Du hättest gehen sollen - Daniel Kehlmann - E-Book

Du hättest gehen sollen E-Book

Daniel Kehlmann

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Beschreibung

Ein einsam gelegenes Ferienhaus. Tief unten das Tal mit seinen würfelkleinen Häusern, eine Serpentinenstraße führt hinauf. Das kalte Blauweiß der Gletscher, schroffer Granit, die Wälder im Dunst – es ist Dezember, Vorweihnachtszeit. Ein junges Ehepaar mit Kind hat sich für ein paar Tage dieses komfortable Haus gemietet, doch so richtig aus der Welt sind sie nicht: Das Kind erzählt wirre Geschichten aus dem Kindergarten, die Frau tippt Nachrichten auf dem Telefon, und der Mann – ein Drehbuchautor, von dem ein Produzent den zweiten Teil seiner erfolgreichsten Komödie erwartet – schreibt Ideen und Szenen in sein Notizbuch. Aber mehr und mehr notiert er auch anderes – eheliche Spannungen, Zwistigkeiten, vor allem die seltsamen Dinge, die rings um ihn geschehen. Denn mit dem Haus stimmt etwas nicht. Daniel Kehlmanns phantastische Erzählung ist im doppelten Wortsinn unheimlich, die Spirale in den Abgrund entwickelt einen starken Sog – umso mehr, als dem Schrecken etwas zur Seite gestellt wird: die wechselnden Stimmungen in der Familie, das Nebeneinander von Liebe und Gereiztheit, die Sorge um das Kind. «Das Geheimnis ist, dass man sich ja doch liebt.» Ist es so? Allmählich verschwimmen die Konturen, und der Boden beginnt zu wanken.

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Seitenzahl: 85

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Daniel Kehlmann

Du hättest gehen sollen

 

 

 

Über dieses Buch

Ein einsam gelegenes Ferienhaus. Tief unten das Tal mit seinen würfelkleinen Häusern, eine Serpentinenstraße führt hinauf. Das kalte Blauweiß der Gletscher, schroffer Granit, die Wälder im Dunst – es ist Dezember, Vorweihnachtszeit. Ein junges Ehepaar mit Kind hat sich für ein paar Tage dieses komfortable Haus gemietet, doch so richtig aus der Welt sind sie nicht: Das Kind erzählt wirre Geschichten aus dem Kindergarten, die Frau tippt Nachrichten auf dem Telefon, und der Mann – ein Drehbuchautor, von dem ein Produzent den zweiten Teil seiner erfolgreichsten Komödie erwartet – schreibt Ideen und Szenen in sein Notizbuch. Aber mehr und mehr notiert er auch anderes – eheliche Spannungen, Zwistigkeiten, vor allem die seltsamen Dinge, die rings um ihn geschehen. Denn mit dem Haus stimmt etwas nicht.

 

Daniel Kehlmanns phantastische Erzählung ist im doppelten Wortsinn unheimlich, die Spirale in den Abgrund entwickelt einen starken Sog – umso mehr, als dem Schrecken etwas zur Seite gestellt wird: die wechselnden Stimmungen in der Familie, das Nebeneinander von Liebe und Gereiztheit, die Sorge um das Kind. «Das Geheimnis ist, dass man sich ja doch liebt.» Ist es so? Allmählich verschwimmen die Konturen, und der Boden beginnt zu wanken.

Impressum

Autor und Verlag danken Thomas Demand für das Umschlagbild und die Gestaltung des Umschlags.

 

 

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, November 2016

Copyright © 2016 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Umschlaggestaltung und Abbildung Thomas Demand

Typographie Naomi Mizusaki

ISBN 978-3-644-00035-3

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

 

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www.rowohlt.de

2. Dezember

Jana und Ella fahren auf dem Tandem die Landstraße entlang. Die Sonne scheint, die Halme wogen, heitere Musik. Ella am Steuer, Jana breitet die Arme aus, Großaufnahme: Glücklich blinzelt sie in die Sonne. Dann fährt das Rad über einen Stein, kommt von der Straße ab und fällt um. Schmerzensschreie. Die Musik bricht ab, Schwarzblende, Anfangstitel. Setzt gleich den richtigen Ton.

 

Es passt gut, dass ich hier oben ein neues Notizbuch anfange. Neue Umgebung, neue Ideen, ein neuer Anfang. Frische Luft.

