Drag Dreams - M.S. Kelts - E-Book

Drag Dreams E-Book

M.S. Kelts

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Beschreibung

Andi hat nicht nur ein Problem, sondern gleich mehrere: Er ist mit seinem Job unglücklich, seine Familie weiß nichts von seiner Homosexualität und dann ist da noch die Sache, die er bis jetzt nur in seinem eigenen Schlafzimmer ausleben kann… bis sich eine einmalige Gelegenheit im neu eröffneten Club Burning Sky bietet, der sofort eine besondere Faszination auf ihn ausübt. Genau wie der Clubbesitzer Bene. Alles an ihm ist verlockend und aufregend und zu Andis Überraschung scheint das Interesse sogar auf Gegenseitigkeit zu beruhen – wären da nicht die unzähligen Geheimnisse, die Andi vor Bene verbirgt. Die aufkommenden Gefühle zwischen ihnen werden auf eine harte Probe gestellt und am Ende muss sich Andi fragen, ob Bene es wert ist, für ihn ins Scheinwerferlicht zu treten, oder ob er sich ewig hinter einer seiner Masken verstecken will… Band 3 der "Dreams"-Reihe.

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Seitenzahl: 542

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Deutsche Erstausgabe (ePub) März 2022

© 2022 by M.S. Kelts

Verlagsrechte © 2022 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk, Taufkirchen

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Bildrechte Umschlagillustration: GDphotoarts

Satz Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

Druckerei: CPI Deutschland

Lektorat: Anne Sommerfeld

ISBN-13: 978-3-95823-936-4

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

Liebe Lesende,

vielen Dank, dass ihr dieses eBook gekauft habt! Damit unterstützt ihr vor allem die*den Autor*in des Buches und zeigt eure Wertschätzung gegenüber ihrer*seiner Arbeit. Außerdem schafft ihr dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der*des Autor*in und aus unserem Verlag, mit denen wir euch auch in Zukunft erfreuen möchten.

Vielen Dank!

Euer Cursed-Team

Klappentext:

Andi hat nicht nur ein Problem, sondern gleich mehrere: Er ist mit seinem Job unglücklich, seine Familie weiß nichts von seiner Homosexualität und dann ist da noch die Sache, die er bis jetzt nur in seinem eigenen Schlafzimmer ausleben kann… bis sich eine einmalige Gelegenheit im neu eröffneten Club Burning Sky bietet, der sofort eine besondere Faszination auf ihn ausübt. Genau wie der Clubbesitzer Bene. Alles an ihm ist verlockend und aufregend und zu Andis Überraschung scheint das Interesse sogar auf Gegenseitigkeit zu beruhen – wären da nicht die unzähligen Geheimnisse, die Andi vor Bene verbirgt. Die aufkommenden Gefühle zwischen ihnen werden auf eine harte Probe gestellt und am Ende muss sich Andi fragen, ob Bene es wert ist, für ihn ins Scheinwerferlicht zu treten, oder ob er sich ewig hinter einer seiner Masken verstecken will…

Für alle, die sich selbst verloren haben.

Es ist nie zu spät, sich auf die Suche zu machen.

Kapitel 1

Andi

Ich weiß immer noch nicht, was ich von dem Ganzen halten soll, als ich von einem freundlichen, aber reichlich aufgepumpten Security-Mann auf den ausgewiesenen Parkplatz gelotst werde.

Hat also doch tatsächlich jemand das alte Anwesen gekauft und einen Club darin eröffnet. Aber nicht nur einen Club, sondern eine Bar mit angeschlossenem BDSM-Bereich für Männer. Eine Tatsache, die auf meiner Arbeitsstelle für reichlich Geläster und dumme Sprüche gesorgt hat.

Was mich wieder zum Anfang und der Frage führt, ob es tatsächlich eine gute Idee ist, an der Eröffnung teilzunehmen. Nicht, dass Kollegen aus dem Restaurant hier auftauchen würden. Nein, selbst wenn es sie vor Neugierde zerreißen würde, würden sie niemals über ihren Schatten springen und dem hier eine Chance geben.

Und jetzt sitze ich hier in meinem Auto, beobachte die anderen ankommenden Gäste und frage mich, was zum Teufel ich mir davon verspreche.

Ich stehe ganz sicher nicht auf BDSM, bin noch weniger auf der Suche nach einschlägigen Bekanntschaften und schon gar nicht nach einem Partner. Und Bars und Ähnliches gibt es in Lindau eigentlich genügend, da muss es nicht diese Location etwas ab vom Schuss sein.

Trotzdem… Mein kleines Rebellenherz meldet sich seit Jahren zum ersten Mal und nötigt mir diesen Besuch auf.

Ich sehe auf, streiche meine kurzen, braunen Haare zurück und nestle nervös an meinem Sakko herum. Gerade, als ich mir ein Herz fasse und endlich aussteigen will, klopft es an der Fahrerseite und ich erschrecke.

Der Wachmann sieht auf mich herab und ist so breit, dass er das ganze Fenster einnimmt. Er wirkt einschüchternd und mit meinem viel zu schlanken Körper könnte ich mich zweimal hinter ihm verstecken.

»Hey, alles klar bei dir?«, fragt er und weicht einen Schritt zurück, als ich ihm bedeute, dass ich aussteigen will.

Umständlich krabble ich aus meinem alten Auto, wobei mir wieder einfällt, dass ich keine Ahnung habe, wie ich die ausstehenden Reparaturen für den nächsten TÜV zahlen soll. Aber das ist eine Sorge für einen anderen Tag.

Ich hebe lässig eine Schulter und begegne dem forschenden Blick des Mannes. »Alles okay. Musste noch telefonieren.« Die Notlüge ist draußen, ehe ich darüber nachdenke. Ausreden… Ja, damit bin ich vertraut, mein Leben lang.

Der Hüne grinst und zuckt mit den Schultern. »Wenn du meinst. Du sahst eher so aus, als würdest du den schnellsten Weg wieder nach Hause suchen.«

Okay, da hat mich jemand ertappt. Versuchsweise grinse ich ihn an. Er erwidert mein Lächeln sofort. »Erwischt. Aber jetzt bin ich ja ausgestiegen.«

Sein schallendes Lachen dröhnt in meinen Ohren und treibt mich fast ins Auto zurück.

»Cool. Stimmt. Dann wünsche ich dir viel Spaß. Da drin wird dich niemand fressen, versprochen. Alles so nette Kerle wie ich.« Mit diesen Worten quetscht er sich an mir vorbei und strebt winkend auf zwei Neuankömmlinge zu, die mit einer schweren Harley auf das Gelände fahren.

So nette Kerle wie er? Wenn er mich fragt, ist das eher beängstigend. Kopfschüttelnd gehe ich weiter auf den breiten Weg zu, der hinauf zur Villa führt, und beobachte den Mann aus dem Augenwinkel.

Er klopft dem Fahrer auf den Helm und klatscht mit dem Beifahrer ab, der kurz darauf den Helm abnimmt und ihn über den Lenker hängt.

Großer Gott, der Typ hat ein tolles Gesicht, sehr markant, und er strotzt nur so vor Selbstbewusstsein. Der Fahrer wirkt etwas ruhiger, aber… Wie zur Hölle schafft man es, so breit und muskulös zu werden? Erneut frage ich mich, was ich hier tue. Wenn einer dieser Schränke mich auch nur am Arm streift, dürfte ich umfallen wie ein Pappaufsteller und die würden es gar nicht bemerken.

Gut, dass ich genügend Selbstironie besitze, sonst würde mein Selbstbewusstsein gerade komplett verschwinden. Mit meinen 27 Jahren bin ich schon lange kein Twink mehr, auch wenn man mein Alter wirklich grundsätzlich falsch einschätzt.

Während ich versonnen den vertrauten Umgang der Motorradfahrer und des Sicherheitsmannes beobachte und, ich gestehe, ein wenig neidisch bin, frage ich mich wieder, ob es nicht besser gewesen wäre, vor Jahren in eine Großstadt zu ziehen und in der dortigen Anonymität unterzutauchen.

Letztendlich kam das für mich dann aber doch nie infrage, weil ich A: meinen See zu sehr liebe, B: trotzdem nie den Mut hätte, mich auszuleben und ich C: in der ach so toleranten schwulen Community genauso gemobbt werden würde.

Der Frust, den ich sonst gut im Griff habe, weil ich anders ticke, droht aufzuflammen. Aber nicht jetzt! Nicht heute. Das hier könnte zu einem Zufluchtsort werden, einem Ort, wo sich Menschen aufhalten, die zumindest ebenso schwul sind wie ich. Der Rest… egal. Dafür habe ich meine Wohnung, das muss reichen.

Ich erreiche die Villa und freue mich irgendwie, dass hier wieder Leben herrscht. Die Villa ist beleuchtet, Musik dringt aus der offen stehenden Eingangstür, der parkähnliche Garten ist hergerichtet, auch wenn es den Anschein macht, als würde die Hälfte der Pflanzen noch fehlen. Das benachbarte Haus ist ebenso erleuchtet und es herrscht ein stetiges Kommen und Gehen zwischen den beiden Gebäuden.

Verdutzt bleibe ich stehen und muss lachen, als ich etliche Gäste in schottischer Landestracht sehe. Die Männer packen offensichtlich mit an und irgendwie wirkt es in dieser Umgebung vollkommen fehl am Platz.

