Ein bisschen Happy End, bitte! - Saskia Louis - E-Book

Ein bisschen Happy End, bitte! E-Book

Saskia Louis

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Beschreibung

Wenn Liebe eine zweite Chance verdient ...
Ethan Kavanaghs Leben ist ein Haufen Müll. Sein Haus kann er sich nicht leisten, seine Heimatstadt möchte ihn ungefragt zum Bürgermeister ernennen und sein kaputtes Bein könnte ihn den Job als Feuerwehrmann kosten. Was er braucht, ist eine gute Physiotherapeutin und seine Ruhe. Was er bekommt, ist die Nummer seiner Ex-Freundin und somit eine Katastrophe mit Ansage. Denn obwohl er sich geschworen hat, Laura nie wieder in sein Leben zu lassen, kriegt er sie seit Jahren nicht aus dem Kopf ...
Laura Wilsons Leben ist mehr als passabel. Sie liebt ihren Job, hat fantastische Freunde und mit ihrer exzentrische Mutter kommt sie auch klar. Dass sie nur einmal im Jahr datet und noch nie "Ich liebe dich" gesagt hat, stört sie nicht im geringsten. Egal, was ihre beste Freundin behauptet: Das Ganze hat nichts mit Ethan zu tun, über den sie schon seit Jahren hinweg ist. Und wenn sie ihn als Patient aufnehmen muss, um das zu beweisen, dann wird sie das tun! Was soll schon passieren? Sie verbindet nichts mehr - außer tausend ungesagte Worte und diese blöde Körperchemie ...
*

»Und jetzt zieh deine Hose aus.«

»Was?«, fragte er perplex.

Sie warf ihm einen ironischen Blick zu. »Zieh sie aus – oder hast du gedacht, ich behandle dein Bein, indem ich magische Steine auflege?«

Zögerlich wanderte sein Blick von ihrem Gesicht zu seinen Beinen und zurück. »Na ja, nein, aber …«

»Aber?«, fragte sie scheinheilig. »Du bist schüchtern und schämst dich für deinen Körper? Du hast dir, seit ich dich das letzte Mal nackt gesehen habe, ein Krümelmonster auf den Oberschenkel stechen lassen und willst nicht, dass ich es sehe?«

Er schnaubte laut und verdrehte die Augen. »Ist ja schon gut. Ich hätte damit rechnen sollen, dass du mir direkt wieder an den Gürtel willst.«

Jeder Band der Reihe kann unabhängig voneinander gelesen werden.

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EIN BISSCHEN HAPPY END, BITTE!

 

 

SASKIA LOUIS

 

Impressum

 

Copyright © 2022 by Saskia Louis

Erstausgabe April 2022

Lektorat: Marie Weißdorn

Korrektorat: Klaudia Szabo

 

Coverdesign: Sarah Buhr - www.covermanufaktur.de

unter Verwendung von Bildmaterial von pixelliebe; martnussumbaji/ Adobe Stock sowie white snow/ Shutterstock und _fla/ Depositphotos

 

Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung der Autorin wiedergegeben werden.

Handlungen und Personen dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

 

Saskia Louis

Wegemanns Feld 16

45527 Hattingen

[email protected]

 

www.saskialouis.com

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Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Epilog

Na, schon fertig?

Weitere Bücher der Autorin

Du kriegst von humorvollen Liebesromanen nicht genug?

Für alle, die Fehler machen.

Wir sollten aus ihnen lernen – nicht von ihnen unser Leben bestimmen lassen.

 

 

Kapitel 1

 

Guck immer nach rechts und links, bevor du eine Straße überquerst. Auch wenn du kurz davor bist, das Sudoku auf deinem Handy zu lösen.

 

Ethan Kavanagh, aus der Reihe »Was hast du aus der Vergangenheit gelernt?«

 

Über Ethan Kavanagh musste man genau vier Dinge wissen.

Erstens: Er liebte seinen Job.

Zweitens: Er liebte seine Familie.

Drittens: Er liebte Eden Bay.

Und viertens: Er war der schlechteste Schnick-Schnack-Schnuck-Spieler seit der Erfindung von Papier.

»Ethan, du nimmst immer Stein«, sagte Harper ungläubig und ließ ihre flach ausgestreckte Hand sinken. »Immer!«

»Das ist sogar mir schon aufgefallen«, bemerkte Wyatt kopfschüttelnd und sah Ethan mitleidig an. »Und ich arbeite erst seit einem Jahr bei euch auf der Wache. Ethan: Du bist ein Feuerwehrmann, der nicht durch Flammen, aber mit Hilfe eines einfachen Stück Papiers in die Knie gezwungen werden kann. Das ist traurig.«

Ethan schnaubte und löste seine Faust. Er rettete beruflich Leben, hatte ein Sixpack und konnte einen Stein bis zu sechzehnmal über eine Wasseroberfläche flippen lassen. Er hatte wirklich nicht das Gefühl, seine Männlichkeit weiter beweisen zu müssen.

»Das ist pure Absicht«, log er leichthin. »Ich infiltriere euren Geist damit, dass ich immer Stein nehme – und wenn es um eine wirklich wichtige Entscheidung geht, überfalle ich euch hinterrücks mit einer Schere.«

Seine Schwester schnaubte laut. »Oh, so ein Blödsinn. Du passt nicht auf, reagierst zu langsam und kriegst es nicht hin, deine Hand schnell genug zu öffnen.«

Ja, okay. Das war der wahre Grund. Aber ganz ehrlich, wer hatte sich überlegt, dass Papier in einem direkten Duell gegen einen Stein gewinnen würde?

Einen Stein in Papier einzuwickeln, tat dem Stein nicht weh. Im Gegenteil, es machte ihn nur geheimnisvoll und somit um einiges mächtiger. Warum zur Hölle war er dann schwächer als das zerbrechliche Pflanzenfaserkonstrukt?

»Nun, wie auch immer«, meinte Wyatt achselzuckend und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Damit ist entschieden: Du wirst in den See steigen, um die Schwanennester abzusperren, damit sie in Ruhe brüten können.« Er nickte zum Lake Lily neben ihnen, der dank der tiefstehenden Julisonne glitzerte wie tausend falsche Diamanten.

Ja, das konnte er vergessen.

»Es ist egal, dass ich verloren habe«, sagte Ethan entschuldigend und hob abwehrend die Hände. »Ich kann ohnehin nicht in den See waten.« Er deutete an seinem Bein hinab.

Harper verengte die Augen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Findest du nicht, dass du langsam mal aufhören könntest, dein gebrochenes Bein als Ausrede zu benutzen?«

Nein, nicht mal ein bisschen. »Ich kann zurzeit nur mühsam gerade stehen, Harper«, sagte er düster. »Wie soll ich da in diesen See klettern und das Absperrband befestigen?«

Seine Schwester stöhnte frustriert auf. »Wenn du so ein Invalider bist, wieso arbeitest du dann schon wieder?«

Weil Ethan zu Hause vor Langeweile gestorben war … und eigentlich längst wieder fit sein sollte.

Shit. Wenn er ehrlich war, wünschte er, dass sein Bein wirklich nur eine Ausrede wäre, die er gegen lästige Aufgaben vorschob. Aber es stimmte: Er konnte im Moment wirklich nur mühsam gerade stehen.

Es war bereits nach sechs, das hier war der letzte Auftrag vor Ende ihres Diensts, und morgens und abends schmerzte es nun einmal am schlimmsten. Den Tag über vergaß Ethan sogar öfter einmal, dass er sich das Bein vor vier Monaten an zwei Stellen äußerst ungünstig gebrochen hatte. Doch sobald seine Schicht sich dem Ende zuneigte, fingen die Muskeln an zu krampfen und ihn daran zu erinnern, dass er keine zwanzig mehr, sondern vierunddreißig war und seine Knochen nicht mehr ganz so leicht heilten wie früher.

»Ich bin nicht invalide«, stellte er klar und sah Harper verärgert an. »Ich kann einen Krankenwagen fahren, ich kann eine Herzmassage geben und wenn es darauf ankommt, könnte ich auch in ein brennendes Haus rennen und jemanden aus den Flammen ziehen.« Auch wenn er es in seiner derzeitigen Verfassung nur wirklich ungern ausprobieren würde. »Das Einzige, was ich nicht kann, ist in einen eiskalten See zu springen und vernünftige Schwimmbewegungen zu machen.«

Harper durchleuchtete ihn mit einem skeptischen Blick, als wolle sie ergründen, ob er sie an der Nase herumführte. Doch sie schien zu dem Schluss zu kommen, dass Ethan niemals eine Schwäche eingestehen würde, wenn er nicht müsste. Was die absolute Wahrheit war.

»Schön, Wyatt, dann geh du rein«, bestimmte Harper seufzend.

Der Dritte im Bunde zog eine Grimasse und fuhr sich durch die dunkelblonden Haare. »Ich bin dazu in der Lage, einen Hubschrauber zu fliegen – ich sollte keine trivialen Arbeiten wie Schwanenschutz übernehmen müssen«, gab er zu bedenken.

Einige endlose Momente lang fuhr Harpers Blick ungeduldig und abschätzend zwischen ihnen beiden hin und her.

»Ihr seid lächerlich«, rief sie schließlich düster und zog sich das T-Shirt über den Kopf. »Alle beide!«

Um zu diesem Schluss zu kommen, hatte sie mehr als ein paar Sekunden gebraucht? Ethan fand, das war doch recht offensichtlich.

»Danke, Lämmchen!«, rief er ihr hinterher, während sie sich auch ihrer Hose entledigte, das Absperrband nahm und kurzerhand in Unterwäsche auf den See zuging.

Sie zeigte ihm den Mittelfinger.

