DuMont Welt-Menschen-Reisen Für alles um die Welt - Waltraud Hable - E-Book

DuMont Welt-Menschen-Reisen Für alles um die Welt E-Book

Waltraud Hable

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Beschreibung

Mit den E-Books der DuMont Welt - Menschen – Reisen sparen Sie Gewicht im Reisegepäck und können viele praktische Zusatzfunktionen nutzen!

Das E-Book basiert auf: 1. Auflage 2021, Dumont Reiseverlag

Das Bauchgefühl sagt: Los!
„Wenn ich in meinem alten Job und in meinem alten Leben bleibe, dann verhungere ich emotional. “ Journalistin Waltraud Hable hat auch nach einer einjährigen Weltreise nicht mit dem Fernweh abgeschlossen. Also zieht sie wieder los: ohne Rückflugticket und ohne Scheu, unterwegs auch ein paar neue Jobs auszuprobieren. Sie putzt Klos auf Hawaii, landet als freiwillige Helferin in einem Sterbehaus in Indien und checkt zur Rangerausbildung im südafrikanischen Busch ein. Und dazwischen? Versucht sie, ihren Träumen treu zu bleiben und ihre Definition von alles zu leben. Ein Zick-zack-Trip durch die Welt, in dem geflucht, geliebt, gezweifelt und gelacht wird. Wie das eben so passiert, wenn man sich von etwas leiten lässt, auf das man sonst nicht hört: das Herz.

Tipp: Setzen Sie Ihre persönlichen Lesezeichen an den interessanten Stellen und machen Sie sich Notizen… und durchsuchen Sie das E-Book mit der praktischen Volltextsuche!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 355

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1. Auflage 2021

© 2021 DuMont Reiseverlag, Ostfildern

Alle Rechte vorbehalten.

Lektorat: Regina Carstensen

Gestaltung: Werner Mink / AlbrechtMink, München

Bilder Innenteil: Bildstrecke/erste Seite oben: Christiane Toppler; Südafrika: Marina Diener (oben links), Sandra Aicher (oben rechts, Mitte links und rechts); letzte Seite unten: Christiane Toppler; alle anderen: Waltraud Hable

E-BOOK Produktmanagement: Lena Hausinger

www.dumontreise.de

EIN KLEINES GESTÄNDNIS VORWEG.

Dieses Buch ist ein Tagebuch ohne Schloss geworden. Es erzählt vom Reisen um die Welt – und zwangsweise auch viel von mir. Offener und ehrlicher, als ich das ursprünglich geplant hatte. Aber der Schreibprozess löst das bei mir aus. Immer wenn ich versuche, etwas kryptisch und weise zu formulieren, meint mein Innerstes: »Pfeif auf Privatsphäre, alles muss raus.«

Dabei sollte ich es eigentlich besser wissen. Ich bin mit drei Geschwistern aufgewachsen. Jeder hat die Tagebücher des anderen geklaut, um darin zu lesen. Kinder sind grausam neugierig, und der schüchterne M., in den ich als Teenager heimlich verliebt war, hat nie verstanden, warum mein Bruder ihm so komische Blicke zugeworfen hat. Von damals weiß ich: Personen, über die man schreibt, sind zu schützen.

Auf Reisen treffen die unterschiedlichsten Menschen aufeinander. Man jagt zusammen Träumen und Sonnenuntergängen hinterher. Man lacht, liebt und wundert sich. Und am Ende zieht jeder mit einer anderen Erkenntnis weiter. Auch wenn ich überzeugt bin, dass sich Wege nie zufällig kreuzen: Jeder hat das Recht auf seine eigene Story, und keiner hat darum gebeten, dass mein Tagebuch öffentlich wird. Also habe ich von jenen Helden und Heldinnen, mit denen ich nicht regelmäßig in Kontakt geblieben bin, Namen und winzige Details bei den Personenbeschreibungen verändert. Die Geschichte an sich ist deswegen nicht anders. Ich habe nur eine Dosis Respekt addiert – denn das ist bekanntlich eine nicht ganz unwichtige Währung unterwegs.

INHALT

Prolog

1

Ich darf nicht unzufrieden sein. Oder doch?

2

Ein toter Guru, ein scheintoter Unterleib, ein Motto für den Weg

3

Alles Gute kommt von oben, auch wenn man erst mal schreit

4

Eine Lüge führt ins Work-Life-Paradies

5

Kloputzen mit Meerblick

6

Bin ich reif für die Insel?

7

Eine Woche im Sterbehaus in Kalkutta

8

Die Lehre von der Leere

9

Wir brauchen alle mehr Magie

10

Wie wecke ich die Göttin in mir?

11

Eine Nacht mit Ayahuasca

12

Rollentausch in Südafrika

13

Wer leben will, muss stillstehen

14

Der Busch lehrt Sex, Crime und Toleranz

15

(K)ein Hafen wie jeder andere

Acht Milliarden Mal Danke

PROLOG

Ich dachte nie, dass ich dieses Buch mal mit einem Kuckuck beginnen würde. Zumal ich nicht mal genau weiß, wie der Vogel aussieht. Ich glaube, mich dunkel zu erinnern, dass die Kuckucksbrust schiefergrau-weiß gefiedert ist. Aber hundertprozentig sicher bin ich mir nicht.

Der Kuckuck fand mich im afrikanischen Busch. Ich war dort gelandet, weil ich mir eingebildet hatte, einen längeren Zwischenstopp in der Wildnis machen zu müssen (mehr dazu an späterer Stelle). Zwei Monate fernab der Zivilisation, um von der Natur über die Natur zu lernen. Die Sache war mit Camping verbunden. Ich hasse Camping. Aber hin und wieder muss man seine Komfortzone verlassen. Und dass die Sache im südafrikanischen Sommer, sprich im europäischen Winter, stattfand, kam mir gerade recht. Wenn ich etwas noch mehr als Camping hasse, dann ist es die Kälte. Außerdem wusste ich nicht, wohin ich zu dieser Jahreszeit sonst sollte.

Jedenfalls: Als ich mein Zelt unter einem großen Tamboti-Baum bezog, hatte ich bereits Tausende Kilometer zurückgelegt. Ich war von Westen nach Osten gezogen und von Osten nach Westen. Und egal wohin mein Weg mich auch führte, überall wurde mir stets dieselbe Frage gestellt: »Warum?« Warum war ich unterwegs? Ich hatte doch bereits eine Weltreise gemacht, mich ein Jahr austoben können, ein Buch darüber geschrieben. Wieso hatte ich erneut das Bedürfnis, alles hinzuschmeißen – Karriere, Wohnung, Besitz? Selbst gute Freunde schienen meine Entscheidung nicht nachvollziehen zu können.

»Irgendwann gehen deine Ersparnisse zur Neige – und dann?«, sagte etwa meine Freundin Christiane vor meiner Abreise. Sie ist Unternehmensberaterin und eine höchst patente Frau. »Das ist kein Lifestyle für ewig. Du bist vierzig, in unserem Alter findet sich so leicht kein neuer Job mehr. Rede mit deinem Chef und deinen Vermietern, sag ihnen, dass du in einem Jahr zurück sein wirst, halte dir ein Hintertürchen offen.«

»Aber ich will gar kein Hintertürchen, das mich in mein altes Leben zurückführt«, konterte ich. »Das mit dem Zurückkommen habe ich mehrfach probiert, und es hat mich nicht glücklich gemacht. Ich will mich treiben lassen, schauen, was passiert.«

Christiane seufzte. Wir diskutierten über unstillbares Fernweh. Die Sehnsucht nach Abenteuer. Und dass ich es leid war, mich in Gesprächen über Job-Beförderungen, Eigentumswohnungen und teure Privatkindergärten wiederzufinden.