Das verspricht wirklich, ein interessanter Abend zu werden.

Kapitel 2

Bene

Es sind noch gute eineinhalb Stunden bis zur offiziellen Eröffnung, dennoch herrscht schon reger Trubel auf dem Gelände. Ich habe mich für einen Augenblick rausgenommen, um die gestrige Pleite mit dem Caterer zu verdauen, der uns sehr kurzfristig schmählich im Stich gelassen hat. Hoffentlich ist das kein Vorzeichen, wie es uns in Zukunft gehen wird. Nein. Ich balle die linke Hand zur Faust. Das hier wird nicht nur gut, sondern super laufen. Trotz Caterer-Ausfall haben wir alles andere irgendwie planmäßig hinbekommen.

Was war das für eine Panik gestern, aber wieder mal haben uns die Schotten den Arsch gerettet und, wie schon zur inoffiziellen Eröffnung, auch jetzt wieder in Rekordzeit ein Buffet auf die Beine gestellt. Eines weiß ich genau: Das nächste Mal werden wir gleich den Metzger aus dem Verein beauftragen.

Auf dem Weg hinunter bleibe ich an dem Fenster stehen, das direkt über dem Eingang liegt, und sehe hinaus.

Sven hat als Sicherheitsmann mit seinen Jungs den Einlass gut im Griff. Er wird auch zukünftig immer wieder an der Tür stehen, genauso wie einige seiner Kunden, die er uns empfohlen hat.

Es ist so viel mehr geschehen, als ich mir hätte ausmalen können. Der unselige Streit mit Adam ist endlich aus der Welt und während der stressigen Umbauphase haben wir unsere Verbindung zueinander wieder aufgebaut. Wir haben uns beide verändert, aber nicht unbedingt zum Schlechten. Ich trage den Kopf nicht mehr so hoch in den Wolken, bin realistischer geworden und schaffe es, mich länger als ein paar Monate auf eine Sache zu konzentrieren.

Adam ist wieder mein bester Freund, das ist mehr, als ich Anfang des Jahres zu hoffen gewagt hatte.

In der Szene gelte ich als einsamer Wolf, als gewiefter Geschäftsmann und jemand, der nichts anbrennen lässt. Warum sollte ich die Avancen von Männern, die meine Location besuchen, auch zurückweisen? Sie kommen ja zu mir, also muss ich nicht hinausgehen und nach Abenteuern suchen. Das war lange Jahre die einzige Art von Kontinuität, aber ich weiß einfach nicht, ob das hier auch so wird und ob ich es überhaupt noch länger will.

Seufzend reibe ich mir übers Gesicht und versuche mich zusammenzureißen.

Ich zwinge meinen Blick vom Fenster weg, drehe mich um und lehne mich mit verschränkten Armen an den Sims hinter mir.

Ich finde es immer noch atemberaubend, was Luca hier geschaffen hat. Er hat das ganze Haus verwandelt, ihm tatsächlich die alte Seele zurückgegeben und vor allem den schwarzen Bereich in einen erotischen Traum verwandelt.

Wenn ich ehrlich bin, wäre ich bei manchen Veränderungen zu feige gewesen, weil ich Angst gehabt hätte, es würde letztlich ein roter Plüschpuff daraus werden.

Aber Luca hat mich eines Besseren belehrt. Ja, es gibt viel dunkles, klischeehaftes Rot und Gold, aber – und es ist ein großes Aber – zum Ausgleich hat er dem ganzen männlichen Charme und Härte verliehen, indem er es mit Schmiedeeisen, Stahl und selbst in der hochmodernen, aber gemütlichen Bar mit Jamies Fotografien ergänzt hat.

Apropos Bar… ich sollte langsam wieder hinunter und meinen Job machen.

Ich werfe einen letzten Blick auf das riesige Bild, das oben am Treppenabsatz hängt, genau dem Fenster gegenüber. Es ist provokant, wie beinahe jede von Jamies Fotografien, und zeigt deutlich, welchen Bereich man gleich betreten wird.

Ein junger Mann mit kurzen blonden Haaren kniet geknebelt und mit auf dem Rücken gefesselten Händen. Bis auf einen Brustharnisch ist er nackt. Sein Kopf ist nach hinten gelegt und man kann selbst aus dieser Perspektive den ekstatischen Ausdruck auf seinem Gesicht erkennen. Trotz der monochromen Farbe sind die Striemen auf seinem knackigen Hintern sichtbar.

Ich mag das Bild sehr – und das Model, aber leider beruhte das mal wieder nicht auf Gegenseitigkeit.

Ich lächle und drehe mich um, wende mich dem letzten Treppenabsatz zu, der geschickt das provokante Bild vor den Augen derjenigen verbirgt, die nur die Bar besuchen.

Gerade als ich die schwere Kordel vor der Treppe aufmache, betritt ein junger Mann die Bar und sieht sich neugierig um. Er grüßt mich mit einem Kopfnicken, das ich lächelnd erwidere.

Er ist hübsch, fast androgyn, sehr schlank, was mir ausnehmend gut gefällt, aber augenscheinlich viel zu jung. Offensichtlich fällt meine Musterung zu intensiv aus, denn er sieht zu Boden, wirkt regelrecht verlegen und ich frage mich, was er hier zu finden erwartet.

Vielleicht ein Sub auf der Suche nach einem Dom oder einem härteren Abenteuer? Nicht meine Liga.

Schade.

Kapitel 3

Andi

Die Türen der Villa stehen weit offen, Musik dringt heraus und untermalt das Stimmengewirr der Anwesenden. Es ist noch nicht so viel los, aber ich hatte gehofft, mir vor dem Trubel die Lokalität ansehen zu können.

Der Geruch nach Holz, frischer Farbe und dem Buffet, das sich rechter Hand in einem benachbarten Raum befindet, der offensichtlich die gut ausgestattete Küche ist, flutet meine Sinne. Ich verharre an der Tür, lasse alles auf mich wirken und fühle mich sofort wie zu Hause. Ziemlich überraschend, denn bei mir kommt das wirklich extrem selten vor. Manche, nein, die meisten, die mich näher kennen, würden mich wohl als etwas empfindlich beschreiben. Ein Grund, weshalb ich nicht viele an mich rankommen lasse. Sensibel, feinfühlig, feminin… alles Worte, die bei einem Mann nicht wirklich willkommen sind.

Aber ich kann nichts davon leugnen oder etwas dagegen tun, außer mich zu verstellen. Aber hier könnte ich, wenn ich den Mut finde und einige Zeit hier verbracht habe, vielleicht ein wenig ich selbst sein.

Aus den Augenwinkeln sehe ich eine Bewegung und drehe den Kopf. Ein Mann kommt die breite Treppe hinunter und öffnet die schwere Kordel, die unmissverständlich den BDSM-Bereich von der Bar trennt.

Ich grüße ihn automatisch, mustere ihn wahrscheinlich einen Tick zu lange, aber er scheint es mir nicht krummzunehmen, denn er erwidert mein Lächeln.

Mein Herz gerät kurz ins Stolpern, was mich ärgert und gleichzeitig erschreckt, weil ich nicht will, dass irgendein Mann etwas in mir anspricht.

Aber der da… Mir ist sofort klar, dass er gefährlich ist. Und er sieht gut aus. Keiner dieser Männer, die einem Werbespot entspringen würden, nein, bei ihm muss man näher hinsehen. Er ist schlank, sehr gut gekleidet, auch wenn er nur Jeans und Hemd trägt. Seine Haare sind hellbraun und gewollt zerzaust. Die Brille lässt ihn ernst und erwachsen wirken, aber sie kann die Lachfältchen an seinen Augen nicht verbergen.

Ich schlucke und sehe zu Boden, weil er meinen Blick ebenso lange erwidert, ehe er sich abwendet und in Richtung Bar geht, um wahrscheinlich weitere Gäste zu begrüßen.

Neugierig beobachte ich ihn weiter, obwohl ich nicht wirklich weiß, warum er so interessant ist. Unter den noch überschaubaren Anwesenden befinden sich bereits einige offensichtlich gut aussehende Männer. Aber der…

Langsam gehe ich weiter in die Bar, dankbar über das gedämpfte Licht, das mir Schutz vor neugierigen Blicken bietet. Im Grunde vollkommen paradox, wenn ich so darüber nachdenke, und ich muss unwillkürlich schmunzeln. Nachdem ich mir einen Platz am Rand gesichert habe, von dem aus ich das Geschehen beobachten kann, spüre ich wieder einmal diese Melancholie in mir, die mich von Jugend an begleitet.

Ich habe es längst perfektioniert, nach außen hin nicht ich selbst zu sein. Aber das muss ich auch, damit ich schlicht überlebe. Ich weiß, mir würden der Mut und die Kraft fehlen, in allen Bereichen meines Lebens für mich einzustehen und mich auszuleben. Denn wozu das alles? Ich mag nicht ausgelacht, bedauert oder im schlimmsten Fall als Punchingball missbraucht werden. Ganz zu schweigen davon, dass mich in meinem Job dann auch niemand mehr respektieren würde.

