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Dieses Buch enthält folgende Romane: (799) A.F.Morland: Schwester Katjas letzter Wunsch A.F.Morland: Ihr Hochzeitstag - ein Tag der Tränen Thomas West: Mobbing und Mord im Krankenhaus Lynda Lys/Hans-Jürgen Raben: Rezepte gegen Eifersucht Conny Walden/Anna Martach: Ein Goldfisch in der Nordsee Schwester Katja hat den ganzen Vormittag hindurch Dr. Härtling assistiert, jetzt fühlt sie sich so müde und erschöpft, dass sie glaubt, den Dienst nicht zu Ende führen zu können. Für einen Augenblick geht sie in den kleinen Aufenthaltsraum, schaut forschend in den Spiegel - und zuckt entsetzt zurück. Tiefe Schatten liegen unter ihren Augen, Schweißtropfen glänzen auf ihrer Stirn. Das Zahnfleisch ist blutig; Schwindel erfasst sie, als sie dieses Symptom feststellt. Schwester Katja ist zwar kein Mediziner, doch sie weiß genug, um zu ahnen, was diese furchtbare Schwäche, unter der sie leidet, zu bedeuten hat: Sie hat Leukämie!
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Seitenzahl: 580
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Eifersucht, Tränen und letzter Wunsch: 5 Arztromane
Copyright
Schwester Katjas letzter Wunsch
Ihr Hochzeitstag - ein Tag der Tränen
Mobbing und Mord im Krankenhaus
Rezepte gegen Eifersucht
Ein Goldfisch in der Nordsee
Dieses Buch enthält folgende Romane:
A.F.Morland: Schwester Katjas letzter Wunsch
A.F.Morland: Ihr Hochzeitstag - ein Tag der Tränen
Thomas West: Mobbing und Mord im Krankenhaus
Lynda Lys/Hans-Jürgen Raben: Rezepte gegen Eifersucht
Conny Walden/Anna Martach: Ein Goldfisch in der Nordsee
Schwester Katja hat den ganzen Vormittag hindurch Dr. Härtling assistiert, jetzt fühlt sie sich so müde und erschöpft, dass sie glaubt, den Dienst nicht zu Ende führen zu können. Für einen Augenblick geht sie in den kleinen Aufenthaltsraum, schaut forschend in den Spiegel - und zuckt entsetzt zurück. Tiefe Schatten liegen unter ihren Augen, Schweißtropfen glänzen auf ihrer Stirn. Das Zahnfleisch ist blutig; Schwindel erfasst sie, als sie dieses Symptom feststellt.
Schwester Katja ist zwar kein Mediziner, doch sie weiß genug, um zu ahnen, was diese furchtbare Schwäche, unter der sie leidet, zu bedeuten hat: Sie hat Leukämie!
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
Folge auf Twitter:
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Zum Blog des Verlags geht es hier:
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Arzt-Roman von A. F. Morland
Der Umfang dieses Buchs entspricht 100 Taschenbuchseiten.
Schwester Katja hat den ganzen Vormittag hindurch Dr. Härtling assistiert, jetzt fühlt sie sich so müde und erschöpft, dass sie glaubt, den Dienst nicht zu Ende führen zu können. Für einen Augenblick geht sie in den kleinen Aufenthaltsraum, schaut forschend in den Spiegel - und zuckt entsetzt zurück. Tiefe Schatten liegen unter ihren Augen, Schweißtropfen glänzen auf ihrer Stirn. Das Zahnfleisch ist blutig; Schwindel erfasst sie, als sie dieses Symptom feststellt.
Schwester Katja ist zwar kein Mediziner, doch sie weiß genug, um zu ahnen, was diese furchtbare Schwäche, unter der sie leidet, zu bedeuten hat: Sie hat Leukämie!
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2019 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Das Telefon läutete in der Villa Härtling. Ottilie, die grauhaarige Haushälterin, ging an den Apparat.
„Bei Dr. Härtling“, meldete sie sich.
Schweigen am anderen Ende der Leitung.
„Hallo!“
Schweigen. Aber die Leitung war nicht tot. Wenn die Wirtschafterin genau hinhörte, vernahm sie das Atmen eines Menschen.
„Hallo! Wer sind Sie? Warum melden Sie sich nicht?“, fragte Ottilie ärgerlich.
Es klickte in der Leitung. Der Anrufer hatte aufgelegt.
„Sehr witzig“, grollte Ottilie und legte ebenfalls auf.
„Wer war das, Ottilie?“, fragte hinter ihr die achtzehnjährige Dana Härtling. „War der Anruf für mich?“
Die Haushälterin drehte sich um. „Der Anruf war für niemanden.“
„Wie bitte?“
„Wer immer das war - er machte aus seinem Namen ein großes Geheimnis. Genau genommen hat er überhaupt nichts gesagt.“
„Vielleicht hätte er sich nur gemeldet, wenn die richtige Person abgehoben hätte“, vermutete Dana Härtling.
„Oder es ist einer von diesen Spinnern, du weißt schon ... Sie schlagen das Telefonbuch auf, wählen irgendeine Nummer und ...“
„Die sagen doch zumeist irgendetwas Unanständiges.“
Ottilie bedachte das Telefon mit einem abschätzigen Blick.
„Vielleicht hat den da der Mut verlassen.“
Dana schmunzelte.
„Als er dein resolutes Organ vernahm. Das wäre möglich.“
Die Härtling-Kinder duzten Ottilie - sie hatten eine Zeitlang gemeint, die alte Getreue siezen zu müssen, waren sich aber rasch ziemlich komisch dabei vorgekommen.
„Das ist in dieser Woche schon der dritte Anruf dieser Art“, sagte Ottilie mit gefurchter Stirn. „Bisher habe ich mich stets in vornehmer Zurückhaltung geübt. Beim nächsten Mal könnte es sein, dass ich ausfallend werde.“
„Aber Ottilie.“ Dana lachte. Sie trug einen kanariengelben Ripp-Pulli und weiße Leggings.
„Ist doch idiotisch, was der da macht“, murmelte Ottilie verdrossen. „Für derlei Spielchen habe ich kein Verständnis. Der verrückte Kerl sollte lieber einer sinnvolleren Tätigkeit nachgehen.“
„Woher weißt du, dass es ein Kerl ist?“
„Solchen Unfug machen nur Männer. Ich habe noch nie gehört, dass eine Frau sich einen so schwachsinnigen Zeitvertreib hätte einfallen lassen.“
„Ich wäre gern dabei, wenn du mit ihm Schlitten fährst“, sagte Dana Härtling amüsiert. Ottilie war eine gute Seele, geduldig und tolerant. Aber wenn man sie wütend machte, war was gefällig. „Hübsche Frisur übrigens“, machte Dana der Haushälterin ein Kompliment.
„Danke.“ Ottilie betastete behutsam ihre grauen Locken, die am Morgen frisch frisiert worden waren.
Der vierzehnjährige Tom und die zehnjährige Josee kamen aus dem Wohnzimmer.
„Da“, sagte Tom, auf die Wirtschafterin weisend. „Und jetzt kriege ich eine Mark von dir.“
„Kriegst du nicht“, gab das Nesthäkchen der Familie Härtling trotzig zurück. Die Tage im Jahr, an denen Josee und Tom einer Meinung waren, konnte man an einer Hand abzählen, und da blieben noch ein paar Finger übrig.
„Spielschulden sind Ehrenschulden“, erklärte Tom mit wichtiger Miene. „Wir haben gewettet, und du hast die Wette verloren.“
„Hab ich nicht“, entgegnete Josee starrsinnig.
„Darf ich fragen, worum es geht?“, erkundigte sich die Haushälterin.
„Um deine Frisur“, antwortete Tom Härtling.
„Oh.“
Tom nickte. „Josee behauptet, du hast sie dir selbst gemacht. Ich sage, du wärst beim Frisör gewesen.“
Ottilie wandte sich an die Kleine: „Tom hat recht, Josee. Ich war beim Frisör.“
„Hörst du’s?“, triumphierte Tom. Er streckte die Fäuste hoch, als hätte er im Boxring einen Sieg errungen. „Hast du’s gehört? Ottilie hat es bestätigt. Und nun lass endlich die Mark rüberwachsen.“ Er streckte seiner kleinen Schwester die rechte Faust entgegen und öffnete sie, damit Josee das Geldstück auf seine Handfläche legen konnte.
„Ich habe keine Mark“, eröffnete ihm Josee.
Tom sah sie empört an. „Wieso wettest du dann mit mir darum?“
„Ich war sicher, ich würde gewinnen“, entgegnete Josee.
„Du kriegst die Mark nachher von mir“, rettete Dana ihre Schwester.
Tom sah Dana verständnislos an.
„Wieso von dir?“
„Ich leihe sie Josee“, gab Dana zur Antwort.
Tom wiegte bedenklich den Kopf.
„Da bist du aber sehr leichtsinnig. Weißt du nicht, dass man das, was man Josee leiht, abschreiben kann? Das kriegt man nie mehr wieder.“
„Stimmt ja überhaupt nicht“, protestierte die Kleine mit erhobener Stimme.
„Stimmt sehr wohl“, blieb Tom bei seiner Behauptung.
„Beweise es!“, verlangte Josee kriegerisch. „Beweise es!“
„Schluss damit!“ Ottilie ging energisch dazwischen. „Hört sofort auf, sonst ist der heutige Nachtisch für euch gestrichen.“
„Was gibt’s denn als Nachtisch?“, erkundigte sich Tom.
„Vanilleeis mit heißen Sauerkirschen.“
Josee und Tom schluckten die Bosheiten, die sie sich noch an den Kopf werfen wollten, hinunter, um die Zuteilung dieser süßen Köstlichkeit nicht zu gefährden, und kehrten ins Wohnzimmer zurück.
Ben, Danas Zwillingsbruder, kam nach Hause.
„Hallo, zusammen“, sagte er zu seiner Schwester und der Haushälterin. Und er fügte hinzu: „Ich komme um vor Hunger, Ottilie. Was gibt’s denn heute?“
„Gebratene Lammkeule mit Wurzelsoße und Semmelknödeln“, antwortete die Wirtschafterin.
„Klingt fantastisch. Ist Papa schon da?“
„Muss in Kürze eintreffen“, sagte Dana.
Ben legte die Hand auf seinen leeren Magen und seufzte: „Hoffentlich erlebe ich das noch.“ Er deutete auf Ottilies Frisur und sagte: „Hübsch. Sehr hübsch.“ Dann ging er auf sein Zimmer.
