Drei Schwestern. Drama in vier Akten - Anton Tschechow - E-Book

Drei Schwestern. Drama in vier Akten E-Book

Anton Tschechow

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Beschreibung

»Nach Moskau!« und heraus aus dem bleiernen Alltag der Provinzstadt sehnen sich die drei Schwestern Mascha, Irina und Olga. Doch jede scheitert auf ihre Weise bei dem Versuch, in der Liebe und im Beruf Erfüllung zu finden. Wie sie und die Männer um sie herum einander verfehlen und Illusionen erliegen, zeigt der meisterliche Dramatiker Tschechow in den – jeweils Jahre des Lebens bündelnden – vier Akten dieses spannungsreichen Stücks von zeitloser Wahrheit; und setzt am Schluss sogar einen Hoffnungskeim.

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Seitenzahl: 131

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Anton Tschechow

Drei Schwestern

Drama in vier Akten

Übersetzt von Sigismund von RadeckiMit einem Nachwort von Birgit Harreß

Reclam

Russischer Originaltitel: Tri sestry

 

Die Aufführungs- und Senderechte für Bühne, Hörfunk und Fernsehen vergibt der Thomas Sessler Verlag Wien/München.

 

1960, 2023 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2023

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962156-2

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014443-5

www.reclam.de

Inhalt

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

Vierter Akt

Anmerkungen

Nachwort

Erster Akt

Im Hause der Prosorows.

Ein Wohnzimmer mit Säulen, hinter denen ein großer Saal zu sehen ist. Zwölf Uhr mittags; draußen im Hof ist es sonnig und lustig. Im Saal wird der Tisch für das Frühstück gedeckt.

Olga, im blauen Kleid einer Lehrerin am Mädchengymnasium, korrigiert die ganze Zeit, stehend oder gehend, Schulhefte; Mascha, im schwarzen Kleid, sitzt, mit ihrem Hütchen auf den Knien, und liest ein Buch; Irina, im weißen Kleid, steht sinnend da.

OLGA. Vater starb vor einem Jahr, gerade an diesem Tag, dem fünften Mai, an deinem Geburtstag, Irina. Es war sehr kalt, es schneite damals. Mir schien, als könnte ich’s nicht überleben, du lagst in Ohnmacht, wie eine Tote. Aber nun ist ein Jahr vergangen und wir erinnern uns daran leicht, du bist schon im weißen Kleid, dein Gesicht strahlt. (Die Uhr schlägt zwölf.) Damals schlug ebenso die Uhr. (Pause.) Ich erinnere mich, als man Vater hinaustrug, da spielte die Musik, und auf dem Friedhof, da schoss man Salut. Er war doch General, kommandierte eine Brigade, aber bei alledem folgten wenig Menschen dem Sarge. Übrigens regnete es damals. Starker Regen mit Schnee.

IRINA. Warum sich erinnern!

 (Hinter den Säulen, im Saal beim Tisch, werden Baron Tusenbach, Tschebutykin und Soljonyj sichtbar.)

OLGA. Heute ist es warm, man kann die Fenster offen lassen, aber die Birken haben noch nicht ausgeschlagen. Vor elf Jahren erhielt Vater die Brigade und zog mit uns aus Moskau fort, und ich erinnere mich genau, wie um diese Zeit, Anfang Mai, in Moskau schon alles blühte, wie es warm war und alles von Sonne übergossen. Elf Jahre sind vergangen, aber ich erinnere mich an alles, wie wenn wir gestern ausgefahren wären. Mein Gott! Heute Morgen wachte ich auf, sah das viele Licht, sah den Frühling, und Freude bewegte meine Seele, ich wünschte mich leidenschaftlich in die Heimat.

TSCHEBUTYKIN. Den Teufel auch!

TUSENBACH. Unsinn, natürlich.

 (Mascha sinnt über dem Buch und pfeift leise ein Lied.)

OLGA. Pfeif nicht, Mascha. Wie kannst du nur! (Pause.) Weil ich jeden Tag im Gymnasium bin und dann Stunden gebe bis zum Abend, schmerzt mir ständig der Kopf, und es kommen mir Gedanken, als sei ich schon ältlich geworden. Und wirklich, in diesen vier Jahren, in denen ich im Gymnasium angestellt bin, fühle ich, wie aus mir jeden Tag tropfenweise Kraft und Jugend schwinden. Erstarken und wachsen tut nur ein Gedanke.