Unwillkürlich halte ich wieder nach dem Mann von gerade eben Ausschau. Er scheint hier etwas zu sagen zu haben, weil er mit ausgebreiteten Armen auf die beiden Motorradfahrer zugeht, die soeben die Bar betreten.

Mit der Wand im Rücken fühle ich mich sicher und beobachte sie ungeniert. Der Mann umarmt beide freundschaftlich, sie lachen und gestikulieren. Dann legt der Schönling seinen Arm um die Schulter des Muskelprotzes und drückt ihm einen Kuss auf die Schläfe, was den tatsächlich verlegen werden lässt.

Aber es ist keine peinliche Verlegenheit, sondern er strahlt den Mann von unten herauf an und genießt dessen Aufmerksamkeit. Als sie dann Hand in Hand Richtung Küche streben, weiß ich, dass die beiden mit Sicherheit ein festes Paar sind, so vertraut, wie sie miteinander umgehen.

Ich lächle und in mir drin ist plötzlich all der Druck, den ich schon immer mit mir herum trage, ein wenig leichter. Hier bin ich ein Niemand, einer von vielen, und mit ein bisschen Glück werden mir die Gäste hier die Möglichkeit geben, etwas ich selbst sein zu können.

Langsam wird es voller und ich bin dankbar, so früh hier gewesen zu sein. Entgegen meinem Plan, bald wieder zu verschwinden, lasse ich mich einfach treiben und genieße den Spaß um mich herum.

Das Buffet ist herrlich, deftige Hausmannskost und in Mengen, dass auch wirklich jeder satt wird. Die Stimmung ist aufgeladen und fröhlich, es wird viel gelacht und man merkt, dass sich viele der Leute hier bereits kennen.

Je länger ich da bin, desto mehr habe ich den Eindruck, in eine Familienfeier geplatzt zu sein, ohne dass es mir jemand krummnimmt.

Nach der offiziellen Eröffnungsrede, die auf der kleinen Bühne in der Bar abgehalten wird, strömt nach und nach mehr Publikum in den Raum.

Offensichtlich habe ich mich nicht getäuscht, was den Mann von vorhin angeht. Er war einer von drei Rednern, die das Burning Sky eröffnet haben. Seine Stimme ist angenehm und mich beeindruckt das Selbstvertrauen der drei Männer ungemein. Seine Geschäftspartner sind meiner Vermutung nach ein Paar, zumindest strahlen sie sehr viel Zuneigung aus. Was mich ebenfalls mit Respekt erfüllt, ist die Selbstverständlichkeit, mit der der blonde Mann ein Lederhalsband trägt, das weithin sichtbar klarmacht, dass er, obwohl er ebenfalls einer der Chefs hier ist, ganz offensichtlich devot ist.

Das gibt mir mehr Mut als jedes gesprochene Wort oder der gesicherte Rahmen der Bar.

Nach der Rede öffnet sich der Vorhang für die erste Darbietung.

Ein moderner Song läuft an und ein ziemlich spärlich bekleideter Tänzer zieht mich in den Bann. Ich verstehe nicht viel von der Materie, aber er ist gut, sehr gut sogar. Die Mischung aus Ballettelementen und modernem Stil ist toll. Aber am faszinierendsten ist, dass seine Verkleidung aus fluoreszierender Farbe besteht, die auf seinem Körper ein Muster bildet, das vor allem seine rechte Seite ziert.

Meine Intuition sagt mir, dass die Darbietung irgendwie eine tiefere Bedeutung hat, als lediglich die Gäste zu unterhalten. Das bestätigt sich für mich auch, als nach Ende des Tanzes einer dieser unglaublich gut aussehenden Männer auf die Bühne stürmt, den Tänzer förmlich an sich reißt, umarmt und ihn gar nicht mehr loslassen will.

Es wird gejohlt und gepfiffen, aber ohne Feindschaft oder Häme, sondern die Anwesenden freuen sich mit den beiden, aus welchem Grund auch immer.

Nach einer weiteren Tanzeinlage, dieses Mal mit mehreren Tänzern, kündigt einer der drei Chefs eine Führung durch den BDSM-Bereich an.

Unschlüssig, ob ich es mir anschauen will, warte ich ab, wie viele sich dem anschließen, lasse es dann aber bleiben und nutze die Zeit, um ein wenig zu Atem zu kommen und das hier sacken zu lassen. Dabei beobachte ich, wie sämtliche Männer in Kilts auf ein geheimes Kommando hin alles stehen und liegen lassen und nach draußen verschwinden.

Schlagartig ist es deutlich ruhiger und leerer in der Bar und ich fühle mich wieder wie auf dem Präsentierteller. Aber ehrlich gesagt fühlt es sich weitaus weniger schlimm an als erwartet. Ich lache leise und bedanke mich bei dem Barmann für mein neues Glas Mineralwasser. Das ist wohl die bis jetzt entspannteste Eröffnung, die ich je erlebt habe.

Kapitel 4

Bene

Adam übernimmt die Führung und ich bin überrascht, wie viele ihm in seinen Bereich folgen. Luca zwinkert mir quer durch den Raum zu, als wollte er mir sagen, dass ich mit meinen Zweifeln hinsichtlich der Frage, wer sich diesen speziellen Bereich überhaupt ansehen würde, falschlag.

Die Bar leert sich plötzlich deutlich und ich nutze die Chance, um nach hinten zu gehen und eventuell ausgehende Getränke aufzufüllen. Plötzlich bemerke ich, dass auch die helfenden Schotten die Bar verlassen und mir schwant etwas. Es hätte mich auch schwer gewundert, wenn die Gruppe nicht irgendetwas plant.

Auf dem Weg in den privaten Bereich entdecke ich den jungen Mann von vorhin wieder. Er sitzt an der Bar, ganz an der Wand, als wolle er sich ein wenig verstecken. Versonnen betrachtet er das Glas vor sich, streicht mit dem Finger über den oberen Rand und lächelt dabei so hinreißend, dass es mir einen Stich ins Herz gibt.

Das ist nicht gut. Er ist so jung… viel zu jung…

In dem Moment hebt er den Kopf und sieht mich direkt an. Ertappt reißt er die Augen auf und schnappt regelrecht nach Luft. Mich würde wirklich brennend interessieren, wobei ich ihn jetzt gerade erwischt habe.

Ohne mein Zutun ändern meine Beine den Weg und statt nach hinten zu gehen, strebe ich auf ihn zu und er reißt die Augen noch weiter auf.

Um ihn nicht vollkommen in Verlegenheit zu bringen, signalisiere ich Benny, unserem Barkeeper, dass ich etwas zu trinken möchte. Als er das obligatorische Ginger Ale vor mich stellt, wende ich mich dem jungen Mann zu, der mich mit einer Mischung aus Unglauben und Überraschung beobachtet.

»Hi.« Als ich seinen Blick erwidere, fällt mir tatsächlich nichts mehr ein, weil ich von seinen riesigen, graugrünen Augen gefangen bin. Obwohl sie sicher nur so riesig wirken, weil er unglaublich dünn und so schlaksig ist. Deshalb wirkt sein hübsches Gesicht mit den hohen Wangenknochen, den vollen Lippen und, für einen Mann, viel zu ordentlich gezupften Augenbrauen wie gemeißelt. Mit ein wenig Kajal würden seine Augen noch besser zur Geltung kommen… Himmel, was denke ich mir nur?

»Selber hi… Das… toller Abend.«

Ich grinse und schaffe es, mich aus seinem Bann zu lösen. »Danke. Ja, ich finde, es läuft wirklich gut. Nicht an einer Führung interessiert?«, frage ich und bin entsetzt von der unsinnigen Hoffnung, er hätte nichts mit BDSM am Hut.

Er errötet leicht und schüttelt den Kopf. »Nein, doch, aber es sind mir zu viele Leute. Ich brauche eine Pause und… ist nicht mein Kink.«

Hmm. Ich mustere ihn mit neuem Interesse. Nicht sein Kink? Verdammt, also kein Sub auf der Suche nach seinem Meister. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das nun gut oder schlecht finden soll. Gerade als ich ihn nach seinem Kink fragen will, ruft am Eingang jemand meinen Namen.

Ich drehe mich um und ein Hauch seines fruchtigen, leichten Parfüms steigt mir in die Nase. Kurz kneife ich die Augen zu, um meine wachsende Neugier zu unterdrücken. Nicht jetzt, nicht heute und wahrscheinlich nie, weil… viel zu jung.

Ich kann gerade noch einen weiteren, tiefen Atemzug unterdrücken, ehe ich Jamie meine Aufmerksamkeit widme, der geduldig wartet.

»Ja?«

»Wenn Adam wieder runterkommt, bringst du bitte alle nach draußen, ja?«

Ich schüttle den Kopf und erwidere Jamies freches Grinsen. »Mir schwant Fürchterliches.«

Sein Lachen ist offen, ehrlich und ungemein ansteckend. »So schlimm wird es nicht werden. Also?«

Ich winke ab und nicke. »Natürlich mach ich das. Und ich dachte, sie wollten sich den Folterkeller ansehen?«

Jamie lacht und zuckt mit den Achseln. »Müsst ihr wohl noch eine Führung machen«, sagt er schulterzuckend und verschwindet wieder nach draußen.

Ich schmunzle und greife nach meinem Glas, spüre den Blick des jungen Mannes auf mir.

