Ebberg - Burkhard Berens - E-Book

Ebberg E-Book

Burkhard Berens

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Beschreibung

Der Ebberg ist eine bewaldete Anhöhe des Schwerter Ortsteils Westhofen, auf der Veronica Weber zur tragischen Figur wird. An einem eigentlich schönen Samstagmorgen im Mai findet sie beim Gassigehen eine männliche Leiche, die im Kugelfang des ortsansässigen Schützenvereins plaziert worden ist. Damit beginnen für sie inmitten ihrer gepflegten Bürgerlichkeit zwei Wochen, die ihr bisheriges Leben total auf den Kopf stellen. Ein Fall für Kriminalhauptkommissar Krautzucker und seinen Assistenten Winkler.

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Seitenzahl: 297

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Dieses Buch ist ein Roman.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen

Personen

oder Begebenheiten sind rein zufällig und

von mir nicht beabsichtigt.

Alle Rechte liegen beim Herausgeber Burkhard Berens

Umschlagsgestaltung und Coverdesign:

Markus Föhrenbacher

Gedruckt in Deutschland

Und mögliche Fehler liegen natürlich in meiner Verantwortung.

Inhaltsverzeichnis

Freitag, 24.05.2019

Samstag, 25.05.2019

Sonntag, 26.05.2019

Montag, 27.05.2019

Dienstag, 28.05.2019

Mittwoch, 29.05.2019

Himmelfahrtstag, 30.05.2019

Freitag, 31.05.2019

Samstag, 01.06.2019

Sonntag, 02.06.2019

Montag, 03.06.2019

Dienstag, 04.06.2019

Mittwoch, 05.06.2019

Donnerstag, 06.06.2019

Danke…

Freitag, 24.05.2019

Er fuhr mit seinem SUV in den Wald und suchte die Stelle, die er bei seiner letzten Wanderung für sein heutiges Vorhaben als ideal entdeckt hatte. Er war froh, dass er einen allradgetriebenen Wagen hatte. Der Waldboden war nicht nur weich, nein er war auch äußerst holperig. Es war später Vormittag. Aber er hatte in der Vergangenheit beobachtet, dass hier in dem abgelegenen Teil des Berges kaum Spaziergänger oder Wanderer unterwegs waren. Und da sah er den Steinbruch vor sich, tiefe Wunden von Menschenhand in die Felsformationen geschlagen. Der Steinbruch war schon lange stillgelegt. Am oberen Rand, wo er sein Auto zum Stehen gebracht hatte, säumten riesige Douglasien und einige knorrige Eichen den tiefen und steilen Abgrund. Er stieg aus und scannte mit seinen Augen vorsichtig die Umgebung. Wie von ihm erhofft, war weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Von seinem Standort aus konnte er über die Wipfel Teile der Autobahn A1, das Westhofener Kreuz und den Süden von Schwertes Vorort Westhofen ausmachen. Zu seinen Füßen lagen auf weichem Untergrund einige kleinere und größere Gesteinsbrocken. Er musste sich also bei seinem Vorhaben ein wenig vorsehen, um nicht umzuknicken.

Als er sich nochmals vergewissert hatte, die richtige Stelle wiedergefunden zu haben und nach wie vor niemand in der Nähe war, der ein nicht gewollter Zeuge hätte sein können, öffnete er die Heckklappe des SUV, indem er seinen rechten Fuß unter das Heck des Fahrzeugs hielt. Er war immer wieder von dieser neuen Technik beeindruckt.

Voller Genugtuung schaute er in den Kofferraum. Dort lag ganz friedlich wirkend der erwürgte Mann, der ihm soviel Verdruss bereitet hatte. Heute früh hatte er seinem Ärger und seiner Wut freien Lauf gelassen. Sein Widersacher hatte es nicht anders verdient. Er wuchtete den leblosen Körper aus dem Kofferraum und zog ihn zu der von ihm vorgesehenen Stelle des Steinbruchs. Er schaute über die Kante nach unten. Tief unten sah er den mit brakigem Wasser gefüllten morastigen Tümpel . Dieses Wasserloch sollte für immer das Grab des von ihm so sehr gehassten Menschen werden. Und so wuchtete er den Leichnam über die Steinkante und ließ ihn in den Abgrund fallen. Er hörte das wässrige, modrige Platschen. Ohne noch einmal herab zu blicken, stieg er in sein Auto und fuhr zufrieden davon. Auch jetzt begegnete ihm kein Mensch. Besser hätte es nicht laufen können.

Er hatte seinen Plan zu seiner Zufriedenheit erledigt.

Samstag, 25.05.2019

Es war ein wunderschöner Frühsommermorgen, der letzte Samstag im Mai. Die Sonne erwärmte schon merklich die Luft. Veronica Weber wanderte mit ihrem Rhodesian Ridgeback Oskar trotz des tollen Wetters total missmutig über die Höhen des Schwerter Ebbergs. Die tolle Aussicht auf den Dortmunder Sommerberg, den der Volksmund wegen der vielen neuen Ein- und Zweifamilienhäuser nur Hypothekenhügel nannte, nahm sie kaum wahr. Sie war sauer, einfach sauer. Hatte ihr Ehemann Dietmar ihr doch versprochen, an diesem Samstagmorgen mit dem Hund Gassi zu gehen, damit sie mal länger liegen bleiben konnte. Aber es war bei ihm am Vorabend, wie sooft freitags, wieder sehr spät geworden. Er hatte mit seinen Weinfreunden lange zusammen gesessen, zu lange. So musste sie doch wieder früh raus. Oskar konnte schließlich nicht alleine seine Runde drehen. Sie war auch sauer, weil Dietmar ihr den Hund als Welpen einfach, ohne sie vorher zu fragenvor gut drei Jahren von einer Weinreise aus Südafrika mitgebracht hatte. Er hatte sie einfach vor vollendete Tatsachen gestellt. Ihm fehlte doch durch seine Gutachtertätigkeit jegliche Zeit, sich selbst um den Hund zu kümmern. Sein eigenes Kfz–Gutachterbüro mit mehreren Angestellten ließ ihn stets frü morgens aus dem Haus gehen und erst am frühen Abend zurückkommen. Bei Außenterminen konnte es noch später werden. So blieb die Hundebetreuung an ihr hängen, obwohl sie auch berufstätig war. Zwar arbeitete sie nur halbtags in Bochum in einer Steuerberaterpraxis. Aber es blieb nicht immer bei der Halbtagsarbeit. Wenn noch kurz vor ihrem Dienstschluss einer ihrer Mandanten kam, war sie gezwungen, länger zu bleiben. Also kam der Hund oft zu kurz. Dazu hatte sie schon seit mehreren Jahren ein Dressurpferd auf einer nahegelegenen Reitanlage stehen, das täglich betreut werden musste. Aber wieder abgeben mochte sie den Hund auch nicht.

