Dunkelheit für immer gibt es nicht - Thea Wachtendorf - E-Book

Dunkelheit für immer gibt es nicht E-Book

Thea Wachtendorf

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Beschreibung

Dunkelheit für immer gibt es nicht - auch wenn viele Menschen den Zugang zu ihrem inneren Licht verloren haben, ist für jeden von uns der Weg von der Unbewusstheit zurück in die Bewusstheit möglich. Diese optimistische Botschaft ist der Kern von Thea Wachtendorfs zweitem großem Roman über den Schutzengel Wilma. Bei ihrem neuen Auftrag bekommen es Wilma und ihr Praktikant Anton mit zwei Menschen zu tun, deren Leben eine Suchtkrankheit scheinbar unheilvoll verknüpft: Da ist Freddy König, ein erfolgreicher Komödienschauspieler, der im Inneren tieftraurig ist und sich mit seinem Suchtverhalten privat und beruflich zu ruinieren droht. Und da ist Tanja, seine Assistentin, die als Kind von einem alkoholkranken Vater misshandelt wurde und seither immer wieder unbewusst suchtkranke Menschen in ihr Leben zieht. Beide werden von ungelösten Problemen mit ihrem Elternhaus geprägt - und erfahren in diesem Leben Wirkungen, deren Ursachen sie in früheren Leben gelegt haben. Auf ganz unterschiedlichen Wegen wird sich für beide die Möglichkeit auftun, die Dunkelheit zu verlassen und Frieden in sich zu finden. Erneut versteht es Thea Wachtendorf, von psychologischen Prägungen der Menschen und ihrer Beziehungen in einem leichten und lebensfreundlichen Ton zu erzählen und wie nebenbei therapeutische Wege aufzuzeigen: Unter anderem lernen die Leser eine uralte spirituelle Transformationstechnik kennen, die der Bewusstseinserweiterung und dem Wiederherstellen der Selbstliebe dient. Und dank Wilmas etwas unbedarftem Assistenten Anton kommt auch in diesem Roman der Humor nicht zu kurz.

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Über die Autorin

Thea Wachtendorf, geboren 1962 in Ostfriesland, betreibt in Prittriching bei Augsburg eine eigene Praxis für Psychotherapie, Coaching und spirituelle Schulung. Für sie sind eine Änderung im Denken und eine Erweiterung des Bewusstseins die entscheidenden Bedingungen für dauerhafte positive Veränderungen der Lebensumstände. Vor vielen Jahren machte sie ihre persönlichen Interessensgebiete, Spiritualität und Psychologie, zu ihrem Beruf und unterstützt Hilfesuchende in deren Prozess der Bewusstwerdung und Erlösung negativer Glaubens- und Verhaltensmuster. Neben ihrer Praxisarbeit bietet sie an zahlreichen Orten Vorträge und Seminare rund um oben genannte Themen an. Sie ist bekannt für ihre Fähigkeit, hohe Spiritualität in einfachen und klaren Worten zu vermitteln. Sie überzeugt mit Authentizität, Humor und alltagstauglicher Spiritualität.

Inhalt

Vorwort

Die Übergabe

Freddy und die Liebe

Von der Sucht und vom Suchen

Verloren im Ich

Das Unerlöste holt einen immer wieder ein

Die Dinge ins rechte Licht rücken

Tiefe Nacht

Unbewusstheit trifft auf Unbewusstheit

Innere Führung

Ausstieg aus überholten Rollen

Das Ende der Dunkelheit

Vorwort

Nach Herausgabe meines ersten Romans dieser Art, »Das geheilte Herz – In Sachen Liebe unverwundbar«, warten viele Leser auf die Fortsetzung der Liebesgeschichte von Jenna und Pascal. Da dieser Roman im Jahre 2025 starten würde, müsste es ein reiner Fantasyroman sein und die Herausforderung schiebe ich noch ein wenig vor mich her. Stattdessen bekommen Wilma und Anton in diesem Roman einen zweiten Fall, der zeitgleich während der Betreuung von Jenna läuft. Somit handelt es sich hierbei um einen eigenständigen Roman, der das Lesen des ersten Romans nicht erforderlich macht.

