Eierlikör und Todesschüsse - Kerstin Mohr - E-Book

Eierlikör und Todesschüsse E-Book

Kerstin Mohr

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Beschreibung

Eine Leiche im Wald und zwei ältere Damen auf Mörderjagd Die Freundinnen Loni und Anneliese genießen ihren Ruhestand im beschaulichen Mühlbach im Hunsrück – bis ein heimtückischer Mord die Dorfbewohner erschüttert. Die junge, lebenslustige Maja wird tot im Wald aufgefunden - erschossen mit einem Jagdgewehr. Loni und Anneliese glauben nicht an einen Unfall. Sie ermitteln auf eigene Faust und geraten schnell in einen Strudel aus Gerüchten, doppeldeutigen Beweisen und heimlichen Liebschaften. Mit ihren Nachforschungen bringen sie nicht nur das gediegene Dorfleben durcheinander, sondern auch ihr Leben in Gefahr. Wird es ihnen gelingen, mit Scharfsinn und Insiderwissen die Tat aufzuklären? Ein humorvoller Wohlfühlkrimi zum Miträtseln

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Kerstin Mohr

Eierlikör und Todesschüsse

Ein Fall für Loni und Anneliese

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Danksagung

Impressum

1. Auflage April 2023

ISBN: 978-3-75794-584-8

Kerstin Mohr – alle Rechte vorbehalten

Kerstin Mohr

c/o Autorenglück

Franz-Mehring-Str. 15

01237 Dresden

[email protected]

www.kerstinmohr.de

Lektorat: Juri Pavlovic, www.textehexe.de

Korrektorat: Ilka Sommer

Covergestaltung: Laura Newman – design.lauranewman.de

Sämtliche Inhalte sowie das Coverdesign dieses Buches sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung, auch in Teilen, ist ohne die ausdrückliche schriftliche Genehmigung der Autorin unzulässig.

Kein Teil dieses Buches darf ohne die ausdrückliche schriftliche Genehmigung der Herausgeberin reproduziert, in einem Abrufsystem gespeichert oder auf irgendeine Weise elektronisch, mechanisch, fotokopiert, aufgezeichnet oder auf andere Weise übertragen werden.

Urheberrechtsverstöße können zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Die in diesem Buch dargestellten Figuren und Ereignisse sind fiktiv. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten realen Personen sind zufällig und von der Autorin nicht beabsichtigt.

Mühlbach ist ein fiktiver Ort im Hunsrück. Auch hier sind Ähnlichkeiten mit realen Orten zufällig und nicht beabsichtigt.

Das Hotel Fürstenhof in Bad Kreuznach existiert tatsächlich, allerdings habe ich mir einige dichterische Freiheiten erlaubt.

Prolog

Der letzte Tag ihres Lebens begann mit herrlichem Spätsommerwetter.

Sie beobachtete, wie die ersten Sonnenstrahlen sanft durch die Blätter fielen. Die Luft war frisch und kühl. Zwischen den Bäumen hingen vereinzelt Nebelschwaden und eine leise Ahnung von Herbst lag über dem Wald. Sie mochte diese stillen Morgenstunden, die nur ihr gehörten. Ihr und den ersten Vögeln, deren Zwitschern sie auf ihrer täglichen Runde durch den Wald begleitete. Ihre Schritte wurden vom weichen Waldboden gedämpft. Die Strecke kannte sie in- und auswendig: jede Steigung, jede aus dem Boden hervorstehende Baumwurzel, jeden Stein. Sie liebte die Natur und die Ruhe zu dieser frühen Stunde. Die Monotonie der Bewegungen lenkte ihre Gedanken in ruhige Bahnen, ordnete das Durcheinander in ihrem Kopf und half ihr, abzuschalten. Mit jedem zurückgelegten Meter fielen für gewöhnlich Stress und Anspannung von ihr ab und die Hektik des Alltags war vergessen. Doch nicht heute. Heute kam ihr Geist nicht zur Ruhe. Während ihre Schritte in schnellem Tempo über den Waldboden trabten, dachte sie an den gestrigen Vormittag zurück.

Sie verstand nicht, warum er so heftig reagiert hatte. Noch nie hatte sie ihn so wütend erlebt. Diese Seite an ihm war ihr bisher verborgen geblieben, war er doch sonst stets ausgeglichen, um nicht zu sagen von stoischer Ruhe geprägt.

Gestern jedoch war sein Gesicht gerötet und von Wut verzerrt gewesen. Die Spucke, die ihm beim Sprechen aus dem Mund geflogen war, hatte sie geekelt. Ihrer Meinung nach hatte er überreagiert. Ja, sie hatte sich nicht an die Abmachung gehalten, aber es war doch im Grunde nichts passiert. Niemand im Dorf hatte etwas mitbekommen. Unbewusst beschleunigte sie ein wenig, als versuche sie, mit ihren dahinjagenden Gedanken Schritt zu halten.

Sie hatte die Sache schon vor über einer Woche beendet. Damit war für sie die Angelegenheit erledigt. In Zukunft würde sie sich wieder an die Regeln halten, und wenn erst etwas Gras über den Zwischenfall gewachsen war, würde sich auch Wolfgang wieder beruhigen.

