E-Book 111 - 120 - Laura Martens - E-Book

E-Book 111 - 120 E-Book

Laura Martens

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. "Fürstenkrone" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. E-Book 111 : Das verleugnete Fürstenkind E-Book 112 : Wiener Liebesreigen E-Book 113 : Eine Frau für René E-Book 114 : Elisabeth und der verfemte Graf E-Book 115 : Schöner als alle Träume E-Book 116 : Ein Baby für Schloss Lindenbach E-Book 117 : Der verschollene Graf E-Book 118 : Im Sturm der Leidenschaft E-Book 119 : Graf, Sie sind kein Ehrenmann E-Book 120 : Graf Michael und die Malerin E-Book 1: Das verleugnete Fürstenkind E-Book 2: Wiener Liebesreigen E-Book 3: Eine Frau für René E-Book 4: Elisabeth und der verfemte Graf E-Book 5: Schöner als alle Träume E-Book 6: Ein Baby für Schloss Lindenbach E-Book 7: Der verschollene Graf E-Book 8: Im Sturm der Leidenschaft E-Book 9: Graf, Sie sind kein Ehrenmann E-Book 10: Graf Michael und die Malerin

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Inhalt

Das verleugnete Fürstenkind

Wiener Liebesreigen

Eine Frau für René

Elisabeth und der verfemte Graf

Schöner als alle Träume

Ein Baby für Schloss Lindenbach

Der verschollene Graf

Im Sturm der Leidenschaft

Graf, Sie sind kein Ehrenmann

Graf Michael und die Malerin

Fürstenkrone – Staffel 12 –

E-Book 111 - 120

Laura Martens

Das verleugnete Fürstenkind

Kann sich Sandra aus dem Netz der Intrigen befreien?

Roman von Sandberg, Corinna

»Was bedrückt dich, Sandra?« fragte der hochgewachsene blonde Mann. »Du bist so verändert.«

Die junge Frau im apfelgrünen Sommerkleid machte eine hilflose Geste. Tränen stiegen ihr in die Augen.

»Ich bin schwanger, Gunter. Es gibt keinen Zweifel. Der Test war eindeutig.«

Gunter blieb stehen wie vom Donner gerührt. Seine Lippen bebten, dann aber ging ein Strahlen über sein Gesicht. Er faßte Sandras Hände, zog sie an sich und küßte sie.

»Das ist doch kein Grund zum Weinen!« rief er übermütig. »Na­türlich heiraten wir, keine Frage. Ich liebe dich, Sandra, ich werde nie eine andere lieben. Im wievielten Monat bist du?«

»Ende des zweiten. Gunter, ich möchte nicht, daß du denkst, ich hätte dich einfangen wollen. Mit allem habe ich gerechnet, nur nicht mit einem Kind. Ich verstehe es nicht, es muß mit der Pillenpause zusammenhängen. Dabei glaubte ich, an alles gedacht zu haben, schließlich bin ich Ärztin. Was die Heirat betrifft, hast du dir das auch wirklich reiflich überlegt? Du mußt mich nicht heiraten, das ist altmodisch.«

Gunter blieb auf dem einsamen Waldweg stehen. Er hielt Sandras Hand.

»Hiermit mache ich dir in aller Form einen Heiratsantrag. Willst du mir als meine Frau auf Schloß Falkenau folgen?«

»Genau das ist es. Du bist Fürst Gunter von und zu Falkenau, ein Mitglied des Hochadels. Du wohnst auf einem Schloß, verwaltest deine Güter und wirst mit Durchlaucht angeredet. Du bist in der Tradition erzogen, die mir fremd ist. Mein Vater ist ein mittlerer Beamter, meine Mutter war Angestellte. Ich habe Medizin studiert und arbeite als ­Assistenzärztin am Main-Taunus-Krankenhaus. Ich liebe meinen Beruf, ich kann mir nicht vorstellen, als Fürstengattin nur hochvornehm im Salon herumzusitzen. Wie sollen wir zusammenleben? Wie können unsere Kinder aufwachsen?«

Gunter lachte, er sah dabei aus wie ein großer Junge.

»Was heißt hier Kinder? Du erwartest doch wohl keine Zwillinge? Das festzustellen, wäre wohl noch zu früh. Es wird einen Weg geben – wenn wir uns lieben.«

Sie küßten sich, alles um Sandra herum versank. In den Armen dieses Mannes spürte sie, was sie noch bei keinem anderen empfunden hatte. Einen Gleichklang, ein Beben in ihrem Innern.

»Ich nehme deinen Heiratsantrag an«, sagte sie förmlich, als Gunter sie losließ. »Aber…«

»Kein aber. Heute abend spreche ich mit meiner Mutter. Morgen kommst du zum Tee nach Schloß Falkenau. Ich bin sicher, du wirst Fürstin Claudia sehr gefallen.«

Genau da hatte Dr. Sandra Richter ihre Zweifel.

*

Gunter runzelte die Stirn, die Limousine mit der Wiesbadener Nummer, die in der Einfahrt des Schlosses parkte, kannte er. Sie gehörte Edgar von Balsingen, einem Gunter höchst unsympathischen Menschen. Er wußte auch, weshalb der Baron Schloß Falkenau wieder einen Besuch abstattete.

Er warb um die Fürstin, außerdem versuchte er, seine Nichte Marion an den Fürsten zu bringen. Gunter stoppte seinen Wagen vor der Garage, stieg aus und eilte die Freitreppe hinauf ins Schloß. Hubert, der alte Schloßverwalter, erwartete ihn in der Halle.

Hubert war für Schloß Falkenau unersetzlich. Er war außerdem ein eiserner Verfechter der alten Tradition des Fürstengeschlechts.

»Baron Edgar von Balsingen und Baronesse Marion von Balsingen geben sich die Ehre«, meldete er. »Sie finden Ihre Durchlaucht, Fürstin Claudia, und die beiden Besucher auf der Terrasse, Durchlaucht.«

»Seit wann sind sie da?«

»Seit zweieinhalb Stunden.«

Wenn die vielbeschäftigte Fürstin sich am Sonnabendnachmittag so lange ihren Besuchern widmete, hatte das einen Grund. Die Fürstin hätte Baronesse Marion gern als ihre Schwiegertochter gesehen. Gunter zog sich um und eilte auf die Terrasse, wo die drei unter dem Sonnenschirm saßen.

Von der Terrasse aus hatte man einen schönen Ausblick über die Wälder und Berge des Taunus’. Gegenüber, einige Kilometer entfernt, lag die Ruine von Burg Felseneck.

Jahrhundertelang waren sich die Herren von Falkenau und jene von Felseneck wenig sympathisch gewesen.

Einer schimpfte den anderen einen Raubritter und Landfriedensstörer, recht hatten sie alle beide damit. Es gab Fehden, bis die Herren von Felseneck Anfang des 19. Jahrhunderts ausstarben.

Das Geschlecht derer von Falkenau arbeitete hart, damit sein Stammsitz nicht das Schicksal der Burgruine Felseneck teilte.

Gunter küßte seiner Mutter die Hand und begrüßte den Baron und seine Nichte. Fürstin Claudia war eine stattliche Frau Anfang Fünfzig, jeder Zoll eine Aristokratin. Gunter hatte seine Mutter nie anders erlebt als überlegen und selbstsicher. Sie war schön, auch jetzt noch, da sich die ersten grauen Strähnen durch ihr dunkelbraunes Haar zogen.

Die Fürstin ließ sie nicht färben. Ihr Rubinschmuck funkelte auf dem Samtkleid.

Der Baron war schlank und wirkte sehr gepflegt. Er hatte eine weltmännische Art und konnte charmant plaudern. Gunter hielt ihn für aalglatt und verschlagen, ohne das genau begründen zu können.

Baronesse Marion war zweifellos eine Schönheit. Schwarzhaarig, blauäugig, mit einer Figur, die einen Mann zum Träumen bringen konnte. Sie hatte eine nette, natürliche Art, Gunter hätte sich in sie verlieben können, wenn… ja, wenn nicht Sandra Richter gewesen wäre.

»Ich habe Baron Edgar und Baronesse Marion eingeladen, übers Wochenende unser Gast zu sein«, sagte die Fürstin. »Ich hatte dich früher zurückerwartet, Gunter.«

Sie schaute bedeutsam auf die Uhr, aber Gunter gab keine Auskunft, wo er gewesen war. Das Dienstmädchen brachte ein Gedeck für ihn. Die Unterhaltung verfolgte er nur höchst unkonzentriert.

Er bemerkte auch die verliebten Blicke nicht, die ihm Marion zuwarf. Für die Baronesse war Gunter der Mann ihrer Träume. An diesem Wochenende hoffte sie, ihn für sich zu gewinnen.

»Wollt ihr nicht eine Partie Tennis spielen?« fragte die Fürstin. »Oder in den Pool springen? Ich möchte später auch noch ein paar Bahnen schwimmen.«

Gunter zeigte sich wenig begeistert, erhob sich aber und verließ mit Marion die Terrasse. Fürstin Claudia und Baron Edgar blickten ihnen lächelnd nach.

»Sie sind ein schönes Paar«, stellte der Baron fest. »Gunter so groß und stattlich, Marion dagegen zierlich und schwarzhaarig. Wir könnten uns glücklich schätzen, wenn sie Gefallen aneinander finden würden.«

Fürstin Claudia stimmte ihm zu, konnte sich aber nicht verkneifen, noch etwas hinzuzufügen.