IRINA. Fortfahren nach Moskau. Das Haus verkaufen, mit allem hier Schluss machen, und nach Moskau …

OLGA. Ja! Nur schneller nach Moskau.

 (Tschebutykin und Tusenbach lachen.)

IRINA. Unser Bruder Andrej wird wahrscheinlich Professor, er wird hier sowieso nicht leben. Da ist nur ein Hindernis: die arme Mascha.

OLGA. Mascha wird für den ganzen Sommer nach Moskau fahren, jedes Jahr.

 (Mascha pfeift leise ein Lied.)

IRINA. Gott gebe, dass sich alles macht. (Durchs Fenster blickend.) Ein gutes Wetter heute. Ich weiß nicht, warum mir in der Seele so hell ist! Heute Morgen fiel mir ein, dass ich Geburtstag habe, und plötzlich war ich froh und erinnerte mich der Kinderzeit, als Mutter noch lebte. Und was für wunderbare Gedanken bewegten mich, was für Gedanken!

OLGA. Heute strahlst du ganz und scheinst ungewöhnlich schön. Und Mascha ist auch schön. Andrej würde schon gut aussehen, doch er ist dick geworden, und das steht ihm nicht. Doch ich bin alt geworden und abgemagert, wahrscheinlich weil ich mich im Gymnasium über kleine Mädchen ärgere. Doch heute bin ich frei, bin zu Hause, mir schmerzt der Kopf nicht, und ich fühle mich jünger als gestern. Ich bin achtundzwanzig Jahre, nur … Alles ist gut, alles von Gott, doch mir scheint, wenn ich mich verheiraten würde und den ganzen Tag zu Hause säße, so wäre das besser. (Pause.) Ich würde meinen Mann lieben.

TUSENBACH(zu Soljonyj). Sie reden solch ein Blech, ’s ist langweilig zu hören. (Tritt in das Wohnzimmer ein.) Ich vergaß zu sagen: Heute macht Ihnen unser neuer Batterie-Kommandeur Werschinin Visite. (Setzt sich ans Pianino.)

OLGA. Aber, bitte! Sehr angenehm.

IRINA. Ist er alt?

TUSENBACH. Nicht einmal. Allerhöchstens vierzig, fünfundvierzig. (Greift leise in die Tasten.) Wie es scheint, ein prächtiger Bursche. Nicht dumm – das ohne Zweifel. Nur redet er viel.

IRINA. Ein interessanter Mensch?

TUSENBACH. Ja, ziemlich, nur leider mit Frau, Schwiegermutter und zwei Töchtern behaftet. Zudem das zweite Mal verheiratet. Er macht Visiten und erzählt überall, dass er eine Frau hat und zwei Kinderchen. Er wird’s auch hier sagen. Die Frau ist irgendwie halbverrückt, mit langem Mädchenzopf, redet bloß hochtrabende Dinge, philosophiert und macht häufig Selbstmordversuche, offensichtlich um den Mann zu ärgern. Ich hätt’ mich von so einer längst getrennt, doch er duldet und beklagt sich bloß.

SOLJONYJ(tritt, zusammen mit Tschebutykin, aus dem Saal ins Wohnzimmer). Mit einer Hand stemme ich bloß anderthalb Pud, doch mit zweien – fünf, sogar sechs Pud. Daraus schließe ich, dass zwei Menschen nicht bloß doppelt so stark sind wie einer, sondern dreimal so stark und sogar noch stärker …

TSCHEBUTYKIN(liest im Gehen die Zeitung). Bei Ausfallen der Haare … zwei Unzen Naphthalin auf eine halbe Flasche Spiritus … auflösen und täglich anwenden … (Notiert in ein Büchlein.) Wird aufgeschrieben! (Zu Soljonyj.) Also, wie ich Ihnen sagte, man setzt einen Korken aufs Fläschchen, und durch den geht ein gläsernes Röhrchen … Dann nehmen Sie ein Fingerspitzchen vom allereinfachsten, gewöhnlichsten Alaun …

IRINA. Iwan Romanowitsch, lieber Iwan Romanowitsch!

TSCHEBUTYKIN. Was ist, mein Kindchen, du meine Freude?

IRINA. Sagen Sie mir, warum ich heute so glücklich bin? Als ob ich segle, über mir der weite blaue Himmel und große weiße Vögel im Schweben. Warum das? Warum?