Martha Golombek war eine sehr schwierige Patientin. Da sie nicht ernsthaft krank war, konnte sie ihre Nörgeleien und Unleidlichkeiten bis zur absoluten Perfektion kultivieren und damit allen in der Paracelsus-Klinik gehörig auf die Nerven gehen. Schwester Annegret bekam für gewöhnlich alle Patienten schon nach kurzer Zeit in den Griff, doch bei Martha Golombek musste sie passen. Mit der kam auch die alte Pflegerin nicht zurecht. Frau Golombek, eine wohlhabende Geschäftsfrau, die meinte, sich alles erlauben zu dürfen, nur weil sie Geld hatte, lehnte es strikt ab, sich von Schwester Annegret betreuen zu lassen. Sie war mit einer leichten Kreislaufschwäche in die Paracelsus-Klinik gekommen und behandelte das Pflegepersonal wie Leibeigene. Jeder Wunsch, den sie äußerte, war sofort zu erfüllen, und wagte ihr jemand zu widersprechen, brüllte sie ihn mit einer Menge Beleidigungen gnadenlos nieder.
Nur Chefarzt Dr. Sören Härtling, der Leiter der Paracelsus-Klinik, durfte tun und sagen, was er wollte. Ihm ordnete sie sich total unter. Von ihm nahm sie alles an. Er war der einzige, dem sie gehorchte. Nicht, weil sie ihn für fachlich kompetent hielt, sondern weil er ihr so gut gefiel.
Sie wusste, dass er glücklich verheiratet war und vier Kinder hatte, aber das störte sie nicht im mindesten. Wenn es ihr möglich gewesen wäre, ihn für sich zu gewinnen, hätte sie es getan, ohne auch nur die geringste Rücksicht auf seine Familie zu nehmen. Das waren fremde Leute für sie. Namen, nichts weiter. Warum hätte sie auf die Rücksicht nehmen sollen? Vielleicht war sie auch deshalb so unleidlich, weil sie damit erzwingen wollte, dass Dr. Härtling sich persönlich mehr um sie kümmerte.
Doch dafür fehlte ihm die Zeit. Visiten, Besprechungen, Operationstermine, Vormittags- und Nachmittagssprechstunden und fallweise Aushilfen in der Notaufnahme sorgten für ein volles Tagesprogramm des Klinikchefs. Doch er hätte sich auch dann tunlichst von Martha Golombek ferngehalten, wenn seine Terminkalender nicht so dicht gedrängt gewesen wäre, weil er keine Lust hatte, sich von Frau Golombek umgarnen zu lassen.
Die rothaarige Siebenunddreißigjährige war zwar höchst attraktiv, aber seine Frau Jana war ihm dennoch sehr viel lieber als diese verwöhnte, egoistische und rücksichtslose Karrierefrau, der es nicht das geringste ausgemacht hätte, eine intakte Ehe zu zerstören.
Wütend stürmte Schwester Annegret ins Schwesternzimmer, in der Hand ein kleines Tablett, auf dem die für Martha Golombek bestimmten Tabletten lagen. Schwester Katja hatte die alte Kollegin noch nie so zornig gesehen. Katja - vierundzwanzig, hübsch und sanft wie ein Engel, schlank und dunkelhaarig - musterte Annegret mit ihren weichen, warmen Rehaugen.
„Ich kann einiges vertragen“, keuchte Schwester Annegret. „Und ich weiß im Allgemeinen jeden Patienten individuell zu behandeln, aber bei Frau Golombek versagen meine gesamten psychologischen Kenntnisse. Ich komme mit dieser rothaarigen Hexe einfach nicht klar.“
„Was hat es denn schon wieder gegeben?“, fragte Katja Stemmle schmunzelnd.
„Sie weigert sich, diese Tabletten von mir zu nehmen.“
„Mit welcher Begründung?“, fragte Schwester Katja.
„Sie sagt, ich wäre in ihren Augen schon zu alt, um meinen Dienst noch zuverlässig versehen zu können, und sie wolle sich von mir nicht vergiften lassen, weil ich aus - Fahrlässigkeit, Vergesslichkeit oder irgendeinem anderen Grund - ein falsches Medikament für sie aufs Tablett gelegt habe.“
Schwester Katja schüttelte den Kopf.
„Und das Ihnen - der Gewissenhaftigkeit und Zuverlässigkeit in Person.“
„Eine impertinente Frechheit, mir so etwas zu sagen. Ich arbeite seit mehr als vierzig Jahren in dieser Klinik. Mir ist in dieser langen Zeit sehr vieles untergekommen, aber so etwas musste ich mir noch nie anhören. Ich hätte große Lust, diese freche, unleidliche Person bei ihren roten Haaren zu packen, aus ihrem Bett zu zerren, den Flur entlangzuschleifen und aus der Klinik zu werfen.“ Schwester Katja lachte.
„So aggressiv kenne ich Sie ja gar nicht, Schwester Annegret. Bisher waren Sie doch immer die Ruhe selbst. Ein Fels in der Brandung. Nicht aus der Fassung zu bringen.“
„Diese Frau bringt mich zur Weißglut“, stöhnte Annegret. „Bei der kann ich mich einfach nicht beherrschen. Ich bin schließlich auch nur ein Mensch ...“
„Soll ich ihr die Tabletten bringen?“
„Das wäre sehr nett von Ihnen.“
Katja Stemmle nahm das Tablett und verließ das Schwesternzimmer.
„Zeit für Ihre Medizin, Frau Golombek“, sagte sie wenig später mit freundlicher Wärme zu der schwierigen Patientin.
Martha Golombek schob triumphierend ihr Kinn vor.
„Hat Schwester Annegret sich über mich beschwert?“
„Warum haben Sie sie so gekränkt?“, fragte Schwester Katja und gab der Frau ihre Pillen.
Martha Golombek nahm sie anstandslos und spülte sie mit Tee hinunter.
„Warum geht sie nicht in Rente?“, fragte sie hart. „Ist sie geldgierig oder was? Hält sie sich für unentbehrlich oder was?“
„Dr. Härtling ist sehr froh, dass sie noch nicht in den wohlverdienten Ruhestand tritt“, erwiderte Katja und schüttelte Frau Golombeks Kopfkissen auf.
„Ach was! Jeder Mensch ist zu ersetzen. Schwester Annegret ist zu alt für diesen schweren Beruf. Wie lange will sie denn noch hierbleiben? Bis sie tot umfällt?“
„Schwester Annegret ist nach wie vor zuverlässig und auf Grund ihrer langen Berufserfahrung fachlich beinahe so kompetent wie ein Arzt.“
„Im Alter lassen Geist und Gehör nach“, behauptete Martha Golombek. „Man kann sich nicht mehr so gut konzentrieren. Man sieht nicht mehr so gut, kann Medikamente verwechseln.“
„So etwas kann es bei Schwester Annegret nie geben.“
„Ist ja klar, dass Sie Ihre Kollegin in Schutz nehmen.“
„Schwester Annegret überprüft sämtliche Medikamente mehrmals, bevor sie sie ausgibt, deshalb kann man bei ihr einen Irrtum mit absoluter Sicherheit ausschließen.“
Martha Golombek maß Katja Stemmle mit einem unwilligen Blick.
„Ich habe eine andere Meinung von dieser alten Frau“, sagte sie giftig, „und Sie täten gut daran, mir nicht fortwährend zu widersprechen, Schwester. Es wäre nicht sehr klug von Ihnen, mich zu Ihrer Feindin zu machen.“
Die junge Schwester erwiderte nichts mehr und zog sich so rasch wie möglich zurück. Auf dem Flur standen Schwester Annegret und Chefarzt Dr. Härtling. Die alte Pflegerin hatte dem Klinikchef ihr Herz ausgeschüttet, und Sören Härtling sagte nun zu Katja Stemmle: „Schön, dass Sie für unser Annchen eingesprungen sind. Hat Frau Golombek die Medikamente von Ihnen genommen?“
Katja nickte. „Anstandslos.“
Schwester Annegrets Augen verschossen Blitze. „Ich könnte sie ...“
„Nicht doch, Annchen“, beschwichtigte Dr. Härtling die alte Pflegerin. Er hatte seinen Arztkittel bereits ausgezogen und war im Begriff gewesen, nach Hause zu gehen, als Schwester Annegret aus dem Schwesternzimmer gekommen war und ihn mit ihrer Beschwerde überfallen hatte, was für gewöhnlich nicht ihre Art war. „In ein paar Tagen sind wir Frau Golombek los und brauchen uns nicht mehr über sie zu ärgern“, sagte er. „Wenn Sie sich das immer vor Augen halten, wenn Sie mit ihr zu tun haben, wird sie Sie nicht mehr beleidigen können.“ Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Wenn die Damen mich jetzt entschuldigen wollen. Ich werde von meiner Familie erwartet. Wir sehen uns morgen in gewohnter Frische wieder.“
Dr. Härtling verließ die Paracelsus-Klinik, stieg in seinen Wagen und fuhr heim. Die Fahrt dauerte nur wenige Minuten. Als er sein Haus betrat und Ottilie sah, sagte er: „Sie waren beim Frisör, hab ich recht?“
„Ich muss fürchterlich ausgesehen haben, wenn meine neue Frisur gleich jedem so ins Auge springt“, ächzte die Haushälterin.
Dr. Härtling schmunzelte.
„Kann man Ihnen auch mal etwas recht machen? Sagt man nichts, heißt es: Wozu lasse ich so viel Geld beim Frisör, wenn es ohnedies keinem auffällt? Nimmt man die neue Frisur zur Kenntnis, ist es auch nicht in Ordnung.“
Der Klinikchef begab sich ins Wohnzimmer, um seine Familie zu begrüßen, und kurz darauf servierte Ottilie den ersten Gang des Abendessens.
Obwohl es ihr nicht optimal ging, suchte Katja Stemmle anderntags ihr Fitness-Center auf, weil sie da mit ihrer Freundin Birgit Mendl verabredet war.
Die Klubmitglieder rackerten sich mit mehr oder weniger großem Ehrgeiz an den Geräten ab, hoben, drückten und stemmten Gewichte, trabten auf dem Laufband, traten auf den Trimmrädern kräftig in die Pedale und sagten überflüssigen Pfunden in der Sauna den Kampf an. Birgit Mendl hatte permanent mit Gewichtsproblemen zu kämpfen. Sie war üppig, aber nicht dick. Und das war sie nur deshalb, weil sie so eifrig trainierte. Jede Trainingseinheit, die sie ausfallen ließ, zeigte sich sofort gnadenlos auf ihrer Badezimmerwaage. Deshalb bemühte sie sich, das Fitness-Center so oft und so regelmäßig wie nur irgend möglich zu besuchen, und sie rackerte sich auf allen Geräten ehrlich ab - weil man, was sie aus Erfahrung wusste, sich und seine Waage nicht belügen kann.