»Gunter ist sehr begehrt, schließlich bringt er nicht nur den Fürstentitel mit, sondern auch ein beträchtliches Vermögen. Außerdem ist er Diplom-Ingenieur und ein tüchtiger, charaktervoller Mensch. Er könnte seine Auswahl unter mehreren Prinzessinnen treffen.«

»Die Stimme des Herzens entscheidet, Claudia. Heutzutage ist es leider sogar möglich, daß ein Adeliger eine Bürgerliche heiratet. Eine besser Gattin als Marion könnte Gunter nicht finden. Sie verfügt über gute Bildung und hat ein ausgesprochen heiteres und liebenswürdiges Wesen. Sie ist gesund, standesgemäß erzogen und sie bringt eine stattliche Mitgift.«

»Wir wollen nicht über Geld reden. Auf eine Bürgerliche würde Gunter nie verfallen, dazu kenne ich ihn zu gut. Er weiß, was er seinem Stand schuldig ist. Adel verpflichtet, Edgar, besonders in der heutigen Zeit.«

»Ganz meine Meinung.«

*

Während man versuchte, für ihre Zukunft die Weichen zu stellen, spielten Gunter und Marion auf dem zum Schloß gehörigen Tennisplatz. Den ersten Satz verlor Gunter, weil Marion eine verblüffend gute Rückhand schlug. Im zweiten und dritten nahm er sich zusammen. Er gewann knapp.

»Vorzüglich.« Marion lachte. Der Tennisdreß stand ihr ausgezeichnet, sie war braungebrannt. »Ich spiele nämlich in der Landesliga.«

»Du hast eine Menge Qualitäten. Wollen wir jetzt schwimmen?«

Später, als sie beim Pool auf der Hollywoodschaukel saßen, sagte Marion: »In dieses Schloß und die Umgebung könnte ich mich verlieben. Es ist schön hier. Der Park mit den alten Bäumen wirkt so romantisch und heimelig. Dazu das Schloß, an dem Generationen gebaut haben.«

»Ursprünglich war es eine Ritterburg. Die Falkenaus wurden nach den Bauernkriegen in den Fürstenstand erhoben.«

»Ich kann meine Ahnenreihe bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen. Wir wurden nach dem Krieg von unserem Besitz im Baltikum vertrieben.«

Gunter kannte seine Ahnen bis ins 12. Jahrhundert. Plötzlich hatte er Angst. In all den Jahrhunderten hatten die Falkenaus standesgemäß geheiratet. Aber sollte er deshalb der Tradition sein Lebensglück opfern? Er beschloß, die Unterredung mit seiner Mutter nicht aufzuschieben, obwohl die Balsingens auf dem Schloß weilten.

Marion merkte, daß sich Gunters Stimmung änderte.

»Was hast du? Langweile ich dich etwa?«

»Nein, nein. Eine angenehmere Gesellschaft könnte ich mir nicht vorstellen.«

»Du bist freundlich zu mir, aber förmlich. Magst du mich nicht?«

Der knappe weiße Bikini betonte Marions hinreißende Figur. Aber Gunter konnte nur an Sandra denken, er war gegen Marions Reize immun. Er hätte Sandra nie mit ihr betrügen können, besonders da sie ein Kind von ihm erwartete.

»Du bist bildhübsch, Marion, und ich mag dich sehr. Als Freund.«

Marion verbarg ihre Enttäuschung. Sie rückte näher an Gunter heran. Er spürte die Wärme ihres Körpers, ihren zarten Duft. Die dunkelbraunen Augen strahlten ihn an. Gunter erhob sich.

»Ich muß ins Haus, es – eh – ich habe ein dringendes geschäftliches Gespräch zu führen. Wir sehen uns zum Dinner.«

Er ging eilig weg. Marion schaute ihm nach, bis er im Schloß verschwand. Wie kann er sich nur so benehmen, fragte sie sich, spürte er denn nicht, was ich für ihn empfinde? Männer zeigten manchmal merkwürdige Reaktionen und waren in Herzensdingen hölzern und schwerfällig.

Marion tröstete sich. Sie würde dafür sorgen, daß Gunter sich ihr noch vor der Abreise erklärte. Er konnte ihr nicht immer ausweichen.

*

»Warum wolltest du mich unbedingt sprechen?« fragte Fürstin Claudia. »Es ist unhöflich, unsere Gäste allein zu lassen.«

Gunter hatte seine Mutter in die Bibliothek gebeten. Das Dinner war vorüber, der Baron und Marion warteten im Salon des Siebzig-Zimmer-Schlosses. Durchs Fenster der Bibliothek sah man die untergehende Sonne und das Abendrot.

Gunter eröffnete seiner Mutter ohne Umschweife, wie es zwischen ihm und Sandra stand.

»Ich habe sie für morgen nachmittag eingeladen«, schloß er.

Volle drei Minuten lang herrschte Schweigen. Die Miene der Fürstin wurde immer eisiger.

»Ich wußte, daß du ein Verhältnis hast«, sagte sie schließlich. »Aber ich hätte nie gedacht, daß du dich soweit vergessen würdest. Dieses Mädchen ist keine Partie für dich, ich bin überzeugt davon, daß sie mit Absicht schwanger geworden ist, um dich einzufangen. Das passiert einer Ärztin nicht, wenn sie es nicht will.«

»Da bin ich anderer Ansicht.«

»Sei es, wie es sei, jedenfalls kannst du sie nicht heiraten. Das ist völlig ausgeschlossen.«

Gunter wollte verzweifeln. Seine Mutter reagierte noch abweisender, als er es sich vorgestellt hatte. Er sprach von anderen Adeligen, die Bürgerliche geheiratet hatten, vom König von Schweden.

»Die Feudalherrschaft besteht seit langem nicht mehr, die Adels­privilegien wurden 1919 per Gesetz abgeschafft. Mein Titel ist im Grunde genommen nur noch ein Bestandteil meines Namens.«

»Er ist mehr! Er verkörpert eine Tradition und Lebensanschauung. Du bist als Fürst der Repräsentant derer von Falkenau, du stehst für das Geschlecht und die Ahnenreihe, für das Schloß, die Porzellanmanu­fakturen, die 1.500 Hektar Boden. Du bist nicht nur eine Person, sondern auch eine Institution, die von Gott selbst eingesetzt wurde.«

»Werde nicht pathetisch, Mutter! Ich bin ein Mensch wie jeder andere auch. Ich liebe Sandra und will sie so schnell wie möglich heiraten. Wirst du sie morgen auf dem Schloß empfangen oder nicht?«

»Auf gar keinen Fall. Wenn das Fräulein Richter…«

»Fräulein Dr. Richter, Mutter.«

»Das ändert nichts. Wenn sie dir den Kopf verdreht hat, ist das schlimm genug. Ich will sie nicht sehen, daran wird sich nichts ändern. Wenn du sie einlädst, kann ich dich nicht hindern, du bist der Fürst und seit deiner Volljährigkeit das Oberhaupt der Familie. Ich empfange sie auf keinen Fall.«

»Ist das dein letztes Wort, Mutter?«

»Ja.«

Die Fürstin verließ die Bibliothek, zu einem weiteren Gespräch war sie nicht bereit. In ihren Räumen betupfte sie sich die Schläfen mit Kölnisch Wasser, ging eine Weile aufgeregt auf und ab und schaute dann aus dem Fenster in die Abenddämmerung.

Erst jetzt dachte sie wieder an die beiden Besucher. Es war geplant gewesen, daß Gunter mit Marion wegfahren sollte, nach Wiesbaden oder Bad Homburg zum Tanzen. Das fiel ins Wasser.

Irgend jemandem mußte die Fürstin sich anvertrauen, Baron Edgar bot sich an. Zwar zögerte sie etwas, schließlich handelte es sich um intime Familienangelegenheiten. Aber man mußte dem Baron nicht unbedingt sagen, daß die Geliebte des fürstlichen Sohnes ein Kind erwartete.

Fürstin Claudia faßte sich. Sie wusch ihr Gesicht mit kaltem Wasser ab, frischte ihr Make-up auf und begab sich in den Salon. Baron Edgar und seine Nichte blätterten in Zeitschriften. Die Fürstin duldete keinen Fernseher im Salon, das wäre ein Stilbruch gewesen.

Sie zwang sich zu einem Lächeln.

»Darf ich Sie in meinem Arbeitszimmer sprechen, Edgar? Du kannst dich sicher noch etwas gedulden, Marion.«

»Natürlich.«

Marion langweilte sich, nachdem der Onkel und die Fürstin weggegangen waren. Sie wartete auf Gunter. Nach dem Gespräch mit seiner Mutter hätte er sich am liebsten für den Rest des Abends zurückgezogen oder wäre zu Sandra gefahren.

Er war nicht verpflichtet, sich um die Besucher zu kümmern, er hatte sie nicht eingeladen.

Aber er war zu gutherzig, um Marion einfach die kalte Schulter zu zeigen und sie im Salon sitzenzulassen. Außerdem brauchte auch er jemanden, mit dem er reden konnte, jemanden in seinem Alter. Von Marion erhoffte er sich Verständnis.

Deshalb ging er in den Salon und bat sie zu einem Spaziergang in den Park. Marion strahlte. Gunter bedachte nicht, wie sehr sie seine Eröffnungen verletzen konnten.

Sie gingen hinaus in den Park, Marion faßte Gunter spielerisch an der Hand. Sie hatte eine Strickweste mit gerüschtem Kragen übergezogen, denn es wurde kühl. Unter den Buchen und Eichen tanzten Glüh­würmchen.

»Ich muß mich dir anvertrauen«, begann Gunter.

Marions Herz klopfte stürmisch. Sie hoffte auf eine Liebeserklärung.

»Ich bin verliebt und dabei, einen sehr ernsten Schritt zu unternehmen«, fuhr Gunter fort. »Aber ich habe Angst.«

Er fürchtet, daß ich ihn zurückweise, dachte Marion. Gunter ist sensibler, als es den Anschein hat. Sie blieb stehen.

»Fasse Mut und rede offen.«

»Bist du schon einmal so verliebt gewesen, daß du alles andere vergessen hast, Marion? Daß deine Gedanken nur noch um einen bestimmten Menschen kreisten? Daß dir ohne ihn das Leben leer und richtig erschien?«

»Ja, dieses Gefühl kenne ich.«

Für sich fügte Marion hinzu: Genau in diesem Augenblick ist es der Fall. Sprich weiter, Liebster, erkläre dich.