Als sie merkte, dass sie weit über ihrer üblichen Geschwindigkeit lief, verlangsamte sie ihr Tempo und konzentrierte sich auf ihre Atmung. Sie versuchte, ihre Gedanken in andere Bahnen zu lenken. Es brachte nichts, weiter über den Streit nachzugrübeln, ihr Tag war vollgepackt mit Arbeit und Erledigungen.

Ein Auftrag für einen Kunden in Frankfurt wartete auf seine Fertigstellung. Nach dem Frühstück würde sie nach Koblenz in den Laden fahren. Außerdem musste sie dringend die Sache mit Hannes klären. Sie hätte nie gedacht, dass er so stur sein könnte. Darüber hinaus war für die Gartenparty nächstes Wochenende einiges vorzubereiten. Die Blumenbestellung musste sie bei ihrem Lieblingsfloristen in Auftrag geben. Jasmin würde sich wie immer um die Vorspeisen und das Fingerfood kümmern, auf sie war Verlass.

Sie freute sich auf das Fest. Die Nachbarn waren bereits eingeladen, aber sie nahm an, dass sie nicht kommen würden. Nicht nachdem, was vorgefallen war.

Schade, dass sie keine Band engagiert hatte. Daran musste sie beim nächsten Mal unbedingt denken. Live-Musik sorgte erst für die richtige Stimmung.

Während ihre Gedanken um das bevorstehende Gartenfest kreisten, ahnte sie nicht, dass ein Paar Augen ihr auf ihrem Weg durch den Wald folgte. Noch weniger wäre ihr in den Sinn gekommen, dass jemand alles daransetzte, dass sie das nächste Wochenende nicht mehr erleben würde.

Kapitel 1

„Und rechts, Hüftschwung, und links, Hüftschwung.“

Angestrengt versuchte Anneliese, den Anweisungen von Isa, der Zumba-Trainerin, zu folgen und ihre Hüften elegant kreisen zu lassen. Sie hatte Mühe, mit der schnellen, rhythmischen Musik mitzuhalten. Der Schweiß lief ihren Rücken und zwischen ihren Brüsten hinab. Ein Rinnsal suchte sich langsam seinen Weg von ihrer Stirn, über ihre Schläfe Richtung Wange. In der kleinen Gemeindehalle in Mühlbach war es heiß und stickig. Warum nur hatte sie sich von Loni zu diesem Quatsch überreden lassen? ‚Komm schon, Zumba macht Spaß und hält fit‘, hatte ihre Freundin sie gelockt. Anneliese keuchte. Sie war einfach zu alt für so etwas.

Und wieder ein neuer Schritt. Sie fühlte sich steif und ungelenk und hatte Mühe, den komplizierten Choreografien zu folgen. Oje, falsche Richtung. Fast wäre sie mit der Frau zu ihrer Rechten zusammengeprallt. Loni links von ihr tänzelte mühelos im Salsaschritt nach vorn und wieder zurück. Anneliese kam sich vor wie ein Nilpferd neben einer Gazelle.

Endlich endete die Musik und Isa klatschte in die Hände. „Danke Leute, dass ihr heute mit mir abgetanzt habt. Wir sehen uns nächsten Samstag wieder. Gleicher Ort, gleiche Zeit.“ Sie winkte fröhlich in die Runde und schnappte sich ihre Wasserflasche.

„Da bin ich mir noch nicht sicher, ob wir uns wiedersehen“, murmelte Anneliese und rubbelte mit einem Handtuch ihr Gesicht trocken.

„Ahhh, das hat gutgetan.“ Loni breitete die Arme aus und machte ein paar Dehnübungen. Ihre Wangen waren zart gerötet und ihre Stirn glänzte leicht. Ihre schneeweißen Löckchen schienen ein klein wenig gekräuselter zu sein als sonst. Anneliese war es ein Rätsel, wie ihre Freundin nach dieser schweißtreibenden Stunde noch verhältnismäßig frisch aussehen konnte. Dabei war sie doch nur ein halbes Jahr jünger. Okay, ein paar Kilo weniger auf den Rippen hatte sie auch, aber trotzdem!

Loni war mittlerweile mit ihren Dehnübungen fertig und strahlte Anneliese an. „Bei der tollen Musik vergeht die Zeit wie im Flug, oder?“

„Ein Flug in die Hölle vielleicht“, presste Anneliese, immer noch außer Atem, hervor.

„Ach komm, dafür, dass du erst das zweite Mal dabei warst, hast du dich gut geschlagen.“ Loni klopfte ihr gönnerhaft auf die Schulter. „Du wirst sehen, mit jeder Stunde wird es leichter.“

„Dein Wort in Gottes Ohr.“ Anneliese wischte sich mit ihrem Handtuch den Schweiß aus dem Nacken. „Gehen wir auf einen Kaffee in die Bäckerei?“

„Heute nicht. Ich möchte einiges für das Geburtstagsfest der Zwillinge vorbereiten.“

„Die Feier ist doch erst nächstes Wochenende. Da hast du noch genügend Zeit für die Vorbereitungen“, versuchte Anneliese Loni zu überreden.

