Düstere Begegnungen - Elli Rose - E-Book

Düstere Begegnungen E-Book

Elli Rose

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Beschreibung

Fünfzehn perfide, gruselig, skurrile oder auch groteske Geschichten aus den Genres Krimi-, Mystery- und Grusel von der Krimiautorin Elli Rose, alias Rosemarie Benke-Bursian, laden zum einem spannenden aber auch entspannten Leseschmaus ein.

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Seitenzahl: 138

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Ähnliche


Inhalt

Eine nette Überraschung

Wiedersehen mit Folgen

Begegnung der anderen Art?

Ein Mord kommt selten alleine

Was bleibt?

Auto unter Verdacht

Teuflischer Mord

4-3-5-tot – Rätselkrimi

Dunkel war’s

Was wirklich geschah

Miriam

Ins Netz gegangen

Tödlicher Irrtum

Eingeholt

Das letzte Mal

4-3-5-tot – Lösung

Nachwort

Die Autorin

„15 Tage“ Leseprobe

Eine nette Überraschung

Es kam mit der Morgenpost. Ein ganz normal aussehendes Paket in braunem Packpapier und verschnürt mit derber Doppelschnur. Es unterschied sich in nichts von den tausend anderen Paketen, wie sie die Postboten tagtäglich austragen. Mit diesem hier hatte es aber eine besondere Bewandtnis - eine ganz besondere ...

Alex Steiner lachte sich ins Fäustchen. Er nahm das Päckchen entgegen und stellte es auf den Küchentisch. Dann suchte er einen Notiz-Zettel und schrieb: „Vorsicht, nicht öffnen!“ und darunter „Lebensgefahr!“

Mit roter Farbe hatte er die Buchstaben auf das weiße Papier gemalt. Schön auffällig, sodass Christine es auch bestimmt sah. Dann hängte er den Zettel an das Päckchen. Sollte ja niemand sagen, er hätte sie nicht gewarnt.

Zufrieden betrachtete er sein Werk. Das würde sie natürlich keinesfalls abhalten, dieses Paket zu öffnen, im Gegenteil, sie würde es ganz sicher für einen schäbigen Trick halten.

Und im Grunde würde sie sogar recht haben. Dies war bestimmt ein schäbiger Trick. Und wie schäbig er war …

Alex grinste boshaft als er das Paket auf die Kommode im Schlafzimmer legte. Da würde sie es finden, wenn sie heute Abend nach Hause kam und zu Bett ging.

Beschwingt ging er ins Wohnzimmer zurück und goss sich einen Cognac ein. Jetzt trennten ihn nur noch wenige Stunden von der Erbschaft, einer sehr reichen Erbschaft.

Er kicherte, als er daran dachte, dass Christine ihm dabei sogar noch helfen würde. Denn in ihrer Neugierde, ihrer fürchterlich lästigen Neugierde, die sie veranlasste, ihr hübsches Näschen in alles, aber auch wirklich alles, zu stecken, würde sie natürlich nichts Besseres zu tun wissen, als dieses geheimnisvolle Paket zu öffnen. Und das würde ihr heute zum Verhängnis werden. Jawohl. Zum einem ganz bitteren Verhängnis.

Schon lange war Alex nicht mehr in so freudiger Stimmung gewesen. Gut, dass Christine heute den ganzen Tag mit ihren Freundinnen – oder wem auch immer – unterwegs war und ihn nicht sehen konnte.

Als der Abend anbrach, zog er sich für seinen Club um. Es ging doch nichts über ein einwandfreies Alibi.

Jetzt war es 19 Uhr. Christine würde in etwa einer Stunde nach Hause kommen und – das wusste er genau – spätestens um 22 Uhr zu Bett gehen.

Spätestens 22 Uhr also. Albert schnalzte mit der Zunge. Als er kurz nach Mitternacht heimkehrte, schlich er in freudiger Erregung sogleich ins Schlafzimmer. Richtig, da lag seine Frau in unnatürlich verrenkter Stellung auf dem Bett. Neben ihr das geöffnete Paket – leer.

Hastig blickte er sich um, konnte aber nichts entdecken. Nun gut, um den schwarzen Skorpion würde er sich später kümmern müssen. Zunächst hatte er aber noch etwas anderes Wichtiges zu erledigen.

Vor einigen Tagen hatte Christine in ihrer Kassette einen Brief versteckt. Einen Brief, in dem sie ihn, ihren Mann verdächtigte, ihren Tod zu planen. Wusste der Himmel, wie sie nun darauf gekommen war. Zum Glück hatte Alex von diesem Brief rechtzeitig erfahren, ohne dass sie wusste, dass er wusste ...

