4,99 €
Ein Krimi der auch ein Roman über eine Familie ist. Die Familienform ist etwas außergewöhnlich. Das Zusammenleben funktioniert, bis ein sogenannter Freund, sich als Feind entpuppt. Die Hauptfigur, ein bekannter Schriftsteller, muss ungewöhnliche Massnahmen ergreifen, um seine Familie und sich zu retten.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 180
Veröffentlichungsjahr: 2020
Rena Brauné: Ein gefährlicher Freund
Die Geschichte mit ihren Personen, Namen, Handlungen und Ereignissen ist frei erdacht. Ähnlichkeiten mit der Wirklichkeit sind zufällig und unbeabsichtigt.
Autoren-Kontakt: [email protected]
Der Beginn von etwas Neuem
Greta
Das Kleeblatt
Zuwachs
Die Welt öffnet sich
Veränderungen kündigen sich an
Ein Sommer, der alles ändert
Lebenslinien ändern sich
Jorge kehrt heim
Erfolg und Abschied
Familiengeheimnisse
Großes Drama
Eine folgenschwere Entscheidung
Claudias Spiel
Zeit der Entscheidung
In meiner zweiten Heimat
Frei, endlich frei
Neue Ideen, neue Freiheit
Wer weiß Bescheid?
Es ist mir ein Bedürfnis, Danke zu sagen:
Vielen Dank, lieber Dieter Bülow!
Ohne Dich hätte mein Buch keinen Umschlag ...
Mit deinem technischen Wissen hast Du meine verrückten Ideen umsetzen können und so hat das Buch doch einen Umschlag bekommen!
Rena Brauné
Erschreckt fahre ich hoch und greife an meinen Kopf. Jemand hat etwas über mich geworfen. „Nein“, schreie ich panisch und ziehe wild daran. Ich kann nichts mehr sehen, ich fühle mich blind und beginne, um mich zu schlagen.
„Entschuldigung“, höre ich die entsetzte Stimme einer jungen Frau. Sie piepst vor Aufregung. „Mir ist meine Jacke aus der Gepäckablage gefallen, als ich meine Tasche runternehmen wollte.“ Sie hat die Jacke von meinen Kopf genommen und schaut mich besorgt an. „Wie geht es Ihnen? Kann ich etwas für Sie tun? Sie sehen ganz blass aus. Es tut mir so leid, Sie haben so fest geschlafen, ich wollte Sie wirklich nicht wecken. Aber wir sind gleich am Hamburger Hauptbahnhof und ich muss aussteigen.“
Sie hat ihre Jacke angezogen und zieht nervös den Reißverschluss rauf und runter. Eine dicke Computertasche und ihren Rucksack hat sie auf meinem Nebensitz abgestellt. In ihren Ohren sind die Stöpsel für ihr iPad. Sie ist noch so jung, höchstens Mitte zwanzig, und schon ganz und gar von dieser Wahnsinnstechnik abhängig. Ich gehe auf die fünfzig zu und wäre ohne meinen Computer total aufgeschmissen. Wie wird es für sie sein, wenn sie so alt ist wie ich?
Ich versuche, sie zu beruhigen. „Es ist ja nichts passiert. Ich bin nur erschrocken. Wer weiß wofür es gut ist, dass Sie mich geweckt haben, ich muss nämlich in Altona aussteigen. Wer weiß, wo ich sonst gelandet wäre.“ - „Aber Altona ist Endstation!“, kommt es verblüfft von ihr. „Ich weiß, es war ein Scherz. Ich habe manchmal eine krude Art von Humor. Denken Sie sich nichts dabei.“
Langsam fahren wir in den Bahnhof ein. Plötzlich platzt es aus ihr heraus: „Ich habe alle Ihre Bücher gelesen. Die gefallen mir gut. Ich hätte so gern mit Ihnen gesprochen, aber seit Berlin haben Sie geschlafen.“ Sie nimmt hastig ihre Sachen und geht zum Ausgang. „Dann mailen Sie mir doch. In den Büchern ist meine E-Mail-Adresse. Ich würde mich freuen,“ rufe ich ihr hinterher. Als der Zug wieder anfährt, steht sie da und hebt die Finger zum Victory-Zeichen.
