Drei Schwestern - Anton Tschechow - E-Book

Drei Schwestern E-Book

Anton Tschechow

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Beschreibung

Rowohlt E-Book Theater Die Schwestern Olga, Mascha und Irina blieben nach dem Tod ihres Vaters in einer russischen Provinzstadt hängen. Alle Hoffnungen richten sich nun auf den Bruder Andrej, der eine Professur in Moskau antreten soll. Moskau wird für die Schwestern zum Inbegriff all dessen, was sie ersehnen. Ein Jahr später hat Andrej eine Stelle bei der Kreisverwaltung angetreten und ist mit der resoluten Natascha verheiratet, die das Haus in Beschlag nimmt und die Schwestern verdrängt. Olga und Irina leiden unter ihrer Arbeit, die ihnen statt Erfüllung nur Erschöpfung bringt. Mascha stürzt sich in eine Affäre mit dem verheirateten Oberst Werschinin. Für Irina scheint es jedoch eine Zukunft mit dem jungen Baron Tusenbach zu geben. Sie nimmt seinen Heiratsantrag an, obwohl sie ihn nicht liebt, um mit ihm ein neues Leben zu beginnen. Ein Duell vernichtet auch diese Hoffnung. «Drei Schwestern» ist eines der vielschichtigsten Stücke Anton Tschechows. Die Uraufführung fand 1901 am Moskauer Künstlertheater statt. Die einstigen Ideale des liberalen Bürgertums – Fortschritt, Humanität, persönliches Glück – sind in den «Drei Schwestern» längst zu Leerformeln geworden. Aus Helden werden Wartende, Träumende, Leidende. Tschechow selbst wies immer wieder auf diese Ambivalenz seiner Stücke hin und wehrte sich gegen sentimentale Interpretationen.

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Seitenzahl: 107

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Anton Tschechow

Drei Schwestern

Drama in vier Akten

Aus dem Russischen von Ulrike Zemme

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Rowohlt E-Book Theater

 

Die Schwestern Olga, Mascha und Irina blieben nach dem Tod ihres Vaters in einer russischen Provinzstadt hängen. Alle Hoffnungen richten sich nun auf den Bruder Andrej, der eine Professur in Moskau antreten soll. Moskau wird für die Schwestern zum Inbegriff all dessen, was sie ersehnen.

Ein Jahr später hat Andrej eine Stelle bei der Kreisverwaltung angetreten und ist mit der resoluten Natascha verheiratet, die das Haus in Beschlag nimmt und die Schwestern verdrängt. Olga und Irina leiden unter ihrer Arbeit, die ihnen statt Erfüllung nur Erschöpfung bringt. Mascha stürzt sich in eine Affäre mit dem verheirateten Oberst Werschinin. Für Irina scheint es jedoch eine Zukunft mit dem jungen Baron Tusenbach zu geben. Sie nimmt seinen Heiratsantrag an, obwohl sie ihn nicht liebt, um mit ihm ein neues Leben zu beginnen. Ein Duell vernichtet auch diese Hoffnung.

Über Anton Tschechow

Inhaltsübersicht

PersonenErster AktZweiter AktDritter AktVierter Akt

Personen

ANDREJ SERGEJEWITSCH PROSOROW

NATALJA IWANOWNA, seine Braut, später seine Frau

OLGA,

MASCHA,

IRINA, seine Schwestern

FJODOR ILJITSCH KULYGIN, Lehrer am Gymnasium, Maschas Mann

ALEXANDER IGNATJEWITSCH WERSCHININ, Oberstleutnant, Batteriechef

NIKOLAJ LWOWITSCH TUSENBACH, Baron, Leutnant

WASSILIJ WASSILJEWITSCH SOLJONYJ, Stabskapitän

IWAN ROMANOWITSCH TSCHEBUTYKIN, Militärarzt

ALEXEJ PETROWITSCH FEDOTIK, Unterleutnant

WLADIMIR KARLOWITSCH RODÉ, Unterleutnant

FERAPONT, Wächter und Diener der Semstwoverwaltung, ein alter Mann

ANFISSA, Kinderfrau, 80 Jahre alt

Das Stück spielt in einer Gouvernementshauptstadt

Erster Akt

Im Haus Prosorow. Ein Salon mit Säulen, hinter den Säulen sieht man einen großen Saal. Mittag, draußen scheint die Sonne, es ist heiter. Im Saal wird der Tisch für das Frühstück gedeckt. Olga in einem dunkelblauen Kleid, der Uniform einer Lehrerin am Mädchengymnasium, korrigiert ohne Unterbrechung im Gehen und im Stehen Schulhefte. Mascha sitzt in einem schwarzen Kleid da, den Hut auf den Knien, und liest in einem schmalen Buch. Irina in einem weißen Kleid steht in Gedanken versunken.