Gerührt betrachtete er seine Frau, oder besser gesagt seine Ex-Frau, eine Weile. So tot gefiel sie ihm gar nicht so schlecht. Dann durchsuchte er ihre Frisierkommode nach dem Schlüssel.

Unwillkürlich musste er den Kopf schütteln. Dumme kleine Christine. So eine lächerlich billiges Versteck. Er hatte es natürlich gleich entdeckt.

Mit dem Schlüssel in der Hand ging in den angrenzenden Ankleideraum. Hier zwischen ihrer Wäsche befand sich die kleine Kassette. Also wirklich. Genauso gut hätte sie Schlüssel und Kassette einfach auf ihrem Schreibtisch deponieren können.

Mit sicherem Griff öffnete er den Deckel, fasste hinein, stieß einen Schrei aus und zog eilig die Hand zurück.

Es war zu spät. Der Skorpion hatte bereits zugestochen.

Ungläubig starrte Alex auf das exotische Tier, dann fühlte er auch schon wie ihn die Kräfte verließen.

Nebenan waren jetzt Geräusche zu hören. Während er zu Boden glitt, hörte er, wie jemand ohne Eile durch das Zimmer ging, zum Telefonhörer griff und in aller Ruhe eine Nummer tippte.

Dann vernahm er –selber immer schwächer werdend – Christines Stimme: „Hören Sie, können Sie bitte schnell kommen ... zu Steiner ... ja Steiner, S-T-E-I-N-E-R ... Sonnenallee zwölf. Ja ... ein Unfall ... mein Mann …

Alex Gedanken wirbelten in seinem Kopf herum. Was zum Teufel, war passiert? Wieso konnte er seine tote Frau sprechen hören? Und was war mit ihm …

„Irgend so ein komischen Tier hat ihn gebissen. Oder gestochen. ... Nein, kein Hund! ... Ich weiß nicht, was das für ein Tier ist! Etwas exotisches, glaube ich. ... Nein, auch keine Schlange. … Hören Sie, ich trau mich nicht näher ran zu zu gehen, um genauer nachzusehen. Ich will doch nicht auch noch gebissen werden! Jetzt machen sie doch bitte schnell! Ich glaube er stirbt. ...

Ja ... er stirbt ...“

Wiedersehen mit Folgen

Corinna beugte sich über die Frau, die mit merkwürdig verrenkten Armen und Beinen vor ihr auf dem Boden lag und sie aus trüben Augen anblickte.

Der Bus, der sie beim Anfahren an die Haltestelle frontal erwischt und zu Boden geschleudert hatte, stand jetzt etwas abseits, schräg auf der Bordkante.

Ringsum erschallte lautes Stimmengewirr. Mit abgehackten Sätzen wurde ein Krankenwagen geordert. Eine schrille Stimme beklagte unermüdlich den schrecklichen Unfall. Eine andere Stimme bemerkte: „Das sah ja fast so aus, als wenn sie geschubst worden wäre.“ Irgendjemand antwortete: „Kein Wunder, bei dem Gedränge, das hier immer herrscht. Das musste ja mal passieren.“

Corinna kümmerte sich nicht um die Stimmen ringsherum. Sie kniete vor der verletzen Frau, die ihre Lippen geöffnet hatte, als wolle sie etwas sagen.

Kniete vor der Frau, die sie so viele Jahre nicht gesehen hatte und die vor kaum zehn Minuten so unvermittelt aus der Menge aufgetaucht war: Jasmin.

Ihre ehemals beste Freundin und Vertraute.

Es war vor mehr als zehn Jahren gewesen, als sie Jasmin ihren neuen Freund Phillip vorgestellt hatte. Phillip und Corinna hatten den gleichen Geschmack, die gleichen Vorlieben und Träume, er war der Traummann schlechthin. Und Phillip stand ihr auch mit Fachwissen und tatkräftigem Engagement bei der Suche nach einem kleinen Jugendstiltisch zur Seite, der zu ein paar geerbten Stühlen passen sollte. Eine Herzensangelegenheit von Corinna, über die andere Bekannte sich leicht mal etwas lustig machten. Dass sie kein Tischchen fanden, war auch nicht schlimm, denn allein die gemeinsame Suche ließ ihre Beziehung besonders intensiv werden.

Es war einfach alles perfekt.

