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Eine Mutmach-Geschichte für perfektionistische Kinder und Jugendliche! Die junge Ente Merle kann es nicht fassen! Sie besteht tatsächlich die schwierige Aufnahmeprüfung und schafft den Übertritt auf das angesehene Internat "Academia". Kaum hat sie diesen großen Schritt gemeistert, beginnt das Abenteuer erst richtig: Die neue Klasse, ein Berg an Lernstoff und ein scheinbar endloser Testmarathon bringen Merle ganz schön ins Schwitzen. Als wäre das alles nicht genug, kämpft die junge Ente gegen Notenstress, Prüfungsängste und ihren eigenen Perfektionismus. Die Gedanken fahren Achterbahn: "Was ist, wenn ich eine schlechte Note bekomme?", "Ich schaffe das nicht!", "Ich bin so dumm! Die anderen sind viel besser und klüger als ich!" Zum Glück stärken ihr Mama Ente und die nette Lehrerin den Rücken. Aber deren gut gemeintes "Du schaffst das, Merle!" setzt die junge Ente nur noch mehr unter Druck. Doch als sie es am wenigsten erwartet, taucht eine geheimnisvolle Berühmtheit an ihrer Schule auf und Merle entdeckt, dass das größte Hindernis manchmal in uns selbst steckt … Eine herzerwärmende Geschichte über Selbstvertrauen, Mut und die Kraft, sich selbst so anzunehmen, wie man ist. Inklusive ausführlichem Übungsteil mit wissenschaftlich abgesicherten, konkreten Strategien für den Alltag!
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Seitenzahl: 418
Veröffentlichungsjahr: 2025
Stefanie Rietzler & Fabian Grolimund
Du schaffst das, Merle!
Illustriert von Marcus Wilke
Du schaffst das, Merle!
Stefanie Rietzler & Fabian Grolimund
Stefanie Rietzler
Fabian Grolimund
Akademie für Lerncoaching
Albulastrasse 57
8048 Zürich
Schweiz
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Lektorat Psychologie
Länggass-Strasse 76
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Lektorat: Dr. Susanne Lauri
Redaktionelle Bearbeitung: Cordula Gerndt, München
Herstellung: Daniel Berger
Illustrationen (Umschlag und Innenteil): Marcus Wilke, Berlin
Umschlaggestaltung: Claude Borer, Riehen
Satz: punktgenau GmbH, Bühl
Format: EPUB
1. Auflage 2026
© 2026 Hogrefe Verlag, Bern
(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-96385-3)
(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-76385-9)
ISBN 978-3-456-86385-6
https://doi.org/10.1024/86385-000
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Cover
Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Tyrannicus-Schrumpfkur
Einige Waldtiere stellen sich vor
Der Tag, der alles verändert
Merle überrascht ihre Mutter
Oje, die Hochzeitstorte
So peinlich
Jetzt kann es losgehen!
Unglaublich!
Hatschi!
Lernen, lernen und noch mal lernen
Marsch im Morgengrauen
Die Aufnahmeprüfung
Und, wie war’s?
Das alles habt ihr ohne mich gemacht?
Weihnachten auf dem Dorfplatz
Der Brief ist da!
Willkommen an der Academia!
Dicke Luft!
Ein unangenehmes Gespräch
Auf Entdeckungstour
Die Geige
Neben wem kann ich sitzen?
Helle Aufregung
Auf ins Schwimmbad!
Wir haben dich so vermisst!
Jetzt reicht’s!
Das Konzert
Verzweiflung
Nicht aufgeben!
Der große Nadim
Drama im Speisesaal
Über die Geduld
Freistunde!
Stille: Eiskalt
Die Prüfung kommt zurück
Merle hebt ab
Lottes Geburtstagsparty
Du musst dir keine Sorgen machen
Der große Geigenfrust
Kim
Ein gewagter Sprung
Ein übler Streich
Wer war das?
Zuhören und genießen
Kims Rache
Rauswurf?
Der Verdacht
Du bist doch so gut!
Der Kinoabend
Nur ein flüchtiger Blick
Eine Verzweiflungstat
Einem Verbrechen auf der Spur
Abgeblitzt
Wenn die wüsste …
Merles Tyrannicus
Das gefallene Wunderkind
Jetzt habe ich dich entdeckt!
Es kann losgehen!
Zirkus-Zauber
Eine unerwartete Wendung
Ohne mich wärst du nichts!
Nächtliche Verfolgung
Du veralberst uns!
Ausgezeichnet!
Eine Entschuldigung
Das Beste, das mir je passiert ist
Schubidubiduh!
Bitte nicht!
Wildes Rodeo
Rasante Abfahrt
Alle wären enttäuscht!
Die Turnstunde
Picknick im Wald
Nie wieder!
Eiskalt erwischt!
Das Clownskostüm
Das Geheimnis des Erfolgs
Glück im Unglück
Du schaffst das!
Unerwartete Hilfe
Der große Auftritt
Eine üble Drohung
Alarm!
Handfeste Beweise
Frau Gämses Abschied
Manege frei!
Anhang
Tyrannicus-Schrumpfkur
Übung: Wer ist da, wenn alles schiefgeht?
Übung: Mein Tyrannicus
Übung: Sei dir selbst ein/e Freund/in!
Übung: Den Tyrannicus veralbern
Übung: Mit Anlauf in den Fehlerteich!
Übung: Merle hebt ab (Achtsamkeitsübung)
Übung: Alles nur Glück?
Übung: Was mache ich, wenn es schwierig wird?
Übung: Mit Bewertungen von anderen zurechtkommen
Wissenschaftliche Hintergründe für Erwachsene
Theoretischer Hintergrund der vorgestellten Tyrannicus-Übungen (für Erwachsene)
Ein persönliches Wort an Eltern und Lehrkräfte
Literaturverzeichnis
Die Autorin und der Autor
Der Illustrator
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Die liebenswerte, fleißige und hilfsbereite Ente Merle lebt mit ihrer Mama und den acht kleinen Geschwisterchen in einem winzigen Entenhaus am Teich. Gemeinsam mit ihren Freundinnen und Freunden hat sie schon einige brenzlige Abenteuer erlebt. Und jetzt wartet bereits das nächste!
Die verträumte und fantasievolle Häsin Lotte ist schon ewig mit Merle befreundet. Das Hasenmädchen hat viele tolle Ideen, kann super zeichnen und ist ein riesiger Piraten-Fan.
Die gemütliche Bärin Frieda bringt nichts so leicht aus der Ruhe. Sie ist immer für ihre besten Freunde Merle, Lotte und Jaron da. Familie Bärs Höhle ist außerdem ein beliebter Treffpunkt für die Kinder. Hier gibt es allerlei Leckereien, die Mama und Papa Bär aus ihrer Bäckerei mitbringen.
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Der junge Fuchs Jaron ist der Sohn des Bürgermeisters und lebt in einer großen Villa am Dorfplatz. Letztes Schuljahr wurde er von zwei Fieslingen aus seiner Klasse gehänselt. Zum Glück hatte er Lotte, Frieda und Merle an seiner Seite!