„Ich möchte ein neues Kuchenrezept ausprobieren. Du darfst später gerne zum Probieren vorbeikommen. Ich freue mich so, endlich noch mal alle beide um mich zu haben. Außerdem ist es doch eine Ehre, dass sie gemeinsam mit ihrer alten Oma feiern wollen.“ Loni lächelte verschmitzt. „Nächste Woche komme ich wieder mit ins Café, versprochen.“ Sie packte Handtuch und Trinkflasche in ihre Sporttasche und warf sie sich mit einer schwungvollen Bewegung über die Schulter.

„Na gut, du Spielverderberin, dann gönne ich mir eben allein meinen wohlverdienten Irish Coffee.“ Anneliese setzte eine gespielt beleidigte Miene auf. Während Loni den Gemeindesaal verließ, schnappte sie sich ihre Sporttasche und huschte schnell in die Toilette, um sich ein wenig frisch zu machen. Sie tauschte die verschwitzte Sportkleidung gegen ein luftiges Sommerkleid und ihre Turnschuhe gegen schicke Schuhe mit einem leichten Absatz. Im Spiegel begutachtete sie ihr Äußeres. Ihre Wangen hatten die Farbe von reifen Tomaten und die rot gefärbten Haare standen wild vom Kopf ab. Sie klatschte sich ein wenig kaltes Wasser ins Gesicht und versuchte, mit einem Kamm ihre widerspenstige Haarpracht in Form zu bringen. Ein weiterer kritischer Blick in den Spiegel: nicht perfekt, aber für einen kurzen Besuch im Café annehmbar.

Sie verstaute Sportkleidung, Handtuch und Kamm in ihrer Sporttasche, verließ das Gemeindehaus und steuerte die Bäckerei mit angrenzendem Café an, die sich schräg gegenüber auf der anderen Seite des Dorfplatzes befand. Nach der stickigen Atmosphäre in der Halle brachte auch die Luft im Freien keine Abkühlung. Für Anfang September war es ungewöhnlich heiß und es wehte kein Lüftchen. Seufzend kramte sie ihr Handtuch wieder aus der Tasche hervor, rollte es zu einer Wurst und drehte es wie einen Ventilator, um sich ein wenig Luft zuzufächeln.

„Guten Morgen, Anneliese“, schallte es ihr von der Bank unter der großen Eiche am Dorfplatz entgegen. „Hast du wieder versucht, mit den jungen Hüpfern beim Ähroppik mitzuhalten?“ Jupp, einer der Tratschonkel von Mühlbach, saß auf seinem Stammplatz, erpicht darauf, die Vorbeigehenden in ein Gespräch zu verwickeln.

„Das war Zumba“, entgegnete Anneliese und blieb im Schatten des Baumes stehen. Hier war es zwar etwas kühler, doch die Handtuchwurst war weiterhin im Einsatz.

„Ohhh, Tsumba, das ist ja ganz was Neumodisches.“ Jupps bester Freund Willi ließ es sich nicht nehmen, seinen Senf dazuzugeben. „Bist du dafür nicht ein bisschen zu alt?“

Obwohl Anneliese vor einer halben Stunde ein ähnlicher Gedanke gekommen war, widersprach sie nun vehement: „Man ist nie zu alt. Wichtig ist, dass man im Kopf jung bleibt. Aber das versteht ihr natürlich nicht.“

„Ach komm, jetzt tu nicht so.“ Jupp machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wir sind doch ein Alter.“

„Sind wir nicht! Ich bin mindestens zehn Jahre jünger als ihr und was das geistige Alter angeht, liegen Welten zwischen uns.“ Anneliese mochte die Kabbeleien mit Jupp und Willi. Die beiden waren weit über 80, unzertrennlich und sie verbrachten ihre Tage – sobald es das Wetter zuließ – auf der Bank unter der großen Eiche am Dorfplatz. Sie waren stets bestens über das Dorfgeschehen informiert, sowohl über tatsächliche Ereignisse als auch über jeden erdenklichen Klatsch und Tratsch. Wenn im Dorf etwas passierte, erfuhr man es garantiert hier.

Die drei plauderten eine Weile über das Wetter, das Brautkleid von Michels Bianca, das nach Meinung von Jupp ein wenig zu freizügig gewesen war, und die Dauerbaustelle in der Backesgasse, die wohl niemals fertig werden würde. Etwas Neues hatten Jupp und Willi nicht zu berichten. Nach dem heißen Sommer und den Ferien kam das Dorfleben nur träge wieder in Gang und in der Gerüchteküche wurde noch auf Sparflamme gekocht. Anneliese verabschiedete sich von den beiden und steuerte die Bäckerei an.

Im Café saß Isa mit zwei anderen Kursteilnehmern am Tisch. Die drei gönnten sich ein Gläschen Sekt. „Anneliese, setz dich doch zu uns!“, rief Isa und winkte sie heran. Das ließ Anneliese sich nicht zweimal sagen. Sie bestellte an der Theke einen Irish Coffee und setzte sich zu den dreien an den Tisch. Eine der Damen hatte ein Stück Streuselkuchen vor sich stehen und Anneliese kam direkt in Versuchung. Dann fiel ihr Lonis Backtag wieder ein. Nach kurzem Zögern entschied sie sich jedoch, dass sie sich heute ruhig zwei Stück Kuchen gönnen konnte. Schließlich hatte sie gerade eine schweißtreibende Zumba-Stunde hinter sich gebracht. Als die Kellnerin ihren Irish Coffee brachte, bestellte sie ein Stück Kirschstreusel.