Auch für dieses Buch habe ich die Romanform gewählt, denn so kann jeder Leser auch weiterhin an seinen eigenen Vorstellungen über das Leben und über das, was danach kommt oder auch nicht kommt, festhalten. Wer weiß schon, was wahr ist? Vielleicht kann dieses Buch deine eigenen Vorstellungen unterstützen oder dir neue Inspirationen für dein Leben geben. Möge es dir helfen, von allem auch die andere Seite zu sehen und insgesamt deine Lebensumstände in einem anderen Licht zu betrachten.

Alle Ähnlichkeiten, ebenso alle Namensgleichungen mit lebenden Personen sind rein zufällig!

Thea Wachtendorf

Die Übergabe

Wilma und Anton saßen bequem in ihren Sesseln und schauten zufrieden auf die Leinwand, auf der sie Wilmas Schützling Jenna beobachten konnten. Wilma war ein sogenannter Schutzengel, die Jenna schon seit deren Geburt auf der Erde begleitete. Anton war Wilmas Praktikant. Bevor er Praktikant eines Engels wurde, hatte er schon mehrere Inkarnationen auf der Erde gelebt, aber irgendwie kapierte er das mit dem »ein bewusstes Leben führen« nicht so richtig, und so hatten die aufgestiegenen Meister ihm nach seinem letzten Tod einen Praktikumsplatz bei Wilma verordnet. Seit mehreren Jahren schaute er Wilma schon zu, wie sie ihren Schützling durch sein Leben führte, und ließ sich bereitwillig von ihr schulen. Anton war fasziniert von Wilma und ihrer Art, wie sie Jenna inspirierte, sie stärkte, sie schulte, sie tröstete und alles tat, was notwendig war, damit sie ihr Leben meistern konnte. Sie hatten mit Jenna herausfordernde Zeiten erlebt, denn diese hatte sich in einer Liebesbeziehung derart in emotionalen Abhängigkeiten verstrickt, dass sie sogar an Krebs erkrankt war. Doch war für Jenna das Schlimmste erst einmal überstanden und nach all den Schwierigkeiten würden ruhigere Zeiten für Jenna anbrechen. Aus diesem Grunde waren auch Wilma und Anton im Moment sehr entspannt und hatten Zeit, über nicht ganz so wichtige Dinge zu plaudern.