Ich beginne meine Sachen zusammenzupacken. Herr Becker wird mich in Altona mit seiner Taxe abholen. Ich sehe ihn schon im Geiste vor mir. Sein Gesicht wird verkniffen sein. In ihm gärt eine große Wut. Seine Claudia und mein Peer sind miteinander abgehauen. Ich werde mich betrübt geben. Ich werde sagen: „Mensch, Becker, meine Familie hat es mir erzählt. Ich bin vollkommen geschockt. Damit hat keiner gerechnet. Die meisten seiner Sachen sind noch bei uns. Das konnte keiner ahnen.“ In Wahrheit bin ich froh, sehr froh. Endlich wieder frei. Ich kann wieder durchatmen.
Doch das darf ich mir nicht anmerken lassen. Die ganzen Anstrengungen in den letzten Wochen haben sich gelohnt. Ich muss mich also gar nicht wundern, dass ich seit Berlin geschlafen habe. Auch die letzten Tage in Dresden waren anstrengend, sehr anstrengend gewesen. Ich war von Portugal gleich nach Dresden zum Autorentreffen geflogen. Ich ein erfolgreicher Schriftsteller und schreibe bizarre Krimis. Drei Tage habe ich viel Neid über mich ergehen lassen.
Es wird jedes Mal schlimmer. Diese Weiberhexen mit ihren Giftspritzen, was wollen die eigentlich bei diesem Treffen? Die eine, ihr Mann ist inzwischen verstorben, kommt jetzt immer mit ihrem neuen Partner. Pausenlos erzählt der dämliche Witze. Dick geworden ist sie inzwischen und redet nur von ihren Enkeln. Ihr Mann schrieb wunderbare Gedichte. Was mich heute noch immer erstaunt: Woher nahm er seine Inspiration? Von dieser Frau, die so gehässig ist, kann es nicht gekommen sein. Sie selbst hat überhaupt keinerlei Begabung für das Schreiben. Aber urteilen über neue Bücher und deren Autoren, das steht ihr zu, meint sie. Zu mir sagte sie spitz: „Na, schon wieder ein neues Buch geschrieben?“ - „Und du“, fragte ich zurück, „endlich was geschrieben? Du weißt doch, das ist hier ein Autorentreffen.“
Ihre Ohren wurden knallrot. Auf ihren Wangen bildeten sich Flecken. „Bilde dir bloß nichts ein“, giftete sie, „Ich vertrete die Interessen von Dirk und bekomme regelmäßig eine Einladung. Also wollen die Anderen, dass ich komme“, fügte sie triumphierend hinzu. Sie setzte sich mit ihrem Witze-Erzähler zu einem Paar, deren Lieblingsfarbe auch Neidgrün ist. Endlich waren die Passenden zusammen, wie Vierlinge.
Das Autorentreffen hat mich dieses Mal zu viel Kraft gekostet. Dieser Neid der mir von einigen Teilnehmern begegnete, nein, den muss ich nicht haben. Ich habe beschlossen, das war das letzte Mal für mich. Ich will mir das nicht mehr antun. Schließlich bin ich keine dreißig mehr. Vielleicht liegt mein Unwillen auch an den Ereignissen davor, die mir meine Kräfte geraubt hatten. Aber jetzt bin ich wieder frei, ich habe alles erledigt.
Nie hätte ich angenommen, dass ich so weit gehen könnte. Ich habe mich immer für einen besonnenen, ruhigen Menschen gehalten. Aber dann habe ich habe eine Schwelle überschritten. Es war für mich und meine Familie der einzige Ausweg. Wir sollten zerstört werden. Unser guter Ruf wäre ruiniert gewesen. Und ich sollte umgebracht werden. Von sogenannten „guten Freunden“.
Was blieb mir anderes übrig, ich musste mich doch wehren. Es war reine Notwehr. Andere würden es Mord nennen. Aber urteilen Sie selbst. Und ich frage Sie, wie hätten Sie reagiert? Ich erzähle es nur Ihnen, denn ich weiß, Sie sind verschwiegen und ich kann Ihnen vertrauen.
Ich werde erst einmal meine Familie vorstellen, damit Sie sehen können, warum sich alles so entwickelt hat. Denn eigentlich waren wir eine ganz normale Familie.
In den letzten Tagen habe ich oft an meine Eltern gedacht, und wie sie ihr Leben, dass etwas anders war als bei anderen Leuten, gemeistert haben. Ich bin nicht mit einem goldenen Löffel im Mund geboren. Auch wenn das manche annehmen, weil unsere Familie ein großes Haus besitzt. Aber es ist ein altes Haus und unsere Familie hat sehr viel investiert, damit es zu dem wurde, was es jetzt ist. Und die Kosten, es zu erhalten, sind immer noch enorm. So ein Haus kann ein Groschengrab sein. Aber ich mag mich nicht davon trennen. In jeder Ecke wohnen die schönen Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend. Sie sprechen mit mir und zeigen mir immer einen Weg, wie es weitergehen kann.