»Wenn ich in meinem Job und in Wien bleibe, dann verhungere ich emotional«, raunte ich.

Christiane meinte unbeeindruckt, dass ich vielleicht einfach zu viel vom Leben erwarten würde. Am Ende füllte sie mein Weinglas neu auf und umarmte mich. Es war keine vertrauensvolle Umarmung, sondern eher eine, die Resignation versprach. Auf beiden Seiten.

Kurz: Die Sache war kompliziert. Ich konnte mich niemandem richtig erklären. Nicht dass man das müsste, aber hin und wieder schadet’s nicht, so aufzutreten, als wüsste man, was man tut. Und dann kam plötzlich der Kuckuck und lieferte mir eine Metapher. Es war kein spezieller Kuckuck, sondern die Vogelgattung an sich. Während ich im südafrikanischen Busch alles über die Wunder der Natur lernte, die man eigentlich schon in der Schule hätte lernen sollen, war irgendwann auch der Cuculus canorus als Studienobjekt dran. Ich hörte erst nur mit halbem Ohr zu, Raubkatzen schienen mir prinzipiell interessanter zu sein, aber schnell zog mich das Verhalten des Kuckucks in den Bann. Sobald die Temperaturen abkühlen, tut der Vogel etwas sehr Vernünftiges: Er folgt der Sonne dorthin, wo sie länger scheint. Hm. Interessant. Vielleicht war ich nicht nur am falschen Platz geboren worden, sondern auch im falschen Körper? Vielleicht wäre ich als Zugvogel besser dran? Immerhin hatte ich – dank niedrigem Blutdruck und noch niedrigerer Leidensfähigkeit – die vergangenen Winter nur mit Heizdecke überlebt. Das ließ mich mitunter etwas exzentrisch aussehen, vor allem bei den Kollegen im Büro, aber nachdem ich ihnen erklärt hatte: »Die Alternative zur Heizdecke ist der Erfrierungstod oder dauerhaft schlechte Laune von September bis April«, hörten die Frotzeleien auf.

Was ich aber eigentlich über den Kuckuck erzählen wollte: Der Vogel fliegt los, ohne sein Ziel zu kennen. Er breitet seine Flügel aus und landet instinktiv dort, wo es für ihn richtig ist. Es scheint, als würde ihn etwas leiten. Was umso erstaunlicher ist, weil er niemals gezeigt bekommen hat, wo’s langgeht. Er folgt keinem Schwarm, geschweige denn seinen Eltern. Letztere kennt er nicht einmal. Denn diese haben sich lange vor seinem Schlüpfen vertschüsst. Kuckuckseltern jubeln ihre befruchteten Eier artfremden Vögeln zum Ausbrüten unter. Dennoch weiß ein Junges, was es zu tun hat. Sogar jene Kuckucke, die abgeschottet im Forschungslabor gezüchtet werden, machen sich irgendwann mit schlafwandlerischer Sicherheit in Richtung südlich des Äquators auf oder in Gefilde, wo sie andere ihrer Art finden.

Wenn der Kuckuck blind seinem Instinkt folgt und damit durchkommt, warum sollte das nicht auch für mich funktionieren? Jeder von uns hat eine innere Stimme. Und es gibt keinen Grund, ihr nicht zu vertrauen.

Genau davon handelt dieses Buch. Es beschreibt eine Reise durch die Welt, die einzig und allein auf der Vorahnung gründet, dass da draußen »irgendetwas« auf mich wartet, das mehr Zufriedenheit verspricht als das Jetzt. Es geht um einen Neuanfang. Ums Sich-treiben-Lassen. Ums Stolpern. Ums Wiederaufstehen. Um Zweifel. Um Kurswechsel. Um kleine und große Glücksmomente. Das Ganze ist keine Anleitung für Aussteiger. Ich garantiere, diesbezüglich gibt es qualifizierte Menschen da draußen. Aber ich kann mit meiner Geschichte zumindest Mut machen und versichern: Manchmal muss man springen und vertrauensvoll seine Flügel ausbreiten, um sich vom Wind und den eigenen Träumen tragen zu lassen. Denn Wind und Träume geben einem Auftrieb, aber vor allem eine neue Perspektive.

1

ICH DARF NICHT UNZUFRIEDEN SEIN. ODER DOCH?

Es gibt Dienstage, da passiert gar nichts. Und dann sind da diese Dienstage, an denen dir klar wird: »Ich kann mich nicht länger selbst bescheißen.«

Mein Dienstag ist im November. Ein nebelgrauer Tag, der nach Desinfektionsmitteln und Heizungsluft riecht.

»Ihre Haut hat begonnen, sich an gewissen Stellen selbst zu zerstören«, eröffnet mir die Ärztin, während ich hinter einem Vorhang wieder in meine Kleidung schlüpfe.

»Ah ja?«, sage ich und fiddle mit den Schnürsenkeln meiner Sneakers herum. Das ist sicherlich nicht der gehaltvollste Kommentar, aber ich habe keine Ahnung, wie ich sonst reagieren soll. Ich dachte, ich wäre für einen Routinecheck in die Praxis gekommen und vielleicht für eines dieser Karamellbonbons, die am Empfang in einer Glasschüssel rumliegen –, aber nicht für die Diagnose »Autoimmunerkrankung im Frühstadium« und für eine Verschreibung von Kortison.

Bevor sich jetzt allgemeine Betroffenheit einstellt – die Sache ist nicht weiter schlimm. Also nichts, was mich groß einschränken oder gar umbringen würde. Der Schutzmantel meines Körpers mag zwar irreparable Risse aufweisen. »Aber das kriegen wir fürs Erste mit einer Salbe hin«, sagt die Ärztin. Und: »Viele dieser Schübe werden durch Stress ausgelöst.« Sie versucht, das Ganze als Feststellung zu formulieren, ich sehe trotzdem eine Frage darin und fühle mich ertappt. Denn man muss kein Psychosomatik-Diplom an der Wand hängen haben, um zu wissen: Autoimmun bedeutet oft auch autoaggressiv. Keine Hautzelle der Welt begeht ohne Grund Selbstmord. Und man entwickelt auch nicht einfach so alle paar Wochen Herpes. Das Ganze verdeutlicht lediglich: Nicht nur mein Immunsystem verlangt nach ein bisschen mehr Aufmerksamkeit, sondern ebenso mein Seelenleben.

* * *

»Was muss ich ändern, damit ich von meinem Leben keinen Urlaub mehr brauche?« Das ist die Frage, die seit Monaten an mir nagt. Und in den dreizehn suchenden Worten steckt so viel Sehnsucht, dass es mir mitunter eng im Hals und im Brustkorb wird. Die Problemstellung ist zugegebenermaßen nicht ganz neu. An dem Punkt »Soll das bereits alles gewesen sein?« war ich bereits mehrmals in meinem Leben. Ich habe mir deswegen sogar eine Auszeit gegönnt und meine Ersparnisse auf einer Solo-Weltreise verprasst, in der Hoffnung, mein Fernweh und meinen Hunger nach Neuem damit stillen zu können. Doch die Zufriedenheit, die mein Big Trip brachte – ich kam mit tausend Sonnenflecken, einem vollen Herzen und der Gewissheit, dass Solo-Reisen das Beste für die Entdeckung des inneren Rhythmus ist, heim –, hielt nicht sonderlich lange an. Nach einem Jahr scharrte ich bereits wieder wie ein eingesperrtes Wildpferd mit den Hufen, wissend, dass da draußen mehr auf mich wartet als die Hausdächer, auf die ich von meinem Bürofenster aus schaute.