Zu perfekt. Eine solche Traumbeziehung musste einen Haken haben. Da war sie sich schon bald absolut sicher.

Das Treffen zwischen ihren Freunden wurde ein voller Erfolg. Jasmin und Phillip schienen sich auf Anhieb zu mögen.

Corinna war erleichtert. Sie hatte befürchtet, dass Jasmin der Knackpunkt in der Beziehung werden könnte, dass Phillip Jasmin womöglich nicht würde ausstehen können. Denn Jasmin war schrill, laut und unkonventionell, liebte all das, was in Corinnas Leben eher keinen Platz hatte. Dass sie befreundet waren, war den meisten ein Rätsel. So stand Jasmin für alles, was Phillip geradezu hasste.

Doch Phillip fand Jasmin nett, als Gesprächspartnerin interessant und Jasmin fand Phillip charmant und witzig. Schon wieder perfekt.

Zu perfekt.

Der Tag kam schneller als erwartet. Der Tag, den Corinna vorausgeahnt und befürchtet hatte und der alles zerstörte. Der Tag war ihr 30. Geburtstag.

Phillip hatte eine Überraschungsfeier angekündigt und sie nach der Arbeit direkt zu sich nach Hause bestellt. Dann hatte ihr Chef ihr sogar noch eine Stunde geschenkt und voller Vorfreude sprang sie früher als gedacht vor Phillips Wohnung aus dem Auto.

Vielleicht konnte sie ihm noch ein bisschen bei den Vorbereitungen helfen, dachte sie. Außerdem hoffte sie auf ein wenig zusätzliche Zeit mit ihm allein. Etwas ungestörte Zeit an diesem besonderen Tag.

Gerade wollte sie den Wagen abschließen, als sie Jasmin aus der Haustür kommen sah. Sie wirkte aufgeregt, etwas Geheimnisvolles umwehte ihre eiligen Schritte.

Hinter ihr trat Phillip aus der Tür, seltsam zerzaust und beschwingt. So hatte sie ihn noch nie gesehen. Nun rief er Jasmin etwas zu, das sie nicht verstand.

Ihre Freundin lief zurück und Phillip nahm sie tatsächlich in die Arme. Mehr noch, er drückte sie fest an sich und – Corinna fühlte ein Schwert tief in ihren Körper sausen – küsste sie.

Phillip und Jasmin!

Diese ganze Geburtstags-Geheimniskrämerei, alles Betrug! Das ganze Geflüster und Getuschel, diese verschwörerischen Blicke, die häufigen Termine, die Jasmin und Phillip wie zufällig gleichzeitig gehabt hatten …

Oh wie dumm war sie gewesen!

Auf so eine Geburtstagsüberraschung konnte Corinna verzichten. Sie wollte Phillip und Jasmin nicht mehr sehen.

Nie mehr!

Und tatsächlich war ihr das gelungen.

Hals über Kopf hatte sie alle Zelte hinter sich abgebrochen und war in eine ferne Stadt gezogen.

Zuvor hatte sie sich vorübergehend in einem Hotel einquartiert, ihr Handy ausgeschaltet und den gerade genommenen Urlaub genutzt, sich abzusetzen.

Danach war es ihr allerdings nie wieder richtig gut gegangen. Finanzielle Einbußen waren dabei das Eine, – ihre überstürzte Flucht machte so gar keinen guten Eindruck bei Vorstellungsgesprächen.

Und sie blieb allein. Wohnte einsam, verbittert und wenig komfortabel in einer Betonwüste aus in die Jahre gekommenen Hochhäusern.

Die geerbten Stühle ohne passendes Tischchen erschienen ihr dabei wie das Sinnbild ihres eigenen Lebens. Auf ihnen sitzend ertränkte sie so manchen einsamen Abend in Wein, Kognak oder Schnaps.

Doch heute waren sie sich begegnet. Ganz unverhofft und unvorbereitet. Kaum fünf Minuten bevor der Bus kam, hatte Jasmin sich durch die wartende Menge geschoben.

„Corinna! Ich fasse es nicht. Endlich! Was habe ich dich gesucht. Und jetzt stehst du einfach hier an der Bushaltestelle.“ Jasmin starrte sie an, als wäre diese ein Wesen von einem anderen Stern.

Mit ihren Second-Hand-Kleidern und der Frisur, die lange keinen Frisör mehr gesehen hatte, sah sie für Jasmin vermutlich wirklich wie eine Außerirdische aus.