So in ihre Gedanken gehüllt, schlenderte sie über die Höhen des Ebbergs. Links tauchte das Gebäude aus verwitterten roten Ziegeln auf. Die einsehbare Giebelseite war mit Ranken wilden Weins überwuchert, den man offensichtlich schon länger nicht zurückgeschnitten hatte.

Für die Westhofener war es nur „Das rote Haus auf dem Ebberg“. Obwohl sie oft hier lang ging, wusste sie bis heute immer noch nicht, wer dieses einsam stehende Bauwerk bewohnte. Sie dachte nur, dass sie hier im Winter bei Eis und Schnee auf keinen Fall wohnen wollte.

Weit über ihr an dem wolkenlosen blauen Frühlingshimmel zog ein Bussard träge seine Frühstückskreise. Ab und zu ließ er einen Schrei erklingen, der ein bisschen wie das Miauen einer Katze klang. Insekten summten geschäftig um sie herum. Ganz in ihrer Nähe raschelte irgendein kleines Tier, vielleicht eine Maus. Veronica stellte sich vor, wie das kleine Mäuseherz vor Angst panisch pochte, weil die Maus den Bussard hörte und nicht wusste, ob und wann er herabstoßen würde, pfeilschnell und lautlos. Und wenn sein Schatten über sie fiel, dann war es meist zu spät, um zu fliehen.

Wie sie so gedankenversunken daher ging, bemerkte sie erst gar nicht, dass sich Oskar, den sie frei laufen ließ, auf einmal ganz unruhig gebärdete. Er lief laut bellend in den Wald. Sie rief ihn, aber er hörte nicht. Jetzt noch ein anderer rauflustiger Hund, dachte sie, das fehlt mir gerade noch.

Sie rannte laut rufend hinter ihm her. Aber da war kein anderer Hund. Sie erstarrte. Vor ihr hing in dem halb heraufgezogenen Kugelfang des Schützenvereins festgebunden ein lebloser männlicher Körper.

Als Veronica sich ängstlich dem Kugelfang genähert hatte, sah sie, dass der Mann ein blutiges Loch mitten in seiner braunen Lederjacke hatte. Er war tot, bestimmt erschossen. Sie erkannte den Toten. Veronica wurde speiübel.

Nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatte, Oskar von dem Kugelfang und der Leiche weggezerrt hatte, schaffte sie es, durch einen Anruf, die Polizei zu verständigen.

Es dauerte eine Weile, bis ein Streifenwagen der Schwerter Polizei bei ihr eintraf. Die beiden Polizisten sahen mit geschultem Blick sofort, dass es sich hier um ein Gewaltverbrechen handeln musste. Sie forderten umgehend die Mordkommission aus Dortmund an.

Natürlich durfte Veronica Weber als wichtige Zeugin den Fundort nicht verlassen. Bis die Kripo eintraf, nahm einer der Polizisten schon einmal ihre Personalien auf. Sein Kollege sperrte unterdessen mit einem blauweißen Flatterband den Fundort großräumig ab. Veronica wurde erlaubt, bis zum Eintreffen der Mordkommission im Streifenwagen zu warten. Oskar hatte sie mit seiner Leine an einen Baum angebunden. Aus dem Polizeiauto heraus versuchte sie mehrmals, ihren Ehemann telefonisch zu erreichen. Aber vergebens. Er schlief wohl noch immer seinen Weinrausch aus, während sie hier in der mehr als unangenehmen Situation steckte. Sie war verzweifelt und nur noch mehr sauer.

Inzwischen war es 10 Uhr morgens. Rund um den abgesperrten Kugelfang wimmelte es nur so von Polizisten. Jeder von ihnen schien genau zu wissen, was zu tun war. Und so entspann sich ein emsiges Treiben. Mehrere Frauen und Männer in weißen Overalls mit der Rückenaufschrift „KT“, was für Kriminaltechnik stand, suchten systematisch den Waldboden nach möglichen Spuren ab.

Der federführende Kriminalbeamte, Herr KHK Willi Krautzucker, hatte sich zunächst von Veronica Weber berichten lassen, wie und wann sie den Toten gefunden hatte. Nachdem sie verneinte, den Toten zu kennen, entließ der Kommissar sie nach Hause. Ihre Personalien waren ja schon aufgenommen worden. Zugleich wütend, ängstlich und verwirrt stapfte sie mit Oskar über den Ebberg zurück. Sie hatte es nicht weit. Sie wohnte mit ihrem Mann, ihrer Tochter und eben Oskar in einem schicken Häuschen etwas unterhalb des Ebbergs.