Experten würden sagen: Bore-out statt Burn-out. Ich sage: Wenn man nicht happy ist, sind einem solche Definitionen herzlich egal. Interessanter ist, was man gegen die dunklen Wolken am Geisteshimmel unternimmt. Wird man aktiv? Oder übt man sich in Vogel-Strauß-Taktik? Ausprobiert habe ich beide Strategien. Zuerst meinte ich, ich bräuchte einfach nur neue Hobbys. Ein befreundeter Personaltrainer bot mir gratis CrossFit-Stunden an. Dabei ließ er mich so leiden, als hätte ich seiner Seele in einem früheren Leben etwas Schlimmes angetan. Aber die gewünschte Zerstreuung brachte es genauso wenig wie die YouTube-Tutorials, mit denen ich mir selbst beibrachte, herrlich zitronige Körperbutter anzurühren. Also … gegenpoliger Versuch, Kopf in den Sand. Vielleicht musste ich mich einfach damit abfinden, dass das Leben ein unvermeidbarer Alltagstrott war – und wo ich schon mal im Desillusionierungsprozess war, redete ich mir auch gleich die Möglichkeit auf grundlegende Veränderung aus: »Was soll ich denn machen? Ich kann ja nichts außer Schreiben. Hätte ich mal besser was Vernünftiges gelernt.« Obendrein lähmte mich ein schlechtes Gewissen: »Du hast null Grund, unzufrieden zu sein«, schimpfte es mit mir. »Du bist ein verdammtes Glückskind.« Was prinzipiell stimmte. Mein Hintern klebte von Montag bis Freitag an einem ergonomisch geformten Bürostuhl und wurde dafür hochanständig bezahlt. Meine Freunde waren nett, mit meiner Familie konnte man es aushalten, und ich war Mieterin einer wunderschönen Altbauwohnung mit hohen Fenstern, Nachmittagssonne und Blick auf einen Kastanienbaum. Einzig eine Liebesbeziehung gab es keine. Aber daran war ich selbst schuld. Wenn man jedem Kerl die Existenzberechtigung abspricht, nur weil er auf seinem Tinder-Profilfoto ein gut gebügeltes Hemd oder ein glatt rasiertes Gesicht zur Schau trägt und auf den ersten Blick nicht dem Typ risikofreudiger Abenteurer mit Wanderlust-Gen entspricht (dieses Gen gibt’s wirklich, die Wissenschaft macht DRD4-7R für exzessives Fernweh verantwortlich), dann darf man sich nicht wundern, wenn man allein im Bett liegt.

Kurz: Nach außen hin gab’s wenig zu meckern. Innen drin machte sich jedoch tiefe Zerrissenheit breit. Und diese ließ sich offenbar nicht länger leugnen, sie zeigte sich nun auch an meiner rissigen Haut.

Was will ich?

Wovon träume ich, wenn ich sehnsüchtig zum Fenster hinausstarre und denke: Ich muss hier raus?

Hm. Zum einen wünsche ich mir Vulkane. Das Meer. Dünen. Palmen. So viele Sonnenauf- und -untergänge wie möglich zu erleben. Pinguine. Warzenschweine. Haie. Das ganze Feuerwerk an Schönheit, das dieser Planet zu bieten hat. Die Welt ist schließlich nicht umsonst so groß erschaffen worden; das muss man sich anschauen. Und dann … wären ein paar Gleichgesinnte um mich herum nicht schlecht, präferiert solche, die mehr Ja als Nein sagen. Leute, die Fernweh, einen Vollbart und das Herz am rechten Fleck haben. Wobei: Vergessen wir den Vollbart und das mit dem XY-Chromosom gleich wieder. Die große Liebe am Wegesrand aufzulesen, darum geht’s mir gar nicht. Natürlich wäre das Ganze nett, aber ich bin alt genug, um zu wissen: Die große Liebe findet sich meistens dann, wenn man sein Leben und sich selbst so sehr liebt, dass man keinen Typen braucht. Ich wäre schon zufrieden damit, nur mal auf Menschen zu treffen, die auch ohne private Pensionsvorsorge oder MBA-Aufbaustudium ruhig schlafen können und denen das Unbekannte näher als das Vertraute ist. Ich sehne mich nach Inspiration. Freigeistern. Aussteigern. Und erfahrungsgemäß findet man diese selten in Bussen auf dem Weg zur Arbeit. Dieser Schlag Menschen, den ich suche, schwirrt draußen in der Welt herum.

Dass dieses geistige Wunschkonzert himmelschreiend schwammig ist – geschenkt. Genau das ist ja mein Problem. Ich habe es bisher nicht geschafft, aus »Ich will, ich will, ich will« ein vernünftiges »Ich werde« zu machen.

Bis jetzt.

* * *

Der Dienstag bei der Ärztin mag nicht der beste Dienstag meines Lebens gewesen sein. Aber er gibt mir zumindest eine Idee davon, was passiert, wenn ich weiterhin nicht in die Gänge komme. Hauttechnisch wird die Sache unschön enden, und ganz ehrlich: Wenn der Körper schon sagt, dass es so nicht weitergehen kann, dann hat der Kopf erst recht keinen Grund mehr, sich weiter rauszureden.

Als ich mit der Straßenbahn nach Hause fahre, hypnotisiert von der Rushhour-Hektik und ihren monoton vorbeirauschenden Autos, zwinge ich mich, nachzudenken. Vielleicht ist es ja dem Zuckerschock der ärztlichen Karamellbonbons zu verdanken – beim Rausgehen habe ich mir trotzig eine Handvoll der Dinger geschnappt –, aber plötzlich schwingen Hirn, Herz und Bauch im selben Takt. Ein ungewohnter Gleichklang, der mir zumindest eine vage Vorstellung davon gibt, was sich aus der Wundertüte Leben zaubern ließe.

Du könntest jetzt, in diesem Moment, durch die afrikanische Steppe streifen und Löwengebrüll lauschen – hättest du vorher entsprechende Schritte gesetzt. Dein aktuelles Leben ist nur das Ergebnis deiner Entscheidungen von gestern.

Das Afrika-Beispiel fasziniert mich. Es scheint so absurd weit hergeholt und dennoch irgendwie erreichbar. Zumal ich erst kürzlich im Internet über ein Sabbatical in der Wildnis gelesen habe. Tausche Busch gegen Bahn. Rote Erde und Barfußlaufen gegen Rollsplit und Winterstiefel. Ich hätte nur ein Flugticket buchen, meinen Job kündigen oder mich mit finanziellem Downgrading anfreunden müssen, dann wäre das jetzt meine Realität. Und die Sonne, die mir ins Gesicht scheinen würde, wäre trotzdem nicht fremd, es wäre dieselbe Sonne wie jetzt, nur wärmer.

»Wenn du nicht aufhören kannst, daran zu denken, hör nicht auf, dafür zu kämpfen«, stachelt mein inneres Trio mich an. »Sobald du deinen Träumen mehr Energie schenkst als deinen Ängsten, bist du frei.«

Ach, wenn’s so einfach wäre, denke ich, während die Straßenbahn stur über die vorgegebenen Gleisspuren rattert.

