’s wieder aufgewärmt wird, sogar noch um Längen besser! – Außerdem bevorzuge ich Seezunge nach Art des Krankenpflegers, wie du weißt! Die Müllerin kann mir gestohlen bleiben!«

»Kohl ist für Diabetiker geeignet. Kaum Kohlenhydrate!«, erwähnte Chris so beiläufig wie möglich.

Das Lächeln in Philipps Gesicht erstarb.

»Wieso sagst du das, Chris?«

»Philipp, es tut mir leid, wirklich! Ich wollte nicht schnüffeln! Ich habe wirklich nicht gesehen, dass der Befundbericht …«

»Seit wann machst du meine Post auf?«

»Es war doch ein Versehen! Bitte glaube mir!«, flehte Chris.

Philipp war blass vor Zorn.

»Glaubst du nicht, dass ich es dir gesagt hätte? Ich muss doch erst einmal selbst fertig werden mit so einer Diagnose! Chris, ich – ich bin wirklich enttäuscht. Enttäuscht und ärgerlich.«

»Ich weiß doch!« Chris sah wie ein Häufchen Elend aus.

»Ach, Chris! Du bist ein Depp!« Das klang nicht mehr so wütend.

»Kannst du jetzt bitte etwas weniger böse auf mich sein? Der Junge kommt gerade die Treppe herauf! Ich will nicht, dass wir uns vor ihm streiten!«

»Woher weißt du, das er das ist?«

»Ich weiß es eben!«

In der Tat. Der Schlüssel klapperte an der Tür.

»Fein. Kohl!«, äußerte der junge Mann.

»Und? Wie war es in der Schule?«

»Ganz gut! Eine Zwei in Geschichte!«

»Dein Referat über die deutsche Reichsgründung?«

»Jup!«

»Englisch müsstet ihr doch auch zurück haben, oder?«

»Gestern schon! Eine gute Zwei!«

»Du Streber!«, lachte Chris.

»Gar nicht!«, wehrte sich Hannes, und streckte Chris die Zunge heraus.

Chris jagte Hannes lachend um den Wohnzimmertisch. Der Junge quietschte und kicherte.

»Los jetzt! Ich habe Hunger! Händewaschen, Hannes! Und dann zu Tisch, bitteschön!«

Nach Tisch zog Hannes sich in sein Zimmer zurück, die beiden Herren retteten ihre Gläser für den Weg zum Wohnzimmer, in dem sich jeder auf seinen Lieblingsplatz lümmelte.

»Ich glaube, dass ich dir eine Erklärung schuldig bin«, startete Philipp.

So konnte man das also auch sehen! Donnerwetter, dachte der Krankenpfleger Philipp sucht die Schuld auch bei sich! Diese Möglichkeit hatte er noch gar nicht in Betracht gezogen!

»Ja, das finde ich allerdings auch!«, erklärte er beherzt.

»Erinnerst du dich, dass ich mir bei der Pediküre eine Verletzung an der Fußsohle zugezogen habe, die nicht heilen will?«

»Was? Die blöde Stelle ist immer noch nicht zu?«

»Im Gegenteil. Sie ist größer geworden, und ich habe mich damit Egidius vorgestellt. Er hat mich auf die Idee mit der Zuckerkrankheit gebracht. Es hat auch gepasst. Nachts mit Durst aufstehen, zum Beispiel. Oder diese unerklärliche, bleierne Müdigkeit, die mich ab und zu überfällt, besonders nach den Mahlzeiten. Deswegen bin ich zum Personalarzt gegangen. Das Ergebnis kennst du.«

»Das heißt, dass du Diabetiker bist? So richtig mit Blutzuckerstix und Insulinspritzen und allem?«

»Das volle Programm, ja. Wobei ich insgeheim hoffe, dass ich im Augenblick noch um die Spritzen herumkomme. Es gibt ja auch ganz gute orale Antidiabetika!«

»Ist Insulin nicht besser?«

»Vielleicht. Aber – ich habe Angst vor Spritzen.«

»Philipp Angerer, du willst mir damit nicht sagen, dass – hey! Das sind winzige Nadeln! Subkutan! Kann es sein, dass du dich nur anstellst?«

»Ja, das kann sein. Aber das Wissen um meine Feigheit ändert nichts an meiner Einstellung Spritzen gegenüber. Ich habe Angst vor ihnen, und ich könnte mir nie selbst eine Nadel unter die Haut bohren! Ich verstehe gar nicht, wie Drogenabhängige das schaffen!«

»Wie willst du die Injektion verhindern?«

»Mit einem Pen, wenn Insulin nicht zu vermeiden ist. Den setzt man nur auf, und drückt auf einen Knopf. Das geht. Denke ich.«

»Ich kapier’ das nicht. Du nimmst ständig Blut ab. Legst Infusionen. Gibst wildfremden Menschen Spritzen. Und bei dir hast du Angst?«

»Ja.«

»Da ist man fassungslos. Wirklich fassungslos.«

»Übrigens«, ergänzte der Internist, »wenn die Stelle nicht abheilt, könnte mir eine Vorfuß-Amputation drohen.«

»Oh!«

»Mehr hast du dazu nicht zu sagen? ›Oh?‹ Einfach nur ›oh‹?«

»So etwas kann man doch mit einem Schuh ausgleichen, oder? Oder brauchst du dann eine Prothese?«

»Die Prothesen sind wie ein Schuh konzipiert. Aber ich wäre dann verstümmelt, hast du dir darüber schon mal Gedanken gemacht? Dein Mann wäre ein Krüppel. Behindert. Hässlich. Vielleicht ekelst du dich dann vor mir.«

Chris sah Philipp fassungslos an.