Auf der Erde schrieb man das Jahr 1996. Wilma begutachtete die Kleidung der weiblichen Gäste, die das Eiscafé, in dem Jenna arbeitete, besuchten und die sich auf der Leinwand zeigten. »An diese weiten Hosen und die hohen Plateauschuhe könnte ich mich nie gewöhnen«, überlegte sie laut. »Das kann ich gut verstehen, sieht ja auch ein bisschen doof aus«, kommentierte Anton sogleich. Wilma wollte etwas erwidern, wurde aber durch ein heftiges Klopfen unterbrochen. »Herein!«, sagte sie mit lauter Stimme und sah interessiert zur Tür. »Hallo, Erna, das ist ja eine schöne Überraschung, komm herein!«, rief sie erfreut, als sie ihre Kollegin erblickte. »Hallo, meine liebe Wilma«, begrüßte Erna auch Wilma überschwänglich und umarmte sie dabei herzlich. »Ich hoffe, ich störe euch nicht gerade bei etwas Wichtigem?«, fragte sie mit Blick auf Anton und fuhr ohne eine Antwort abzuwarten fort: »Du musst Anton sein! Ich habe ja schon so viel von dir gehört!«, rief sie begeistert aus, und ehe Anton reagieren konnte, hatte Erna ihn schon gepackt und fest an ihre Brust gedrückt. Nachdem sie ihn herzlich gedrückt hatte, ließ sie ihn auch schon wieder los, und Anton plumpste sprachlos in seinen Sessel zurück. Erna wandte sich sogleich wieder Wilma zu. »Und, hast du etwas Zeit für mich, oder ist es gerade eher ungünstig? Ich muss etwas sehr Wichtiges mit dir besprechen.« »Klar, Erna, für dich nehme ich mir die Zeit«, erwiderte Wilma. »Anton und ich besprachen gerade ein nicht ganz unwichtiges Thema, aber damit können wir später auch noch fortfahren«, fügte sie schmunzelnd hinzu. »Ich inkarniere wieder auf die Erde«, platzte Erna sogleich heraus. »Echt?« Wilma schaute ungläubig zu Erna und verzog dabei das Gesicht. »Warum willst du dir das denn noch einmal antun?« »Diese Inkarnation ist eine große Chance, etwas sehr Gutes auf der Erde bewirken zu können«, antwortete Erna enthusiastisch. »In einem weltweiten Pharmakonzern wird ein männlicher Nachkomme geboren. Er bleibt ein Einzelkind und somit Erbe des Unternehmens. Und das werde ich sein!«, fügte sie bestimmt hinzu. »Auf diese Art kann ich dann die Pharmaindustrie und die Medizin zum Guten beeinflussen. Das reizt mich ungemein, das wollte ich schon immer tun.« »Wow, na dann Glückwunsch«, sagte Wilma und strahlte Erna an. Die runzelte die Stirn und etwas weniger euphorisch sagte sie: »Das Ganze hat nur einen Haken, ich brauche sofort einen Ersatzengel, der meinen Schützling Freddy übernimmt. Und da dachte ich an dich. Du hast zurzeit nur einen Schützling in Betreuung und könntest locker einen zweiten übernehmen?« Erwartungsvoll sah sie Wilma an. Dann fiel ihr Blick auf Anton. »Ja, du hast zwar einen Praktikanten, aber Anton ist bestimmt ein schlaues Kerlchen und raubt dir nicht viel Zeit? Wie man so hört, ist er sehr gelehrig.« Sie zwinkerte zu Anton hinüber, der immer noch sprachlos in seinem Sessel saß. Bei den Worten »schlaues Kerlchen« hatte sein Körper sich sichtlich aufgerichtet, er wirkte gleich um ein paar Zentimeter größer, und ein breites Grinsen erschien auf seinem Mund. Männer, dachte Wilma bei sich, sie sind so leicht manipulierbar! Aber das hatte Erna schon immer gut drauf! Lächelnd ruhte ihr Blick auf Anton, dann wandte sie sich wieder Erna zu. Die schaute sie flehend an und sagte: »Bitte, Wilma, du bist meine einzige Rettung. Wenn du nicht JA sagst, dann wird es nichts mit meiner Inkarnation! Und somit auch nichts mit der Verbesserung des Gesundheitssystems auf der Erde, was natürlich ein großes Drama für alle Erdlinge wäre! Willst du das?«, fragte Erna erwartungsvoll. Wilma überlegte kurz, und ihr Blick ruhte dabei fragend auf Erna. »Ist Freddy ein komplizierter Fall?« Erna sah Wilma direkt in die Augen und sagte entschieden: »Nöööö, nein, neiiiiiiiin, ein ganz normaler Durchschnittsmensch.« »Okay, dann übernehme ich ihn«, sagte Wilma, und mit Blick auf Anton fügte sie hinzu: »Es ist sicher auch ganz spannend für Anton, ein männliches Wesen zu begleiten.« Anton nickte eifrig und grinste dabei immer noch übers ganze Gesicht. »Gut«, sagte Wilma, »dann ist das hiermit entschieden, wir übernehmen deinen Fall. Wann machen wir die Übergabe?« »Am besten jetzt gleich«, erwiderte Erna, »denn ich werde in ein paar Stunden geboren und habe alles vorbereitet.« Wilma aktivierte mittels einer Fernbedienung eine zweite Leinwand links von der, auf der sie Jennas Leben betrachteten. Alle Sessel im Raum waren so positioniert, dass man sich bequem in alle Richtungen drehen konnte, um alle vier Leinwände betrachten zu können. Vier Schützlinge gleichzeitig zu betreuen, war das absolute Limit für einen Engel, aber möglich war es, und es kam auch hin und wieder vor. »Komm, Anton, dreh dich zu dieser Leinwand herum, gleich geht’s los«, forderte Wilma ihn auf und nahm selbst auch Platz.