»Aber es ist so einfach.« Hirn, Herz und Bauch bleiben beharrlich. »Ob du dich frühmorgens in einen Bürosessel oder in den warmen Ozean fallen lässt: Es liegt an dir.«

»Lotto-Millionen oder ein Banküberfall würden die Sache aber wesentlich leichter machen«, werfe ich ein und bin im selben Moment genervt von mir. Wollte ich mein Leben nun umkrempeln oder nur jammern? Veränderung ist immer möglich, weiß jener Teil von mir, der offen sein will für Neues. Veränderung klappt sogar dann, wenn der Zugang zu Dingen fehlt, die für viele selbstverständlich sind. Oder wie lassen sich sonst die inspirierenden Geschichten von Menschen erklären, die sich trotz widrigster Umstände ihre Ziele erkämpft haben? Der Seitenhieb gilt der privilegierten Erste-Welt-Single-Tussi in mir.

»Wenn du es denken kannst, kannst du es auch tun«, beschwört mich mein Unterbewusstsein und klaut damit ein Zitat von Walt Disney. Und ich weiß, worauf die Sache hinausläuft. Ich soll mir endlich die verdammte Erlaubnis erteilen zu träumen. Schließlich beginnt Veränderung immer mit einer Idee. Einer Spinnerei. Sogar die Vision vom Fliegen kann wahr werden, wie die Luftfahrtgeschichte beweist. Wobei ich ehrlicherweise bis heute nicht verstehe, wie man einen fünfhundert Tonnen schweren Jumbojet durch die Lüfte bewegt. Ich weiß nur, die Flugpioniere haben sich weder von Ausreden noch von der Angst vor der eigenen Courage ausbremsen lassen. Aus ihren Träumen wurden Skizzen, aus den Skizzen entstanden Pläne, diese mündeten in Versuchen, und auch, wenn sie scheiterten, standen die Pioniere wieder auf. (Die letzten zwei Zeilen liest man am besten mit Geigen-Gefiedel, zwecks Dramatik).

»Alles schön und gut«, zwinge ich mich in die Realität zurück. »Aber was, wenn ich unter der Brücke ende? Dann hilft mir das Träumen auch nichts.« Kohle futsch, sozialer Totalabsturz. Es sind schon ganz andere Leute mit besser durchdachten Plänen an ihrem Fernweh gescheitert.

»Ist die Brücke wirklich das Ende?«, fragt das innere Trio unbeeindruckt. »Was ist eigentlich noch da, wenn alles weg ist?«

Ich hasse Fragen, die kein Selbstmitleid zulassen. Aber nun gut, bei genauerer Betrachtung hätte ich Schutz vor Regen, das haben Brücken so an sich. Und vierzig Jahre Lebenserfahrung sowie ein Funken Restverstand wären auch noch im Pott. Damit ließe sich nach kurzer Resignation wahrscheinlich sogar was machen. Ich müsste mir bloß eine Notschlafstelle suchen … schlafen, essen, duschen … irgendwo putzen gegen Geld. Oder kreativ werden, so wie der obdachlose Rollstuhlfahrer, den ich einmal getroffen habe. Er faltete alte Werbeprospekte zu Papierstreifen, die er wiederum zu bunten Körben verwob und zum Verkauf anbot. Ich hätte schon beim Thema Rollstuhl aufgegeben, für ihn war das nur ein Nebenschauplatz. Er hatte Wichtigeres zu tun, als seine kaputte Wirbelsäule zu beklagen, er musste sich um Nahrung, Wasser und Obdach kümmern und war obendrein mit seiner Geschäftsidee auf Facebook präsent. Warum sollte ich hinschmeißen, bevor ich überhaupt anfing?

Auch wenn ich gerne behaupten würde: Diese zwanzig Minuten in der Straßenbahn haben mich zu einem neuen Menschen gemacht – so ist es nicht. An meiner Endhaltestelle rase ich weder zum Flughafen noch brenne ich mit meinem Reisepass und meiner Kreditkarte durch. Aber zumindest rattert es seitdem ordentlich in meinem Kopf. An diesem Abend verbiete ich mir, Netflix anzuwerfen. Stattdessen fläze ich mich mit meiner Kuscheldecke auf die Couch, verpasse dem schlechten Gewissen einen Maulkorb und signalisiere meinem Herzen: »Du bist dran. Du darfst sprechen.«

»Echt jetzt?«, fragt es.

»Ja, echt.«

Erst läuft die Sache zögerlich an. Doch bald wird daraus ein angeregter Dialog. Es gibt Vorschläge, die das Herz an die Logik verliert. Aber überraschend viele dringen zu mir durch. Und irgendwann, nach Wochen, löst sich der emotionale Knoten, und ich kann verkünden: »Ich glaube, ich habe das Vier-Stufen-Programm, das mein Leben braucht, damit es sich mehr nach mir anfühlt.«

Der wichtigste Pfeiler: Ich werde reisen, allerdings ohne Rückflugticket oder der Intention, nach Wien zurückzukehren. Das mit dem Heimkommen habe ich mehrmals probiert. Ich hatte jobtechnische Auslandsaufenthalte, ich war auf Weltreise, und aus heutiger Sicht kann ich sagen: Es funktioniert nicht für mich. Obendrein ist mir der Prozess – Zelte abreißen, Möbel einlagern, Zelte wieder aufbauen – zu mühsam geworden. Es wird Zeit, etwas Radikaleres auszuprobieren. Soll heißen: Die Fremde wird fürs Erste oder für immer mein Zuhause sein, Ziel oder Ende gibt es erst einmal nicht, beides wird sich finden. Und es wird gut werden. Immerhin hat das Nomadentum schon Jahrtausende vor den digitalen Hipstern existiert, die mit ihren Apple-Computern und Fotofiltern um die Welt ziehen.

Zweitens: Meine Routenplanung wird den ewigen Sommer zelebrieren. Alles unter zwanzig Grad ist Folter und somit gestrichen. Ich habe mir in Europa lange genug den Allerwertesten abgefroren, und Heizdecken sind auf Dauer gefährlich, man liest immer wieder, dass die Dinger ganze Häuser abfackeln. Außerdem wiegt luftige Kleidung gepäcktechnisch weniger, oder man kann mehr davon in den Koffer stopfen, je nachdem, wie man es sieht. Und wo wir schon über Selbstliebe-Maßnahmen reden, kommen wir zu Punkt drei: Herz schlägt Kopf. Und Jein heißt Nein. Nur was sich hundertprozentig richtig anfühlt, wird gemacht. Die Vernunft wird deshalb nicht abgeschafft, aber sie hat bei großen Entscheidungen weniger zu melden.