Die strenge Lehrerin Frau Luchs unterrichtet die vierte und fünfte Klasse der Waldschule. Sie kratzt gerne mit den Krallen über die Tafel, um für Ruhe zu sorgen.
Die Academia: Welche Abenteuer warten wohl im Inneren dieses prachtvollen Gebäudes?
Zarte Schneeflocken tanzen vor den Fenstern der kleinen Dorfschule inmitten des Waldes. Winzige Eiskristalle drängen gegen die Scheiben wie heimliche Beobachter. Es ist, als wollten sie auf keinen Fall den schicksalhaften Moment verpassen, der sich jetzt da drin im Klassenzimmer abspielt und der das Leben einer jungen Ente von einer Sekunde auf die andere auf den Kopf stellen wird …
„Was ist los, was ist nur los?“, schießt es Ente Merle durch den Kopf, als ihre Lehrerin, Frau Luchs, sie nach der letzten Schulstunde bittet, noch kurz bei ihr im Klassenzimmer zu bleiben. Das kann nichts Gutes bedeuten! Auf einmal beginnt Merles Herz zu pochen.
„Frieda und Fridolin, ihr bleibt bitte auch noch hier“, ruft Frau Luchs jetzt und zwirbelt ihre Schnurrhaare. Dann raunt sie geheimnisvoll: „Ich muss nämlich etwas Wichtiges mit euch dreien besprechen.“ Merle schiebt ihren Stuhl mit beiden Flügeln an die Bank und steht etwas verloren da. Ihr gefiedertes Hinterteil wackelt hin und her. Aufgeregt sucht sie den Blick ihrer Freundin Frieda. Doch die Bärin zuckt nur mit ihren breiten Schultern.
Sobald der Rest der Tierkinder das Klassenzimmer verlassen hat, winkt Frau Luchs Ente, Bärin und Eule zu sich. Die Lehrerin streckt ihren Rücken durch und drückt ihre Tatzen so fest aufs Pult, dass ihre spitzen Krallen sich ins Holz bohren. „Na, wer von euch ahnt, weshalb ich euch hierbehalten habe?“ Schweigen. Die Stille liegt schwer im Raum. Frau Luchs lehnt sich nach vorne und blickt die drei eindringlich an, während sie jedem von ihnen einen dicken, cremefarbenen Briefumschlag zuschiebt.
14„Was ist das?“ Merle streckt sich und angelt sich mit dem Flügel ihre Briefhülle. Ihre Federn streifen dabei etwas Hartes, Hubbeliges auf dem Umschlag. Es ist ein dunkelroter, runder Klecks aus Wachs, der mit einem feinen A bedruckt ist. „Ein Wachssiegel! Wer schickt so vornehme Post?“ Merle kratzt sich ratlos am Kopf.
„Ich weiß es“, ruft Eule Fridolin auf einmal und rückt seine Brille zurecht. „Der Brief ist von der Academia!“
Plötzlich fühlen sich Merles kurze Entenbeine ganz wabbelig an. „G… geht es etwa u… um die Übertrittsprüfung?“, stammelt sie.
Frau Luchs nickt und breitet feierlich ihre Arme aus. „Ja! Die Academia, die Schule für das gelehrte Tier1, lädt euch drei zur Aufnahmeprüfung ein. Wie ihr wisst, sind die Bedingungen sehr streng, aber ihr seid die drei Besten in der Klasse. Ihr könnt das schaffen! Damit ich euch anmelden kann, brauche ich allerdings bis nächste Woche die Unterschrift eurer Eltern.“
Merles Blick huscht ungläubig zwischen Frau Luchs und dem Briefumschlag hin und her. Wieder bleiben ihre Augen am Wachssiegel mit dem aufgedruckten A hängen. „A wie Academia“, murmelt sie und wendet den Umschlag. Ein Wappen2 und ein Spruch zieren die Briefvorderseite. „Huch! Was steht da?“
15„Pluribus es electus“, entziffert Bärin Frieda den verschnörkelten Schriftzug und blickt fragend auf.
Da reckt Eule Fridolin den Schnabel und erklärt: „Das ist Latein! Es bedeutet: ‚Aus vielen bist du erwählt.‘ Wisst ihr, meine Eltern waren auch auf der Academia! Dieses Wappen hängt sogar im Arbeitszimmer meiner Mutter.“
„Ihr könnt stolz sein, dass ihr diese einmalige Chance bekommt“, schnurrt Frau Luchs, steht auf und öffnet die Tür des Klassenzimmers. Merle watschelt wie ferngesteuert aus dem Raum und vergisst vor lauter Aufregung, sich von ihrer Lehrerin zu verabschieden. „Aus vielen bist du erwählt“, hallt es in ihrem Kopf nach. Eilig marschiert sie weiter durch den langen Flur des Schulhauses und stößt schließlich die Eingangstür auf.
Klirrende Kälte schlägt ihr entgegen. In Sekundenschnelle bildet sich eine Atemwolke vor ihrem Schnabel. Wie die Sonne blendet! Merle blinzelt. Überall glitzert der Schnee, beim Gehen knirscht es unter ihren Schwimmfüßen. Und plötzlich begreift die junge Ente, was soeben passiert ist: Ihr sehnlicher Wunsch, später einmal Medizin zu studieren, um Tierkinderärztin zu werden, könnte in Erfüllung gehen! Schwungvoll dreht sie sich nach ihrer Freundin Frieda um, packt sie mit beiden Flügeln am Fell und hopst auf und ab: „Juhu!“, quakt sie und platzt dabei fast vor Stolz. „Juhu, juhu, juhu! Stell dir vor: wir auf dieser Schule!“
„Autsch, du reißt mir ja das Fell aus!“, brummt Frieda mit einem schiefen Grinsen und legt der aufgeregten Merle ihre Tatze auf den Rücken. 16„Zuerst müssen wir die Aufnahmeprüfung schaffen. Das wird schwierig.“
Merle bleibt stehen. Sofort breitet sich ein nervöses Kribbeln in ihrem Körper aus. Dann blickt sie ihrer Bärenfreundin ernst in die Augen: „Wir. Müssen. Das. Schaffen. Müssen wir einfach! Gleich morgen fangen wir an zu lernen. Ich mache einen Plan für uns.“
„Mhm“, brummelt Frieda und trottet los.