Wyatt lachte leise. »Du hättest dich wirklich nicht ausziehen müssen, Harper! Du hättest von der Seite in deiner Kluft reinwaten können.«

Sie schwenkte ihren Mittelfinger in seine Richtung.

Ethan grinste. »Ich bin schockiert! Was würde Mama sagen, wenn sie das sehen könnte?«

»Dass du ein Weichei bist und ich ihr Lieblingskind!«

»Da ist was Wahres dran«, stimmte Wyatt zu. Er war der Freund von Ava, dem Ehrenmitglied der Familie Kavanagh, und mittlerweile bei jedem Familienessen dabei. Er konnte also leider eine recht gute Einschätzung darüber geben, wer gerade in Irene Kavanaghs Gunst stand und wer nicht. »Du beleidigst deine Mutter zutiefst, indem du noch immer Single bist, Eth. Harper befindet sich zumindest in einer gefestigten Beziehung und gibt ihr Hoffnung auf weitere Enkelkinder.«

Er schnaubte und rieb abwesend über seinen linken Oberschenkel, der innerhalb der letzten halben Stunde angefangen hatte, dumpf zu pochen. »Ich würde ja lachen, wenn es nicht wahr wäre«, bemerkte er unzufrieden. »Das Erste, was sie mir im Krankenhaus gesagt hat, war: Oh nein. Das gebrochene Bein wirst du doch nur wieder benutzen, um dich vor einer echten Beziehung und einer Traumhochzeit zu drücken.«

Wyatt, der Bastard, grinste breit. »Eine weise Frau, deine Mutter. Denn genau das tust du.« Er seufzte theatralisch auf. »Du verschließt dich vor der wahren Liebe und nutzt jeden Stolperstein in deinem Leben, um das zu rechtfertigen.«

Oh, bitte. Er brauchte keine Ausrede. Wenn er allein bleiben wollte, würde er allein bleiben. Es war sein Leben. Er musste nicht rechtfertigen, warum er Liebe für ein schrecklich dämliches Konzept hielt, das mehr Schaden als eine Handgranate anrichten konnte. Es war eben so. Punkt.

Freundlich lächelte er Wyatt an. »Weißt du, du warst so ein cooler Typ, als du bei uns angefangen hast. Aber seit du mit Ava zusammen bist, scheint dein Kopf nur noch mit Einhörnern, rosa Wolken und einer großen, gähnenden, verliebten Leere gefüllt zu sein.«

Der Hubschrauberpilot sah nicht im Mindesten beleidigt aus. »Ich weiß – und es ist fantastisch. Was hast du deiner Mutter denn auf ihren Vorwurf geantwortet, wenn ich fragen darf?«

Er zuckte die Achseln und beobachtete Harper dabei, wie sie das Absperrband an ein paar Schilfrohren befestigte.

»Dass ich womöglich niemals heiraten werde«, antwortete er abwesend.

Missbilligend schnalzte Wyatt mit der Zunge. »Du bist herzlos, deine Mutter derart zu schockieren. Das kann unmöglich gut für ihren Blutdruck gewesen sein.«

»Na ja, es ist wahrscheinlich die Wahrheit. Ich dachte, es wäre nur fair von mir, sie sich schon einmal an diesen Gedanken gewöhnen zu lassen.«

Abgesehen davon: Sie hatte fünf Kinder und drei davon waren entweder verheiratet oder in einer ernsten Langzeitbeziehung. Ethan fand, seine Mutter sollte damit leben können, wenn einer ihrer Söhne sich gegen Ehe und Familie entschied.

Skeptisch sah Wyatt ihn an. »Glaubst du das wirklich?«

»Jop«, sagte er knapp und meinte es so.

Es hatte in Ethans Leben nur eine einzige Frau gegeben, die er geheiratet hätte.

Eine Frau, in die er so furchtbar verliebt gewesen war, dass er ein ganzes Jahr lang aufgehört hatte zu funktionieren, als ihre Beziehung in spektakuläre Flammen aufgegangen und zu Asche zerfallen war. Es war egal, wer die Schuld daran trug, dass es nicht funktioniert hatte – auch wenn Laura seiner Meinung nach größeren Mist verzapft hatte als er –, unterm Strich war er nach ihr ein Wrack gewesen. Ein erbärmliches, eifersüchtiges, zielloses, todunglückliches Wrack, das er selbst nicht wiedererkannt hatte. Er hatte die Stadt verlassen, ein Jahr im Ausland leben und seine gesamte Bettwäsche verbrennen müssen, um wieder zu Sinnen zu kommen.

Ethan hatte absolut keine Lust, je wieder an diesen Punkt zurückzukehren. Es war mittlerweile fast acht Jahre her, doch er erinnerte sich noch sehr gut an all die schrecklichen Gefühle, die er damals durchlitten hatte.

Wenn ein Leben als Dauersingle also bedeutete, sich niemals wieder so fühlen zu müssen, war das ein Preis, den er bereit war zu zahlen.

Auch wenn er wusste, dass er zurzeit nicht der glücklichste Keks im Kuchenland war – zumindest war er auch nicht der beschissen unglücklichste von damals.

Wyatt sah noch immer nicht überzeugt aus. »Ach, ich dachte das auch mal. Aber du wirst deine Meinung ändern, sobald du die richtige Frau triffst.«

Nein, würde er nicht. Denn er hatte die richtige Frau getroffen – und sie hatten einander das Herz gebrochen.

»Was auch immer«, sagte er und winkte ab. »Kannst du Ava nicht endlich mal einen Antrag machen? Das würde Mom für ein paar Monate ablenken.«

»Untersteh dich, Wyatt!«, rief Harper übers Wasser, die ihre Unterhaltung offenbar mitangehört hatte. »Das würde Mom nur als Anlass nehmen, Adam und mich ebenfalls zum Altar zu drängen.«

Wyatt lachte leise. »Mach dir keine Sorgen, Harpyie. Wir sind noch nicht so weit.«

Oh, bitte. Ethan gab ihnen noch sechs Monate, dann waren sie verlobt und er würde auf eine weitere Hochzeit gehen müssen, die ihn mit einem bitteren Gefühl im Magen zurückließ. Und es würde nicht bei dieser bleiben.

Alle seine Freunde und Kollegen waren verlobt, verheiratet, erwarteten ihr erstes Kind oder planten, eins zu bekommen.

Es war furchtbar.

Tief atmete er durch, während Wyatt und Harper sich weiter schreiend über Hochzeit und Co. unterhielten.

Ethan schaltete ab und ignorierte jedes einzelne Wort.

Zurzeit hatte er nicht einmal Lust zu daten.

Ehrlich gesagt wollte er einfach nichts mehr von diesem Blödsinn hören!

 

»Ethan, ich hab die perfekte Frau für dich!«

Seufzend schlug Ethan die Autotür hinter sich zu. So viel dazu. »Sag mal, Ava, hast du extra hier auf dem Bürgersteig vor meinem Haus gelungert und auf mich gewartet, um mir exakt das sagen zu können?«

»Nein, ich hab auf Wyatt gewartet«, bemerkte sie lächelnd und gab besagtem Mann, der gerade den Wagen abschloss, einen Kuss auf die Wange. »Dass ich dich ebenfalls erwische, war nur ein kleiner Bonus.«

Klasse.

Ethan rieb sich über das Gesicht, denn Avas Strahlen war zu viel für jede Energiesparlampe – und heute auch zu viel für ihn.

Die rothaarige Ärztin war seit Kurzem seine Nachbarin, da sie zu Wyatt gezogen war, der das Haus nebenan bewohnte.

Ethan liebte Ava. Er kannte sie sein halbes Leben lang und sie war so etwas wie eine Schwester für ihn. Aber er hasste es, dass sie sein Privatleben als persönlichen Spielplatz ansah.

Sie war der Meinung, dass jeder Mensch auf der ganzen Welt – aber vor allem in Eden Bay – seinen Seelenverwandten finden sollte.

Als Ethan ihr jedoch hatte verklickern wollen, dass seine Seelenverwandten ein Guinness und ein Glas Nutella waren, hatte sie ihn düster angesehen und einen bedrohlichen Zeigefinger auf ihn gerichtet, der E.T. neidisch gemacht hätte. Seitdem schwärmte sie ihm ständig von irgendwelchen Traumfrauen vor, die sein Herz im Sturm erobern würden.

Aber Ethan mochte keine Stürme. Wegen denen wurde er nämlich nachts aus dem Schlaf geklingelt, um bei Notfalleinsätzen der Feuerwehr auszuhelfen. Er verzichtete also liebend gern darauf.

»Ich hab kein Interesse, Ava«, sagte er freundlich. »Aber vielen Dank, dass du an mich gedacht hast.«

Er hob die Hand und lief den Kiesweg zu seinem Haus hinauf. Die zweistöckige, hellblaue, hölzerne Schönheit mit weißen Fensterläden, einem weinroten Gartenzaun und dunkelgrauen Schindeln stand am Fuß der grünen Berge, die Eden Bay zu einem beliebten Ziel von Outdoor-Fans jeglicher Art machten. Es roch nach den Kiefern des Waldes, der es umringte, und nachts, wenn Ethan nicht schlafen konnte, kletterte er aufs Dach und besah sich den klaren Sternenhimmel von Maine, der zwischen den sanft wiegenden Wipfeln hindurchschimmerte.

Ethan liebte alles an dem Haus.

Alles, bis auf die Tatsache, dass er es sich eigentlich nicht hatte leisten können.

Aber er träumte seit seiner Kindheit davon, irgendwann ein Häuschen im Wald mit weitläufigem Garten, zirpenden Grillen und dem Sternenhimmel zum Greifen nah zu besitzen. Als er gesehen hatte, dass dieses hier zum Verkauf stand, war ihm also keine andere Wahl geblieben, als ein Angebot zu machen.