Während sie schwitzend ihre Brustmuskulatur straffte, sagte sie ächzend zu Katja: „Was tut man als Frau nicht alles, um den Männern zu gefallen.“
Katja Stemmle strampelte neben ihr auf dem Trimmrad, das sie auf die leichteste Stufe eingestellt hatte. Sie wollte sich heute nicht plagen. Ein andermal wieder, wenn sie besser in Form war.
Ihre blonde Freundin sah in ihrem farbenfrohen Gymnastikanzug sehr sexy aus, und damit ihr der Schweiß nicht in die Augen rann, trug sie ein Stirnband aus saugstarkem Frotté. Den Männern gefallen, das war Birgit Mendls Lebensinhalt. Es bereitete ihr großes Vergnügen, mit attraktiven Männern zu flirten, und sie war mit allen männlichen Klubmitgliedern, die altersmäßig zu ihr passten, schon mindestens einmal aus gewesen.
„Du strengst dich heute aber nicht besonders an“, stellte Birgit schmunzelnd fest.
„Ich bin nicht ganz auf der Höhe.“
„Bist du krank?“
„Glaube ich nicht“, sagte Katja.
„Vielleicht ist bei dir eine Grippe im Anzug. Dann wäre die Sauna eventuell ganz gut für dich.“
Katja rümpfte die Nase und schüttelte den Kopf.
„Ich habe heute keine Lust zu schwitzen.“
Nach dem Training gingen Katja und Birgit duschen.
„Du bist so schön schlank“, sagte Birgit voll ehrlicher Bewunderung, als die Freundin sich neben ihr unter die Dusche stellte. „Ich muss in der ständigen Angst leben, Cellulite zu kriegen. Und sieh dir nur meinen Po an ...“
Katja schmunzelte.
„Soviel mir bekannt ist, gibt es eine Menge Männer, die daran nicht das Geringste auszusetzen haben.“
„Er ist zu groß.“
„Er kommt an.“
„Das sagst du nur, um mich zu trösten.“
„Ich sage es, weil es stimmt. Männer lieben solche Kehrseiten.“
„Jakob auch?“, fragte Birgit Mendl unvermittelt.
„Mein Verlobter ist mit dem zufrieden, was ich zu bieten habe“, gab Katja Stemmle schmunzelnd zur Antwort.
„Jakob ist süß“, sagte Birgit schwärmerisch. „Ich kann ihn sehr gut leiden.“
Katja drohte ihr scherzhaft mit dem Finger.
„Hoffentlich nicht mal zu gut.“
„Na, hör mal!“ Birgit drehte die Duschhähne zu. „Hast du ihn schon gefragt?“
Katja schüttelte den Kopf. „Nein. Noch nicht.“
Birgit schlüpfte in ihren Bademantel.
„Worauf wartest du? Bis er eine andere Sekretärin gefunden hat? Ich brauche den Job, Katja.“
„Na schön, ich rede mit ihm, aber nur, wenn du versprichst, die Finger von ihm zu lassen.“
„Ehrensache.“ Birgit hob die Hand, als wollte sie schwören. „Du bist schließlich meine beste Freundin.“
Dr. Jakob Hofbauer, Katjas Verlobter, war ein junger, ehrgeiziger Rechtsanwalt. Er hatte seit einem Jahr eine eigene Kanzlei, die aber noch nicht besonders gutging. Dennoch musste er sich eine Sekretärin leisten, weil er nicht ständig alles selbst erledigen konnte. Katja hatte ihm nur deshalb noch nicht erzählt, dass ihre Freundin auf Jobsuche war, weil ihr das bei Birgit, dieser notorischen Flirterin, nicht ganz ratsam zu sein schien.
Anderseits ... Wenn sie sich auf ihren Verlobten nicht verlassen konnte, war er ohnedies nicht wert, von ihr geheiratet zu werden. Es gab ja auch noch andere Gefahren und Versuchungen. Die Welt ist voll von jungen, schönen, verführerischen Frauen. Katja konnte unmöglich alle von ihrem Verlobten fernhalten.
Sie war mit ihm zum Essen im „Kupferpfännchen“ verabredet. Er war schon da, als sie das Restaurant betrat, aber er erwartete sie nicht allein. Sein Freund Kurt Haagen saß mit ihm am Tisch. Katja hatte nichts dagegen. Kurt war sehr nett, und er sah mindestens ebenso gut aus wie Jakob. Sie waren beide sportlich schlank, brünett und elegant gekleidet.
Als Jakob Hofbauer seine Verlobte erblickte, erhob er sich, um sie zu begrüßen. Er küsste ihr zuerst galant die Hand, dann gab er ihr einen zärtlichen Kuss auf den Mund.
„Liebling, da bist du ja. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass ich Kurt mitgebracht habe. Er hatte mal wieder Krach mit Barbara, und da wollte ich ihn nicht sich selbst überlassen.“
Kurt Haagen erhob sich ebenfalls und küsste Katja auf die Wangen.
,,Guten Abend, Katja.“
„Schon wieder Krach mit Barbara?“ Sie musterte ihn mitleidig.
Kurt hob die Schultern.
„Sie findet immer einen Grund, sich über mich zu ärgern.“
Jakob lachte und sagte zu seiner Verlobten: „Du kennst ja Barbara.“
Sie setzten sich.
„Was war’s denn diesmal?“, wollte Katja wissen.
Kurt war ein anständiger, herzensguter Mensch, mit dem man normalerweise nicht streiten konnte, aber Barbara Rahn schaffte das immer wieder.
„Er hat es unterlassen, den Chromhahn im Bad mit dem Handtuch abzuwischen, und die Wassertropfen hinterließen darauf schrecklich hässliche Flecken“, informierte Jakob Hofbauer seine Verlobte.
„Meine Güte, was für ein abscheuliches Verbrechen“, lachte Katja ironisch.
Der Kellner kam und fragte, ob sie einen Aperitif haben wolle. Jakob hatte einen Pernod. Kurt hatte einen Wodka. Sie nahm ein Glas Campari Orange.
„Wie hältst du’s nur bei Barbara aus?“, fragte Katja verständnislos.
„Er liebt sie trotz allem“, meinte Jakob Hofbauer grinsend, „und er ist gutmütig wie ein Bernhardiner. Wenn mir eine Frau fast jeden Tag eine Szene machen und mir alles mögliche nachwerfen würde, würde ich mir irgendwann sagen, dass das für mich nicht die Richtige sein kann.“ Er legte dem Freund die Hand auf die Schulter. „He, Junge, wann wachst du endlich auf?“ Er wandte sich an seine Verlobte. „Sag mal, ist Birgit nicht gerade mal wieder frei? Vielleicht sollten wir die beiden mal ganz unverbindlich zusammenbringen.“ Er sah Kurt an. „Birgit würde dir gefallen. Sie sieht wirklich toll aus.“
„Ich kenne Birgit“, sagte Kurt Haagen.
„Ach so? Na, umso besser. Dann könnten wir doch mal irgendetwas zu viert unternehmen.“
Kurt schüttelte unwillig den Kopf.
„Ich lasse mich nicht gern verkuppeln.“
„Sei doch nicht so schwierig, Mann!“, redete Jakob dem Freund ins Gewissen. „Wir wollen dir doch nur helfen,“
„Mir braucht niemand zu helfen.“
Jakob Hofbauer nickte.
„Du kehrst zu Barbara zurück. Waffenstillstand. Große Versöhnung im Bett ...“
„Jakob!“, warf Katja ermahnend ein.
„So läuft es doch“, sagte ihr Verlobter. „Kurz darauf bricht Barbara den Waffenstillstand schon wieder und alles geht, wie gehabt, von Neuem los.“
„Ich finde, dass uns das nichts angeht“, sagte Katja.
Der Kellner brachte die Speisenkarten.
„Wieso nicht?“, sagte Jakob. „Kurt ist mein bester Freund, da darf ich ja wohl an seinem Leben Anteil nehmen.“
„An seinem Leben ja“, gab Katja Stemmle zurück, „aber nicht an seinem Liebesleben.“
„Das eine ist doch mit dem anderen untrennbar verknüpft“, behauptete der junge Rechtsanwalt.
Sie wählten ihre Speisen, und während sie auf das Essen warteten, sagte Jakob zu seiner Verlobten: „Auf deinen Chef bin ich nicht gut zu sprechen.“
„Auf Dr. Härtling?“, fragte sie überrascht. „Wieso nicht?“
„Besser gesagt, auf seinen Schwager, den Rechtsanwalt Dr. Axel Lassow.“
„Was hat Dr. Lassow denn angestellt?“, wollte Katja Stemmle wissen.
„Einen interessanten und lukrativen Fall hat er mir vor der Nase weggeschnappt“, grollte Dr. Hofbauer.
„Das tut mir leid.“ Katja legte ihm die Hand auf den Arm.
„Damit hätte ich mir einen Namen machen können.“ Er hob seufzend die Schultern. „Aber leider es hat nicht sollen sein.“
Das vorzügliche Essen war dann sowohl für Jakob Hofbauer als auch für Kurt Haagen ein willkommener Trost. Sie nahmen zum Abschluss noch jeder einen Cappuccino, und Jakob meinte: „Wir sollten das, was ich gesagt habe, im Auge behalten.“
„Ich weiß nicht, was du meinst“, gestand Katja.
„Die Sache mit Birgit und Kurt.“
Kurt Haagen machte sogleich ein Gesicht, als hätte er Essig getrunken.
„Manche Menschen muss man zu ihrem Glück zwingen“, lachte Jakob.
Ich weiß nicht, ob es so ein Glück ist, mit Birgit eine Beziehung zu haben, dachte Katja. Sie hat ein zu großes Herz. Ihr gefallen zu viele Männer. Sie ist ein liebes Mädchen, und ich mag sie sehr. Aber wenn man der Wahrheit die Ehre geben will, muss man sagen: Sie hat einen ganz großen Fehler - sie kann nicht treu sein.
Kurt Haagen verlangte die Rechnung.
„Alles zusammen?“, erkundigte sich der Kellner.
„Ja“, antwortete Kurt.
„Kommt überhaupt nicht in Frage“, protestierte Jakob.
„Nichts da“, winkte Kurt ab. „Ihr wart heute meine Gäste.“
„Wie kommst du dazu, uns einzuladen?“, fragte Katja.
Kurt Haagen lächelte mit hübschen Grübchen in den glattrasierten Wangen.
„Eure Gesellschaft hat mir heute ganz besonders gutgetan.“
Katja sagte: „Deshalb brauchst du uns doch nicht ...“
„Bitte.“ Seine Stimme klang eindringlich und flehend. „Ich möchte mich dafür, dass ihr mir eure Zeit geopfert habt, erkenntlich zeigen.“
„Was redest du denn für einen ausgemachten Blödsinn?“, sagte Jakob Hofbauer energisch. „Ich hab dir keine Zeit geopfert.“ Er wandte sich an seine Verlobte. „Du, Katja?“
„Geopfert? Nein. Höchstens geschenkt“, erklärte sie.
