Du schaffst das - Dirk Bernemann - E-Book

Du schaffst das E-Book

Dirk Bernemann

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Beschreibung

Ein junger Mann verunglückt in einer Fernsehshow bei einem waghalsigen Stunt. Fortan ist der Mann gelähmt. Ein Schock, etwas nie zuvor da gewesenes! Trifft den Fernsehsender eine Mitschuld? War es jugendlicher Leichtsinn? Und darf unsere Mediengesellschaft so jemanden zum Medienstar stilisieren, nur um dessen Gesicht auf der Titelseite der BILD-Zeitung zu sehen? "Du schaffst das" beleuchtet kritisch die Rolle verschiedener Medien und stellt Fragen über die Grenzen unseres Voyeurismus.

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1. Auflage 2016

©opyright 2016 by Autoren

Lektorat: Miriam Spies

Satz: Fred Uhde (www.buch-satz-illustration.de)

ISBN (EBook): 978-3-95791-058-5

ISBN (Print): 978-3-95791-057-8

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist

nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet.

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[email protected]

Mehr Infos jederzeit im Web unter www.unsichtbar-verlag.de

Unsichtbar Verlag | Wellenburger Str. 1 | 86420 Diedorf

Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

DU SCHAFFST DAS

Von Dirk Bernemann und Jens Goldbach

Prolog

Simon Lutz aus dem Blog der Wochenzeitung »Die Mitte«

Das ist er also. Aus der Nähe betrachtet sieht er etwas älter aus als im Fernsehen. Seine Augen leuchten. Ich glaube, jetzt gerade ist er sehr glücklich. Er lächelt. Dann hustet er. Dann lächelt er wieder. Sein Assistent hält ihm ein Glas Wasser hin und balanciert den Strohhalm zwischen seine Lippen. Er trinkt. Er hustet. Der hinter ihm stehende Produzent räuspert sich. Er trinkt noch einmal.

Eine rückwärtslaufende Digitaluhr. Es sind noch 2 Minuten und 17 Sekunden bis zum Beginn der Show. Eine Visagistin tupft ihm Schweiß von der Stirn und überschminkt fast gleichzeitig und unglaublich präzise die Stellen, an denen sie gerade noch getupft hat.

Jeder hier im Raum ist ein Profi, das spürt man förmlich. Sie liegt in der Luft, diese Professiona­lität. Alle Handgriffe werden ausgeführt, ohne dass jemand darüber nachzudenken scheint. Alles Routine. Jeder weiß, was er zu tun hat. Und die meisten dieser Handlungen drehen sich um ihn, damit es ihm gut geht.

Irgendjemand am Bühnenaufgang macht unverständliche Handzeichen. Funkgeräte knistern. Es sind noch 43 Sekunden. Er wird zum Lift begleitet. Die linke Hand des Produzenten verlässt für den Rest der Zeit nicht mehr seine rechte Schulter. Er sieht sich nicht mehr um.

Die Titelmelodie wird eingespielt. Draußen beginnt Applaus. »Meine Damen und Herren, hier ist ihr Gastgeber, Lemuel Bäcker.« Der Produzent gibt ihm einen Klaps auf die Schulter. Der Applaus wird stärker, raumfüllender, gewaltiger. Die große Tür vor ihm öffnet sich nahezu geräuschlos und plötzlich ist überall Licht.

1.

Tagebucheintrag Lemuel Bäcker

Voll gut. Voll früh aufgewacht. Sonnenlicht in meinem Zimmer. Wieder vor dem Wecker. Also habe ich noch ein bisschen Zeit. Mein Bett so schön warm. Heute ist Freitag, das heißt Morgen ist endlich Wochenende. Ich finde die Schule zwar nicht so schlimm wie ein paar aus meiner Klasse, aber zwei ganze Tage lang machen zu können, was man will, ist einfach schöner, als den ganzen Tag drinnen rumzuhocken. Ich kann hören, wie Mama und Papa unten Frühstück machen. Also nicht nur hören, sondern auch riechen. Kakao, Körnerbrötchen aus dem Backofen, Kaffee und frischgepresster Orangensaft. Ich höre auch Anna, meine kleine Schwester. Sie will die Saftpresse bedienen oder wenigstens auch mal eine Orange mit einem Messer schälen. Sie redet ein bisschen lauter als meine Eltern. Die beiden sind eher zurückhaltend und etwas leiser und vor allem immer verständnisvoll.