Last, but not least: Ich werde mich jobtechnisch ausprobieren. Das ist kein Resultat einer Midlife-Crisis, sondern längst fällig. Immerhin habe ich mich in der Vergangenheit nicht nur einmal gefragt: »Und jetzt? Braucht’s einen Karrierewechsel? Soll ich für viel Geld einen Weiterbildungskurs machen oder, so wie viele, die Ausbildung zur Yogalehrerin?« Am Ende wurde es weder noch. Meine Fingerspitzen erreichen beim Bücken nicht mal den Dunstkreis meiner Zehen, und seien wir ehrlich: Ich hasse Yoga. Für Karriere-Booster-Lehrgänge wiederum habe ich beruflich zu viel erreicht … »Arbeite mit den Händen. Schaffe etwas, das angreifbar ist, und du fühlst dich niemals leer.« Diesen Satz hatte mir Marianna, eine Bauersfrau auf Sardinien, einmal mitgegeben. Vielleicht sollte ich erwähnen, dass die Gute hundertunddrei war und trotz Sehschwäche unermüdlich Tischdecken aus Baumwollgarn häkelte. Frauen, die ein derart biblisches Alter mit derart entspannten Gesichtszügen erreichen, die zweifelt man nicht an. Die ahmt man besser nach. Warum also nicht unterwegs auch ein bisschen Wanderarbeiterin und freiwillige Helferin spielen? Einem Gap Year für Erwachsene frönen, nur ohne Zeitlimit? Ich könnte gärtnern an den schönsten Plätzen der Welt, Bananen ernten im Dschungel. Acht Stunden Frischluft statt Laserdrucker-Feinstaub – das hörte sich doch nicht übel an. Außerdem ließe sich so auch mal etwas ausprobieren, das Sinn macht. Also mehr Sinn als mein bisheriges Tagwerk. Als Magazin-Journalistin im Lifestyle-Bereich berichtet man selten über Dinge, die die Weltordnung umschmeißen – mich sozial zu engagieren, wäre für mein Karma nicht schlecht.

Und die Hilfsarbeiten unterwegs würden nicht nur meine sensorische Wahrnehmung schulen (»Hallo Schwielen an den Händen!«) oder für mein Ego interessant sein (»Ich bin doch wer! Ich habe Teams geleitet!«), sie könnten auch das Reisebudget entlasten. Nicht dass ich große Verdienst-Hoffnungen hegte, aber freie Kost und Logis als Ausgleich zum Freiwilligen-Engagement würden zumindest helfen, weniger schnell unter der Brücke zu landen. Und bis ich abstürze, muss mein Sparkonto herhalten. Ich mag seit der Rückkehr von meiner Weltreise in puncto Lebensplanung orientierungslos gewesen sein, aber zumindest in einer Sache agierte ich höchst zielgerichtet: Kaum dass ich wieder einen Job hatte, habe ich auf Teufel komm raus gespart. Kein Fitnessstudio, kein Auto, Do-it-yourself-Pediküre, und beim Online-Frustshopping half, die Dinge erst mal nur in den digitalen Warenkorb zu legen und dann mindestens drei Nächte drüber zu schlafen. Am Ende wollte ich das Zeug oft gar nicht mehr. Ich habe das Sparen fast schon als Sport gesehen. Wie viel kann ich mir von meinem Gehalt zur Seite legen, ohne dass am letzten Tag des Monats der Kühlschrank leer bleibt? Fürs Reisen braucht es keine Unsummen an Geld, aber etwas auf der hohen Kante zu haben, lässt einen schneller dort ankommen, wo man hinwill. Wenn man denn mal weiß, was man will.

Aber das wäre jetzt ja halbwegs geklärt.

One-Way-Ticket. Nomadenleben. Immer der Sonne nach. Herz schlägt Kopf. Ein bisschen Freiwilligenarbeit nebenbei. Wunderbar. Das ist eine Basis, auf der man Pläne schmieden kann. Oder doch nicht? Als ich mögliche Routen und Hilfsengagements zu recherchieren beginne, drehe ich mich schnell wie ein verwirrtes Kaninchen im Kreis, dem jede Richtung, in die es auszubrechen versucht, versperrt scheint. Merke: Mit dem Vorhaben, sich unterwegs nützlich zu machen, geht auch ein großer Teil der Reiseunabhängigkeit flöten. Einfach Job kündigen, Flug buchen und los geht’s, das funktioniert so nicht. Man ist plötzlich von Rückmeldungen, Terminvorschlägen und Launen der Gastgeber abhängig. Die erste Klatsche muss ich einstecken, als ich den Suchbegriff »Work & Travel Visum« bei Google eingebe. Sowohl Australien als auch Neuseeland, Hongkong, Kanada, Chile, Taiwan, Südkorea, Japan und Israel lassen mir über ihre Botschafts-Webseiten ausrichten: »Du bist zu alt für diese Welt.« Jene Einreisegenehmigungen, die mehrmonatiges Herumstreunen inklusive Jobben erlauben, gelten nur für »junge« und »förderungswürdige« Menschen zwischen achtzehn und dreißig (Kanadier sind bevorzugt, die dürfen oft bis fünfunddreißig). Brennen einmal so viele Geburtstagskerzen auf der Torte, dass sich der Zuckerguss binnen Sekunden in flüssiges Nichts auflöst, gilt: »Bleib daheim und widme dich der Seidenmalerei.«

»Kannst du bitte ein paar Länder für mich verklagen? Oder besser noch, verklagen wir die ganze Welt?«, rufe ich einen Freund an, der einige Semester Rechtswissenschaften studiert hat.

»Darf ich fragen, was der Klagegrund ist?«, gibt dieser zurück.

»Himmelschreiende Ungerechtigkeit«, schimpfe ich.

»Ich fürchte, das ist zu unkonkret.«

»Dann probier’s mit Diskriminierung«, gebe ich nicht auf. »Ich meine, das ist doch hirnverbrannt. Warum soll ich nicht das tun dürfen, was eine Achtzehnjährige darf? Noch dazu, wo ich wahrscheinlich sogar kompetenter wäre. Immerhin habe ich fast ein Vierteljahrhundert mehr Lebens- und Berufserfahrung.«

»Na ja. Das gilt es erst einmal zu beweisen, dass du die bessere Wahl wärst«, sagt mein Kumpel, als ich ihn über den Sachverhalt aufkläre.

»Ach, hör mir auf. Müsstest du als Bananenbauer über Erntehelfer entscheiden, wem würdest du wohl den Vorzug geben? Jemandem, der frisch dem Kinderzimmer entkommen ist? Oder nimmst du die Vierzigjährige, die frühmorgens zumindest verlässlich den Dienst antritt, weil sie weder kifft noch Tequila-Trinkspielen zugetan ist?«

»Fürs Protokoll: Es existieren auf diesem Planeten auch sehr verlässliche, unberauschte Achtzehnjährige«, wirft der Fast-Jurist ein.

»Ich weiß«, entschuldige ich mich im Geiste bei der Jugend. »Aber es geht ums Prinzip.«

Mein unfreiwilliger Anwalt seufzt. Er weiß, Prinzip-Diskussionen führen ins Nichts. »Es wird ja wohl noch andere Möglichkeiten als Work & Travel Visa geben. Oder ist das deine einzige Option?«

Nun ja. Es gibt Alternativen, so ist es nicht. Ich könnte mich natürlich auch dem »Voluntourismus« verschreiben, einer Kombination aus Volunteering (Freiwilligenarbeit) und Tourismus. Doch das Ganze wird für mich schnell zum roten Tuch. Denn auch hier führt Recherche zu Desillusionierung, diesmal vor allem finanzieller Natur.

Zwei Monate in einem Waisenheim in Ostafrika mithelfen? Indiens Flüsse von Plastikmüll befreien? Bei der Dorfentwicklung in Guatemala unterstützen? Gerne doch, aber nur nach Berappen einer »Programmgebühr«, die zwischen 100 und 1000 Euro pro Woche liegt. Geld, das selten direkt in die jeweiligen Communities fließt, sondern für Kursunterlagen, Help-Service und »Organisation« draufgeht. »Da kann ich mich gleich wie eine Weihnachtsgans ausnehmen lassen«, murmle ich, als ich das Kleingedruckte lese. Die Kosten für Anreise, Unterkunft, Verpflegung, Impfungen und Ausrüstung kommen nämlich obendrauf.

