Dringliche Angelegenheiten - Paula Rodríguez - E-Book

Dringliche Angelegenheiten E-Book

Paula Rodriguez

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Beschreibung

Hugo muss untertauchen, und zwar sofort. Er wird wegen Mordes gesucht, sein Zug ist entgleist, und am Unfallort wird es von Polizisten gleich nur so wimmeln. Mit einem zerknickten Heiligenbildchen als Beistand ergreift Hugo die Flucht. Bald ist ihm der eigenwillige Polizist Domínguez auf den Fersen, der es mit Moral und Vorschriften nicht so genau nimmt. Womit er nicht gerechnet hat: Der Fall wird zum Medienereignis, und plötzlich schaut ihm das halbe Land über die Schulter. Allen voran Hugos sehr katholische Schwiegermutter, die öffentlichkeitswirksam für die Seele des Unglücklichen betet. Ein Schlamassel, aus dem der Tod für alle Beteiligten der einfachste Ausweg zu sein scheint. Ein rasantes Verbrecherstück, das mit bitterbösem Humor feststellt: Unschuldig ist wirklich niemand.

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Seitenzahl: 243

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Über dieses Buch

Hugo wird wegen Mordes gesucht und ist mit einem zerknickten Heiligenbildchen als Beistand auf der Flucht. Auf seinen Fersen: ein unmoralischer Polizist, Hugos sehr katholische Schwiegermutter und die nach Skandal lechzende Öffentlichkeit. Ein rasantes Verbrecherstück, das mit bitterbösem Humor feststellt: Unschuldig ist wirklich niemand.

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Paula Rodríguez (*1968) ist Journalistin, Schriftstellerin, Redakteurin und feministische Aktivistin. Sie arbeitet für verschiedene Zeitschriften und Zeitungen und begründete u. a. das Magazin La Maga. Für Dringliche Angelegenheiten war sie für den Premio Memorial Silverio Cañada nominiert.

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Peter Kultzen (*1962) studierte Romanistik und Germanistik in München, Salamanca, Madrid und Berlin. Er lebt als freier Lektor und Übersetzer spanisch- und portugiesischsprachiger Literatur in Berlin.

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Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Hardcover, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Paula Rodríguez

Dringliche Angelegenheiten

Roman

Aus dem Spanischen von Peter Kultzen

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Die Originalausgabe erschien 2020 bei Penguin Random House, Buenos Aires.

Lektorat: Nina Hübner

Originaltitel: Causas urgentes

© by Penguin Random House Grupo Editorial, S. A., 2020

© by Unionsverlag, Zürich 2023

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Zugfenster - Bastian Kienitz (Alamy Stock Foto); Hintergrundszene - Ke Atlas (Unsplash)

Umschlaggestaltung: Sven Schrape

ISBN 978-3-293-31145-9

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 23.08.2023, 17:43h

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Inhaltsverzeichnis

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Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

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Inhaltsverzeichnis

DRINGLICHE ANGELEGENHEITEN

1 – Der beim Aufprall aufgewirbelte Staub sinkt langsam auf …2 – Marina spricht mit dem Spiegel. Sie könnten den …3 – Das Gitter passt perfekt zu der Christusfigur …Dank

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Über Paula Rodríguez

Über Peter Kultzen

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Für die Journalistin, die ich so gern geworden wäre.

»Aber in diesem Augenblick stehen Sie und ich in der Pflicht, Hunderte, Tausende, Zehntausende von Menschen zu schützen, die den Feinheiten dieser Geschichte nicht folgen können.«

TOM WOLFE, Back To Blood

»Tote fahren nicht Bus.«

Spruch aus der Journalistenschule

1

Der beim Aufprall aufgewirbelte Staub sinkt langsam auf die Körper hinab. Im einfallenden Licht blitzen die gröberen Teilchen auf. Dazwischen schwebt ein heiliger Expeditus durch die Totenstille, in der das Leben jedoch weiterzugehen scheint. Unschlüssig kreist er über den Köpfen – auf wem soll er sich niederlassen? Loser sind sie schließlich alle. Ihm, dem Heiligen, scheint die Spannung Spaß zu machen. Plötzlich steigt er in die Höhe, stößt an die Decke, dreht sich und stürzt kopfüber auf Hugo, den höchsten Punkt eines ganzen Bergs aus Körpern. Hugo streckt die Hand nach dem Heiligen aus, sein Hals ist verdreht – Richtung Liniers –, wie bei allen anderen, die hier wild durch- und übereinanderliegen, an die Waggonwände gepresst, zum Fenster hinausquellend, verrenkt, zerstückelt, aufgeplatzt.