Als Kind sagten meine Spielkameraden zu mir: „Du wohnst in einem Schloss. Bist du ein Prinz?“
Von außen sieht es einem Schloss tatsächlich ähnlich, mit seinen vielen kleinen Türmchen. Aber wenn sie es einmal von innen gesehen hatten, beneideten sie mich nicht mehr und von Prinz wurde nicht mehr gesprochen. Sie selber wohnten oft in modernen Wohnungen und Häusern, mit Heizungen die funktionierten, und hellen Badezimmern. Unsere Badezimmer waren zwar größer als ihre, aber mit dunklen hässlichen Fliesen gekachelt.
Wir haben im Winter meistens nur einige Zimmer benutzt, da das Geld oft nicht reichte um überall zu heizen. Aber meine Eltern waren noch so jung und es kam ihnen wie ein Abenteuer vor, dass nicht alles so perfekt war. Sie führten trotz der äußerlichen Mängel ein fröhliches, offenes Haus, wie es meine Mutter von ihren Eltern gewohnt war. Es trafen sich Künstler und solche, die sich dafür hielten. Oft gab es nur eine selbstgemachte Zitronenlimonade und Kekse, wenn man im Garten unter den alten Bäumen saß. Aber dieses Austauschen von Ideen und Anregungen war für alle das Wichtigste.
Das Haus hatte mein Großvater in einen Anfall von Wahnsinn, wie er es selbst nannte, ersteigert. Anschließend hatte er es sofort seiner Tochter Greta überschrieben, die damals gerade vierzehn Jahre alt war und später meine Mutter wurde. Im selben Jahr war Greta nach England ins Internat gegangen. Sie hatte das Haus nie in Natura gesehen und machte sich auch keine Gedanken darüber.
Mein Großvater war lange Jahre im diplomatischen Dienst gewesen. In Afrika, Asien und zum Schluss in Norwegen. Seine Gesundheit schon angeschlagen. In Abständen holten ihn Malariaschübe ein. Er war hochgewachsen, mit sehr gerader Körperhaltung. Seine weiße Haarpracht und sein Schnurrbart waren immer akkurat gestutzt. Er war eine elegante Erscheinung. Als junger Mann hat er wahrscheinlich die Frauenherzen reihenweise gebrochen.
Meine Großmutter, fast so groß wie ihr Mann, passte gut zu ihm. Sie war eine Schönheit. Selbst mit achtzig Jahren hatte ihr Gesicht sehr wenig Falten. „Gurkenwasser hilft, du musst immer Gurkenwasser nehmen. Das festigt die Haut und du kannst es überall selber machen.“ Das war ihr sogenanntes Geheimrezept. In der Zeit, als sie ständig im Ausland lebten, frisierte sie ihre langen, schwarzen Haare zu einem lockeren Knoten. Nie ließ sie einen Friseur an ihre Haare. In Abständen schnitt sie selber etwas von der Länge ab und färbte sie schwarz, bis sie Mitte sechzig war. Sie war eine Künstlerin und spielte wunderbar Geige und Klavier. Egal, wo sie sich gerade aufhielten, und wenn es nur für einige Wochen war, die Künstler der Gegend fühlten sich magisch von ihr angezogen. Mein Großvater war bis ins hohe Alter in sie verliebt.
Ich sagte ja schon, dass ihre Tochter Greta später meine Mutter wurde und bis zu ihrem vierzehnten Lebensjahr mit ihren Eltern von einem Land zum nächsten gezogen. Äußerlich war sie das genaue Gegenteil von ihren Eltern. Sie wuchs bis einen Meter sechzig und hörte dann auf. Das sorgte bei ihren Eltern für großes Erstaunen. Immerhin waren Beide fast einen Meter fünfundachtzig hoch. Greta neigte stark zur Molligkeit, was bei ihr zu hilflosen Wutausbrüchen führte. Ihre Eltern versuchten sie aufzurichten und versicherten ihr wieder und wieder, sie liebten sie so wie sie ist. Aber sie sah täglich, wie sehr ihre hochgewachsenen, schlanken Eltern von allen bewundert wurden und sich die Menschen zu ihnen hingezogen fühlten.