»Läuft es nicht nach Plan?«

Ich erwidere seinen Blick und kann mich gerade noch davon abhalten, seine vollen Lippen allzu offensichtlich anzuschmachten. »Na ja… welcher Plan? Nein, im Ernst. Es ist wahrscheinlich nicht die typische Eröffnung für so einen Club, aber was soll's. Das hier sind unsere Freunde und viele von ihnen haben uns in den letzten Monaten immens geholfen. Also lassen wir sie machen…« Ich lächle ihn an und mir wird klar, wie doof die Situation gerade ist. Er macht den Eindruck, als wolle er sich unterhalten, weiß aber nicht so recht wie, und ich quatsche ihn mit Geschäftsinterna voll. Ich war eindeutig auch schon mal besser in Konversation. »Ich bin übrigens Bene«, stelle ich mich deshalb vor und reiche ihm die Hand.

Sein Lächeln wird herzlicher und mir wird fast sofort klar, dass die Entscheidung, hierher statt in den Vorratsraum zu gehen, ein Fehler gewesen sein könnte.

»Andreas… Andi. Freut mich.«

Wir schütteln uns die Hände eine Sekunde zu lange und ich muss schmunzeln, als er verwirrt nach unten sieht.

»Freut mich auch. Bist du von hier?«

Als er meine Hand loslässt, löst sich auch seine Anspannung. »Ja. Ich wohne in Lindau.«

»Ah, schön. Dann… kann ich dich vielleicht mal wieder hier begrüßen?« Gott, ich stottere, was ist denn jetzt los?

Andis Augen leuchten auf und er nickt begeistert. »Ganz bestimmt, es gefällt mir gut hier und wenn Lack und Leder nicht zwingend zur Kleiderordnung gehören, komme ich gern wieder.«

Ich lache auf, mir gefällt sein Humor. »Nein, die Bar ist ja öffentlich, also wird es vielleicht nur zu Mottopartys diese Kleidervorschrift geben.«

Andi nickt, wirkt regelrecht elektrisiert. »Klingt gut, dann plant ihr noch mehr Programm?«

»Ja, wir…« Weiter komme ich leider nicht, da die ersten Gäste wieder nach unten kommen und ich sie nach draußen bringen muss. »Sorry… Du solltest auch mitkommen.«

Der folgende Augenaufschlag, diese Sekunde, in der eine Maske fällt, von der ich nicht wusste, dass er sie trug, jagt meinen Puls in die Höhe. Andis Gesicht wird weich, sanft, die Geste, mit der er nach seinem Glas greift, hat etwas Feines, Feminines an sich, das bei mir sämtliche Alarmglocken schrillen lässt.

Dann sieht er mich wieder an und erkennt offensichtlich in meinem Blick, dass er sich verraten hat. Seine Miene bleibt freundlich, aber starr, was ich sehr bedauere.

»Klar doch«, antwortet er dann markig und grinst.

Ich stehe auf und wende mich ab, ehe ich ihn noch einmal anspreche. »Schön. Dann bis zum nächsten Mal?« Verdammt, das sollte eigentlich nicht zu einer Frage mutieren.

»Ja, bis zum nächsten Mal.«

Ich lächle ihn an, auch wenn es sich wie Zähnefletschen anfühlt. Warum? Die Frage beantwortet mein Gehirn auf den wenigen Metern zurück zur Treppe. Weil er zu jung ist. Weil er mich interessiert und ich sicher eine saftige Abfuhr kassieren werde. Weil er zu jung ist!

Weil er sich verstellt.

Kapitel 5

Andi

Puh… Das war… komisch, aufregend, verwirrend. Mir gehen die Beschreibungen aus, aber Fakt ist: Dieser Mann sollte ganz für mich persönlich ein großes Stoppschild auf die Stirn getackert haben.

Irgendetwas in seiner Gegenwart sorgt dafür, dass ich mich sicher fühle und ich selbst sein möchte. Aber trotzdem muss ich aufpassen. Immerhin ist dieser Ort hier nicht der Alltag, sondern lediglich eine Momentaufnahme. Das Hochgefühl, das mir unser kurzes Gespräch beschert hat, verfliegt wieder und zurück bleibt die Wut auf mich selbst, weil ich so feige bin.

Ich kneife die Augen zu und richte mich auf, drücke den Rücken durch und atme tief ein. Immerhin gibt es jetzt diesen Ort, an den ich gehen und vielleicht lernen kann, etwas mehr Mut zu fassen.

Apropos gehen. Es interessiert mich wirklich, was draußen vor sich geht. Ein wenig steifbeinig klettere ich von dem Barhocker und lächle dem Barkeeper zu, der einen Bierdeckel auf mein halb volles Glas legt.

Ich mische mich unter die Besucher und amüsiere mich über die Gesprächsfetzen, die sich um den BDSM-Bereich drehen. Ein Lebensstil, den ich mir absolut nicht vorstellen könnte, aber hey… leben und leben lassen. Mein Kink ist nicht weniger extrem, auch wenn er lange nicht so schmerzhaft ist und innerhalb und außerhalb der schwulen Community noch schlechter akzeptiert wird, also habe ich absolut kein Recht, ein Urteil zu fällen.

Wieder platziere ich mich ein wenig am Rand, unter den mächtigen, alten Bäumen, die in einem Rondell vor dem Eingang stehen. Während ich die Gäste mustere und warte, was geschieht, fange ich Benes Blick auf, der ein Stück entfernt steht und sich mit seinen Geschäftspartnern unterhält.

Für eine Sekunde überlege ich, wie immer so zu tun, als hätte ich es nicht bemerkt und wegzusehen, aber aus irgendeinem Grund entscheide ich mich dagegen und lächle ihm vorsichtig zu.

Er scheint verwirrt, nachdenklich, aber letztlich erwidert er mein Lächeln, ehe er sich abwendet.

Gut so, nein, viel besser sogar.

Plötzlich erklingen von der Einfahrt her ziemlich schräge Töne. Die Gäste werden von zwei Männern so dirigiert, dass die Mitte des Vorplatzes frei bleibt. Wie sich herausstellt, ist mein leicht erhöhter Beobachtungsposten einfach perfekt, weil ich so die Einfahrt und ein Stück der Straße sehen kann.

Inzwischen ist klar, dass die Töne Dudelsäcken entstammen. Und ja, gleich darauf sehe ich, wie eine stattliche Anzahl Pipers und den so typischen Trommlern Richtung Villa ziehen.

Das ist Gänsehautfeeling pur und verstärkt wird das Ganze noch vom Anblick der Männer. Anders als in Film und Fernsehen trägt der Großteil nicht diese Galauniformen, sondern alltägliche Kilts mit den passenden Plaids. Es wirkt wild und irgendwie authentisch, als ob sie hier und jetzt in irgendeinen Freiheitskrieg ziehen würden.

Nein, das hier ist tatsächlich keine gewöhnliche Bareröffnung, denke ich schmunzelnd, während ich die Show genieße.

***

Zwei Stunden später verlasse ich mit einem unglaublichen Hochgefühl den Club, was nicht an dem einen Glas Whiskey liegt, der obligatorisch ausgegeben wurde, als diese Schotten die Bar kurzerhand in ein Pub verwandelt und alle miteinander Flower of Scotland zum Besten gegeben haben. Nein, es liegt an der Atmosphäre, dem freundlichen Miteinander der Gäste und… den Blicken von Bene.

Leider hatten wir keine Gelegenheit mehr, miteinander zu sprechen, aber hin und wieder sind wir uns über den Weg gelaufen und jedes Mal hat er mir zugelächelt. Wahrscheinlich interpretiere ich viel zu viel in diese rein freundliche Geste hinein, aber mich trägt es wie auf einer Welle nach oben und hinterlässt in mir dieses geheimnisvolle Prickeln.

Ob es gut ist? Wahrscheinlich eher nicht, aber ich verbiete mir jetzt weder den Genuss noch meine Gedanken, die in eine Richtung gehen, die sonst meinen Träumen vorbehalten bleibt.

Versonnen lächelnd drücke ich mich noch eine ganze Weile an der Tür, die die Bar von einem Entree trennt, herum, in der Hoffnung, Bene würde sich noch einmal in diese Richtung verirren.

Nach einer Weile sehe ich jedoch ein, dass ich auf dem besten Weg bin, mich lächerlich zu machen. Inzwischen sind viele der normalen Gäste bereits wieder gegangen, sodass eine scheinbar eingefleischte Gruppe zurückbleibt. Sie sitzen am Stammtisch an der hinteren Wand, lachen, singen und unterhalten sich.

Ein Stich von Neid – oder Eifersucht – löst das Rumoren in meinem Bauch ab. Ich gehöre nicht dazu.

Seufzend wende ich mich vollends ab und gehe nach draußen.

Nein, ich gehöre nicht dazu. Wie meistens eben.

Kraftvoll presse ich meine Fingernägel in meine Handfläche, bis es schmerzt. Ich will mir das Gefühl der Freude nicht nehmen lassen. Dazu war dieser Abend einfach zu schön und unbeschwert. Und außerdem kann ich ja wiederkommen und wenigstens ein Teil der Gäste sein, die diese Bar besucht.

Ich betrete den Vorraum und fröstle leicht. Obwohl der Sommer schon seine Vorboten schickt und gerade die heutige Nacht recht warm ist, ist die frische Luft kalt, da die Außentür offen steht.