„Danke“, sagte Kurt bewegt und bezahlte mit Kreditkarte für alle.
Katja Stemmle nahm ihren Verlobten noch mit hoch auf einen Schlummertrunk. Es war von ihr nicht geplant, dass Jakob dies so wörtlich nehmen würde, aber es machte ihr nichts aus. Als sie merkte, dass die Geschichte im Bett enden würde, sträubte sie sich nicht dagegen, sondern ließ den Dingen bereitwillig ihren Lauf. Sie genoss das Glück in seinen starken Armen.
Später, während Jakob sich die „Zigarette danach“ gönnte, sagte Katja so beiläufig wie möglich: „Hast du schon eine Sekretärin gefunden?“
„Ich habe im Moment so viel um die Ohren, dass ich für die Suche keine Zeit erübrigen kann.“
„Birgit wäre an dem Job interessiert.“
„Im Ernst?“
„Ich habe ihr erzählt, dass du eine Sekretärin brauchst, und sie hat mich gebeten, dich zu fragen, ob du es mit ihr versuchen möchtest.“
Jakob zog an seiner Zigarette und blies den Rauch so aus, dass er Katja nicht belästigte.
„Hast du ihr gesagt, dass ich ihr am Anfang nicht viel zahlen kann?“
„Sie weiß, dass deine Kanzlei zur Zeit noch auf wackeligen Beinen steht, und sie ist bereit, aus Freundschaft zu uns beiden eine Weile in den sauren Apfel zu beißen und etwas weniger zu verdienen.“
„In einem Jahr kann ich ihr sicher mehr zahlen.“
„Damit wäre sie einverstanden“, sagte Katja.
„Wo arbeitet sie derzeit?“, erkundigte sich Jakob Hofbauer.
„Nirgendwo. Sie ist arbeitslos.“
„Wieso hat sie ihren Job verloren?“
„Differenzen mit dem Seniorchef.“
„Differenzen welcher Art?“, wollte Jakob aufmerksam wissen.
Katja Stemmle lächelte.
„Sie hatte was mit dem Juniorchef, und das gefiel dessen Vater nicht. Also hat er sie gefeuert.“
„Dann könnte sie theoretisch sofort bei mir anfangen.“
„Theoretisch ja.“
Jakob drückte die Klippe in den Aschenbecher.
„Sie soll mich morgen anrufen.“
„Ich sag’s ihr.“ Katja löschte das Licht und schmiegte sich ganz eng an ihren Verlobten, um die Wärme seines Körpers zu spüren.
Sie hatten es beide mit dem Heiraten nicht eilig. Jakob wollte erst die Kanzlei in Schwung bringen, bevor er Katja den Ring ansteckte, und sie war damit einverstanden. Sie war mit Jakob auch ohne Trauschein glücklich.
Jana Härtling kam abgekämpft nach Hause. Sie war mit Trix Lassow, ihrer Schwägerin, der Schwester ihres Mannes, auf Schnäppchenjagd gewesen.
Sowohl Dr. Härtling als auch Dr. Lassow verdienten so viel, dass ihre Frauen nicht Jagd auf Sonderangebote hätten machen müssen, aber den beiden gefiel es, hin und wieder ein hübsches Teil zu ergattern, dessen Preis deutlich herabgesetzt worden war. Je mehr sie sich dabei ersparten, desto größer war ihre Freude. Es machte ihnen Spaß, mit Adleraugen nach preisreduzierter Ware Ausschau zu halten und bei günstigen Angeboten sofort zuzuschlagen.
Ächzend schleppte Jana die „Trophäen“ ins Wohnzimmer und stellte sie ab. Es war wie Weihnachten. Jeder würde heute etwas bekommen: Josee ein Sommerkleid, Tom ein buntes Polo-Shirt, Dana hübsche Unterwäsche, Ben ein schönes Hemd, Sören neue Hausschuhe, Ottilie einen dunkelblauen Rock und für sich selbst hatte Jana Härtling schwarze Dessous gekauft, die ihrem Mann mit Sicherheit gefallen würden.
„Hallo, ist jemand zu Hause?“, rief sie, doch niemand antwortete.
Jana packte ihre Mitbringsel aus und verteilte sie auf die Zimmer. Als sie damit fertig war, läutete das Telefon.
„Ich bin es“, meldete sich am anderen Ende ihr Mann. „Ich habe vor zehn Minuten schon mal angerufen.“
„Da war ich noch nicht zu Hause.“
„Ach ja, du hast dich heute mit meiner Schwester getroffen. Wie war’s?“
„Stressig wie immer.“
„Was spricht Trixi denn so?“
„Sie hat sich beklagt, weil sie dich so selten zu Gesicht bekommt.“
„Zu viel Arbeit.“ Sören Härtling seufzte. „Was soll ich machen? Wie geht es den Lassows?“
„Auch Axel hat zu viel zu tun.“
Sören lachte. „Das ist der Fluch des Tüchtigen.“
„Gibt es einen besonderen Grund für deinen Anruf?“, erkundigte sich Jana ahnungsvoll.
„Leider ja. Wir müssen heute noch zwei Operationen einschieben. Wie lange das dauert, kann ich nicht sagen. Man muss immer mit Komplikationen rechnen, wie du weißt. Es kann spät werden. Warte nicht auf mich!“
Da Jana Härtling selbst Ärztin - Kinderärztin - war, kannte sie den Klinikbetrieb mit all seiner Hektik, all seinen Tücken, all seinen Wirrnissen und mit all den unvorhersehbaren Zwischenfällen, die es geben konnte. Deshalb kam auch nie ein Wort des Vorwurfs über ihre Lippen, wenn die Patienten ihren Ehemann mehr in Anspruch nahmen, als ihr lieb war. Ärzte haben kein geregeltes Leben, und sie sind immer und überall im Dienst, wenn ein leidender Mensch sie braucht.
„Danke, dass du angerufen hast“, sagte sie deshalb nur.
„Und ich bedanke mich für dein Verständnis. Ich liebe dich, Jana.“
„Und ich liebe dich“, gab sie lächelnd zurück, und dann legte sie auf.
Das Telefon läutete sofort wieder. Wollte Sören noch etwas loswerden? Jana griff schwungvoll nach dem Hörer.
„Japp.“
Stille.
„Hallo?“
Atmen.
„Hallo!“
Der Anrufer legte auf.
„Ebenfalls Nachtdienst heute, Schwester Katja?“, fragte Oberarzt Dr. Alfred Berger die schöne Pflegerin.
„Muss auch sein“, gab Katja Stemmle mit kleinem Lächeln zurück.
„Hoffentlich benehmen die Patienten sich gesittet“, sagte Alfred Berger. Er sah großartig aus und hatte eine Schwäche für Katja. Jeder in der Paracelsus-Klinik wusste das, doch es störte ihn nicht. „Manche meinen ja, nachts einen Weltrekord im Dauerklingeln aufstellen zu müssen.“
Katja dachte an Martha Golombek, die morgen entlassen werden sollte. Sie wird heute noch einmal dafür sorgen, dass wir sie nicht so bald vergessen, ging es ihr durch den Sinn.
Dr. Berger strich sich mit dem Finger über den sorgfältig gestutzten Oberlippenbart. Er war von Kopf bis Fuß eine elegante, adrette Erscheinung.
„Darf ich Sie später zu einem Kaffee einladen?“, erkundigte er sich.
„Sie dürfen“, gab die junge Pflegerin zurück.
Dann trennten sich ihre Wege. Dr. Härtling kam aus dem Kreißsaal. Er hatte soeben eine Frau mittleren Alters von Zwillingen entbunden und war nun auf dem Weg zum Operationssaal.
„Guten Abend, Chef“, grüßte Katja.
„Ah, Schwester Katja. Frau Golombek wird sich freuen, Sie zu sehen. Sie ist heute besonders gut drauf.“
„Ich nehme an, das heißt, ihr passt heute überhaupt nichts.“
„Sie arbeitet mit großem Eifer darauf hin, sich ein Denkmal zu setzen“, erzählte der Klinikchef. „Schwester Annegret war heute bereits zweimal nahe daran, alles hinzuschmeißen und unbezahlten Urlaub zu nehmen.“
„Auf die Ärmste hat es Frau Golombek ganz besonders abgesehen.“ Dr. Härtling nickte mit finsterer Miene, bat die Pflegerin, ihn zu entschuldigen, und eilte weiter.
Als Katja wenig später Schwester Annegret begegnete, sagte diese geschafft: „Ich zünde morgen eine Kerze an, wenn diese Furie uns verlässt. Ach was, eine Kerze, ein Freudenfeuer brenne ich ab - mit der Matratze, auf der Martha Golombek gelegen hat.“
„Gehen Sie nach Hause und erholen Sie sich von den Strapazen, Schwester!“, riet Katja der alten Kollegin. „Morgen, wenn Frau Golombek weg ist, scheint für uns alle wieder die Sonne.“
„O ja.“ Schwester Annegret nickte kräftig. „Die Sonne. Da haben Sie recht.“
Nachdem Schwester Annegret nach Hause gegangen war, machte Schwester Katja eine Runde durch die Station. Sie ließ sich auch bei Martha Golombek blicken.
„Na, Frau Golombek“, sagte sie freundlich. „Ist alles in Ordnung?“
„Machen Sie sich über mich lustig oder was?“, gab die Patientin bissig zurück.
Katja blieb freundlich. Sie wollte sich von der unleidlichen Patientin nicht aus der Reserve locken lassen. „Wieso?“
„Nichts ist in Ordnung“, blaffte Frau Golombek. „Überhaupt nichts. Ich liege hier seit vielen Stunden, ohne dass sich jemand um mich kümmert.“
„Das kann nicht sein.“
„Ich habe seit mindestens einer Stunde niemanden mehr zu Gesicht bekommen. Mit mir hätte sonst was sein können, es wäre keinem aufgefallen.“
„Schwester Annegret war doch bei Ihnen.“
„Die Rentnerin zählt nicht. Das ist für mich keine vollwertige Kraft.“
Katja lächelte sanft und geduldig.
„Nun bin ich für Sie da, und ich werde mich bemühen, dafür zu sorgen, dass in der letzten Nacht, die Sie in der Paracelsus-Klinik verbringen, alles zu Ihrer Zufriedenheit ist.“
„In der letzten Nacht. Wie Sie das sagen. Das klingt so, als würden Sie sich freuen, mich endlich loszuwerden.“
„Sie haben recht“, gab Katja Stemmle zu. „Ich freue mich ...“
„Na, bitte, ich habe Sie durchschaut.“
„Ich freue mich, dass Sie wieder ganz gesund sind“, sagte Katja.