Und nun, fast ein Jahr später, hatte er einen Berg an Schulden, seinen Bruder Jax als Mitbewohner und eine Katze namens Bello, die ihn hasste, weil er sich weigerte, seine Hände mit Thunfisch einzuschmieren.

Alles in allem hatte Ethan sich sein Leben als Mittdreißiger früher immer etwas anders vorgestellt. Aber es könnte weitaus schlimmer aussehen.

»Ethan! Ethan, bleib stehen, du Blödmann.«

Stöhnend hielt er inne. Aber wenn Ava schon so skandalöse Ausdrücke wie Blödmann in den Mund nahm, musste es ernst sein. »Ja?«, fragte er unschuldig und wandte sich um.

Verärgert stemmte sie die Hände in die Seiten, während ihre Augenbrauen zu einer zornigen, geraden Linie verschmolzen. »Du hast schon Nein gesagt, bevor ich dir überhaupt erzählt habe, wer genau diese perfekte Frau ist«, sagte sie genervt.

»Das musst du nicht«, versicherte er ihr. »Ich steh nicht auf perfekte Frauen. Sie schüchtern mich ein und erinnern mich an meine Unzulänglichkeiten.« Tief seufzend legte er sich die Hand auf die Brust.

Ava verdrehte ausdrucksstark die Augen. »So ein Schwachsinn, du ignorierst deine Unzulänglichkeiten seit deinem zehnten Lebensjahr so gekonnt, dass viele Frauen tatsächlich glauben, du hättest keine.«

Ein Lächeln zog an seinen Mundwinkeln. »Es ist ein Talent.«

»Nein, es ist eine Zumutung«, korrigierte sie ihn sachlich. »Also, gib der Frau wenigstens eine Chance, bevor du direkt Nein sagst! Sie ist Ärztin, so wie ich. Sie hat eine große Familie, so wie du. Sie liebt den Wald und Feuerwehrserien, weshalb sie definitiv auf dich stehen wird, und ist auch wirklich lustig. Sie hat mir letztens zum Beispiel erzählt, dass …«

Ethan schaltete ab. Ebenfalls eines seiner Talente. Worte, die er nicht hören wollte, einfach auszublenden.

Denn liebe Güte, Ava musste wirklich aufhören zu reden.

Ethan wollte nichts als sich hinzusetzen, bevor der stechende Schmerz in seinem Bein zu einem brutalen Ziehen heranwuchs. Dennoch ließ er sie weiterreden und nickte ab und zu, denn seine Mutter hatte ihm ja einbläuen müssen, dass Höflichkeit wichtig war.

Seine angespannten Muskeln fingen an zu zittern und Schweiß trat auf seine Stirn.

Fuck.

Vielleicht hatte Harper ja doch recht. Er war ein Invalider.

Ein Invalider, der Ava Einhalt gebieten musste, bevor er seitlich auf seinen ungemähten Rasen kippte. »Ich will nicht daten, Ava«, unterbrach er sie laut. »Egal, was du mir über diese tolle Frau erzählst: Ich will sie nicht kennenlernen.«

Verblüfft öffnete seine Freundin den Mund. »Aber warum nicht?«

»Muss ich denn einen Grund haben?«, fragte er gequält.

»Ja«, erwiderte sie verdutzt.

»Schön. Ich bin schwul! Deswegen nicht interessiert.«

Ava schnaubte, bevor sie ihn mit nachdenklich verengten Augen durchleuchtete. »Es ist immer noch wegen Laura, oder?«, fragte sie schließlich mitfühlend.

Oh, großer Gott. Diesen Brunnen würde Ethan sicherlich nicht hinabpurzeln. »Nein, Ava«, sagte er ungeduldig. »Es ist nicht wegen meiner Ex-Freundin, von der ich mich vor acht Jahren getrennt habe.«

»Ich glaube dir nicht«, sagte sie schlicht. »Abgesehen davon bin ich mir ziemlich sicher, dass sie es war, die sich von dir getrennt hat.«

Ethan spannte den Kiefer an.

Ja, vielleicht. »Vollkommen egal!«, sagte er mit Nachdruck. »Ich bin seit Ewigkeiten über Laura hinweg, sie ist mir absolut gleichgültig – trotzdem möchte ich gerade niemanden kennenlernen. Ich hab andere Dinge im Kopf, Ava. Es wäre also sehr freundlich, wenn du endlich aufhören würdest, zu versuchen, mich zu verkuppeln!«

»Aber ich will, dass du glücklich bist, Eth«, sagte sie vorsichtig.

»Ich bin glücklich genug, Ava!«

»Aber …« Sie seufzte schwer und sah ihn unzufrieden an. »Wenn man verliebt ist, erscheint die Welt besser, weißt du?«

Er schnaubte. »Ja, natürlich. Weil man dümmer ist.«

Avas Blick verdüsterte sich sofort. So wie immer, wenn man in ihrer Gegenwart über die Liebe herzog. »Gefühle machen nicht dumm!«

Das war Ansichtssache. »Ist mir alles egal, solange wir dieses Gespräch jetzt endlich beenden.«

Ava sah ihn an, als habe er soeben Armor mit einem Pfeil erschossen.

Jaja, er verhielt sich wie der letzte Idiot und es tat ihm ja auch leid … aber er hatte verdammt noch mal Schmerzen. Immer, wenn er sein Bein zu lang belastete oder auch nur im falschen Winkel drehte, fühlte es sich an, als habe jemand eine Packung brennender Streichhölzer sein Hosenbein hinuntergeworfen.

Das sagte er natürlich niemandem. Nicht, weil er ein starker Mann und hart im Nehmen war – obwohl beides natürlich stimmte –, sondern schlichtweg, weil er es nicht mehr ertrug, von seiner gesamten Familie bemuttert zu werden. Abgesehen davon hatte sein Freund Jon, der Held, der ihn umgefahren hatte, ohnehin schon schlimme Schuldgefühle. Dabei war es nicht seine Schuld gewesen.

Wenn Ethan die Wahl gehabt hätte, hätte er der ganzen Stadt irgendeine heroische Geschichte über seinen Beinbruch erzählt. Dass er ein verletztes Eichhörnchen aus dem Baum gerettet hatte. Oder aber ein Baby vorm Ertrinken bewahrt hatte, aber beim Sprung von der Klippe an einem kantigen Felsen hängengeblieben war.

Leider hatte halb Eden Bay beobachtet, wie er mit Blick auf sein Handy auf die Straße spaziert war, Jon ihn mit fünf Stundenkilometern angestupst hatte und er scheiße unglücklich auf die Bordsteinkante gefallen war. Er würde also für immer der dämliche Typ bleiben, der sich sein Bein wegen des fast fertigen Sudokus auf seinem Handy an zwei Stellen gebrochen hatte. Was schade war, da er bereits der dämliche Typ war, der sich ein Haus gekauft hatte, das er sich nicht leisten konnte und der dämliche Typ, der an den Weihnachtsmann geglaubt hatte, bis er vierzehn war.

Die Knochen waren wieder zusammengewachsen und laufen konnte er auch, aber die Muskeln um seinen Oberschenkel waren noch immer steif und die Narbe, die die OP an seinem Bein nach sich gezogen hatte, schmerzte höllisch, wenn er es falsch bewegte. Was äußerst schlecht war, denn er brauchte für seinen Job einen voll funktionstüchtigen Körper.

Und jetzt brauchte er ihn eigentlich auch, denn shit, seine Muskeln gaben unter seinem Gewicht nach.

Im nächsten Moment sank er unbeholfen auf die Stufe vor seiner Haustür und sog zischend Luft ein. Das war unangenehm, aber noch immer besser, als vor Schmerzen in Ohnmacht zu fallen.

»Fuck«, entfuhr es ihm, bevor er mit beiden Händen über das Bein rieb, um die Muskelstränge zu entspannen.

»Ethan!«, sagte Ava bestürzt und hockte sich sofort vor ihn hin. »Was zur Hölle? Warum sagst du denn nichts?«

»Es ist halb so wild«, log er, während Übelkeit seinen Hals hinaufkletterte. Er hatte es diesmal wirklich zu sehr ausgereizt.

»Du meintest letzte Woche beim Familienessen noch, dein Bein täte nicht mehr weh!«, rief sie vorwurfsvoll.

»Es tut ja auch nicht weh … wenn ich es nicht bewege.«

Ava schlug ihm fest gegen die Schulter. »Du Schwachkopf, ernsthaft! Nimmst du deine Schmerztabletten nicht mehr?«

Er verzog das Gesicht. »Nein. Nicht mehr seit einem Monat. Ich will nicht abhängig von den Dingern werden.«

»Aber wenn es immer noch wehtut …«

»Es ist wirklich nicht so schlimm, Ava«, versicherte er ihr.

»Ich bin Ärztin, Ethan. Ich weiß, wie Schmerz aussieht«, erwiderte sie kühl.

Er schüttelte den Kopf. »Der Bruch ist nur halb so schmerzhaft gewesen wie unser Gespräch gerade, glaub mir.«

Die Rothaarige stieß einen frustrierten Ton aus, den Ethan sonst nur von seiner Mutter kannte, wenn sein Dad mal wieder zu spät zum Essen kann. »Gehst du noch zur Physiotherapie?«

»Nein. Der Typ, der mich behandelt hat, war unfähig.«

»Warum sagst du mir das denn nicht? Ich hätte dir eine Empfehlung geben können.«

Unschlüssig sah er sie an, während der stechende Schmerz in seinem Bein langsam abebbte und er wieder klarer denken konnte. Jetzt, da er darüber nachdachte, war es tatsächlich ein Versäumnis gewesen, sich keinen neuen Physiotherapeuten zu suchen. Er war nur so beschäftigt und frustriert gewesen und hatte sich eingeredet, dass er keine Hilfe brauchte … aber er wollte nicht für den Rest seines Lebens unter Schmerzen leiden.