Kommissar Krautzucker wandte sich an den Pathologen Dr. Kurt Rundholz, der die Leiche eingehend in Augenschein genommen und bereits deren Verbringung in die Rechtsmedizin angewiesen hatte. Der Kommissar und der Kriminalarzt kannten sich über viele Dienstjahre. So hatten sie schon eine Menge kniffliger Gewaltverbrechen gemeinsam aufgeklärt. „Nun, Doc, kannst Du was zum Todeszeitpunkt und zur Todesursache sagen?“

„Krauti, immer die gleichen Fragen! Du weißt genau, dass ich es erst nach genauer Obduktion seriös sagen kann. Nach dem Zustand der Leiche, Temperatur, Leichenstarre, na, Du weißt schon, schätze ich, dass er seit ca. 8–10 Stunden tot ist. Der Tod ist durch einen Schuss in die Brust herbeigeführt worden. Und noch eins kann ich Dir mit Sicherheit sagen. Er ist nicht hier in diesem Kugelfang des Schützenvereins erschossen worden.“

„Was macht Dich da so sicher?“

„Nun, nach dem Einschussloch und der auf dem Rücken des Toten befindlichen großen Austrittsstelle muss die Tatwaffe ein großkalibriges Gewehr gewesen sein, möglicherweise ein Jagdgewehr. Solche Löcher werden in aller Regel von Teilmantelprojektilen verursacht. Aber weder im Kugelfang noch in der näheren Umgebung konnte die KT ein Projektil finden, was im übrigen auch die Ermittlung der Tatwaffe sehr schwierig machen wird.“

„Und haben wir beim Toten irgendetwas gefunden? Ausweispapiere, Führerschein, Handy oder irgendwelche anderen persönlichen Sachen?“

„Nee, nichts dergleichen, Krauti. Nur ein Schlüsselbund in einer seiner Hosentaschen, vermutlich Haus- und Wohnungstürschlüssel. Hier“

„Chef“, jetzt mischte sich Krautzuckers Assistent, KK Harry Winkler, ein. „Hier sind ziemlich frische Reifenspuren rund um den Kugelfang. Sie deuten darauf hin, dass der Tote möglicherweise im Auto hierher geschafft und quasi postmortem im Kugelfang festgebunden worden ist.“

„Mhm, wahrscheinlich, aber was ist der Sinn? Warum der Kugelfang? Und wo ist der eigentliche Tatort? Die KT soll auf jeden Fall die Reifenspuren sichern.“

„Schon geschehen, Chef.“

Krautzucker legte seine Stirn in Falten, was seiner rasierten Glatze ein besonderes Aussehen verlieh.

„Außerdem ist nach dem Aussehen der Ein- und Ausschussstelle ziemlich sicher, dass der Tote aus nächster Nähe exekutiert worden ist“, meldete sich der Pathologe noch einmal zu Wort.

„Okay, Doc Aber was soll diese Inszenierung? Wer findet Gefallen daran, das Opfer, nachdem er oder sie es irgend woanders erschossen hat, in so einen Kugelfang zu binden?“

Krautzucker kratzte sich seinen Dreitagebart.

„Ja, Krauti, alles kann ich auch nicht für Dich ermitteln. Das musst Du mit Deiner Mordkommission schon selbst rauskriegen.“

Der Doktor machte Anstalten zu gehen, als sich der Kommissar noch einmal an ihn wandte. „Ich weiß, Du kannst es nicht mehr hören. Aber wann bekomme ich Deinen Bericht?“

„Oh Mann, Krauti! Heute ist Samstag, morgen ist Sonntag, normal gehe ich erst Montag wieder in die Rechtsmedizin.“

„Wie bitte? Das glaube ich jetzt nicht. Ich habe auch kein Wochenende!“

„Kleiner Scherz! Ich werde noch heute die für Dich notwendigen Schnitte an der Leiche vornehmen. Rechne mal morgen früh mit meinem Bericht.“ „Dann ist ja gut. Ich dachte schon.“

Dr. Rundholz entfernte sich, um sogleich in sein Reich der Leichen und Skalpelle zu fahren. Er wollte schließlich Wort halten mit dem Obduktionsbericht.

Am Fundort der Leiche war nun nicht mehr viel zu tun. Krautzucker wollte gerade seinem Assi Winkler einige Aufgaben auftragen, die dieser als Erstes im Büro erledigen sollte, als sich einer der uniformierten Polizisten auf die beiden Kriminalbeamten zukam.

„Polizeiobermeister Wurzel, Herr Kommissar, kann ich Sie kurz sprechen? Ich glaube, ich kann Ihnen möglicherweise zwei nützliche Hinweise geben.“

„Ja gerne, Herr Kollege. Immer raus damit.“

Der Polizist räusperte sich. „Also, ich habe vorhin Ihr Gespräch mit der Zeugin, also Frau Weber, mit angehört.“

„Ja und?“ „Sie hat nicht die Wahrheit gesagt. Sie kennt den Toten.“ „Wie kommen Sie da drauf?“ „Die Zeugin und der Tote sind beide Mitglied im Reiterverein, der hier ganz in der Nähe seine Stallungen hat. Ich habe die beiden öfters zusammen gesehen. Ich bin selbst Mitglied in dem Verein. Meine Tochter hat dort eine Reitbeteiligung. Ich helfe ihr oft beim Misten und Reinigen des Stalls. Und dabei bekommt man natürlich einiges mit. Der Tote heißt übrigens Robert Lenzig. Ich habe auch zufällig einmal mitbekommen, dass er beim Hauptzollamt in Dortmund beschäftigt ist, sorry, war.“

„Das ist ja sehr interessant. Vielen Dank, Herr Kollege. Falls Ihnen noch mehr einfallen sollte, speziell zu Frau Weber und dem Toten, melden Sie sich bitte bei mir. Hier meine Karte mit meiner Durchwahl. Herr Wurzel, Sie sind auf der Wache in Schwerte?“ „Ja genau, Herr Kommissar.“ „Ja dann nochmals vielen Dank und tschüss!“ Krautzucker wandte sich an seinen Assistenten.

„Winkler, Sie haben das mitbekommen?“ Winkler nickte. „Okay, dann fahren Sie jetzt ins Präsidium und versuchen, so viel wie möglich zu den beteiligten Personen herauszufinden. Ich werde dem Reiterhof noch einen kleinen Besuch abstatten. Vielleicht erfahre ich ja noch etwas, was uns weiterhilft.“

Beide verließen den Leichenfundort.