TSCHEBUTYKIN(ihr beide Hände küssend, zärtlich). Mein weißer Vogel …

IRINA. Als ich heute erwachte, aufstand und mich wusch, schien es mir plötzlich, als sei mir alles klar auf dieser Welt, und ich wusste, wie man zu leben hat. Lieber Iwan Romanowitsch, ich weiß alles. Der Mensch soll arbeiten, sich abmühen im Schweiße seines Angesichts, wer er auch sei, und darin allein besteht Sinn und Ziel seines Lebens, sein Glück, seine Wonne. Wie gut ist es, ein Arbeiter zu sein, der schon bei Tagesgrauen aufsteht und auf der Straße Steine klopft, oder ein Hirte oder ein Lehrer, der die Kinder lehrt, oder ein Maschinist auf der Eisenbahn … Mein Gott, nicht bloß ein Mensch, nein, besser ist es, ein Büffel zu sein, besser ein einfaches Pferd, bloß um zu arbeiten, als so eine junge Dame, die um zwölf Uhr mittags aufsteht, dann im Bett Kaffee trinkt, dann sich zwei Stunden anzieht … oh, wie das entsetzlich ist! Bei heißem Wetter möchte man manchmal so trinken, wie ich jetzt arbeiten möchte. Und wenn ich jetzt nicht früh aufstehen und mich mühen werde, so sagen Sie mir Ihre Freundschaft auf, Iwan Romanowitsch.

TSCHEBUTYKIN(zärtlich). Ich sage auf, ich sage auf …

OLGA. Vater hat uns daran gewöhnt, um sieben Uhr aufzustehen. Jetzt wacht Irina um sieben auf und liegt mindestens bis neun still da und denkt. Mit ernstem Gesicht! (Lacht.)

IRINA. Du hast dich daran gewöhnt, mich als kleines Mädchen zu sehen, und darum ist’s dir seltsam, wenn ich ein ernstes Gesicht mache. Ich bin zwanzig Jahre alt!

TUSENBACH. Sehnsucht nach Arbeit, o mein Gott, wie gut ich das verstehe! Ich hab in meinem Leben nicht einmal gearbeitet. Ich bin geboren im kalten und müßigen Petersburg, in einer Familie, die niemals Arbeit oder irgendwelche Sorgen gekannt hat. Ich erinnere mich: Wenn ich aus dem Korps nach Hause kam, so zog mir ein Lakai die Stiefel ab, derweil ich meine Launen hatte, und meine Mama blickte auf mich mit Andacht und war erstaunt, wenn andere auf mich anders blickten. Mich hat man vor der Arbeit sorglich bewahrt. Doch das wird wohl kaum auf die Dauer gelingen, kaum! Die Zeit kommt, da drängt sich auf uns alle eine Gewitterwand zu, es braut sich ein gesunder, starker Sturm zusammen, der auf uns zukommt, der schon nah ist und von unserer Gesellschaft wegbläst alle Faulheit, Gleichgültigkeit, alle Vorurteile gegen die Arbeit, alle träge Langeweile. Ich werde arbeiten, aber in fünfundzwanzig, dreißig Jahren wird bereits jeder Mensch arbeiten. Jeder!

TSCHEBUTYKIN. Ich werde nicht arbeiten.

TUSENBACH. Sie zählen nicht.

SOLJONYJ. Nach fünfundzwanzig Jahren werden Sie schon nicht mehr auf der Welt sein, Gott sei Dank. Nach zwei, drei Jahren sterben Sie an Apoplexie, oder ich werde mal wütend und setz Ihnen eine Kugel in die Stirn, mein Engel. (Nimmt ein Parfümflakon aus der Tasche und besprengt sich Brust und Hände.)

TSCHEBUTYKIN(lacht). Aber ich hab wirklich noch nie irgendwas getan. Als ich aus der Universität kam, hab ich auch nicht mehr einen Finger gerührt, nicht ein einziges Buch durchgelesen, sondern bloß Zeitungen … (Zieht aus der Tasche eine andere Zeitung.) Da … Ich weiß aus den Zeitungen, dass es, sagen wir, einen Schriftsteller Gontscharów gegeben hat, aber was er geschrieben hat – weiß ich nicht … Gott mag es wissen … (Man hört, wie aus der unteren Etage auf den Fußboden geklopft wird.)Aha … Man ruft mich nach unten, jemand ist zu mir gekommen. Ich komme sofort … warten Sie … (Geht, sich den Bart kämmend, eilig weg.)

IRINA. Er hat sich da was ausgedacht.