Hugo klammert sich an den Schutzheiligen alles Dringenden und Eiligen. Er hat beide Arme erhoben, hält in der einen Hand das Handy, in der anderen das Heiligenbildchen. Er bohrt die Ellbogen in einen weichen Körper, der ihn von hinten bedrängt, drückt ihn weg, um freizukommen, Luft zu holen. »Entschuldigung«, sagt er. Aber niemand antwortet. Er kann seine Beine nicht spüren. Er bekommt Angst. Mit der Stille ist es jetzt vorbei. Manche husten, jammern, ächzen, weinen. Von draußen dringen Luft und Geräusche herein, von beidem aber nur wenig. Hoffentlich ist es die Feuerwehr. Hugo fleht den heiligen Expeditus an, dass man ihn als Ersten rausholen möge. Dass andere beten, macht ihn nur noch nervöser. Können die nicht endlich mal still sein und abkratzen?

Hugo kümmert sich auch um dringende und eilige Angelegenheiten – er betreibt einen Schlüsseldienst. Dem Typen im Stadtteil Once, den sie im Büro eingeschlossen haben, weil er das Überstundenmachen einfach nicht lassen kann, wird er allerdings nicht mehr helfen können. Das kommt davon, wenn man nicht Bus fahren will, Marta hat es ja gesagt: »Nimm den 163er.« Und das ausgerechnet jetzt, wo es ihnen ein klein bisschen besser geht. Wenn Hugo stirbt, wird Marta ihm bis zuletzt damit in den Ohren liegen: »Ich habs doch gesagt.« Stimmt aber nicht. Ist alles bloß Zufall. Für die Rettung gilt das genauso: reine Glückssache. Kein Mensch wird gerettet, weil er Gott darum anfleht oder sich bei einem Heiligen ausheult. Das Einzige, was hilft, ist ein Anruf bei der Feuerwehr.

Eine Nachricht geht ein, das Handydisplay leuchtet auf, der Lichtschein fällt auf das zerschmetterte Gesicht der alten Frau, die wie er in Ituzaingó eingestiegen ist. Glupschaugen hatte sie allerdings da schon. Um einen Sitzplatz zu ergattern, hat sie ein Mädchen einfach zur Seite geschubst. Die Kleine muss sich jetzt irgendwo unter der Alten befinden. Hugo streckt suchend die Füße aus. Im Waggon ist es immer noch dunkel, allmählich nehmen die Schatten um ihn herum aber Gestalt an. Beim Lesen der WhatsApp-Nachricht versucht er, das, was ihn umgibt, auszublenden. Dass manche seiner Mitreisenden tot sind, ist auch so klar, dafür braucht er sie nicht anzusehen. Er merkt es am Geruch. Dieser Geruch verfolgt ihn schon seit einer Weile, inzwischen erkennt er ihn sofort. Auch, weil er nicht so ist, wie man erwarten würde – der Tod riecht nicht nach Fleisch oder Angst oder Fäulnis. Im Gegenteil, er riecht wie frisch gemähtes Gras, sein Geruch hat etwas Euphorisches.

Die Nachricht stammt von Marta:

Komm schnell

Marta hält sich nie mit langen Erklärungen auf. Lieber schlägt sie sofort Alarm. Alles ist immer eilig, dringend. Wahrscheinlich sieht sie im Fernsehen gerade diese türkische Soap. So ein Scheiß – warum guckt sie nicht Nachrichten? Hugo schreibt zurück: Komm du, Marta. Nicht, weil er sie unbedingt sehen will, oder sich verabschieden – er ist sauer, wie immer, wenn sie solche Nachrichten schickt. Sauer, weil sie ihm auf den Sack geht, weil sie so tut, als wäre er ihr was schuldig, während er hier drin kaum Luft bekommt. Wie lange dauert das bloß? Wie lange hält man so was aus? Bevor Hugo die Antwort abschicken kann, trifft Martas nächste Nachricht ein. Wieder erhellt sich das schreckverzerrte Gesicht der toten Alten.