Total zwiegespalten war Veronica Weber von ihrem dramatisch verlaufenen Hundespaziergang nach Hause gekommen. Von ihrem Ehemann war nichts zu sehen. Er schlief wohl immer noch seinen Rausch aus. Als sie gerade wütend ins Schlafzimmer stapfen wollte, um die Schlafmütze zu wecken, hörte sie von draußen Motorengeräusche. Als sie aus dem Fenster blickte, sah sie zu ihrer Überraschung, ihre Tochter und deren Freund in die Garageneinfahrt fahren. Ihre Tochter hielt eine große Brötchentüte in der Hand. Veronicas Wut legte sich sofort, freute sie sich doch immer, das glückliche Paar zu sehen. Ihre Tochter war vor einem halben Jahr zu ihrem Freund gezogen und seitdem nicht mehr so oft zu Hause. Außerdem war Veronica Weber immer wieder stolz, wenn sie ihre Tochter betrachtete. Die kurzen blonden Haare, die stahlblauen Augen, die nicht enden wollenden langen Beine. Toll sah sie aus.

„Hallo Mama!“ Kerstin Weber freute sich auch, ihre Mutter zu sehen. Sie umarmten sich herzlich. Oskar sprang ganz aufgeregt um beide herum. „Was für eine schöne Überraschung!“ „Wir wollten mit Euch frühstücken. Brötchen haben wir mitgebracht.“ Sie deutete auf die große Tüte.

„Da habt Ihr aber Glück gehabt. Normalerweise hätten Papa und ich schon gefrühstückt. Aber mir ist etwas dazwischen gekommen. Und Papa liegt noch im Bett. Es war wohl wieder sehr spät gestern mit seinen Weinfreunden. Ich habe ihn jedenfalls nicht nach Hause kommen gehört.“

„Und was kam Dir dazwischen, Mama?“

„Ach eine schreckliche Geschichte. Denk Dir, Oskar und ich haben bei unserem Frühspaziergang Robert tot im Wald gefunden.“

„Welchen Robert? Und wieso tot?“

„Ja, Robert Lenzig vom Reiterverein. Er ist wohl erschossen worden. Er hing angebunden im Kugelfang vom Schützenverein. Schrecklich!“

„Wieso erschossen? Wieso im Kugelfang?“ stotterte ganz blass geworden Sebastian Bommert, Kerstin Webers Freund.

„Ich habe keine Ahnung, Basti.“

Das Frühstück fiel sehr bedrückt aus. Als dann auch noch der Hausherr miese Laune verströmte, weil er sich ohne ein Wort der Entschuldigung dazugesellt hatte und entsprechend von seiner Ehefrau mit Vorwürfen bombadiert wurde, war es um die traute Familienidylle geschehen.

„Und hat die Polizei schon einen Verdacht?“ Sebastian sprach so leise, dass ihn keiner richtig verstanden hatte.

„Basti, hast Du was gesagt?“ „Ja, Frau Weber. Hat die Polizei schon einen Verdacht?“ Seine Stimme klang ungewohnt belegt, wenn nicht gar ängstlich.

„Nein, Basti. Ich habe keine Ahnung. Bin ja auch sehr schnell aus dem Wald nach Hause.“ Und mit bösem Blick zu ihrem Mann: „Hatte eigentlich gedacht, dass ich schon vermisst würde.“

„Vera, ich habe es verstanden. Ich hatte auch nicht vor, so spät nach Hause zu kommen.“

Dietmar Weber versuchte mit einem Dackelblick seine Ehefrau milde zu stimmen, hatte schließlich oft genug geklappt. Aber dieses Mal hatte er keinen Erfolg bei seiner Ehefrau. Dietmar Weber war keine besondere Erscheinung, seine Augen jedoch waren bemerkenswert. Sie waren von einem ungewöhnlichen warmen Goldbraun, eingebettet in Lachfältchen und umkränzt von dichten Wimpern. In solche Augen konnten sich Frauen verlieben, selbst wenn der Rest der Person nichts Besonderes war. Frau Weber hatte aber in diesem Moment keinen Sinn für diese Äußerlichkeiten.

„Wärst Du, wie versprochen, heute früh mit Oskar gegangen, wäre mir viel erspart geblieben“, giftete sie ihn an. „Ich weiß gar nicht, was Du daran findest, jeden Freitagabend mit Deinen Weinfreunden stundenlang bis mitten in die Nacht hinein über so verschiedene Weinsorten und Winzer zu reden.“ Bevor er antworten konnte, meldete sich seine Tochter zu Wort. „Ach Paps, Du bist doch dauernd am Freitagabend weg“, zu ihrem Freund gewandt: „Komm Basti, lass uns fahren.“

Im Polizeipräsidium trafen beide Kriminalbeamten um die Mittagszeit wieder zusammen. Harry Winkler hatte in der kurzen Zeit schon einiges recherchiert. Er war ein totaler Computerfreak.

„Chef, über wen soll ich zuerst berichten?“

„Okay, zunächst mal zum Opfer, Winkler.“

„Der Polizist aus dem Wald hatte Recht. Der Tote ist, war, Robert Lenzig. Er war 47 Jahre alt, ledig, Zollfahnder beim Hauptzollamt Dortmund. Er wohnte zur Miete in Dortmund-Holzen, also nicht weit weg vom Reiterhof und vom Tatort.“

„Fundort, Winkler.“

„Ja natürlich, Chef.“

„Und warum sind Sie so sicher, dass es sich bei dem Toten um diesen Lenzig handelt?“

„Aber Chef, das Internet ist doch eine nützliche Sache. Also ich habe ...“

„Ersparen Sie mir Details, Winkler. Sie wissen doch, Computer und ich, zwei Dinge, die nicht zusammen passen. Berichten Sie bitte über Ihre weiteren Ergebnisse.“

„Klar Chef. Der Tote wohnte – zumindest, was das Melderegister hergibt – alleine in seiner Wohnung in Dortmund– Holzen. Seine Eltern leben seit Jahren in Freiburg. Sein Vater war auch Zollbeamter. Er ist seit sechs Jahren pensioniert. Die Mutter ist Hausfrau. Geschwister gibt es keine.