Nicht falsch verstehen: Ich finde gemeinnützige, soziale und ökologische Projekte wichtig und richtig. Die Hilfsinitiativen vermitteln nicht nur Know-how, sie sind auch fantastische Schulen für die Herzensbildung. Aber die Sache darf nicht einseitig oder eine Bereicherungsquelle für geschäftstüchtige Reiseanbieter sein. Ich arbeite gerne gratis, von mir aus wochen- oder monatelang. Aber dafür möchte ich im Austausch wenigstens eine Unterkunft und eine Mahlzeit pro Tag bekommen. Als Zeichen der Wertschätzung. Wenn ich guten Willen zeige, soll die Gegenseite das bitte schön auch tun.

* * *

Wochen vergehen. Ich komme keinen Schritt weiter und habe deshalb weder bei meinem Arbeitgeber gekündigt noch einen Flug ins neue Leben gebucht. Innerlich aber bin ich bereits weit, weit weg, und genau deswegen ist die Sache zermürbend. Gibt es überhaupt Lösungen für Leute wie mich? Ich kann doch nicht der einzige mittelalte, spätberufene Möchtegern-Hippie mit Ausbruchsgelüsten aus dem Hamsterrad sein? Irgendwann schieße ich mich auf drei halbwegs brauchbar klingende Anlaufstellen ein: grassrootsvolunteering.org, ein kostenloses Portal, das von einer Ex-Weltreisenden gegründet wurde und kleine Sozial- und Umweltinitiativen in aller Welt vorstellt. Man handelt die Details direkt mit den Organisatoren aus, ohne zwischengeschaltete Agentur. Zusätzlich verbringe ich viele Stunden bei wwoof.net, dem in den Siebzigern gegründeten Netzwerk, das Biobauern in über hundert Ländern mit arbeitswilligen Erntehelfern verbindet. Ein Jahreszugang zur Datenbank kostet so viel wie ein Burger und ein Bier. Dafür kann man die Bewertungen der Landwirte einsehen, denen man unter die Arme greift, und sich das Leben als Dienstmagd schönreden. In letzterer Disziplin bin ich großartig. Obwohl ich auf dem Bauernhof meiner Großeltern nie mit anpacken wollte, weil mir der Kuhstall zu stinkig und die Feldarbeit zu nieder war, sehe ich mich plötzlich die Mistgabel auf Hawaii schwingen und über Äcker auf den Fidschi-Inseln stiefeln.

»Eine hawaiianische Kuh stinkt genauso wie ein heimisches Tier«, meint meine Freundin Christiane, als ich ihr von meinem Vorhaben erzähle.

»Aber ich kann beim Ausmisten wenigstens aufs Meer schauen«, juchze ich.

Christiane verdreht die Augen, und sie wird sich freuen zu hören: Aus den Biobauern und mir scheint nichts zu werden. Ich vermag vielleicht die Arbeit zu romantisieren, aber bei den Unterkünften klappt das nicht. Jene Schlafplätze, die die Landwirte anbieten, gehen selten mit meinen Mindeststandards an Komfort und Privatsphäre einher. Entweder teilt man sich mit einem Dutzend anderer Helfer eine Bretterbude, was das Risiko von Lagerkoller und Bettwanzen birgt. Oder es gibt die Ansage: »Bring dein eigenes Zelt mit.« Auf meine Nachfrage, wo ich denn warm duschen könnte oder Zugang zum Internet fände, antworten viele gar nicht mehr. Ich kann es ihnen nicht verdenken. Also konzentriere ich mich hauptsächlich auf workaway.info, eine Plattform, die ähnlich wie das Farm-Netzwerk funktioniert und Gastgeber von A wie Albanien bis Z wie Zimbabwe vereint. Allerdings ist die Bandbreite an Hilfsarbeiten größer, sie reicht von Gartenzaunstreichen bis hin zu »Babysitter/Hilfskoch/Hostel-Rezeptionistin/Zimmermädchen gesucht«.

Ich kann die Sache nur jedem raten. Der Bewerbungsprozess auf Workaway ist wie eine Gratis-Psychotherapie. Will ich mit einem Rudel von zwanzig Rottweilern zusammenleben? Stört es mich, dass die Gastgeber Hardcore-Veganer sind und ich nicht mal Käse oder Gummibären aufs Anwesen bringen darf? Mit jedem Inserat tauche ich in ein Paralleluniversum mit mir bis dato unbekannten Lebensformen ein, und jede Lifestyle-Blase enttarnt meine eigene, neurotische Intoleranz. Die Antwort auf die Köter-Frage lautet übrigens: »Nur über meine Leiche!« Und wo wir schon dabei sind, ich bin auch kein Fan von Haushalten, in denen es mehr Katzen als Schindeln auf dem Dach gibt. Die vegane Diktatur hingegen stört mich weniger. Dann halt kein Käse und keine Gelatine-Bären, ist eh besser für die Darmflora. Je mehr Anzeigen ich lese, desto mehr wird mir bewusst: Kinderbespaßung – nein. Altenbetreuung – ja. Ich war nach meiner Schulzeit für ein Jahr Au-pair in den USA, ich habe dort sechs kleine Racker auf einmal betreut, das reicht für drei Leben. Außerdem kann man mit Senioren im Gegensatz zu Kindern vernünftige Gespräche führen. Und als ich mich selbstkritisch frage: »Wie alternativ bin ich wirklich? Wie hoch ist meine Bong–Dreadlocks- und Bob-Marley-Beschallungstoleranz?«, muss ich mir eingestehen: So richtig warm werden die Super-Alternativen und ich nicht miteinander. Was aber vor allem an mir liegt. Ich bin zu Wischiwaschi, sprich zu wenig radikal, bei Themen wie Konsum, Globalisierung, pflanzenbasierte Ernährung und ökologischer Fußabdruck. Letzterer ist bei meiner Reisevergangenheit ohnehin nur schwer zu retten, da kann ich beim Buchen von Flügen so viel CO2-Kompensation an Umweltschutzorganisationen zahlen, wie ich will.

Kürzen wir die Sache ab. Von den Tausenden Gastgebern und damit Tausenden potenziellen Möglichkeiten bleiben vielleicht fünfzig Optionen über. Und auch davon klappt nicht jede. Nicht immer liegt’s an meiner Attitüde, sondern oft an ganz banalen Punkten wie »Wettbewerb«. Bei Arbeitgebern, die auf sonnenverwöhnten Inseln und in Postkartenkulissen leben, muss man sich ganz hinten in der Warteschlange anstellen. »Wir haben zwanzigmal mehr Bewerber, als wir aufnehmen können«, schreibt mir ein Kaffeebauer von der Hawaii-Insel O’ahu. »Es wird erst wieder etwas in neun Monaten frei.« So lange will ich nicht warten. Eine natürliche Auslese ergibt sich auch durch mein fortgeschrittenes Alter. Schon wieder die Jahrgangs-Keule, ich weiß. Aber Fakt ist: Die Workaway-Community ist prinzipiell eher jung. Das Gros der Reisenden bewegt sich zwischen zwanzig und fünfunddreißig, selbst die Gastgeber sind selten älter. Ergo gibt’s gewisse Berührungsängste mit … ähm ... gereifteren Persönlichkeiten. Weil die Frage aufkommt: »Scheidung, Lebenskrise, Karrieresuizid: Was ist da los? Und lässt sie sich überhaupt rumkommandieren?« Auch die Erwähnung meines Journalistenberufs ist nicht rasend hilfreich. Niemand will sich die Medien ins Haus holen, zumal das nomadische Zuarbeiten nicht hundertprozentig wasserdicht ist. Offiziell wird bei Workaway zwar von kulturellem Austausch gesprochen, aber wer dabei erwischt wird, jemandes Haus zu streichen, tut aus einwanderungs-, arbeits- und versicherungsrechtlicher Sicht gut daran, was von »Ich helfe nur alten Bekannten aus« zu faseln. Das Ganze ist ein Graubereich. Mehr sage ich dazu nicht.