Die polizei sucht dich

Wie aufs Stichwort erscheinen draußen auf einmal mehrere Typen mit Taschenlampen und leuchten ins Innere des Waggons. Geblendet kneift Hugo die Augen zu. Sirenen, Stimmen und eilige Schritte sind zu hören. Echt das Letzte, dieser Expeditus, nichts als Lügen.

»Ein Heiliger bin ich wirklich nicht, aber du schon gleich gar nicht«, sagt Hugo zu der Gestalt auf dem Bildchen.

Ob er das bloß denkt oder laut sagt, weiß er nicht. Inzwischen herrscht ringsum ein Riesenlärm. Die Leute schreien. Draußen hört aber niemand auf sie. Und falls doch – wer wird dann wohl als Erster gehört, wenn es Milliarden Typen gibt, die viel lauter schreien können und viel leichter Zugang zum Himmel haben als Hugo und all die anderen Loser bei ihm im Abteil? Wer an die Reihe kommt, das entscheidet nicht irgendein Häuptling ganz oben – wer dran ist, ist dran, so ist das. Dafür braucht es keinen Rachegott, und auch keinen Hampelmann auf einem Stück Pappe, der erst mal Reue sehen will, bevor er einem vielleicht hilft. Hugo bereut schon seit Langem. Er ist nicht unschuldig, aber trotzdem ist er not guilty. »Wie im Film«, sagt Beto jedes Mal und macht eine seltsame Grimasse, als würde er lächeln, wenn die beidensich über das, was passiert ist, den Kopf zerbrechen. Wenn Hugo sagt: »Das, was wir gemacht haben«, verbessert Beto ihn und sagt: »Das, was passiert ist.« Beto ist auch kein Heiliger. In der Hinsicht sind die Gringos einfach schlauer. Sie sagen not guilty. Und nicht innocent. Denn innocent, also im eigentlichen Sinne innocent, ist niemand.

Wo bist du

Fragezeichen benutzt Marta nicht. Auch keine Punkte, Kommas oder Großbuchstaben. Dafür ist sie viel zu hektisch und angespannt. Deshalb löscht Hugo, was er gerade geschrieben hat, und antwortet stattdessen hastig:

Entschuldige, ich hab einen Riesenscheiß gebaut.

✓✓

Evelyn stirbt fast vor Schreck, als die Polizei reinkommt. Mit einem Satz erhebt sie sich vom Sessel und bleibt dann wie gelähmt stehen. Zum Glück knallt in genau dem Augenblick ein Schuss, und die anderen denken, es liegt daran. Es sind zwei Polizisten, Mama hat sie hereingebeten. Beim zweiten Schuss richten die drei den Blick auf den Fernseher. Kerem liegt auf der Straße, sein weißes Hemd ist voller Blutflecken. Bennu redet durchs Handy auf ihn ein, sie sagt, dass sie ihn liebt; Kerem hört, was sie sagt, kann aber nicht antworten, vergeblich streckt er den Arm nach dem Telefon auf dem Asphalt aus. Es ist Nacht und weit und breit niemand in Sicht, der Kerem helfen könnte. Bennu spricht weiter; dass ihr Ehemann stirbt, bekommt sie nicht mit. Atemlos starrt Evelyn auf den Bildschirm. Sie tut so, als hätte sie die Klingel nicht gehört und auch nicht bemerkt, dass die drei reingekommen sind. Wenn du sie nicht anschaust, schauen sie dich auch nicht an, wenn du dich nicht rührst, sehen sie dich nicht. Mit wild klopfendem Herzen steht Evelyn da und wiederholt im Stillen immer wieder: O Gott, o Gott, o Gott. Und fragt sich, was sie machen soll, wenn sie jetzt verhaftet wird, wenn sie abgeführt wird, wenn sie nicht auf die Abschlussfahrt mitkann, ob sie nicht besser alles gestehen und um Entschuldigung bitten soll. Die Direktorin hat es ja gesagt – o Gott, hat die geschrien! »Besser, der, der’s war, gesteht und bittet um Entschuldigung, die Polizei findet die Spuren nämlich sowieso, und dann dauert es nicht mal einen Tag, bis klar ist, wer Miss Lauras Handy geklaut hat.«