Rechter Hand, vor einem kleinen Raum, der sicher später den Türstehern dienen wird, stehen jetzt zwei große Stellwände. Auf dem einen stehen kurze Notizen von Gästen und Sprüche, wie in einem Gästebuch. Ich möchte sie gern lesen, aber leider komme ich nicht dazu. Der andere Aufsteller sorgt unsinnigerweise dafür, dass mir beinahe schwindlig wird.

Ich weiß nicht, ob ich weglaufen, kehrtmachen, vor Freude jubeln oder mich für den Rest meiner Zeit in meiner Wohnung verkriechen soll.

Ja, sie wollen Programm machen und dafür suchen sie Künstler. Unter anderem Tänzer, Sänger, Kabarettisten und… das Wort verschwimmt vor meinen Augen… Dragqueens!

Alleine die Tatsache finde ich für hier sehr mutig, immerhin ist das nicht Hamburg oder eine andere Großstadt. Andererseits, eine Bar mit angeschlossenem BDSM-Bereich für Schwule zu eröffnen, ist genauso mutig, warum also dem Ganzen nicht noch die Krone aufsetzen und uns eine Plattform bieten?

Uns? Was zum Teufel…

Ich muss hier weg. Mit wackeligen Knien stakse ich zu meinem Auto und verlasse das Areal. Die Schranke ist geschlossen, aber offensichtlich so eingestellt, dass man ungehindert raus-, aber nur mit Anmeldung reinfahren kann.

Kapitel 6

Bene

Ich drücke die Eingangstür ins Schloss, drehe den Schlüssel herum und wie auf Kommando seufzen wir drei und fangen an zu lachen.

Es ist geschafft! Gerade hat Benny das Burning Sky verlassen, nachdem er uns tatkräftig beim Aufräumen geholfen hat.

Ich drehe mich zu Adam und Luca um, die hinter mir an der jeweils gegenüberliegenden Wand lehnen und genauso glücklich und völlig kaputt aussehen wie ich.

»Also, ich denke Benny hat seine Feuertaufe bestanden und wird bleiben, oder?«, frage ich die zwei, die inzwischen tatsächlich vollkommen gleichberechtigte Geschäftspartner geworden sind. Luca ist im Grunde gar nicht mehr wegzudenken und übernimmt viele Büroarbeiten, die Adam und mir lästig sind, mit stoischer Ruhe und absolutem Können.

»Japp. Der Junge bleibt definitiv. Kommt, lasst uns noch was trinken und dann mal Kasse machen.« Adam stößt sich von der Wand ab, greift nach Lucas Hand und zieht ihn mit sich. Wie immer ärgere ich mich über den blödsinnigen Stich von Eifersucht, wenn ich das sehe, und setze mein perfekt eingeübtes Pokerface auf, während ich mich ihnen anschließe.

Unvermittelt schiebt sich ein anderes Gesicht in meine Gedanken und macht das Chaos in meinem Inneren perfekt.

Der Junge von vorhin. Ein versonnenes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, während Luca und ich uns an die Bar setzen und Adam sich um die Getränke kümmert.

Leider habe ich nicht noch mal mit Andi sprechen können. Na ja, er sagte ja, er kommt wieder, es dürfte also hoffentlich noch mal die Chance dazu bestehen. Jetzt freue ich mich einfach, dass er irgendetwas an sich hat, das mich erfolgreich von meiner bescheuerten Schwärmerei für Adam abbringt.

Obwohl es über die vergangenen Monate hinweg schon ein wenig besser geworden ist. Das Herzklopfen wurde weniger, das warme Gefühl blieb, aber wenigstens ist Eifersucht auf Luca nur extrem selten der Fall. Dazu ist ihre Beziehung einfach zu speziell und ihre Vorlieben viel zu weit weg von meinen, als dass ich mehr als meine voyeuristische Ader befriedigen könnte.

Ein Glas erscheint vor meinem Gesichtsfeld und reißt mich aus meinen Gedanken.

Adam holt sich einen Hocker hinter den Tresen, sodass wir uns gegenübersitzen können. Wir sehen uns an und grinsen, aber ich denke, die beiden holt jetzt genau wie mich schlagartig die Müdigkeit ein. Nicht nur dieser Tag war lang, sondern wir haben in den letzten Wochen auch so manche Nacht geopfert.

Ich unterdrücke ein Gähnen, schaffe es aber nicht, worauf wir alle lachen und Luca sich die Hand vor den Mund hält.

»Du steckst mich an, Bene«, erklärt er lachend und rollt mit den Schultern.

»Morgen schlafen wir definitiv mal aus, ich denke, das haben wir uns verdient. Bis zum Aufschließen schaffen wir locker noch einiges und Benny kommt ja ohnehin früher.«

Ich nicke Adam zustimmend zu. »Stimmt. Das kriegen wir hin.«

»Wie wäre es, wenn ihr zwei verschwindet und ich mach noch die Kasse?«, fragt Luca leise und greift nach seinem Glas.

Unisono schütteln Adam und ich die Köpfe. »Vergiss es, Darling. Wir haben ausgemacht, die Abrechnung nach Möglichkeit immer zu dritt zu machen, also fangen wir heute sicher nicht gleich mit einer Ausnahme an.«

Luca zuckt mit den Schultern. »War nur ein Vorschlag.«

»Der hiermit einstimmig abgelehnt wurde«, setze ich hinzu und grinse Luca an, der lächelnd den Kopf schüttelt.

Er seufzt, trinkt einen weiteren Schluck und steigt dann steifbeinig von seinem Stuhl. »Dann mal los, meine Herren. Ich bin wirklich todmüde und wenn wir hier noch länger rumhängen, wird das nix mehr.«

Eine halbe Stunde später schließe ich zum zweiten Mal die Tür des Clubs ab und beobachte, wie Adam Luca auf dem Vorplatz an sich zieht und ihn küsst, als würde er ihn gleich verschlingen.

Obwohl es mir einen Stich versetzt, ist es faszinierend, den beiden zuzusehen. Gerade noch hat Luca bei der Abrechnung den Ton angegeben, jetzt mutiert er in Adams Armen zum devoten Sub, der den sicher schmerzhaften Griff in seine Haare mit einem seligen Lächeln quittiert.

Ein Traumpaar. Eine bessere Definition gibt es für die zwei einfach nicht. Noch eines in meinem unmittelbaren Umfeld, wenn ich an den neuen Freundeskreis denke.

Ich seufze laut und lache über das Geräusch in der absoluten Stille um mich herum. Nicht so theatralisch, Herr Spöhr, das steht ihnen nicht.

Langsam schlendere ich in die schummrige Bar zurück. Die meisten Lichter sind gelöscht, die Musik aus und die Räume verschlossen. Aus reiner Gewohnheit, die ich jetzt wieder aufnehme, mache ich einen allerletzten Rundgang und überprüfe sämtliche Geräte und Kühlschränke.

Ich brauche das, um runterzukommen und… das Alleinsein nach dem Trubel besser zu verkraften. Oder ist es vielleicht sogar Einsamkeit? Möglich, auch wenn ich niemals gedacht hätte, daran zu leiden. Aber jetzt ist es offensichtlich so. Nicht nur, dass mich dieser blödsinnige Herzschmerz quält, Adams Beziehung zeigt mir auch, wie es sein könnte, und das trifft mich härter, als mir lieb ist.

Jahrelang war ich zu beschäftigt, meinen angeknacksten Ruf zu retten und die Schulden abzubauen, um mich ernsthaft nach jemandem zu sehnen. Dann gab es unzählige Affären, oberflächliche Begegnungen, bei denen jedes Mal entweder bei mir oder dem Partner etwas gefehlt hat, um eine längerfristige Beziehung einzugehen.

Dennoch habe ich es wohl unbewusst immer wieder versucht, die Hoffnung in eine neue Begegnung gesetzt und wurde meistens enttäuscht.

Ich schüttle über meine trüben Gedanken den Kopf, hole mir eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und vermerke es in unserem Angestelltenbuch.

Nachdenklich gehe ich Richtung Treppe und lösche das letzte Licht über der Theke. Die Dunkelheit wirkt ein wenig bedrückend, doch ich schüttle dieses Gefühl schnell ab.

Es ist gut, hier zu sein. Das alles ist ein fantastischer Anfang, eine neue Chance auf ein Stück Heimat und Familie, die ja auch durchaus aus Freunden und nicht unbedingt einem Partner bestehen kann.

Kapitel 7

Andi

Inzwischen perlt das zweite Glas Sekt vor mir auf dem Wohnzimmertisch und ich fühle langsam, wie mir der Alkohol ein schwummriges Gefühl gibt.

Ich trinke eigentlich nicht gern, weil ich panische Angst davor habe, die Kontrolle über mich zu verlieren und damit meine Maske fallen lasse.

Aber jetzt? Entgegen meinem Plan von vorhin drehen sich meine Gedanken sehr wohl jetzt um die eine große, entscheidende Frage: Soll ich mich bewerben? Soll ich zum allerersten Mal in meinem Leben das, was ich hier hinter verschlossenen Türen zu meinem bloßen Vergnügen tue, und zugegebenermaßen perfektioniert habe, nach außen tragen und mich damit outen?