Gemeinsam spazieren die beiden Freundinnen vom Schulgelände, dann über die vereiste Brücke durch den verschneiten Wald. Überall biegen sich die Äste unter der weißen Last. Frieda sinkt so tief in den Schnee, dass das Fell an ihren Beinen und an ihrem Bauch pudrig weiß wird. Merle watschelt, so schnell sie kann, um mit der Bärin Schritt zu halten. „Du, Frieda?“, schnattert sie atemlos. „Ganz ehrlich: Glaubst du, wir schaffen das?“
Die Bärin wiegt nachdenklich den Kopf. „Keine Ahnung, Merle. Letztes Jahr hat niemand aus unserer Schule den Aufnahmetest bestanden. Ich glaube, die Academia nimmt wirklich nur die Allerbesten. Deswegen hätte ich auch nie gedacht, dass Frau Luchs mich überhaupt vorschlägt. Aber wenn jemand von uns dreien das hinkriegt, dann du!“
Da kriecht Merle mit einem Mal ein mulmiges Gefühl in den Magen und verdrängt Freude und Stolz. „Du musst mir versprechen, dass wir zusammenbleiben, Frieda! Ich will auf keinen Fall allein ins Internat.“
Die Bärin lächelt aufmunternd und knufft der Ente freundschaftlich in die Seite: „Jetzt mach dir nicht schon wieder so viele Sorgen.“
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Die Tierkinder der Waldschule haben beim Übertritt zwei Möglichkeiten. Fast alle bleiben in ihrer bisherigen Klasse in der Waldschule und machen später eine Lehre. Ganz wenige wechseln nach einem Aufnahmetest auf das Schulinternat Academia, um anschließend zu studieren.
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Ein Wappen ist ein besonderes Bild oder Zeichen, das zu einer Familie, einer Stadt oder einem Land gehört. Es sieht oft wie ein kleiner Schild aus und zeigt Symbole, Tiere oder Farben, die etwas über diese Familie oder diesen Ort erzählen. Früher haben Ritter Wappen auf ihren Schilden gehabt, damit man sie im Kampf erkennen konnte.
Vor dem kleinen Entenhäuschen bleibt Merle stehen und fischt den Briefumschlag aus ihrer Schultasche. Beim Blick auf das elegante Wappen durchzuckt sie erneut ein Freudenblitz: „Wenn Mama das sieht, wird sie so stolz auf mich sein!“ Sie klopft sich den Schnee von den Schwimmfüßen und öffnet die alte Holztür.
Vertrauter Lärm und Chaos schlagen ihr entgegen. „Gib sie her!“ – „Nein, ich hatte sie zuerst!“, kreischen zwei ihrer kleinen Brüder und zerren an einer Puppe. Am Küchentisch hantieren vier Geschwisterchen mit Wasserfarben, überall tropfen Farbkleckse auf den Boden. Im nächsten Moment stößt ein kleiner Entenflügel aus Versehen das Wasserglas um. „Mamaaaaa! Die hat mein Bild kaputt gemacht!“, heult der Jüngste, hält sein überschwemmtes Kunstwerk in die Luft und rennt zur Entenmutter an den Herd. Und wo stecken die anderen? Ah, unterm Tisch! Die zwei Küken stopfen sich mit ihren Flügelchen Unmengen von Cornflakes in die kleinen Schnäbel.
Merle seufzt. Dann trällert sie betont fröhlich in das Chaos hinein: „Hallo, ich bin wieder da-ha!“ Niemand reagiert. Merle lässt die Flügel sinken. Schließlich geht sie auf ihre Mutter zu: „Mama, du wirst es nicht glauben! Rate mal, was heute passiert ist!“
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Doch Mama Ente ist beschäftigt … so beschäftigt. Sie tätschelt dem laut schluchzenden Jüngsten tröstend den Rücken und versucht gleichzeitig, den Streit um die Puppe zu schlichten.
19Wie soll sie da noch zuhören? Hilfe, jetzt kocht auch noch das Nudelwasser über! Blitzschnell zieht Merle den Topf von der Herdplatte. Aua, heiß!
„Oh, danke, meine Große. Deckst du bitte schnell den Tisch? Das Essen ist bald fertig“, quakt die Entenmutter über den Kopf des Bruders hinweg und reibt sich mit dem Flügel über die müden Augen.
20„Aber, Mama, ich will dir was zeigen! Etwas ganz Wichtiges!“, schnattert Merle.
Die Entenmutter streicht ihrer ältesten Tochter über den Kopf: „Du siehst doch, was hier los ist! Erzähl es mir später.“
Merle schluckt ihre Enttäuschung hinunter. Den Briefumschlag lässt sie vorsichtig zurück in ihre Schultasche gleiten und bringt diese auf einem Regal in Sicherheit. Dann schnappt sie sich einen Lappen, wischt die Farbsuppe vom Boden, hilft den Kleinen, die Malsachen wegzuräumen und deckt den Tisch.
„Menno, schon wieder Nudeln“, nölt der eine. „Wieso gibt es bei uns immer nur Nudeln?“, meckert die andere. Merle füllt alle Schüsseln, während ihre Mutter getrocknete Wurzeln und Kräuter über das Essen streut.
Die Kleinen mampfen in Windeseile. „Dürfen wir raus?“ – „Dürfen wir in den Schnee?“, schnattern sie wild durcheinander. Sie dürfen! Alle acht düsen davon und lassen die leeren Schalen auf dem Tisch zurück. Endlich Ruhe! Jetzt hat auch Mama Ente Zeit, ein paar Nudeln zu schlürfen. Sie lächelt Merle an und schmatzt: „Du wolltest mir doch etwas zeigen?“
Sofort springt Merle auf, zieht den edlen Briefumschlag aus ihrer Schultasche und präsentiert ihn ihrer Mutter. „Lies!“, schnattert sie aufgeregt. Merle beobachtet ihre Mutter genau: Zuerst weiten sich deren Augen, aber dann bildet sich eine steile Falte auf ihrer Stirn. Sie gibt Merle den Brief zurück: „Es ist toll, dass du für diese Schule infrage kommst, meine Große. Aber so ein Internat verlangt bestimmt eine Menge Schulgebühren … Hast du gefragt, wie viel das kostet?“
21Beschämt schaut Merle zu Boden. Ihr Gesicht brennt. „Tut mir leid, daran habe ich gar nicht gedacht“, murmelt sie. Da rückt ihre Mutter mit dem Stuhl näher, krault ihrer Tochter den Nacken und flüstert: „Wir werden sehen. Ich informiere mich bei Frau Luchs über die Kosten und du bereitest dich währenddessen auf die Aufnahmeprüfung vor. Einverstanden?“ Eilig watschelt Mama Ente in den Flur, nimmt das alte Schnurtelefon3 von der Wand und dreht die Wählscheibe.
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Um zu telefonieren, hatte man früher keine Handys, sondern fest installierte Telefonapparate an der Wand. Diese hatten auch keine Tasten, sondern eine Wählscheibe, auf der die Ziffern von 0 bis 9 abgebildet waren. Man nahm den Hörer in die Hand und hörte zuerst ein durchgehendes Tuten. Dann steckte man einen Finger in die runde Öffnung der entsprechenden Ziffer und drehte sie eine nach der anderen im Uhrzeigersinn, bis die gesamte Telefonnummer eingegeben war.
Gespannt steht Merle neben ihrer Mama im Flur und lauscht. Außer einem Tut – Tut – Tut ist nichts zu hören. „Frau Luchs ist nicht zu Hause. Wir versuchen es später noch mal“, schnattert die Entenmutter und legt auf.
Merle spürt einen drückenden Kloß im Hals. Falls die Academia wirklich Schulgeld verlangt, wird ihre Familie sich das niemals leisten können. Während ihre Geschwister draußen im Schnee tollen und Mama die Küche aufräumt, verkrümelt sich die junge Ente ins Kinderzimmer und nimmt den Brief der Academia genauer unter die Lupe.
