Dr. Sonntag 5 – Arztroman - Peik Volmer - E-Book

Dr. Sonntag 5 – Arztroman E-Book

Peik Volmer

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Beschreibung

Professor Dr. Egidius Sonntag ist ein wahrlich ungewöhnlicher Chefarzt, überaus engagiert, aber auch mit kleinen menschlichen Fehlern behaftet. Sie machen diese schillernde Figur ganz besonders liebenswert, aber auch verletzlich. Manchmal muss man über ihn selbst den Kopf schütteln, wenn er etwa den 15. Hochzeitstag vergisst und seine an Brustkrebs erkrankte Ehefrau töricht vernachlässigt. Er tut dies nicht aus Lieblosigkeit, aber er ist auch nicht vollkommen. Dr. Sonntag ist der Arzt, der in den Wirren des Lebens versucht irgendwie den Überblick zu behalten – entwaffnend realistisch geschildert, aber nicht vollkommen. Diese spannende Arztserie überschreitet alles bisher Dagewesene. Eine Romanserie, die süchtig macht nach mehr! Haben Sie auch, liebe Leserin, geschätzter Leser, die letzten vier Wochen gegrübelt, woher Chris denn nun den traumhaft attraktiven Polizeiobermeister Sebastian Huber kennt? Und ob er dieses Wissen an seinen Philipp weitergeben konnte? Ich verbinde ja damit die dringende Hoffnung, dass diese Erkenntnis irgendwie geeignet ist, Schwester Lily erneut das Leben zu retten! Gespannt bin ich auf die Show, die der Sohn des Patienten László de Bergh veranstalten wird. Immerhin wird sich zeigen, ob das Ergebnis der schwierigen Operation befriedigend ist. Und darauf, ob Frau Rixner recht hatte mit ihren Prophezeiungen. Keine Sorgen mache ich mir um Dagmar und Elenore. Die genießen bestimmt, dass sie sich endlich kennenlernen dürfen. Na gut. Nicht ganz klar ist, wie Valerian Ettenhuber reagieren wird, wenn Dagmar … Höre ich da Kirchenglocken? Tatsächlich! Es ist 11 Uhr, der Gottesdienst ist zu Ende. Schauen wir doch mal, ob Pfarrer Ettenhuber … Ja, in der Tat. Er ist gerade dabei, die Gemeinde zu verabschieden! Das Hochamt war beendet. Im Gestühl der Kirche hing das benebelnde Aroma des Weihrauchs. Valerian Ettenhuber positionierte sich zentral vor dem Altar und hob die Hände zum Abschlusssegen. "Es segne dich und es behüte dich – Gott Vater, Sohn, und heiliger Geist! Amen!" Der Organist gab all seine Seele in das Postludium hinein, das jetzt den Raum erfüllte.

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Leseprobe: Angriff am Nachmittag

»Ich finde dieses Haus superschön, und Sie sind alle sooo nett!« Die junge Frau, die das sagte, verdrehte schwärmerisch die Augen. Sie trug enge Jeans, dazu Schuhe mit hohen Absätzen und eine weit ausgeschnittene Bluse. Die Haare waren so locker aufgesteckt, dass es aussah, als würde die Frisur keinem Windstoß standhalten können. Sie hatte lange blutrote Fingernägel und war sorgfältig geschminkt. Noch nie hatte Antonia Laurin so lange, dichte Wimpern gesehen. Ob sie echt waren? Sie warf einen kurzen Blick zu ihrem Mann hinüber. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände, und so beschloss sie, dem Leiden ein Ende zu bereiten. Sie hatten genug gehört und gesehen – wieder einmal. »Vielen Dank, Frau Möller«, sagte sie mit liebenswürdigem Lächeln, »wir melden uns bei Ihnen, wenn wir uns entschieden haben. Wir haben recht viele Bewerbungen bekommen …« »Oh, davon bin ich ab-so-lut überzeugt, aber glauben Sie mir, Frau Dr. Laurin, ich bin die Richtige für Sie, das habe ich sofort gespürt, als ich Ihr Haus betreten habe. Ich hatte mir außerdem die Karten gelegt für heute, und da stand es auch eindeutig drin: ›Heute erfüllt sich für Sie ein Herzenswunsch. ‹ Und dann die Aura, die das Haus hat …« Antonia bemerkte aus dem Augenwinkel, dass Leon eine unwillkürliche Bewegung machte – als würde er am liebsten aufspringen und die Frau eigenhändig hinausbefördern. Die ersten Gespräche mit den Bewerberinnen für die Stelle als Haushälterin hatten sie mit den Kindern gemeinsam geführt, doch diese Praxis schnell wieder beendet. Sie würden natürlich keine Frau einstellen, die ihre Kinder nicht mochten, aber sie hatten festgestellt, dass es besser war, die Vorauswahl zu zweit zu treffen.