Evelyn ist schuldig. Auch wenn Mama sagt, das kann nicht sein, da muss ein Fehler vorliegen. Ein Tablet hat Evelyn schon, aber sie wollte unbedingt ein Handy, damit sie bei der WhatsApp-Gruppe mitmachen und mit Martín chatten kann. Und dann ist es total schiefgegangen, Miss Laura hat es sofort gemerkt und alle im Schulhof antreten lassen. Sie hat gedroht, sie kontrolliert alle Ranzen. Fast hätte Evelyn da schon gestanden, aber weil die Direktorin dermaßen gebrüllt und Evelyn sich so geschämt hat, hat sie es dann doch nicht gemacht. Vor den anderen wäre es noch schlimmer gewesen, als wenn die Polizei ihr jetzt Handschellen anlegt und sie mitten durchs Viertel zur Wache führt, noch schlimmer, als wenn Mama sie an den Haaren packt und sie zwingt, sie anzusehen, und dabei fragt: »Washastduschonwiederangestellt?«

Aber nichts davon geschieht, weil die Polizei wieder abzieht, ohne sich in der Wohnung umzusehen. Man hört, wie ihr Wagen davonfährt. Die Chance müssen sie nutzen. Bevor die Polizisten mit Verstärkung wiederkommen. Mama ist in der Küche, zu hören ist von ihr aber nichts. Jetzt können sie fliehen, sie können nach Brasilien gehen und unter anderem Namen weiterleben. Evelyn heißt dann Carmina.

Domínguez liest auf dem Handydisplay, was er sich schon gedacht hatte: Der Gesuchte ist nicht an der Haltestelle des 163ers. Natürlich nicht! Besser für ihn. Wortlos steht er auf, macht sich ohne weitere Erklärungen auf den Weg. Keine zehn Minuten hat er hier im Wohnzimmer gesessen. Marta hat ihm nicht mal ein Glas Wasser angeboten. »Schönen Abend noch«, sagt er zum Abschied und überreicht ihr eine Visitenkarte. »Da steht meine Handynummer drauf, falls was ist, geben Sie Bescheid.« Von wegen Bescheid geben – das macht die nie, so viel ist Domínguez klar. Er steuert auf den Wagen zu, die Augen der Nachbarn im Nacken. »Morgen sehen wir weiter«, sagt er zu sich selbst, wirft durch den Rückspiegel einen Blick auf die leere Straße und fährt los. Zehn Querstraßen sind es bis zur Wache, so lange kann er ungestört den neuen Toyota genießen, bis er Ramírez wieder auflesen muss, um mit ihm am Bahnhof Haedo vorbeizuschauen. Einfach so, wofür auch immer, es zieht ihn dorthin, obwohl Kriminalbeamte für Unfälle eigentlich nicht zuständig sind. Er schaltet die Klimaanlage an und fährt mit Tempo zwanzig, um sich noch ein bisschen Zeit zu verschaffen und seine Ahnungen in eine nachvollziehbare Form zu bringen.

Marta ist in die Küche gegangen und hört von da aus, wie der Motor anspringt und der Wagen davonfährt. Erst als sie sich sicher ist, dass er an der Ecke angekommen ist, legt sie los. Sie steckt die Visitenkarte des Polizisten in die Hosentasche und schaltet den Fernseher aus. Evelyn erschrickt noch heftiger als davor, hält ihrem Blick jedoch stand.

»Mach deinen Rucksack leer und bring mir die Hefter. Schnell.«

Dann legt sie zwei Badehandtücher, zwei Mal Bettwäsche, eine Jeans-Bermuda, ein Sweatshirt, eine Fleecejacke, drei langärmelige und drei kurzärmelige T-Shirts, zwei Paar Strümpfe und ein Paar Turnschuhe aufs Bett. Fünfzehn Tausend-Peso-Scheine in den Rucksack. Zehn in den BH. Fünf auf die Kleider. Sie räumt den Nachttisch aus, legt die Brille, die Ausweise und Evelyns Geburtsurkunde auf die Seite. Marta denkt schnell. Als sie noch auf der Uni waren, hat Hugo immer gesagt: »Du brauchst später bestimmt keine zwei Minuten, um rauszufinden, wie deine Leutchen ticken.« Hugo denkt langsamer, dafür handelt er schneller. Deshalb haben sie es auch nie zu irgendwas gebracht – Hugo, weiler so impulsiv ist, Marta, weil sie die Dinge letztlich nicht umsetzt.