»Ich liebe eine Ärztin«, sagte Gunter. »Eine Bürgerliche. Dr. Sandra Richter heißt sie. Sie erwartet ein Kind von mir.«

Marion war es, als ob alles in ihr absterben würde. Ihr Herz schmerzte zum Zerspringen, sie fürchtete, zum erstenmal in ihrem Leben in Ohnmacht zu fallen. Die Bäume drehten sich im Kreis. Sie hörte kaum, wie Gunter ihr erzählte, daß seine Mutter gegen die Verbindung sei und ihm alle nur mög­lichen Schwierigkeiten bereiten wollte.

»Ich bin so verzweifelt. Ich liebe meine Mutter, ich verstehe auch, was ihr die Tradition des Hauses Falkenau bedeutet. Aber soll ich deswegen auf mein Lebensglück verzichten? Ich habe andere Ansichten als meine Mutter.«

Nach einer Weile des Schweigens fragte Gunter: »Was rätst du mir? Glaubst du, daß ein Adliger unbedingt eine Adlige heiraten muß? Wir würdest du dich verhalten, wenn du einen Bürgerlichen liebtest?«

Es war grausam für Marion, daß er sich ausgerechnet an sie wendete. Sie stand vor einer schweren Entscheidung. Sollte sie die gleiche Linie verfolgen, wie Fürstin Claudia, in der Hoffnung, Gunter vielleicht von jener Frau abbringen zu können?

Sie entschied sich dagegen. Sie mochte nicht intrigieren.

»Folge der Stimme deines Herzens, Gunter«, sagte sie schlicht. »Nur dann wirst du glücklich. Jetzt bring mich bitte ins Schloß zurück, ich fühle mich schon den ganzen Abend nicht wohl.«

Sie kehrten zurück. Im Licht der ersten Laterne am Schloßhof stellte Gunter fest, wie blaß Marion aussah. Er brachte sie zu ihrem Zimmer im Westflügel, holte das Dienstmädchen und fragte Marion, ob er einen Arzt anrufen solle.

Sie stand in der Zimmertür und lächelte matt. Die Besorgnis tat ihr wohl, aber die Schmerzen, die sie hatte, konnte kein Arzt heilen.

»Nein, es geht schon wieder. Vielleicht habe ich in der letzten Zeit zuviel gearbeitet, oder es ist eine Sommergrippe in Anmarsch. Heißer Lindenblütentee und acht Stunden Schlaf werden mich kurieren.«

Später fand Baron Edgar seine Nichte bitterlich schluchzend im Bett. Sie konnte nicht schlafen. Der Baron wußte von der Fürstin über die Heiratsabsichten Gunters Bescheid. Er strich Marion übers Haar.

»Kind, beruhige dich. Es ist noch nicht aller Tage Abend.«

Bitterlich weinend umarmte ihn Marion. Sie schluchzte an seiner Schulter.

»Sie kriegt… ein Kind von ihm. Dabei liebe ich ihn doch so! Ich bleibe hier nicht länger. Gleich morgen früh reisen wir ab, Onkel. Ich halte es auf Schloß Falkenau nicht mehr aus.«

Der Baron saß noch eine Weile bei seiner Nichte. Ihm war sehr daran gelegen, daß seine Nichte Fürst Gunter heiratete. Ihm kam es dabei nicht auf ihr Glück an. Von einer Verbindung mit den Falkenaus erhoffte er für sich selber Vorteile.

»Wir werden sehen«, sagte er.

Auch Gunter schlief in dieser Nacht wenig. Er kannte seine Mutter. Für sie gab es nur einen Willen: ihren eigenen. Den setzte sie auch im allgemeinen durch, wenn sie aus Überzeugung handelte und ihren Vorteil sah.

*

Noch am Sonntag suchte Baron Edgar den Inhaber einer sehr bekannten Detektei auf. Diesen beeindruckte der Adelstitel, er empfing den Baron im Arbeitszimmer seines Bungalows am Sonnenhügel über einer Stadt im Taunus.

»Ich brauche ein komplettes Dossier über Dr. Sandra Richter«, erklärte der Baron und nannte die Arbeitsstelle und die Adresse der Ärztin. Die hatte er schon herausgefunden. »Außerdem über ihre Angehörigen, Freunde und Bekannten. Skandalgeschichten sind mir sehr willkommen.«

»Es wäre für mich gut zu erfahren, wozu Sie diese Auskünfte benötigen, Herr Baron.«

Unter dem Siegel der Verschwiegenheit teilte ihm Baron Edgar mit, daß Fürst Gunter von Falkenau die Ärztin zu heiraten gedachte. Er behauptete, die Erkundigungen im Auftrag der Fürstin einzuziehen.

»Ihre Durchlaucht wollten nicht persönlich an Sie herantreten.«

Der Detektiv verstand. Schon drei Tage später suchte er den Baron in dessen Villa in Wiesbaden auf. Die Villa war bis in den obersten Dachbalken mit Hypotheken belastet. Abgesehen davon gehörte dem Baron eine Burgruine in Bayern, die er nach dem Krieg von einem entfernten Vetter günstig übernommen hatte. Zwar war die unbewohnbar, doch ihr Besitz machte den Baron zum Burgbesitzer.

Zu seinem Leidwesen hörte er, daß es um Sandra Richter keine Skandale gab. Er schaute sich das Teleobjektivfoto an, das die Ärztin im tiefausgeschnittenen Sommerkostüm zeigte, und pfiff durch die Zähne.

»Sehr attraktiv. Sie ist sechsundzwanzig?«

»Genau. Sie gilt als äußerst tüchtig in ihrem Fach und ist in der Klinik bei den Ärzten, dem Pflegepersonal und dem Patienten gleichermaßen beliebt. Außer ihrem jüngeren Bruder und zwei alten Tanten in Norddeutschland hat sie keine lebenden Verwandten. Dr. Richter lernte Fürst Gunter kennen, als er im Januar mit einer Unterschenkel­fraktur, die er sich beim Wintersport zugezogen hatte, in der Klinik lag.«

»Hm.« Der Baron stieß in dem Dossier auf etwas. »Ihr Bruder, ein kleiner Bankangestellter, lebt auf großem Fuß, steht hier. Er fährt einen italienischen Sportwagen und ist häufiger Gast der Bad Homburger Spielbank.« Baron Edgar verkehrte selbst regelmäßig dort und auch in anderen Casinos. »Warum ist kein Foto von diesem Frank Richter dabei? Ich muß ihn mir unbedingt ansehen.«

»Das läßt sich einrichten.«

Am gleichen Abend erhielt der Baron die Nachricht, daß sich Frank Richter wieder in der Spielbank aufhielt. Der Baron fuhr sofort los. Der Detektiv zeigte auf einen jungen Mann mit gewelltem dunklem Haar. Er war groß und schlank und hatte ein etwas mädchenhaftes Gesicht, der Blazer stand ihm vorzüglich.

Seine Hände zitterten leicht, als er sechshundert Mark auf drei verschiedene Roulettefelder setzte. Die Kugel rollte. Gebannt hafteten Frank Richters Augen darauf. Er schaute in sein Notizbuch.

»18, 24 und 33«, murmelte er. »Eine dieser drei Zahlen muß kommen.«

Die Kugel blieb auf der Drei liegen. Frank zuckte heftig zusammen. Er vertiefte sich in seine Berechnungen, der Croupier mußte ihn mahnen, entweder zu setzen oder den Platz freizugeben.

»Ein Systemspieler«, sagte der Baron zu dem Detektiv. »Er ist mir bereits früher aufgefallen, er kommt seit einem guten halben Jahr hierher und verliert fast ständig. Sehr interessant, wirklich, äußerst interessant. Laut Auskunft Ihrer Detektei verdient er nicht einmal zweitausend netto im Monat. Er hat keine Vermögenswerte oder andere Einkommensquellen, zumindest keine legalen. Bestellen Sie Ihrem Chef, daß ich vorerst keine weiteren Auskünfte brauche.«

Der Detektiv nickte und ging. Baron Edgar beobachtete Frank Richter noch eine Weile. Während dieser Zeit verlor der junge Mann über viertausend Mark. Ärgerlich riß er ein Blatt aus seinem Notizbuch, knüllte es zusammen und steckte es weg.

Der Baron konnte ihm den Ärger über den Verlust nachfühlen. Er war selber ein gebranntes Kind.

Er folgte Frank an die Kasinobar, wo der junge Mann mehrere hochprozentige Drinks zu sich nahm. Er schien sie dringend nötig zu haben. Baron Edgar hatte einen bestimmten Verdacht, woher das Geld stammte, das Frank mit vollen Händen verspielte.

Sehr viele Möglichkeiten gab es schließlich da nicht.

Der Baron setzte sich neben ihn. Sie kamen ins Gespräch. Frank gab sich als Fabrikantensohn aus, er schnitt mächtig auf.

»Ich glaube, ich habe Sie schon im Kasino von Baden-Baden gesehen«, sagte er zum Baron. »Sie waren in Begleitung einer sehr aparten Dame. Sind Sie nicht ein Adliger?«

»Welche Rolle spielt das heutzutage noch? Nennen Sie mich einfach Monsieur Edgar.«

Es bereitete dem Baron Vergnügen, Frank zu täuschen. Sie sprachen über die Zero beim Roulettespiel, über die Möglichkeit und Unmöglichkeit von Roulettesystemen und von berühmten Spielern. Baron Edgar erzählte Anekdoten. Frank behauptete, daß er einem absolut sicheren Roulettesystem hart auf der Spur sei, er hätte es fast fertig entwickelt.

Als der Baron das anzweifelte, reagierte er, angetrunken wie er war, beleidigt.

»Sie werden schon sehen. Irgendwann sprenge ich die Spielbank. Wir sprechen uns noch.«

Der Baron hatte ihn eingeladen, Frank war total pleite.

Ganz bestimmt sprechen wir uns noch, mein Junge. Das wird dann kein angenehmes Gespräch für dich, dachte Baron Edgar hämisch, kaum daß der junge Mann gegangen war.

Am nächsten Vormittag rief der Baron den Inhaber der Privatbank an, bei der Frank arbeitete. Der Baron kannte den Inhaber, er führte ein längeres Gespräch mit ihm.