„Das bin ich nicht.“
„Man würde Sie nicht nach Hause schicken, wenn dies vom medizinischen Standpunkt aus nicht zu verantworten wäre.“
„Machen wir uns doch nichts vor, Schwester Katja. Meinen Sie, ich bin blöd? Ich weiß, warum ich morgen heimgehen darf. Man schmeißt mich raus, weil man sich mit mir nicht mehr ärgern möchte. Das ist der Grund für meine vorzeitige Entlassung. Um meine Werte schert sich hier doch kein Teufel.“
Katja widersprach nicht. Warum sollte sie Martha Golombek reizen? Wenn sie sich mit der Patientin anlegte, rächte diese sich unter Garantie damit, dass sie pausenlos nach ihr läutete, und die Klingel abschalten, das durfte nicht sein.
„Kann ich irgendetwas für Sie tun, Frau Golombek?“, erkundigte sich die dunkelhaarige Pflegerin pflichteifrig.
„Jetzt nicht. Vielleicht später.“
„Später sollten Sie schlafen.“
„Damit Sie keine Arbeit mit mir haben.“ Martha Golombek lachte hart. „Das könnte Ihnen so passen. Sie bekommen Ihr Gehalt nicht fürs Herumsitzen, sondern dafür, dass Sie springen, wenn ein Patient nach Ihnen klingelt.“
Und Katja Stemmle sprang. Jede halbe Stunde wollte die boshafte Patientin etwas anderes. Sie schien es darauf anzulegen, dass Katja der Kragen platzte, doch diese Freude machte die Schwester ihr nicht.
Als sie mit Dr. Berger dann im Ärztezimmer den Kaffee trank, zu dem er sie einladen durfte, stellte der Oberarzt fest: „Sie sehen bereits ziemlich geschafft aus. Tut Ihnen der Nachtdienst nicht gut?“
„Mir tut nur dieser Nachtdienst nicht gut“, gab die schöne Schwester zurück. „Im Allgemeinen habe ich damit keine Probleme.“ Und dann erzählte sie von Martha Golombek, der Königin der Unleidlichkeit.
„Soll ich sie zur Räson bringen?“, bot Alfred Berger sich an.
Schwester Katja schüttelte den Kopf.
„Nein. Das würden Sie nicht schaffen.“
„Ich könnte es ja mal versuchen.“
„Sie ist ja nur noch diese eine Nacht hier. Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Ich werde meinen Dienst schon irgendwie hinter mich bringen.“
Der Oberarzt sagte mit finsterer Miene: „Es steht keinem Menschen zu, seine Mitmenschen bis aufs Blut zu quälen.“
Katja Stemmle lächelte.
„Frau Golombek meint, dieses Recht zu haben.“ Sie trank einen Schluck Kaffee.
„Dann muss man sie eben eines Besseren belehren“, sagte Dr. Berger. Er strich sich über seinen Oberlippenbart. Das war eine ganz typische Geste für ihn.
„Das ist bei dieser Frau zwecklos“, behauptete Katja. „Sie hält sich für etwas Besonderes, und die ganze Welt muss ihr untertan sein.“
„Dann sollte man sie gleich von hier in eine psychiatrische Anstalt überstellen“, brummte Alfred Berger. Und wieder strich er sich mit dem Finger über den Bart. Wie oft mochte er das wohl am Tag tun? „Schmeckt Ihnen der Kaffee, Schwester Katja?“ erkundigte er sich.
„Er ist sehr gut und tut mir gut“, antwortete die hübsche Pflegerin.
„Ich gebe immer eine Prise Salz und ein kleines Löffelchen Kakaopulver dazu“, erklärte der gut aussehende Oberarzt.
„Muss ich mir merken“, sagte Schwester Katja.
„Mögen Sie Mozart?“, fragte Dr. Alfred Berger unvermittelt.
Katja sah ihn überrascht an.
„Er ist unter den Klassikern mein Lieblingskomponist.“
Alfred Berger lachte. „Na so was, meiner auch.“
„Wie kommen Sie jetzt auf Mozart?“, fragte Katja verwundert.
„Ich hätte Karten für ein Freiluft Benefizkonzert der Berliner Symphoniker. Nächsten Samstag. Mozart steht auf dem Programm. Es wäre mir eine große Freude, wenn Sie mich begleiten würden.“
„Würde ich sehr gern ...“
„Aber?“
Schwester Katja lächelte. „Ich bin verlobt.“
„Ist Ihr Verlobter sehr eifersüchtig?“
„Das nicht“, gab die schöne Pflegerin zur Antwort, „aber ich fände es nicht richtig, ihm den Samstagabend zu vermiesen, indem ich mit Ihnen ausgehe.“ Sie legte ihm die Hand auf den Arm. „Trotzdem - danke für die Einladung.“
,,Wenn ich da allein hingehe, ist für mich selbst Mozart nur ein halber Genuss“, sagte Alfred Berger dunkel.
„Ich bin sicher, Sie werden jemand anderen finden, der diesen Genuss mit Ihnen teilt.“
„Mag Ihr Verlobter ebenfalls Mozart?“
„Bei ihm steht Verdi an erster Stelle“, antwortete Schwester Katja. „Mozart rangiert auf Platz zwei.“
„Angenommen, ich möchte Ihnen die Karten schenken. Würden Sie sie annehmen?“
„Nun ja ...“
„Es würde Sie zu nichts verpflichten“, beeilte sich der Oberarzt zu versichern. „Ich wüsste nicht, mit wem ich das Konzert besuchen sollte, und es wäre - da sind Sie sicher meiner Meinung - ein Verbrechen an der hohen Kunst, sie verfallen zu lassen.“ Katja teilte diese Ansicht und nahm die Eintrittskarten dankend an.
„Ihr Verlobter darf sich zu Ihnen gratulieren“, stellte der Oberarzt sehr ernst fest. „Ich hoffe, er weiß, was er an Ihnen hat.“
„Ich denke schon, dass er das weiß.“
Dr. Bergers Miene verfinsterte sich.
„Ich hatte auch mal jemanden wie Sie“, sagte er dunkel. „Sie hieß Marlene.“ Sein Blick wanderte in eine geistige Ferne. „Marlene Heyer“, erinnerte er sich. „Liegt schon ein paar Jahre zurück.“ Er schaute Katja wieder an. „Marlene sah Ihnen sehr ähnlich. Sie hatte das gleiche schöne dunkle Haar wie Sie, das gleiche angenehme Wesen wie Sie, liebte Mozart wie Sie, ging, sprach und lachte wie Sie ...“
„Und nun glauben Sie, ich könnte eine zweite Marlene für Sie werden“, nahm Katja Stemmle an. „Tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, Dr. Berger.“
„Alfred. Bitte nennen Sie mich Alfred“, bat der gut aussehende Arzt. „Wir wollten heiraten - Marlene und ich.“
„Warum ist nichts daraus geworden?“
Ein grimmiger Ausdruck kerbte sich um Dr. Bergers Lippen.
„Mein nichtsnutziger Bruder hat ihr so sehr den Kopf verdreht, dass sie plötzlich nicht mehr sicher war, ob sie meine Frau werden wollte. Torsten ist ein skrupelloser Schürzenjäger. Um eine Frau, die ihm gefällt, für sich zu gewinnen, geht er eiskalt über Leichen. Er machte auch vor Marlene nicht halt. Torsten ist der einzige Mensch auf der Welt, den ich hasse. An und für sich ist Hass für mich ein Fremdwort, aber meinen Bruder hasse ich aus tiefster Seele, weil er so rücksichtslos mein Glück zerstört hat. Er konnte sich nicht zurückhalten, dieser Bastard. Er musste Marlene unbedingt haben, obwohl er wusste, wieviel sie mir bedeutete. Und nachdem er sie gehabt hatte, warf er sie weg wie eine Zigarette, von der er nach ein paar Zügen schon wieder genug hatte.“
„Was ist aus Marlene geworden?“, fragte Katja bewegt.
„Sie lebt heute in Genf mit einem Hotelportier aus Marokko zusammen.“
„Konnten Sie ihr ihren Fehltritt nicht verzeihen?“
„Ich hätte ihn ihr verziehen, aber Marlene verschwand bei Nacht und Nebel aus der Stadt, und als ich endlich herausfand, wo sie war, war sie bereits mit diesem Marokkaner zusammen und wollte von einer Rückkehr nach München nichts mehr wissen. Ich habe sie mit Briefen bombardiert. Irgendwann schrieb sie mir, sie hätte mit ihrem marokkanischen Lebensgefährten ein Kind. Da habe ich sie dann in Ruhe gelassen.“
„Und Ihr Bruder?“, fragte Schwester Katja.
„Ich habe jeglichen Kontakt zu ihm abgebrochen“, antwortete Dr. Berger rau. „Er existiert nicht mehr für mich.“
„Vielleicht tut ihm inzwischen leid, was er Ihnen angetan hat.“
„Kann sein.“ Dr. Berger zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Es interessiert mich nicht.“
„Können Sie ihm nicht vergeben?“
„Nein.“ Der Oberarzt schüttelte heftig den Kopf. „Nein, das kann ich nicht.“
„Seien Sie nicht zu hart. Genau genommen ist er zu bedauern. Vielleicht wäre er gern wie Sie, aber wer kann schon aus seiner Haut heraus?“
„Torsten ist für mich gestorben“, knurrte der Mann weiter.
„Diese Härte passt nicht zu Ihnen, Alfred“, sagte Katja Stemmle. „Möglicherweise ist es gut, dass Sie mit Marlene Heyer nicht zusammenkamen. Haben Sie sich das schon einmal überlegt? Wenn Torsten sie herumgekriegt hat, hätte das auch einem anderen Mann gelingen können. Und dann wären Sie vielleicht schon mit ihr verheiratet gewesen.“
„Sie tun ja so, als hätte mich Torsten vor einem noch größeren Schaden bewahrt.“
„Ich glaube, Marlene hat Sie nicht genug geliebt, sonst hätte Torsten bei ihr keine Chance gehabt“, befand Katja. „Zu so einer Sache gehören immer zwei, da müssen Sie mir beipflichten.“ Sie trank den letzten Schluck Kaffee. Er war schon kalt. „Wohnt Ihr Bruder ebenfalls in München?“
„Ja.“ Alfred Berger schob seine leere Kaffeetasse von sich.
„Rufen Sie ihn mal an!“, riet Schwester Katja. „Sprechen Sie sich mit ihm aus! Vergeben Sie ihm! Er ist nicht irgendjemand. Er ist kein Fremder. In seinen Adern fließt das gleiche Blut wie in Ihren. Er ist Ihr Bruder.“
Dr. Berger sah die Pflegerin an. In seinen Augen war unendlich viel Kälte.