Jetzt zögert sie dagegen keine Sekunde, führt den Fluchtplan aus, als hätte sie das x-mal geübt. An diesem Abend bleibt es nicht beim klaren Blick auf die Wirklichkeit, unversehens fährt es ihr in Arme und Beine. Nur einmal verliert sie die Fassung – als sie den Reisesack nicht findet. Vergeblich durchwühlt sie den Kleiderschrank. Der riesige Sack taucht nicht auf. Hugo macht jedes Mal denselben dämlichen Witz und sagt, sie stecken Evelyn rein, ob sie will oder nicht, dann brauchen sie für sie keine Fahrkarte zu bezahlen. Am Ende heult die Kleine dann regelmäßig, und die Stimmung ist im Eimer. Ein Nike-Beutel, mit aufgedrucktem Barça-Logo – beim Original ist das Logo aufgestickt. So hat es der Polizist beschrieben, der als Erster wieder gegangen ist, er wollte wissen, ob Marta der Sack bekannt vorkam. Ebendieser Sack ist jetzt nicht da. Sie werden also mit einem Koffer auskommen müssen.

Evelyn erscheint mit den Heftern aus der Schule. Marta nimmt die beschriebenen Seiten raus und stapelt sie auf dem Bett übereinander, ganz unten Mathe, dann Sprache, dann Sozialkunde, dann Naturkunde.

»Hol auch die Bücher und das Federmäppchen. Und deine Lieblingsanziehsachen. Beeil dich, ich erklärs dir später. Du brauchst dir aber keine Sorgen zu machen.«

Irgendwann herrscht auf dem Bett ein wildes Durcheinander – Kleidung, Geld, leere Hefter. Zwischen der Sprach- und der Sozialkundemappe zeigt Romeo Santos sein schiefes Lächeln.

»Kann ich das Foto mitnehmen?«, fragt Evelyn. Offensichtlich hat sie begriffen. Mehr sagt sie nicht.

»Nein, ich bitte dich. Gib mir das Tablet.«

Evelyn steigen Tränen in die Augen.

»Morgen bekommst du es wieder«, verspricht Marta.

Geräuschlos gehen sie aus dem Haus. Das Licht lassen sie an. Die Tür unverschlossen. Den Weg bis zum Bahnhof Ituzaingó legen sie fast im Laufschritt zurück. Marta sieht immer wieder auf ihr Handy. Evelyn folgt ihr keuchend, die Hände in den Taschen ihrer neuen Jacke. Ganz unten in ihrem Rucksack liegen wohlverstaut das Foto des King of Bachata, das sie heimlich doch eingesteckt hat, und Miss Lauras Handy.

Evelyn versucht, tief durchzuatmen, wie im Sportunterricht, wenn sie Dauerlauf machen müssen. Einatmen, ausatmen, o Gott, o Gott, einatmen, ausatmen, o Gott, o Gott, einatmen, ausatmen. Ein Mädchen wurde mal gezwungen, so lange zu laufen, bis sie tot umgefallen ist. Daran muss sie ständig denken, sie hat es auf YouTube gesehen. Zur Strafe, von ihrer Oma, weil sie Kuchen genascht hatte. Das Mädchen hat immer wieder gesagt: »Mir ist schlecht.« Aber die Oma war so sauer, dass sie nicht reagiert hat. Mama scheint nicht sauer zu sein, sie hat bloß gesagt: »Sei still. Sei still und beeil dich, Evelyn, bitte. Schnell, Evelyn. Mach dir keine Sorgen.« Aber keine Sorgen machen geht nicht, nicht für Evelyn.

Sie möchte sterben, weinen, aber vom Weinen wird es bloß schlimmer. Und wenn sie es mit Mama zu tun hat, ist Weinen tabu. Die Würstchen vom Abendessen kommen ihr wieder hoch. Mama drückt ihre Hand, sieht sie aber nicht an. Sie gehen sehr schnell, bei der Ankunft am Bahnhof sind sie völlig außer Atem. Mama will sie retten und hat darüber Papa vergessen. Was soll Papa machen, wenn er auf einmal allein ist? Sie würde liebend gern danach fragen, aber besser, sie spricht das Thema nicht an. Evelyn nimmt ihren ganzen Mut zusammen, um vorzuschlagen, dass sie zu Hause bleiben, sie ist bereit, ihre Strafe zu akzeptieren. Die Oberstufe im Jugendknast anzufangen, sich tätowieren zu lassen. Besser das, als laufen, bis sie tot umfällt, besser, als ohne Papa abhauen. Besser, als an einem dunklen Bahnhof warten, samt Koffer und Geld, da rauben sie dich im Nullkommanichts aus, oder was auch immer – schon für ein Handy bringen die dich um.