»Wir werden die Konten überprüfen, für die Frank Richter verantwortlich ist«, sagte der Bankier zum Schluß des Gesprächs. »Sie hören auf jeden Fall wieder von mir, Herr Baron, bevor wir etwas anderes unternehmen.«

»Ich bitte darum. Ich habe ein persönliches Interesse an der Angelegenheit.«

*

Gunter von Falkenau ahnte nicht, daß man gegen ihn und San­dra intrigierte. Er holte seine Geliebte jeweils nach Dienstschluß in der Klinik ab, dann fuhren sie zum Essen zu einem netten Lokal, gingen im Wald oder im Kurpark spazieren, besuchten die Taunus-Thermen oder zogen sich in Sandras Wohnung zurück.

Es waren unbeschwerte, glückliche Tage, das Verhalten der Fürstin bestürzte die beiden nicht mehr.

»Wenn das Kind erst da ist, wird meine Mutter ihre Meinung ändern«, sagte Gunter zuversichtlich. Das redete er auch Sandra ein.

*

Der Inhaber der Privatbank hieß Balduin Möller. Er hatte es verstanden, den Titel eines Honorarkonsuls zu bekommen, und war sehr stolz darauf. Er besuchte Baron Edgar am frühen Abend in dessen Villa.

Edgar von Balsingen hatte einige geschäftliche Stationen hinter sich, nicht alle vertrugen das Licht der Öffentlichkeit.

Zur Zeit verdiente der Baron sein Geld als eine Art Strohmann-Direktor für drei Abschreibungsgesellschaften und war auch in der Versicherungsbranche tätig. Er kannte den Bankier Möller durch seine geschäftlichen Tätigkeiten.

Baron Edgar begrüßte den Bankier sehr zuvorkommend. Vor Geld empfand der Baron immer große Hochachtung. In der Bibliothek, die er einmal bestückt hatte, indem er wahllos aus Nachlässen kaufte, was sich preiswert anbot, bewirtete er Konsul Möller mit einem Kognak.

»Ich kann es nicht fassen«, stöhnte der Konsul. »Sie haben mich auf etwas Ungeheuerliches gestoßen, Herr Baron. Richter, dieser Schuft, hat auf raffinierte Weise fünfzigtausend Mark unterschlagen. Das gibt einen Skandal! Wie stehe ich jetzt vor meinen Kundschaft da? Von dem finanziellen Verlust ganz zu schweigen.«

»Was haben Sie vor, Herr Konsul?«

»Natürlich werde ich meinen Angestellten anzeigen. Nur, was nutzte es mir? Er kann mir das Geld ­niemals zurückzahlen. Obendrein bleibt mir der Prestigeverlust.«

Der dickliche Konsul tupfte sich den Schweiß von der Stirnglatze. Baron Edgar strich über seinen graumelierten Kinnbart.

»Vielleicht kann ich Ihnen helfen, lieber Konsul. Sie wissen, eine Hand wäscht die andere. Sie waren mir geschäftlich auch schon gefällig.«

Es gab da eine Geschichte mit geplatzten Wechseln, die einige Jahre zurücklag. Ohne Möllers Entgegenkommen hätte es übel für ihn geendet.

»Ach, die alte Geschichte…« Der Konsul winkte ab.

»Ich habe sie nicht vergessen. Geben Sie mir die Unterlagen, die Richters Unterschlagungen beweisen, ich will zusehen, was ich für Sie erreichen kann. Ihnen ist in erster Linie an Ihrem Geld gelegen, verehrter Konsul, und Sie wollen kein Aufsehen. Vielleicht ist es möglich, beides zu erreichen. Lassen Sie mir freie Hand.«

»Was schwebt Ihnen vor?«

»Frank Richters Schwester ist Ärztin. Wenn Sie für die unterschlagene Summe bürgte, wäre das doch in Ihrem Sinn? Natürlich müßte Richter gekündigt werden. Überlegen Sie, ob eine Anzeige unbedingt notwendig ist, Herr Konsul. Richter ist schließlich ein junger, bisher unbescholtener Mensch, der das Leben noch vor sich hat.«

Baron Edgar brauchte nicht viel Überredungskunst aufzubieten. Kon­sul Möller vertraute ihm die heikle Angelegenheit nur zu gern an. Nachdem der Baron seinen Gast zuvorkommend verabschiedet hatte, versuchte er, Frank Richter telefonisch zu erreichen.

Es nahm niemand ab. Der Baron zündete sich eine Zigarette an, seine gepflegten Finger trommelten auf den Schreibtisch.

»Ich kriege dich schon noch, mein Lieber«, sagte er.

Er würde es später wieder versuchen oder ins Kasino fahren. Vielleicht traf er den Gesuchten dort.

Marion kam nach Hause. Sie hatte den Dobermann spazierengeführt. Der Baron ging seiner Nichte entgegen.

Ein Blick in Marions Gesicht sagte ihm sofort, daß etwas nicht stimmte. Als er sie fragte, verlor sie die mühsam gewahrte Fassung und schluchzte auf.

»Ich habe Gunter mit dieser… mit der andern im Kurpark gesehen… Hand in Hand. Ach, sie waren so glücklich!«

Marion eilte die Treppe hinauf und schloß sich in ihrem Zimmer ein. Der Baron hielt den Hund, der Marion folgen wollte, am Halsband fest.

»Lange werden sie nicht mehr glücklich sein«, murmelte er grimmig.

*

Frank wartete, bis Gunter wegfuhr, ehe er bei seiner Schwester klingelte. Sie meldete sich über die Sprechanlage.

»Ich bin es, Frank. Ich muß dich ganz dringend sprechen.«

Der Türöffner summte. Frank fuhr mit dem Lift in den dritten Stock hinauf. Sandra empfing ihn im seidenen Hausmantel, darunter trug sie nur das Negligé. Es war nach 23 Uhr. Sie gähnte hinter der vorgehaltenen Hand.

»Halte mich nicht zu lange auf, ich habe morgen einen anstrengenden Tag vor mir und muß früh aufstehen.«

Sie gingen ins Wohnzimmer.

»Wer war der Mann, der die ganze Zeit bei dir gewesen ist?« fragte Frank.

Er hatte Sandra und Gunter von weitem eng umschlungen ins Haus gehen sehen und gewartet, weil er seine Schwester allein sprechen wollte. Schon hatte er gefürchtet, der Besucher werde überhaupt nicht mehr weggehen.

Sein vorwurfsvoller Ton ärgerte Sandra.

»Ein sehr guter Freund«, antwortete sie. »Was treibt dich so spät noch zu mir? Sicher brauchst du wieder Geld.«

Frank blickte etwas verlegen zu Boden.

»Du hast richtig geraten. Es ist ganz bestimmt das letzte Mal, daß du mir aus der Klemme helfen mußt. Aber diesmal stehe ich ganz scheußlich da. Mein Wagen ist in der Werkstatt, die Reparatur kostet achthundert Mark, und ich habe keine Ahnung, wo ich die hernehmen soll. Mein Konto ist total überzogen, in wenigen Tagen ist die Miete fällig. Ich bin total pleite.«

»Und dein Gehalt? Du kriegst Mitte des Monats Geld, wo ist es geblieben?«

»Weg«, gestand Frank. »Ich hatte einiges zu bezahlen.«

»Du warst wieder in der Spielbank«, sagte ihm Sandra auf den Kopf zu. »Wie oft habe ich dich davor gewarnt? Jetzt ist Schluß. Diesmal bleibe ich hart. Ich habe dir oft genug aus der Klemme geholfen. Diesmal wirst du die Folgen deines sträflichen Leichtsinns auch ausbaden müssen, vielleicht besinnst du dich dann anders.«

Frank bat und bettelte. Vergeblich. Als er unverschämt wurde, wies ihm Sandra die Tür.

»Geh, du bist alt genug, ich bin für deine Finanzen nicht zuständig. Adieu.«

Ehe Frank es sich versah, stand er vor der geschlossenen Wohnungs­tür. Er verließ das Haus, zog sich am Automat ein Päckchen Zigaretten, rauchte und überlegte, was er jetzt anfangen sollte. Als er dann zur Bushaltestelle ging, stellte er fest, daß er sein letztes Geld für die Zigaretten ausgegeben hatte.

Noch einmal bei seiner Schwester klingeln wollte er nicht. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als nach Hause zu laufen. Kurz nach ein Uhr kam er an. Das Telefon klingelte, er meldete sich, in der winzigen Hoffnung, daß es Sandra sei, die es sich anders überlegt hatte.

Aber es war der Baron von Balsingen. Frank erkannte an der Stimme, daß er den Monsieur Edgar von der Spielbank vor sich hatte, seinen ironischen Gesprächspartner.

»Was kann ich für Sie tun, Herr Baron?«

»Ich wünsche Sie heute früh um Punkt neun Uhr in meiner Villa zu sehen.« Baron Edgar nannte die Adresse. »Es handelt sich um Ihre Arbeit bei der Privatbank Möller & Cie.«

»Wie? Ich verstehe nicht.«

»Sie verstehen sehr wohl. Ich meine es gut mit Ihnen. Falls Sie nicht kommen, wird das sehr nachteilig für Sie.«

»Aber ich habe zu arbeiten, ich…«

»Nehmen Sie sich frei«, unterbrach ihn der Baron, »oder melden Sie sich krank. Entweder unterhalten Sie sich mit mir oder mit der Kriminalpolizei. Gute Nacht.«

Er legte auf. Frank starrte auf den Hörer wie auf eine Schlange, die ihn zu beißen drohte. Es lief ihm eiskalt den Rücken hinunter. Er schlief in dieser Nacht nicht. Jetzt sind die Unterschlagungen aufgeflogen, ging es ihm immer wieder durch den Kopf, was fange ich jetzt an? Warum habe ich das getan? Warum hatte ich nicht mehr Glück beim Roulette?

Wegen des Spielteufels hatte er zuerst einen Tausender aus der Kasse genommen, den Betrag mit einer fingierten Buchung abgedeckt und fest vorgehabt, ihn in wenigen Tagen wieder auszugleichen. Das war nicht möglich gewesen. Statt dessen hatten sich derartige Vorfälle ge­häuft.