Es gibt eine Menge Dinge, die dafür, aber auch dagegensprechen. Das alles abzuwägen, bereitet mir Kopfschmerzen und Bauchweh. Ich bin nicht mutig, immer noch nicht, aber gerade fühlt sich ein winziger Teil in mir so stark wie ein Löwe, bereit, auf diese kleine Bühne zu steigen und den Kampf mit der ganzen Welt aufzunehmen…

Ich sollte wirklich nichts mehr trinken, weil es mich leichtsinnig werden lässt. Und außerdem sollte ich ins Bett, damit ich morgen fit bin und alle Sinne beieinanderhabe, um für den Dienst mit meinem Lieblingskollegen Manfred gewappnet zu sein. Er ist einer der Gründe, der gegen eine Bewerbung spricht, ein homophober Klugscheißer, der eigentlich jedem das Leben zur Hölle macht und jeden noch so winzigen Fehler dramatisiert.

Andererseits… Ich kichere kindisch vor mich hin und schiebe das auf den Alkohol… Was wäre es für eine Show, wenn er mich in meinem Outfit sehen würde und ich ihm den Absatz meines Stöckelschuhs in den Allerwertesten rammen könnte.

Ich lache auf, falle an die Rückenlehne des Sofas und betrachte dann, als ich mir die Lachtränen aus den Augen gewischt habe, das kleine, unscheinbare Foto von Marlene Dietrich gegenüber auf dem Lowboard neben dem Fernseher.

Die kleinste Form einer Rebellion, die man sich denken kann, da mein Wohnzimmer zu den drei Räumen meiner Wohnung zählt, die auch von Freunden und Familie betreten werden können und somit in jeder Hinsicht normal eingerichtet ist.

Soll ich oder soll ich nicht? Ich könnte mir ja eine Woche Bedenkzeit geben und nächstes Wochenende mal völlig unverfänglich im Burning Sky nachfragen, wann man sich überhaupt vorstellen kann… und bei wem.

Natürlich muss ich dabei sofort an Bene denken. Nein, wenn ich ehrlich bin, ist er in meinem Kopf genauso präsent wie die Stellenanzeige als Dragqueen.

Wird er vielleicht die Auswahl treffen oder ist es eine Teamentscheidung zwischen allen Chefs?

Einerseits bereitet mir die Vorstellung, vor ihm aufzutreten, wieder dieses leichtsinnige Bauchkribbeln, das aufkommender Lust sehr ähnlich ist, andererseits weiß ich nicht, ob ich vor seiner dominanten Ausstrahlung überhaupt bestehen kann. Aber wenn ich vor ihm schon ins Stottern komme, hat es ohnehin keinen Sinn, mich vor Publikum zu begeben.

Ich seufze, trinke den letzten Rest Sekt, der langsam warm wird, und stehe auf. Aus reiner Gewohnheit, weil ich ein Frischluftfanatiker bin, öffne ich die schmale Balkontür und trete hinaus.

Der schmucklose Balkon lädt nicht wirklich zum Verweilen ein und die Aussicht ist auch nicht besser, da direkt unter mir die Bahnschienen verlaufen und gegenüber ein recht unansehnliches Firmengelände liegt. Aber das war mir nie wichtig, da ich im Sommer ohnehin Zuflucht auf meinem Boot suche.

Jetzt klärt die kühle Nachtluft den Nebel in meinem Kopf ein wenig und schiebt die Fakten in den Vordergrund. Wenn ich ehrlich bin, drängt es mich dazu, mich zu bewerben, da ich im Grunde nicht länger all das hier und mein Können geheim halten will.

Auch wenn ich kein allzu großes Selbstbewusstsein besitze, weiß ich doch, was ich kann. Vielleicht könnte mir ein Auftritt genau dazu verhelfen? Und da ich strikt darauf achte, nach außen hin nicht schwul zu wirken, mich weder in einschlägigen Kreisen herumtreibe noch gleichgesinnte Freunde habe, wer soll es schon groß mitbekommen?

Ein Schauer erfasst mich und ich reibe meine Oberarme. Auch wenn mich aus diesen Gründen wohl niemand erkennt, ist es eigentlich armselig. Es ist, als lebe ich irgendwo zwischen den Welten, in einer selbst gemachten, winzigen Nische.

Trauer, Angst und Ärger wallen wie so oft in mir auf. Vielleicht sollte ich den Aufruf einfach als Chance betrachten, eben diese Nische wenigstens an manchen Abenden zu verlassen? Vielleicht gibt es in dieser bunten Gemeinschaft, die heute Abend nichts als Freundlichkeit und Freundschaft vermittelt hat, einen Platz für mich?

Ich bin 27 und sollte endlich mein Schneckenhaus verlassen und ein wenig leben.

Auf dem Weg hinein denke ich an meine Familie und wie sehr es mir leidtut, sie alle ständig zu belügen. Josef und Kilian, meine beiden älteren Zwillingsbrüder, mit ihren liebenswürdigen Frauen, die den elterlichen Biohof in brüderlicher Eintracht führen. Meine Mutter, die nach einem Schlaganfall ein Pflegefall ist, aber wie selbstverständlich zu Hause versorgt wird.

Da ist immer ein Platz für mich, das betonen sie bei jedem Besuch, und obwohl ich schon vor Jahren ausgezogen bin, blieb die kleine Einliegerwohnung stets für mich frei.

Aber ich kann und konnte dort nicht leben, weil ich mich nach meinem Stück Freiheit gesehnt habe, das ich nur in meinen eigenen vier Wänden ausleben kann.

Trotzdem tut es weh, weil ich sie ständig vermisse, den Zusammenhalt, den netten Umgang und das Gefühl von Familie. Ich bin wie menschliches Treibgut, das in Strandnähe von den Wellen vor und zurück getrieben wird.

Im Dunkeln gehe ich barfuß durch den Flur und taste im Schlafzimmer nach dem Lichtschalter. Als es hell wird, ich die Augen öffne und hineinschaue, flammt sofort wieder Erregung in mir auf, obwohl ich jeden Quadratzentimeter des Zimmers kenne, eingerichtet und dekoriert habe. Dennoch… Das bin ich, das ist der Kern von mir, die Essenz, die ich wie einen Schatz hüte und niemanden sehen lasse, weil er mich so anders macht.

Als ich die Tür hinter mir schließe, sperre ich das reale Leben aus. Mein Seufzen wird von den ausgestellten Kleidern und Stoffen verschluckt, die Anspannung weicht aus meinen Muskeln, da ich nicht länger verkrampft an meiner männlichen Ausstrahlung festhalte.

Langsam ziehe ich mich aus, lasse die nach Bar riechenden Klamotten neben der Tür liegen und setze mich dann an das Fußende des Bettes.

Die Seidenbettwäsche lässt mich erschaudern und eine Gänsehaut überzieht meinen Rücken. Direkt vor mir hängt ein großer, bodentiefer Spiegel, vor dem ich die Posen und Bewegungen übe. Jetzt sehe ich mich einfach an und versuche einmal, nicht die Unzulänglichkeiten aufzuzählen, die die maskuline Welt benennen würde, sondern sehe nur mich.

Nach Sekunden schaffe ich es, mir zuzulächeln, schlage die Beine übereinander, lege sie schräg und neige kokett den Kopf.

Ja, ich bin zu schlank, ja, ich entspreche keinem Männerideal, aber verdammt… ich bin hübsch. Ja, hübsch!

Und in diesem Moment, in dem ich zulasse, mich in den Kostümen zu sehen, geschminkt und ganz in meiner Rolle, weiß ich: Ich werde mich vorstellen und meinem wahren Ich eine Chance geben.

Kapitel 8

Bene

Nach ein paar Tagen schleicht sich langsam so etwas wie ein Alltag ein. Momentan öffnen wir die Bar täglich, weil wir auf die Einnahmen angewiesen sind, um den Ausbau weiter vorantreiben zu können.

Ganz oben auf dem Plan stehen der Spa- und Poolbereich, obwohl wir die eigentlich hintanstellen wollten. Aber aus Mikes und Jamies Richtung kommen diverse Signale und bei einem letzten Gespräch mit Dirk und der Agentur hat sich bestätigt, dass sie in dieser Richtung gerne planen würden.

Sie sind an einer festen Zusammenarbeit interessiert und Jamie hat hier bereits einige Shootings veranstaltet, weshalb ein Poolbereich natürlich klasse wäre. Ich muss zugeben, er bietet auch wirklich eine sagenhafte Aussicht und für den nächsten Winter können wir damit sicher ordentlich Umsatz machen.

Heute stehen einige Bewerbungsgespräche auf meinem Plan. Luca ist für zwei Tage in München, um sich um seine Firma zu kümmern, und Adam hilft den Handwerkern in eben jenem Poolbereich beim Abriss der alten Umkleidekabinen.

Inzwischen haben wir zwei Barkeeper, die den Großteil der Schichten abdecken, aber trotzdem stehe ich abends ebenfalls hinter der Theke. Ich mache das gern, da man so hervorragend mit den Gästen ins Gespräch kommt und die Stimmung mitbekommt.

Adam hat sich ebenfalls dafür angeboten, aber letztendlich war es uns dann wichtiger, dass er sich komplett auf den schwarzen Bereich konzentriert und dort den Überblick behält.