Erna setzte sich ebenfalls und wandte sich Wilma zu. »Ich habe eine Zusammenfassung erstellt. Du findest alle Daten zu Freddy und seinen Lebensumständen im Ordner ›Fritz Müller, geboren 12.06.1958, 8.30 Uhr, in Königsbrunn, Bayern/Deutschland‹.« »Ich dachte, er heißt Freddy?«, fragte Wilma etwas irritiert. Gleichzeitig bediente sie ihren Hauptrechner, lud die passende Datei hoch, und sogleich zeigte die Leinwand einen gut aussehenden Mann, der gerade auf einer Bühne stand, weil er in einem Theaterstück mitwirkte. »Sein Geburtsname lautet Fritz Müller, sein Künstlername lautet Freddy König«, erklärte Erna. »Freddy, weil er ein absoluter Fan von Freddy Quinn ist, König, weil er in Königsbrunn geboren wurde. Er ist ein sehr erfolgreicher Schauspieler, ein Komödiant. Er wurde schon im Alter von siebzehn Jahren für den Film entdeckt und ist in ganz Deutschland bekannt und sehr beliebt. Auch in den benachbarten Ländern Holland, Österreich und in der Schweiz kennt man ihn. Er ist jetzt achtunddreißig Jahre alt und lebt seit seinem achtzehnten Lebensjahr in München. Innerhalb Münchens ist er ein paarmal umgezogen. Je erfolgreicher er wurde, desto größer und komfortabler wurden seine Wohnungen. Derzeit wohnt er in einem schicken Penthouse mit Dachterrasse in Schwabing, nahe dem Englischen Garten. Edel, edel, sag ich nur«, betonte Erna mit einem anerkennenden Blick.

»Wie wurde er Komödiant?«, fragte Anton neugierig. »Gute Frage, da muss ich etwas ausholen. Ich erkläre jetzt kurz seine Familiengeschichte, und daraus ergibt sich dann auch die Antwort«, sagte Erna und bat Wilma, den Film weiterzuspulen. Auf der Leinwand sah man ein kleines Einfamilienhaus mit einem kleinen Garten. In dem saß eine etwas verbittert wirkende Frau. »Das ist Magda Müller, die Mutter von Freddy«, erklärte Erna. »Freddy ist das jüngste Kind von drei Kindern. Heinrich ist der älteste Sohn. Er wurde 1956 geboren und ist somit zwei Jahre älter als Freddy. Martin wurde 1957 geboren, ist somit ein Jahr älter als Freddy. Obwohl die drei Brüder nur jeweils ein Jahr auseinander sind, sind sie doch grundverschieden und hatten nicht viel miteinander zu tun. Der Vater der Jungs heißt Herbert Müller.« Erna fuhr fort, und von jeder neuen Person, die sie nannte, erschien gleichzeitig ein aktuelles Foto auf der Leinwand. »Als die Kinder 1976 aus dem Haus waren, verließ Herbert Magda und zog aus. Er hatte sich schon ein paar Jahre zuvor in eine zehn Jahre jüngere Frau verliebt, war aber der Kinder wegen geblieben. Schaut, das ist Marlies, seine neue Frau.« Auf der Leinwand sahen sie jetzt eine fröhlich wirkende Frau. »Sehr hübsch«, entfuhr es Anton. »Ja«, stimmte Erna ihm zu, »das ist sie. Herbert und sie sind sehr glücklich miteinander. Magda dagegen hat sich nie wieder für einen neuen Mann öffnen können und lebt seitdem allein in dem Haus. Herbert wohnt mit Marlies nur ein paar Straßen weiter. Er ist Betreiber einer Autowerkstatt, die unweit seines alten Zuhauses liegt, und deswegen blieb auch er in Königsbrunn wohnen. Heinrich, der älteste Sohn, ist verheiratet mit Sonja.« Die Leinwand zeigte nun einen stark übergewichtigen Mann und eine im Rollstuhl sitzende zarte Frau. »Sonja sitzt seit fast zehn Jahren im Rollstuhl«, fuhr Erna fort. »Sie hatte sich während einer Urlaubsreise mit Heinrich in Indien eine EHEC-Infektion zugezogen. In deren Folge kam es zu einer Hirnschwellung und daraufhin zu Ausfallerscheinungen und motorischen Störungen in Armen und Beinen sowie Ganzkörperspasmen. Heinrich kümmert sich liebevoll um Sonja. Von Beruf ist er Krankenpfleger und kann sich seine Zeiten so einteilen, dass er Sonja ohne Hilfe von anderen versorgen kann.