Dr. Sonntag – 5 –

Prophezeiungen

Alles ist mehr, als man braucht

Peik Volmer

Haben Sie auch, liebe Leserin, geschätzter Leser, die letzten vier Wochen gegrübelt, woher Chris denn nun den traumhaft attraktiven Polizeiobermeister Sebastian Huber kennt? Und ob er dieses Wissen an seinen Philipp weitergeben konnte? Ich verbinde ja damit die dringende Hoffnung, dass diese Erkenntnis irgendwie geeignet ist, Schwester Lily erneut das Leben zu retten! Gespannt bin ich auf die Show, die der Sohn des Patienten László de Bergh veranstalten wird. Immerhin wird sich zeigen, ob das Ergebnis der schwierigen Operation befriedigend ist. Und darauf, ob Frau Rixner recht hatte mit ihren Prophezeiungen. Keine Sorgen mache ich mir um Dagmar und Elenore. Die genießen bestimmt, dass sie sich endlich kennenlernen dürfen. Na gut. Nicht ganz klar ist, wie Valerian Ettenhuber reagieren wird, wenn Dagmar … Höre ich da Kirchenglocken? Tatsächlich! Es ist 11 Uhr, der Gottesdienst ist zu Ende. Schauen wir doch mal, ob Pfarrer Ettenhuber … Ja, in der Tat. Er ist gerade dabei, die Gemeinde zu verabschieden!

Beichte einmal anders

Das Hochamt war beendet. Im Gestühl der Kirche hing das benebelnde Aroma des Weihrauchs. Valerian Ettenhuber positionierte sich zentral vor dem Altar und hob die Hände zum Abschlusssegen. »Es segne dich und es behüte dich – Gott Vater, Sohn, und heiliger Geist! Amen!« Der Organist gab all seine Seele in das Postludium hinein, das jetzt den Raum erfüllte. Flankiert von einer kleinen Schar von Ministranten schritt der beleibte – gwampert, nannten es die Mitglieder der Gemeinde – Pfarrer zum Ausgang, um seine Schäfchen mit Handschlag in den Sonntag zu verabschieden. Segenswünsche, »Pfiat Eahnas«, »Servus« und »Auf Wiederschauns« ertönten wie am Fließband.

Endlich war der letzte Besucher auf dem Heimweg, Valerian betrat das Gotteshaus erneut und beschloss, auf dem Weg zum Pfarrhaus einen Schlenker über die benachbarte Bäckerei zu machen, um sich mit der fantastischen Eierlikör-Torte, die neu im Sortiment war, und dem leckeren Konditor-Marzipan ein wenig zu bevorraten.

Nanu? Da saß ja noch jemand auf einer Bank! Nun ja, das kam schon mal vor, dass ein Schäfchen unter dem Eindruck der voraufgegangen Predigt die spirituelle Atmosphäre der Kirche ausnutzte, um noch zu meditieren.