„Es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie Torsten und mich wieder zusammenbringen wollen, Katja“, sagte er. „Ich mag Sie. Ich mag Sie sehr, deshalb könnten Sie mich um jeden Gefallen bitten. Wirklich um jeden. Nur um diesen einen nicht.“ Es erstaunte Schwester Katja sehr, dass dieser freundliche, umgängliche, warmherzige Mann in diesem einen Fall so unversöhnlich war.
Martha Golombek läutete Sturm. Schwester Katja hatte ein schlechtes Gewissen, sie war zu lange bei Dr. Berger gewesen, hatte sich verplaudert und eilte nun zu der ungeduldigen Patientin.
„Hören Sie, was ist denn mit Ihnen los?“, keifte Frau Golombek. „Haben Sie geschlafen oder was?“
„Ich hatte auf einer anderen Station zu tun“, erwiderte Katja, und das war nicht einmal gelogen.
„Ich klingle mir hier den Finger wund, und Sie gehen auf anderen Stationen spazieren? Das werde ich melden.“
„Ich war nicht spazieren ...“
„Stellen Sie sich vor, dies wäre ein Notfall gewesen. Dann wäre ich jetzt wahrscheinlich schon tot, und Sie hätten mich auf dem Gewissen.“
„Ich bin ja nun hier, Frau Golombek“, sagte Schwester Katja unendlich sanft.
„Zu spät“, schnauzte die Patientin sie an. „Viel zu spät. Ich klingle seit einer Viertelstunde.“
„Und weswegen?“, erkundigte sich die Pflegerin geduldig.
Martha Golombek deutete mit dem Kopf in Richtung Waschbecken.
„Der Wasserhahn tropft.“
„Und deshalb klingeln Sie wie von Sinnen?“ Katja hatte sich fest vorgenommen, sich von diesem lästigen Quälgeist nicht aus der Reserve locken zu lassen, doch nun spürte sie doch düsteren Groll in sich aufsteigen.
„Natürlich“, keifte Martha Golombek mit böse funkelnden Augen. „Weil ich nicht einschlafen kann. Dieses Geräusch ist ja die reinste Folter.“
„Und warum sind Sie nicht aufgestanden und haben den Wasserhahn fester zugedreht?“
„Ich bin Patientin und kein Installateur.“
„Und ich bin Krankenschwester und kein Installateur“, konterte Katja kühl.
„Sie haben dafür zu sorgen, dass ich mich in dieser Klinik wohlfühle.“
„Ich tue für unsere Patienten alles, aber ich drehe für sie keine Wasserhähne zu, die sie selbst schlecht zugedreht haben“, stellte Katja Stemmle ungewöhnlich scharf klar. Ihr Geduldsfaden war schon gefährlich ausgefranst, er drohte zu reißen. „Wenn Sie wollen, dass das Tropfen aufhört, sorgen Sie selber dafür.“
„Sie impertinente, ungefällige, faule Person, wie reden Sie mit mir?“ Martha Golombek schlug mit den Fäusten auf die Matratze. „Was nehmen Sie sich mir gegenüber heraus? Sie scheinen wohl zu vergessen, wen Sie vor sich haben.“ Jetzt streckte sie die Fäuste hoch und schüttelte sie. „Ich lasse mir Ihre Frechheiten nicht bieten. Ich werde morgen von Dr. Härtling verlangen, dass er Sie entlässt, weil Sie als Krankenschwester ebensowenig taugen wie diese alte Rentnerin, die hier die Stationen unsicher macht.“
„Ich bedanke mich für das Kompliment.“ Katja Stemmle verneigte sich spöttisch.
„Für welches Kompliment?“
„Wenn man mich mit Schwester Annegret gleichsetzt, ist das für mich eine Ehre - und somit ein Kompliment“, erklärte Katja und schickte sich an, den Raum zu verlassen.
„He! Sie! Hiergeblieben!“, schrie die Patientin. „Was ist mit dem Wasserhahn?“
Katja drehte sich in der bereits offenen Tür um. „Was soll damit sein?“
„Er tropft.“
„Dann stellen Sie’s ab“, sagte Katja und ging hinaus.
Bei der Morgenvisite beschwerte sich Martha Golombek - wie angedroht - bei Dr. Härtling über Schwester Katja. Die Pflegerin hatte ihn bereits vorgewarnt. Dennoch ließ er sich von Frau Golombek haarklein erzählen, welche Differenzen sie mit der Nachtschwester gehabt hatte.
„Ich sage Ihnen, diese Person eignet sich nicht für den Pflegedienst“, tat die Frau ihre unmaßgebliche Meinung kund. „Sie ist faul, verantwortungslos und hat vor den Patienten keinen Respekt. Eine Pflegerin wie diese Katja schadet dem Ruf Ihrer Klinik. Sie sollten sie entlassen, ehe sie noch größeren Schaden anrichtet.“
„Noch hat Schwester Katja keinerlei Schaden angerichtet, Frau Golombek“, entgegnete der Klinikchef zu ihrem Befremden. „Sie ist eine hervorragende Kraft, auf die ich nicht verzichten möchte.“
„Sie ist rotzfrech und arbeitsscheu“, stieß Martha Golombek empört hervor. „Wie können Sie sich schützend vor sie stellen?“
„Sie werden mich immer auf der Seite derer finden, denen man unrecht tut, Frau Golombek“, gab Sören Härtling gelassen zurück.
„Sie meinen also, ich tue Ihrer hübschen kleinen Krankenschwester unrecht, ja?“, blaffte die rothaarige Patientin. Ein gemeines Funkeln war mit einem Mal in ihren Augen. „Darf ich fragen, womit diese junge und in der Handhabung der Moral wohl auch ziemlich lockere Frau Sie für sich eingenommen hat, Herr Doktor?“
Fast hätte sie es geschafft, ihn zur Explosion zu bringen. Aber nur fast. Er schloss die Augen, atmete tief durch und zählte bis zehn. Dann sagte er: „Ich bin froh, dass Sie uns heute verlassen, Frau Golombek. Es wird ein großes allgemeines Aufatmen geben, sobald Sie fort sind.“
„Und ich werde sie auch ganz bestimmt nie wieder betreten “, fauchte die Patientin.
„Darf ich Sie beim Wort nehmen?“, fragte Sören Härtling mit einem entwaffnenden Lächeln.
„Das können Sie“, zischte Martha Golombek, der der gut aussehende Klinikchef anfangs so gut gefallen hatte, dass sie ihn gerne für sich gewonnen hätte, doch nun war sie an ihm nicht mehr interessiert.
„Ich danke Ihnen.“ Dr. Härtling nickte schmunzelnd und setzte seine Morgenvisite - begleitet von seinen Kollegen, die ihm heimlich applaudierten - im nächsten Zimmer fort.
Kurt Haagen versöhnte sich einmal mehr mit seiner Barbara. Die beiden schienen nicht voneinander loszukommen. Miteinander leben schienen sie aber auch nicht zu können. Es war eine ziemlich vertrackte Beziehung, die sie unterhielten, und für Katja Stemmle und Jakob Hofbauer stand fest, dass es irgendwann einmal doch zum alles entscheidenden Knall kommen würde.
Katja und ihr Verlobter besuchten das Benefizkonzert und waren begeistert. Katja bedankte sich bei der nächsten Gelegenheit nochmals bei Dr. Berger für die Karten, die er ihr so großzügig und selbstlos überlassen hatte.
Birgit Mendl bekam den Job bei Dr. Hofbauer. Sie stellte sich sehr geschickt an und arbeitete sich rasch ein, war eine echte Entlastung für den jungen Rechtsanwalt, der sich vorläufig noch mit den Krümeln begnügen musste, die von den Tischen jener Leute herunterfielen, die so bekannt und als Juristen so begehrt waren wie zum Beispiel Dr. Härtlings Schwager Dr. Axel Lassow.
Während eines gemeinsamen Mittagessens im Kasino der Paracelsus-Klinik schnitt Schwester Katja ganz vorsichtig das Thema Torsten Berger an.
„Was macht Ihr Bruder eigentlich beruflich?“, wollte sie wissen.
„Er ist Immobilienmakler.“ Der Arzt stocherte lustlos in seinem Essen herum. Hatte Katja ihm den Appetit verdorben? Wenn ja, hätte es ihr leid getan.
„Verdient er gut?“, fragte sie und widmete sich der goldgelben Biskuitroulade, die mit süßer Erdbeermarmelade gefüllt war.
Dr. Berger nickte finster. „Weil er die Leute übers Ohr haut.“
Katja schmunzelte.
„Zeigen Sie mir einen Immobilienmakler, der ehrlich ist“, sagte sie.
Zwei Tische weiter saßen die Assistenzärzte Dr. Wolfram (seine Frau Moni war Dr. Härtlings Sekretärin) und Dr. Jordan. Sie lachten und scherzten mit den Säuglingsschwestern Olli und Irmgard.
„Wenn ich für meinen Verlobten und mich ein Haus suchen würde, könnte ich Ihren Bruder dann bemühen?“, fragte Katja.
„Selbstverständlich. Aber ich würde Ihnen dringend davon abraten.“
„Warum?“
„Weil er Sie reinlegen würde.“
„Auch dann, wenn ich ihm sage, dass ich mit seinem Bruder in der Paracelsus-Klinik arbeite?“
Dr. Berger nickte mit schmalen Lippen.
„Dann erst recht. Und er würde außerdem nichts unversucht lassen, Sie ...“ Er unterbrach sich. „Sie wissen schon.“
„Er hätte keinen Erfolg bei mir.“
Der Oberarzt hob die Augenbrauen.
„Es wäre ein Fehler, ihn zu unterschätzen. Er ist als Schürzenjäger sehr erfolgreich. Das ist er nicht von ungefähr. Er ist abgefeimt, fintenreich und mit allen Wassern gewaschen.“
„Wie sieht er aus? Haben Sie ein Foto von ihm?“
„Ich hatte mal eines.“
„Was haben Sie damit gemacht?“
„Ich hab’s zerrissen, nachdem er mir diesen üblen Streich mit Marlene gespielt hatte.“
Schwester Katja lächelte.
„Was konnte denn das Bild dafür?“
Alfred Berger hob die Schultern.
„Es zeigte meinen Bruder.“ Er legte die Gabel auf seinen noch halb vollen Teller. „Werden wir jetzt jedes Mal, wenn wir zusammentreffen, über meinen missratenen Bruder reden?“
„Wenn man bedenkt, wieviel Leid, Not und Elend auf der Welt herrschen - wie unbedeutend sind im Vergleich dazu die Schwächen Ihres Bruders. Ich will damit sagen ...“
„Ich weiß, was Sie sagen wollen“, fiel Dr. Berger Katja ins Wort.