Frank hatte verzweifelt gehofft, einmal die große Glückssträhne beim Roulette zu erwischen. Sie blieb aus.

Übernächtigt und völlig erschlagen, lieh er sich am Morgen von seinem Wohnungsnachbarn zwanzig Mark.

Er behauptete, Geldbörse und Brieftasche wären ihm gestohlen worden. Bei der Bank hatte er sich krank gemeldet.

Er fuhr zu der Villa in einer stillen Wiesbadener Vorortstraße. Ein Dienstmädchen meldete ihn an. Baron Edgar ließ Frank vor seinem Schreibtisch Platz nehmen. Er sagte ihm auf den Kopf zu, daß er etwas über fünfzigtausend Mark unterschlagen und verspielt hatte.

Er legte die Fotokopien auf den Tisch, die ihm Konsul Möller bereits geschickt hatte. Frank brauchte sie nicht einzusehen, er wußte selbst, was und wo er gefälscht hatte.

Der Baron ließ ihn zappeln. Er sah mit Genugtuung, daß Frank mit nachtschwarzem Gewissen und völlig verzweifelt vor ihm saß.

»Wieso reden Sie eigentlich mit mir?« fragte Frank. »Wäre das nicht die Angelegenheit von Konsul Möller gewesen oder der Kripo?«

»Ich bin kein Unmensch«, antwortete der Baron von Balsingen. Er log: »Der Konsul sprach mit mir über die Angelegenheit, weil er meine Diskretion und Geschicklichkeit schätzt. Er will keinen Skandal. Sie sind sich natürlich im klaren darüber, Herr Richter, daß Sie in Deutschland keine Zukunft mehr haben. Am besten wäre es, wenn Sie sich ins Ausland absetzen würden.«

»Aber womit denn? Außerdem fahndet dann Interpol nach mir.«

»Nicht wenn Sie ein Geständnis unterschreiben und sich verpflichten, den unterschlagenen Betrag zu ersetzen. Binnen zehn Jahren, mit den banküblichen Zinsen. Außerdem müßte Ihre Schwester die Bürgschaft dafür übernehmen.«

Frank war völlig verwirrt. Er fragte sich nicht, warum ihn der Baron aus Deutschland weghaben wollte.

Er rechnete nicht damit, daß seine Schwester für ihn bürgen würde, schließlich hatte sie ihn am Vorabend wegen eines weit geringeren Betrages abgewiesen.

Das teilte er dem Baron mit.

»Ich wage es nicht, ihr als Verbrecher unter die Augen zu treten.« Das Wort wollte ihm kaum über die Zunge. »Das bringe ich nicht fertig.«

Baron Edgar nickte.

»Ich verstehe Sie. Junge Leute begehen oft Dummheiten, die sie ein Leben lang bitter bereuen und bezahlen müssen. Ich glaube, daß Sie nicht schlecht sind, Herr Richter, aber labil und leichtsinnig. Nehmen Sie sich zusammen und führen Sie ein anderes Leben, meiden Sie Spielkasinos und Ihre alten Fehler.«

»Das will ich tun. Ich verspreche es. Aber kann ich denn nicht in Deutschland bleiben, meine Stelle bei Möller & Cie kündigen und anderswo arbeiten und abbezahlen?«

»So weit geht unser Entgegenkommen nicht. Wir haben auch eine Sorgfaltspflicht gegenüber anderen Arbeitgebern. Wie stellen Sie sich das vor? Mit einem günstigen Zeugnis können Sie nicht rechnen. Wenn Sie in der Bundesrepublik eine Stelle antreten wollen, fragt ihr zukünftiger Arbeitgeber auf jeden Fall nach Referenzen und Zeugnissen. Es ist für alle Beteiligten besser, wenn Sie weit weg sind. Wegen der Bürgschaft bin ich bereit, mit Ihrer Schwester zu reden.«

Frank überlegte hin und her, aber er sah keinen anderen Ausweg. So stimmte er zu. Einen Einwand hatte er allerdings noch.

»Wovon soll ich verreisen? Ich nehme an, daß ich schnell abreisen soll. Ich bin völlig bankrott.«

Der Baron schnippte ein unsichtbares Stäubchen von seinem Jackettärmel.

»Ich habe jemanden bei der Hand, der es übernehmen würde, Ihren Haushalt aufzulösen. Sie können mir auch Ihren Wagen überschreiben. Dafür erhalten Sie noch heute Geld.«

Sie einigten sich auf viertausend Mark. Baron Edgar empfahl Frank als Reiseziel Rio de Janeiro.

»Brasilien hat Zukunft«, sagte er. »Wenn ich Ihnen noch einen Rat geben darf, reisen Sie per Schiff und arbeiten Sie die Überfahrt ab, als Steward oder ähnliches. Sie werden Ihren Weg schon machen.«

»Woher soll ich so rasch ein Visum nehmen?«

»Das ist Ihre Angelegenheit, Herr Richter. Wenden Sie sich direkt an die brasilianische Botschaft, schützen Sie dringende Geschäfte vor. Oder gehen Sie in Rio illegal an Land. Auf jeden Fall haben Sie nur drei Tage, um Deutschland zu verlassen, anderenfalls sieht sich Konsul Möller genötigt, Anzeige zu erstatten.«

Frank verabschiedete sich, er war total vernichtet. Drei Tage später rief er von Hamburg aus den Baron an, die gewünschten Papiere hatte er ihm unterschrieben. Unmittelbar nach dem Anruf ging er an Bord eines südamerikanischen Frachtschiffes. Frank hatte nicht gewagt, seiner Schwester noch einmal unter die Augen zu treten oder ihr auch nur ein Sterbenswörtchen zu verraten.

*

Sandra hatte in der Klinik Nachtdienst gehabt. Die Fälle, mit denen sie in der Klinik beschäftigt gewesen war, gingen ihr noch durch den Kopf. Da war die kleine Mathilde, die einer Herzoperation entgegensah, die sie hoffentlich heilen würde, dem sechsjährigen Mathias mit seiner Oberschenkelfraktur, die vierjährige Türkin Sabbek, der man den Blinddarm herausgenommen hatte und die kein Wort Deutsch sprach…

Müde parkte Sandra ihren korallenroten VW-Käfer vor der Villa des Barons. Er hatte sie dringend herbestellt, hinterher wollte sie sich zu Bett legen und ausschlafen. Am Abend würde Gunter kommen, die Verlobung sollte im ersten Hotel am Platze in kleinerem Kreis gefeiert werden.

Die Verlobungsanzeige stand groß in zwei Zeitungen.

Baron Edgar empfing Sandra ebenfalls in seinem Arbeitszimmer. Sie kannte ihn den Namen nach und wußte, daß er Marion von Balsingens Onkel war. Gunter hatte Sandra von den verschiedenen Besuchen der Balsingens auf Schloß Falkenau erzählt, aber für Sandra war das nicht sonderlich interessant gewesen.

Der Baron, ganz Weltmann und Charmeur, rückte ihr den Sessel zurecht. Er bot einen Kognak an.

»Leider habe ich sehr unangenehme Neuigkeiten für Sie, Fräulein Dr. Richter.«

»Am frühen Morgen, zudem noch nach dem Nachtdienst, vertrage ich keinen Kognak. Worum handelt es sich, Herr von Balsingen?«

Baron Edgar legte Sandra die Papiere vor.

»Ihr Bruder hat bei der Bank, bei der er beschäftigt ist, fünfzigtausend Mark unterschlagen. Er setzte sich ins Ausland ab, ich bin sowohl von ihm als auch von Ihrem Bruder bevollmächtigt, diese unerfreuliche Angelegenheit zu regeln.«

Sandra rang nach Luft. Vor ihren Augen verschwamm alles. Sie spürte einen ziehenden Schmerz im Leib. Das Kind, dachte sie, hoffentlich schadet die Aufregung ihm nichts. Der Baron merkte, daß es ihr schlecht ging, und brachte ein Glas Wasser.

Sandra trank. Ihr Blick klärte sich, sie konnte die Unterlagen lesen. Die Angaben des Barons stimmten. Sandra hätte am liebsten aufgeschluchzt.

Soweit hat Frank seine Spielleidenschaft gebracht, dachte sie. Sie warf es sich vor, daß sie sich nach dem frühen Tod ihrer Eltern nicht mehr um ihn gekümmert hatte. Aber sie war mit ihrem Studium beschäftigt gewesen. Ihre zähe Zielstrebigkeit und Selbstdisziplin fehlten Frank.

Sie hatte ihm zugeredet, trotzdem verließ er das Gymnasium und begann, weil ihm nichts Besseres einfiel, eine Banklehre.

»Welche Rolle spielen Sie eigentlich, Baron von Balsingen?« fragte Sandra. »Und was erwarten Sie von mir?«

Der Baron ließ die Katze aus dem Sack.

»Sie stehen in engen, um nicht zu sagen intimen Beziehungen zu dem Fürsten von Falkenau, Fräulein Dr. Richter. Wollen Sie als Schwester eines Defraudanten diese aufrechterhalten?«

Sandra stand sofort auf.

»Hat Fürstin Claudia Sie beauftragt, Baron, oder handeln Sie im Interesse Ihrer Nichte? Jetzt verstehe ich, weshalb Sie sich eingeschaltet haben. Sie als Adliger sollten sich schämen, ein so schmutziges Spiel zu treiben.«

Sandras grüne Augen funkelten den Baron an. Sie wirkte bild­hübsch, wie sich Baron Edgar eingestand, der weibliche Schönheit schätzte.

»Ich werde Fürst Gunter sofort einweihen und ihm alles erklären«, sagte Sandra.