In den letzten Wochen hat sich irgendwas verändert. Ich merk langsam, dass ich die Mädchen in meiner Klasse viel interessanter finde als vorher. Und viele von den Jungs reden auch schon übers Miteinanderschlafen und Sex. Und ich probier das jetzt auch langsam aus. Also nicht so richtig Sex. Ich merk nur, dass ich meinen Körper ganz anders kennenlerne grad. Also wo ich mich anfass und wie sich das anfühlt. Ich fang vorsichtig an und werde dann gröber und schneller und dann kommt irgendwann dieses Gefühl, dass ich sonst nur vom Training kenn. Diese Mischung aus Entspannung und leichter Erschöpfung. Bin dann ganz friedlich, ganz ruhig. Meine Hand ein bisschen nass, aber das muss ja keiner wissen.

Ein paar Minuten könnte ich noch liegenbleiben, weil ich ja früher wach war. Mach ich aber nicht, weil ich schon weiß, dass das wieder ein geiler Tag wird. Also ab ins Bad. Sowieso sind die Tage toll grad. Ich freue mich richtig drauf. Eigentlich ist jeder Tag wie ein Geschenk. Und so eine Familie wie ich zu haben, macht dieses Gefühl noch größer. Also Leute um sich rum zu haben, die für einen da sind und einen unterstützen. Und lieben. Hände waschen und dann ein paar Siegerposen vor dem Spiegel. Ich hab neulich gelesen, das ist gut fürs Selbstbewusstsein. Irgendwie bin ich ja jetzt auch schon ein Sieger. Glaub bald muss ich mich auch rasieren. Bis jetzt sind aber nur weiche Haare auf meiner Oberlippe, ich fühle noch nichts Stoppeliges.

Ich glaub wir sind eine echt gute Familie, Papa, Mama, Anna und Ich. Wir haben Glück, aber wir wissen das auch zu schätzen und sind dankbar dafür. Es gibt ja leider Menschen, die nicht so viel Glück haben. Arme, Drogensüchtige, Flüchtlinge, Kranke, Behinderte, Gefangene. Und auch Menschen mit schlechten Absichten, ohne Gewissen, oder die böse denken. Für sie alle beten wir oft. »Gott hilft denen, denen geholfen werden muss« sagt Papa manchmal. Ich spür auch immer mal wieder, dass das was Gutes ist.

Wir frühstücken immer alle zusammen. Anna will eine Mandarine schälen und ist voll süß dabei mit ihren kleinen Händen. Sie rutscht immer ab und kommt nicht richtig durch die Schale durch mit ihren Fingerchen. Zack, hat sie da eine Mandarine, auf der kaum noch was Weißes drauf ist. Sie ist superniedlich wenn sie so lächelt. Mandarinen sind sowieso eine fantastische Erfindung. Muss nicht mehr verpackt werden und man muss geschickt sein, um an das leckere Innere ranzukommen. Mit dem Daumen in die Schale eindringen und dann alles runterknibbeln, was man nicht essen kann. Dass was so Leckeres so gesund sein kann, ist schon fast ein Grund zum Feiern. Mama achtet eh drauf, dass wir viele gesunde Sachen essen. Schokocreme fürs Brot gibt’s zum Beispiel nur einmal in der Woche. Ich kann das gut verstehen wenn ich dicke Kinder in der Schule sehe. So will ich wirklich nicht aussehen.

Der Bus hält in der Nähe von unserem Haus, vielleicht 200 Meter entfernt. Meine Eltern gucken uns jeden Tag hinterher, das weiß ich. Das kann schon ein bisschen nerven, aber ich versteh es auch. Vielleicht haben sie Angst, wir werden entführt oder von einem Auto angefahren. Aber ich bin so schnell mittlerweile und so fit, dass ich, glaub ich echt, vor einem Auto wegrennen könnte. Manchmal denke ich sogar, ich könnte über ein fahrendes Auto drüber springen. Aber ich traue mich noch nicht, das auszuprobieren.

Erste Stunde: Deutsch. Ich sitz neben Barbara. Ich mag sie sehr, sie ist meine beste Freundin, echt schlau und sieht einfach toll aus. Ist super gut in Mathe und, was mir besonders gefällt, in Sport ist sie auch die Beste. Ganz egal, ob Geräteturnen, Hockey oder Basketball. Ihr Spitzname für mich ist Lemmy. Ich finde, ich brauch keinen Spitznamen, mich nervt das ein bisschen. Mein Name ist gut so, wie er ist. Bin auch nur ein bisschen genervt, weil Barbara einfach ein nettes Mädel ist. Wenn ich ehrlich bin, sogar mehr als das. Es gibt da ein paar Gefühle, die krieg ich noch nicht so ganz geordnet.