Jetzt arbeiten wir gerade daran, wenigstens für den Samstagabend ein kleines Programm auf die Beine zu stellen. Jamie hat uns ein paar Tänzer vermittelt und mischt auch aktiv mit, was ihm offensichtlich großen Spaß macht. Aus dem Umkreis haben sich ein paar Bands vorgestellt und zwei Sänger, die wir ebenfalls testen wollen.

Meine Hoffnung, dass wir der hiesigen LGBT-Community eine kleine Plattform bieten können, hat sich bis jetzt noch nicht erfüllt, aber unsere Freunde haben mich beruhigt und darauf verwiesen, dass wir im Grunde auf dem Land sind und es schlicht Zeit braucht, bis man uns traut.

Nach dem Gespräch begleite ich die Bewerberin für die Küche nach draußen und genieße für einen Moment den frischen Wind, der die Sonnenkraft mildert. Die Blätter der großen Bäume rauschen und bringen mich zum Lächeln. Ich hätte nie gedacht, dass ich die Natur hier in so kurzer Zeit so zu schätzen lerne.

»Bene?«, fragt Adam von drinnen und lässt mich seufzen. Ich bin heilfroh, dass jetzt kein Leerlauf mehr herrscht, in dem meine Gedanken viel zu oft zu ihm abdriften.

»Ja. Ich komme.«

Adam steht über die Schriftstücke gebeugt an unserem Stammtisch und liest aufmerksam meine Notizen.

»Hey«, spreche ich ihn an und muss lachen. Er sieht aus, als wäre er in einen überdimensionalen Mehlhaufen gefallen.

»Hi. Alles klar?« Er sieht auf und runzelt die Stirn, als ich auflache.

»Ja, alles gut.« Ich werfe ihm einen vielsagenden Blick zu, woraufhin er an sich hinabsieht.

»Ist ein wenig staubig, ja, aber die Wände sind draußen. Die Jungs räumen gerade auf. War jemand Interessantes dabei?« Er deutet auf die Bewerbungsunterlagen.

»Nur die letzte Bewerberin für die Küche, das könnte hinhauen und sie kommt Freitag zum Probearbeiten.«

»Das ist doch schon was. Mach dir nicht zu viele Gedanken, wir finden schon noch Leute für das Showprogramm, es dauert eben ein wenig, bis sich unsere Suche rumgesprochen hat.«

Adam kommt auf mich zu und ich halte wie immer unwillkürlich die Luft an. Das ist so bescheuert, wirklich. Grinsend klopft er mir auf die Schulter.

»Zieh nicht so ein Gesicht, Bene. Ich bin dann wieder hinten, wenn was ist, ja?« Mit diesen Worten lässt er mich stehen, dreht sich an der Tür noch einmal um und lächelt mich an.

Und wieder einmal frage ich mich, ob es tatsächlich so eine gute Idee war, wieder Kontakt mit ihm aufzunehmen. Das ist nicht gut, und diese latente Sehnsucht nach etwas, was er mir ohnehin nie geben könnte, geht mir langsam an die Substanz.

***

Der Samstagabend bietet mir unerwarteterweise einen Lichtblick, zumindest, was meine Manie für Adam angeht. Die Bar ist gut besucht, das Klientel besteht dieses Mal aus neuen Leuten, die vielleicht den Trubel der Eröffnung abwarten wollten. Auch ein paar unserer Schotten – ich muss lachen, als ich sie wie selbstverständlich als unsere sehe – besuchen uns und belagern den Stammtisch, den sie bei der inoffiziellen Eröffnung gleich als ihren Tisch deklariert haben.

Ich mag den Umgang mit den Gästen, dieses Kennenlernen unterschiedlicher Charaktere und die vielfältigen Gespräche. Jedes Mal, wenn ich einen Club eröffnet habe, beobachte ich gespannt, welcher Besucher nur sporadisch kommt und wer sich zum Stammgast entwickelt.

Und dann betritt ein Mann den Club, von dem ich auf der Stelle und völlig irrsinnigerweise hoffe, dass er einer der Stammgäste wird: Andi.

Es überrascht mich, wie mein Herz einen Schlag lang aussetzt… Nein, eigentlich sollte ich nicht überrascht sein, da er mein Beuteschema so perfekt verkörpert, als wäre er für mich gebacken worden. Ich lache vor mich hin und genieße einfach die Aussicht auf einen kleinen Flirt. Mehr verbiete ich mir, da er in der einen Woche kaum alt genug für mich geworden ist, was ich wirklich extrem schade finde.

Nachdem ich die Gläser abgetrocknet habe, drehe ich mich wieder um und suche ihn in der überschaubaren Menge. Die kurze Ablenkung hat mir die Gelegenheit gegeben, meine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle zu bringen, damit ich ihn nicht angrinse, als ob ich ihn in den nächsten Minuten abschleppen würde.

Ein wenig ratlos steht er ein Stückchen hinter der Eingangstür und sieht sich um, was mir die Gelegenheit bietet, ihn zu mustern. Ja, er ist definitiv ein hübsches Kerlchen. Ebenmäßige Gesichtszüge, sehr fein und androgyn, mit hohen Wangenknochen und einem Schmollmund, den er sich aber gerade selbst zerbeißt.

Irgendwie wirkt er angestrengt, als ob er sich krampfhaft um etwas bemüht. Andi ist genauso verkrampft wie bei seinem ersten Besuch. Umso mehr beeindruckt mich die Tatsache, dass er überhaupt wiedergekommen ist.

In dem Moment dreht er sich in meine Richtung und sieht mich direkt an. Sein Mund öffnet sich ein wenig und dieser Augenaufschlag… Himmel, dafür würde ich ihn am liebsten direkt nach oben zerren.

Und mir wird klar, dass er mich bereits gesehen haben muss, denn sein Blick war viel zu zielgerichtet und direkt. Nun gut, warum auch nicht. Ich lächle ihm zu und er wirkt geradezu erleichtert.

Kurz sehe ich mich um und entdecke, dass der Platz an der Bar, den er beim ersten Mal schon belegt hat, immer noch frei ist. Mit einem Kopfnicken und einem Handzeichen deute ich auf die linke Seite der Bar und hoffe, dass er meiner Einladung folgt.

Andi nickt scheu, schluckt, ballt für eine Sekunde die Fäuste und macht sich dann aber auf den Weg zu dem freien Platz.

Ich grinse in mich hinein. Der Abend könnte noch angenehmer werden, als ich anfangs gedacht habe.

Kapitel 9

Andi

Die Woche war irgendwie lang. Die Arbeit im Restaurant zäh und dank Manfreds ständigem Gejammer und Gemeckere sehr ermüdend. Komischerweise ertrage ich seine Launen deutlich schlechter als vorher.

Da kommt mir ein freies Wochenende gerade recht und ich nutze vollkommen uneigennützig die Zeit, um das Burning Sky ein weiteres Mal zu besuchen.

Morgen ist dann Familientag, wie jeden Sonntag, wenn ich nicht arbeiten muss. Ein Besuch, auf den ich mich immer sehr freue. Da sitzen wir alle gemeinsam am Mittagstisch, es wird gegessen, geredet, gelacht… Und ich immer wieder ausgefragt, wann ich endlich eine Freundin mitbringe.

Das ist dann so ziemlich der einzige Grund, was mich daran nervt. Aber hey, im Ausreden erfinden bin ich ja Profi.

Ein Sicherheitsmann überwacht wie beim letzten Mal die Einfahrt und schickt mich in Richtung eines Parkplatzes, der bei meinem ersten Besuch noch eine abgesperrte Baustelle war.

Ich bin nervös, obwohl es dafür eigentlich keinen Grund gibt. Kopfschüttelnd verstaue ich den Autoschlüssel in der Gesäßtasche meiner Jeans und atme tief durch. Es gibt sehr wohl einen Grund, einen, der mir schon die ganze Woche durch den Kopf geht, wenn ich mal nicht an das Vorsingen denke: Bene.

Wie hoch stehen wohl die Chancen, dass ich ihn heute wiedersehe? Arbeitet er als Boss mit oder delegiert er lediglich? Ob er vielleicht Zeit für ein kleines Gespräch hat? Ich schnaube und gehe flotter auf die Eingangstür zu. Ich weiß selbst nicht, was ich mir davon verspreche. Wichtig ist mir heute lediglich, dass ich etwas über das geplante Bühnenprogramm erfahre, alles andere führt ohnehin zu nichts.

Ich betrete die Bar und blinzle, um mich an das gedämpfte Licht zu gewöhnen. Es ist längst nicht so voll wie zur Eröffnung, dennoch sind einige Tische belegt und auch die Bar ist fast vollständig besetzt. Die Musik plätschert gerade so laut dahin, dass man sich noch unterhalten kann, ohne zu schreien.

Mein Blick gleitet hinter den Tresen und ich sehe tatsächlich Bene, der sich zu meinem Bedauern genau in diesem Augenblick umdreht, um ein gespültes Glas in das verspiegelte Regal hinter sich zu stellen.

Mein Herz schlägt einen Purzelbaum, was mich fürchterlich ärgert. Das fängt ja schon gut an, ich sitze noch nicht mal und schon bringt er mich aus der Fassung.