Sein bestgehütetes Geheimnis, dass er weder an die Bibel noch an Gott, die Jungfrau Maria, den Heiligen Geist und alles, was er im Studium gelernt hatte, auch nur im Entferntesten glaubte, stand nicht der Empfänglichkeit für bestimmte Riten oder Traditionen entgegen. Dem Metaphysischen, Transzendentalen, der Auseinandersetzung mit dem Sinn des Lebens, dem Ursprung des Seins im Allgemeinen und der eigenen Existenz und Bedeutung im Besonderen konnte man nirgendwo näher sein als in der erhabenen Stille eines Gotteshauses. Viel von dem, was er liebte – das bevorstehende Weihnachtsfest, zum Beispiel –, war mit christlicher Tradition verbunden. Weihnachten erinnerte ihn immer an seine Kindheit, sein Elternhaus, als er noch jung war und das Leben unendlich. An Wärme, funkelnde Lichter im Tannengrün, Überraschungen, feierliche Lieder, und den Duft von Bratäpfeln mit Vanillesauce.

Leutselig grüßte er zu der jungen Frau herüber. Und in die Richtung der Messdiener deutete er mit einer Handbewegung an, dass ihr Verweilen im Gotteshaus nicht länger erforderlich sei. »Dank euch schön, und herzliche Grüße an die Eltern!«, trug er ihnen auf.

»Gott segne dich, meine Tochter!« Die junge Frau schaute ihn erstaunt an. »Woher weißt du das?«

»Wie bitte?«

Das war sehr ungewöhnlich! Wieso duzte sie ihn? Und was bedeutete diese Frage? Jetzt erhob sie sich sogar und kam auf ihn zu! Dieser herausfordernde Blick! Moment! Das war doch – »Frau Dr. Rommert? Sie hier, im Gottesdienst? Ist das eine Visite, oder dürstet es Sie nach dem lebendigen Wort des lebendigen Gottes? Oder wollen Sie gar die Beichte ablegen? Dafür gibt es zwar besondere Zeiten, aber in Ihrem Fall würde ich selbstverständlich eine Ausnahme –«

»Guten Morgen, Papa!«

Valerian Ettenhuber lief knallrot an, ergriff sein Brustkreuz, als könnte dieses ihm Halt geben, und ließ sich ächzend auf die Bank neben seine Tochter fallen. Das Kreuz fest umklammert, bewegte er die Lippen, als murmelte er ein Schutzgebet.

In Dagmars Blick lagen Herausforderung und Ironie. »Papa, ich bin kein Vampir. Du wirst mich weder mit Kreuzen noch mit Gebeten los. Ich bin deine Tochter. Behauptet Mama zumindest. Und die muss es schließlich wissen. Können wir reden?«

Valerian fasste sich. Sein Sinn fürs Praktische siegte. »Ich denke, wir sollten uns beim Bäcker mit ein paar Leckereien ausstatten, und meine Frau Tiefenthal, meine Haushälterin, bereitet uns einen Kaffee dazu. Einverstanden?«

»Von Salat und Mineralwasser scheinst du nicht so viel zu halten, oder?«

Er zögerte. »Mein Kind, möchtest du einen Moment, der so bedeutend ist wie dieser, mit Kaninchenfutter begehen?«

Schlagfertig war er. Das musste man ihm lassen. Und die Eierlikörtorte war wirklich köstlich und passte gut in die Jahreszeit.

Er hatte es nicht gewusst. Elenore hatte nicht versucht, ihn zu finden, um ihn von ihren Entschlüssen in Kenntnis zu setzen. »Es hat mich in Panik versetzt, als sie vor mir stand und von der Schwangerschaft berichtete. Mein Vater hätte mich totgeschlagen, wenn ich es ihm gebeichtet hätte. Ich habe nur mitbekommen, dass sie wegen des Studiums den Schliersee verlassen hatte, und ehrlich? Ich war heilfroh, nicht mehr von ihr zu hören. Ich habe dann in Regensburg Theologie studiert und bin hierher zurückgekehrt. Und, so klein, wie der Ort ist – ich bin wissentlich deiner Mutter erst wegen meiner Gallensteine wieder über den Weg gelaufen!«