„Können Sie sich nicht dazu überwinden, Ihrem Bruder die Hand zur Versöhnung entgegenzustrecken?“
Alfred Berger schüttelte unnachgiebig den Kopf.
„Nein, Katja, das kann ich nicht, das will ich nicht, und das werde ich auch nie tun.“
Katja wollte etwas erwidern, bekam jedoch plötzlich starkes Nasenbluten und eilte auf die Damentoilette. Als sie nach zehn Minuten wiederkam, war wieder alles in Ordnung.
„Haben Sie das öfter?“, erkundigte sich Dr. Berger.
„Nur ganz selten“, antwortete die schöne Pflegerin.
„Wann zuletzt?“
„Das liegt schon so lange zurück, dass ich mich gar nicht mehr daran erinnere.“
Die Krankenschwester und der Oberarzt verließen das Casino gemeinsam und setzten ihren Dienst fort. Katja spürte, dass sie leichtes Fieber hatte, aber sie sagte es keinem und ging nicht nach Hause. Abends, als sie mit Jakob zusammen war, hatte sie kein Fieber mehr, und sie verbrachte eine wundervolle Nacht mit ihrem Verlobten.
Ben Härtling wusch sich die Hände. Mit der harten Handbürste schrubbte er so lange seine öligen Finger, bis sie tadellos sauber waren. Es machte ihm nichts aus, sich schmutzig zu machen, nur schmutzig bleiben mochte er nicht. Sobald auch der Trauerrand unter den Fingernägeln verschwunden war, legte er die Bürste beiseite und nickte seinem Spiegelbild zufrieden zu.
Er hatte mal wieder an dem kleinen roten Auto herumgebastelt, das er und seine Schwester Dana zum achtzehnten Geburtstag geschenkt bekommen hatten, und wie es eben bei nicht mehr ganz neuen Fahrzeugen so ist, fielen mal hier, mal da kleine Reparaturen an, die Ben - darauf war er stolz - so gut wie immer selbst erledigte. In letzter Zeit hatten sich die kleinen Mängel etwas gehäuft. Ben hoffte, dass nun für eine Weile Ruhe sein würde, denn allzu oft unter dem Vehikel zu liegen, machte auch keinen Spaß.
Da außer ihm niemand zu Hause war, erlaubte er sich, die starke HiFi-Anlage der Eltern mit voller Power zu fahren. ZZ Top fetzten ihren harten Gitarren-Rock kompromisslos aus den Lautsprechern, und Ben verrenkte dazu wild die Glieder. Wenn jemand ihn beobachtet hätte, hätte er ihn garantiert für verrückt gehalten.
Im Stilletal, zwischen zwei heißen Nummern, läutete das Telefon. Ben schaltete die Anlage ab, bevor er sich am Telefon meldete. Er wollte nicht, dass der Anrufer einen Nervenschock oder einen Gehörschaden erlitt.
„Ben Härtling“, meldete sich der Achtzehnjährige.
Stille am anderen Ende. Nicht mit mir, dachte Ben, der von den anderen Anrufen des Unbekannten wusste.
„He, du Penner, hast du bei der letzten Wahl deine Stimme abgegeben oder was ist los mit dir?“, fauchte er in die Sprechmuschel. „Wenn du nicht reden kannst, warum telefonierst du dann?“
„Äh ...“, krächzte eine Stimme, die mit Sicherheit verstellt war.
„Äh. Äh. Was – äh?“, herrschte Ben den anderen unfreundlich an.
„Äh, ich möchte Linda Le Brock sprechen.“
„Linda Le - wen?“
„Äh, Brock.“
„Tut mir leid, da bist du falsch verbunden, Kumpel.“
„Äh, wieso?“
„Weil hier keine Linda Le Brock wohnt.“
„Äh, bist du sicher?“, fragte der Anrufer, und dann war die Leitung tot.
Später, als nach dem Abendessen die gesamte Familie, samt Ottilie, im Wohnzimmer versammelt war, sagte Ben: „Dieser Behämmerte hat wieder angerufen.“
„Hat er wieder nichts gesagt?“, fragte Ottilie gespannt.
„Diesmal hat er gesprochen“, berichtete Ben.
„Ist nicht wahr!“ Die Haushälterin staunte.
Ben griente. „Ich muss ihn mit meiner schroffen Art wohl aus der Reserve gelockt haben.“
„Was hat er gesagt?“, wollte Dana Härtling wissen.
„Er wollte Linda Le Brock sprechen“, sagte ihr Zwillingsbruder.
„Wer ist Linda Le Brock?“, fragte Jana Härtling.
„Keinen blassen Schimmer“, antwortete Ben. „Vielleicht existiert die nur in seinem kranken Kopf.“
„Linda Le Brock“, sagte Tom. „Was ist denn das für ein komischer Name?“
„Hört sich nach einem Künstlernamen an“, meinte Sören Härtling.
„Kennt jemand diese Linda Le Brock?“, fragte Ben die Familie. Allgemeines Kopfschütteln war die Antwort. Ben rümpfte die Nase und kratzte sich hinter dem Ohr. „Als ich sagte, hier würde keine Linda Le Brock wohnen, fragte mich dieser Blödmann, ob ich sicher wäre. Als wüsste er es besser.“
Der neuerliche Krach zwischen Barbara Rahn und Kurt Haagen ließ nicht lange auf sich warten, und diesmal zerbrach die Beziehung, die ohnedies nie eine echte Zukunft gehabt hatte, endgültig. Es gab so viele Scherben, dass man sie beim besten Willen nicht mehr zusammenfügen konnte, und so trennten die beiden sich im Zorn. Zwei Stunden nach dem endgültigen Bruch war Kurt Haagen so betrunken, dass er nicht mehr stehen konnte - deshalb saß er auf Katjas Fußmatte, als sie auf sein Klopfen die Tür öffnete.
„Kurt“, stieß sie überrascht hervor.
„Katja ...“, schluchzte er undeutlich.
„Mein Gott, was ist passiert?“
„Ich bin betrunken“, lallte Kurt Haagen, und sein Kopf wackelte dabei, als würde er ihn gleich verlieren.
„Das ist ja wohl schwerlich zu übersehen.“
„Es ist aus, endgültig aus mit Barbara ... Wir haben uns getrennt - für immer ... Ich wollte zu Jakob, aber der ist nicht zu Hause. Ist er hier?“
„Nein“, antwortete Katja Stemmle.
„Ich kann jetzt nicht allein sein, Katja“, sagte Kurt Haagen mit weinerlicher Stimme.
„Das brauchst du nicht“, sagte Katja mitleidsvoll. „Komm rein!“ Sie beugte sich zu ihm hinunter, schob die Hände unter seine Arme und versuchte ihn hochzuziehen. „Liebe Güte, bist du schwer“, ächzte sie. „Hilf ein bisschen mit! Lass dich nicht so hängen!“
Er drückte sich hoch. Sie hätten beinahe beide das Gleichgewicht verloren. Katja musste sich kraftvoll gegen ihn stemmen. Sie torkelten gemeinsam ins Wohnzimmer. Man hätte meinen können, Katja wäre ebenfalls betrunken. Sie fiel mit Kurt auf die Couch.
„Junge, du hast im wahrsten Sinne des Wortes schwer geladen“, keuchte Katja.
„Es tut mir unendlich leid, dass ich dir zur Last falle. Bitte entschuldige. Entschuldige.“
„Schon gut.“
„Entschuldige.“
„Ich vergebe dir ja“, sagte Katja. Sein Kopf ruhte auf ihrer Schulter. Sie strich mit der Hand über sein Haar. Er klammerte sich mit beiden Armen an sie.
„Wie fühlst du dich?“, fragte sie.
„Frag mich nicht. Mir ist es noch nie schlechter gegangen.“
„Und abgesehen von deinem Liebeskummer?“, sagte Katja Stemmle. „Ich meine, ist dir schlecht? Musst du dich übergeben? Soll ich dich ins Bad bringen?“
„Keine Sorge. Ich werde deine Wohnung nicht verunreinigen.“
„Ich hoffe, du hältst dein Versprechen.“
„Ganz bestimmt. Du brauchst keine Angst zu haben.“ Kurt Haagen drückte sie fest. Sein Kopf quetschte ihren Busen. „O Katja, Katja, du bist ein Engel.“
„Quatsch.“
„Du bist so lieb, so sanft, so rein - so friedfertig ...“
„Auch ich habe meine Schwächen und Fehler“, erwiderte Katja.
„Warum konnte Barbara nicht so wie du sein?“
„Weil eben nicht alle Menschen gleich sein können“, sagte Katja. „Es gibt Gute und Böse, Geizige und Freigiebige, Treue und Untreue, Lustige und Traurige, Musikalische und Unmusikalische, Friedfertige und Streitsüchtige ... Es gibt einfach alles auf unserer schönen Welt - eine riesige bunte Palette.“
„Die Welt ist nicht schön, Katja“, brabbelte Kurt Haagen undeutlich.
„Das sagst du heute. Morgen siehst du sie bestimmt schon wieder mit anderen Augen.“
Er klammerte immer fester, als wollte er sie nie mehr loslassen.
„Ich beneide Jakob um dich. Mit dir kann man nicht streiten.“
„Aber natürlich kann man das“, widersprach ihm Katja Stemmle.
„Barbara ist eine schreckliche Furie. Warum musste ich ausgerechnet an sie geraten? Warum konnte ich keiner Frau wie dir begegnen?“
„Vielleicht wirst du nun eine Partnerin finden, die besser zu dir passt“, versuchte Katja ihn aufzumuntern. „Jakob und ich wussten von Anfang an, dass das mit Barbara nicht von Dauer sein wird. Wir haben es dir gesagt. Erinnerst du dich? Aber du wolltest uns nicht glauben.“
„Ich war ein Idiot.“ Kurt übte harte Selbstkritik. „Ich hätte auf euch hören sollen. Aber Barbara Rahn hatte etwas an sich, das mir den Verstand raubte. Ich brachte keinen vernünftigen Gedanken zustande, solange ich mit ihr zusammen war.“
„Das wird sich ja nun ändern, sobald du wieder nüchtern bist“, meinte Katja.
Sie versuchte sich von seinen Armen zu befreien, doch es gelang ihr nicht. Er klammerte ganz schrecklich und vergrub sein tränennasses Gesicht zwischen ihren Brüsten.
„Würdest du mich bitte loslassen?“, sagte sie.
„Geh nicht weg!“, flehte er mit weinerlicher Stimme. „Lass mich nicht allein! Bleib bei mir! Ich brauche dich.“
„Ich gehe nicht weg“, sagte sie sanft. „Hab keine Angst. Ich gehe nur in die Küche, um dir einen starken Kaffee zu kochen.“
„Ich möchte keinen Kaffee. Ich möchte, dass du bei mir bleibst. Ich möchte deine Nähe spüren, die Wärme deines Körpers. Ach, Katja, du bist ein so wundervolles Geschöpf ...“
„Das solltest du zu der Verlobten deines besten Freundes nicht sagen“, ermahnte sie ihn.