„Corinna, was ist denn bloß passiert, damals?“ Ihre ehemalige Freundin sah gut aus. Sehr gut sogar. Das strahlende Leben. Ob sie verheiratet war? Kinder hatte? Mit PHILLIP? Jasmin stand nun direkt neben ihr und der vertraute Duft ihres Parfüms stieg Corinna schmerzlich in die Nase.

„Was ist passiert?“ So leise wie die Frage jetzt gesprochen worden war, so laut dröhnte sie in Corinnas Ohren.

Wie konnte sie es wagen? Wie konnte Jasmin nur so eine Frage stellen?

Das Motorengeräusch des herannahenden Busses übertönte Jasmins nächste Worte. Dann ein Schrei und die Freundin stürzte direkt vor den Bus.

Bremsen quietschten, Menschen sprangen kreischend zur Seite, der Bus kam schleudernd zum Stehen und Jasmin lag in einer Blutlache auf der Straße.

„Corinna.“ Jasmin hatte all ihre Kraft zusammengenommen, um zu sprechen. „Ach Corinna, jetzt habe ich dich endlich wieder gefunden, und dann passiert so ein blöder Unfall.“ Die Freundin keuchte schwer. „Warum bist du nur so plötzlich verschwunden? Wir haben uns solche Sorgen gemacht.“

„Und, bist du nun glücklich geworden, mit Phillip?“ Corinna biss sich auf die Lippen. Sie hatte gar nicht sprechen wollen.

„Mit Phillip? Ich und Phillip? Was redest du da?“ Mit leisem Stöhnen schloss Jasmin die Augen. „Ich weiß nicht mal, wo er jetzt wohnt.“

„Ich hab euch doch gesehen. Ihr habt euch umarmt und geküsst. Ausgerechnet an meinem Geburtstag.“

„Ach, Corinna“, Jasmins Stimme wurde immer schwächer. „Da hat er sich doch nur dafür bedankt, dass ich ihm das Tischchen besorgt habe. Weißt du noch? Jugendstil, oder so. Passte genau zu deinen Stühlen, aber die alte Dame wollte erst nicht verkaufen.“ Jasmin schien ihre Kraft zu verlieren. „Brauchte ein bisschen Überredungskunst ... gerade noch ... rechtzeitig ... deinem ... Geburts...“

Corinna lauschte Jasmins Worten nach und versuchte deren Sinn zu erfassen.

„Sie stirbt!“, schrie jemand wie aus weiter Ferne.

Corinna strauchelte. Ihre Augen fühlten sich nass an und die Umgebung schien in einem Dunstschleier zu versinken.

„Das war überhaupt kein Unfall!“, rief jemand anderes

Eine dritte Stimme bestätigte: „Stimmt! Sie wurde gestoßen!“

Corinna drehte den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam.

Ein Zeigefinger verfehlte nur knapp ihr linkes Auge. „Die hier war‘s!“

Ihre Füße begannen wie von selbst zu laufen, ohne dass ihre Augen sahen, wohin sie sie trugen.

Hinter sich hörte sie Rufe von „tot“, und „haltet sie“, die wie Nadelstiche ihren Körper trafen.

Dann holte das Wort „Mörderin“ sie ein, begleitet von einem scharfen Quietschen, ähnlich dem des Busses vorhin, als der zu bremsen versuchte. Es folgten dumpfe Schmerzen, die den gesamten Körper durchfluteten, sich mit denen der Seele mischten, während ihre Füße vom Boden abhoben.

Schwerelosigkeit und Dunkelheit schienen sie gnädig zu umfangen, während ein gehässig gesprochenes „Recht geschieht ihr“ zwar noch ihr Ohr, aber nicht mehr ihren Verstand erreichte.

Begegnung der anderen Art?

Rhicko lag auf seinem Bett und starrte an die Decke.

Morgen.

Morgen war es endlich soweit. Der Tag, auf den nicht nur er, sondern die ganze Gruppe des Orbitschiffes OS-00-11 gewartet hatte, war da.

Im Jahre 00 hatten sie ihren blauen Heimatplaneten verlassen. Da war Rhicko noch nicht einmal geboren. Seine Eltern und Großeltern auch nicht. Seit Generationen warteten sie auf diesen Tag.

Morgen.

Insgesamt 50 Orbitschiffe hatten im Jahr 00 das heimatliche Sonnensystem verlassen. Jeden Tag genau eines, OS-00-11 am 11. Tag. Jedes mit drei eigenen vorprogrammierten Zielen. Und jede Gruppe hatte die Hoffnung und Sehnsucht mitgenommen, eines ihrer Ziele möge ein bewohnbarer Planet sein.