In Sport nach der großen Pause machen wir erst ein paar Konditionsübungen, Liegestützen, einen Medizinball hochwerfen, über eine Bank robben. Dann sollen wir über das Pferd springen. Da steht natürlich nicht wirklich ein Pferd in der Turnhalle, das wär’s ja noch. Wenn das einfach auf den Boden …, haha, nein, natürlich heißt das Sportgerät so, über das man springt, das weiß ja jeder. Ein paar, die nicht so sportlich sind und ein paar Mädchen kriegen Hilfestellung von Herrn Grüther. Dann noch an Ringen hochziehen und über einen Balken balancieren. Alles kein Problem. Würdʼ gern mehr machen, darf aber nicht, weil jeder einmal drankommen soll, auch die, die das nicht so gut können.

Wieder zuhause, Mama nimmt mich in den Arm. Papa ist noch nicht da, er ist noch bei der Arbeit. Wir sitzen um den Tisch und beten, bevor wir anfangen mit Essen. Wir haben noch so viele Mandarinen, dass ich für Anna, Mama und mich als Nachtisch noch ein paar von ihnen schäl.

Heute ist das letzte Mal Leichtathletik diese Woche. Ich laufe siebenmal die Runde und es kommt mir so vor, als würde meine Batterie nie alle werden. Heute mach ich 100 Meter Lauf, Weitsprung und Hochsprung. Drei Stunden lang.

Danach dusch ich und guck mich beim Abtrocknen im Spiegel an. Ganz dunstig und verschwommen. Ich wische einmal mit dem Handtuch über den Spiegel und kann mich kurz ganz und sehr klar sehen. Mein Blick wandert über meinen ganzen Körper, auch über die Stellen, die vielleicht nicht ganz perfekt sind, und am Ende schaue ich mir lange selbst in die Augen.

Immer, wenn ich hier so nach dem Training stehe, bin ich mir sicher, dass ich was Besonderes werde. Ich habe Talent, das sagen alle. Viele klopfen mir auf die Schulter, wenn wir im Clubheim vor den Pokalen und Medaillen des Vereins stehen und dann sagen sie gerne »Du schaffst das« und deuten auf die Pokale und Medaillen und ich stehe da und weiß genau: Ich schaff das. Vielleicht sogar noch mehr, als nur so Pokale und Medaillen. Mein Kopf ist so voller Träume. Ich weiß, wer ich bin und ich weiß, was ich will. Ich bin Lemuel Adrian Bäcker. Ich bin 13 Jahre alt und ich schaffe alles.

2.

Brief von Annabell Winter an die »Du schaffst das«-Redaktion

Liebe »Du schaffst das«-Redaktion,

schon seit ich ein kleines Kind war, habe ich jedes Mal Ihre Sendung geguckt. Das war immer das Highlight der Woche. Die ganze Familie saß samstags mit Keksen und Kakao vor dem Fernseher, um zu sehen, welche verrückten Challenges sich die Teilnehmer diesmal ausgedacht hatten. Auch in den vergangenen Jahren nach dem Moderatorenwechsel fand ich die Show mit ihrem modernen Bühnenbild und internationalen Gästen noch toll. Da war immer für jeden was dabei.

Jetzt zu dem eigentlichen Grund, aus dem ich schreibe: Meine Bewerbung als Kandidat! Die Idee dazu kam per Zufall. Manchmal werfe ich meinem Labradormischling Beppi beim Essen ein Stück Wurst unter den Tisch. Beppi hat immer Appetit und deshalb werfe ich ihm auch dann und wann mal etwas größere Stücke zu. Nun lauf ich in meiner Wohnung meistens barfuß rum. Als ich eines Abends am Tisch saß, fühlte ich an meinen Zehen etwas Wurstartiges. Ich wusste nicht genau, was es war, kam aber schnell auf die Idee, dass es vielleicht eine von Beppis Wurstresten sein könnte. Aus Spaß guckte ich nicht unter den Tisch und überlegte welche Wurstsorte es wohl sein könnte, die ich gerade spielerisch mit meinen Fußballen hin und her rollte. Es musste eine grobe Landwurst gewesen sein. Und tatsächlich: die grobe Landwurst war‘s!