Evelyn sagt stumm die Namensliste der Klasse 7 B der Oberschule Los Santos Ángeles Custodios auf. Marta geht ihre WhatsApp-Kontakte durch. Von Hugo kommt nichts mehr. Der Zug kommt auch nicht. Marta schreibt an Mónica:

Ich bin auf dem weg zu dir

✓✓

Mit evelyn

✓✓

Ich glaube wir kommen um fünf an

✓✓

Ich erklärs dir später

✓✓

Sie zieht einen Fünfhundert-Pesos-Schein aus dem BH und geht über die Straße zu dem Stand von Taxi Belgrano. Da kennt sie keiner.

Evelyn folgt ihr erleichtert. Auf der Straße sind ziemlich viele Leute unterwegs. Nach dem heißen Tag ist die Luft jetzt angenehm kühl. Aus den heruntergelassenen Fenstern der vorbeifahrenden Autos kommt Musik. Die künftigen Sommerhits. Manche Läden sind noch geöffnet. Zum ersten Mal, seit sie losgegangen sind, spricht Marta mit ihrer Tochter.

»Sag jetzt bloß nicht, dass du irgendwas willst, wir haben schon eine Menge ausgegeben.«

Evelyn vergräbt das Kinn im Jackenkragen. Sie hat nicht vor, irgendwas zu verlangen. Nie wieder.

Mein Jesus, Verzeihung und Barmherzigkeit, durch die Verdienste deiner heiligen Wunden. Mónica wiederholt den Satz zehn Mal und berührt dabei mit zwei Fingern die Rosenkranzperlen in ihrer Westentasche. Dazu schreitet sie im Rhythmus des Gebets über den roten Teppich mit den gelben Figuren, die aussehen, als wären sie aus Gold. Mónica ist sehr gläubig. Sie glaubt an Gott, Christus und die Jungfrau Maria, also an die, auf die es wirklich ankommt. Marta hat es mehr mit den Heiligen. Mónica ist nicht nur gläubig, sie lebt ihren Glauben auch aktiv und intensiv. Sie wandert über den Läufer mit den ägyptischen Figuren und sagt dabei stumm ihre Gebete auf. Ewiger Vater, ich opfere dir die Wunden unseres Herrn Jesus Christus auf, um die Wunden unserer Seelen zu heilen. In der Ecke angekommen, dreht sie um und fängt wieder von vorn an. Mein Jesus, Verzeihung und Barmherzigkeit. All das inmitten hypnotisierender Geräusche und fantastischer Gestalten – Einhörner, exotische Tänzerinnen, die Schätze des Ramses, muskelbepackte Gladiatoren. Heute sind alle da. Ihre Gesichter kann Mónica nicht sehen, sie wenden ihr den Rücken zu, aber inzwischen erkennt sie sie auch von hinten. Jeder steht an seinem Lieblingsautomaten. Manche bekreuzigen sich, küssen kleine Medaillons oder Kreuze. Glauben ist das nicht. Diese Leute haben es bloß auf Erlösung abgesehen.

Ein Riesenjackpot, und das an einem Montagabend, wo gibts denn so was? Als wäre heute Freitag. Am einzigen ruhigen Tag der Woche kommen die mit einem Riesenjackpot daher. Und dann tauchen auch noch, wie aus dem Nichts, Marta und Evelyn auf. Der Rosenkranz hilft, dass die Zeit schneller rumgeht. Ab und zu wird sie von jemandem unterbrochen, der wissen möchte, wie das mit dem progressiven Jackpot funktioniert. Wieso kommen die her, wenn sie keine Ahnung haben? Der Typ vom Double Dragon war schon drei Mal da und hat sich beschwert, von wegen der Automat habe zu wenig ausgespuckt. Automaten irren sich nicht! Die Sache geht schief, das mit Marta und Hugo war abzusehen. Mónica wandert weiter zwischen den unheilbaren Wunden der Seele umher und schickt WhatsApp-Nachrichten:

Weiß Mama Bescheid?