OLGA

Heute vor einem Jahr ist unser Vater gestorben, Irina, am fünften Mai, an deinem Namenstag. Es war sehr kalt, und es hat geschneit. Damals habe ich gedacht, ich würde es nicht überleben, und du lagst ohnmächtig da, wie eine Tote. Aber jetzt ist ein Jahr vorbei, und wir können leichten Herzens daran denken, du trägst schon wieder Weiß und strahlst. (Die Uhr schlägt zwölf.) Damals hat die Uhr auch geschlagen. (Pause.) Ich weiß noch genau, als sie Vater hinaustrugen, da hat die Musik gespielt, und auf dem Friedhof wurde Salut geschossen. Er war General, Brigadekommandant, aber seinem Sarg folgten ganz wenig Menschen. Damals hat es geregnet. In Strömen geregnet und geschneit.

IRINA

Immer diese Erinnerungen!

Hinter Säulen, am Tisch im Saal, sieht man Baron Tusenbach, Tschebutykin und Soljonyi.

OLGA

Heute ist es warm, man kann die Fenster weit offen lassen, aber die Birken tragen noch kein Grün. Vater wurde Brigadekommandant und ist mit uns aus Moskau fortgezogen, elf Jahre ist das her, ich erinnere mich ganz genau, es war auch Anfang Mai, und um diese Zeit blüht es in ganz Moskau, es ist warm, und alles strahlt im Sonnenlicht. Elf Jahre sind vergangen, aber ich habe das Bild vor mir, als wären wir erst gestern fortgezogen. O mein Gott! Als ich heute Morgen aufwachte, den Frühling sah und ganz geblendet war von diesem Licht, da bebte mein Herz vor Freude, und ich empfand eine so leidenschaftliche Sehnsucht nach der Heimat.

TSCHEBUTYKIN

Da lachen ja die Hühner!

TUSENBACH

Natürlich, so ein Unsinn.

Mascha, über dem Buch in Gedanken versunken, beginnt leise zu pfeifen.

OLGA

Hör auf zu pfeifen, Mascha. Was soll das! (Pause.) Ich habe ewig Kopfschmerzen und fühle mich wie eine alte Frau, weil ich jeden Tag im Gymnasium bin und Nachhilfestunden gebe bis zum Abend. Und es ist wahr, seit vier Jahren, seit ich im Gymnasium arbeite, spüre ich, wie ich mit jedem Tag, Tropfen um Tropfen, meine Kraft und meine Jugend verliere. Und nur ein Traum wird immer größer und stärker …

IRINA

Nach Moskau ziehen. Das Haus verkaufen, alles hier beenden und – nach Moskau …

OLGA

Ja! Nach Moskau, so schnell wie möglich.

Tschebutykin und Tusenbach lachen.

IRINA

Unser Bruder wird sicher Professor, der bleibt auf keinen Fall hier. Also gibt es nur ein Hindernis – die arme Mascha.

OLGA

Mascha wird den ganzen Sommer bei uns in Moskau sein, jedes Jahr.

Mascha fängt leise an zu pfeifen.

IRINA

Alles wird gut. (Sie schaut zum Fenster hinaus.) So ein herrliches Wetter. Ich weiß nicht, warum mir so leicht ums Herz ist! Heute morgen ist mir eingefallen, dass ich Namenstag habe, und plötzlich wurde ich so fröhlich, ich erinnerte mich an meine Kindheit, als Mama noch am Leben war. Und mir kamen so wundervolle Ideen!

OLGA

Du strahlst heute von Kopf bis Fuß, du siehst unglaublich schön aus. Mascha ist auch schön. Andrej könnte gut aussehen, wenn er nicht so dick geworden wäre, das steht ihm überhaupt nicht. Ich bin alt und schrecklich mager geworden, bloß weil ich mich im Gymnasium über die Mädchen ärgern muss. Heute habe ich frei, ich bin zu Hause, und schon sind die Kopfschmerzen wie weggeblasen – ich fühle mich viel jünger als gestern. Ich bin erst achtundzwanzig, aber … Schon gut, alles geschieht nach dem Willen Gottes, aber ich glaube, wenn ich heiraten und den ganzen Tag zu Hause sitzen würde, ginge es mir besser. (Pause.) Ich würde meinen Mann lieben.

