Dr. Stefan Frank 2539 - Stefan Frank - E-Book

Dr. Stefan Frank 2539 E-Book

Stefan Frank

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Beschreibung

Das Schicksal der achtjährigen Elli berührt die Mitarbeiter der Münchner Waldner-Klinik. Die kleine Patientin hat vor einigen Monaten ihre Eltern bei einem furchtbaren Brand verloren. Sie selbst wurde dabei schwer verletzt. Die äußeren Wunden sind inzwischen verheilt, doch Ellis Seele leidet noch immer sehr. Sie vermisst ihre Eltern schrecklich, und außer ihnen gibt es nur noch eine Tante und einen Onkel, die sich um sie kümmern könnten. Die sind jedoch alles andere als begeistert von dieser Idee. Ein Kind passt nicht in ihr Leben, sie wollen ihre Unabhängigkeit behalten.
Als der Tag kommt, an dem Elli aus der Klinik entlassen werden soll, starrt das Mädchen unglücklich vor sich hin. Ihre Tante hätte schon vor Stunden hier sein sollen, um sie mitzunehmen, hat sich aber nicht blicken lassen.
Auch das Klinikpersonal wirft Elli besorgte Blicke zu. Dass die Kleine während ihres Krankenhausaufenthaltes nie Besuch bekommen hat, ist schon traurig genug, doch nun darf sie offenbar nicht mal in ein schützendes Zuhause zurückkehren.
Die daraus folgende Erkenntnis ist für die Achtjährige schmerzhaft, aber allzu offensichtlich: Elli ist unerwünscht. Niemand hat sie lieb, und niemand will sie haben ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Unerwünscht

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: altanaka / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-9202-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Unerwünscht

Dr. Frank und die Geschichte eines traurigen kleinen Mädchens

Das Schicksal der achtjährigen Elli berührt die Mitarbeiter der Münchner Waldner-Klinik. Die kleine Patientin hat vor einigen Monaten ihre Eltern bei einem furchtbaren Brand verloren. Sie selbst wurde dabei schwer verletzt. Die äußeren Wunden sind inzwischen verheilt, doch Ellis Seele leidet noch immer sehr. Sie vermisst ihre Eltern schrecklich, und außer ihnen gibt es nur noch eine Tante und einen Onkel, die sich um sie kümmern könnten. Die sind jedoch alles andere als begeistert von dieser Idee. Ein Kind passt nicht in ihr Leben, sie wollen ihre Unabhängigkeit behalten.

Als der Tag kommt, an dem Elli aus der Klinik entlassen werden soll, starrt das Mädchen unglücklich vor sich hin. Ihre Tante hätte schon vor Stunden hier sein sollen, um sie mitzunehmen, hat sich aber nicht blicken lassen.

Auch das Klinikpersonal wirft Elli besorgte Blicke zu. Dass die Kleine während ihres Krankenhausaufenthaltes nie Besuch bekommen hat, ist schon traurig genug, doch nun darf sie offenbar nicht mal in ein schützendes Zuhause zurückkehren.

Die daraus folgende Erkenntnis ist für die Achtjährige schmerzhaft, aber allzu offensichtlich: Elli ist unerwünscht. Niemand hat sie lieb, und niemand will sie haben …

Ist das etwa getrocknetes Blut?

Forschend betrachtete Stefan Frank die flache silberfarbene Schale. Der Rand wies ein florales Muster auf. Eine schmale Vertiefung ermöglichte das Ausgießen des Inhaltes. Und der Boden, ja, der war tatsächlich mit dunklen Flecken gesprenkelt. Entweder war das Rost oder …

„Das ist eine Aderlass-Schale.“ Der Verkäufer hatte sein Interesse bemerkt und beugte sich über den Verkaufstisch.

Er mochte um die sechzig sein, hatte ein wettergegerbtes Gesicht mit von der Kälte geröteten Wangen und eine runde Brille auf der Nase. Unter seiner Kapuze blitzten graue Haare hervor.