Ich entschloss mich, mehrere Wurstsorten mit den Zehen zu ertasten, um herauszufinden, ob ich vielleicht auch Streichwurst und Aufschnitt erkennen würde. Nach siebeneinhalb Monaten harten Trainings bin ich nun soweit, sagen zu können:

Ich schaff das!

Ich schaffe es, 150 Wurstsorten mit meinen Füßen zu ertasten und bei Sülze sogar die eingelegten Gemüsesorten zu benennen!

Na, so eine skurrile Challenge hatten Sie doch sicher noch nicht, oder? Es wäre großartig, wenn sie mich als Kandidaten annehmen!

In freudiger Erwartung

Annabell Winter

3.

E-Mail von Lemuels Partnerin Barbara an ihre Freundin Carola

Hallo Carola,

geht’s Dir gut? Seitdem Du mit Felix aufs Land gezogen bist, vermisse ich Dich hier wirklich. Unsere Kaffeenachmittage und so. Und unsere Weinabende. Und ich finde auch gut, dass Felix und Lemuel so gute Freunde geworden sind, obwohl Felix Sport hasst. Will er wirklich nichts gegen seinen Bauch unternehmen? Vielleicht solltest du doch noch mal mit ihm sprechen. Er wird irgendwann einen Haltungsschaden oder Herzinfarkt bekommen. Lemuel meinte auch, dass Felix auf sich aufpassen solle, als wir letztes Mal bei Euch zu Besuch waren. Lemuel kennt sich mit sowas aus. Du kennst ihn. Durch seinen Sport und seine Fitness hat er sich einfach auch ein großes Wissenspotential über Ernährung angeeignet. Du kennst Lemuel, er weiß Bescheid.

Aber genug von Dir, ein wenig zu meiner Situation: Ich bin so unglaublich happy!!! Es geht tatsächlich los. Lemuel wurde von »Du schaffst das« angenommen. Er und sein Vater machen tatsächlich diese Sache mit dem Hubschrauber, von der ich Dir mal erzählt habe. Du erinnerst Dich? Raketenskier, Sprungschanze, Hubschrauber? Wenn Lemuel das schafft, wird er super berühmt. Vielleicht auch Casi, der die Raketenskier erfunden hat, aber Lemuel an erster Stelle.

Lemuel hat ja ohnehin vor, ins Showgeschäft einzusteigen. Man braucht dafür nur einen Startpunkt, etwas Öffentlichkeitswirksames, und was passt da besser als »Du schaffst das«? Er hat ja auch schon kürzlich als Stuntman für die Serie »Snake 87« gearbeitet. Das ist auf jeden Fall seine Zukunft.

Ich bin gerade mit Lemuels ganzer Familie in Bayern. Er trainiert momentan hart. Und bislang klappt es immer. Seinen Freund über einen Hubschrauber fliegen zu sehen, angetrieben von Raketenskiern, ist wunderschön. Sein Vater Josef hat den Hubschrauber gut im Griff. Und wenn Lemuel in diesen Skianzug steigt, ich sagʼs Dir, das sieht so gut aus und dann fliegt er und dieses Geräusch, das die Raketenskier machen. Wahnsinn. Das wird im Fernsehen so geil aussehen. Er hat auch einen sehr guten Helm, falls er doch mal abstürzen oder sonst was passieren sollte. Das ist das Beste, die je bei »Du schaffst das« zu sehen sein wird.

Ich glaube auch, dass Lemuel mir danach einen Heiratsantrag machen könnte. Sowas spürt man doch, oder? Meinst Du, Felix heiratet Dich auch irgendwann? Ich meine, Lemuel und ich, wir sind jetzt seit über 4 Jahren zusammen. Und jetzt kann er endlich mal öffentlich zeigen, was er drauf hat. Ach, ich freu mich so. Das wird so fantastisch werden.

Hast Du eigentlich noch Kontakt zu Ulli? Das letzte, was ich von ihr gehört habe ist, dass sie Hasch geraucht hat und in Berlin wohnt, in einer WG mit anderen Leuten, die auch alle Hasch rauchen. Sie war damals so eine gute Schülerin und unsere Klassensprecherin. Weißt Du noch? Als wir 15 waren und Ulli einfach zu allem eine Antwort hatte? Schade, dass es mit einigen Menschen so weit kommen muss.