Sie liebte ihre Eltern, aber sie hatte sich bei Gedanken ertappt, die mehr als hässlich waren. Ein Unfall, mit dem Auto oder irgendetwas anderes Schlimmes. Sie sollten leben, aber am besten wären sie danach, wenn auch nur ein bisschen, entstellt.
Sie war entsetzt über ihre Gedanken. Darum bat sie ihre Eltern, ein Internat für sie zu suchen. Die waren erstaunt, hatte ihre Tochter zuhause doch alles, was das Herz eines jungen Mädchen begehrte, aber sie willigten ein.
Und Greta war glücklich, als ihr Wunsch in Erfüllung ging. Nun musste sie sich nicht mehr mit so schönen Menschen, wie sie es bei sich nannte, messen. Sie fühlte sich wohl und frei in ihrem Körper und bemerkte es als Letzte, das sie mit der Zeit schlanker wurde. Sie wuchs noch acht Zentimeter und entwickelte sich zu einem gutaussehenden jungen Mädchen. Ihr kräftiges Honig-Blondes Haar trug sie jetzt in einem kurzen Bubischnitt.
Eine „blonde Greta Garbo“ wurde sie von den Jungen genannt, die sie anschmachteten. „Ich kann mit diesen albernen Jungs überhaupt nichts anfangen“, erklärte sie ihren Freundinnen. „Bei meinen Eltern waren immer so interessante Männer und Frauen, mit denen hätte ich mich gerne unterhalten. Leider durfte ich nur selten dabei sein. Wenn mehrere Musiker da waren, gab es immer ein improvisiertes Konzert. Meistens sangen zum Schluss alle mit. Ich habe es oft von der Galerie aus beobachten können. Meine Mutter spielte Geige oder auf dem Flügel und mein Vater sonnte sich stolz in ihrem Talent. Ich möchte später einen richtigen Mann kennenlernen, mit dem ich mich ernsthaft unterhalten kann. Mit diesen Bubis, nein danke.“
Ihre Freundinnen fanden das wahnsinnig klug und zollten ihr Beifall. Waren aber ihrerseits nicht abgeneigt, Einladungen von diesen Bubis anzunehmen. Kichernd tauschten sie sich hinterher über ihre Erlebnisse aus. Sicher, die Jungen waren alle eine gute Partie und hätten Gretas Eltern bestimmt gefallen. Denn so dicke wie es bei den meisten ihrer Freudinnen war, war es bei ihr zuhause nicht.
Sie waren nicht arm, aber die Ausgaben sehr hoch und dann gab es dieses verflixte Haus. Wenn man es nicht zu einer Ruine verkommen lassen wollte, musste man wenigstens das Notwendigste investieren. Während die anderen Mädchen sich nur noch mit Mode, Make-up und Verabredungen beschäftigten, sonderte sich Greta immer mehr von den Gackergänsen, wie sie sie nannte, ab.
Sie meldete sich im Ruderclub an und trainierte viel, oft noch allein. Sie wollte zu den Besten gehören. Sie trug ihr Haar jetzt meistens streng mit Gel nach hinten gekämmt. Röcke und Kleider hatte sie ganz nach hinten in ihren Kleiderschrank verbannt. Sie trug Hosen, in allen Variationen. Am besten gefielen ihr die mit Aufschlag, so wie die Garbo sie früher getragen hatte.
Wenn abends die anderen Mädchen schon von Verlobung redeten und genau wussten, wie ihre eigene Hochzeit sein sollte, winkte sie nur ab. Nur Felicitas, sie wurde von allen nur Felixa oder Felix genannt, war auf der gleichen Wellenlänge wie Greta. Sie waren im selben Ruderclub.
Felixa gab ihr den Tipp: „Sprich doch mal mit Bert und frage ihn, ob er dich nicht trainieren kann. Seine Ratschläge haben mir selbst viel gebracht. Er kann dir genau sagen, welche Fehler du im Training machst und glaube ja nicht, dass abrackern allein hilft. Schon das richtige Atmen macht dich schneller.“
Bert war mit seinen vierundzwanzig Jahren schon ein erfahrener Mann in Gretas Augen. Sie selbst fühlte sich mit ihren achtzehn Jahren noch sehr unsicher. Sie wusste nur genau, was sie nicht wollte. Keine Hochzeit und erst recht keine Kinder. Sie wollte frei sein und später schreiben. Bert tat zuerst so, als wenn er Greta nicht trainieren wollte. „Mädchen“, sagte er „mit Mädchen arbeite ich nicht. Nur in Ausnahmen, wenn sie besonders gut sind.“ Er hatte nicht mit Gretas Reaktion gerechnet. Schnippisch sagte sie: „Dann eben nicht. Ich komme auch allein zurecht.“
„Warte“, sagte er daraufhin, „vielleicht lässt sich doch was machen. Ich habe da einen jungen Franzosen, Claude. Sein Vater ist der Meinung, er braucht etwas Pfeffer in den Hintern. Ihr müsstet zusammen trainieren, dann kann ich es machen.“ - „Ich werde es mir überlegen“, kam von Greta. „Dann bis übermorgen“, rief Bert ihr hinterher.