TUSENBACH. Ja. Er ging mit feierlicher Miene; offenbar bringt er Ihnen gleich ein Geschenk.

IRINA. Wie das unangenehm ist!

OLGA. Ja, es ist schrecklich. Er macht immer Dummheiten.

MASCHA. »Am Märchenmeer ist eine Eiche, ein goldnes Kettlein hängt am Baum« … Ein goldnes Kettlein hängt am Baum … (Erhebt sich und singt leise.)

OLGA. Du bist heute so unfroh, Mascha. (Mascha singt vor sich hin und setzt sich den Hut auf.) Wohin willst du?

MASCHA. Nach Hause.

IRINA. Sonderbar …

TUSENBACH. Vom Geburtstag weggehen!

MASCHA. Einerlei … Ich komm abends. Leb wohl, meine Gute, Liebe … (Küsst Irina.) Ich wünsche dir nochmals, sei gesund, sei glücklich. In früherer Zeit, als Vater noch lebte, kamen zu uns zum Geburtstag jedes Mal dreißig, vierzig Offiziere, es war laut und lustig, aber heute gibt’s nur anderthalb Menschen, und es ist still, wie in der Wüste … Ich geh …… Ich habe heute meine Melancholik, ich bin nicht froh, und du hör nicht auf mich. (Unter Tränen lachend.) Später sprechen wir miteinander, aber vorläufig leb wohl, meine Süße, ich geh spazieren, irgendwohin.

IRINA(unzufrieden). Aber, du bist doch …

OLGA(mit Tränen). Ich verstehe dich, Mascha.

SOLJONYJ. Philosophiert ein Mann, so ist das Philosophistik oder einfach Sophistik; philosophieren aber eine Frau oder gar zweie, so ist das schon – zieh mich raus, am Finger.

MASCHA. Was wollen Sie damit sagen, Sie schrecklich fürchterlicher Mensch?

SOLJONYJ. Gar nichts. »Er hatte noch nicht ›Ach!‹ gesagt, als ihn der Bär auf einmal packt.«

 (Pause.)

MASCHA(zu Olga, ärgerlich). Heul doch nicht!

 (Es treten ein: Anfissa und Ferapont mit einer Torte.)

ANFISSA. Hierher, Väterchen. Komm herein, hast ja saubere Stiefel. (Zu Irina.) Aus dem Landschaftsamt, von Michail Iwanytsch Protopópow … ein Kuchen.

IRINA. Vergelt’s Gott. Ich lasse danken. (Nimmt die Torte entgegen.)

FERAPONT. Wie, bitte?

IRINA(lauter). Ich lasse danken!

OLGA. Mutterchen, gib ihm vom Kuchen. Ferapont, geh, man wird dir dort Kuchen geben.

FERAPONT. Wie bitte?

ANFISSA. Gehn wir, Väterchen Ferapont Spiridónytsch. Gehn wir … (Geht mit Ferapont ab.)

MASCHA. Ich lieb nicht diesen Protopopow, diesen Michail Potápytsch oder Iwánytsch. Man sollte ihn nicht einladen.

IRINA. Ich hab ihn nicht eingeladen.

MASCHA. Sehr gut.

 (Es treten ein: Tschebutykin, hinter ihm ein Soldat mit einem silbernen Samowar; ein Geräusch von Überraschung und Unzufriedenheit.)

OLGA(bedeckt das Gesicht mit den Händen). Ein Samowar! Das ist schrecklich! (Geht in den Saal zum Tisch.)

IRINA. Mein Täubchen, Iwan Romanytsch, was machen Sie da!

TUSENBACH(lachend). Ich sagte es ja.

MASCHA. Iwan Romanytsch, Sie sollten sich was schämen!

TSCHEBUTYKIN. Meine Lieben, meine Guten, ihr seid bei mir die Einzigen, ihr seid mir das Allerteuerste auf der Welt. Ich bin bald sechzig, ich bin ein alter Mann, ein einsamer, armseliger Greis … In mir ist nichts Gutes als diese Liebe zu euch, und wenn ihr nicht wäret, so würde ich schon lange nicht mehr leben auf der Welt … (Zu Irina.) Mein liebes Kindchen, ich kannte Sie vom Tag Ihrer Geburt an … trug Sie auf den Händen … ich verehrte Ihre verstorbene Mutter …

IRINA. Aber warum so teure Geschenke!