Das Gespräch am Tisch drehte sich um die Party der Windhagens. Ein Ehepaar, das etwas außerhalb des Dorfes in einer ehemaligen Ferienhaussiedlung lebte.

„Geht jemand von euch nächstes Wochenende hin?“, fragte Manni, der einzige Herr in der Runde und auch der einzige Mann, der sich in Isas Zumba-Kurs traute. Er war Anfang fünfzig und der ewige Junggeselle des Dorfes.

„Nein, wir sind nicht eingeladen, ihr etwa?“, fragte Regina. „Majas Partys sind doch nur für ein ganz exklusives Publikum aus Koblenz.“ Ein wenig Neid lag in ihrer Stimme.

„Ja, ja, das sind illustre Runden, die nicht für die Dorfbevölkerung gedacht sind.“ Isa zwinkerte und hatte ein Lachen in der Stimme.

„Das stimmt nicht, die Retzmanns waren schon öfter dort.“ Manni war wie immer bestens informiert.

„Das sind ja auch die Nachbarn. Da gebietet es doch der Anstand, dass man die einlädt“, widersprach Anneliese.

„Ich wäre ja gerne mal dabei. Das Essen soll unglaublich ausgefallen sein. Und nach der lautstarken Musik zu urteilen, ist die Stimmung immer bombastisch“, sagte Manni sehnsüchtig.

„Du verkaufst doch deine Gemälde in Majas Einrichtungsgeschäft. Bist du da nicht eingeladen?“, wandte sich Regina an Anneliese.

„Ich kann leider nicht“, umging diese die Frage geschickt. Es wurmte sie ein wenig, dass sie als Majas Geschäftspartnerin noch nie zu einer ihrer legendären Partys eingeladen worden war. „Lonis Enkel werden doch dreißig und wir feiern ebenfalls. Natürlich in sehr viel kleinerem Rahmen.“ Sie lachte.

„Was, sind die auch schon so alt? Meine Güte, wie die Zeit vergeht.“ Manni nahm sein Glas Sekt und trank einen großen Schluck.

Die Tür des Cafés öffnete sich und herein kam Heike Retzmann, die ebenfalls mit ihnen im Zumba-Kurs war.

„Heike, trink einen Sekt mit uns!“, rief Isa und winkte ihr zu.

Heike machte zögernd einen Schritt auf den Tisch zu.

„Wir reden gerade über die Party der Windhagens nächstes Wochenende. Ihr wart doch schon häufiger dort eingeladen, oder?“ Regina sah die Neuangekommene fragend an.

Heikes Gesicht verschloss sich abrupt und sie trat einen Schritt zurück. „Keine Zeit, muss weiter“, stieß sie hervor und drehte sich zur Verkaufstheke um. Nachdem sie ein Brot gekauft hatte, warf sie der Runde am Tisch ein knappes „Tschüss“ zu und verschwand.

„Nanu, welche Laus ist der denn über die Leber gelaufen?“ Manni runzelte die Stirn und sah ihr kopfschüttelnd hinterher.

„Ach, lass sie. Die ist in letzter Zeit komisch drauf.“ Regina pikste ein paar Krümel auf ihre Gabel.

Eine laute Sirene riss die Gruppe aus ihrem Gespräch. Alle Köpfe wandten sich ruckartig Richtung Fenster. Ein Polizeiauto raste die Straße entlang. Anneliese sprang auf und trat an die Scheibe. „Da muss etwas passiert sein!“, rief sie aufgeregt.

Kapitel 2

In der Küche duftete es verführerisch nach frisch gebackenem Kuchen. Loni nahm die Form aus dem Backofen, stellte sie zum Abkühlen vors Fenster und begann mit dem Abwasch. Aus den Boxen der Stereoanlage dröhnte „Rock and Roll Ain’t Noise Pollution“ von AC/DC. Loni liebte es, zu backen und dabei AC/DC zu hören. Langsam tauchte sie die Hände in das warme Spülwasser und spielte gedankenverloren mit den Schaumblasen. Nach dem Auspowern beim Sport und einer anschließenden kühlen Dusche genoss sie nun den ruhigen Morgen und freute sich auf einen ebensolchen Nachmittag in ihrem Garten. Mit einem Stück Kuchen und einem historischen Roman würde sie es sich im Schatten des Apfelbaums gemütlich machen. Womöglich gönnte sie sich auch ein oder zwei Gläschen von ihrem selbstgemachten Eierlikör. Sie griff nach einer Teigschüssel und begann mit dem Abwasch.

„Loni, du musst sofort kommen. Es gab einen Mord!“

Annelieses laute Stimme schreckte sie aus ihren Tagträumen auf und die Schüssel, die sie in Händen gehalten hatte, fiel mit einem lauten Platsch ins Spülbecken. Ein Schwall Wasser ergoss sich über ihre Küchenschürze. Einen Fluch auf den Lippen drehte Loni sich um. Anneliese war hochrot im Gesicht. Keuchend stützte sie sich mit einer Hand auf dem Küchentisch ab, mit der anderen hielt sie sich die Seite. Sie klang, als hätte sie einen 100-Meter-Sprint hinter sich. Wie so oft war sie – ohne zu klopfen – durch den Garten und die unverschlossene Terrassentür ins Haus gekommen.