Grüße auch an Felix und seine Mutter. Wir sehen uns bald alle wieder, spätestens in vier Wochen im Fernsehen.

Barbara

4.

Artikel aus »Reflektor Online«, 3. Dezember 2012

Der Verlust der Unschuld

In eigener Sache: Im Nachgespräch der Redaktion zu der Sendung »Du schaffst das« vom 1. Dezember wurde diskutiert, ob wir für diese Ausgabe angesichts der tragischen Vorkommnisse der Sendung die übliche Form einer Fernsehkritik beibehalten können. Da die Sendung bis zum Zeitpunkt des Unfalls ohne Zwischenfälle verlief, haben wir uns nach eingehender Beratung entschlossen, den kompletten Verlauf der Sendung zu schildern. Wir hoffen, dass wir dies im Hinblick auf unseren Informationsauftrag mit der nötigen Sensibilität bewältigt haben.

Roland Haas machte am Samstagabend zunächst den Eindruck, als sei er nicht viel nervöser, als in den Sendungen der vergangenen Monate. Hier in Garmisch-Partenkirchen sollte sich im späteren Verlauf der Show eine Tragödie abspielen. Eine Tragödie, die vielleicht nicht nur diese Sendung, sondern auch Haas’ Karriere prägen sollte. Wie üblich wirkte er leicht verspannt, doch seine bubenhafte, sympathische Art blitzte immer wieder auf.

Zunächst erläuterte er den Garmisch-Parten­kirchenern, wie sie überhaupt zu der Ehre gekommen sind, nun einmal von »Du schaffst das« beglückt zu werden.

Für die bitternötige Startenergie und als Augenzwinkern für die jüngere Zielgruppe saß der YouTube-Star Ronny Schick als Erster auf der Couch. Wie weit Haas’ Welt von Schicks Universum entfernt ist, ließ sich erkennen, als der Moderator peinlich mit Begriffen wie Twitter, Instagram und Facebook herumdruckste. Doch Schick besaß tatsächlich so etwas wie Mutterwitz, soweit derartiges in der YouTube-Generation überhaupt existieren darf. So konterte der vorlaute 23jährige dem Moderator stets im doppelten Tempo.

Schlagfertigkeit war noch nie Haas’ Stärke und so leitete er direkt auf den musikalischen Act QUERFRONT über. Die volksverständigende Performance des Songs »Gleichschritt LIEBE« begeisterte die Garmischer. Um auf einen Refrain wie »links, rechts, oben, unten – Gleichschritt LIEBE« zu kommen, muss man wohl auch ein Genie sein. Oder ein gefährlicher Irrer. Es blieb nicht viel Zeit, um über diese Frage nachzudenken.

In der ersten Challenge wollte ein Kärntener Hirte anhand eines Kassenbons erkennen, wie viele Schritte und welche Route ein Einkaufender in einem Supermarkt gelaufen ist, um die auf dem Kassenbon notierten Artikel zu kaufen.

Eine schöne Überraschung war das Auftreten von Literaturnobelpreisträger Roman Klein, der seinen neuen Gedichtband präsentierte. Fast meinte man, dass Klein das Gesagte zuvor schon schriftlich festgehalten hätte und nur noch ablesen würde, so geschliffen war sein Vortrag.

Die darauffolgende war etwas unspektakulärer. Ein Rentner aus Saarbrücken bediente mit seiner Zunge 47 verschiedene Fernbedienungen und programmierte damit sogar die zugehörigen Videorecorder.

Der nächste Programmpunkt dann leitete den großen Bruch ein. Vielleicht den größten Bruch, den »Du schaffst das« in seiner 26jährigen Karriere bisher hat hinnehmen müssen. Der 22jährige Lemuel Bäcker stellte seine Idee vor: Er wollte mit speziell konstruierten Skiern, an denen mehrere Raketen befestigt waren, von der Garmisch-Partenkirchener Skischanze springen.

80 Meter von der Schanze entfernt, schwebte ein Hubschrauber (der von Bäckers Vater bedient wurde) in 8 Metern Höhe in der Luft. Lemuel Bäcker wollte diesen mit seinem Sprung überwinden, um dann unversehrt wieder auf dem Boden zu landen. Der Außenreporter Anton erläuterte dies auf seine übliche angestrengt lustige Art. Humor aus dem letzten Jahrtausend also, der auch dort schon muffig war.