Als sie die Türklinke schon in der Hand hatte, rief der Baron: »Wenn Sie das tun, landet Ihr Bruder im Gefängnis. Dann bleibt ihm nichts erspart. Und Ihnen auch nicht. Fürst Gunter wird, falls er zu Ihnen hält, ebenfalls Unannehmlichkeiten haben.«

Sandra zögerte. Gunter hatte ihr Liebe geschworen, doch das war gewesen, bevor er von den Unterschlagungen ihres Bruders wußte. Sandra war eine Bürgerliche, bisher immerhin eine Bürgerliche aus einer unbescholtenen Familie. Konnte der Fürst es sich überhaupt leisten, die Schwester eines Kriminellen zur Frau zu nehmen?« Und wenn das geschah, würde er es nicht früher oder später bitter bereuen?«

Außerdem war da Frank. Sein Leben würde ruiniert sein, wenn man ihn anklagte. Sandra dachte an ihr Kind. Mit welchem Skandal würde seine Geburt behaftet sein, wenn sie unter diesen Umständen den Fürsten heiratete.

Sie kehrte wieder um und setzte sich.

»Ich bin bereit, mir Ihre Vorschläge anzuhören, Baron. Zuvor möchte ich Ihnen sagen, daß ich Sie verachte.«

»Halten Sie das, wie Sie wollen, Fräulein Doktor. Ob mein Spiel schmutzig ist oder nicht, steht dahin. Ich werde es jedenfalls gewinnen. Wenn Sie erreichen wollen, daß die Unterschlagungen Ihres Bruders vertuscht werden, müssen Sie eine Bürgschaft für das unterschlagene Geld leisten und sich verpflichten, jeden Kontakt zu Fürst Gunter von Falkenau abzubrechen.«

Sandra stand vor einer fürchterlich schweren Entscheidung.

»Heute abend wollen wir unsere Verlobung feiern, Baron.« Es klang wie ein Schrei. »Außerdem bin ich im dritten Monat schwanger.«

»Von Fürst Gunter? Sind Sie sicher, daß das Kind, das Sie erwarten, von ihm ist? Es könnte angezweifelt werden.«

Soviel Gemeinheit verschlug Sandra die Sprache. In diesen Minuten zerbrach ihr Glück und damit ihre Zuversicht auf eine Zukunft mit Gunter. Der Baron triumphierte, er saß am längeren Hebel. San­dra hörte ihn reden. Falls sie sich mit dem Fürsten verlobte, würde zur gleichen Stunde die Anzeige gegen ihren Bruder erfolgen, die Skandalblätter sollten Mitteilung erhalten.

»Ich verlobe mich nicht«, sagte Sandra. »Aber wie soll ich es Gunter beibringen?«

»Lassen Sie sich etwas einfallen, meine Liebe. Frauen sind erfinderisch. Weitere Einzelheiten besprechen wir später.«

Dumpf fiel die Tür hinter Sandra ins Schloß. Sie konnte den Anblick des Barons nicht mehr ertragen.

*

Um achtzehn Uhr fuhr Gunter, strahlend und im festlichen Abendanzug, bei Sandra vor, um sie zur Verlobungsfeier abzuholen. Er war erstaunt, sie in der Wohnung in alten Jeans, mit noch unfrisiertem Haar und einem bedruckten T-Shirt vorzufinden. Er überreichte ihr die zur Verlobung gekauften Rosen.

»Ich dachte, du seist schon fertig. Worauf wartest du noch?«

»Wir können uns nicht verloben, Gunter. Ich habe es mir anders überlegt.«

Gunter lachte, er hielt das für eine Laune von ihr, für eine Art Torschlußpanik.

Was ist denn plötzlich in dich gefahren, Mädchen? Hast du Angst vor meinem Adelstitel gekriegt? Oder bestehst du auf einer Verlobung im Schloß? Sie ließ sich so rasch nicht einrichten. Aber wir heiraten auf Schloß Falkenau, da kannst du sicher sein.«

Sandra setzte sich im Schlafzimmer vor den dreiteiligen Spiegel und kämmte ihr Haar. Sie konnte Gunter nicht in die Augen sehen und mußte einfach etwas tun, um Haltung zu bewahren.

»Wir werden nicht heiraten.«

Jetzt erst begriff Gunter, daß es sich nicht nur um etwas Vorübergehendes handelte. Er legte die Rosen aufs Bett, in dem er so glückliche Stunden mit Sandra verbracht hatte.

»Was soll das heißen? Meine Freunde warten, es ist alles für die Verlobungsfeier vorbereitet. Reporter sind da. Die Verlobungsanzeigen sind erschienen, wie du weißt.«

»Ich weiß, aber die Verlobung findet trotzdem nicht statt. Auf dem Tisch dort liegt dein Ring. Ich will ihn nicht haben.«

Gunter war wie vor den Kopf geschlagen.

»Geh jetzt«, bat ihn Sandra. »Ich will dich nicht wiedersehen.«

»Warum?« stammelte Gunter. »Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Du erwartest doch ein Kind von mir, Sandra! Wir lieben uns und wollen heiraten. Weshalb sagst du plötzlich, du hast deine Meinung geändert? Wenn das ein Scherz sein soll, dann ist es ein sehr schlechter und grausamer.«

»Es handelt sich nicht um einen Scherz. Es war mir nie so ernst wie jetzt zumute.«

Sandra drehte sich auf dem Frisierhocker um.

Sie wußte, daß es nur eine Möglichkeit gab, um Gunter von sich wegzubringen.

Sie mußte ihn so schlimm verletzen, wie es nur möglich war, und seine Liebe zerstören.

»Ich habe dich nur heiraten wollen, weil du der Fürst von Falkenau bist. Als Mensch bedeutest du mir gar nichts.«

»Sandra!«

»Aber mit einer Lüge kann ich auf die Dauer nicht leben. Das habe ich jetzt gemerkt. Das Kind, das ich erwarte, ist übrigens nicht von dir.«

»Das ist nicht wahr!«

»Doch. Verlaß meine Wohnung, Gunter. Geh! Nimm dir eine Adlige zur Frau, sie wird besser zu dir passen und auch deiner Mutter genehm sein. Laß mich allein.«

Sie deutete auf die Wohnungstür. Es war der schlimmste Augenblick in Gunters Leben. Ein glühendes Schwert bohrte sich in sein Herz, und er litt, wie er nie zuvor gelitten hatte.

Sandra hielt seinem ungläubigen, gequälten Blick stand. Ein Zittern durchlief die hohe Gestalt des Fürsten.

Aber Gunter zeigte Haltung. Das war etwas, was ihm von klein auf anerzogen worden war.

»Wer ist der Vater des Kindes? Ich will es nur wissen. Du brauchst nichts zu befürchten.«

Auch das hatte sich Sandra überlegt.

»Dr. Stanitz, ein Kollege von mir. Ich habe dir eigentlich von ihm erzählt.«

»Der schöne René, der Schwarm aller Frauen in eurer Klinik. Gratuliere. Weiß er schon von seinem Glück?«

»Was kümmert das dich? Adieu, Gunter.«

Der Fürst schritt hinaus, steif, fast wie ein Roboter. Sein Gesicht glich einer Maske.

»Der Ring«, rief Sandra hinter ihm her.

»Bring ihn zum Pfandleiher«, sagte Gunter über die Schulter. »Oder wirf ihn in den Rhein. Ich mag ihn nicht mehr anfassen.«

Er schloß die Wohnungstür leise hinter sich. Sandra hätte ihre Rolle nicht mehr länger spielen können. Sie fiel aufs Bett. Die herrlichen roten Rosen wurden unter ihr zerdrückt, während ihr Körper von haltlosem Schluchzen geschüttelt wurde. Alles in ihr schrie danach, hinter Gunter herzulaufen, ihn zurückzuholen und ihm die wahren Zusammenhänge zu erklären.

Doch das durfte sie nicht. Sie konnte nicht zurück…

*

Vorm Haus sprang Gunters Wagen an, Sandra kannte den Klang des Motors. Mit aufheulendem Motor raste der Fürst davon.

Gunter war außer sich. Er brachte es nicht fertig, ins Hotel zu gehen und dort Erläuterungen abzugeben. Er rief von einer Telefonzelle aus an, verlangte seinen Freund, den Schauspieler Alexander Karben, und teilte ihm mit, die Verlobung sei geplatzt.

Er gab keine Erklärungen ab.

»Feiert auf meine Kosten«, sagte er. »Amüsiert euch gut. Schickt die Reporter weg.«

»Gunter, Menschenskind, was ist denn passiert? Habt ihr euch gestritten? Das ist kein Grund, um alles hinzuwerfen, das kommt in den besten Familien vor. Soll ich mit Sandra reden?«

»Auf keinen Fall. Ich verbiete dir, auch nur ein Wort mit ihr zu sprechen. Wenn du mein Freund bist, stell jetzt keine Fragen. Ich will niemanden sehen.«

»Wo bist du jetzt, Gunter? Wohin gehst du?«

Aber der Fürst hatte schon eingehängt. Er fuhr in sein Jagdrevier im Taunus. Dort irrte er umher. Die Nacht, den darauffolgenden Tag und die nächste Nacht verbrachte er im Wald und in der Jagdhütte. Erst zu Anfang der Woche kehrte er nach Schloß Falkenau zurück.

*

»Ich habe es dir gleich gesagt, diese Bürgerliche ist nichts für dich. Sie hat dich zum Gespött gemacht, dich, den Fürsten von Falkenau! Was willst du jetzt unternehmen?«

Gunter sprach in der Bibliothek mit seiner Mutter. Er war erst vor einer halben Stunde aufs Schloß zurückgekommen. Natürlich wußte Fürstin Claudia längst von der geplatzten Verlobung. Gunter sah den Triumph in ihren Augen. In diesem Moment haßte er seine Mutter.