Auf der Rückseite der Einladung findet sie eine endlose Liste mit Themen, die es für den Aufnahmetest vorzubereiten gilt: Mathe, Deutsch, Tier und Umwelt, Gesellschaft und Geschichte. „Uff, was für ein Berg! Und vieles wurde bei Frau Luchs im Unterricht noch gar nicht besprochen. Wie soll ich das in vier Wochen schaffen?“ Merle spürt, wie sich ein unangenehmer Druck auf ihren Magen legt und ihr übel wird. „Nicht reinsteigern!“, ermahnt sie sich innerlich, kann sich aber nicht beruhigen. Also tut sie das, was ihr bisher bei Prüfungen immer geholfen hat: Sie macht sich einen Plan und notiert genau, was sie an welchem Tag lernen muss, um den ganzen Stoff zu bewältigen. „Ach du schleimige Schnecke!“, murmelt sie. Schon jetzt schwirrt ihr der Kopf, wenn sie den dicht beschriebenen Lernplan betrachtet.
Pflatsch! Ein Geräusch lässt die Ente hochschrecken. Das kam vom Fenster! Tatsächlich: Die Reste eines frischen Schneeballs kleben an der Scheibe. Merle springt auf und öffnet das Fenster. Pflatsch! 23Ein monströser Schneeball landet direkt auf ihrer Schnabelspitze und bleibt wie eine Clownsnase dort stecken. „Aah!“, gurgelt es in ihrem langen Entenhals, während sie das Gleichgewicht verliert und nach hinten umkippt. Kalt! Nass! Unangenehm! Merle sitzt auf ihrem Hinterteil und schüttelt sich.
„Ups! Sorry!“, dringt die Stimme von Merles Freundin Lotte herein. Schon hüpft die junge Häsin mit einem Satz von draußen ins Zimmer. Sie landet auf dem Matratzenlager der kleinen Entenküken und streift sich den Schnee von den Hinterläufen.
„Hast du sie noch alle?“, quakt Merle entrüstet und wedelt mit den Flügeln den feuchten Schnee von den Bettlaken.
„Ist doch nur Wasser“, gluckst Lotte. Jetzt erscheint auch Friedas Bärenkopf im Fensterrahmen. „Kommt ihr? Mein Papa wartet schon auf uns.“
Merle nickt, schließt das Fenster und eilt mit Lotte zur Tür. „Tschüss, Mama, bis später“, ruft sie und tritt raus in die Kälte.
Endlich wieder Plätzchenzeit! Merle läuft schon das Wasser im Schnabel zusammen, wenn sie daran denkt, welche köstlichen Leckereien sie wie jedes Jahr in der Konditorei Bärentatze backen wird. Zimtsterne, Vanillekipferl, Spitzbuben und Haselnussmakronen … Lecker!
Lotte hoppelt ausgelassen voraus durch den Tiefschnee, dreht sich dann aber zu Merle und Frieda um und zieht sich die Löffel auf die Schultern: „Frieda hat mir erzählt, dass ihr diese Aufnahmeprüfung machen wollt. Ihr wisst aber schon, dass ihr meine allerbesten Freundinnen seid, oder? Wollt ihr echt beide auf diese Schule?“
24Es wird unangenehm still zwischen den drei Freundinnen, die sich sonst immer so viel zu erzählen haben. Merle knetet ihre Flügel und stammelt: „Na ja, wahrscheinlich klappt es sowieso nicht. Die Prüfung ist voll schwer. Das ist fast nicht zu schaffen.“
Da legt Lotte ihren Kopf schief und zieht die Hasennase kraus: „Du packst das bestimmt! Du hast ja immer super Noten.“
Frieda schlingt ihre starken Bärenarme von links und rechts um ihre beiden Freundinnen und brummelt: „Können wir über was anderes reden? Die Schule ist doch für heute aus. Jetzt ist erst mal Plätzchenzeit! Ich backe mir dieses Jahr einen Monster-Lebkuchen!“
Doch die Stimmung bleibt kühl wie der Winterwind, der allen dreien in die Knochen kriecht. Häsin Lotte knirscht leise mit den Zähnen. „Die ist bestimmt sauer“, denkt Merle bang und wendet den Blick ab.
Zu dritt marschieren sie weiter durch den tiefen Schnee, vorbei an weiß eingehüllten Tannen und Fichten. Bärin Frieda pfeift die Melodie von „In der Weihnachtsbäckerei“, während Lotte und Merle einander anschweigen.
Vor dem zugefrorenen Brunnen am Dorfplatz wartet Fuchs Jaron auf sie. „Da seid ihr ja!“, ruft er. „Was wollte die Luchs denn von euch? Habt ihr Ärger bekommen?“
Häsin Lotte zupft Jaron am Arm und zieht ihn energisch in Richtung Backstube. „Die wollen auf irgend so ein Internat – ohne uns!“
Der junge Fuchs bleibt unvermittelt stehen und lächelt. „Echt? Ihr dürft auf die Academia? Dort muss es soooo cool sein! Ich habe gehört, dass die sogar ein eigenes Schwimmbad haben.“
25Merle atmet erleichtert auf und denkt: „Puh, wenigstens ist Jaron nicht sauer.“
Endlich sind die Tierkinder an der Konditorei Bärentatze angelangt. Frau Bär winkt ihnen schon durch das Schaufenster zu. Klingeling tönt die Ladenglocke, als Fuchs Jaron die Tür aufschiebt.
„… und dann nehme ich noch 36 Schokoküsse und 12 Stück Schwarzwälder Kirschtorte“, grunzt Herr Wildschwein, der zuvorderst in der Schlange steht. Während Mama Bär die Leckereien für den Kunden verpackt, nickt sie den Kindern zu und brummt: „Ihr könnt schon nach hinten durchgehen. Wie immer Pfoten waschen und Hauben4 aufsetzen, bevor ihr die Backstube betretet.“
Kurz darauf stehen Ente, Häsin, Bärin und Fuchs mit Bäckerhauben auf dem Kopf vor Papa Bär. In der Backstube duftet es köstlich nach gerösteten Haselnüssen, gebrannten Mandeln, Zimt und Honig. In der Ecke surrt eine gigantische Rührmaschine.
Wumms! Papa Bär knallt eine hellgelbe Teigmasse auf den Backtisch und knetet sie mit seinen mächtigen Pranken durch. „Da sind ja meine Hobbybäcker! Heute kümmern wir uns zuerst um die Butterplätzchen.“ Ruckzuck teilt er den Teig in handliche Stücke, pudert die Arbeitsfläche mit Mehl ein und reicht jedem Kind ein Nudelholz. Freudig machen sich die vier ans Werk. Während Merle den Teig gleichmäßig auswallt, sorgfältig Sterne, Tannenbäume und Glocken aussticht und sie bei der kleinsten Unebenheit wieder auf die Teigkugel zurückpatscht, verzichtet Lotte auf Ausstechformen. Stattdessen schwingt sie ihr Taschenmesser in den Hasenpfoten 26und schneidet freihändig Piratensäbel, Totenköpfe und Schiffe aus. So füllen sich nach und nach die ersten Bleche.