„In solchen Schalen hat man früher das Blut aufgefangen, wenn jemand zur Ader gelassen wurde. Der Aderlass galt schon vor vielen hundert Jahren als Heilmittel. Mit dem Blut sollten verdorbene Säfte aus dem Körper gespült werden.“

„Diese Schale scheint schon sehr alt zu sein.“

„Gewiss weit über zweihundert Jahre. Möchten Sie sie haben?“

„Ich fürchte, ich hätte in meiner Praxis keine Verwendung dafür.“ Stefan Frank schüttelte bedauernd den Kopf. Der Händler hatte allerlei altes medizinisches Gerät im Angebot: Kauter, Hautklammerbestecke, Schröpfköpfe und einen Verbandkasten aus dem Jahr 1941. Dr. Frank sah die Waren interessiert durch, aber es war nicht das Richtige dabei.

Seine Sprechstunde war seit einer halben Stunde vorüber. Er nutzte den Feierabend für einen Bummel über den Flohmarkt, der an diesem Tag im Englischen Garten stattfand.

Vielleicht würde er etwas für seine Freundin finden? Alexandra konnte eine Aufmunterung gebrauchen. Sie musste mit einem Magenvirus das Bett hüten, und er wollte ihr gern eine Freude machen. Allerdings bezweifelte er, dass eine Aderlass-Schale sie aufmuntern würde. So bedankte er sich bei dem Händler und schlenderte weiter.

Ein eisiger Wind fauchte durch die Parkanlage. Die Stände wurden von Laternen erhellt, welche Lichtpfützen auf das Angebot warfen. Planen schützten die Waren vor den wirbelnden Schneeflocken, die seit einer halben Stunde wieder vom Himmel rieselten. Es duftete nach gerösteten Mandeln und heißem Früchtetee mit einem Hauch Zimt.

Ich beneide die Händler nicht darum, sich bei dieser Kälte die Beine in den Bauch zu stehen, dachte Stefan Frank. Er schob die Hände in die Taschen. Plötzlich fiel sein Augenmerk auf einen Stand mit Lampen. Eine der Tischleuchten hatte einen runden Fuß, in den ein Eichhörnchen geschnitzt war. Der Schirm war hellgrün wie ein lichtdurchfluteter Wald und mit Schleifen verziert.

Sie ist hübsch. Ich glaube, sie würde Alexandra gefallen.

„Was kostet diese Lampe?“, wandte er sich an die Verkäuferin.

„Für Sie einen Zwanziger“, erwiderte diese und lächelte ihn unter ihrer warmen Wollmütze freundlich an.

„Ich nehme sie.“

„Wunderbar. Ich werde sie für Sie einwickeln, damit Sie sie heil nach Hause bekommen.“ Sie schlug die Lampe sorgsam in Papier ein und reichte sie ihm. Dazu wünschte sie ihm einen schönen Abend. Ein Wunsch, den er gern erwiderte.

Er brachte die Lampe zu seinem Auto, es stand am Rand der Parkanlage. Er legte seinen Kauf auf den Beifahrersitz und schnappte sich den Schneebesen, um die Scheiben vom frisch gefallenen Weiß zu befreien.

Gerade, als er damit fertig war, bemerkte er eine kleine Gestalt, die ganz verloren auf einer Parkbank saß. Es war ein Mädchen von ungefähr acht Jahren. Im orangefarbenen Lichtschein wirkte ihr schmales Gesicht beinahe zerbrechlich.

Die blonden Haare waren zu einem Zopf geflochten. Das Kind trug nichts als ein weißes Nachthemd – abgesehen von feuchten, schmutzig gewordenen Verbänden an den Beinen. Außerdem war es barfuß!

Er musste sich über die Augen wischen, weil die Schneeflocken seine Sicht verschwimmen ließen. Dann erkannt er sie.

„Grundgütiger! Elli?“ Dr. Frank schloss die Autotüren und eilte mit langen Schritten zu dem Kind hinüber.

Elli wankte und wäre wohl von der Bank gefallen, wenn er nicht gedankenschnell nach ihr gegriffen und sie schützend auf seinen Arm gehoben hätte.

„Elli! Was machst du denn hier draußen?“

Sie sträubte sich gegen seinen Griff, trommelte gegen seine Brust und verlangte, abgesetzt zu werden.

„Elli, ist schon gut. Du musst dich nicht fürchten“, sagte er beruhigend. „Ich bin es, Dr. Frank. Du kennst mich doch.“

Sie ließ die Arme sinken und blickte zu ihm hoch. Dicke Tränen kullerten über ihr schmales Gesicht.

„Bist du etwa aus dem Krankenhaus ausgerissen, Elli?“

Sie barg das Gesicht an seiner Schulter und wimmerte leise. Ihre Haut war eiskalt. Kein Wunder! Hier draußen konnten nicht mehr als fünf Grad unter Null herrschen!