Seufzend schloss er die Augen, bevor er nickte. »Okay. Du hast recht. Also: Kennst du einen guten Physiotherapeuten?«

»Ich kenne die beste Physiotherapeutin in ganz Maine«, war Avas sofortige Antwort, bevor sie innehielt.

Ethan öffnete ein Auge. »Okay, schreib mir die Nummer auf. Ich ruf da an.« Weitere Informationen wollte er gar nicht haben. Ihm war gerade egal, wer ihm half. Ob Pferd mit magischen Hufen oder alter Knacker mit Vorliebe für Räucherstäbchen, solange die Schmerzen nur besser wurden, konnte er mit allem leben. Und er vertraute Avas Fachkenntnissen.

Ava biss sich auf die Unterlippe, öffnete den Mund … doch kein Ton kam daraus hervor. Schließlich nickte sie, zog einen kleinen Block aus ihrer Handtasche und schrieb ihm eine Nummer auf. »Hier«, meinte sie knapp und steckte den Zettel in die Brusttasche seines Hemdes, bevor sie aufstand und die Hände zu ihm herunterstreckte. »Und jetzt komm. Ich helfe dir auf die Beine.«

Dankbar griff er zu und ließ sich hochziehen.

Ja, die Physiotherapie war eine gute Idee. Vielleicht würden die Schmerzen dann endlich besser werden.

 

Kapitel 2

 

Lüge deine beste Freundin nicht an. Und wenn du es doch tust – sei verdammt noch mal überzeugender!

 

Laura Wilson, aus der Reihe »Was hast du aus der Vergangenheit gelernt?«

 

»Sie tun mir weh!«

»Ich hab Sie kaum berührt, Mr Gold.«

»Doch, Sie haben Ihre Klauen in meinen Rücken geschlagen!«

Laura Wilson betrachtete ihre kurzgeschnittenen Fingernägel und schürzte die Lippen. »Sie haben recht. Ich hatte gehofft, auf Blut für mein nächstes satanistisches Ritual zu stoßen. Aber Ihre Haut ist einfach zu dick, Mr Gold.«

Der alte Mann grummelte unzufrieden und hob den Kopf aus dem Ring an der Vorderseite der Liege. »Sie halten sich wohl für sehr witzig, was?«

»Nicht sehr witzig, aber schon etwas witzig«, gab sie zu und lächelte zu ihm hinab. »Und es sind nicht meine Klauen, die Ihnen wehtun. Es sind Ihre verspannten Muskeln. Haben Sie überhaupt eine einzige der Übungen gemacht, die ich Ihnen gezeigt habe, Mr Gold?«

»Ich hab es versucht, aber sie waren anstrengend!«, beschwerte er sich.

Seufzend trat sie einen Schritt zurück.

An den meisten Tagen liebte sie ihren Job. Denn sie mochte es, Menschen zu helfen, und wusste, dass sie gut darin war. Aber sie konnte nicht die ganze Arbeit leisten! Die Patienten mussten ihren eigenen Teil dazu beitragen.

Doch die meisten verhielten sich wie bockige Teenager, die Hausaufgaben für unter ihrer Würde hielten!

»Wir sind hier für heute fertig, Mr Gold«, sagte sie, bemüht darum, ihre Stimme freundlich und geduldig zu halten. »Aber wenn Sie wirklich wollen, dass Ihre Rücken- und Knieschmerzen besser werden, müssen Sie die Übungen machen, die ich Ihnen gezeigt habe. Verstanden?«

»Jaja«, grummelte er, setzte sich hin und zog sich sein Hemd wieder über den knochigen Körper.

Laura verengte misstrauisch die Augen, bevor sie gefährlich leise sagte: »Wenn Sie es nicht tun, verpetze ich Sie bei Ihrer Frau.«

Der alte Mann machte große Augen. »Das würden Sie nicht wagen!«

»Oh, bitte.« Sie stemmte die Hände in die Seiten. »Ich behandle sie seit zwei Jahren, Mr Gold – Sie sollten mich mittlerweile besser kennen.«

Unzufrieden grummelte er etwas, das sich nach »gemeingefährliche Hexe« anhörte.

Ach, Laura hatte schon weitaus schlimmere Dinge an den Kopf geworfen bekommen. Sie war von ihrer ehemaligen Schwägerin als herzloses Miststück und von diversen Männern, die sie aus der Wohnung ihrer Mom geworfen hatte, als Brut des Teufels bezeichnet worden. Nur Letzteres traf womöglich zu. Der Rest kümmerte sie nicht wirklich.

»Bis nächste Woche dann, Mr Gold«, meinte sie lächelnd. »Ein schönes Wochenende Ihnen.«

»Junge Dame, ich bin einundsiebzig Jahre alt, jeder Tag ist bei mir Wochenende«, bemerkte er selbstzufrieden und schnalzte mit der Zunge.

Sie lachte und hob die Hand. »Na, dann … dann wünsche ich Ihnen überhaupt nichts.«

»Wundervoll!« Er nickte fest, bevor er den Behandlungsraum verließ.

Laura gähnte und sank gegen die Liege. Es war Freitag und freitags war sie immer erschöpfter als sonst. Denn an diesem Tag hatte sie sich bereits vier Tage lang den Mund fusselig geredet, die Beine in den Bauch gestanden und mehrere Papierkriege gewonnen.

Sie bereute es nicht, sich vor zwei Jahren selbstständig gemacht zu haben, aber sie musste zugeben, dass es um einiges stressiger war, nicht nur die Verantwortung für sich selbst, sondern auch noch für zwei Mitarbeiterinnen und die Geschäftsführung zu haben.

Trotzdem: Jetzt hatte sie erst einmal Mittagspause und danach nur noch einen Auswärtstermin, dann konnte das Wochenende beginnen. Laura sah ein entspannendes Bad, einen riesigen Erdbeer-Daiquiri und eine Zimtschnecke in ihrer Zukunft, das hob sofort ihre Stimmung.

»Hey«, drang eine Stimme vom Türrahmen her und ihre beste Freundin Sky steckte den Kopf hindurch. »Bist du fertig? Ich hab chinesisches Essen mitgebracht.«

Mindestens einmal die Woche trafen sie sich zum Mittagessen. Entweder in dem Archiv in Eden Bay, in dem Sky arbeitete, oder aber hier in ihrer Praxis in Brentwood, dem direkten Nachbardorf.

»Du bringst immer Chinesisch mit, wenn du herkommst«, bemerkte Laura kopfschüttelnd, kam ihr jedoch entgegen und trat in den Flur. Susanna und Mary, ihre Mitarbeiterinnen, hatten freitags immer frei, sie waren also allein, als sie zur Rezeptionstheke schlenderten.

»Wir haben kein chinesisches Essen in Eden Bay! Das hier ist meine einzige Chance, an Frühlingsrollen zu kommen«, beschwerte sich ihre Freundin und stellte eine riesige Plastiktüte auf den Tresen.

»Ah, du kommst wegen des Essens her, nicht um mich zu sehen«, meinte Laura gedehnt und nickte. »Ja, das ergibt Sinn.«

Sky lachte. »Nicht nur. Du bist zu mindestens vierzig Prozent der Grund!«

Laura seufzte theatralisch und drückte ihre Freundin kurz an sich, bevor sie ihr dabei half, die verschiedenen Behälter aus der Tüte auf den Tisch zu laden. »Ist schon in Ordnung. Ich kann nicht mit frittierten Teigtaschen mithalten, damit habe ich mich abgefunden. Ich mache dir keinen Vorwurf.«

Sie zog die Stäbchen aus der Plastiktüte, während Sky bereits die Essensboxen öffnete und wohlig seufzend den Duft einatmete. »Ich liebe Geschmacksverstärker«, murmelte sie und stopfte sich die erste Frühlingsrolle in den Mund.

Laura folgte ihrem Beispiel und musste Sky rechtgeben. MSG war womöglich das Beste, was China je erfunden hatte. Nun ja, das und Klopapier.

Laura sank auf den Bürostuhl, während Sky den Hocker aus dem Wartezimmer auf die andere Seite stellte. »Und, was hast du am Wochenende vor?«, wollte ihre Freundin wissen und zog einen Karton mit gebratenen Nudeln zu sich heran.

»Nicht viel«, gab sie zu. »Ich gehe am Sonntag wahrscheinlich mit Michael frühstücken, aber sonst …« Sie zuckte die Schultern und machte sich an den Wan Tan zu schaffen. Sky hatte wie immer Essen für zehn Personen mitgebracht.

»Du bist wirklich die Einzige, die ich kenne, die immer noch mit ihrem Ex-Mann brunchen geht«, bemerkte Sky kopfschüttelnd.

»Wir sind Freunde!«, verteidigte Laura sich. »Wir waren Freunde, wir haben geheiratet, wir haben uns scheiden lassen, wir sind immer noch Freunde. Was ist daran so schwer zu verstehen?«

Sky runzelte die Stirn, als müsse sie angestrengt über diese Frage nachdenken, bevor sie meinte: »Alles, wenn ich ehrlich bin. Versteh mich nicht falsch, ich mag Michael! Er ist ein toller Kerl. Aber wenn Jax und ich heiraten und uns dann trennen würden, käme ich nicht in einer Millionen Jahren auf die Idee, wieder mit ihm befreundet zu sein! Obwohl wir auch zuerst Freunde waren.«

Laura zuckte die Achseln und stopfte sich ein Wan Tan in den Mund. Sie fand es gar nicht so merkwürdig wie alle anderen, dass Michael immer noch ein großer Teil ihres Lebens war. Sie waren im Guten auseinandergegangen. Sie hatten eingesehen, dass die überstürzte Hochzeit ein Fehler gewesen war und sie besser als Freunde funktionierten. Seine Familie war sehr wütend auf sie gewesen, aber Michael … Er hatte es verstanden. »Es ist, wie es ist«, bemerkte sie ausweichend. »Und wie steht es bei dir? Irgendwelche großartigen Pläne dieses Wochenende?«

Je schneller sie das Thema wechselten, desto besser.