Mmmmh … Merle schließt die Augen und atmet den süßen Duft ein. Es wird ihr warm ums Herz, wenn sie daran denkt, wie sehr sich ihre Geschwister und Mama über die Plätzchen freuen werden!
Während die Butterkekse im Ofen bräunen, streift Häsin Lotte durch die Backstube und bleibt vor der mächtigen Rührschüssel stehen. „Was ist da drin?“, fragt sie neugierig und schnuppert.
Papa Bär lächelt verschmitzt: „Eine Überraschung! Ich darf leider noch nichts verraten.“
Nun schlendern auch Frieda, Jaron und Merle zur Rührmaschine und begutachten den dünnflüssigen, hellbraunen Teig, der von einem automatischen Schneebesen langsam durchgerührt wird. „Der kommt bestimmt in die Herzformen da drüben“, flüstert Fuchs Jaron und deutet mit seiner spitzen Schnauze auf elf Kuchenformen, die der Größe nach auf einem Tisch bereit liegen. „Sieht nach Hochzeitstorte aus.“
„Elfstöckig?“, staunt Frieda, nachdem sie die Formen gezählt hat. „Wer bestellt denn so eine riesige Torte? Sag schon, Papa! Heiratet jemand aus dem Dorf?“
„Ich weiß von nichts“, gluckst Papa Bär mit einem Augenzwinkern.
Plötzlich entdeckt Merle etwas aus dem Augenwinkel. „Das kann doch nicht … Das wird doch nicht …“ Neugierig tritt sie ans Regal und weist die anderen aufgeregt auf zwei Marzipanfiguren hin. Eine Braut und ein Bräutigam – und die ähneln verdächtig ihrer 27Lehrerin Frau Luchs und dem Buchhändler Darko Pikowitz Schnuckenack! Häsin Lotte prustet als Erste los: „Die Luchs heiratet den Schnucki!“
„Das ist noch geheim!“, schmunzelt Papa Bär. „Und jetzt Schluss mit den Gerüchten. Ich hole die Nüsse aus dem Lager.“ Er schaltet das riesige Rührgerät aus, zieht den Schneebesen aus dem Teig und verschwindet. Frieda wartet, bis die Tür hinter ihrem Vater ins Schloss gefallen ist. Dann taucht sie blitzschnell eine Kralle in den Kuchenteig, schleckt sie ab und schwärmt: „Ooah, ist das gut!“
Merle schüttelt den Kopf: „Ach, Frieda! Rohen Teig soll man nicht essen! Davon kannst du krank werden!“ Da drängelt sich schon Lotte vor: „Ich will auch!“ Sie versucht, mit ihrer Hasenpfote den Teig zu erreichen, doch die Schüssel ist zu groß. Also hüpft sie hoch und stützt sich mit beiden Pfoten auf dem Schüsselrand ab. Voller Vorfreude leckt sie sich übers Maul, beugt sich vor, streckt die Pfote aus und … fällt kopfüber in den Teig!
28„Hilfe!“, prustet sie, als sie wieder aus der braunen Masse auftaucht. Blitzschnell angelt Frieda die Häsin aus der Schüssel und stellt sie zurück auf den Boden. Der Kuchenteig tropft wie Schlamm überall aus Lottes Fell.
„Oh nein!“, denkt Merle und presst den Schnabel zusammen. „Die schöne Hochzeitstorte!“
„Was ist denn hier passiert?“ Papa Bärs laute tiefe Stimme lässt alle vier Tierkinder schlagartig zusammenzucken.
4
Bevor man eine Backstube betritt, muss man eine Bäckerhaube oder ein Haarnetz aufsetzen, damit nicht aus Versehen Haare in den Teig fallen.
Merle, Frieda, Jaron und die teigverschmierte Lotte stehen in der Backstube und blicken schuldbewusst zu Boden. Doch da beginnt Papa Bär schallend zu lachen. Er schüttelt den Sack voller Haselnüsse in seiner Pranke und witzelt: „Dann wird es eben keine Hasel-Nuss-Torte, sondern eine Hasen-Nuss-Torte.“ Nun müssen auch die Kinder grinsen.
„Am besten rubbelst du dir den Teig mit Schnee aus dem Fell, Lotte“, meint Papa Bär und öffnet die Hintertür. Langsam tapst die tropfende Häsin nach draußen. „Ich helfe dir“, quakt Merle sofort und watschelt hinterher.
Die junge Ente verpasst dem Hasenmädchen eine kräftige Schneedusche. Bald steht Lotte in einer graubraunen Pfütze und ihr Fell wird wieder sichtbar.
„So peinlich … “, schämt sie sich. „Zum Glück hat Papa Bär nicht geschimpft.“
„Das kann doch jedem passieren“, tröstet Merle. „Das muss dir nicht peinlich sein.“
Da schließt das Hasenmädchen die Ente in eine klebrige Umarmung und murmelt: „Du bist echt eine super Freundin, weißt du das? Ich werde dich so vermissen, wenn du auf das Internat gehst.“
„Bist du sauer auf mich, wenn ich die Aufnahmeprüfung für die Academia versuche?“, flüstert Merle.
30Die Häsin drückt die Ente noch fester an sich. „Nein, nicht sauer … nur traurig. Aber eigentlich freue ich mich für Frieda und dich. Ihr müsst mir nur versprechen, am Wochenende immer nach Hause zu kommen.“
Da steckt Fuchs Jaron den Kopf aus der Tür und ruft: „Kommt ihr? Die Butterplätzchen sind fertig.“
Arm in Flügel marschieren die beiden Freundinnen zurück in die Backstube. Raus aus der Kälte, rein in die wohlige Wärme! Frieda steht vor dem Ofen, ihre Pranken in dicken, dunkelgrünen Backhandschuhen. Vorsichtig nimmt sie die heißen Bleche heraus und stellt sie zum Auskühlen auf ein Gitter.
Papa Bär steht neben der Rührmaschine und kratzt sich am Ohr. Dann mustert er die frisch gesäuberte Häsin. „Gut, jetzt haben wir den Teig aus der Lotte bekommen, aber wie bekommen wir die Lotte aus dem Teig?“, brummt er und fischt mit seiner Tatze ein Büschel Hasenhaare aus der Schoko-Nuss-Masse. So kann das nicht bleiben!
Zum Glück hat Frieda, ganz die Bäckerstochter, die zündende Idee. Sie nimmt ein Metallsieb vom Haken und zieht es durch den Teig. Zufrieden zeigt sie den anderen, wie sich einige Fellbüschel darin verfangen haben. Mission Teigrettung geglückt!