Letzte Woche ist Esther vier Jahre alt geworden. Jetzt wird alles leichter. Man merkt schon, dass es nicht mehr dauernd Streit um die Frage gibt, wer mit ihr aufsteht, wer sie zu Bett bringt, wer mit den Blöckchen oder der kleinen Eisenbahn oder den Legosteinen spielt. Sie kann jetzt viel mehr alleine tun.

Das kalte Blauweiß der zwei Gletscher, darunter schroffer Granit, dann die Wälder, die der Dunst in eine glatte dunkelgrüne Fläche verwandelt. Der Himmel ist leicht bewölkt, eine Wolke hat sich vor die Sonne geschoben, ein Feuerkranz legt sich um ihre weißfaserigen Ränder.

Vor dem Haus, das wir gemietet haben, bildet die Wiese einen sanften Abhang, hundert Meter etwa, zum Waldessaum hin: Fichten, Föhren und, dort, eine riesige bleiche Weide. Wenn ich das Fenster öffne, höre ich den Wind flüstern. Sonst höre ich nichts. Tief unten liegt das Tal mit seinen würfelkleinen Häusern, der Länge nach durchschnitten von drei Bändern: Straße, Fluss, Eisenbahn. Wie ein dünner Bleistiftstrich zweigt die Serpentinenstraße ab, auf der wir heraufgekommen sind.

Eine furchtbare Fahrt übrigens. Diese Straße ist steil, ohne Seitenabsperrung, und Susanna fährt verheerend. Es fiel mir schwer, nichts zu sagen. Ja, und dann habe ich leider doch etwas gesagt, und so haben wir uns den Rest der Strecke über gestritten.

Gerade hat die Sonne sich hinter der Wolke hervorgeschoben, sodass der Himmel nun in schmerzhafter, gleißender, herrlicher Helligkeit zerrinnt.

Oder sind das zu viele Metaphern? Die Sonne schiebt sich doch nirgendwohin, der Wind schiebt die Wolke weg, und natürlich zerrinnt der Himmel keineswegs. Aber in schmerzhafter, gleißender, herrlicher Helligkeit, nicht schlecht.

Ausnahmsweise ist es ein Haus, das in Wirklichkeit noch besser aussieht als auf den Fotos im Netz. Kein moderiges Alpenhüttchen, sondern zweistöckig, neu und minimalistisch, mit schmalem Balkon oben und großem Wohnzimmerfenster, eindeutig ein Architektenhaus.

beißende Helligkeit

Feuerwolke

die Sonne rollend durchs Firmament

Berge, ins Blau graviert

Firmament – altmodisch. Doch lieber das Grundwort, Himmel. Lass eine Nebenfigur zweimal das Wort Firmament verwenden. Mehr braucht man nicht, schon hat man sie charakterisiert.

 

Aufblende, Jana geht mit Einkaufstasche die Straße

 

Gerade als ich weiterschreiben wollte, sind sie reingekommen. Und wenn sie im Raum sind, kann ich mich nicht konzentrieren. Jetzt spielen sie auf dem Teppich und sind laut, und ich kritzle weiter, damit sie meinen, ich würde arbeiten, denn wenn Susanna nicht meint, dass ich arbeite, sagt sie nur wieder: Hör auf zu jammern, du arbeitest ohnehin nicht. Also schreibe ich und schreibe und schreibe und tue so, als wäre ich beschäftigt, und das bin ich ja auch, denn schließlich wartet die ganze Produktion auf mich.

 

Ich liebe sie, und ich möchte kein anderes Leben. Warum streiten wir uns dauernd?

Eben wieder. Vorwurfsvoll hat sie sich vom Teppich erhoben, und in dem Moment dachte ich schon: Jetzt geht es los. Und wirklich sagte sie genau das, wovon ich bereits wusste, dass sie es sagen würde: Wir sind gerade erst angekommen, da muss man nicht gleich schon wieder, da kann man doch erst einmal mit der Familie, etc.

Aber so, sagte ich, wird das nie was, da entsteht kein Werk!

Du meinst dein Drehbuch?

Es war die Art, wie sie das Wort betont hat. Sie weiß genau, was mich am meisten ärgert. Und ich bin natürlich in die Falle gegangen. Ein Drehbuch, kein Werk, habe ich gerufen, La Strada, Barry Lyndon, keine Werke?