TSCHEBUTYKIN(unter Tränen, böse). Teure Geschenke … Ach, geht doch, alle! (Zum Offiziersburschen.) Trag den Samowar dorthin … (Nachäffend.) Teure Geschenke … (Der Offiziersbursche trägt den Samowar in den Saal.)

ANFISSA(geht durch das Wohnzimmer). Meine Lieben, da ist ein Oberst, ein unbekannter! Er hat schon den Mantel abgelegt, Kinderchen, er kommt hierher. Arínuschka, sei nur recht freundlich zu ihm, recht nett … (Im Abgehen.) Und zu frühstücken ist auch längst Zeit … Mein Gott! …

TUSENBACH. Wahrscheinlich Werschinin. (Werschinin tritt ein.) Oberstleutnant Werschinin!

WERSCHININ(zu Mascha und Irina). Habe die Ehre, mich vorzustellen: Werschinin. Ich freue mich sehr, sehr, endlich bei Ihnen zu sein. Wie Sie sich herausgemacht haben! Ei! Ei!

IRINA. Bitte, setzen Sie sich. Sehr angenehm.

WERSCHININ(fröhlich). Wie ich mich freue, wie ich mich freue! Aber Sie waren doch drei Schwestern. Ich erinnere mich – drei kleine Mädchen. An die Gesichter kann ich mich nicht erinnern, aber dass Ihr Vater, Oberst Prosorow, drei kleine Mädchen hatte, weiß ich genau und sah’s mit eigenen Augen. Wie die Zeit vergeht! Ei, ei, wie die Zeit vergeht!

TUSENBACH. Alexander Ignatjewitsch kommt soeben aus Moskau.

IRINA. Aus Moskau? Sie kommen aus Moskau?

WERSCHININ. Jawohl. Ihr verstorbener Vater war dort Batterie-Kommandeur und ich Offizier in derselben Brigade. (Zu Mascha.) An Ihr Gesicht, an das erinnere ich mich, glaub ich, etwas.

MASCHA. Aber ich mich nicht an Sie!

IRINA. Olja! Olja! (Ruft in den Saal.) Olga, so komm doch. (Olga kommt aus dem Saal ins Wohnzimmer.) Oberstleutnant Werschinin, stellt sich heraus, ist aus Moskau.

WERSCHININ. Sie sind demnach Olga Sergejewna, die Älteste … Und Sie sind Maria … Und Sie Irina, die Jüngste …

OLGA. Sie sind aus Moskau?

WERSCHININ. Ja. Ich war dort in der Schule und begann in Moskau auch meine Dienst-Laufbahn; war dort lange Offizier, bekam endlich hier die Batterie – und bin, wie Sie sehen, hierhergezogen. Ich kann mich Ihrer nicht erinnern, ich entsinne mich eigentlich nur, dass Sie drei Schwestern waren. Ihr Vater blieb mir erhalten in der Erinnerung: Ich schließ die Augen und seh ihn wie lebendig. Ich verkehrte bei Ihnen in Moskau …

OLGA. Mir schien doch, dass ich mich an alle erinnerte, und auf einmal …

WERSCHININ. Ich heiße Alexander Ignatjewitsch …

IRINA. Alexander Ignatjewitsch, Sie sind aus Moskau … Eine Überraschung!

OLGA. Wir ziehen doch nach Moskau.

IRINA. Wir denken im Herbst bereits dort zu sein. Das ist ja unsere Vaterstadt, wir sind dort geboren … In der Alten Basmánnaja-Straße … (Beide lachen vor Freude.)

MASCHA. Wir haben unerwartet einen Landsmann getroffen. (Lebhaft.) Jetzt weiß ich! Erinnerst du dich, Olja, wie es bei uns hieß: »der verliebte Major«. Sie waren damals Leutnant und in irgendjemand verliebt, und man neckte Sie irgendwarum stets mit dem »Major« …

WERSCHININ(lacht). Genau, genau … Der verliebte Major, das stimmt …

MASCHA. Sie hatten damals einen Schnurrbart … Oh, wie Sie gealtert sind! (Mit Tränen.) Wie Sie gealtert sind!

WERSCHININ. Ja, als man mich den verliebten Major nannte, da war ich noch jung, war verliebt. Das ist jetzt anders.

OLGA. Aber Sie haben doch noch kein einziges graues Haar. Sie sind gealtert, aber noch nicht alt.

WERSCHININ. Bin immerhin schon dreiundvierzig. Sind Sie schon lange fort aus Moskau?

IRINA. Das elfte Jahr. Nun warum, Mascha, weinst du … sonderbar …