TUSENBACH

(zu Soljonyj) Sie reden so einen Unsinn, ich will mir das nicht länger anhören. (Er geht in den Salon.) Ich habe vergessen, Ihnen zu sagen, dass Werschinin, unser neuer Batteriechef, Sie heute besucht.

Er setzt sich ans Klavier.

OLGA

Wie schön! Ich freue mich sehr.

IRINA

Ist er alt?

TUSENBACH

Es geht. Höchstens vierzig, vielleicht auch fünfundvierzig. (Er beginnt leise zu spielen.) Er wirkt sympathisch. Und ist nicht dumm. Aber er redet schrecklich viel.

IRINA

Ist er interessant?

TUSENBACH

Jedenfalls nicht uninteressant. Aber er hat eine Frau, eine Schwiegermutter und zwei kleine Töchter. Und er ist zum zweiten Mal verheiratet. Er macht überall Antrittsbesuche und erzählt jedem, dass er eine Frau und zwei kleine Töchter hat. Das wird er auch hier sagen. Seine Frau spinnt ein bisschen, sie trägt einen langen Zopf wie ein junges Mädchen, philosophiert über den Sinn des Lebens und versucht ständig, sich umzubringen. Offensichtlich, um ihrem Herrn Gemahl das Leben kräftig zu versalzen. Ich hätte so eine schon längst sitzengelassen, aber er schluckt alles runter und jammert nur.

SOLJONYJ

(kommt mit Tschebutykin aus dem Saal in den Salon) Mit einem Arm stemme ich nur eineinhalb Pud, mit zwei Armen aber fünf, manchmal sechs Pud. Daraus schließe ich, dass zwei Männer nicht doppelt, sondern dreimal so stark sind wie ein Mann oder noch stärker …

TSCHEBUTYKIN

(liest im Gehen die Zeitung) Bei Haarausfall … nehme man eine halbe Flasche Spiritus, löse darin eine Prise Mottenpulver auf und reibe damit täglich den Kopf ein … (Er notiert es in ein kleines Buch.) Wird notiert! (Zu Soljonyi) Ich sage es Ihnen noch einmal, Sie stecken den Stöpsel in die Flasche und stoßen ein Röhrchen aus Glas durch den Stöpsel … Dazu kommt noch eine Prise vom allereinfachsten, allerordinärsten Alaun …

IRINA

Iwan Romanytsch, lieber Iwan Romanytsch!

TSCHEBUTYKIN

Was gibt’s, mein Liebling, mein Mädchen?

IRINA

Sagen Sie mir, warum ich heute so glücklich bin? Als könnte ich fliegen, über mir der weite, blaue Himmel, und große, weiße Vögel ziehen dahin. Woher kommt das? Woher?

TSCHEBUTYKIN

(küsst ihr beide Hände, zärtlich) Mein weißer Vogel …

IRINA

Als ich heute Morgen aufwachte und gleich aufgestanden bin, um mich zu waschen, da hatte ich plötzlich das Gefühl, als würde ich die ganze Welt begreifen und wüsste, wie man leben muss. Mein lieber Iwan Romanytsch, ich weiß alles. Der Mensch muss sich anstrengen, arbeiten, im Schweiße seines Angesichts, gleichgültig, wer er ist. Nur darin findet er Sinn und Ziel seines Lebens, sein Glück und seine Leidenschaft. Wie schön wäre es, ein Arbeiter zu sein, der im Morgengrauen aufsteht und die Straße mit Steinen pflastert, oder ein Hirte oder ein Lehrer, der Kinder unterrichtet, oder ein Lokomotivführer … Mein Gott, ich wäre ja lieber ein Ochse oder ein Ackergaul, wenn ich bloß arbeiten dürfte, als eine junge Frau, die bis zwölf Uhr mittags im Bett liegt, Kaffee trinkt und zwei Stunden zum Anziehen braucht … Grässlich! Manchmal, wenn es so richtig heiß ist, hat man eine solche Gier nach einem Schluck Wasser, wie ich jetzt nach einer Arbeit. Und wenn ich ab morgen nicht in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett springe und arbeite, dann kündigen Sie mir die Freundschaft, Iwan Romanytsch.

TSCHEBUTYKIN

(zärtlich) Abgemacht, abgemacht …

OLGA

Vater hat verlangt, dass wir um sieben Uhr aufstehen. Irina wacht um sieben auf, aber sie liegt mindestens bis neun im Bett und denkt über irgendwas nach. Mit todernstem Gesicht!

Sie lacht.

IRINA

Für dich bleibe ich das kleine Mädchen, du findest es komisch, wenn ich ein ernstes Gesicht mache. Ich bin zwanzig Jahre alt!