Stefan Frank tastete nach dem Puls an ihrer Halsbeuge. Ihr Herz flatterte wie ein kleiner, gefangener Vogel!

„Du musst schleunigst ins Warme, Elli. Komm, ich bringe dich zurück.“

„Nicht zurück“, wisperte sie. „Nach Hause. Bitte. Ich möchte wieder nach Hause.“

Ihre Bitte brach ihm das Herz. Ihr Elternhaus war nur noch eine verkohlte Ruine. Der Garten zerstört von den Einsatzfahrzeugen der Feuerwehr. Die Fenster leer und verlassen. Dort würde niemand so schnell wieder einziehen können. Vielleicht niemals wieder.

Dr. Frank streifte seinen Mantel ab. Kein leichtes Unterfangen, weil er mit einem Arm das zitternde Kind hielt. Er hüllte Elli schützend hinein und drückte sie an sich. Dann stürmte er im Laufschritt zur Waldner-Klinik hinüber. Das Krankenhaus war nur wenige Gehminuten von hier entfernt.

Auf dem verschneiten Gehweg rutschte er weg, fing sich wieder und zerbiss einen Fluch auf den Lippen.

Elli musste sich so schnell wie möglich wieder aufwärmen!

In der Eingangshalle kam ihm Nadine Erhart entgegen. Die junge Kinderschwester breitete die Arme aus und nahm ihm Elli ab.

„Gott sei Dank, dass Sie Elli gefunden haben, Herr Doktor! Wir haben schon die halbe Klinik auf den Kopf gestellt.“

„Elli ist unterkühlt und braucht dringend Flüssigkeit“, unterrichtete er sie. „Ihr Kreislauf droht zu kollabieren.“

Sie fuhren mit dem Fahrstuhl nach oben. Hier kam ihnen Dr. Wegener entgegen. Die junge Kinderärztin übernahm zusammen mit Schwester Nadine die Sorge für Elli. Damit war die Achtjährige in den besten Händen. Trotzdem machte sich Stefan Frank Sorgen.

Ellis körperliche Verletzungen mochten verheilen, ihre seelischen Wunden jedoch lagen offen. Dass sie mitten im Winter das Krankenhaus heimlich verließ und umherstreifte, verriet ihm, wie verloren sie sich fühlte.

Es schnitt ihm ins Herz, so wenig für sie tun zu können.

Vor zwei Monaten war in Ellis Zuhause spätabends ein Brand ausgebrochen. Elli hatte durch den brennenden Flur ins Freie gelangen wollen. Plötzlich war ein brennender Schrank zusammengestürzt. Die Trümmer hatten Elli schwer verletzt. Sie hatte eine Rauchvergiftung und Verbrennungen an den Beinen und am Rücken davongetragen.

Irgendwie war es ihr gelungen, sich zu befreien und ins Freie zu flüchten. Dr. Frank hatte das Feuer in seiner Nachbarschaft bemerkt und war hingeeilt, um zu helfen. Ellis Leben hatte er retten können, nicht aber ihre Familie. Für ihre Eltern war jede Hilfe zu spät gekommen.

Die Achtjährige lag seit über zwei Monaten im Krankenhaus. Zuerst auf der Intensivstation, wo sie beatmet und mit Schmerzmitteln behandelt wurde, die ihre Beschwerden erträglich machten. Sie war mehrfach operiert worden. Seit einiger Zeit war Elli auf der Kinderstation untergebracht.

In einigen Jahren würde man kaum noch erkennen können, wie schwer verletzt sie gewesen war. Gegen ihren Kummer gab es jedoch keine Medikamente. Sie vermisste ihre Eltern bitterlich.

Dr. Frank nahm sich vor, gleich morgen früh als Erstes im Krankenhaus anzurufen und sich nach Ellis Ergehen zu erkundigen. Er nahm seinen Mantel wieder an sich, verabschiedete sich und verließ das Krankenhaus.

Tief in Gedanken versunken kehrte er zu seinem Auto zurück.

Hier erwartete ihn die nächste unliebsame Überraschung: Die Scheibe auf der Beifahrerseite war eingeschlagen. Glassplitter lagen auf dem Sitz und auf dem Gehweg verstreut. Und das Päckchen mit der Lampe für seine Freundin war verschwunden!