Claude erwies sich als feinsinniger, angenehmer junger Mann von zwanzig Jahren. Mit Herz und Seele war er Künstler und hatte eine angeborene Begabung für das Malen. Sein Auge für Details und seine akribische Ausführung erinnerten an die alten Meister. Sein Studienfach war allerdings Jura, auf Wunsch seines Vaters.
Die Familie seiner Mutter war seit Generationen im Geschäft der Düfte. Sein Vater kam aus einer alten Winzerfamilie. Seine drei erwachsenen Geschwister waren auf die eine oder andere Art für die Firma tätig. Seine einzige Schwester hatte die Nase und die Fantasie von der Mutter geerbt. In der Familie der Mutter hatten immer die Frauen diese Begabung. Der älteste Bruder arbeitete weltweit im Marketing. Der andere hatte die Verantwortung über den Anbau und Ankauf der Substanzen.
Ausgerechnet das Küken, wie Claude in der Familie genannt wurde, sollte sich später um die rechtlichen Belange der Firma kümmern. Eine Materie, die komplett seinem Wesen widersprach. Und wenn der Vater dachte, Pfeffer in den Hintern würde helfen, irrte er sich gewaltig. Er würde nie ein richtiger Sportler werden und erst recht kein harter Jurist. Claude absolvierte die Vorlesungen brav und schrieb seine Arbeiten mit sehr guten Noten, war aber ohne innere Anteilnahme. Hinterher konnte er oft nicht sagen, welches Thema behandelt wurde. Seine Professoren waren von seiner Intelligenz und der schnellen Auffassungsgabe begeistert und sagten ihm eine tolle Karriere als Anwalt voraus.
Privat sonderte er sich von seinen Kommilitonen ab. Die Partys mit viel Alkohol waren nicht sein Ding. Während seiner Freizeit ging er lieber ins Theater oder in Museen. Er war süchtig nach guten Büchern und Musik. So war es nicht verwunderlich, das Greta und er sich gut verstanden.
Bert, der Trainer, zwiebelte die beiden ordentlich und ärgerte sich, dass sie alles ohne Aufmucken ausführten. Er merkte allerdings auch, dass er nicht so wichtig war, wie er sich selbst nahm und nur die zweite Geige bei ihnen spielte.
Für Greta war es nicht mehr entscheidend, zu den Besten zu gehören, aber sie trainierte trotzdem fleißig weiter. Für sie war Claude der ausschlaggebende Punkt. Endlich war da jemand, mit dem sie reden konnte. Der auch Träume hatte wie sie. Wenn es nur um Trainer Bert gegangen wäre, hätte sie schon längst die Ruder hingeschmissen. Er war ein Wichtigtuer und dachte, mit Schreien und hartem Training würde man ihn akzeptieren. Was bei anderen wahrscheinlich auch klappte. Aber bei diesen beiden, die alles gelassen über sich ergehen ließen, perlte es ab wie Wasser. Sie ließen ihn nicht an ihren Kern.
Claude machte alles mit, grinste Bert fröhlich an, war aber mit seinen Gedanken weit weg. Er wurde erst wieder lebendig, wenn das Training vorbei war und er mit Greta zusammen wegging. Es gab kein Thema, das die beiden nicht interessierte. Aber am wichtigsten war die Kunst. Für Claude die Malerei und Musik. Für Greta das Schreiben und die Musik. Stundenlang gingen sie spazieren oder saßen bei schlechtem Wetter in Cafés. Beide empfanden eine tiefe Freundschaft füreinander und waren glücklich, wenn sie zusammen waren. Liebe, nein, verliebt waren sie nicht ineinander. Aber sie merkten, dass sich ihre Wesensart in vielen Dingen glich und sie meist die gleiche Meinung hatten.