Dass der alte es nicht mehr sein konnte, hatte sich schon lange angebahnt und die Ursachen waren hausgemacht. Schon Rhickos Urahnen hatten den Planeten bis zur Erschöpfung ausgebeutet, ausgelaugt und geplündert. Durch Kriege um die letzen Ressourcen hatten sie ihm schließlich den Todesstoß versetzt. Nun war er verwüstet, vergiftet und auf Jahrhunderte, womöglich Jahrtausende, verseucht.

Einige wenige sahen das Unglück kommen und machten sich an die Planung und den Bau der gigantischen Orbitschiffe. Buchstäblich in letzter Minute konnten so ausgesuchte Personen auf die Reise gehen. Ausgesucht, weil jeder Beruf vertreten sein sollte: Computerspezialisten und Ingenieure, Ärzte und Altenpfleger, Natur- und Geisteswissenschaftler, Köche und Lebensmittelproduzenten, Lehrer und Erzieher, Philosophen, Geschichtenschreiber, Künstler, Reinigungskräfte und viele mehr. Und sie alle wussten, dass frühestens die Kindeskinder der Kindeskinder das erste Ziel erreichen konnten.

Der Abschied von den Zurückgebliebenen war wohl herzzerreißend gewesen, man wusste, dass man sich nie wieder begegnen würde. Jeder dachte von den jeweils anderen, dass sie einem sicheren Tod entgegen sahen.

Das erste Ziel der OS-00-11, ein Planet, den sie Aqua 1 genannt hatten, da auf ihm Wasser vermutet wurde, hatte sich denn auch als totaler Flop erwiesen. Aqua 1 war ein Gasplanet, der nur in seiner Atmosphäre Leben möglich machte. Da hätte man schon eine Mikrobe sein müssen, um das Angebot wahrnehmen zu können.

Rhickos Eltern hatten diese Enttäuschung miterlebt. Und eine zweite auch, denn das nächste Ziel, Aqua 2, ein weiterer Planet mit potenziellen Wasservorräten, konnte gar nicht erst angesteuert werden. Dieses Ziel war nach Aktivierung der neuen Route einfach nicht mehr da. Ob der Planet durch einen Zusammenprall mit einem anderen Himmelkörper zerstört worden oder in seine Heimatsonne gestürzt war, ob er womöglich nur eine Täuschung gewesen war oder die Programmierung versagt hatte, war im Nachhinein nicht mehr zu klären.

Die schlimmste Enttäuschung, der Irrtum zu Aqua 3 Wasser enthalten könnte, hatte Rhicko dann als Kleinkind schon selbst miterlebt. Aqua 3 war eine Fehlberechnung gewesen, ein paar Daten nur, die falsch programmiert, einen Wasserplaneten vorgetäuscht hatten. Die Wissenschaftler deckten diesen Irrtum bereits Jahre vor Ankunft am Ziel auf. Dennoch wollte man das Ziel nicht vorschnell aufgeben. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Aqua 3 entpuppte sich als Gesteinsbrocken, der in einem Ring zusammen mit anderen um ein schwarzes Loch kreiste, um in nicht allzu ferner Zukunft mit diesem zu verschmelzen.

Nach diesem Schock blieb nur noch, sich selbst ein neues Ziel zu suchen. Zum Glück wurde Aqua 4 recht schnell gefunden und als neues Ziel anvisiert – vor rund 30 Jahren.

Morgen.

Morgen würde Rhicko mit zwei Kollegen, die wie er speziell ausgebildete Planet-Pioniere waren, in die Landekapsel umsteigen und Aqua 4 betreten. Ein faszinierend blauer Planet, welcher der einstigen Heimat besonders ähnlich sein sollte, wie sich im Laufe der Jahre mehr und mehr herauskristallisierte. Eine Heimat, die Rhicko und alle anderen an Bord nur von Erzählungen, Bildern und Filmen kannte. Und der gefühlte Lichtjahre entfernt sein musste. Genau wusste es niemand mehr, diese Daten waren in alten Programmen gespeichert, die mit den neuen nicht mehr auslesbar waren und angeblich im Laufe der Jahrhunderte irgendwann und irgendwie verloren gegangen waren.

Was würde Aqua 4 ihnen bringen?

Zum ersten Mal fragte er sich, ob die Sehnsucht nach einem neuen Planeten tatsächlich seine eigene Sehnsucht war.