TUSENBACH

Die Sehnsucht nach Arbeit, o Gott, wie ich das verstehe! Ich habe noch nie gearbeitet. Ich bin in Petersburg geboren, diesem kalten, trägen Petersburg, meine Familie hat weder Arbeit noch Sorgen gekannt. Wenn ich aus der Kaserne nach Hause kam, zog mir der Diener die Stiefel aus, und ich habe an ihm meine schlechte Laune ausgelassen. Aber meine Mutter hat mich bewundert und war ganz erstaunt, wenn mich die Leute anders sahen. Man hat mich gewissenhaft von jeder Arbeit ferngehalten. Aber auf Dauer ist das nicht gelungen! Eine neue, gewaltige Zeit kommt auf uns zu, ein mächtiger, frischer Sturm zieht auf, er ist schon nah, und wenn er losbricht, wird er die Faulheit, die Gleichgültigkeit, die Verachtung von Arbeit, die ganze stinkende Langeweile aus unserer Gesellschaft hinausfegen. Ich werde arbeiten, und in fünfundzwanzig oder dreißig Jahren wird jeder Mensch arbeiten. Jeder!

TSCHEBUTYKIN

Ich werde nicht arbeiten.

TUSENBACH

Sie zählen sowieso nicht.

SOLJONYJ

Sie sind nämlich in fünfundzwanzig Jahren von dieser Welt verschwunden, Gott sei Lob und Dank. In zwei, drei Jahren trifft Sie der Schlag und Sie krepieren, oder mir reißt die Geduld, und ich jage Ihnen eine Kugel durch den Kopf, mein Engel.

Er nimmt ein Parfümfläschchen aus der Tasche und besprüht sich Brust und Hände.

TSCHEBUTYKIN

(lacht) Ich habe wirklich nie was getan. Keinen Finger mehr gerührt, seit ich das Studium abgeschlossen habe, kein einziges Buch mehr gelesen, nur Zeitungen … (Er zieht eine andere Zeitung aus der Tasche.) Da, bitte … Aus der Zeitung weiß ich, dass es einen Dubroljubow gab, aber was der geschrieben hat, keine Ahnung … Weiß der Teufel … (Aus dem unteren Stockwerk wird an die Decke geklopft.) Aha … Man ruft mich, ich habe Besuch. Bin gleich zurück … Warten Sie auf mich …

Er geht eilig hinaus, kämmt sich mit den Fingern den Bart.

IRINA

Der hat doch was vor.

TUSENBACH

Ja. Er ist so feierlich hinausstolziert, sicher überreicht er Ihnen gleich ein Geschenk.

IRINA

Wie peinlich!

OLGA

Ja, grauenvoll. Immer macht er irgendwelchen Unsinn.

MASCHA

Ein grüner Eichbaum steht am Meer, trägt an der goldnen Kette schwer … trägt an der goldnen Kette schwer …

Sie steht auf und singt leise vor sich hin.

OLGA

Du bist heute so traurig, Mascha. (Mascha singt leise weiter, setzt den Hut auf.) Wo willst du hin?

MASCHA

Nach Hause.

IRINA

Komisch …

TUSENBACH

Von einer Namenstagsfeier weggehen!

MASCHA

Ist doch egal … Ich komme am Abend. Auf Wiedersehen, mein Liebes … (Sie küsst Irina.) Ich wünsche dir noch einmal Glück und Gesundheit. Früher, als Vater noch lebte, sind an jedem Namenstag dreißig, vierzig Offiziere zu uns gekommen, da war der Teufel los, aber heute sind nur anderthalb Mann gekommen, und es ist still wie in der Wüste … Ich gehe … Ich habe mich heute der Melancholie verschrieben, ich bin schlecht gelaunt, nimm mich nicht ernst. (Sie lacht unter Tränen.) Wir reden später miteinander, jetzt leb wohl, Liebes, ich gehe irgendwohin.

IRINA

(unzufrieden) Ach, du bist wirklich …

OLGA

(unter Tränen) Ich verstehe dich, Mascha.

SOLJONYJ

Wenn ein Mann philosophiert, ist das Philosophistik oder Sophisterei. Wenn eine Frau philosophiert oder zwei – faules Ei.

MASCHA

Was wollen Sie damit sagen, Sie scheußlicher Mensch?

SOLJONYJ

Nichts. Klagen konnt’ er nimmermehr, denn zuvor fraß ihn der Bär.

Pause.

MASCHA

(zornig zu Olga) Hör auf zu heulen!