Erstaunlich, wie anders er war, wenn er nicht die Rolle des Pfarrers spielte! Er bewegte sich normal, soweit seine korpulente Erscheinung das zuließ, seine hohe Stimme wandelte sich zu einem klaren Tenor, und die von ihm gern verwendeten religiösen Formeln unterblieben völlig. Dass er irgendwann einmal ein hübscher, schlanker Bursche war, der ihrer Mutter den Kopf verdreht und ihre Hormone in Wallung versetzt hatte, sah man dem kleinen dicken Mann mit dem silberfarbenen Haarkranz und der randlosen, halben Brille nach einem guten Vierteljahrhundert nicht mehr an. Dies allerdings kennt vermutlich jeder, der in ein Album mit Jugendfotos schaut und anschließend versucht, dem Vergleich mit seinem Abbild im Badezimmerspiegel standzuhalten.

»Ich bin ein Idiot gewesen. Und ich verspreche dir, Dagmar: Sollte jemals ein junges Paar in dieser Notsituation, in der deine Mama und ich uns be­fanden, zu mir kommen und um Rat fragen, werde ich den beiden sagen, dass sie stolz sein sollen auf ihr Kind, und dazu stehen. Ich bin froh, dass ich dich kennenlernen durfte. Das ver­danken wir Elenores Hartnäckigkeit. Aber was, wenn nicht? Wenn wir uns nie begegnet wären? Und man darf auch nicht vergessen, was ich alles verpasst habe. Deine ersten Worte. Deine ersten Schritte. Deine Einschulung. Ich war nicht da, als du mich brauchtest. Bei Liebeskummer. Oder der Auswahl des richtigen Kleides für die Tanzstunde. Das kann man nicht einfach nachholen wie ein verpasstes Konzert, weißt du?«

»Hauptsache«, sagte Dagmar, »dass wir uns jetzt gefunden haben. So eine richtige Vater-Mutter-Kind-Familie können wir nicht mehr sein. Aber es ist gut für mich zu wissen, dass es Elenore gibt. Dass es dich gibt. Dass ich nicht mehr ohne meine ›richtigen‹ Eltern bin. Ich hätte nie gedacht, dass mir das so wichtig sein könnte. Hättest du mich vor einem Jahr gefragt, hätte ich gesagt, dass mir das egal ist. Jetzt weiß ich, dass das ein Irrtum war.«

Beherzt spießte sie ihre Gabel in die Eierlikörtorte. »Verflixt, das Zeug ist lecker! Aber es hat bestimmt 10 Millionen Kalorien und wirkt absolut tödlich!«

Frau Tiefenthal betrat den Raum. »Darf es noch etwas Kaffee sein?«, fragte sie höflich.

Schwester Lilys schlechte Laune

»Philipp, Gott sei Dank! Dein Handy ist aus! Du musst dringend auf die Chirurgie und nach Lily sehen! Ich weiß jetzt, woher ich Basti Huber kenne! Ich erzähle es dir später! Ich bin sicher, dass er nicht der gesetzestreue Polizist ist, der er vorgibt, zu sein, dafür hat er zu viel Dreck am Stecken! Bitte! Mach, so schnell du kannst!«

Warum scheinen Wege immer besonders lang zu sein, wenn man es eilig hat? Philipp, angesteckt durch die Panik in der Stimme seines Partners, rannte aus dem Zimmer des Diensthabenden, immer zwei Treppenstufen auf einmal nehmend, zwei Stockwerke hinunter auf die chirurgische Privatstation. Vorbei am Schwesterndienstzimmer. Der Stuhl vor Lilys Zimmer war verwaist. Wo war Sebastian? Aus dem Zimmer hörte man unterdrückte Laute. Er riss die Tür auf und drückte den Lichtschalter.