Sie leben in einem Eigenheim in Augsburg. Freddy hat seinem Bruder finanziell geholfen und das ganze Haus behindertengerecht umbauen lassen. Und das ist Martin«, fuhr sie fort. Die Leinwand zeigte nun einen sehr schlanken Mann, der auf einem Weg entlang eines Flusses joggte. Erna verdrehte leicht die Augen, als sie mit Blick auf die Leinwand fortfuhr: »Der rennt und rennt. Dort läuft er gerade am Lech entlang. Das macht er übrigens zweimal täglich. Einmal vor und einmal nach der Arbeit. Er läuft täglich sicher vierzig Kilometer. Martin ist Single und wohnt in Augsburg im Stadtteil Hochzoll. Er ist als IT-Techniker bei der Augsburger Agentur für Arbeit angestellt. Und nun zu deiner Frage«, sagte Erna mit Blick auf Anton. »Heinrich war als Kind eher auf den Vater fixiert. Er liebte Autos und verbrachte die meiste Freizeit in der väterlichen Werkstatt. Auch heute noch hat er ein sehr gutes Verhältnis zum Vater. Martin war ein intelligentes, aber ruhiges und zurückgezogenes Kind. Am liebsten las er Bücher oder hörte Musik. Er hat weder zum Vater noch zur Mutter ein inniges Verhältnis. Freddy war eher ein Mamakind. Im Gegensatz zu Heinrich hatte Freddy keine gute Beziehung zu seinem Vater, denn er sah, wie unglücklich seine Mutter mit ihm war. Sein Vater war überwiegend in seiner Autowerkstatt beschäftigt und war so gut wie nie zu Hause. Abends trank er mit Freunden dort sein Feierabendbier, anstatt mit der Mutter etwas zu unternehmen. Selbst an den Wochenenden tüftelte er in der Werkstatt herum. Freddy fand, sein Vater sei kein guter Ehemann, und er tat sein Bestes, um seine Mutter glücklicher zu sehen. So verbrachte er die meiste Zeit seiner Kindheit mit ihr. Er half ihr, wo er nur konnte, und brachte sie stets zum Lachen. Magda hing auch sehr an ihrem Fritz, und so entstand ein sehr inniges Verhältnis, das bis heute anhält. – Weißt du, was Abwehrmechanismen sind?«, fragte sie Anton nun. »Logisch«, antwortete Anton mit einer Spur Stolz in der Stimme. »Wenn wir negative Emotionen erschaffen haben und sie nicht fühlen wollen, weil es wehtut, dann haben wir unbewusste Abwehrstrategien entwickelt, um diese unliebsamen Emotionen wegzumachen. Das nennt man dann verdrängen oder verschieben und so.« Erna lächelte Anton an. »Ja, genau, super! Kennst du auch den Abwehrmechanismus, den man ›ins Gegenteil verschieben‹ nennt?« »Mmmhhh, habe ich schon gewusst«, meinte Anton jetzt etwas kleinlauter und schaute fragend zu Wilma, »aber genau erklären kann ich das nicht mehr.« »Macht nichts«, sagte Erna weiterhin lächelnd, »dann erkläre ich es dir gerne noch einmal.