Jetzt dreht er sich wieder um und sieht mich an, lächelt und verwandelt meine Beine in Pudding. Dann deutet er mit dem Kopf auf einen Platz zu seiner Rechten.

Soll ich? Offensichtlich sind meine Beine schneller als mein Kopf, da ich mich umgehend auf den Weg mache und wenig später auf den gleichen Barhocker klettere, auf dem ich beim letzten Besuch auch saß.

Ein wenig umständlich falte ich meine Beine übereinander, aber das liegt eher daran, dass ich ein kleines Problem damit habe, Bene in die Augen zu schauen. Willkommen Vorurteile! Ich bin echt ein Spinner. Was erwarte ich denn in einem Club, dessen Hauptklientel Schwule sind? Etwa, dass mich der definitiv homosexuelle, verdammt gut aussehende Chef nicht wie Frischfleisch mustert? Okay, das ist ein wenig unfair. Bene ist außerordentlich freundlich, aber natürlich sieht er mich anders an als jemand, der nicht auf Männer steht.

Da ich mich gedanklich gerade um Kopf und Kragen rede, reiße ich mich zusammen, rücke meine Maske zurecht, die ihn hoffentlich ebenso täuscht wie alle anderen, und erwidere sein freundliches Lächeln… was mir auf der Stelle wieder entgleitet, als er mir unmissverständlich auf die Lippen starrt.

Na, klasse. Aber, hey? Warum darf ich hier und jetzt nicht ein Stückchen darauf eingehen? Ich atme tief durch, wäge wie immer ab, inwieweit ich mich verraten könnte, und komme zu dem Schluss, dass es völliger Schwachsinn ist, so zu tun, als wäre ich hetero. Spätestens wenn ich mich bewerbe, ist mein ganzes Theater ohnehin passé.

Also sehe ich auf, neige ein wenig meinen Kopf und lächle breiter. Benes unbewusste Reaktion überrascht mich. Er schluckt, seine Miene erstarrt für eine Millisekunde und seine Augen weiten sich.

»Hey… Andi. Schön, dass du wieder reinschaust.« Seine Worte sind unverfänglich und völlig widersprüchlich zu seinem Gesichtsausdruck. Aber das verstehe ich zu gut. Er ist einfach professionell und will sich auch noch so seltsame Gäste nicht vergraulen. Geht mir ja im Restaurant nicht anders.

»Hallo, Bene. Ja, ich dachte mir, ich lasse den Abend hier ausklingen.« Wir sehen uns an und seltsamerweise ist es einer jener sagenumwobenen Augenblicke, in denen man vom Drumherum nichts mehr mitbekommt. Es sollte mich ängstigen, tut es aber nicht. Die Blase ist angenehm, bietet irgendwie Leichtigkeit und mit Bene vor mir einen festen, stabilen Fokus.

»Das freut mich sehr. Magst du was trinken?«

Ich blinzle und der Augenblick ist vorbei. »Ja, gerne, ich hätte…«

»Warte.« Bene hängt das Geschirrtuch über einen Kühlergriff und mustert mich mit verschränkten Armen. »Lass mich dir was mixen, okay?«

Ich lache auf und entspanne mich langsam. »Gern, aber ich muss fahren.«

»Kein Problem, dachte ich mir schon. Andererseits… Wir hätten ein paar Zimmer frei.« Benes Zwinkern löst bei dem Mann neben mir ein leises Lachen und bei mir eine Hitzewelle aus. Er flirtet mit mir?! Oha!

»Ähm… Ich hab's nicht so mit Handschellen, Leder und Holzbänken.«

Benes Grinsen wird breiter. »Nicht? Gut zu wissen.«

Mit diesen Worten dreht er sich um, holt ein großes Glas aus dem Regal und mir wird klar, dass er mir ohne Probleme Infos aus der Nase gezogen hat.

Kopfschüttelnd beobachte ich, wie er sehr gekonnt einen bunten Drink mixt, ihn mit Früchten und Deko-Sachen aufpeppt und ihn mir sichtlich stolz vor die Nase stellt. Der Geruch von Kokos und Ananas dringt an meine Nase und lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Woher zum Teufel, weiß er, dass ich auf so was stehe?

Gewarnt von seinem vorherigen Auftritt, bemühe ich mich um ein wenig Abstand.

»Wow! Das sieht… klasse und extrem bunt aus.«

Bene wird ebenfalls ernst, sein Blick lässt mich keine Sekunde los. »Und süß. Du hast süß vergessen.«

Ich nicke langsam. »Okayyy«, sage ich gedehnt.

Zu meiner Überraschung beugt er sich tatsächlich über die Theke und flüstert mir leise ins Ohr, sodass es mein Sitznachbar nicht hören kann. »Etwas Süßes für den süßesten Mann hier heute Abend.«

Dann weicht er zurück und leckt sich langsam die Lippen. Mir wird schlagartig so heiß, dass ich mir am liebsten das T-Shirt über den Kopf ziehen würde. Hat er das gerade tatsächlich zu mir gesagt? Ist das jetzt noch flirten, oder ein Frontalangriff? Ich weiß gerade nicht, wie ich damit umgehen soll, außer dümmlich zu grinsen und nach dem Glas zu greifen.

»Genieß es… Andi.« Er wendet sich ab, hört aber nicht auf, zu lächeln und mir hin und wieder Blicke zuzuwerfen.

Das ist nicht gut, ich spüre regelrecht, wie ich dahinschmelze, wie gut mir diese sicherlich einfach so dahingesagten Worte eines Profis tun, wie ich danach lechze, gesehen zu werden.

Ich koste den Drink, während ich ihn weiter beobachte. Unwillkürlich stöhne ich auf, was nicht nur Bene, sondern auch meinen Nachbarn wieder zum Lachen bringt, der mir daraufhin mit seiner Bierflasche zuprostet.

Ich lache mit, fühle mich plötzlich herrlich frei und ungezwungen, weil mein Ausbruch gerade eben keine dummen Blicke ausgelöst hat.

Tatsächlich schmeckt der Drink verboten gut und mir wird klar, dass von heute an die Mischung aus Kokos, Kirsche und Ananas immer Benes Bild in meinem Kopf hervorrufen wird. Das nenne ich dann mal Wiedererkennungswert.

Ich lecke mir die Lippen und erwidere Benes forschenden Blick deutlich ungezwungener als vorhin.

Nachdem er einen Gast bedient hat, kehrt er zu mir zurück und deutet mit dem Kinn auf das Getränk. »Und? Trifft es deinen Geschmack?«

Ich glaube, selbst dem dümmsten Zuhörer ist klar, dass er nicht nur den Drink meint. Aber was soll's. Hier ist niemand, den ich kenne, also warum nicht?

»Ja, allerdings. Es ist perfekt, genau, was ich mir vorgestellt und gewünscht habe.«

Wir grinsen uns an, neben uns wird gekichert, aber das spornt mich eher noch weiter an. »Aber ich bin mir nicht sicher, ob er süß genug ist. Willst du mal kosten?«, frage ich Bene frech und bin gespannt, was er jetzt macht.

Der andere Chef, der offensichtlich den BDSM-Bereich führt, kommt hinter die Theke auf Bene zu, hält aber inne. Sein Blick huscht zwischen mir und Bene hin und her, bis er schließlich die Arme vor der Brust verschränkt und uns ungeniert grinsend beobachtet.

Da Bene das nicht mitbekommt, kommt er bis an die Theke heran, beugt sich wieder in meine Richtung, zieht das Glas zu sich und leckt mit der Zungenspitze am Strohhalm entlang, ehe er ihn in den Mund nimmt.

Gut, dass ich sitze. Mein Schwanz schwillt in Rekordgeschwindigkeit an und macht es mir höllisch schwer, ruhig sitzen zu bleiben.

Ich glaube, im Umkreis von mehreren Metern beobachtet uns mittlerweile jeder.

Bene nimmt einen Schluck, sein Kehlkopf hüpft auf und ab, jagt noch mehr meines Blutes in das untere Stockwerk und entlockt mir ein unfreiwilliges Stöhnen.

Er lässt den Strohhalm langsam aus seinem Mund gleiten, seufzt, leckt sich über die Lippen und nickt langsam. »Perfekt. Süß, fruchtig, ein wenig herb im Abgang und macht Lust auf mehr.«

Mein Unterkiefer klappt nach unten. »Die perfekte Kombination also…«, sage ich leise.

»Wie füreinander gemacht, ja.«

Wir grinsen uns an, irgendwo springt da ein Funke über, der vielleicht schon letzte Woche während der Eröffnung entzündet wurde.

Bene schiebt das Glas beiseite, beugt sich vollends zu mir und küsst mich auf die Nase. Was rundherum Gelächter auslöst und mir die Röte ins Gesicht treibt.

»Das für den Anfang«, flüstert er und nimmt seinen Worten die Ernsthaftigkeit, indem er grinst und mir zuzwinkert.

»Ich nehm dich beim Wort«, erwidere ich, während er zurückweicht und in das allgemeine, gutmütige Gelächter einsteigt.

Der BDSM-Typ streckt den Daumen nach oben und schlägt Bene schwungvoll auf die Schulter. Auch mein Sitznachbar nickt mir freundlich zu und lacht.

Ich weiß nicht, was hier eben passiert ist, nur dass es mir regelrecht Flügel verleiht und es mir unfassbar gut gefällt.