»Ich geh morgen Abend mit Jax in ein Theaterstück.«

Das hörte sich schrecklich an. »Oh, was für eins?«

»Shakespeare natürlich.«

Laura verdrehte die Augen, lächelte jedoch. Ihre Freundin war besessen von dem toten, britischen Schreiberling. »Liebe Güte, Jax muss dich wirklich lieben, wenn er sich das freiwillig antut.«

Sky grinste. »Ich hab ihm verboten, dabei einzuschlafen, und er meinte, wenn er mitgeht und durchhält, schulde ich ihm dafür drei Lasagnen und vier Massagen.«

Kluger Kerl. Er wusste zumindest zu verhandeln. »Ich finde, das wiegt sein Opfer nicht einmal annähernd auf, aber na gut«, bemerkte Laura und verzog das Gesicht.

Sky schnaubte – bevor sich im nächsten Moment ihre Miene erhellte. »Hey! Ein Arbeitskollege von Jax geht auch mit. Ebenfalls Englischlehrer, Single und sehr süß … kauf dir doch auch eine Karte, dann ist das so was wie ein Doppeldate!«

Laura teilte die Begeisterung auf Skys Miene nicht. »Das hört sich furchtbar an, Sky. Ein Blind-Date mit einem Typen, der nicht einmal weiß, dass es eins ist?«

»Ich würde ihn natürlich fragen«, versicherte Sky ihr sofort.

Laura schüttelte den Kopf. Sie wollte ein entspanntes Wochenende. Kein nervöses und peinliches.

»Nein, danke.«

»Oh, Laura, komm schon! Du hast mir damals gesagt, ich müsste mir ein Privatleben besorgen, jetzt gebe ich dir den Ratschlag zurück.«

»Hey, ich hab ein Privatleben«, beschwerte sie sich sofort. »Ich treffe mich mit dir und Allie. Ich habe meine Pflichten als stellvertretende Bürgermeisterin. Ich besuche den Buchclub, ich häkle kleine Fantasyfiguren, habe somit zwei Hobbys … und ich date auch. Manchmal.«

Einmal jedes halbe Jahr. Die Regel hatte sie sich selbst auferlegt. Denn sie wollte zwar nicht werden wie ihre Mutter, aber der Liebe trotzdem eine Chance geben.

»Also, so richtig datest du nicht«, meinte Sky und zog eine Grimasse. »Du tust manchmal nur so.«

»Na ja, weil … weil ich erst seit drei Jahren geschieden bin«, log sie hastig. »Das ist nicht so lang. Die Scheidung steckt mir noch in den Knochen.«

Sky verdrehte die Augen. »Es sind dreieinhalb Jahre und du bist schon seit sechs Jahren getrennt. Deine Ehe hat kein Jahr gehalten.«

»Vielen Dank für die Erinnerung«, sagte sie trocken.

»Ach, komm schon. Du hast gerade selbst gesagt: Dein Ex-Mann ist immer noch einer deiner besten Freunde, so traumatisch war die Trennung nicht.«

Doch, das war sie gewesen. Nicht aus den üblichen Gründen, aber aus anderen. Aber von denen hatte Laura ihrer besten Freundin nie erzählt.

Sie seufzte schwer. »Können wir das Thema wechseln?«

»Schön«, kapitulierte Sky. »Weißt du was? Heute habe ich Zeit. Lust, was trinken zu gehen?«

»Oh ja!« Dann konnte sie den Erdbeer-Daiquiri direkt von ihrer Liste streichen.

»Im Sullivan’s?«, fragte Sky unschuldig.

Laura verzog das Gesicht. »Mhm … neee, ich …«

»Bitte?« Sky legte beide Hände auf ihre Brust. »Jared macht viel bessere Cocktails als Crazy-Craig von der Hummerhütte, eurer Kaschemme, die ihr Bar nennt.«

Das war leider wahr. Craig benutzte immer Erdbeersirup für seine Daiquiris anstelle echter Früchte.

Doch Laura konnte nicht ins Sullivan’s gehen.

Es war der einzige Pub in Eden Bay – der Ort, den Laura seit Ewigkeiten mied, um Ethan nicht über den Weg zu laufen.

Ethan, der ihr das Herz gebrochen hatte und den sie schon längst vergessen haben sollte. Das war jedoch äußerst schwierig, denn Brentwood und Eden Bay lagen furchtbar nah aneinander und für ihren Geschmack bekam sie indirekt noch viel zu viel von dem Feuerwehrmann mit.

Denn sie war mit Ava befreundet, die immer wieder mal fallen ließ, wie es ihm ging. Sie war mit Sky befreundet, die jetzt mit Ethans Bruder zusammen war.

Ethan war wie ein lästiger Poltergeist in ihrem Kopf, den sie einfach nicht loswurde.

Das einzig Gute war, dass sie ihn fast nie tatsächlich zu Gesicht bekam. Wie jeder vernünftige Geist war er die meiste Zeit lang unsichtbar. Das fand sie gut und es war seine beste Eigenschaft.

Laura fiel etwas zu spät auf, dass sie viel zu lang still geblieben war, denn als sie den Kopf hob und Sky in die Augen sah, durchleuchtete ihre beste Freundin sie mit nachdenklichem Blick.

»Weißt du, was ich glaube?«, sagte sie langsam.

Nein, wusste sie nicht. Aber sie hatte da so ein Gefühl, dass sie es gar nicht wissen wollte. »Was denn?«, fragte sie vorsichtig.

»Du willst nicht daten und wirst in keiner Beziehung glücklich, weil du immer noch nicht über Ethan hinweg bist.«

Sie schnaubte laut. Lächerlich. »Sei nicht albern. Wir waren vor acht Jahren ein Paar. Das ist ewig her!«

»Ja. Trotzdem gehst du ihm noch immer aus dem Weg.«

»Tue ich nicht«, log sie. »Ich wohne nun einmal in Brentwood, er in Eden Bay … wir laufen uns nicht über den Weg.«

»Du bist erst zu meiner Geburtstagsparty gekommen, als ich gesagt habe, dass er nicht dabei ist, Laura!«

Shit. Das hatte sie fast vergessen. Das erschwerte ihr das Lügen leider gehörig.

Aber die Sache war einfach die: Ethan zu sehen, weckte jedes Mal eine Menge Erinnerungen in ihr. Gute und schlechte. Und sie hatte Angst, dass Ethan, wenn sie ihm die Chance dazu gab, ihr einige gut fundierte Vorwürfe machen und berechtigte Fragen stellen würde. Denn so gern sie es auch immer wieder behauptete, er trug nicht allein die Schuld daran, dass sie sich damals getrennt hatten. Aber sie war nicht bereit dazu, ihm Antworten zu geben – und er würde sie auch gar nicht hören wollen. Ebenso wenig, wie sie hören wollte, was er zu seiner Verteidigung vorzubringen hatte.

Unterm Strich konnte sie auf eine Reise in ihre Vergangenheit verzichten.

Doch mit einer Sache hatte Sky unrecht: Sie war über Ethan hinweg.

Sie war eigentlich nur noch wütend auf ihn, weil sie sich schlichtweg an das Gefühl gewöhnt hatte.

»Ich hänge nicht an Ethan«, sagte sie mit Nachdruck. »Er ist mir vollkommen egal.«

Sky lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Ich glaube dir nicht.«

»Es ist aber die Wahrheit.«

»Okay, dann komm heute Abend mit mir ins Sullivan’s.«

Mist.

Aber wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass Ethan wirklich da sein würde? Vielleicht hatte er ja auch einen Pokerabend bei Adam oder ging mit einer der zahllosen Frauen aus, die ihr gefolgt waren. Denn ja, auch von denen hatte Ava ihr berichtet.

»Okay«, sagte sie deswegen knapp und lächelte. »Kein Problem. Gehen wir ins Sullivan’s. Aber du gibst mir den ersten Daiquiri aus.«

»Wird gemacht«, bemerkte Sky zufrieden. »Oh, ich freu mich!«

Laura nickte. »Ja, ich mich auch.« Und es war fast nicht gelogen.

 

Die nächste Dreiviertelstunde redeten sie nur über unverfängliche Themen wie das aktuelle Buch ihres Buchclubs und Skys Bruder Jon, der Vater wurde und vor ein paar Tagen herausgefunden hatte, dass er ein kleines Mädchen bekam.

Laura lächelte bei dem Gedanken an den muskulösen Ex-Marine mit einem kleinen Babymädchen auf dem Arm, auch wenn es ihrem Herzen gleichzeitig einen Stich versetzte.

Sie wollte Mutter werden. Das war nicht immer so gewesen … aber jetzt schon.

Doch sie hatte noch Zeit. Sie war dreißig. Sie … Ihre Chance war nicht … Na ja, es konnte noch passieren.

Kein Grund, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.

Als sie fertig mit dem Essen waren, begleitete Laura Sky vor die Tür und schloss hinter sich ab. Sie verabschiedete sich mit einer festen Umarmung von ihrer Freundin und warf den Plastikmüll in die dafür vorgesehene Tonne auf dem Parkplatz, der für ihre Praxis, einen Bubbletea-Laden und Michaels Steuerberatungsbüro herhielt.

Es war kurz nach eins, sie hatte also noch Zeit, sich einen Mangotee mit Maracuja-Boba zu holen, bevor sie losfuhr. Sie machte sich gerade in die Richtung auf, als ihr Handy klingelte.