Nun zur Zeugin Veronica Weber. Sie ist 45 Jahre alt, verheiratet mit Dietmar Weber. Sie haben eine 21 Jahre alte Tochter. Sie heißt Kerstin und ist Studentin an der Uni Bochum. Frau Weber arbeitet als Teilzeitkraft bei einem Steuerberater in Bochum. Herr Weber betreibt ein Kfz–Gutachterbüro mit mehreren Angestellten in Schwerte. Sie leben in einem Einfamilienhaus unterhalb des Ebbergs im Schwerter Ortsteil Westhofen, auch nicht weit weg vom Reiterhof und dem Fundort der Leiche.

Und vielleicht noch ein interessantes Detail. Herr Weber ist Mitglied im Schützenverein, besitzt einen Jagdschein. Auf seinen Namen sind zwei Jagdgewehre eingetragen.“

Der Kommissar war beeindruckt von seinem Assi.

„Respekt, Winkler, gute Arbeit in der kurzen Zeit!“

„Danke Chef, aber Dank des PC`s war es einfach. Und Sie? Konnten Sie bei Ihrem Besuch auf dem Reiterhof auch etwas in Erfahrung bringen?“

„Ja tatsächlich habe ich etwas erfahren, was vielleicht wichtig sein könnte. Ich habe mit dem Betreiber und Eigentümer der Anlage, Herrn Klaas, sprechen können. Abgesehen davon, dass ihn die Nachricht vom Ableben des Lenzig doch sehr getroffen hat, berichtete er, dass Frau Weber und Herr Lenzig irgendwie ein besonderes Verhältnis zueinander hatten. Ob es sich vielleicht um eine Liebesbeziehung handelte, wollte er nicht bestätigen, aber auch nicht ausschließen. Er wollte sich da nicht festlegen, zumal er auch mit dem Ehemann der Weber gut befreundet ist, hilft dieser ihm doch bei jedem Reiterfest in der Gastronomie.“ Krautzucker warf mal wieder seine Stirn in Falten und sprach erst nach einer kurzen Pause weiter. „Warum hat die Weber uns gegenüber geleugnet, das Mordopfer zu kennen?“

„Chef, wir werden es herausbekommen. Was ist mit einem Kaffee?“

„Sage ich nicht Nein.“

„Wie immer, pechschwarz?“

„Wie immer, pechschwarz.“

Harry Winkler ging zu der Schweizer Nobelkaffeemaschine, die sich die beiden Kommissare vor gut einem Jahr zusammen gekauft hatten, und drückte auf den Startknopf. Eine wahre Symphonie von Mahl-, Saug- und Brodelgeräuschen ertönte, die Vorboten des Genusses. Und dann lief der Kaffee in die zwei schönen schwarz–gelben BVB Tassen. Bald breitete sich der Duft von frischem Kaffee über das Großraumbüro aus. Außer ihnen schien niemand im PP Dortmund zu sein. Zumindest ihr Stockwerk war menschenleer. Gut, es war Samstag, aber so ruhig war es doch selten im Polizeipräsidium.

Den köstlichen Kaffee schlürfend kam Winkler noch eine Gedanke.

„Chef, hat der Reiterhofbetreiber nichts dazu gesagt, ob der Tote auch ein Pferd auf dem Hof stehen hatte oder warum er Mitglied im Reiterverein war?“

„Ja doch, hat er. Unser Lenzig hatte bis vor ca. einem Jahr ein Pferd dort stehen. Es soll elendig zugrunde gegangen sein. Hatte irgendwas mit falschen Medikamenten zu tun. War wohl eine ziemlich düstere Geschichte. Lenzig hat damals auf dem Hof für mächtig Wirbel gesorgt. Beschuldigungen gegen Tierarzt, Stallburschen und so weiter. Viele Vereinsmitglieder gingen danach auf Abstand. Wohl nur unsere Frau Weber, die ab und zu von ihrer Tochter und deren Freund zum Training begleitet wurde, hielt weiterhin einen normalen Kontakt zu ihm. Lenzig war weiterhin Mitglied im Verein, von einem neuen Pferd wollte er allerdings nichts wissen. Ach ja, Frau Weber hat auch ein Pferd, dem Vernehmen nach ein sehr gutes Dressurpferd, dort im Stall stehen.“

„Vielleicht liegt hier der Schlüssel für das Mordmotiv.“ „Vielleicht Winkler. Vielleicht. Aber im Augenblick ergibt das alles noch keinen Sinn für mich.

Aber als erstes müssen wir die Eltern des Getöteten kontaktieren. Die müssen ja die gesetzlich notwendige Identifizierung ihres Sohnes vornehmen. Können Sie das in die Wege leiten?“ „Klar mach ich, Chef. Ich werde sofort unsere Kollegen in Freiburg bitten, den Eltern die traurige Nachricht zu überbringen und zu veranlassen, dass zumindest ein Elternteil zu uns in den Pott kommt.“

„Was können wir heute noch tun? Der Obduktionsbericht kommt erst morgen. Die Dienststelle des Opfers können wir erst Montag aufsuchen. Das heißt, die Wohnung des Toten ist vielleicht noch interessant. Ob es dort Hinweise auf die Hintergründe der Gewalttat gibt?“

„Chef, das kann ich übernehmen. Die Wohnung liegt quasi auf meinem Heimweg.“

„Einverstanden. Winkler, aber lassen Sie den Quak mit dem Gerichtsbeschluss für die Durchsuchung der Wohnung. Ich habe keinen Bock auf dieses ganze Prozedere. Der Staatsanwalt, der heute Bereitschaft hat, ist eh eine Lusche. Und ihn zu bitten, beim Amtsrichter vom Dienst einen solchen Beschluss zu besorgen, das wird alles viel zu lange dauern. Deshalb schauen Sie sich die Wohnung nur ganz vorsichtig an. Falls Sie was Wichtiges, was Interessantes finden, besorgen wir uns am Montag über Frau von Biberg einen entsprechenden Beschluss und machen dann den Fund offiziell. Sie wissen ja, ansonsten besteht die Gefahr des Verwertungsverbotes.“

„Klar Chef, wird beachtet.“

„Dann mach ich jetzt Schluss für heute. Ich hoffe, dass Doc Rundholz morgen auch seinen Bericht liefert. Obwohl, viel Neues erwarte ich nicht. Sie sind morgen wieder mit ihrem Fußballverein unterwegs?“

„Ja, Chef. Wir haben im Münsterland bei TuRa Lüdinghausen das letzte Qualispiel zum Aufstieg. Deshalb werden wir uns schon morgens um 10 Uhr treffen, eine Kleinigkeit essen, letzte Einstimmung auf das Spiel und ab ins Münsterland.“

„Okay, dann drücke ich mal die Daumen.“

„Danke, jeder Daumen hilft!“

Willi Krautzucker verließ das Präsidium. Als interessierter Fußballfan freute er sich auf die abendliche Fernsehübertragung des Pokalendspiels aus Berlin Bayern München gegen RB Leipzig.