Kurt Haagen zuckte mit den Schultern.
„In vino veritas. Im Wein liegt die Wahrheit. Ich darf die Wahrheit sagen, denn ich bin betrunken und es ist nun einmal wahr, dass ich für dich sehr viel empfinde.“
„So, und das wollen wir jetzt gleich ganz schnell wieder vergessen, okay?“, sagte Katja Stemmle unangenehm berührt. Sie wollte von Kurt keine Liebeserklärung hören. „Du kriegst jetzt einen Kaffee, der deine Gehirnwindungen einigermaßen gerade biegt und dich wieder zur Vernunft bringt, und anschließend versuchen wir herauszufinden, wo Jakob steckt.“
Endlich gab er sie frei. Sie stand rasch auf. Da sie ihn nicht mehr stützte, rutschte er langsam zur Seite. Sie verzichtete darauf, ihn wieder gerade zurichten. Sollte er getrost umkippen. Katja ging in die Küche. Als sie wenig später mit dem kräftigen Kaffee zurückkam, schnarchte Kurt. Katja stellte die Kanne auf den Couchtisch.
„Na, sehr gut“, sagte sie und wiegte den Kopf.
Sie wollte eine Decke für Kurt holen. Da weckte ihn der Kaffeeduft, und er setzte sich sofort auf. Katja flößte ihm Tasse um Tasse ein.
,,Wäre ich dir nur vor Jakob begegnet“, seufzte Kurt traurig. Das dichte brünette Haar hing ihm wirr in die Stirn. Er machte einen ziemlich derangierten Eindruck, und er sah irgendwie hilflos aus, fand Katja. Er tat ihr leid. Soviel sie von Jakob wusste, hatte er bei der Wahl seiner Partnerinnen noch nie eine besonders glückliche Hand gehabt. Woran das bloß liegen mochte? Nachdem er den starken Kaffee getrunken hatte, telefonierte Katja eine halbe Stunde herum, um Jakob zu finden - ohne Erfolg. Ratlos sah sie den besten Freund ihres Verlobten an.
„Was mach’ ich denn jetzt bloß mit dir?“, überlegte sie laut.
„Wenn du mich fortschickst, trinke ich so lange weiter, bis ich nichts mehr weiß.“
„Auf dem Sofa liegt man nicht sehr gut.“
„Mir genügt es“, sagte Kurt bescheiden.
„Na schön.“ Katja nickte. „Brauchst du ein Kopfkissen?“
„Nein.“
„Aber eine Decke.“
,„Eine Decke ja“, sagte Kurt. Als sie ihn kurz darauf zudeckte, flüsterte er: „Danke, barmherzige Samariterin.“
„Gute Nacht, Kurt.“ Sie schenkte ihm ein warmes Lächeln.
„Kriege ich einen Gute-Nacht-Kuss?“, fragte er hoffend.
Katja Stemmle schüttelte den Kopf. „Nein.“
Kurt Haagen grinste.
„Wie soll ich dann einschlafen?“
„Du wirst das schon irgendwie schaffen“, sagte Katja und löschte das Licht.
Als Katja am nächsten Morgen aufstand, war Kurt nicht mehr da. Er hatte die Decke sorgfältig zusammengelegt und über die Sofalehne gehängt, und auf dem Couchtisch lag ein Zettel, auf den Kurt geschrieben hatte: Danke für dein Verständnis, deine Geduld, deine Hilfsbereitschaft und deine Gastfreundschaft. Ich stehe tief in deiner Schuld. Es geht mir gut. Ich bin zu Hause. Kurt.
Sie rief ihn an. Er meldete sich mit einer nüchternen, lebendigen Stimme.
„Wieso bist du heimgegangen?“, fragte Katja Stemmle. Es klang beinahe vorwurfsvoll.
„Ich dachte, es wäre besser, wenn ich nicht mehr da bin, wenn du aufwachst.“
„Aber warum denn?“
„Ich wollte dich von einer Last befreien“, sagte Kurt.
„Du warst keine Last für mich. Wann bist du gegangen?“
„Um sechs.“
„Wir hätten noch zusammen frühstücken können“, sagte Katja.
„Ich habe unterwegs gefrühstückt.“
„Wie geht es dir?“, erkundigte sich Katja. „Hast du einen Kater?“
„Nur einen ganz kleinen“, gestand er. „Ich habe kalt geduscht und mich umgezogen, und nun bin ich so fit, wie man nach einer solchen Nacht sein kann. Entschuldige die Unannehmlichkeiten, die du durch mich hattest.“
„Ach, hör doch auf. Ich bin froh, dass du zu mir gekommen und nicht in irgendeiner Kaschemme versackt bist.“
„Ich kann’s nur wiederholen: Jakob ist zu beneiden.“
Katja lachte. „Ja, ja, schon gut.“ Sie legte auf und rief ihren Verlobten an, um ihm die ganze Geschichte zu erzählen.
Jakob war mit einem Klienten bis spät in die Nacht aus gewesen. Mit Vergnügen hatte das nichts zu tun gehabt. Es war harte Arbeit gewesen, aber der Einsatz hatte sich gelohnt.
„Dem Himmel sei Dank, dass dieser permanente Kriegszustand zu Ende ist“, sagte der junge Rechtsanwalt erleichtert. „Hoffentlich findet Kurt nun eine Frau, die besser zu ihm passt. Ich würde es ihm wünschen.“
Tags darauf erschien Birgit Mendl mit einem wunderschönen großen Blumenstrauß bei Katja Stemmle.
„Sind die für mich?“, fragte Katja überrascht.
Birgit lachte. „Für wen sonst?“
„Ich habe weder Geburtstag, noch sonst was zu feiern.“
„Die Blumen sind ein farbenfrohes Dankeschön von mir für dich“, sagte Katjas blonde Freundin.
Katja schmunzelte. „Was habe ich denn angestellt?“
,,Du hast mir den Job bei Jakob verschafft.“
„Ach, das.“
„Ich bin dir dafür sehr dankbar, und das sollen diese Blumen zum Ausdruck bringen“, erklärte Birgit. „Die Arbeit bei Jakob ist interessant und abwechslungsreich, und zudem ist dein Verlobter der beste Chef, den ich jemals hatte - geduldig, tolerant und großherzig. Es ist eine Freude und ein Vergnügen, für ihn zu arbeiten.“
Jakob Hofbauer versuchte Kurt Haagen mit seiner schönen Sekretärin Birgit Mendl zusammenzuspannen, doch es funktionierte nicht. Das Unternehmen scheiterte nicht nur daran, dass Kurt sofort die Stachel aufstellte, wenn er merkte, dass man ihn verkuppeln wollte, sondern auch daran, dass die an und für sich sehr flirtfreudige Birgit den besten Freund ihres Arbeitgebers zwar sehr attraktiv fand, jedoch eine völlig andere Wellenlänge als dieser hatte - und so wurde aus den beiden bedauerlicherweise kein Paar.
Als Jakob einsah, dass die ganze - gutgemeinte - Kuppelei keinen Zweck hatte, gab er auf. Und zwei Wochen später wurde Kurt Haagen selbst fündig.
Er traf sich mit Katja und Jakob in einer Pizzeria und erzählte ihnen bei einer Riesenportion Spaghetti Carbonara von einer zuckersüßen Maus namens Lotte Gerstäcker.
„Wo hast du sie kennengelernt?“, wollte Jakob wissen.
„In dem Kaufhaus, in dem sie arbeitet“, gab sein Freund bereitwillig Auskunft.
„Ach, sie ist Verkäuferin.“
Kurt Haagen nickte mit strahlenden Augen.
„In der Herrenabteilung. Ich hatte die Absicht, eine Krawatte zu kaufen und ließ mich von ihr beraten. Ein Wort ergab das andere, und irgendwann habe ich mich dann mit ihr verabredet. Sie hat ebenfalls eine Enttäuschung hinter sich.“
„Du hast ihr von Barbara erzählt?“
„Es hat sich so ergeben.“
„Wie sieht sie aus?“, erkundigte sich Jakob Hofbauer. „Ist sie hübsch?“
„Sie ist klein und zierlich, hat wunderschöne große dunkle Augen, und wenn sie lacht, geht einem das Herz auf“, schwärmte Kurt von seiner neuen Flamme.
„Wie alt?“, fragte Jakob.
„So alt wie Katja“, gab Kurt zur Antwort.
„Haarfarbe?“
„Ihr Haar ist lang und schwarz und glänzt wie der Flügel einer Krähe.“
Katja sah ihren Verlobten an und schüttelte ermahnend den Kopf.
„Was du alles wissen willst ...“
Der junge Anwalt zeigte mit seiner Gabel auf den Freund.
„Er hätte sie mitbringen sollen, dann hätten sich diese Fragen erübrigt.“
„Wir haben sehr viel Spaß zusammen“, schwärmte Kurt weiter. Ein verklärtes Lächeln umspielte seine Lippen. „Lotte sagt, ich bin die große Liebe ihres Lebens.“
„Das sagt sie schon nach so kurzer Zeit?“ Jakob staunte. „Wie kann sie sich da schon so sicher sein?“
Kurt lächelte stolz und glücklich. „Sie ist sich eben schon sicher.“
„Und wie steht es mit dir?“, wollte Jakob wissen.
„Ich habe Lotte auch sehr gern“, antwortete Kurt.
„Ist sie auch für dich die ganz große Liebe?“
„Bei mir geht das nicht so schnell“, sagte Kurt gedämpft.
„Wo ist sie?“, fragte Jakob Hofbauer. „Warum versteckst du sie vor uns? Du kannst dir doch denken, dass wir wahnsinnig neugierig auf sie sind.“
„Ihr werdet sie demnächst kennenlernen“, versprach Kurt. „Sie befindet sich zur Zeit in Nürnberg. Ihrem Vater geht es gesundheitlich nicht gut. Sie führt ihm den Haushalt, bis er über dem Berg ist. Sie ruft mich jeden Tag an.“
„Eine brave Tochter ist sie also auch noch“, sagte Jakob Hofbauer grinsend. „Katja und ich brennen darauf, ihre Bekanntschaft zu machen. Sag ihr das, wenn du wieder mit ihr telefonierst.“
Eine Woche später lernten sie Lotte Gerstäcker kennen, und sie fanden, dass Kurts Begeisterung durchaus berechtigt war. Lotte war eine liebenswerte, sympathische Person mit vernünftigen Ansichten. Wenn man mit ihr redete, hatte man das Gefühl, sie schon seit Jahren zu kennen.