* * *

Täglich schicke ich Bewerbungen raus. Von manchen höre ich gar nichts, und wenn es dann mal eine positive Rückmeldung gibt, dann ist diese oft nervtötend vage, von wegen: »Okay, du kannst gerne kommen.« – »Großartig, vielen Dank! Welches Datum würde denn passen?« – »Melde dich einfach, wenn du im Lande bist.« Ah ja.

Terminkalender, Routen, Arbeitsangebote – kaum etwas scheint vernünftig zusammenzupassen. Nach dem Bed & Breakfast in Thailand sofort um die halbe Welt jetten, zum Avocadoernten nach Ecuador? Noch dazu, wo das Zimmer dunkel und der Besitzer auf manchen Fotos zum Fürchten aussieht?

In einer stillen Minute erinnere ich mich daran, was ich unter Punkt drei als Prämisse für meinen Weg ausgegeben habe. Herz schlägt Kopf. Und Jein heißt Nein. Was sich nicht hundertprozentig stimmig anfühlt, wird nicht gemacht. Eben. Ich atme tief durch und sage dem pensionierten Ex-Surfprofi, der mir seine unaufgeräumte Garage als Schlafplatz im Austausch für Gartenarbeit angeboten hat, dankend ab. Hawaii gerne, aber nicht auf einer staubigen Matratze. Und schon gar nicht will ich wochenlang allein mit dem alten Knacker auf seinem doch recht abgeschiedenen Anwesen sein. Ebenso verabschiede ich mich von der Idee des Cocktail-Mixens während der Regenzeit auf Sri Lanka.

Stattdessen kontaktiere ich in einem letzten Versuch Projekte, die mich wirklich interessieren, auch wenn diese laut Online-Kalender offiziell keinen Helfer-Bedarf angemeldet haben. Und siehe da, plötzlich flutscht die Sache. Ich erhalte zwei Zusagen aus Vietnam. Ein Boutique-Hotel mit Strandzugang kann sich vorstellen, mich als Englischlehrerin für sein Personal aufzunehmen. Nichts Kompliziertes, nur Phrasen, die man in der internationalen Gästebetreuung braucht. Und wenn Zeit bleibt, soll man auch ein bisschen an der Rezeption aushelfen. Ein Webseiten-Projekt in Zentral-Vietnam freut sich ebenfalls auf Unterstützung, dort soll ich Artikel schreiben. Außerdem schaffe ich es in die Endrunde für eine Öko-Farm auf Hawaii, und ich fülle das Anmeldeformular für den Safari-Kurs in Südafrika aus, der mir schon seit geraumer Zeit im Kopf rumgeistert.

Ich bin hochzufrieden. Ich werde es mit der Hilfsarbeit nicht übertreiben und habe so genug freie Zeit zur Verfügung, um mir die Welt anzusehen. In diesem Taumel aus Vorfreude kündige ich bei meinem Chef. Tatsachen schaffen. Sich selbst keinen Ausweg mehr lassen. Er meint: »Ich wünschte, du würdest bleiben. Aber du musst tun, was dich glücklich macht.« Eine weitere Zusammenarbeit sehen wir beide nicht. Immerhin habe ich weder ein Ziel noch eine fixe Route, das verträgt sich schlecht mit dem Zeitungsgeschäft. Die Heimatredaktion muss planen können, wann beziehungsweise wo der Schreiber eingesetzt wird. Aber Tage später scheint die Sachlage plötzlich anders auszusehen: »Ich habe nachgedacht«, sagt er. »Wir entwickeln ein neues Magazin, und ich hätte gerne, dass du dafür eine Reisekolumne schreibst. Was hältst du davon? Du kriegst thematisch völlig freie Hand.« Und zack, habe ich plötzlich ein Freelance-Zusatzeinkommen für unterwegs. Nichts, was meine Ausgaben im Entferntesten decken würde, dafür ist das vereinbarte Honorar zu gering und der Deal zu wackelig, er basiert auf »Schauen wir mal, wie’s läuft«, aber etwaige Nächte unter der Brücke rücken damit zumindest ein Stück in die Ferne. Es ist, als würde das Universum mich belohnen und sagen: »Wenn du tust, was für dich stimmig ist, dann fügen sich die Dinge auf magische Weise.« Anders kann ich es nicht erklären, auch wenn ich weiß, dass das ziemlich wirr und esoterisch klingt. Aber ich schwöre, seit meinem Kurswechsel – volles Herz voraus – passieren nur noch wunderbare Dinge. Plötzlich findet sich dank meiner gewieften Steuerberaterin ein Guthaben auf meinem Finanzamtskonto. Die Redaktionskollegen überreichen mir, als mein letzter Arbeitstag naht, einen viel zu großzügigen Goodbye-Gutschein. Ärzte stecken mir kostenlose Medikamente für die Reiseapotheke zu. Ich bin geplättet von so viel Starthilfe.

* * *

Am Tag des Auszugs, als ich durch meine leer geräumte Mietwohnung wandere – mein Besitz und jene Möbel, die ich nicht verscherbeln konnte, sind auf dem Weg zu Omas wetterfester Gartenscheune, um dort eingelagert zu werden –, hallt jeder meiner Schritte auf dem Parkett. »Danke, Apartment, dass du mir ein Nest warst«, sage ich ein wenig melancholisch. Ich weiß, wenn die Tür hinter mir ins Schloss fällt, bin ich offiziell wohnungslos, aber auch für keine Haushaltsversicherung und keine Internet-, Strom- und Gasrechnungen mehr verantwortlich. Das ist ein großer Schritt. Der ganz leise daherkommt. Klack macht es. Und mit diesem kaum hörbaren Geräusch geht ein Kapitel zu Ende und das Tor ins Unbekannte auf. Ich habe mir vorgestellt, wie ich mit erhobenem Kopf und einem zuversichtlichen Lächeln in die Freiheit stolziere. Vornehmen kann man sich bekanntlich vieles. Anstatt wie eine ernst zu nehmende Weltentdeckerin voranzuschreiten, renne ich buckelig und wie ein begossener Pudel ins Leben hinaus. Draußen hat es wie aus Kübeln zu schütten begonnen, und Regenschirm, wer braucht schon einen Regenschirm? Logisch wäre, sich irgendwo unterzustellen, zu warten, bis der Wolkenbruch vorbeizieht. Doch das kann ich nicht. Ich habe bereits zu viel Zeit mit Warten vergeudet. Also wische ich mir die klatschnassen Haare aus der Stirn und beginne, die Straße entlang zu marschieren. Wild entschlossen, den Regen als eine Art kosmische Reinigung zu sehen. Und als Konfetti des Himmels. Let the party begin.