„Ein Mord? Was erzählst du da?“ Loni seufzte und versuchte, ihre Schürze notdürftig mit einem Handtuch trockenzutupfen. „Komm, setz dich erst mal. Magst du einen Kaffee?“ Loni ließ sich auf der Küchenbank nieder und forderte Anneliese mit einer Handbewegung auf, es ihr gleichzutun. Der Abwasch konnte warten.

„Mach erst mal die schreckliche Musik aus, dabei kann man sich ja gar nicht unterhalten.“ Gleich darauf setzte Anneliese ihre Worte selbst in die Tat um, ging zur Stereoanlage und drückte auf den Ausknopf.

Loni griff nach der Thermoskanne auf dem Tisch und goss zuerst Anneliese und dann sich selbst ein. In die Tasse ihrer Freundin gab sie die obligatorischen zwei Löffel Zucker. Gehäuft selbstverständlich. Sie selbst trank ihren Kaffee schwarz. Loni legte die Hände um den dampfenden Becher und wappnete sich für Annelieses krude Fantasien.

Diese ignorierte den angebotenen Kaffee und lief mit hektischen Schritten auf und ab. „Glaub mir, Loni, diesmal ist wirklich etwas passiert!“, stieß sie aufgeregt hervor.

„Das hast du beim letzten Mal auch behauptet, und dabei hat Mathilde ihren Mann nicht vergiftet, er ist an einem Herzinfarkt gestorben.“ Loni schüttelte den Kopf, als sie an Annelieses „Ermittlungen“ im Fall Mathilde F. zurückdachte.

„Dieses Mal habe ich recht!“ Anneliese wedelte hektisch mit den Händen durch die Luft. „Die Polizei ist schon vor Ort, das halbe Dorf ist auf den Beinen. Typisch, dass du mal wieder nichts mitbekommen hast!“ Mit in die Hüften gestemmten Händen blieb sie vor ihr stehen und starrte sie entrüstet an.

Langsam kam Loni die ganze Sache doch seltsam vor. Hatte Anneliese tatsächlich ein echtes Verbrechen entdeckt? Wenn sogar die Polizei im Spiel war? „Ich verstehe überhaupt nichts. Noch einmal von vorne und zum Mitschreiben: Wer ist wo angeblich ermordet worden?“

„Maja Windhagen. Sie liegt oben an der Traumschleife im Wald!“

„Was? Bist du dir sicher?“ Ungläubig stellte Loni ihren Becher mit Kaffee ab und starrte ihre Freundin an. Irgendetwas sagte ihr, dass dies keine von Annelieses üblichen Geschichten war.

„Maja ist tot, die Polizei ist gerade durchs Dorf gefahren. Ich war noch im Café und habe den Wagen selbst gesehen. Das deutet ja wohl auf Mord hin!“ Anneliese beendete ihren nervösen Gang durch die Küche und ließ sich auf die Küchenbank fallen.

„Nur, weil die Polizei durchs Dorf gefahren ist, heißt das nicht, dass ein Mord geschehen ist.“

„Nein …, ich meine, doch! Jetzt hör mir einfach mal zu.“ Anneliese beugte sich nach vorn und Loni brachte schnell die Kaffeetassen in Sicherheit. „Die Polizei ist hier, im Wäldchen ist alles abgesperrt und Jupp und Willi haben mir gesagt, dass Maja tot aufgefunden wurde.“ Sie lehnte sich triumphierend zurück und blickte Loni erwartungsvoll an.

„Falls Maja wirklich tot oben im Wäldchen liegt – und die Betonung liegt auf falls – bedeutet dies noch lange nicht, dass sie ermordet wurde“, versuchte Loni ihre Freundin zu beschwichtigen. „Jupp und Willi reden viel, wenn der Tag lang ist, das weißt du!“

„Lass uns nachsehen, dann wissen wir Bescheid.“ Aufgeregt sprang Anneliese von der Küchenbank. „Los, worauf wartest du? Das halbe Dorf ist schon am Tatort, da dürfen wir doch nicht fehlen!“

Loni hatte sich schließlich erweichen lassen und war mit Anneliese losgezogen, Richtung Traumschleife. Anders als im Zumba-Kurs legte ihre Freundin ein ordentliches Tempo vor und sie hasteten am Parkplatz vorbei zum Wanderweg „Traumschleife Malerische Hunsrückhöhen“. Anneliese hatte recht gehabt. Die Polizei war am Waldrand zugange und hatte alles weiträumig abgesperrt. Experten der Spurensicherung untersuchten jeden Zentimeter Boden. In der Ferne beugten sich ein paar Personen am Fuß eines Hochsitzes über einen Körper, der vor einer Bank lag.