✓✓

Die Frage wird Marta nicht gefallen, aber Mónica möchte vorbereitet sein. Vor Hugo hat sie keine Angst, vor dem doch nicht, der ist bloß ein elender Loser. Sie setzt ihren stummen Rosenkranz fort. Selbst wenn sie ihn laut schreiend aufsagen würde, würde es niemand mitbekommen, nicht bei dem Lärm. Als sie bei der nächsten großen Perle ankommt, wirft sie einen Blick auf ihr Handy. Ewiger Vater, ich opfere dir die Wunden unseres Herrn Jesus Christus auf, um die Wunden unserer Seelen zu heilen. Marta hat die Nachricht gelesen, aber nicht geantwortet. Bestimmt ist sie sauer.

»Bei den heiligen Wunden!«, ruft Mónica plötzlich laut, weil der Typ vom Double Dragon anfängt, den Automaten mit Fußtritten zu traktieren. Sie muss sofort einen von der Security benachrichtigen, sonst macht der Kerl den Apparat noch kaputt.

Der Vorfall lenkt sie wenigstens von ihren unguten Gedanken ab.

Haben Sie das mit dem Zug mitbekommen?«, fragt der Mann am Taxistand.

Marta verneint trocken und richtet den Blick auf ihr Handy. Eine Nachricht von Mónica. Keine von Hugo. Typisch Hugo. Er wartet ab, was Marta zu sagen hat, aber sie weiß nicht, was sie ihm schreiben soll. Zuerst muss sie ihre Gedanken ordnen, die richtigen Worte finden, Lust dazu hat sie keine. Wenn etwas wirklich zu Ende ist, erkennt man das nicht an den Worten, sondern an den Taten. Was genau man in einem solchen Moment sagen soll, ist unklar, umso klarer, was zu tun ist. Im Lauf der Jahre verflüchtigen sich die Worte. Am Anfang spricht man sie noch alle aus. Später wollen sie nicht mehr so recht raus, bleiben einem im Hals stecken, im Magen, wo auch immer. Und zuletzt verschwinden sie ganz, werden bedeutungslos.

»Also, ich finde, es ist besser, wenn Kerem stirbt.«

Evelyns Stimme reißt Marta aus ihren Gedanken. Sie hatte ganz vergessen, dass sie gerade zusammen auf der Flucht sind.

»Was?«

»Besser für Bennu und für Scheherazade und für Onur …«

»Willst du denn, dass er stirbt? So böse ist er doch auch wieder nicht.«

»Es ist einfach besser für alle, Mama.« Evelyn nutzt die Gelegenheit, dass sie ihre Aufmerksamkeit geweckt hat. »Und Papa?«

»Darüber sprechen wir später.«

Evelyn öffnet das Fenster, lässt den Kopf auf die Lehne sinken. Die Fahrt durch die Nacht versetzt sie in erwartungsvolle Stimmung. Während das Auto mit Vollgas über die Straßen rauscht und der Wind mit ihrem Haar spielt, hat sie das Gefühl, erwachsen und frei zu sein, auf der Rückbank eines Wagens, als kehrte sie gerade von einem Fest zurück oder befände sich auf dem Weg zum Flughafen, unterwegs nach Disneyland. Bei der Heimkehr ist dann aber immer heller Tag … Reisen macht glücklich, ist aber auch enttäuschend. Sie fängt an, die Laternen am Rand der Autobahn zu zählen. Als sie bei hundert angekommen ist, beginnt sie wieder von vorn. Bei der Einfahrt in den Busbahnhof hat sie das zehn Mal gemacht.

»Wirklich, ich kann dir nichts kaufen, nicht die kleinste Kleinigkeit«, sagt Marta.

Für das Taxi und die Bustickets gehen fünftausend Pesos drauf. Sie haben eine lange Nacht vor sich und noch fünfundzwanzigtausend übrig. Sie steuern ihren Bussteig an. Wie lange kommen sie damit aus? Sie müssen ihren Lebensunterhalt bestreiten und eine Schule finden, auf die Evelyn drei Wochen lang gehen kann. Vielleicht einen Monat. Viel länger wohl kaum. Marta wird wütend, als sie sich an Hugos besserwisserisches Gerede erinnert – sie solle nicht so viel Geld auf der Bank deponieren. »Wenn du die Kohle dann brauchst, kommst du nicht dran.« Ob er womöglich das Konto leer geräumt hat?