Die Szene war unwirklich, gespenstisch. Sebastian stand, ein Kissen in der Hand, über Lily gebeugt. Mit der funktionierenden rechten Hand wehrte diese sich heftig gegen die Attacke. Leise Schreie ertönten, durch das Polster gedämpft, wimmernd, verzweifelt. Mit einem Satz war Philipp bei Sebastian und stieß ihn, so heftig er konnte, zur Seite. Das Kissen glitt von Lilys Gesicht, heftig rang sie nach Luft. Sebastian kämpfte erneut darum, den Versuch, die Patientin zu ersticken, fortzusetzen. Philipp warf sich mit aller Kraft gegen ihn und brachte ihn zu Fall. Dabei schlug Sebastian mit der Stirn auf dem Bettrahmen auf. Blut strömte aus einer Platzwunde und lief ihm ins Auge. Er fluchte und torkelte mit drohend erhobenen Armen auf Philipp zu. Dieser nahm Maß, ballte die rechte Hand zur Faust und boxte mit aller Kraft gegen dessen Kinn. Abermals ging sein Kontrahent zu Boden. Die Tür wurde aufgerissen, ein Pfleger und eine Schwester stürmten ins Zimmer. »Die Polizei ist verständigt!«, rief der Pfleger.

Es dauerte etwas, bis die Beamten begriffen hatten, dass ihr Kollege derjenige war, der in Gewahrsam genommen werden musste.

»Gott sei Dank, dir ist nichts passiert!« Chris war ebenfalls in der Klinik eingetroffen und fiel Philipp um den Hals.

»Nichts passiert?«, mokierte sich dieser. »Hier!« Er streckte Chris seine Hand entgegen. »Da ist bestimmt was gebrochen. Oder wenigstens verstaucht! Gibt es hier irgendwo Coolpacks? Morgen muss das geröntgt werden! Ausgerechnet rechts! Aber im Ernst: Du hättest mich sehen sollen. Sylvester Stallone ist ein armer Hund gegen mich! Stell dir vor: Das Zimmer fast völlig dunkel. Vor mir das Muskelpaket. Ich stürze mich mit lauten, unartikulierten Kampfschreien auf ihn, wie Jackie Chan. Er geht zu Boden, verletzt sich – und steht als der schreckliche Hulk wieder auf. Ich, unerschrocken, gehe in Kampfposition, ziele auf den Punkt. Zack! Das war’s! Was sagst du?«

Chris betrachtete überrascht das Opfer seines Gatten, beziehungsweise das, was von Sebastian übergeblieben war. Erstaunlich. Basti, dieser hormongedopte Muskelberg, war von seinem Philipp nach allen Regeln der Kunst verdroschen worden.

»Vor dir muss man sich in Acht nehmen!«, grinste er.

Philipp runzelte die Stirn. »Jaja. Lach du nur. Aber ich glaube, dass ich mal so einen Selbstverteidigungskurs machen werde. Und nicht nur ich!«

»Wieso? Wer denn noch?«

»Du natürlich! Was hast du gedacht?«

»Reicht es nicht, wenn –«

»Auf keinen Fall! Sag mal, woher wusstest du eigentlich von Sebastians kriminellen Anwandlungen?«

»Er hat chronisch Geldprobleme. Hat früher in – sagen wir mal, einschlägigen Filmen mitgespielt. Filmen für Erwachsene, falls du dir vorstellen kannst, was du dir gerade noch vorstellen darfst. Deswegen kam mir sein – also, sagen wir mal, hauptsächlich sein Gesicht so bekannt vor.«

»Woher weißt du denn das?«, unterbrach Philipp ihn.

»Dreimal darfst du raten«, empfahl Chris vergnügt. »Na, jedenfalls hat er geerbt. Haus, Geld und Grundstück. Das hat er in kürzester Zeit verspielt, in den Casinos der Gegend. Wiessee, Garmisch, Reichenhall. Dann ging er zur Polizei. Aber er war das, was man in amerikanischen Spielfilmen als ›korrupter Bulle‹ bezeichnet. Und da man auf Lily schon einen Anschlag verübt hat und er eben eine höchst zweifelhafte Existenz ist, habe ich eins und eins zusammengezählt!«