Während Anneliese am Absperrband entlanglief, um eine bessere Sicht auf den Tatort zu gewinnen, gesellte Loni sich zu einem Grüppchen, das an der Absperrung stand und das Gewusel dahinter beobachtete. Auch Jupp und Willi waren unter den Schaulustigen. Loni war es ein Rätsel, wie Jupp es mit seinem Rollator bis hierher an den Waldrand geschafft hatte. Vermutlich hatte die Aussicht auf Informationen aus erster Hand ihm ungeahnte Kräfte verliehen. „Erschossen!“, dröhnte es plötzlich von links an ihr Ohr. Erschrocken drehte Loni sich zur Seite.

„Erschossen. Mit einem Jagdgewehr. Mitten in den Kopf. Ich weiß Bescheid, war als Erster am Tatort.“ Ein Loni unbekannter Mann hatte sich mit stolzgeschwellter Brust vor den Umstehenden aufgebaut. Seiner Kleidung nach zu urteilen, ein Wanderer.

Aus den Augenwinkeln sah Loni, wie Anneliese ruckartig den Kopf wendete. Keine Sekunde später stand sie neben dem Fremden. „Sie haben das Opfer gefunden? Das muss ja furchtbar gewesen sein.“ Das Blitzen in Annelieses Augen verriet, dass sie die Vorstellung, eine Leiche zu finden, alles andere als schrecklich fand.

„In der Tat. Ich habe die Leiche entdeckt und die Polizei gerufen.“

„Wissen Sie, wer das Opfer ist?“ Loni konnte sehen, dass Anneliese, vom Ermittlerfieber gepackt, bereits mitten im ersten ‚Verhör‘ steckte. Ihre Wangen waren rot und sie hing dem Wanderer mit weit aufgerissenen Augen an den Lippen.

„Die Tote ist mir nicht bekannt. Aber es ist eine Frau, das konnte ich sehen. Wie gesagt, ein Kopfschuss. Wer das getan hat, muss eine ziemliche Wut auf die Dame gehabt haben. Ich kenne mich aus. Habe den Jagdschein. Ein Treffer und …“ Der Mann war sichtlich froh, jemanden gefunden zu haben, vor dem er prahlen konnte.

Anneliese hörte ihm aufmerksam zu und nickte aufmunternd, begierig, jedes noch so kleine Detail zu erfahren. Als der selbsternannte Waffenexperte die Wunde des Opfers zu schildern begann, wandte Loni sich ab. Gedankenverloren betrachtete sie die Szenerie. Die hektische Betriebsamkeit am Tatort stand im Gegensatz zur friedlichen Kulisse des Waldes. Sie bekam einfach nicht in den Kopf, dass hier im verschlafenen Mühlbach ein Mord geschehen sein sollte. Wenn Maja mit einem Gewehr erschossen worden war, konnte es doch auch ein Jagdunfall gewesen sein, oder? Sollte der Mann allerdings recht haben und es war ein gezielter Kopfschuss, dann … Lonis Hirn weigerte sich, die Schlussfolgerung daraus zu ziehen. Es musste einfach ein Unfall gewesen sein. Oder ein Fremder. Aber einer der Dorfbewohner? Die Vorstellung verursachte ihr Herzrasen. Loni fröstelte und beschloss, nach Hause zu gehen, in der Hoffnung, weitab vom Tatort dem schrecklichen Gedankenkarussell zu entkommen. Darüber hinaus war sie hier nur im Weg. Sie drehte sich zu Anneliese um, doch die war noch in das Gespräch mit dem Wanderer vertieft. Sie würde wahrscheinlich gar nicht merken, dass Loni nicht mehr da war.

Im Weggehen entdeckte sie abseits des Gewimmels eine bekannte Gestalt. Leon Retzmann. Er saß wie ein Häufchen Elend auf einem Baumstamm am Wegrand. Loni ging zu ihm hinüber. „Hallo Leon, was machst du denn hier?“

Erschrocken fuhr der Angesprochene auf und blickte sie an. „Loni. Hallo. Ich, ähm, ich bin nur zufällig hier vorbeigekommen.“

Leon war sechzehn Jahre alt und half Loni hin und wieder im Garten. Sie fragte sich, was er zu dieser Zeit hier am Tatort machte. Er wirkte furchtbar durcheinander. „Ich gehe zurück ins Dorf. Kommst du mit? Hier sind wir nur im Weg.“

Leon schien Lonis Worte nicht wahrzunehmen. Er schüttelte unentwegt den Kopf. „Das kann nicht wahr sein.“ Er blinzelte und drehte schnell den Kopf zur Seite. Tränen füllten seine Augen.

Loni setzte sich zu ihm auf den Baumstamm und wollte einen Arm um seine Schultern legen, zögerte im letzten Moment jedoch. „Komm, gehen wir zurück“, schlug sie erneut vor. Der Junge tat ihr leid. Wahrscheinlich war dies seine erste Begegnung mit dem Tod. Und dann direkt auf diese gewaltsame Art und Weise. Wenn das Opfer tatsächlich Maja war, so kannte er sie. Die Windhagens und die Retzmanns waren Nachbarn.

Leon ignorierte ihre Aufforderung abermals. „Wie sie da lag. Das viele Blut. Ich sehe sie ständig vor mir.“ Er stützte den Kopf in die Hände und schluchzte. „Ich wollte doch nur sehen, ob …“ Leon brach ab.