Bei dem besagten Abwehrmechanismus macht man automatisch, also unbewusst, immer das Gegenteil von dem, was man wirklich will und fühlt. In Wahrheit ist Freddy traurig, weil seine Mama depressiv und traurig ist. Aber anstatt seine Trauer zu fühlen und zu zeigen, verschiebt er sie und lebt das Gegenteil. In dem Fall eben Lustigsein. Er will, dass seine Mutter glücklich ist. Jedes Kind möchte, dass seine Eltern glücklich sind, denn wenn sie glücklich sind, dann sind sie fähiger, ihre Kinder zu sehen und zu lieben. Und jedes Kind möchte die Anerkennung und Liebe seiner Eltern, das ist menschlich.« Erna machte eine kleine Pause und schaute prüfend auf Anton. »Also ist er in Wahrheit lustig, weil er geliebt werden will?«, fragte Anton mit einem Stirnrunzeln. »Genau«, bestätigte Erna, »und somit ist das Lustigsein nicht echt, es ist so etwas wie eine Rolle. Er spielt sie schon seit der Kindheit, und somit ist er von Kindheit an praktisch schon ein Schauspieler. Die meisten Menschen sind Schauspieler, fast alle Menschen spielen unbewusst irgendwelche Rollen. Hier gebe ich dir noch ein anderes Beispiel für diesen Abwehrmechanismus. Freddy ist wütend auf seinen Vater, aber anstatt ihm seine Wut zu zeigen, macht er lieber einen Witz. Heute ist er vielleicht neidisch auf einen Kollegen, aber anstatt ihn seinen Neid spüren zu lassen, lächelt er und lobt ihn überschwänglich. Er hat die Erfahrung gemacht, dass die Menschen ihn lieber mögen, wenn er witzig und positiv ist, und so wurde er automatisch immer lustiger und positiver. Irgendwann wurde diese private Rolle auch seine berufliche Rolle, und heute ist er offiziell ein Komödiant. Immer gut gelaunt, stets hilfsbereit, aufmunternd für jedermann und immer mit einem großartigen Spruch auf den Lippen. Tief innen ist er natürlich nicht lustig und positiv, da brodeln Ärger, Angst, Trauer und Wut in ihm, aber das verdrängt er. Als Siebzehnjähriger wurde er in einer Schwabinger Kneipe von einem Regisseur entdeckt und vom Fleck weg für eine Komödie engagiert. Er hatte sofort Erfolg, denn er musste nicht mehr lernen, ein Komödiant zu sein, er war schon einer.« In Antons Blick standen immer noch Fragezeichen, doch Erna richtete sich nun an Wilma. »Du wirst ihm das alles sicher noch an vielen Geschehnissen erklären können; aus Zeitgründen würde ich jetzt gerne fortfahren.« »Ja, mach nur«, erwiderte Wilma, und zu Anton gewandt sagte sie:

»Wenn wir die einzelnen Lebenssituationen von Freddy anschauen, dann wird es für dich leichter zu verstehen sein. Okay, Anton?« »Ja, alles klar«, antwortete Anton, und man konnte ihm anmerken, dass sein Interesse an Freddys Seelenleben erwachte. Erna zeigte wieder auf die Leinwand. »Jetzt müsst ihr nur noch eine Person kennenlernen«, sagte sie und schaute etwas gehetzt auf ihre Uhr. »Also, weil die Zeit drängt, mache ich es kurz. Du findest alles Weitere ja in der Datenbank«. Auf der Leinwand zeigte sich jetzt eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren, schlank, mittelgroß, in einem blauen Kostüm eher etwas zu streng gekleidet. »Das ist Tanja, 36 Jahre alt, wohnhaft in München, derzeit arbeitslos. Sie ist auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch. Freddy sucht eine neue Assistentin, und sie ist für die Position wie geschaffen. Warum, wieso, weshalb, das schaut ihr zwei einfach in Ruhe an. Und wenn ihr noch Fragen zu Tanja habt, dann könnt ihr euch an Fritz wenden, denn er ist ihr Engel und weiß alles von ihr.« »Du meinst Fritz 003?«, fragte Wilma entsetzt. »Ja, genau den«, beeilte Erna sich zu sagen und erhob sich schnell. »Ja, aber«, wollte Wilma einwenden, aber Erna umarmte sie stürmisch und machte sie auf diese Weise mundtot. Schnell warf sie danach Anton noch eine Kusshand zu und verließ augenblicklich den Raum mit den Worten :»Ich muss lohos, die Erde wartet auf mich!«