Sie hielt inne und zog es aus der Tasche. Unbekannte Nummer blinkte auf. Stirnrunzelnd hob sie ab.

»Hallo?«

»Hey, spreche ich mit … nun, einer Physiotherapie-Praxis?«, erwiderte eine dunkle Stimme. »Mann, ich habe wirklich erschreckend wenig Informationen über Sie, fällt mir gerade auf.«

Lauras Herz blieb stehen.

Vor Schreck hätte sie beinahe das Telefon fallen lassen, doch ihre Handfläche war so abrupt feucht geworden, dass das Ding an ihrer Haut zu kleben schien.

Ihr Magen rumorte, ihre Finger verkrampften und ihr Mund wurde augenblicklich trocken. Denn sie kannte die Stimme. Sie hatte sie seit Ewigkeiten nicht mehr gehört und trotzdem kannte sie sie noch immer besser als die Linien auf ihrer Hand.

»Ethan?«, fragte sie atemlos.

Stille war die Antwort.

Eine endlose, sich in die Ewigkeit ziehende, kühle Stille.

Dann: »Ich bringe Ava um.«

Jap, das war Ethan.

Ihr Herzschlag beschleunigte sich und sie presste eine Hand auf ihr verkrampftes Zwerchfell.

Sie war albern. Absolut albern. Auch wenn sie ihm aus dem Weg ging, sahen sie sich ab und zu.

Aber nur von Weitem. Und sie hatte seine Stimme schon so lang nicht mehr gehört … Shit.

Sie räusperte sich und streckte den Rücken durch. »Was hat Ava getan?«, wollte sie wissen und ihre Stimme hörte sich ärgerlich dünn und hoch an.

»Ich …« Ethan hielt inne. Ein paar Sekunden länger, als er brauchen sollte, um seine Gedanken zu ordnen. Laura überlegte gerade, ob er wohl darüber nachdachte, einfach aufzulegen, als er weitersprach: »Na ja, ich hab sie nach der Nummer einer guten Physiotherapeutin gefragt – und sie hat mir freundlicherweise deine gegeben.«

»Nun, ich bin eine fantastische Physiotherapeutin. Sie hat also nichts Falsches getan«, rutschte es ihr heraus. Etwas defensiver, als ihr lieb war.

Vielleicht, weil sie das Gefühl hatte, sich verteidigen zu müssen. Oder weil sie Ethan beweisen wollte, dass es ihr gut ergangen war. Dass sie einen tollen Job hatte, in dem sie brillierte.

Ethan schnaubte. Doch es war ein amüsiertes Schnauben. Die Art Schnauben, die er früher immer von sich gegeben hatte, wenn jemand etwas Offensichtliches und leicht Albernes sagte. Die Art, die immer von einem schiefen Lächeln und einer gehobenen Augenbraue begleitet worden war. »Das weiß ich, Laura«, bemerkte er und eine Gänsehaut kletterte ihren Nacken hinauf, als er ihren Namen benutzte. »Ava hat nur vergessen, zu erwähnen, dass es deine Nummer ist.«

»Oh«, entwich es ihr. »Ja, das hört sich nach Ava an.«

»Jop«, stimmte er zu und wieder folgte ein paar hektische Herzschläge lang nichts als Stille. »Sorry«, sagte er schließlich langsam. »Ich hätte nicht angerufen, wenn ich es gewusst hätte. Ich … such mir jemand anderen. Bis dann.«

Im nächsten Moment legte er auf.

Laura ließ das Handy sinken und starrte mit enger Brust auf das noch immer erleuchtete Display.

Bis dann.

Was für ein ironischer Abschiedsgruß.

Denn ganz ehrlich … wann war dann?

Niemals, was sie beide betraf.

Sie kniff die Augen zusammen und konzentrierte sich auf die Arbeit ihrer Lungen. Sie war nämlich noch immer kurzatmig.

»Scheiße«, wisperte sie.

Denn … scheiße! Hatte Sky recht?

Nein.

Oder?

Shit!

Nein.

Das war nicht okay. Es lag Ewigkeiten zurück. Sie waren zwei erwachsene Menschen. Sie wohnten in benachbarten Städten, teilten einen gemeinsamen Freundeskreis ...

Sie presste die Lippen zusammen und steckte energisch das Telefon wieder weg. Sie würde nicht den Rest ihres Lebens einen halben Herzinfarkt erleiden, sobald sie Ethans Stimme hörte!

Nein!

Sie wusste, dass er sich vor ein paar Monaten das Bein gebrochen hatte. Ganz Eden Bay und halb Brentwood hatten über den blöden Unfall geredet. Darum musste es gegangen sein. Vielleicht war er noch nicht fit, obwohl er es sein sollte … Vielleicht musste er seine Muskulatur gezielt stärken, damit sein Bein stabilisiert wurde und er weniger Schmerzen hatte. Sie wusste es nicht und es war auch egal. Ihr gemeinsames Kapitel war abgeschlossen. Sie sollte sich nicht länger vor Ethan verstecken. Ihn nicht länger ignorieren oder Angst davor haben, ihm über den Weg zu laufen.

Sie wusste nicht, ob Sky richtig gelegen und sie tief in ihrem Herzen noch immer nicht mit ihm abgeschlossen hatte. Eigentlich wusste sie gerade nur eines: Ethan brauchte eine Physiotherapeutin – und er würde sie verdammt noch mal bekommen!

 

Kapitel 3

 

Es lohnt sich, möglichst viele Geschwister zu haben, die man ärgern und piesacken kann. Dann hat man lebenslangen, kostenlosen Spaß!

 

Jax Kavanagh, aus der Reihe »Was hast du aus der Vergangenheit gelernt?«

 

»Was zur Hölle, Ava!«

Ethan knallte seine Bierflasche so fest auf den Tisch der Ärztin, dass Schaum oben hervorstob.

Die Rothaarige blickte verwundert von ihren Süßkartoffelpommes auf. »Was? Wovon redest du?«, fragte sie, doch ihre Stimme war eine Spur zu unschuldig.

»Du gibst mir Lauras Nummer?«, fuhr er sie an.

»Und?«, wollte sie wissen und neigte interessiert den Kopf. »Du hast mir nicht gesagt: Gib mir die Nummer eines guten Physiotherapeuten – aber nicht die von Laura.«

Wütend setzte er sich auf den Stuhl ihr gegenüber. »Das war impliziert!«

Er wusste, dass Laura Physiotherapeutin war. Sie hatte ihr Studium beendet, während er mit ihr zusammen gewesen war. Und natürlich war sie gut in ihrem Job – Laura war in allem gut gewesen, was sie tat. Weil sie geglaubt hatte, dass ihr Vater vielleicht zurückkam, wenn sie nur beeindruckend genug war.

Aber er kannte Ava. Das war kein Versehen gewesen!

»Ich kommuniziere nicht impliziert«, sagte Ava stoisch und schob sich eine ihrer Pommes zwischen die Lippen. »Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, was du hast, Eth. Was spielt es für eine Rolle, dass Laura zufällig die Physiotherapeutin meines Vertrauens ist?«

»Oh, komm schon! Du hast es mir absichtlich verschwiegen.«

»Du hast auch nicht gefragt, Ethan!«, sagte sie und reckte das Kinn. »Dir schien die Nummer vollkommen zu reichen. Ich fühle mich nicht im Mindesten schuldig. Überhaupt: Du meintest, dass Laura dir egal ist, Eth.«

Er rang unterm Tisch die Hände ineinander. Dachte an das Fallgefühl in seinem Magen, als er ihre Stimme am Telefon gehört hatte …

»Nun … ja, das ist sie!«

»Na, dann verstehe ich nicht, was dein Problem ist«, erwiderte sie süßlich.

Ethan öffnete den Mund … doch wusste nicht, was er erwidern sollte. Alles, was er jetzt sagen konnte, würde Ava zu der Annahme verleiten, dass er gelogen hatte – was Schwachsinn war!

Natürlich hatte er nicht nichts empfunden, als er mit ihr gesprochen hatte. Er war nun einmal zwei Jahre lang davon überzeugt gewesen, dass sie die Liebe seines Lebens war. Aber das bedeutete lediglich, dass er kein kaltherziger Bastard war. Was beruhigend war, denn er war sich in letzter Zeit diesbezüglich nicht mehr zu hundert Prozent sicher gewesen.

»Ich habe kein Problem«, sagte er angespannt.

»Diese Information scheint bei deinem Gesicht noch nicht angekommen zu sein«, bemerkte Ava. »Weißt du, ich bin es leid, nur einen von euch beiden zu meinen Partys einladen zu können. Ich mag Laura. Wir besuchen denselben Buchclub. Wir sind Freundinnen. Eure Geschichte ist Ewigkeiten her, ihr solltet miteinander auskommen und sie ist nun einmal die beste Physiotherapeutin in ganz Maine. Also hör auf, rumzujammern, und lass dir von ihr helfen.«

Er lachte trocken auf. »Sie will mir nicht helfen.«

»Woher weißt du das? So wie ich das verstanden habe, hast du aufgelegt, bevor sie dir sagen konnte, ob sie dir helfen will oder nicht.«

Klasse. Die beiden hatten also schon miteinander gesprochen. Gott, er hasste es, dass Frauen so viel miteinander kommunizierten!

Aber Ava wusste nicht, wovon sie sprach. Das letzte Mal, als er mit Laura geredet hatte, hatte sie ihm erklärt, dass sie ihn nie wiedersehen wolle. Keine zwei Monate später hatte sie Michael geheiratet, der nur ihr Freund und überhaupt nicht auf diese Art und Weise wichtig für Laura gewesen war.

Danach hatte er sie nur noch von Weitem, im Supermarkt oder beim Vorbeifahren gesehen.