Nun legte ihm Loni doch tröstend den Arm um die Schultern, streichelte seinen Oberarm und ließ ihn erst einmal weinen. Als er sich etwas beruhigt hatte, hakte sie behutsam nach. „Was wolltest du sehen?“

„Ach nichts.“ Leon sprang abrupt auf und wischte sich mit einer trotzigen Geste die Tränen aus dem Gesicht. „Ich sollte gehen. Meine Eltern fragen sich bestimmt schon, wo ich bleibe.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab und lief davon.

Loni blickte ihm gedankenverloren hinterher. Was hatte ein Sechzehnjähriger an einem Samstagmorgen im Wald zu suchen? Und vor allem: Wieso hatte er die Leiche aus nächster Nähe gesehen?

Kapitel 3

Zu Hause angekommen, entledigte sich Loni ihrer schweren Wanderschuhe, die sie mitten im Flur stehen ließ. Jetzt brauchte sie erst einmal einen Kaffee. Sie schenkte sich eine Tasse aus der auf dem Tisch stehenden Thermoskanne ein und sank auf einen Küchenstuhl. Ihre Hände presste sie um den Becher mit seinem warmen Inhalt. Der Anblick der Leiche – wenn auch nur aus der Ferne – steckte ihr in den Knochen. Ein Mord hier in Mühlbach! Wer sollte das getan haben? Sie kannte praktisch jeden im Dorf und die meisten schon seit Jahrzehnten. Auch wenn sie am Anfang ihre Schwierigkeiten gehabt hatte, hier heimisch zu werden, so waren ihr die Dorfbewohner mittlerweile ans Herz gewachsen. Niemandem traute sie eine solche Tat zu. Sie hegte immer noch die heimliche Hoffnung, dass es kein Mord, sondern nur ein schrecklicher Jagdunfall gewesen war.

„Du siehst, ich hatte recht“, schallte es ihr plötzlich von der Terrassentür entgegen. „Warum bist du denn so schnell verschwunden? Das war doch der ideale Ort, um unsere Ermittlungen zu starten.“ Anneliese trat in die Küche und ließ sich auf die Küchenbank plumpsen. Sie griff nach der zerbeulten Blechdose, die auf dem Tisch stand, und schnappte sich einen von Lonis selbstgebackenen Blaubeerkeksen. „Ein waschechter Mord in Mühlbach, wer hätte das gedacht!“

Auch wenn Anneliese sich bemühte, einen betroffenen Gesichtsausdruck zu machen, so erkannte Loni eine Spur Faszination – oder war es Vorfreude? – in ihrem Gesicht. „Sei doch nicht so pietätlos. Ein bisschen Mitgefühl wäre angebracht. Eine junge Frau ist gewaltsam ums Leben gekommen.“ Sie sah ihre Freundin tadelnd an. „Können wir überhaupt sicher sein, dass es ein Mord war? Es könnte doch auch ein Unfall gewesen sein?“ Sie schenkte Anneliese Kaffee ein und schob ihr das Zuckerdöschen rüber.

„Ein Schuss. In den Kopf. Das ist ja wohl eindeutig.“

Loni lief es angesichts von Annelieses Worten eiskalt den Rücken hinunter. „Woher weißt du, dass es ein Kopfschuss war? Ich bezweifle, dass der Wanderer ein besonders zuverlässiger Zeuge ist.“

„Das mit dem Kopfschuss stimmt. Willi hat gehört, wie die Polizeibeamten sich unterhalten haben, und da war von einem Schuss in den Kopf die Rede.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob man sich darauf verlassen kann, dass der schwerhörige Willi alles richtig verstanden hat. Und überhaupt: Warum sollte jemand Maja umbringen? Und vor allem: Wer?“

„Na ja, da fallen mir spontan einige Personen ein. Maja hat schließlich genug Männern den Kopf verdreht. Ich möchte nicht wissen, wie viele eifersüchtige und betrogene Ehefrauen aus Mühlbach gar nicht so unglücklich über ihren Tod sind.“ Anneliese schaufelte die obligatorischen zwei Löffel Zucker in ihren Kaffee, rührte um und nahm einen tiefen Schluck.

„Das sind doch alles nur Gerüchte. Ich glaube nicht, dass Maja auch nur eine der Affären hatte, die ihr nachgesagt werden.“ Gedankenverloren griff Loni nach einem Keks, legte ihn jedoch gleich wieder zurück. Sie würde im Moment keinen Bissen hinunterbekommen.

„Keine Asche ohne Feuer, sage ich immer.“ Anneliese hatte die Blechdose zu sich herangezogen und schob sich den nächsten Keks in den Mund.

„Kein Rauch ohne Feuer“, korrigierte Loni sie automatisch.

Anneliese sah sie verständnislos an. „Häh?“

„Du hast mal wieder ein Sprichwort verhunzt. Es heißt: Kein Rauch ohne Feuer.“

„Ja, ja, meine ich doch!“ Anneliese winkte ab. „Dies ist ein Punkt, dem wir auf den Grund gehen müssen. Ist an den Gerüchten um eine Affäre etwas dran?“ Sie biss herzhaft in einen Keks.