An vielen Tagen kam Felixa dazu und in der letzten Zeit hatte sich ihnen Jorge, ein Argentinier, angeschlossen. Dass sie schon überall als komisches vierblättriges Kleeblatt verspottet wurden, war ihnen gleichgültig. Es war eine Zeit der Unbekümmertheit und Vollkommenheit für sie. Ungeniert konnten sie über ihre Wünsche und Träume sprechen. Sie schwammen alle auf einer Welle und wollten für immer zusammen bleiben.
Als der Trainer merkte, er bekommt die beiden mit seiner Art nicht in seine Gewalt, änderte er seine Methode. Beim nächsten Training ordnete er an: „Von jetzt an gibt es nur noch Einzeltraining. Ich will euch nicht mehr hier zusammen sehen.“
Greta und Claude waren erstaunt und empört. Hatten sie doch alle seine Anweisungen befolgt. Auf ihre Frage sagte er mit einem hämischen Grinsen: Claudes Vater hätte erfahren, dass er mit einem Mädchen zusammen trainiere. Der Vater sei fast ausgerastet und hätte wütend gesagt: ‚Ich will nicht, dass er zur Schwuchtel wird. Er soll mit voller Härte rangenommen werden. Und das ist Ihre Aufgabe.‘ Bert konnte sich das gemeine Grinsen nicht aus dem Gesicht wischen und setze hinzu: „Ja, und ich kann nur meine Aufgabe erfüllen, wenn ich euch trenne.“ Wie zur Bestätigung klatschte er in die Hände und rief: „Auf Leute, für morgen wisst ihr Bescheid, nur noch solo.“
Auf dem Nachhauseweg empörte sich Greta: „Ich gehe da nicht mehr hin. Er will uns nur schikanieren.“ Aber Claude meinte: „Das ist es gerade was er will, dass wir hinschmeißen. Damit er meinem Vater brühwarm erzählen kann, was für eine Memme ich bin. Wahrscheinlich bekommt er noch extra Geld dafür, damit er uns auseinanderbringt.“ - „Was sagt deine Mutter denn dazu?“ - „Meine Mutter ist eine schwache Frau. Sie hat nur das große Glück, dass sie immer noch eine Schönheit ist, obwohl sie vier Kinder geboren hat. Sie ist zusammen mit ihrer Tochter die Nase der Firma. Aber meine Schwester ist noch nicht ganz so weit wie meine Mutter. In der Duftbranche ist die Nase immer die wichtigste Person. Meine Mutter wäre mit Hilfe ihrer Kinder in der Lage, die Firma zu leiten. Ich weiß, meine Geschwister halten zur Mutter. Sie können es auch nicht verstehen, dass sie ihn nicht verlässt, da er sie auch noch pausenlos betrügt.“
Greta verdrehte die Augen. Sie versuchte ihre Erwiderung zu unterdrücken, aber dann platzte es doch aus ihr heraus: „Nie, nie würde ich mir das gefallen lassen. Sie sollte ihn zum Teufel schicken.“
„Ja, ich kann es vom Gefühl her auch nicht verstehen. Aber eine Scheidung kann sehr teuer werden. Das Vermögen kommt aus der Familie meiner Mutter. Sie müsste ihn abfinden. So steht das im Ehevertrag. Das Geld müsste sie aus der Firma rausziehen. Wenn das bekannt würde, könnten sich die Kunden vielleicht Gedanken machen. Es wäre ein großes Risiko, denn mein Vater hat die meisten Kundenkontakte. Er macht das gut, obwohl er aus einer alten Winzerdynastie stammt. Er kann die Menschen leicht für sich einnehmen. Darum treten sie bei offiziellen Anlässen immer noch gemeinsam auf. Du siehst, es ist eine verzwickte Situation. Denn er würde sicher gerne ganz offen seine jeweilige Geliebte mitnehmen, viele Reiche tun das ungeniert.“
„Wo ist denn ihre Liebe geblieben? Sie haben doch die Kinder zusammen“, Greta schüttelte den Kopf. „Liebe spielt da nur die zweite Geige, auch wenn in Frankreich viel von l´amour die Rede ist. Geheiratet wird bei den reichen Familien nach Geld.“
„Gut, wenn das so ist, zeigen wir Bert, dass wir nicht klein zu kriegen sind. Wir bestimmen den Zeitpunkt, wann wir aufhören. Der Kerl wird sich noch wundern. Ich werde mir was überlegen, womit wir ihn an seiner Überheblichkeit packen können.“ Greta rieb sich kampflustig die Hände.