»Philipp, das … das ist entsetzlich! Wirklich. Fürchterlich! Ganz schrecklich!«

»Siehst du?«

»Nix ›siehst du‹! Es ist schrecklich, dass du zu glauben scheinst, dass ich so oberflächlich bin! Wofür hältst du mich? Glaubst du im Ernst, dass ich mich von dir abwende – wegen einer solchen Lappalie?«

Philipp sah zu Boden.

»Immerhin«, flüsterte er traurig, »hast du einen halbwegs attraktiven jungen Arzt geheiratet. Und jetzt sitzt du vielleicht mit einem verstümmelten alten Krüppel da!«

Chris richtete sich auf.

»Du hast Glück, dass ich Gewalt verabscheue. Sonst würde ich dir jetzt eine reinhauen, glaub mir. Erinnerst du dich noch, was wir gesagt haben? Wir wollten miteinander alt werden, oder? Und zusammenbleiben. In guten wie in schweren Tagen. Ich bin nie davon ausgegangen, dass wir immer jung, frisch und knackig bleiben. Hey! Irgendwann wird man alt, das Bindegewebe schlaff, die Haare fallen aus.«

»Bei mir nicht. Die Haare auf dem Fußboden im Bad stammen von dir!«, stellte Philipp zwinkernd fest.

»Siehst du? Ist das für dich ein Grund, unsere Beziehung infrage zu stellen? Oder gar zu beenden?«

Keiner von beiden hatte mitbekommen, dass Hannes plötzlich in der Tür stand.

»Ihr wollt euch trennen? Und was mach’ ich dann?«

»Wie lange stehst du schon da, um Himmels willen?«, rief Chris entsetzt. »Nein, du Schäfchen, natürlich werden wir uns nicht trennen. Philipp ist der Geruch des Kohls zu Kopf gestiegen!«

Der Junge zitterte vor Angst und Schrecken.

»Ihr dürft euch nicht trennen! Das dürft ihr nicht!«, brüllte er voll Verzweiflung.

Philipp ging eilig auf ihn zu, kniete vor ihm nieder und legte seine Arme um ihn.

»Wir haben dich doch lieb, du Dussel. Allein schon deswegen bleiben wir zusammen. Weil wir doch eine Familie sind. Und Familien, die sich lieb haben, trennen sich nicht. Niemals.«

»Aber warum sagt ihr denn sowas?«

»Was?«

»›Ist das für dich ein Grund, unsere Beziehung infrage zu stellen? Oder gar zu beenden?‹«

Woher hatte der Junge bloß dieses Gedächtnis?

»Das war doch nicht ernst gemeint«, beruhigte Chris das aufgeregte Kind.

»Man redet nicht so, wenn man es nicht meint!«, schimpfte Hannes streng. »So redet man nicht!«

»Du hast recht, Hannes«, lenkte Philipp ein. »Ich bitte dich, auch im Namen von Chris, um Entschuldigung. Wir haben dir Angst und dich traurig gemacht. Das tut mir wirklich leid!«

»Okay«, erklärte der Knabe großzügig. »Dafür müsst ihr mir aber heute beide was vorlesen! Jeder ein Märchen!«

»Bist du dafür nicht schon zu alt?«

»Nein«, erklärte der Junge nüchtern. »Bin ich nicht.«

*

Hannes hatte Philipps Lesung verfolgt, war aber während Chris’ Geschichte eingeschlafen. Dieser klappte das Buch leise zu. Beide Männer saßen eine Weile schweigend da und betrachteten das Kind, dass gerade sein Kopfkissen vollsabberte. Chris ergriff Philipps Hand.

»Weißt du: Manchmal kann ich es kaum fassen, was für ein Glück ich habe mit unserer kleinen Familie. Findest du nicht auch? Gerade jetzt! Das ist … irgendwie … so groß … hier drin …« – er klopfte mit der freien Hand auf seine Brust – »… so riesengroß, dass ich kaum atmen kann!«

Seine Augen füllten sich mit Tränen.

»Du hast nicht mal ansatzweise eine Ahnung davon, wie sehr ich dich liebe, oder?«, fragte er Philipp.

Dieser sah ihm in die Augen.

»Danke!«, antwortete er.