Sonntag, 26.05.2019

Der Sonntagmorgen war regnerisch. Krautzucker war froh, dass er direkt vor dem Präsidiumseingang seinen alten 5er BMW parken konnte und so halbwegs trocken ins Gebäude kam. An der Pforte saß der alte Bräuer, wie jedes Wochenende. „Moin Bräuer, gut geschlafen?“

„Guten Morgen, Herr Hauptkommissar. Nee, gar nicht, bin seit gestern Abend hier. Erst gewinnen die blöden Bayern mit 3 : 0 gegen die noch blöderen Leipziger das Pokalendspiel. Und dann war es hier ein Kommen und Gehen. Wie in einem Bienenhaus. Total nervig! Keine ruhige Minute. Im Westfalenpark war irgend so ein Musikfestival. Und die jungen Leute heutzutage können nicht mehr mit Anstand feiern. Wo das noch mal endet!“

„Die es überstehen, werden auch älter so wie wir, Bräuer.“ Krautzucker hatte gerade sein Büro betreten, als das Faxgerät begann, bedrucktes Papier auszuspucken. Es war ein Fax von Dr. Rundholz, ein erster offizieller Obduktionsbericht. Der Doktor hatte mal wieder Wort gehalten. Und er hatte Rücksicht auf Krautzuckers begrenzte PC-Kenntnisse genommen und den Bericht per Fax und nicht per Mail geschickt.

Bevor Krautzucker den Bericht studieren konnte, entdeckte er einen Zettel auf seinem Schreibtisch. Harry Winkler hatte ihm eine Nachricht hinterlassen. Wohl noch am Samstag waren die Eltern des Mordopfers über den Tod ihres Sohnes informiert worden. Nach Winklers Notiz würden sie bereits heute gegen Mittag zur Pathologie kommen, um ihren Sohn zu identifizieren. Der Doktor war auch schon informiert.

Krautzucker war immer wieder begeistert, wie zuverlässig sein Assi arbeitete. Da hatte er in früheren Zeiten schon ganz andere Transusen an seiner Seite gehabt.

Bis auf die präzisere Angabe zum Tatzeitpunkt ergab der Bericht vom Pathologen nichts Neues. Lenzig war also zwischen 0.00 und 1.00 Uhr erschossen worden. Die Tatwaffe war großkalibrig, möglicherweise ein Jagdgewehr. Aber ohne Projektil war das nur Spekulation. Ja toll, bis auf die Tatzeit immer noch nichts Konkretes.

Als die Eltern des Opfers eintrafen, war Krautzucker schon vor Ort. Er wollte sie nicht warten lassen. Der Doktor kam auch sofort dazu. Ohne große Umschweife gingen sie zusammen in den Kühlkeller - eine respektlose Bezeichnung Dr. Rundholz für seinen Leichenaufbewahrungsort. Wie zu erwarten war, brach die Mutter beim Anblick des Leichnams sofort in lautes Schluchzen aus. Ihr Ehemann stützte sie liebevoll. Er war es dann auch, der bestätigte, dass es sich bei der Leiche um ihren Sohn handelte. Schnell verließen sie die ungastlichen Räumlichkeiten wieder.

Der Ermittler und der Pathologe verabredeten, sich am Montag kurzzuschließen, um weitere Details zu erörtern.

Dann folgte Krautzucker dem trauernden Ehepaar und bat es noch in sein Büro. Sie kamen unwillig der Bitte nach. Bevor der Kommissar das Wort ergriff, überfiel ihn die Mutter mit Fragen.

„Wer macht sowas? Warum? Unser Sohn war doch so ein liebenswerter Mensch!“

„Ich kann Ihnen dazu noch keine Antworten geben. Aber wenn Sie mir bitte meine Fragen beantworten könnten, bringt es uns vielleicht weiter, diese schäbige Tat aufzuklären.“

„Was können wir Ihnen denn sagen, Herr Kommissar?“

Der Ehemann schaute ihn mit traurigen Augen an.

„Nun. Erzählen Sie mir doch bitte etwas über Ihren Sohn. Dass er Zollbeamter ist, sorry, war, wissen wir bereits. Dass er Besitzer eines Pferdes war, das vor ca. einem Jahr unter fragwürdigen Umständen zugrunde gegangen ist, wissen wir auch. Aber wie war sonst sein Privatleben? Hatte er eine Freundin? Wer waren seine Freunde? Hatte er noch andere Hobbys außer dem Reiten?“

Die Mutter begann zögerlich „Eigentlich wissen wir nicht viel. Wir leben ja seit der Pensionierung meines Mannes seit sechs Jahren in Freiburg. Und in der Zeit waren wir vielleicht nur zwei oder drei Mal hier zu Besuch. Und unser Robert hatte ja überhaupt keine Zeit, uns zu besuchen. Er sagte immer, dass er soviel zu tun hätte beim Zoll und dass er sich auch täglich um sein Pferd kümmern müsse.“

„Von einer Freundin wissen wir nichts. Und Freunde hatte er wohl nur im Reiterverein“, merkte der Vater noch an. „Okay, dann wäre es das für heute. Vielen Dank! Hier noch meine Karte, falls Ihnen doch noch etwas einfällt, was der Aufklärung dienen könnte.“

Krautzucker gab ihnen seine Karte und geleitete sie zum Ausgang.

„Ach noch was, Herr Kommissar. Wann können wir unseren Sohn denn beerdigen?“ Die Mutter schaute den Kommissar mit rot geränderten Augen an.