»Wow, die hat es aber auf einmal eilig«, stellte Anton fest. »Hat das vielleicht etwas mit dem Fritz 003 zu tun?« Wilma schaute verdutzt drein und sagte dann resigniert: »Ich fürchte, ja.« »Wieso, wer ist das, und warum siehst du auf einmal so unglücklich aus?« »Fritz 003 ist ein Sonderengel für Schützlinge mit Suchtproblemen«, klärte Wilma ihn auf. »Und wenn besagte Tanja ihn als Engel hat, muss sie damit ein ungelöstes Thema haben. Wenn aber diese Tanja wirklich als Assistentin für Freddy arbeiten wird, muss auch er mit Suchtproblemen behaftet sein«, schlussfolgerte sie. »Klingt spannend«, meinte Anton spontan, »aber nicht einfach.« »Nein, einfach wird das nicht«, erwiderte Wilma, und in Gedanken sagte sie: Na warte, Erna, irgendwann revanchiere ich mich! »Okay, Anton«, sagte sie laut, »da müssen wir jetzt durch. Dann wollen wir doch mal sehen, wie das Vorstellungsgespräch mit Tanja und Freddy verläuft.«

Sie schauten zur Leinwand und sahen, wie Tanja gerade die Wohnung von Freddy betrat. Sophia, Freddys Hausdame, empfing sie und bat sie, im Arbeitszimmer noch kurz Platz zu nehmen. Wow, dachte Tanja, echt nobel hier. Sie schaute sich im Raum um. Ein offener Kamin, ein gediegener Schreibtisch aus Mahagoni, dahinter ein überdimensionaler Schreibtischstuhl aus Leder, eine sündhaft teuer aussehende Schrankwand aus Mahagoni, ein hellgrauer Veloursteppichboden, geschmackvolle Sessel aus edlem schwarzem Leder und ein Glastisch, auf dem eine Karaffe mit Wasser und zwei Gläser standen. Sie rutschte etwas unruhig in ihrem Sessel herum und wünschte sich, dass sie das Gespräch schon hinter sich hätte. Sie war jetzt seit zwei Monaten arbeitslos und brauchte dringend einen neuen Job. Plötzlich ging die Tür auf, und herein kam ein strahlender Freddy König. »Liebe Frau Sänger«, begrüßte er sie überschwänglich, »verzeihen Sie bitte, dass ich Sie warten ließ, aber jetzt bin ich für Sie da.« »Kein Problem«, erwiderte Tanja freundlich und blickte ihn offen an. Sein Blick streifte sie, und was er sah, schien ihm zu gefallen. »Ich habe Ihre Zeugnisse und Referenzen mit Freude gelesen und denke, Sie wären perfekt für die Assistentinnenstelle.« Fröhlich schaute er sie an. »Sie müssten natürlich zeitlich flexibel sein – ich habe keine Arbeitszeiten von 8 bis 17 Uhr. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie mich an erster Stelle setzen, wenn ich Sie brauche.« »Was genau gehört denn zu meinen Aufgaben?«, fragte Tanja noch etwas unsicher. »Das Erledigen meiner gesamten Korrespondenz wie Rechnungen schreiben, Anfragen aller Art bearbeiten, Termine vereinbaren, Werbeauftritte organisieren, meinen Tourneeplan verwalten, Drehzeiten für Filme organisieren, Hotels buchen und so was in der Art. Mein Manager ist für die Verträge, Honorarverhandlungen und Abschlüsse zuständig und wird direkt mit Ihnen zusammenarbeiten. Ihr Büro befindet sich im Erdgeschoss dieses Hauses. Ich habe eine Wohnung für diesen Zweck angemietet, denn ich liebe kurze Wege, und natürlich möchte ich meine Privaträume für mich allein. Interessiert?« Fragend blickte er sie an. Tanja entspannte sich innerlich und sagte lächelnd: »Ja, sehr interessiert. Mir sind alle Aufgaben aus früheren Positionen vertraut, und es würde mir großen Spaß machen, für Sie zu arbeiten.« Charmant lächelte er zurück. »Das freut mich sehr! Darf ich Sie Tanja nennen? Nennen Sie mich Freddy.« Er hielt ihr die Hand hin, und sie schlug ein. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihr Büro.« Entspannt folgte sie ihm und bestieg mit ihm den Fahrstuhl, der sie ins Erdgeschoss brachte. Das Büro war sehr geschmackvoll und großzügig