Was für ein wunderbarer Tag in der Backstube! Als Merle in der Dämmerung mit prall gefüllten Keksdosen nach Hause kommt, brechen ihre acht Geschwister in Jubel aus. Doch damit nicht genug: Mama Ente hat in der Zwischenzeit mit Frau Luchs telefoniert und erfahren, dass die Academia keine Schulgebühren erhebt – nur Spenden der Eltern werden gern gesehen. Merle atmet erleichtert auf. Jetzt wird es ernst. Jetzt heißt es Vollgas geben!
Ab sofort sitzt die Ente jeden Tag nach der Schule bei Frieda in der Bärenhöhle und lernt, bis ihr der Kopf raucht. Sogar am Wochenende! Mama und Papa Bär versorgen die beiden Tierkinder abwechselnd mit Kuchen, belegten Brötchen und Pizzaschnecken.
So auch heute Nachmittag. Gerade greift Merle nach einem Schoko-Muffin und schiebt ihn sich in den Schnabel, während ihr Blick weiter konzentriert über die Seiten ihres Geschichtsbuchs gleitet. Bärin Frieda hingegen streckt die Vorderbeine in die Luft und gähnt: „Es ist Wochenende und wir lernen schon seit vier Stunden. Komm, wir machen Schluss und kümmern uns morgen um das nächste Thema.“ Sie spießt zwei Pizzaschnecken mit ihren lila lackierten Bärenkrallen auf und schiebt sich beide auf einmal ins Maul.
Merle spreizt ihre Flügel, lässt die verspannten Schultern kreisen und murmelt: „Aber wir haben nicht mal die Hälfte vom heutigen Tagesplan geschafft. Wir können uns keine Pause leisten.“ Wieder spürt sie dieses beklemmende Gefühl in ihrer Brust.
32
Doch Frieda hat ihre Augen geschlossen und schubbert genüsslich ihren Rücken am Bettgestell. „Ach komm, wir müssen doch nicht alles so genau wissen.“
33Merle ringt nach Worten. Mit einem Mal kommt sie sich vor ihrer besten Freundin klein und dumm vor. „Wieso schafft Frieda es nur, so cool zu bleiben? Sie hat doch selbst gesagt, dass die Aufnahmeprüfung schwierig wird?! Nur ich mache mir wieder so einen Stress“, ärgert sich die Ente im Stillen.
Da patscht sich Frieda mit beiden Bärentatzen auf ihre Oberschenkel und grinst die Ente an: „Bevor ich’s vergesse … Lotte und Jaron wollen heute Nachmittag ein Iglu bauen. Ich habe versprochen, dass wir auch kommen.“
In Merle zieht sich schlagartig alles zusammen. „Was?! Du willst dir den ganzen Nachmittag freinehmen? Und wenn wir deswegen durchfallen?“, schnattert sie.
Die Bärin zuckt mit den Schultern und klopft sich die Pizzakrümel aus dem Fell. „Es bringt doch nichts, wenn man nichts anderes mehr tut als zu lernen. Ich gehe auf jeden Fall Iglu bauen. Schau mal, wie herrlich es draußen schneit!“ Sie steht auf und hält Merle die Pranke hin, um ihr aufzuhelfen.
Unschlüssig betrachtet die Ente das so vertraute zottelige Fell und die lila lackierten Krallen. Wie gerne würde sie jetzt hinaus ins Schneegestöber und einen schönen Nachmittag mit ihren besten Freundinnen verbringen! Immerhin hat Lotte ihr bereits vorgeworfen, sie ließe sich in letzter Zeit gar nicht mehr blicken. Aber verstehen die anderen denn nicht, dass es jetzt um alles geht?
„Ich … ich kann leider nicht mit. Ich muss nach Hause“, haucht Merle atemlos und stopft die Unterlagen mit beiden Flügeln in ihre Tasche. Im Vorbeigehen presst sie ein kurzes „Ciao, bis morgen“ heraus und stapft an der verwunderten Bärin vorbei aus der Höhle.
34Schnurstracks watschelt Merle in Richtung Entenhäuschen. Den ganzen Weg wirbeln Schneeflocken vor ihren Augen. Beim Gedanken daran, welchen Spaß sie heute verpassen wird, kommen ihr fast die Tränen. Aber da ist dieser Antrieb in ihr, der sie nicht zur Ruhe kommen lässt: „Die vier Wochen bis zur Prüfung kann man sich ja wohl mal zusammenreißen. Wenn du die Aufnahmeprüfung bestehen willst, musst du alles können! Und zwar ganz genau!“
Wenig später sitzt Merle zu Hause im Kinderzimmer über den Büchern und versucht, sich zu konzentrieren. Sie hat schlechte Laune. Frieda ist ohne sie losgezogen, um mit Jaron und Lotte zu spielen. Und ihre Geschwister sind laut und wollen ständig etwas von ihr. „Jetzt seid mal leise!“, kreischt sie irgendwann verzweifelt und reibt sich die pochenden Schläfen. Aber die kleinen Enten sind nicht leise. Hilflos sitzt Merle inmitten des Tumults und denkt: „Wenn ich doch nur ein eigenes Zimmer hätte wie Frieda oder Lotte!“
Aufstehen, Schule, lernen, schlafen … Aufstehen, Schule, lernen, schlafen … So reiht sich ein Tag an den anderen. Auch heute sitzen Merle und Frieda im Zimmer der Bärin auf dem Teppich, inmitten einer Flut aus Bücherstapeln und Bergen voller Lernkarten. „Ich muss los zum Ballett“, brummt die Bärin irgendwann, nimmt ihre Sporttasche vom Haken und fischt ihre rosa Ballettschuhe und das weiße Trikot aus der Kommode. Merle schüttelt verwundert den Kopf: „Du gehst echt zwei Wochen vor der Prüfung zum Ballett? So werden wir nie rechtzeitig fertig!“
Die Bärin wirft ihre Sachen seelenruhig in die Sporttasche und meint: „Ich will auch noch Zeit für meine Hobbys haben.“
In Merle keimen Frust und Enttäuschung auf. „Du nimmst das alles gar nicht ernst!“, entfährt es ihr schroff.
Frieda rümpft die Schnauze und zieht die Schultern hoch. „Immer nur büffeln ist nichts für mich und Mama meint auch, dass man einen Ausgleich zum Lernen braucht. Für mich ist das eben Ballett.“ Die Bärin grinst, dreht eine elegante Pirouette und verbeugt sich.
Doch Merle ist nicht nach Lachen zumute. „Du hast versprochen, dass wir das gemeinsam schaffen! Wenn wir jetzt nicht Gas geben, klappt das mit der Aufnahmeprüfung nie!“
„Jaja … Wir haben doch noch zwei Wochen Zeit. Musst nicht gleich wieder in Panik ausbrechen“, brummelt Frieda und wirft sich die Sporttasche über die Schulter.
36Tief getroffen starrt die Ente ihre Freundin an. Tränen brennen in ihren Augen.
„Ich hab‘s nicht so gemeint“, murmelt Frieda und streckt zögerlich die Pranke aus. Aber die Ente weicht zurück. „Doch, hast du!“ Ohne ein weiteres Wort rafft sie ihre Sachen zusammen und flüchtet aus der Bärenhöhle.