BEVOR ICH ES VERGESSE ...

SIEBEN FRAGEN, DIE’S VOR EINEM »REISEN UND JOBBEN«-ABENTEUER ZU KLÄREN GILT

Ich mag nicht die prädestinierteste Wanderarbeiterin sein. Aber auch Reisende, die weniger verweichlicht sind als ich, tun gut daran, sich über folgende Punkte vorab Gedanken zu machen:

1. Wie groß ist die Gruppe, mit der ich arbeiten und/oder wohnen werde?

Darum geht’s wirklich: Bin ich eher introvertiert oder extrovertiert? Wie viele Leute halte ich um mich herum aus, ohne bereits an Tag zwei Mordgelüste zu entwickeln?

Es sind schon ganz andere Menschen wegen kleinerer Lappalien durchgedreht. Stichwort: Lagerkoller, Kühlschrankdiebe und Dauergelaber.

2. Wie alt sind meine Gastgeber, wie jung meine Kollegen?

Darum geht’s wirklich: Zugehörigkeitsgefühl.

Wer ständig zu hören bekommt: »Oh, meine Mama und mein Papa sind in deinem Alter, die sagen das auch immer«, fühlt sich schnell wie der Hauptdarsteller in Die Mumie lebt. Kontakt zu Gleichaltrigen beziehungsweise zu Menschen, die mehr als zwei Punkte in ihrem Lebenslauf auflisten können, ist nicht zu unterschätzen. Und wenn’s nur ein Gespräch über erste graue Haare oder ein Austausch über »Ach, die Neunzigerjahre« ist – besser als nichts.

3. Was verstehe ich unter »vernünftige« Unterkunft?

Darum geht’s wirklich: Ein Zelt im Garten. Ein Bett im Schlafsaal. Ein Einzelzimmer. Ein freies Plätzchen auf der Veranda, gleich neben dem Hundekorb (gesehen auf Hawaii: Eine Familie, die Betreuung für die gebrechliche Großmutter suchte, inserierte ihre Veranda als adäquaten Freiwilligen-Schlafplatz).

Was ist ein akzeptabler Deal im Austausch für die Arbeit, die ich leiste? Und wie viel Privatsphäre brauche ich, ohne Schlafstörungen oder Verfolgungswahn zu entwickeln? Auch die Parkplatzsituation (»Darf ich mein Mietauto/Motorrad mitbringen, um nach Feierabend die Gegend zu entdecken?«) sowie Möglichkeiten zum Wäschewaschen und zum Kochen zu erfragen, schadet nicht. Gibt’s nur Kühlschränke, aber keine Kochplatten oder wenig Geschirr, ist wochenlange Brot-Käse-Wurst-Chips-Fadesse vorprogrammiert.

4. Wie viel Klugscheißer steckt in mir (und wie sehr kann ich diesen kontrollieren)?

Darum geht’s wirklich: Altersweisheit und Arbeitserfahrung.

Wird mein Ego Anweisungen von jemandem akzeptieren, der gerade mal der Pubertät entwachsen ist oder den ich fachlich in Grund und Boden reden könnte? Ehrlich sein.

5. Wie oft muss ich nachts zur Toilette?

Darum geht’s wirklich: Komfort nach einem langen Arbeitstag. Privatsphäre. Scham.

Gibt es ein nahes Badezimmer, oder muss ich zum Pinkeln jedes Mal vollständig bekleidet ans andere Ende der Welt pilgern? Existiert kein vernünftiger Lokus (und will man die Unterkunft trotzdem in Betracht ziehen), sollte man sich zumindest kurz die Regenstatistik der Region ansehen. Drei Wochen Freiluft-Pinkeln bei Dürre – da hilft am Ende nur eine Nasenklammer oder ein geruchstolerantes Umfeld.

6. Wie viel Zeit kann und soll ich investieren?

Darum geht’s wirklich: Hierarchien und Lerneffekt.

Wer nur eine Woche bleibt, bekommt die Arbeiten zugeteilt, die niemand sonst machen will. Das ist nicht unbedingt fair. Aber das ist ungeschriebenes Freiwilligengesetz. Es braucht mindestens vierzehn Tage, um seinen Platz in der neuen Umgebung/in der Gruppe zu finden. Bestechungsschokolade oder andere Opfergaben können die Sache beschleunigen, müssen es aber nicht.

7. Was tun bei Krankheit oder Verletzung?

Darum geht’s wirklich: Selbstschutz mit Selbstbewusstsein.

Es ist okay, sich zu weigern, auf die mörderisch morsche Leiter zu klettern. Ja, man darf auf Wasserfilter bestehen, wenn nur stinkig-trübe Flüssigkeit aus der Leitung kommt. Und wer noch nie mit der Motorsäge oder anderen amputationstauglichen Werkzeugen hantiert hat, sollte um Himmels willen nicht bei seinem Freiwilligen-Einsatz damit anfangen. Niemand will krank werden oder sich verletzen, schon gar nicht im Graubereich Work & Travel, den zwar spezielle Reisekrankenversicherungen wie worldnomads.com versichern. Was aber im Ernstfall, sprich bei fehlenden Gliedmaßen oder gar Invalidität, droht, verrät keine Klausel so genau.

Prinzipiell gilt: Versicherung abschließen. Mir hat bei der Entscheidung zum besten Anbieter geholfen: Ist eine Haftpflichtversicherung mit vernünftiger Höchstsumme dabei (falls ich unabsichtlich ein Auto zerkratze oder in einer Unterkunft was zerstöre), und deckt der Vertrag ein halbwegs breites Spektrum an Reise-Aktivitäten ab (Scooter fahren, Tauchgänge, Reiten, was einem halt so einfällt, wenn man Freiheit schnuppert)? Weniger wichtig erschien mir, Geld bei Flugverspätungen, verlorenem Gepäck oder gestohlenem Laptop zu bekommen (was weg ist, ist weg, und die Erstattungssummen sind ohnehin lächerlich gering). Weiters ratsam: Sich beim Hausarzt oder Tropenmediziner eine Reiseapotheke zusammenstellen lassen, mit der man von Malaria bis zur Harnwegsinfektion alles kurzfristig eindämmen kann. Und ansonsten immer ein paar hundert Euro Fluchtgeld einkalkulieren, um nicht an einem Ort bleiben zu müssen, an dem man nicht sein will. Ein Exit-Szenario ist für die eigene Würde und die weitere Reisemotivation essenziell.

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EIN TOTER GURU, EIN SCHEINTOTER UNTERLEIB, EIN MOTTO FÜR DEN WEG

»Geldbörse.« Der alte Drache thront auf einem Plastikstuhl und zeigt auf das kleine Schließfach, in das ich gleich mein Leben sperren soll.

»Kann ich noch schnell ein paar Scheine rausnehmen? Für Snacks oder so?«

»Nein, kein Geld nötig, es gibt hier keine Snacks zu kaufen«, brummt der Drache und streicht stoisch den Punkt »Portemonnaie« auf der Bestandsliste aus. »Reisepass.«

Ich krame in meiner Tasche und überreiche das Dokument.

»Bücher, Schriften, Magazine.«

»Ich besitze bloß einen eReader.«

»Nicht erlaubt«, sagt der Drache und greift auch gleich nach meinem Laptop. »Handy? Eines?«