Darauf sie ganz ruhig: Ein Drehbuch ist ein Werk, aber kein Werk. Nicht so, wie du es aussprichst. Und Allerbeste Freundin II, nun ja.

Irgendwann schreibe ich über all das einen Film. Lange Dialoge, viele Rückblenden, keine Musik. Er wird Ehe heißen. Den Titel gibt es sonst noch nicht, der ist erstaunlicherweise frei.

Ich hätte nicht antworten sollen, einfach schweigen, so hätte der Streit umschifft werden können. Doch ich konnte nicht widerstehen, sie daran zu erinnern, dass die Tantiemen für jene Drehbücher, die sie zwar für Werke, nicht aber für Werke hält, und zwar besonders das für Allerbeste Freundin I, die Kreditzinsen für unser Haus bezahlen, ein Reihenhaus mit Garten, das sie für so wichtig hielt, weil ein Kind schließlich einen Garten haben müsse, und jetzt haben wir das Reihenhaus, und der Kredit ist noch lange nicht abbezahlt, und Esther spielt eigentlich nie im Garten, und wenn ich den zweiten Teil zu meinem erfolgreichsten Film nicht schreibe, was ist dann mit den Zinsen?

Worauf sie erwiderte, sie habe nichts gegen meine Komödien einzuwenden, solange ich bitte nicht so tun wolle, als handle es sich um Minna von Barnhelm oder den Zerbrochenen Krug – immer muss sie Klassiker erwähnen, um mich daran zu erinnern, dass sie einen Abschluss in Deutscher und in Klassischer Philologie hat, während ich nie auf der Universität gewesen bin –, und meine Marotte, mit der Hand zu schreiben, nur um so zu tun, als wäre ich ein Dichter, sei übrigens gar nicht auszuhalten. Dann trat sie einen Schritt zurück und lachte so spitz auf, wie nur Schauspieler auflachen können, wenn sie mal einen Tag haben, an dem ihnen die Begabung nicht zur Verfügung steht. So gekünstelt wirkte es, dass mir Gänsehaut über den Rücken lief, und just in dem Moment wurden wir unterbrochen, weil Esther ihrer Puppe den Arm abgebrochen hatte und heulend nach Klebstoff verlangte, und woher sollen wir hier oben Klebstoff nehmen?

Jetzt beugen sie sich über die Teile der Puppe und schieben sie herum und warten auf ein Wunder, und ich schreibe weiter und sehe nicht auf, damit klar ist, dass ich zu beschäftigt bin, um bei dem Blödsinn mitzuhelfen. Das Ding ist kaputt.

 

Ehe. Das Geheimnis ist, dass man sich ja doch liebt. Ich würde nicht ohne sie sein wollen – selbst ihr Schauspielerlachen würde mir fehlen. Und sie nicht ohne mich. Wenn man einander nur nicht unterdessen so auf die Nerven fiele.

Geh weg, solang

3. Dezember

Bevor gestern alles wieder gut werden konnte, musste erst das Kind zu Bett gebracht werden. Versöhnung ist nie denkbar, solange das Kind wach ist. Aber dann standen wir nebeneinander am Wohnzimmerfenster und sahen in die Nacht hinaus: Abertausende scharf gestochene Punkte im schwarzen Samt, darunter schwach glimmend die Konturen der zwei Gletscher, und hinter unserem Haus muss es wohl einen besonders vollen Mond gegeben haben, denn der Hang vor uns war fast taghell von dem weißen Licht.

Auf dem Weg ins Schlafzimmer verirrten wir uns kurz, weil wir das Haus noch nicht kannten, wir gerieten in einen Abstellraum mit Waschmaschine und Trockner. Ein an der Wand lehnender Staubsauger polterte zu Boden, sodass wir erstarrten und mit angehaltenem Atem horchten, aber es blieb still, Esther war nicht aufgewacht.

Slapstick, sagte Susanna. Die Dinge haben ihr eigenes Leben.

Slapstick mag ich nicht, sagte ich.

Ein bisschen Slapstick ist nicht schlecht, sagte sie. Soll ich es dir zeigen?

Dann gingen wir die Treppe hinauf und fanden unser Schlafzimmer.

 

Durch den ersten Teil sind die Hauptfiguren gut charakterisiert, aber man darf sich nicht darauf verlassen, man muss den zweiten nützen, um Backstory hinzuzufügen.