Es dämmert bereits, als die Ente bei der alten Eiche vorbeikommt. Hier setzt Merle sich in den hartgefrorenen Schnee und schluchzt in die Dunkelheit hinein. Niemand versteht sie. Niemand sieht, wie wichtig diese Prüfung ist und dass sie auf keinen Fall versagen darf. Irgendwann trottet die kleine Ente bibbernd nach Hause. Die Kälte lässt sie nicht mehr los.
Am nächsten Morgen erwacht Merle frierend in ihrem Bett. Ihr Kopf glüht. Und was ist das für ein unangenehmes Kratzen im Hals? Sie wird doch nicht etwa krank? Das kann sie sich jetzt wirklich nicht leisten! Kraftlos schleppt sie sich in die Küche. Ihre Mutter deckt bereits den Frühstückstisch. Müde lässt sich die junge Ente auf einen Stuhl plumpsen. Ihre Flügel fühlen sich schwer an, die Muskeln schmerzen bei jeder Bewegung.
„Guten Morgen, Liebes!“, trällert Mama Ente. Aber beim Anblick ihrer Tochter verstummt sie, watschelt eilig herbei und legt ihr den Flügel an die Stirn. „Ach, mein Kind, du hast ja ganz glänzende Augen – und einen heißen Schädel. Du brütest etwas aus! Ab ins Bett mit dir. Ich entschuldige dich bei Frau Luchs.“
Wie gerne würde Merle sich unter ihrer Bettdecke verkriechen! Aber sie räuspert sich nur und antwortet halbherzig: „Ne, Mama! Ich hab nur schlecht geschlafen. So kurz vor der Prüfung will ich nicht fehlen.“
Die Entenmutter schnalzt mit dem Schnabel: „Mir wäre es lieber, du würdest dich mal richtig ausruhen.“ Dann verschwindet sie, um die Kleinen zu wecken.
Merle zieht ihre Frühstücksschüssel zu sich und schiebt sich ein paar trockene Körner in den Schnabel. Ah! Wie das im Hals kratzt! Nur mit Mühe kann sie das Husten unterdrücken. Obwohl sie keinen Hunger hat, zwingt sie ihre Portion hinunter. Sie wird die Energie heute noch brauchen!
Wenig später sitzt die kranke Ente mit glasigen Augen im Matheunterricht und starrt auf die Rechnung an der Tafel. „Hatschi!“ Zerknüllte Taschentücher türmen sich vor ihr auf dem Tisch. Häsin Lotte wirft ihr von der Seite einen leicht angewiderten Blick zu.
„Na, wer weiß die Lösung?“, schnurrt Frau Luchs und trommelt mit den Krallen aufs Pult. „Niemand sonst? Dann eben noch mal du, Merle.“ Die Ente nennt mit belegter Stimme den Lösungsweg. Daraufhin nickt die Lehrerin: „Richtig. Aber willst du nicht lieber nach Hause gehen? Du hast einen dicken Schnupfen und steckst mir am Ende noch alle an.“
„Nur noch diese Stunde, Frau Luchs, ich gehe dann in der großen Pause“, quakt Merle und klaubt die feuchten Taschentücher zusammen. „Danach ist eh Sport, da verpasse ich nichts Wichtiges und kann zu Hause noch was für den Aufnahmetest machen“, beruhigt sie sich in Gedanken.
39Als es zur großen Pause klingelt, packt die Ente ihre Schultasche. Die nassen Stofftaschentücher knautscht sie mit den Flügeln zu einem Klumpen zusammen und stopft ihn in das Seitenfach. „Hatschi!“ Schon wieder muss sie niesen.
„Gesundheit! Du hast da noch Schnodder am Flügel … voll eklig“, gluckst Lotte und rümpft die Hasennase. Doch dann zückt sie ein frisches Stofftaschentuch und säubert der Ente damit das Gefieder. Anschließend machen sie sich gemeinsam auf den Weg Richtung Pausenhof.
Endlich draußen! Die eisige Luft im Hof kühlt Merles fiebrigen Kopf und brennt in ihren Lungen. Ganz in der Nähe entdeckt sie Frieda, die den Fuchs Jaron mit einem riesigen Schneeball jagt. Dieser rennt johlend weg und sucht Deckung hinter dem großen Kastanienbaum. „Auf dem Pausenhof werden keine Schneebälle geworfen!“, brüllt Herr Wildschwein, der Hausmeister, vom Eingang her und stemmt die Klauen in die Hüfte. Frieda nickt ihm zu. Dann dreht sie sich grinsend zu Jaron, hält die Schneekugel über den Fuchs und zerdrückt sie in ihren Pranken. Der pudrige Schnee hüllt den Fuchs ein. Dieser schüttelt sich kräftig und lacht: „Danke für die Abkühlung!“
Merle watschelt auf die Bärin zu und schnattert: „Hey, Frieda? Das war echt blöd gestern … Aber sehen wir uns heute Nachmittag trotzdem bei dir? Wir haben noch einiges aufzuholen. Ich geh bis dahin nach Hause und ruh mich ein bisschen aus.“
„Äh … komm mal kurz mit“, brummelt die Bärin, greift Merle sanft am Flügel und geht mit ihr zum Schultor am anderen Ende des Pausenhofs. „Ich muss dir etwas sagen … Ich mache diese Prüfung jetzt doch nicht.“
40„Was?!“, kreischt Merle und reißt die Augen auf. „Du kannst doch jetzt nicht aufgeben!“
Die Bärin schüttelt den Kopf, wobei feine Schneeflocken zu Boden rieseln. „Ich gebe nicht auf. Ich habe mich entschieden. Die Lernerei wird mir einfach zu viel. Das geht doch an der Academia dann so weiter. Außerdem möchte ich später Ballettlehrerin werden oder die Konditorei Bärentatze übernehmen. Und dafür brauche ich das Gymnasium nicht.“
Merle starrt ihre Freundin mit offenem Schnabel an. Es ist, als hätte ihr jemand in den Bauch geboxt. „Du kannst mich doch jetzt nicht allein lassen! Das kannst du doch nicht machen“, schluchzt sie.
„Tut mir leid. Du kannst aber trotzdem bei uns in der Bärenhöhle lernen, damit du deine Ruhe hast“, tröstet Frieda und schließt die kleine Ente in eine dicke Bärenumarmung.
Doch Merle ist vor Enttäuschung wie betäubt. Stocksteif liegt sie in Friedas Armen. Dann befreit sie sich aus der Umarmung, wischt sich mit dem Flügel über die Augen und blafft: „Dann mach ich es halt allein!“ Sie dreht sich um und stapft davon.