„Das gibt es ja nicht.“ Ungläubig schaute er sich um.

Etliche Passanten waren am Englischen Garten unterwegs, aber keiner hatte sein Päckchen bei sich.

Offenbar war der Dieb bereits über alle Berge!

***

Die Infusion lief gleichmäßig und verursachte Elli keinerlei Schmerzen.

Gut so. Nadine zog sorgsam die Zudecke ein wenig höher. Das Bett schien viel zu groß für das zarte Kind zu sein. Die Achtjährige verschwand beinahe darin.

Ein Blick auf den Monitor beruhigte Nadine. Ellis Kreislauf war wieder stabil. Ihr Herz pumpte gleichmäßig. Und ihre Haut fühlte sich nicht mehr kalt an, sondern war warm und trocken.

Die Verbände an ihren Beinen hatten gewechselt werden müssen. Schneematsch und Schmutz hatten den Stoff aufgeweicht.

Elli hatte mehrere Operationen hinter sich. An beiden Beinen war ihr Haut transplantiert worden.

An ihrem Rücken waren die Verbrennungen nicht so schwer gewesen. Dort hatten die Ärzte eine Membran als Hautersatz aufgebracht. Suprathel besaß ähnliche Eigenschaften wie die menschliche Haut: Es war elastisch und schützte vor Bakterien. Außerdem wurde es allmählich vom Körper abgebaut. Dabei entstanden Stoffe, welche die Hauterneuerung anregten.

Ellis Haut heilte gut. Den Verlust ihrer Familie konnte sie jedoch nicht verwinden. Sie sprach wenig, aß kaum und schaute traurig aus dem Fenster in den Himmel, als würde sie sich dorthin wünschen. Auch jetzt wirkte sie todunglücklich.

Nadines Dienst war bereit zu Ende. Trotzdem zog sie sich einen Stuhl heran und setzte sich. Sie war Kinderschwester geworden, weil sie Kinder liebte und schnell einen Draht zu ihren Patienten fand. Ellis Schicksal ging ihr nahe. Vor neunzehn Jahren hatte sie selbst ihren Bruder in einem Feuer verloren.

Noch Jahre später hatten Albträume sie nachts aus dem Schlaf schrecken lassen. Dabei war sie bei dem Brand nicht einmal daheim gewesen. Ihre Fantasie hatte ihr die schrecklichsten Bilder ausgemalt. Sie ahnte, was Elli gerade durchmachte, und verbrachte so manche Überstunde an ihrem Bett. Elli sollte spüren, dass es Menschen gab, denen sie wichtig war.

„Schau einmal, hier.“ Sie zog ein Xylophon aus ihrer Kitteltasche. Das Instrument hatte bunte Klangstäbe. Ein Schlägel aus Holz gehörte dazu. Sie legte es auf Ellis Zudecke und schlug die Stäbe mit dem Schlägel an.

Die hellen Töne ließen das Mädchen aufblicken.

„Das Xylophon ist für dich, Elli. Früher hat man ‚hölzernes Gelächter‘ dazu gesagt, weil es so klingt, als würde es lachen. Probiere es mal.“

Elli nahm den Schlägel und schlug zaghaft auf einen roten Klangstab. Es gab einen hellen Ton.

„Das klingt schön, nicht wahr?“

Elli nickte und versuchte zwei weitere Klangstäbe.

„Hier habe ich auch Noten für dich.“ Nadine hatte ein Heftchen mit Kinderliedern gekauft, in dem die Noten in derselben Farbe wie die Klangstäbe abgedruckt waren. So würde Elli Fuchs, du hast die Gans gestohlen und Alle meine Entchen spielen können, ohne die Noten zu kennen. „Du kannst es behalten und üben, wenn du magst.“

Elli probierte eine Weile mit dem Instrument herum, dann gähnte sie. Ihre Augen wurden klein. Sie legte den Schlägel hin, fasste nach Nadines Hand und behielt sie vertrauensvoll in ihrer. Dann fielen ihr auch schon die Lider zu.

Die junge Kinderschwester blieb bei ihr sitzen, bis die Medikamente wirkten und Ellis gleichmäßige Atemzüge verrieten, dass sie tief und fest eingeschlafen war.

Vorsichtig löste sie sich von dem Kind und verließ den Raum.