„Das kann ich Ihnen leider noch nicht sagen. Der Leichnam muss erst einmal von der Gerichtsmedizin freigegeben werden. Ich schätze, dass das wohl noch eine Woche dauern wird. Ich wünsche Ihnen viel Kraft.“

Krautzucker fühlte sich, wie immer bei solchen Anlässen, total überfordert. Dann hasste er seinen Job.

Es war mal wieder so ein Sonntag, den Veronica Weber so gar nicht mochte. Ihr Mann saß nach einem wortlosen Frühstück vor seinem Laptop und recherchierte wie so oft nach irgendwelchen wertvollen Weinen. Sie war daher schon früh zu ihrem Pferd gefahren.

Auf dem Reiterhof hatte sich die Nachricht vom Mord an Robert Lenzig schon rumgesprochen. Jeder sprach sie darauf an. Sie hatte aber alle gebeten, nicht darüber sprechen zu müssen. Also mistete sie nur, fütterte ihre Stute und fuhr gefrustet wieder heim.

Dort traf sie zu ihrer Überraschung auf ihre Schwester.

Die Eltern der Schwestern hatten die witzige Idee gehabt, ihren Töchtern fast gleichlautende Vornamen zu geben: Veronica und Verena. Dies hatte in früherer Zeit häufig zu Verwechselungen geführt. In der Grundschule und auch auf der Realschule, wo die beiden jeweils zwei Schuljahre auseinander gewesen waren, war schon einmal die Falsche getadelt worden oder auch bei der Benotung waren sie von den Lehrern, die beide Mädchen unterrichteten, das eine oder andere Mal verwechselt worden. Die beiden Schwestern hatten es nicht nur mit Humor genommen, sondern es schon mal darauf angelegt, vom Vornamen her verwechselt zu werden.

Verena Witzel war nicht ganz drei Jahre jünger als Veronica. Sie war ledig und arbeitete als Pflegekraft in einem Schwerter Altenheim. Wie meist hatte sie ihre langen dunkelblonden Haare zu einem Zopf gebunden. Veronicas Ehemann hatte sich von seinem Laptop gelöst und trank in angeregter Unterhaltung mit seiner Schwägerin einen Kaffee. Worum es dabei ging, konnte Veronica nicht ausmachen, denn das Gespräch endete bei ihrem Eintreffen abrupt.

„Vera, Schwesterherz, wie schön, dass Du schon von Deinem Pferd zurück bist.“

„Ja, Schatz, so schnell warst Du ja selten vom Hof zurück.“

Ihre Schwester und ihr Gatte machten auf sie irgendwie einen komischen Eindruck.

„Soll ich wieder gehen“, schnippte sie.

„Nein nein, Schwesterchen.“

„Schatz, darf ich Dir einen Kaffee machen?“

„Ja bitte.“

Ach, dachte sie, wahrscheinlich bin ich nur überreizt nach den ganzen Vorkommnissen.

Montag, 27.05.2019

Trotz der frühen Stunde herrschte schon rege Betriebsamkeit im Polizeipräsidium. Alles, was Rang und Namen hatte, war schon im Konferenzraum des Morddezernats vertreten. Frau Staatsanwältin Rita von Biberg, Herr Polizeirat Walter Becker und Kriminalhauptkommissar Willi Krautzucker. Für Krautzucker überraschend fehlte nur sein Assistent, Kriminalkommissar Harry Winkler.

Wie bei jedem akuten Mordfall üblich waren die Staatsanwältin und der Polizeirat vom KDD, dem Kriminaldauerdienst, bereitsüber die Geschehnisse vom Samstag informiert worden. „Herr Krautzucker, was haben wir denn“, begann die Staatsanwältin die Besprechung. Der Kommissar berichtete in kurzen, klaren Worten von den Geschehnissen am Ebberg. „Herr Krautzucker, ich hatte ja am Wochenende frei. Aber warum haben Sie denn nicht den Bereitschaftsdienst der Staatsanwaltschaft zum Fundort der Leiche gerufen. Es sollte doch immer ein Vertreter der Staatsanwaltschaft vor Ort sein“, bohrte Frau von Biberg nach.

„Das weiß ich.“

Die Staatsanwältin nickte, „Aber?“

„Ich wusste, wer Bereitschaftsdienst hatte. Und ob Ihr Kollege vor Ort gewesen wäre, oder peng. Hat er sich bei Ihnen schon ausgeheult?“

„So in etwa, Herr Krautzucker. Sie wissen, das war nicht korrekt.“

„Können wir wieder zu unserem Fall zurückkommen“, räusperte sich der Polizeirat, um gleich an den Kriminalhauptkommissar gewandt fortzufahren.

„Viel haben wir ja bis jetzt nicht“, fasste er den Bericht Krautzuckers zusammen.

„Kann man so sagen, Herr Polizeirat. Ich habe gleich noch ein Gespräch mit dem Leichenfledderer und dann wollen wir den Dienststellenleiter des Ermordeten beim Hauptzollamt Dortmund aufsuchen. Vielleicht wissen wir dann mehr.“

„Wo ist eigentlich Kriminalkommissar Winkler?“

„Keine Ahnung, Herr Becker. Winkler hatte gestern ein wichtiges Fußballspiel um den Aufstieg. Vielleicht hat er zu lange gefeiert. Eigentlich ist er immer pünktlich und total verlässlich.“

„Wie auch immer, Krautzucker, ich verlasse mich auf Sie.“ Der Polizeirat machte Anstalten zu gehen, da trat Dr. Rundholz in den Raum und nickte allen Anwesenden grüßend zu.

„Na Doc, haben Sie die Lösung des Falles?“ Frau von Biberg wollte lustig erscheinen, aber keiner lachte.

„Nee, das nicht, Frau Staatsanwältin. Aber möglicherweise habe ich doch etwas, was den Ermittlern weiter helfen kann“

„Und was?“ Krautzuckers Antennen fuhren aus.