Sie wird mit dem Durchrechnen nicht fertig. Ihr Blick fällt auf einen Fernsehbildschirm in der Wartehalle des Bahnhofs, davor drängen sich die Leute. Hugo geht auch jetzt nicht ans Telefon. Ohne die Augen von dem Fernseher abzuwenden, streckt Marta suchend die Hand nach der ihrer Tochter aus.

»Sollen wir zum Kiosk gehen?«

Gnade und Barmherzigkeit, o mein Jesus, in der gegenwärtigen Gefahr. Bedecke uns mit deinem kostbaren Blut. Mónica wiederholt immer wieder dieselben zwei Sätze. Aus Nervosität hat sie den Faden verloren. Marta schreibt: Hast du das mit dem zug mitbekommen, in haedo ist ein zug verunglückt. Und Mónica ärgert sich, sie will jetzt nicht über die Nachrichten sprechen, sie will wissen, was passiert ist, das soll Marta ihr sagen, ohne dass sie danach zu fragen braucht.

Wenn es einen Riesenjackpot zu gewinnen gibt, sind die Leute jedes Mal ganz aufgekratzt. Mónica auch, ein bisschen, wie immer, wenn Marta und die Kleine nach Colón kommen. Sie macht dann haufenweise Pläne, aus denen aber nie etwas wird, weil Marta immer bloß an den Fluss will, oder schlafen. Kaum sind sie da, wünscht Mónica sich, dass sie wieder verschwinden. Trotzdem macht sie sich jedes Mal wieder Hoffnungen. Und ist dann ganz durcheinander, würde am liebsten schlagartig mit der Diät aufhören, hat Angst, Mama könnte auf die Idee kommen, die beiden zu begleiten, träumt andererseits aber auch davon, den ganzen Sommer mit ihnen zu verbringen, Marta einen Teilzeit-Job im Kasino zu besorgen, ihr ein paar ihrer Tupper-Sex-Kundinnen zu überlassen. Das werden mit der Zeit immer mehr, die Leute sind total unbefriedigt. Mónica hat das Gefühl, stark zu sein, kommt sich aber auch ein bisschen dämlich vor, weil sie sich jedes Mal solche Illusionen macht, wenn ihre große Schwester ihren Besuch ankündigt. Sie kann sich noch so sehr anstrengen, Anerkennung bekommt sie von ihr dafür nie. Am Ende des Abends werden die Leute mehr Geld denn je verloren haben.

Besser, sie erfährt jetzt nichts mehr von dem Zugunglück, mit Jesu Wundmalen hat sie für heute genug. Aber Marta schickt noch eine Nachricht, das Thema lässt sie nicht los:

Ich glaube hugo war in dem zug

Tor für den FC Tigre, Alter!«, sagt ein Feuerwehrmann in die Dunkelheit und das Schweigen auf der anderen Seite des zersplitterten Waggonfensters. Er lügt.

Auf der Suche nach der Stelle, von der aus die Stimme seines neuen Freundes zu hören war, lässt er den Lichtstrahl der Taschenlampe umherwandern. Worauf er auch trifft, immer ist es der gleiche Mischmasch aus marineblauen, schmutzig weißen, dunkelgrünen, grauen und braunen Flecken. Die Leute sind eben alle gleich, die gleiche Kleidung, dieselben Farben – wie soll man das auseinanderhalten? Sie sind wie zusammengebacken, verschweißt, nur Teile der Körper, auch das eine oder andere Haarbüschel, erscheinen an den Fenstern, bei deren Anblick er an die aufgeplatzten Stellen einer Mülltüte denken muss. Sein Chef schreit, jemand soll ein Rettungskorsett bringen, er will endlich loslegen. Eine Stimme aus dem menschlichen Heuhaufen fragt, wie es steht in dem Fußballspiel, andere flehen: »Hol mich hier raus!« Wieder andere bohren ihm die Fingernägel ins Fleisch, wenn er ihnen mit der Taschenlampe zu nahe kommt.

Die Feuerwehrleute versuchen, das Knäuel zu entwirren – wen sollen sie zuerst durchs Fenster rausziehen, vorausgesetzt, der Betreffende ist noch ganz? In jedem Fall fangen sie beim völlig zerknautschten vordersten Waggon des Zuges an, der auf einen im Bahnhof Haedo stehenden Zug aufgeprallt ist.