»Ich bleibe im Wohnhaus bei der Porzellanmanufaktur, dort werde ich mich für die nächste Zeit einrichten. Ich werde arbeiten, arbeiten und nochmals arbeiten.«

Gunter sprach voller Bitterkeit. »Wir brauchen einen neuen Brennofen im Werk. Die Produktion muß verbessert werden. Unsere französischen Geschäftsfreunde von der Firma Servan haben sich angesagt. In unseren Forstbetrieben gibt es viel zu tun. Ich will durchrechnen, ob es sich lohnt, unsere Sägemühle wieder in Gang zu setzen. Die Genehmigung für den Bau des Stalls für fünfzig Milchkühe mit Melkanlage und automatischer Fütterung und Entmistung läßt schon viel zu lange auf sich warten, ich muß mich mit den zuständigen Stellen in Verbindung setzen.«

»Das willst du alles allein erledigen?«

Es war eine Herkulesarbeit, die Gunter sich aufbürden wollte. Der verstorbene Fürst hatte die Tätigkeiten auf seinen Gütern und in den fürstlichen Porzellanmanufakturen meist den bezahlten Kräften überlassen. Wenn er sich dort einmal eingemischt hatte, hatte er nur Verwirrung gestiftet. Als Landtagsabgeordneter war er populärer und erfolgreicher gewesen.

Gunter zeigte bisher für die Politik keine Neigung, aber er hatte außer seinem Ingenieurstudium auch ein paar Semester Land- und Forstwirtschaft studiert. Er war immer sehr fleißig gewesen und kannte sich in allen Zweigen des Besitzes derer von Falkenau aus.

»Nicht allein«, beantwortete Gun­ter die Frage seiner Mutter. »Wir haben schließlich Mitarbeiter.«

»Warum ziehst du nicht wieder ins Schloß?« Gunter hatte es, nach einigen Meinungsverschiedenheiten wegen Sandra in der letzten Zeit, verlassen. »Die paar Kilometer zur Manufaktur kannst du mit dem Wagen fahren.«

»Ich fühle mich beim Betrieb wohler, dort bin ich auch gleich vor Ort.«

Der wahre Grund war, daß Gunter zu seiner Mutter Distanz halten wollte. Er wollte keine Bemerkungen wegen seiner gescheiterten Verlobung hören, auch nicht in mitleidsvollem Ton. Es war, nach dem bitteren Schmerz, den ihm Sandra zugefügt hatte, vollends erwachsen geworden und brauchte Freiraum.

Die Fürstin sah, daß sie ihn jetzt nicht umstimmen konnte. Irgendwann würde er ins Schloß zurückkehren. Sie stellte die entscheidende Frage.

»Was ist mit dem Kind, das diese Dr. Richter erwartet? Wie du weißt, sind uneheliche Kinder heutzutage per Gesetz den ehelichen gleichgestellt und erbberechtigt. Deshalb sollten gerade Leute unseres Standes sich hüten, Bastarde in die Welt zu setzen.«

Gunter zuckte zusammen wie unter einer Ohrfeige.

Dann sagte er steif: »Du kannst unbesorgt sein, Mutter. Dr. Richter wird keine Ansprüche stellen, auch nicht für Alimente. Sie hat kein Recht dazu.«

»Was heißt das?« Erst allmählich ging der Fürstin der Sinn dieser Bemerkung auf. »Das Kind ist gar nicht von dir?«

Ohne Antwort, weiß im Gesicht, verließ Gunter die Bibliothek.

Die Fürstin mußte sich setzen. So eine Infamie, dachte sie. Dieses elende Weib. Aber wie hat Gunter das nur herausgefunden?

Sie klingelte, Marthe eilte herbei. Sie war die Gattin des steifen Schloßverwalters Hubert, gleichaltrig mit der Fürstin und mit ihr zusammen im Schloß aufgewachsen. Marthe Rosthal diente der Fürstin als Kammerzofe und hatte noch zahlreiche andere Funktionen auf Schloß Falkenau.

Fürstin Claudia vertraute ihr völlig.

»Gib mir einen Sherry, Marthe. Ja, jetzt schon, ich weiß selbst, daß es Vormittag ist.«

Als Marthe der Fürstin den Sherry brachte, teilte sie ihr mit, daß Fürst Gunter in seinen Räumen mit Packen beschäftigt war. Fürstin Claudia winkte nur ab. Marthe machte sich in der Bibliothek zu schaffen. Sie konnte ihre Neugierde wegen der gescheiterten Verlobung nicht bezähmen.

»Was ist mit dem Kind, das Fräulein Dr. Richter erwartet, Durchlaucht?«

»Marthe!« empörte sich die Fürstin. »Du hast wieder gehorcht!«

Die füllige Frau legte die Hand aus Herz.

»Tot umfallen will ich, wenn ich das getan habe. Ich hörte neulich zufällig einen Teil eines Telefonats mit, das Fürst Gunter mit, hmhm, diesem Fräulein führte. Ich konnte es nicht vermeiden. Selbstverständlich habe ich zu niemandem ein Wort darüber gesprochen, nicht einmal zu Hubert.«

»Wegen des Kindes ist nichts zu befürchten«, sagte die Fürstin spröde. »Gunter ist nicht der Vater, deswegen ist die Verlobung gelöst worden. Aber das behältst du streng für dich, Marthe. Weiß der Teufel, wo das Fräulein Doktor den Balg herhat.«

Marthe schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Ihr hessischer Dialekt klang noch stärker durch als sonst.

»Der arme Förscht! Totgeschlache gehört das Weibsstück! Und so eine wär’ fast auf Schloß Falkenau eingezogen. Nein, was ist die Welt so schlecht, es werd’ immer schlimmer.«

Fürstin Claudia war zornig und tief betroffen. Wenn sich das herumsprach, würde man in ganz Deutschland und auch beim ausländischen Hochadel über die Falkenaus lachen.

Die Fürstin ging verdrossen ins Eßzimmer, um zu frühstücken. Erbitterte Vorwürfe machte sie in Gedanken ihrem Sohn, weil er sich mit der Ärztin eingelassen hatte.

Mit einer Adligen wäre ihm das nicht passiert, dachte sie. Als ihr der Baron von Balsingen gemeldet wurde, wollte die Fürstin sich zuerst mit Unpäßlichkeiten entschuldigen. Dann entschloß sie sich aber doch, ihn zu empfangen.

Er küßte ihr galant die Hand.

»Sie sehen bezaubernd aus, meine Liebe!«

Unten im Hof verließ indessen Fürst Gunter das elterliche Schloß.

»Schmeichler«, sagte die Fürstin. »Ich fühle mich scheußlich, bestimmt sieht man es mir an. Seit der gescheiterten Verlobung steht hier das Telefon nicht still, ich nehme schon keine Anrufe mehr entgegen. Einige Reporter habe ich abweisen müssen. Sollen sie sich an meinen Sohn wenden. Was für ein Skandal! Es ist entsetzlich.«

»Ja, aber trotz allem ging es noch gut, Claudia. Gunter erfuhr rechtzeitig die Wahrheit über das Fräulein Dr. Richter. Außerdem ist da noch etwas. Frank Richter, der Bruder der Ärztin, hat bei der Bank, bei der er arbeitete, Geld unterschlagen, er setzte sich ins Ausland ab. Dr. Richter wird es zurückzahlen müssen, von einer Strafverfolgung hat man abgesehen.«

»Edgar, was eröffnen Sie mir da? Nehmen die Schrecken denn kein Ende?«

»Ich habe mir erlaubt, Nachforschungen anzustellen, meine liebe Claudia, und zwar über eine Detektei. Sie brachte die Wahrheit heraus. Sie, meine Liebe, haben einen viel zu vornehmen Charakter, um so einen Schritt zu unternehmen. Dennoch war er bitter notwendig. Von Marion hörte ich etwas über den Zustand von Fräulein Dr. Richter. Ich hielt es für meine Pflicht, als Freund des Hauses, die Initiative zu ergreifen.«

»Sie haben völlig richtig gehandelt, Edgar. Das werde ich Ihnen nie vergessen.«

Der Baron faßte die Hand der Fürstin.

Er blickte ihr tief in die Augen.

»Darf ich hoffen, irgendwann mehr für Sie zu sein als ein guter Freund, Claudia? Sie würden mich zum glücklichsten Mann unter der Sonne machen.«

»Vielleicht… irgendwann. Ich kann jetzt nichts dazu sagen, Edgar, ich bin zu verstört im Moment. Es ist unglaublich, in welche Abgründe ich schauen mußte. Ein… ein Flittchen und ein Defraudant, und mit solchen Leuten hat sich mein Sohn eingelassen! Mit diesem Pöbel bringt er mich ins Gerede!«

»Es wird geheim bleiben«, versicherte der Baron, »die Betroffenen schweigen aus gutem Grund. Von mir erfährt niemand etwas. Es war mir eine Ehre, dem Haus Falkenau einen Dienst erweisen zu können.«

Der Baron verabschiedete sich bald. Er fuhr fröhlich vom Schloß weg, sein Weizen blühte. Was kümmerte es ihn, wenn dabei zwei Herzen brachen und ein Kind ohne Vater zur Welt kam und um seine Geburtsrechte betrogen wurde.

Sandra hatte den Baron am Tag nach ihrem Gespräch mit Gunter aufgesucht. Der ganze Fall war damit abgeschlossen.

Der Baron vermied es allerdings, an den Blick zu denken, mit dem ihn Sandra gemustert hatte. Noch nie hatte er soviel Abscheu und Verachtung zu spüren bekommen…

*

Marion von Balsingen arbeitete als Bibliothekarin in der Wiesbadener Schloßbibliothek. Sie liebte Bücher, hatte gern mit Menschen Kontakt und wollte nicht untätig sein. An diesem Vormittag herrschte wenig Betrieb in der Bibliothek, die über zwei Lesesäle verfügte und sich in drei Etagen ausdehnte.

Marion stellte gerade eine Liste der Bücher auf, die ausrangiert werden sollten, als sie jemand ansprach.

»Haben Sie Literatur über die frühmittelalterlichen Minnesänger, Fräulein? Hauptsächlich über Walter von der Vogelweide?«

»Selbstverständlich.«

Marion schaute von der Liste auf. Sie wollte dem Frager gerade erklären, wo er das Gesuchte fand. Da erkannte sie ihn. Alexander Karben war groß und schlaksig, er hatte eine dunkelbraune Haarmähne und braune Augen. Um seinen Mund lag oft ein spöttischer Zug. Alexander war alles andere als ein Zyniker. Er nahm nur manches weniger ernst als andere.