„Ich gebe ja zu, dass Maja gerne geflirtet und sicher bei manchen Männern Fantasien geweckt hat“, lenkte Loni ein. „Aber ein harmloser Flirt ist keine Affäre! Die Windhagens waren glücklich verheiratet - hatte es zumindest den Anschein.“

„Siehst du, du hast auch Zweifel, dass diese Ehe so perfekt war, wie die Windhagens allen weismachen wollten.“ Der nächste Keks verschwand in Annelieses Mund. Mit vollen Backen nuschelte sie: „Überleg doch mal. Maja war hübsch, jung, lebenslustig. Ihr Mann ist bestimmt 30 Jahre älter und macht nicht gerade den Eindruck, als ob er mehr als zwanzig Worte am Tag von sich gibt. Der ist doch ständig auf Jagd und Maja konnte den lieben langen Tag sehen, wo sie bleibt.“

„Maja hatte doch mit ihrem Laden in Koblenz genug zu tun. Und sie hat ständig Besuch bekommen.“ Zerstreut fegte Loni ein paar Krümel zusammen, die Anneliese beim Essen auf dem Tisch verstreut hatte.

„Die vielen Besuche von Freunden sind doch nur ein weiteres Indiz dafür, dass Maja sich in ihrer Ehe gelangweilt hat! Und dann immer diese Partys. Irgendetwas wollte sie damit bestimmt kompensieren.“ Anneliese tastete in der mittlerweile leeren Dose nach Keksen. Enttäuscht zog sie die Hand zurück und leckte sich die letzten Krümel von den Fingern.

„So ein Quatsch! Das ist doch Küchenpsychologie! Die vielen Feste zeigen doch nur, dass sie sich nicht gelangweilt hat und viele Freunde hatte.“ Loni war aufgestanden und suchte im Küchenschrank nach Gebäck, um die Dose aufzufüllen. „Hätte sie sich hier auf dem Dorf gelangweilt, hätte sie nach Koblenz fahren können. Das hat sie aber nicht getan. Sie war an den Wochenenden doch fast immer hier.“

„Ich bin sicher, Maja hatte es nicht mehr nötig, in die Stadt zu fahren, weil sie hier im Dorf einen Liebhaber gefunden hat.“ Anneliese erhob sich und schritt in der Küche auf und ab. „Wir müssen nur herausfinden, wen und schon haben wir unseren ersten Verdächtigen.“ Grübelnd starrte sie vor sich hin. „Vielleicht der junge Becker, der war bestimmt froh, mal die Gesellschaft einer anderen Frau als seiner Mutter zu genießen.“ Triumphierend blieb sie vor Loni stehen. Diese hatte die Suche nach Knabbereien aufgegeben und stand mit der leeren Keksdose am geöffneten Küchenschrank.

„Jetzt gehst du zu weit! Unschuldige Männer zu verdächtigen! Ob Maja eine Affäre hatte oder nicht, kann uns außerdem herzlich egal sein. Die Polizei ermittelt und falls es Fortschritte gibt, werden wir früh genug davon erfahren.“

„Aber Loni, wir können die Sache doch nicht der Polizei überlassen!“ Verzweifelt warf Anneliese ihre Arme in die Luft. „Nun passiert hier endlich mal ein richtiger Mord und du willst die Hände in den Schoß legen? Nicht mit mir!“

Sie war so aufgebracht, dass Loni fast damit rechnete, dass sie mit dem Fuß aufstampfte wie ein trotziges Kind. „Wie stellst du dir das denn vor? Willst du alle Dorfbewohner verhören, ob sie am Mordtag etwas Auffälliges gesehen haben? Ich bitte dich!“ Loni schüttelte den Kopf.

„Natürlich nicht, wir müssen schon etwas geschickter vorgehen.“

„Und wie genau?“

„Wir könnten mit den Dorfbewohnern plaudern, sie ein bisschen aushorchen. Du weißt doch: In einem kleinen Dorf wie Mühlbach bleibt nichts verborgen“, schlug Anneliese vor.

„Das stimmt allerdings“, musste Loni zugeben.

„Wir hören uns fürs Erste einfach ein wenig um. Irgendjemand wird bestimmt etwas gesehen haben. Du kannst beim Eierrundtragen die Leute ein bisschen ausquetschen.“ Anneliese sah Loni auffordernd an.

Diese ließ fast die Keksdose fallen. „Ich soll meine Kunden ausspionieren? Du spinnst wohl!“

„Nicht ausspionieren. Geschickt nachfragen. Majuseppekait1, stell dich nicht so dumm! Gerade du weißt doch, wie man mit den Leuten ins Gespräch kommt. Dir vertrauen sie immer ihre Sorgen und Ängste an.“

„Ich bin trotzdem der Meinung, wir sollten die Sache der Polizei überlassen. Falls Maja wirklich ermordet wurde – was im Übrigen noch nicht erwiesen ist – begibst du dich in Gefahr! Ich warne dich inständig, lass die Finger von dieser Geschichte!“

Anneliese setzte eine trotzige Miene auf. „Du kannst mir gar nichts verbieten! Ich werde ermitteln und ich werde den Mörder oder die Mörderin schnappen. Wenn du mir nicht helfen willst, schaffe ich es auch allein. Du wirst schon sehen!“ Sie verschwand türenschlagend über die Terrasse.

---ENDE DER LESEPROBE---