Die Ente lässt den Lärm des Pausenhofs hinter sich. Mit energischen Schritten marschiert sie am zugefrorenen Seerosenteich vorbei. „Wie gemein! Wir wollten das doch gemeinsam schaffen! Und jetzt kneift Frieda. Das machen beste Freundinnen nicht. So was macht man einfach nicht!“ Heiße Wut pocht unter ihrem Gefieder und lässt sie trotz Kälte schwitzen. Doch dann wird die Wut schlagartig von einem anderen Gefühl verdrängt: Angst. „Muss ich jetzt ohne Freundin zur Aufnahmeprüfung? Allein an eine neue Schule, wo 41ich fast niemanden kenne? Ich schaffe das alles nicht!“ Auf tattrigen Beinen kämpft Merle sich die letzten Meter durch den Schnee zum Entenhäuschen. Zu Hause angekommen, ist sie erleichtert, dass niemand da ist. Niemand, der Fragen stellt, niemand der sie aufmuntern will. Sie verkriecht sich im Bett und zieht sich die Decke über den Kopf.
Fünf Tage lang hütet Merle krank das Bett. Die Zeit bis zum Aufnahmetest zerrinnt ihr zwischen den Flügeln.
Merle lernt und lernt.
Sie lernt, bis ihr Kopf voll und schwer ist.
Sie lernt, bis ihre Schläfen pochen und die Augen brennen.
43Sie lernt, bis ihr Nacken und ihre Schultern so verspannt sind, dass sie kaum noch sitzen kann.
Abends wälzt sie sich im Bett und denkt an alles, was sie noch nicht weiß.
Morgens wacht sie mit klopfendem Herzen auf: „Was ist, wenn ich nicht bestehe? Was ist, wenn alles umsonst war? Frau Luchs wäre so enttäuscht!
Es muss einfach klappen!“
In der Nacht vor dem Aufnahmetest liegt Merle regungslos in der Dunkelheit und lauscht dem Ticken ihres Weckers. Ticktack-ticktack. Seit Stunden ist sie wach. Die Müdigkeit lastet wie ein schwerer Mantel auf ihrem Gefieder. „Wenn ich jetzt nicht endlich einschlafe, kann ich mich nachher bei der Aufnahmeprüfung bestimmt nicht konzentrieren!“ Merle schließt die Augen und versucht, sich mit ein paar tiefen Atemzügen zu beruhigen. Hatte ihre Mutter nicht gesagt, sie solle einfach an etwas Schönes denken, um sich abzulenken? Mit aller Kraft versucht Merle, die Erinnerung in sich wachzurufen, wie sie im Sommer ausgelassen mit Lotte und Frieda in den Seerosenteich gesprungen ist. Die warme Sonne auf ihrem Gesicht, die quakenden Frösche ringsherum. Doch das Bild zieht schnell vorbei. Zwanghaft kreisen ihre Gedanken wieder um den Test und eine Befürchtung jagt die nächste.5
45Merle streckt ihre Beine und spreizt die verkrampften Schwimmfüße. „Schlaf endlich!“, schimpft sie sich innerlich. Doch da klingelt schon der Wecker. Dring! Blitzschnell schaltet Merle ihn aus, damit ihre jüngeren Geschwister nicht aufwachen, bevor ihre Tante zum Babysitten eintrudelt. Benommen und verspannt schält sie sich aus ihrer Decke und schleicht aus dem Zimmer. Auf dem Küchentisch steht eine Schachtel mit Cornflakes und eine Schale mit frischem Schneckenschleim. Daneben liegt ein Zettel:
Merle seufzt und streicht mit dem Flügel über die Notiz. „Mama weiß gar nicht, wie schwierig diese Prüfung ist, sonst würde sie so etwas nicht schreiben. Warum meint sie immer, dass ich alles kann? Sie ist bestimmt total enttäuscht, wenn ich es nicht schaffe.“ Plötzlich schnürt es der jungen Ente den Hals zu.
Da ist er jetzt: der Tag, auf den sie so lange hingearbeitet hat! Und sie sitzt allein am Frühstückstisch und grübelt. Frieda ist sie die beiden letzten Wochen aus dem Weg gegangen. 46Und zu allem Übel hat sie sich gestern auch noch mit Lotte gestritten. Eigentlich hatte die Häsin nur gesagt, wie sehr sie sich freut, wenn diese Prüfung endlich vorbei ist und Merle wieder Zeit hat. Aber sie musste so etwas Dummes antworten. „Ich mache wenigstens etwas aus mir!“, äfft sich die Ente in Gedanken nach. Wieder sieht sie Lottes zuerst verwunderten, dann abschätzigen Blick vor sich. Und wie das Hasenmädchen dann die Pfoten in die Hüften stemmte und schrie: „Wenn du vom vielen Lernen so doof wirst, dann ist es besser, wenn du durchfällst. Dann wirst du wenigstens wieder normal!“
Merle pocht der Schädel. Wäre der Test doch nur schon vorbei. Gedankenverloren schaufelt sie ihre Cornflakes in den Schnabel und kontrolliert zum dritten Mal, ob sie die Einladung zur Prüfung eingepackt und genügend Ersatzstifte in ihr Federmäppchen gesteckt hat. Alles da! Auf geht’s! Immerhin hat sie einen langen Marsch durch das Schneegestöber vor sich: Ganze drei Stunden benötigt sie zu Fuß bis zur Academia. Gerne wäre sie den Weg vorher einmal abgelaufen, zur Sicherheit, aber dann hätte sie noch weniger Zeit gehabt, um sich vorzubereiten. Mama Ente meinte aber, die Academia sei nicht zu verfehlen – Merle muss nur den Weg nehmen, der aus dem Dorf herausführt und diesem folgen. Könnte sie doch nur schon richtig fliegen, dann wäre das kein Problem!
Die junge Ente plustert ihr Gefieder auf, schnallt sich ihre Schultasche auf den Rücken, schaltet das Licht aus und öffnet die Tür in die Dunkelheit hinaus. Frostiger Wind jagt dicke Schneeflocken in den Flur. „Brrr, ist das eisig!“, denkt sie und blinzelt. „Hoffentlich komme ich bei dieser schlechten Sicht nicht vom Weg ab!“
47Die Ente tritt ins Freie und watet durch den tiefen Schnee. Was ist das da vorne? Drei Gestalten bewegen sich auf sie zu! „Das ist doch Frieda! Mit Lotte und Jaron! Was machen die denn so früh hier draußen?“
„Merle!“, schreit Lotte gegen den Wind und hopst in die Höhe. Frieda und Jaron winken. „Wir können dich doch den weiten Weg nicht allein gehen lassen“, empfängt die Häsin die Ente lächelnd und rubbelt ihr über den Kopf. Erleichtert schmiegt Merle sich an ihre Hasenfreundin und flüstert: „Tut mir leid, dass ich gestern so blöd zu dir war. Es ist einfach alles so stressig.“
„Vergeben und vergessen“, mümmelt Lotte und zwinkert ihr zu.
„Bärentaxi“, brummelt Frieda und nickt über ihre Schulter. „Nicht, dass du schon vor der Prüfung müde bist vom langen Marsch.“ Dankbar klettert die Ente auf den Rücken der Bärin und hält sich am zotteligen Fell fest. „Du zitterst ja!“, bemerkt Jaron nach einer Weile. Der Fuchs zieht seine dicke Winterjacke aus und reicht sie Merle. „Danke. Ich konnte nicht schlafen, vielleicht ist mir deswegen so kalt. Und ein bisschen nervös bin ich auch.“
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