Sie würde ihn niemals als Patienten aufnehmen.

Er machte gerade den Mund auf, um Ava genau das zu sagen, als eine schwere Hand auf seiner Schulter landete.

»Gratuliere, Alter. Herzlichen Glückwunsch zu deinem neuen Job.«

Verwirrt sah er auf und blickte direkt in Jax‘ grinsende Miene. Oh, Mann. Ein solch süffisantes Lächeln war auf dem Gesicht seines Bruders wirklich schwer zu ertragen.

»Was?«, wollte er schroff wissen.

»Oh mein Gott, Ethan, ich hatte ja keine Ahnung, dass du politische Ambitionen hast.« Der Spruch stammte von der tragisch aufseufzenden Harper, die im nächsten Moment in seine Wange kniff. »Unser süßer Fratz wird endlich erwachsen und nimmt Verantwortung auf sich!«

»Was?«, wiederholte er und sah fragend zu Ava.

Die runzelte jedoch nur die Stirn und verstand wohl ebenfalls nur Bahnhof.

»Na, dein neues Amt an der Spitze von Eden Bay«, erklärte Jax lachend und sank auf den Stuhl neben ihm. »Gott, du dachtest doch nicht ernsthaft, dass wir das riesige Bild auf Eden Bays Website ignorieren würden!«

»Du solltest es besser wissen«, stimmte Harper zu und schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Oh, müssen wir uns jetzt eigentlich vor dir verbeugen oder dich mit Titel ansprechen?«

»Was?«, sagte er gefühlt zum hundertsten Mal, während er irritiert den Kopf schüttelte – und warum beantwortete ihm diese Frage niemand vernünftig? »Natürlich sollt ihr euch vor mir verbeugen. Ich warte seit Jahren darauf, dass ihr endlich zu Sinnen kommt und euch mir zu Füßen werft, aber fürs Erste wüsste ich gern, wovon zur Hölle ihr sprecht! Was für ein Bild?«

Harper und Jax wechselten einen irritierten Blick. Dann nahm Harper sich eine Pommes von Avas Teller und meinte: »Du hast keine Ahnung, oder?«

»Nein!«, fuhr er sie an.

Harper blinzelte – dann brach sie in schallendes Gelächter aus. »Du hast dich nicht aufstellen lassen? Die Oldies haben dich einfach so … gewählt?«

»Gewählt?« Das Blut floss ihm aus dem Gesicht. Allein die Worte Die Oldies jagten ihm einen kalten Schauer den Rücken hinab. »Gewählt als was?«

Grinsend beugte Jax sich vor und stieß seine Bierflasche in einem Toast sacht gegen Ethans. »Als offizieller Bürgermeister von Eden Bay, Eth. Herzlichen Glückwunsch! Du musst dich sehr geehrt fühlen.«

»Was?« Ethan zuckte so heftig zusammen, dass er beinahe sein Getränk umwarf. »Sie haben … Ich bin … was?« Das Blut rauschte plötzlich in doppelter Geschwindigkeit durch seinen Kopf und ihm wurde schwindelig.

Das konnte nicht passieren.

Er hätte niemals zugestimmt, sich als verdammter Bürgermeister aufstellen zu lassen! Der verrückte Rat der Alten und Weisen, der bisher als staatlicher Apparat Eden Bays fungiert hatte, konnte nicht einfach beschließen, dass er Bürgermeister wurde! Es musste eine Wahl geben … und zur Hölle, er musste sich überhaupt erst aufstellen lassen! Und das würde niemals passieren.

Ruckartig wandte er sich Ava zu. »Wusstest du das?«, fragte er sie ungläubig.

Sie sah zufriedenstellend erschrocken aus. »Nein!«

»Aber deine Großmutter ist die Anführerin dieses bescheuerten Kults!«

»Na und? Ich kann nicht über jeden Schabernack meiner Oma Bescheid wissen. Das wäre unmöglich. Wenn du wissen willst, was los ist, frag sie doch selbst!« Sie deutete auf eine Gruppe älterer Damen, die in der hintersten Ecke des Raumes neben der Dartscheibe saßen.

Ruckartig stand Ethan vom Stuhl auf, sodass die Gläser und Teller auf dem Tisch klirrten.

»Oh, oh«, sagte Jax, doch das verdammte Grinsen haftete noch immer auf seinem Gesicht. »Ethan fängt eine Schlägerei an.«

»Ich filme«, bot Harper großzügig an.

»Ich werde niemanden schlagen!«, sagte er genervt. »Und derjenige, der mir folgt, wird mein verdammter Stellvertreter.«

Jax und Harper zuckten zurück. »Wir haben nichts gesagt«, versicherte ihm sein Bruder sofort.

»Ich würde dich niemals filmen«, meinte Harper hastig. »Bei überhaupt gar nichts.«

Ethan schnaubte laut, dann stapfte er mit den Fäusten in den Taschen durch die Bar auf den Tisch der Alten und Weisen zu.

Er wusste nicht, wie er das Thema sanft und vorsichtig ansprechen sollte – also holte er mit dem Vorschlaghammer aus.

»Ich werde nicht Eden Bays Bürgermeister!«, sagte er scharf und schlug mit beiden Händen fest auf die Tischplatte.

Die alten Damen und Mr Simmons sahen erschrocken auf und auch einige andere Köpfe wandten sich zu ihm um. Doch es war ihm egal. Seine politischen Ambitionen tendierten gegen minus Dreitausend und er hatte keine Lust, die alten Damen und Herren der Stadt auf seiner Nase herumtanzen zu lassen.

»Aber wir brauchen einen«, erwiderte Mrs Chestnut nach einer halben Ewigkeit verwundert. »Wir haben einen Brief vom Staat bekommen. Sie meinten, wir können nicht weiter einen ganzen Rat an Menschen haben, die eine Stadt beaufsichtigen. Wir brauchen jemanden, der in irgendwelchen Papieren eingetragen werden kann.«

»Und wieso denkt ihr da an mich?«, rief er ungläubig.

Mrs Chestnuts Wangen liefen pink an. »Na ja, wenn wir ehrlich sind, warst du nicht unsere erste Wahl.«

»Wunderbar!«, meinte er erleichtert.

»Nein, nein, nicht wunderbar«, fuhr ihm Mrs Lesiki dazwischen und hob einen knochigen Finger. »Wir dachten natürlich zuerst an Ava, aber die Arme hat so unglaublich viel zu tun und ist jetzt ja gerade mit Wyatt zusammengezogen. Hochzeit und Kinder folgen sicherlich bald, also fiel sie schon mal raus.«

»Dann dachten wir an Nathan oder Jared oder Jon, denn es sollte schon jemand sein, der hier geboren wurde und die Stadt sehr gut kennt und ein junges, frisches Gesicht hat«, klinkte sich Mrs Rosenbaum ein. »Aber Nathan wird bald die Feuerwehrhauptstelle übernehmen und Jared bekommt ja bald ein Kind und Jon ebenso. Die drei fielen also auch weg.«

»Vor Kate haben wir alle Angst. Dein Bruder Rick hat auch eine Familie, Benji ist zu jung, Jax zu unzuverlässig und Harper einfach etwas zu unhöflich und grob. Die Leute würden sich nicht wohl dabei fühlen, sich mit ihren Anliegen an sie zu wenden. Abgesehen davon ist sie ja auch vergeben und Adam kein Zuckerschlecken. Übrig blieb also …« Vielsagend sah sie zu ihm auf.

Er biss die Zähne aufeinander. »Das heißt, ich war die hunderttausendste Wahl – und bin nur geeignet, weil ich Single und nicht Harper oder Jaxbin?«, sagte er fassungslos. »Das ist diskriminierend.«

»Nein, es ist eine Ehre«, korrigierte ihn Mrs Lesiki scharf.

Ethan biss die Zähne aufeinander. »Ihr habt mich nicht gefragt!«

Mrs Chestnut hob die Achseln. »Wir hatten Angst, dass du Nein sagst, und wir hatten dich bereits einstimmig gewählt, also …«

»Nein!«, sagte er laut. »Nein, nein, nein. Ich liebe diese Stadt, aber – Nein! Das geht zu weit. Jared kriegt eine Briefmarke mit seinem Gesicht darauf, Nathan eine Statue in eurem Hühnerstall – und ich einen ungewünschten Titel als Bürgermeister? Nein!«

»Das waren sehr viele Neins«, grummelte Mr Simmons.

»Und ich meine jedes einzelne davon!«, erwiderte er ungehalten. »Es gibt Regeln,an die man sich halten muss! Ihr könnt mich nicht zum Bürgermeister machen, ohne mich vorher zu fragen!«

»Aber das haben wir«, stellte Mrs Lesiki klar. »Und es gibt niemand anderen für diesen Job. Wenn wir nicht bis morgen einen Bürgermeister ernennen, kriegen wir Probleme.«

»Ist mir egal.«

»Wie kann es dir egal sein, wenn du diese Stadt tatsächlich liebst, wie du soeben behauptet hast?«, wollte Mrs Chestnut mit geschürzten Lippen wissen. »Abgesehen davon haben wir es schon überall verkündet. Wie sähe es denn jetzt aus, wenn wir die große Ankündigung wieder zurücknähmen? Das würde unserer Glaubhaftigkeit und der des Internets schaden!«

»Das Internet wird damit zurechtkommen und ihr müsst es auch«, knurrte Ethan und krallte die Fingernägel in das Holz des Tisches.

Warum zur Hölle sahen die alten Schreckschrauben ihn an, als wäre er es, der sich falsch verhielt? Er hatte nicht darum gebeten, gewählt zu werden!

»Ethan«, sagte Mrs Chestnut in plötzlich fachmännischem Tonfall und faltete die Hände auf dem Tisch.