„Nun ja, ich war gestern früh, als die Eltern unseres Toten zur Identifizierung kamen, noch nicht ganz fertig mit meinen Untersuchungen. Ich habe später noch unter den Fingernägeln des Toten fremde Hautpartikel sichergestellt. Und an seiner Kleidung habe ich Spuren von fremden Textilien gefunden. Wir haben damit fremde DNA – Spuren, die uns unter Umständen zum Täter führen könnten.“

„Doc, wir sollten die dann mit unserer Datenbank abgleichen.“

„Krauti, habe ich schon gestern gemacht.“

„Und?“

„Nix.“

„Ja wäre auch zu schön gewesen.“ Frau von Biberg wollte auch noch etwas zum Gespräch beitragen.

„Ich höre, die Ermittlungen laufen.“ Der Polizeipräsident stand auf und verabschiedete sich. Die Staatsanwältin fühlte sich auch überflüssig.

„Okay, ich gehe dann mal in mein Büro.“

Krautzucker schaute ihr nach. Sie hatte eine tolle Figur und ihre braunen langen Haare wippten lässig um ihre schlanken Schultern. Sie trug einen äußerst modischen dunkelgrünen Hosenanzug. Ob sie wohl wusste, was ihr sich aufreizend bewegender Po mit Krautzucker machte?

„Hey Krauti, ich habe noch eine vielleicht nicht uninteressante Entdeckung gemacht.“

Der Pathologe riss ihn aus seinen schwärmerischen Gedanken.

„Entschuldige, Doc, was hast du gesagt?“

„Ich habe bei dem Toten noch feststellen können, dass er kurz vor seiner Ermordung Kokain gesnieft hat.“

„Ach, das ist ja wirklich interessant. Aber wie konntest Du feststellen, dass er kurz vor seinem Tod Kokain geschnupft hat?“

„Krauti, es gibt verschiedene Untersuchungsmethoden. Da gibt es zum Beispiel die noch recht neue Methode, entwickelt von dem Universitätsklinikum Freiburg, über die Zähne mittels eines Massenspektrometers gekoppelt mit einem Flüssigkeits-Chromatografen einen Drogenkonsum nachzuweisen. Du musst wissen, die Zähne sind wunderbare toxikologische Fingerabdrücke…“

„Doc, bitte nicht soviele Fachinformationen.“

„Entschuldige, Krauti. Also über die Zähne kann man auch noch nach Jahren die Einnahme von Drogen ermitteln. Aber, und das habe ich bei Eurer Leiche gemacht, über den Urin kann man einen Kokainkonsum nur nach zwei bis maximal vier Tagen noch feststellen. Im Blut ist die Droge nur 24 Stunden noch nachweisbar.“

„Und Deine Urinuntersuchung hat den Kokainnachweis ermöglicht?“

„Exakt, Krauti. Freitag ist der Lenzig erschossen worden. Sonntag habe ich Urin und Blut analysiert. Im Blut war das Kokain bereits abgebaut. Der Urintest hingegen war positiv.“

„Also ist es möglich, dass unser Opfer zum Zeitpunkt seiner Ermordung unter Drogeneinfluss stand. Gute Arbeit, Doc. Das könnte vielleicht noch von Bedeutung sein. Danke.“

„Kann ich mich dann wieder meinen Toten widmen?“

„Ja klar. Nur melde dich, wenn Du noch was Neues entdeckst. Dann bis später.“

Der Doktor schlurfte aus dem Konferenzraum. Krautzucker packte seine Unterlagen zusammen und ging in sein Büro. Zu seiner Überraschung saß dort sein Assi.

„Winkler, wo waren Sie?“

„Chef, ich bin gerade erst gekommen. Da wollte ich nicht noch stören.“

„Es ist nie zu spät, unpünktlich zu sein. Aber wo waren Sie denn? Sie haben sich doch noch nie verspätet.“

„Chef, ich war beim Arzt, habe mich gestern beim Spiel am Oberschenkel verletzt.“

„Schlimm?“

„Nee, es geht schon wieder. Pferdekuss, Salbe gegen Schwellung, ein bis zwei Wochen Pause.“

„Und wie ist das Spiel ausgegangen? Sind Sie aufgestiegen?“

„Chef, fragen Sie lieber nicht. Wir haben in den letzten zehn Minuten den Aufstieg vergeigt. Wir hatten seit der 12. Minute 1:0 geführt. Und dann haben uns die Lüdinghauser in den letzten Minuten noch zwei Tore eingeschenkt.“

„Das ist tragisch.“

„Nee, total blöd!“

„Das tut mir leid. Sie werden es verkraften. Aber nun wieder zum Fall. Was hat am Samstag die Besichtigung der Wohnung ergeben?“

„Chef, die Wohnung war spartanisch eingerichtet. Funktionsküche, kleines Bad, Schlafzimmer mit französischem Bett und Kleiderschrank, Wohnzimmer mit Sofa, Tisch, Fernseher und kleiner Musikanlage mit mehreren CD`s. Im Kleiderschrank wenig Kleidung, davon auch noch diverse grüne Dienstkleidung.“

„Und sonst? Schmuck, Fotoalben, Bilder?“

„Nö, eigentlich lieblos eingerichtet. Aber eins hat mich stutzig gemacht. Im Flur hingen zwei Fotos an der Wand. Eins zeigte ein Pferd, vermutlich sein Pferd.“

„Und das andere Foto?“

„Ja Chef, da waren drei Personen abgebildet, zwei Frauen und ein junger Mann. Die eine Frau war unsere Veronica Weber, die andere Frau – übrigens sehr hübsch – war jünger als die Weber, vielleicht ihre Tochter.“

„Und der junge Mann?“

„Keine Ahnung. Aber wo das Bild aufgenommen worden ist, konnte ich erkennen. Die drei standen vor einer Pferdebox, also vermutlich auf dem Reiterhof. Im Hintergrund sieht man noch einen Pferdekopf. Scheint dasselbe Pferd wie auf dem anderen Foto zu sein. Sah für mich Laien zumindest genauso aus.“

„Wir werden es herausbekommen. Gute Arbeit, Winkler.“ „Danke, Chef. Aber war doch nur Routine.“

„Trotzdem.“