Schwester Lily lag grimmig in ihrem Bett. Zwar hatte sie auch den zweiten Anschlag auf ihr Leben überstanden, trotzdem verhieß ihr Blick nichts Gutes. »Es reicht mir. Es reicht mir endgültig«, stieß sie unter ihrer Sauerstoffmaske hervor. »Ich würde gern dem Auftraggeber dieser Attentate eine Botschaft zukommen lassen. Ich bin eine Mutter. Und ich bin gereizt wie eine verwundete Löwin. Das, was er versucht, wird ihm nicht gelingen. Ja, ich habe etwas, was er versucht hat, mir abzujagen. Aber schade. Er wird es nicht bekommen. In dem Moment, in dem mir oder meinem Kind auch nur das geringste zustößt, wird das Dokument umgehend den Behörden und eine der Kopien den Medien zugänglich gemacht. Wurst wider Wurst. Mein Tod wird ihm nichts nützen.«

Chris lachte. »Das ist mal wieder typisch für dich, Lily Schatz! Jede andere, die man noch vor wenigen Minuten zu ersticken versucht hätte, hätte einen schweren Schock erlitten und wäre kaum ansprechbar. Und du liegst hier schimpfend herum, und dein Attentäter liegt halbtot am Boden!«

»Das walte der Allmächtige«, knurrte Lily. »Noch werde ich gebraucht. Ich gebe mich nicht geschlagen.«

»Du weißt schon, dass das Original-Büchlein zur Zeit in unserem Besitz ist, oder?«

»Gut, dass du es erwähnst, Chris. Ich werde über die Zeitungen und vielleicht auch über die lokalen Sender bekanntgeben, dass, wenn mir, meinem Kind oder einem meiner Freunde etwas zustößt, die Öffentlichkeit eine kleine Sensation erleben wird.«

»Ich glaube«, staunte Philipp, »dass du die erste Patientin bist, die den einen oder anderen Mordversuch überlebt hat und trotzdem noch schlechte Laune hat!«

Als Chris und er aufbrachen, wandte er sich an der Tür noch einmal um. »I’ll be back!«, sagte er grinsend.

»Das hätten wir auch einfach haben können!« Frau Rixners Gesicht sprach Bände, als sie von den Geschehnissen erfuhr. »Ich wusste es. Ich wusste es vom ersten Moment an. Aber meine Kassandra-Rufe sind ebenso verhallt wie die der unglücklichen Seherin weiland in Troja! Dieser schlecht angezogene Kommissar hätte lieber auf mich hören sollen! Naja, zumindest ist es doch noch gut ausgegangen. Aber es hätte auch ganz böse enden können!«

Farbig und perlgenoppt

»Na endlich kommst du, Lukas! Dann können wir ja jetzt essen! Egidius! Lukas ist da! Kommst du bitte?«

»Was gibt’s denn?« Der Junge warf lässig seine Jacke über einen der Garderobenhaken.

»Senfeier! – Lukas, benutze doch bitte einen Kleiderbügel!«

Corinna nahm die Jacke und hängte sie auf einen Bügel. Etwas Glänzendes fiel aus der Seitentasche. »Entschuldige bitte!«

Beide, Lukas und Corinna, bückten sich zeitgleich, um das Päckchen aufzuheben.

»Aua!« Beide rieben sich die Stellen an ihren Köpfen, mit denen sie zusammengestoßen waren. Corinna sah auf die Packung. »Kondome! Willy Boy. 12 Stück«, las sie vor. »Farbig und perlgenoppt. Für mehr Spaß.«

»Kondome?«, fragte Egidius, der gerade die Treppe herunterkam. »Warum?«

»Mensch, Papa! Du bist Arzt! Wozu braucht man wohl Kondome?!«

»Für mehr Spaß?« Egidius klopfte dem Jungen auf die Schulter. »Nun ja. Du bist jetzt in dem Alter –«

Corinna schnaufte.

»Ist das nicht etwas früh? Also, mit 16 habe ich noch andere Dinge im Kopf gehabt!«

»Die Kinder sind heute eben weiter als wir damals, Corinna. Wobei – ich kenne eine Frau, die mit 16 – egal. Solange Lukas sich verantwortlich verhält und sich und andere vor ansteckenden Erkrankungen oder ungewollten Schwangerschaften schützt, finde ich nichts dabei, sofern alles einvernehmlich passiert. Ja, Lukas? Das ist Bedingung!«

»Na klar, Papa!«