Klasse, sie würde ihm ein schlechtes Gewissen einreden.

»Eden Bay ist deine Heimat.«

Jop. Würde sie.

»Die Stadt hat dich zu dem Mann erzogen, der du bist.«

»Ich glaub, da würde meine Mutter …«

»Unterbrich mich nicht! Tatsache ist: Diese Stadt hat bereits viel für dich getan.«

»Mrs Chestnut, ich sage nicht …«

»Ich war immer noch nicht fertig«, sagte die alte Frau pikiert. »Wir finden, du bist der richtige Mann für den Job. Alle mögen dich. Du erledigst die Aufgaben, die man dir aufträgt, gewissenhaft. Abgesehen davon geht es dir zurzeit nicht so gut.« Sie gestikulierte zu seinem Bein. »Und wir dachten, wir könnten dich mit dieser Nachricht ein wenig aufheitern.«

»Was? Nein!« Ungläubig riss er die Augen auf. »Ich will nicht aufgeheitert werden! Ich will in Ruhe leiden.«

»Es gibt Geld für den Job, weißt du«, bemerkte Mrs Lesiki und reckte das Kinn. »Hast du nicht einen Schuldenberg abzubezahlen?«

Gott, manchmal hasste er es, dass man in dieser Kleinstadt keine Geheimnisse haben konnte. »Na ja, schon, aber …«

»Es wird dich fünf bis zehn Stunden in der Woche kosten, maximal«, versicherte ihm Mrs Rosenbaum. »Größtenteils musst du Papiere unterschreiben, die wir für dich verfassen. Und natürlich ein paar Bürgerversammlungen leiten.«

Verdattert öffnete er den Mund. »Es gibt Bürgerversammlungen in Eden Bay?«

»Ja. Aber der Altersdurchschnitt der Anwesenden ist zugegebenermaßen relativ hoch«, meinte Mr Simmons und hob die Achseln. »Auch wenn wir hoffen, mit dir als neuen Bürgermeister auch ein paar jüngere Leute bei den Treffen begrüßen zu können.«

Oh, seine Freunde und Familie würden kommen – und sei es nur, um ihn auszulachen.

»Ach, und einmal im Monat setzen wir – also du – uns mit den umliegenden Gemeinden zusammen, um Problemstellungen zu besprechen, die über Eden Bays Stadtgrenzen hinausgehen«, fiel Mrs Chestnut ein. »Nächste Woche Freitag ist der nächste Termin.«

Ethan blinzelte. »Aber ich …«

»Zehn Stunden, Ethan«, erinnerte ihn Mrs Lesiki. »Und ein Taschengeld!«

Stöhnend kniff er die Augen zusammen. »Zehn Stunden sind nicht wenig, außerdem …« Er hielt inne. Wenn sie von einem Taschengeld sprach, um wie viel Gehalt ging es dann?

Sein Blick fuhr zu Mrs Lesiki. Er gab es nicht gern zu, aber er könnte tatsächlich etwas mehr Kohle gebrauchen. Der Kredit, den er abbezahlen musste, war größer als Jax‘ Ego.

Nachdenklich neigte er den Kopf. Zehn Stunden, in denen er Papiere unterschreiben und mit Leuten reden musste, die ihn tatsächlich alle mochten? Das klang auf einmal gar nicht mehr so schrecklich, wenn er wirklich Geld dafür bekommen würde.

»Okay. Nehmen wir mal an, ich würde den Job annehmen«, meinte er langsam und zog die Hände vom Tisch. »Von wie viel Extra-Geld sprechen wir hier?«

Ein wissendes Lächeln trat auf Mrs Lesikis Züge. »Wir hätten ihm erst von dem Geld erzählen sollen, Suzan. Dann hätte er sich nicht so angestellt.«

Mrs Chestnut nickte sichtlich zufrieden, nannte ihm die Summe … und fünf Minuten später war Ethan offizieller neuer Bürgermeister von Eden Bay.

»Du hast wirklich kein Rückgrat«, bemerkte Jax belustigt, als Ethan ihm die frohe Kunde überbrachte.

Er zuckte die Schultern. »Wusstet ihr, dass man als Bürgermeister Geld bekommt?«

»Ah, dir fehlt das Rückgrat also nicht schon immer, du hast es gerade verkauft«, meinte Harper selbstgefällig und nickte. »Das ergibt Sinn.«

»Ich find das toll, Ethan!«, bestärke Ava ihn und drückte seine Schulter. »Du tust etwas Gutes.«

»Das denke ich auch«, mischte sich auf einmal Jareds Stimme hinzu, bevor er eine Flasche Bier und eine Schale Nachos vor Ethan auf den Tisch stellte. »Hier. Geht aufs Haus. Um deine neugewonnene Macht zu feiern.« Er räusperte sich. »Ach, da ich gerade schon hier bin – als Bürgermeister musst du die Anschaffung neuer Parkplätze bewilligen, oder? Ich will nämlich auf dem Rondell noch zwei hinzufügen.«

Ethan lachte leise, nahm einen der Nachos und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Tatsächlich? Und die sind dir nur ein paar lausige Nachos wert?«, überlegte er laut.

Jared verengte die Augen. »Hab ich erwähnt, dass es Freibier für den ganzen Abend gibt?«

Grinsend verschränkte er die Hände im Nacken. »Das war ein Witz, Jare. Ich bin nicht bestechlich.«

Da war er sich fast sicher. Und ganz ehrlich: Wenn er es wäre, müsste sein Freund mit deutlich mehr als Freibier auffahren. Eth dachte da eher an ein Hummerdinner oder eine Burgerflatrate. Für die würde er nämlich …

Nein, nein. Würde er natürlich nicht.

Oh, wow. Er musste wirklich aufpassen, dass ihm die Macht nicht zu Kopf stieg.

»Ethan, bist du ernsthaft unser neuer Bürgermeister?«

Er blickte auf und sah mitten in die blauen Augen von Livia, der sehr hübschen, neuen Kellnerin, die Jared eingestellt hatte.

Er kratzte sich den Nacken. »Na ja … schon, aber …«

»Wow.« Sie lächelte breit zu ihm herab und legte eine Hand auf seine Schulter. »Das ist wirklich unglaublich süß von dir! Die alten Ladies haben sich letzte Woche noch bei mir beschwert, dass sie keine Ahnung haben, wer sich wohl freiwillig für so einen undankbaren Job melden würde, und jetzt hast du ihnen diese Aufgabe abgenommen. Und da dachte ich immer, du wärst ein total Ich-bezogener Kerl, der allen anstrengenden Aufgaben aus dem Weg geht!«

Er hob die Augenbrauen, wusste nicht ganz, wie er darauf reagieren sollte … bevor er sich dazu entschied, gezielt beschämt auf den Boden zu sehen. »Ach, es ist nichts«, sagte er leise und winkte ab.

»Oh, großer Gott«, hörte er Jax murmeln, doch sein Bruder war dankenswert leise.

»Doch, es ist eine Menge!«, meinte Livia fest. »Ich werde gleich abgelöst, hast du Lust, noch etwas mit mir zu trinken?«

»Sehr gern«, antwortete er freundlich. »Du weißt, wo du mich findest.«

Sie nickte, zwinkerte ihm zu und verschwand im nächsten Moment wieder in Richtung Bar.

»Okay, ich nehme es zurück«, meinte Ava säuerlich und betrachtete ihn kopfschüttelnd. »Du tust überhaupt nichts Gutes. Du tust etwas absolut Eigennütziges!«

Ethan lächelte unschuldig. »Keine Ahnung, wovon du redest. Ich bin unglaublich süß und selbstlos. Du hast Livia doch gehört.«

Ava gab ein Knurren von sich, das Ethan sofort bereuen ließ, dass er keinen Knochen dabeihatte. »Was soll das? Ich dachte, du wärst nicht an Daten interessiert!«, antwortete sie verärgert.

»Daten?«, erwiderte er irritiert und griff nach seinem Bier. »Wer hat was von Daten gesagt? Ich trinke was mit ihr.« Und wenn mehr darauf folgte, dann war das wirklich nicht seine Schuld.

Denn ja, er war nicht bestechlich und ja, er würde sich die neugewonnene Macht nicht zu Kopf steigen lassen … aber heute Abend zumindest würde er sie einfach nur schamlos ausnutzen. Denn er war tatsächlich ein süßer und freundlicher Kerl. Aber er war eben auch ein …

Abrupt hielt er inne. Unfähig, den Gedanken zu Ende zu führen.

Denn die Tür des Sullivan’s war aufgegangen und eine Frau war hereingetreten.

Schwarze, glatte Haare, vom Wind zerzaust. Leuchtend blaue Augen, so intensiv, dass er sie selbst mit zwei Dutzend Leuten im Weg erkannte.

Sein Magen zog sich krampfartig zusammen und er ließ beinahe die Bierflasche fallen.

Sie sah aus wie … wie …

Einer von Jareds Kellnern drängte sich in sein Sichtfeld und er blinzelte.

Nein. Er musste sich irren. Laura kam nie hierher und zugegebenermaßen hatte er sie schon seit Längerem nicht mehr gesehen. Sie war nicht mehr zweiundzwanzig und sah womöglich ganz anders aus, als er sie in Erinnerung hatte, aber dennoch … nein. Blödsinn.

Seine Augen spielten ihm einen Streich, weil er in den letzten Tagen öfter als gewöhnlich an sie gedacht hatte. Weil er das erste Mal seit Ewigkeiten wieder mit ihr gesprochen hatte.

Er stellte das Bier ab, rieb sich über die Brust, neigte den Kopf, um einen besseren Blick zu bekommen … und sein Herz fiel. Und fiel.

Bis es schmerzhaft-süß auf dem Boden aufprallte.

Fuck, das war Laura.