Hauptsache höflich

Es dauerte eine Zeit lang, bis sie begriff, wo sie war. Über ihr strahlte etwas Helles. Sie blinzelte vorsichtig. Der Raum war gekachelt. Sie selbst lag auf einem Untersuchungsstuhl, war untenherum unbekleidet, und irgendjemand untersuchte sie an ihren allerzartesten Stellen.

Wie im Reflex zog sie erschrocken ihre Oberschenkel zusammen.

»Ruhig, Frau Kollegin, nur ruhig! Ich bin Kollege, Frauenarzt! Sie hatten eine kräftige vaginale Blutung! Das sie schwanger sind, ist Ihnen vermutlich bekannt!«

Sie versuchte, sich zu erinnern. In diesem Raum hatte sie doch eine Patientin untersucht – Schwester Maria! Und im Mikroskop hatte sie – Sepandar! Richtig! Dieser Hefepilz! Darüber hatte Sie sich aufgeregt, und dann … Was war dann passiert? Jemand hielt ihre Hand und streichelte ihre Stirn. Sie drehte den Kopf. Eine der Schwestern von der Crew. Sie lächelte diese etwas gequält an.

»Als sie zusammenbrachen, haben wir die Passagierlisten nach einem Arzt durchsucht. Herr Dr. Butenschön hier ist Frauenarzt aus Hamburg!«, erklärte diese. Es klang wie eine Entschuldigung.

»Zusammenfassend lässt sich sagen, dass kein Schaden entstanden ist, Frau Schattenhofer. Durch die Blutung sah es schlimmer aus, als es war. Eine Praevia konnte ich nicht diagnostizieren. Ich würde Ihnen trotzdem raten, sich zurück in die Heimat und in die Hände ihres Gynäkologen zu begeben. Ich denke, dass der Dienst hier an Bord zu hart ist, und eine Fehlgeburt wünsche ich Ihnen natürlich nicht. Sie sind Primipara?«

Dagmar nickte.

»Sehen Sie, Frau Kollegin! Wir wollen doch ihrem ersten Kind eine Chance geben! Die Reederei soll sich um Ersatz kümmern, und ich bin gern bereit, sie zu vertreten, bis ein neuer Kollege für Sie den Dienst übernimmt! Ich bin zwar nur Gynäkologe, aber durch den ärztlichen Notdienst kenne ich mich auch ein wenig in der Allgemeinmedizin aus!« Er lachte amüsiert.

»Das ist sehr nett von Ihnen, Herr Kollege!«

»Aber ich bitte Sie! Selbstverständlich! Ich freue mich, dass ich Ihnen helfen konnte!«

Dr. Butenschön zog sich zurück. Die Schwester half der Ärztin, sich anzukleiden.

»Ich war in Ihrer Kabine und habe eine Jeans geholt«, erklärte diese und zeigte als Begründung für diese Eigenmächtigkeit die weiße, in der Mitte blutdurchtränkte Klinikhose, die Dagmar getragen hatte. Die ärztlich Patientin nickte.

»Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, Schwester. Sie haben alles richtig gemacht.«

Aus der Traum vom Jahr an Bord. Eine Risikoschwangerschaft. Sepandars Kind. Nein! Esfandars Kind! Es fandar, auf den sie ganz offensichtlich keine Exklusiv-Rechte hatte … oder woher sollten Maria und er den gleichen Hefepilz haben? Wie sollte sie das bloß Anton beibringen? Vermutlich hatte sie alles kaputtgemacht!

*

Wie sollte sie das bloß Tassilo beibringen, dachte Schwester Maria. Irgendwann würde der Film fertiggestellt, und sie würde an seiner Seite unglücklich sein. War sie – sexsüchtig? Bedeutete Tassilo ihr so wenig? Weniger als Esfandar, der mit ihr Dinge angestellt hatte, von denen sie bis zu dem Zeitpunkt gar nicht geahnt hatte, dass das möglich und erlaubt war? Der ihren Körper erweckt und sie zur höchsten Lust geführt hatte? Und der ihr das Gefühl gab, eine hinreißend schöne, begehrenswerte, anbetungswürdige Frau zu sein?

Nein, nein. Sie war keine Träumerin. Am Ende dieser Reise würden sie sich trennen müssen. Bitte! Was sollte sie mit einem derartig jungen Mann? Esfandar hätte ihr Sohn sein können! Gut, das war übertrieben. Aber eine Art kleiner Bruder! Er war jung und leichtsinnig. Sicherlich nicht in einem Alter, in dem man sich nach der Frau fürs Leben umsieht und sesshaft wird. Sie konnte keine Exklusivrechte an ihm geltend machen.

Aber er hatte ihr gezeigt, wie sensationell Sex sein kann. Wenn sie nur daran dachte, bekam sie Appetit auf einen Nachschlag! Zwar war sie streng katholisch erzogen worden. Die Begegnung zwischen Mann und Frau diente der Reproduktion. Der Mann war der, dessen Bedürfnis gestillt werden musste, die Frau hatte keine Befriedigung zu erwarten, und wenn, dann war sie eben eine schlechte Frau, eine Sünderin, eine Hure gar. Mannstoll, verdorben, entartet, pfui!