Mit seinen achtundzwanzig Jahren zählte er zu Deutschlands besten Nachwuchsschauspielern. Wer seine Darstellung des »Hamlet« gesehen hatte, würde sie nie vergessen. Er hatte auch in zahlreichen anderen Rollen brilliert und trat im Fernsehen auf.

Marion kannte Alexander von verschiedenen Veranstaltungen. Sie wußte, daß er ein Auge auf sie geworfen hatte. Zwar schätzte sie ihn als Schauspieler, doch abgesehen davon gab es nur einen Mann: Gunter von Falkenau. Trotzdem freute sie sich, Alexander Karben zu sehen.

»Ich dachte, Sie halten sich zu Dreharbeiten in Norddeutschland auf, Herr Karben?«

»Der Fernsehkrimi ist abgedreht. Endlich durfte ich mal einen Schurken spielen. Meines Erachtens war der Schluß des Films viel zu flau, aber der Regisseur und die Herren von der Produktionsleitung ließen sich leider nicht umstimmen. Schauspieler sollten viel mehr Mitspracherecht beim Drehbuch haben. Aber ich bin nicht gekommen, um mit Ihnen darüber zu reden, Baronesse von Balsingen.«

Grübchen erschienen in Marions Wangen, als sie lächelte.

»Lassen Sie die Baronesse weg. Nennen Sie mich Marion.«

»Marion und ›Sie‹ paßt nicht zusammen. Ich heiße Alexander. Darf ich Sie – dich – jetzt gleich oder während der Mittagspause zu einer Tasse Kaffee einladen? Ich möchte etwas mit dir besprechen, Marion.«

»Über die Minnesänger und Walter von der Vogelweide?«

»Nein, über Gunter von Falkenau. Und auch – über uns. Gunter ist völlig am Boden zerstört, seit seine Verlobung vor drei Wochen in die Brüche ging. Ich habe ihn seitdem zweimal gesprochen. Er war abweisend bis zur Unhöflichkeit. Dann rief ich Fräulein Dr. Richter an. Sie gab keine Erklärungen ab und sagte nur, sie und Gunter hätten festgestellt, daß sie nicht zusammenpaßten. Damit war das Gespräch beendet.«

Marion wußte von ihrem Onkel, dem Baron, daß die Ärztin Gunter schändlich hintergangen haben sollte. Er sei nicht der Vater des Kindes gewesen, das sie erwartete, hatte Baron Edgar seiner Nichte anvertraut und sie beschworen, zu niemandem darüber zu reden.

Marion war Gunter bisher ferngeblieben. Sie wollte ihm Zeit geben, den Schock zu überwinden und wieder zu sich selbst zu finden. Sie empfand keine Freude über die Entwicklung der Dinge. Gunter hatte Sandra aufrichtig geliebt. Marion wäre bereit gewesen, zurückzutreten und den beiden ihr Glück zu gönnen.

*

Jetzt stimmte Marion jedenfalls zu, mit Alexander Karben ein Waldrestaurant aufzusuchen, wo sie zu Mittag essen wollten. Er mußte sich eine Weile gedulden.

»Lies nur über die Minnesänger nach, Alexander«, empfahl ihm Marion. »Sie wußten die Gunst einer Dame wenigstens noch richtig zu schätzen.«

»Es blieb ihnen auch nichts anderes übrig. Dadurch, daß sie die Burgfrauen umschmeichelten, verdienten sie ihr Brot. Bei den Burgherren wäre es ihnen kaum geglückt. Die dachten praktischer.«

Alexanders Sportwagen parkte vor dem Schloß, dessen Bibliothek der Öffentlichkeit zugänglich war. Marion bestaunte den Sportflitzer.

»Ich fahre ihn aus Imagegründen und zur Steuerersparnis«, sagte der Schauspieler leichthin.

Sie setzten sich an einen Tisch im Garten des Waldrestaurants. Die Vögel zwitscherten in dem dichten Laub der Linde, die besser als Sonnenschirme einen angenehmen Halb­schatten spendete.

Marion und Alexander unterhielten sich zunächst über Gunter. Marion verriet nichts, als sie merkte, daß der Schauspieler über Sandras Schwangerschaft nicht informiert war. Er rätselte hin und her, was den Bruch zwischen Sandra und Gunter hatte verursachen können.

»Ich hatte den Eindruck, die beiden seien rasend ineinander verliebt. So kann man sich irren. Ob wohl ein anderer Mann im Spiel ist? Eine andere Frau keineswegs, dazu kenne ich Gunter zu gut.«

»Ich weiß es nicht. Gunter braucht vor allem Zeit, um den Schlag zu verwinden. Seine alten Freunde sollten mit ihm Kontakt halten, aber ihn nicht bedrängen.«

Der Meinung war Alexander auch. Er blickte Marion nachdenklich an.

»Du bedeutest mir sehr viel, Marion, bei dir spüre ich etwas, was ich noch bei keiner anderen Frau bemerkt habe. Ich bin umschwärmt und erfolgreich. Und doch fehlt mir etwas. Der oberflächlichen Beziehung bin ich gründlich überdrüssig.«

Diese Wendung des Gesprächs gefiel Marion keineswegs.

»Das sagst du sicher zu jeder. Ich bin nur eine kleine Bibliothekarin, deren Eltern zufällige Adlige waren. Zu einem Schauspieler und Künstler würde ich bestimmt nicht passen, der Lebensstil liegt mir nicht.«

»Du könntest dich daran gewöhnen. Ich bin keineswegs flatterhaft, falls du das meinst.«

Marion lächelte nur. Sie sah auf die Uhr.

»Ich muß wieder in die Bibliothek zurück. Meine Mittagspause ist bald um.«

»Kann ich dich in der nächsten Zeit mal sehen? Wollen wir ausgehen, etwas unternehmen? In Kürze werde ich in Frankfurt auf der Bühne stehen. Kommst du zur Premi­ere?«

»Vielleicht. Gib mir deine Telefonnummer, ich rufe dich an. Für die nächste Zeit bin ich ausgebucht. Ich nehme an einem Französisch-Abendkurs teil, um meine Kenntnisse aufzupolieren.«

»Ach.«

Alexander war sichtlich enttäuscht. Er bezahlte die Rechnung.

Auf der Rückfahrt fragte er: »Kannst du mir eine Frage wahrheitsgemäß beantworten, Marion? Liebst du Gunter von Falkenau und siehst du deshalb keinen andern Mann an? Ich weiß, daß du mit deinem Onkel verschiedentlich auf Schloß Falkenau zu Gast warst.«

Marion wurde sehr verlegen.

Schließlich antwortete sie: »Ich habe Gunter sehr gern, aber er ist mir gegenüber immer unverbindlich geblieben. Zwischen uns ist nie etwas vorgefallen.«

»Ich wollte nur Bescheid wissen. Ich bin kein Fürst, Marion, aber ich liebe dich. Ja, das sage ich nicht nur so daher. Seit heute weiß ich es sicher.«

Vor dem Schloß verabschiedete sich Marion rasch. Sie verschwand durch das große Tor. Es sah fast wie eine Flucht aus. Alexander nahm die Sonnenbrille ab.

»Das wird meine Frau«, sagte er halblaut. »Gunter soll sich eine andere nehmen. Er muß blind sein, wenn er nicht bemerkt, wie sehr das Mädchen in ihn verliebt ist.«

*

Der Frachter lief im Hafen von Rio ein. Frank Richter staunte die weißen Hochhäuser unterm Zuckerhut an. Rio de Janeiro schien ihm von weitem die schönste Stadt der Welt zu sein. In sattem Grün erhoben sich im Landesinnern bewaldete Berge.

Hier habe ich eine Zukunft, dachte Frank, die Schatten der Vergangenheit lasse ich hinter mir.

Den ersten Anblick von Rio würde er nie vergessen…

Aus der Nähe, im Gedränge des Hafens, merkte er schon, daß nicht alles so schön war. Es gab viel Schmutz und Armut in Rio. Die Gegensätze zwischen arm und reich waren kraß.

Nach dem Anlegemanöver suchte Frank den Kapitän auf der Brücke auf.

»Ich will von Bord gehen«, teilte er ihm mit.

Der Kapitän fragte nicht lange.

»Sie müssen wissen, was Sie tun, Herr Richter«, sagte er und schickte ihn zum Zahlmeister.

Eine halbe Stunde später stand Frank mit seinen Papieren, achthundert Mark Heuer und dreitausendfünfhundert Mark von dem Geld, das er von Baron von Balsingen erhalten hatte, am Kai. Das waren rund fünfzigtausend brasilianische Cruzeiros.

Frank schien das sehr viel Geld zu sein.

Er fühlte sich prächtig, das alte Europa lag hinter ihm, damit hatte er alle Schwierigkeiten hinter sich gelassen. Ich werde Brasilien erobern, dachte er, nahm seine Koffer und ging zum nächsten Taxistand.

Der Taxichauffeur fuhr ihn kreuz und quer durch die Acht-Millionen-Stadt, ohne daß Frank es merkte, und forderte von ihm das dreifache von dem, was er hätte verlangen dürfen. Frank stieg in einem Mittelklassehotel ab, das ihm der Taxichauffeur empfohlen hatte. Er brannte darauf, Rio zu sehen, den Strand von Copacabana und all die andern Plätze, deren Namen allein schon Träume und Verlockungen für ihn waren.

Frank duschte, zog sich um und nahm sich wieder ein Taxi. Immerhin war er klug genug, den größten Teil seines Geldes im Hotelsafe zurückzulassen. Den Rest wechselte er bei der Bank am Flughafen um, der auf einer Insel in der Bucht lag. Die Bank sagte ihm besonders darum zu, weil sie rund um die Uhr geöffnet war.

An diesem Nachmittag und Abend gewann er einen gewissen Einblick in diese Riesenstadt. Da waren Abfallberge am Rande der Stadt, und da die Fabriken, die die Straßen mit übelriechenden Abgasen erfüllten.