Bis zu diesem Morgen hatte sich Elli das Zimmer mit Olivia geteilt, einem Mädchen mit Asthma, aber Olivia war entlassen worden, und das zweite Bett wurde erst morgen neu belegt.

Nadine strebte durch den langen Korridor zum Schwesternzimmer und vertauschte ihren weißen Kasack und die weißen Hosen mit Jeans und einem warmen Pullover.

Am Schreibtisch saß Marie Hofer und blickte von dem Computer hoch, mit dessen Hilfe sie gerade einen Bericht schrieb.

„Sag mal: Was machst du denn noch hier? Du hast doch längst Feierabend. Kannst du dich gar nicht von uns trennen?“ Sie zwinkerte ihr zu.

„Ich habe nur noch eine Weile bei Elli gesessen.“

„Ach so. Ich verstehe, dass du dich um sie sorgst. Das mache ich auch. Du solltest nur aufpassen, dass du sie nicht zu sehr ins Herz schließt. Du weißt, wie das bei Mona geendet hat.“

„In einem Nervenzusammenbruch, als sie einen Patienten verloren hat.“ Nadine nickte. „Ich kann das aber nicht einfach abstellen, und das will ich auch nicht. Ich denke, unser Mitgefühl macht uns zu besseren Pflegerinnen.“

„Und manchmal macht es uns fix und fertig.“ Marie nickte bedächtig. Sie alle hatten sich schon in Tränen aufgelöst in einer stillen Ecke wiedergefunden, weil sie einem ihrer kleinen Patienten nicht helfen konnten. „Warum kommen Ellis Verwandte sie eigentlich nie besuchen?“

„Das verstehe ich auch nicht. Laut den Unterlagen hat sie noch eine Tante und einen Onkel hier in München, aber die waren bisher nur einmal hier, um ein paar Dokumente zu unterschreiben. Seitdem nicht mehr.“

„Das arme Ding hat seit zwei Monaten nur Fremde um sich herum. Gut ist das nicht.“ Marie schüttelte kaum merklich den Kopf. „Was soll aus ihr werden, wenn sie entlassen wird?“

„Dann werden ihre Verwandten sie sicherlich zu sich holen.“

„Nachdem sie sich zwei Monate gar nicht um sie gekümmert haben? Ich bin mir da nicht so sicher.“

„Ich auch nicht, aber sie sind die einzige Familie, die sie noch hat. Sie werden sie bestimmt nicht im Stich lassen.“ Nadine nahm ihre Winterjacke aus dem Spind und schlüpfte hinein. Ihre Kollegin krauste skeptisch die Stirn.

Es stimmte: Bis jetzt hatten sich Ellis Verwandte kein bisschen besorgt um die Kleine gezeigt. Dabei hätte das schwerverletzte Mädchen sie gerade in den vergangenen Wochen dringend gebraucht!

Nadine wünschte ihrer Kollegin einen ruhigen Nachtdienst und machte sich auf den Heimweg. Die Übergabe hatte sie schon erledigt, deshalb konnte sie die Klinik nun verlassen und nach Hause gehen. Der lange Tag steckte ihr in allen Knochen. Sie sehnte sich danach, zu duschen und die Füße hochzulegen.

Ihr Zuhause war eine helle und großzügig geschnittene Maisonette-Wohnung, die eine Viertelstunde Fußweg vom Krankenhaus entfernt lag. Nadine genoss den Luxus, zu Fuß zur Arbeit gehen zu können. Während ihre Kollegen häufig über die Staus in der Innenstadt stöhnten, brauchte sie sich um den Verkehr keine Sorgen zu machen.

Ihr Zuhause verfügte über zwei Wohnetagen und einen eigenen Zugang zum Garten, was für die beiden Kinder ihres Mannes eine große Freude war. Hier konnten sie bis in den Abend spielen.

Sie waren eine Patchwork-Familie: Nadines Mann hatte zwei Kinder aus seiner ersten Beziehung. Finja und Felix waren Zwillinge und gerade zehn Jahre alt. Früher hatten sie bei ihrer Mutter Fiona gelebt und waren alle vierzehn Tage übers Wochenende bei ihnen gewesen. Vor einiger Zeit hatte Fiona entschieden, ihren Master-Abschluss in den Niederlanden nachzuholen. Aus diesem Grund waren die Kinder zu ihnen gezogen.

Jetzt seid ihr mal dran.